Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 06: Die Stadt am Meer - Andreas Zwengel - E-Book

Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 06: Die Stadt am Meer E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Als der Schattenchronik-Agent Martin Anderson mit Kollegin Leila Dahlström seine schwedische Heimat besucht, findet er sein Dorf verlassen und verwüstet vor. Andere Ortschaften in der Umgebung wurden ebenfalls zerstört. Nur die kleine Stadt Rökkschow blüht und gedeiht. Offenbar hat sich die Stadt am Meer auf ein teuflisches Geschäft eingelassen.* Das Taschenbuch (158 Seiten) ist exklusiv nur unter blitz-verlag.de zu bestellen. *

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SCHATTENCHRONIK – GEGEN TOD UND TEUFELBand 6

In dieser Reihe bisher erschienen:

2901 Curd Cornelius Die andere Ebene

2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee

2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald

2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen

2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald

2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer

Andreas Zwengel

DIE STADTAM MEER

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierInnenillustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-566-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Es zog kalt durch die zerschossene Heckscheibe herein. Haikko hatte endlich aufgehört, wegen der verlorenen Kaution des Mietwagens zu jammern, und Larsson war im Begriff, sich das gesamte Koks alleine durch die Nase zu ziehen. Trotz aller Umstände war Thorgard Ulvaeus allerbester Laune. Gelegentlich streckte er die linke Hand mit der Pistole zum Fenster hinaus, um auf einen Elch am Wegesrand zu schießen. Es brauchte schon einen Glückstreffer, um so ein riesiges Tier mit einem Pistolenschuss zu erlegen, aber Thorgard reichte es schon, es bei einem Treffer zusammenzucken zu sehen. Selbst schuld, wenn sie sich so dicht an die Straße wagten. Was tat man nicht alles, um die Viecher fernzuhalten. Sogar synthetische Wolfspisse wurde produziert. Das muss man sich einmal vorstellen, dachte Thorgard. So viele wichtige Sachen kriegen diese neunmalklugen Idioten in ihren Laboren nicht hin, aber künstliche Wolfspisse.

Thorgard lenkte den Wagen schon seit Sundsvall, über dreihundertfünfzig Kilometer, und dachte noch nicht daran umzukehren. Das weiße Marschierpulver hatte dafür gesorgt, dass sie einfach immer weitergefahren waren, ohne sich zu überlegen, was sie so hoch im Norden eigentlich wollten. Aber momentan war es auch keine gute Idee umzudrehen, sie sollten besser zu Hause erst mal Gras über ihren letzten Auftritt wachsen lassen.

Thorgard, Larsson und Haikko waren schon seit etlichen Jahren Kollegen und immer bemüht, sich gegenseitig zu übertreffen. Hauptsächlich in den Disziplinen Geld­scheffeln, Rücksichtslosigkeit und Anhäufung von Statussymbolen. Sie gehörten zur Einkommenselite ihres Landes und mindestens zwei von ihnen betrachteten sich als Alphatiere. Haikko dagegen war zu feige für offene Konflikte, aber er stellte die perfekte Besetzung für die Rolle des Königsmörders dar. Er stand seinen beiden Kollegen in puncto Skrupellosigkeit in nichts nach, er wollte sich bloß nicht bei seinem Treiben erwischen lassen.

Mit Vollgas rasten sie durch eine Nacht ohne Dunkelheit. Sie waren von einer opulenten Hochzeit geflohen, nachdem Thorgard und Larsson die Braut belästigt hatten. Sie kannten den Bräutigam nicht besonders gut, aber als sie in der Firma eine ausgehängte Einladung zur Feier gesehen hatten, beschlossen die drei, sich einen schönen Abend zu machen. Larsson hatte den Bräutigam verprügelt, als dieser seiner Frischangetrauten zu Hilfe kam. Während die meisten Gäste schockiert zusahen, war der Vater der Braut kurz verschwunden und mit seinem Jagdgewehr zurückgekehrt. Für sie das Zeichen zu gehen. Der alte Mann hatte sich nicht mit Warnschüssen aufgehalten, zu sehr raste er vor Wut wegen der ruinierten Feier und seiner weinenden Tochter. Er zerschoss die Heckscheibe und traf den Kofferraum, bevor ihm Verwandte, die es gut mit ihm meinten, die Waffe entrissen.

„Montag werden sie in der Firma ganz schön über uns herziehen“, klagte Haikko vom Rücksitz, was bei ­Thorgard und Larsson schallendes Gelächter auslöste. Die beiden waren noch zu betrunken, um über die Folgen nachzudenken.

Die Küstenstraße verlief in Schleifen entlang der ­Buchten und Landspitzen. Vor ihnen tauchte ein Leuchtturm auf, als einziger Orientierungspunkt an der Küste. Hinter jeder äußeren Biegung der Straße tauchte er wieder auf, jedes Mal ein Stück näher und größer, bis sie ihn fast erreicht hatten.

Thorgard blickte nach oben in das kreisende Licht, das trotz der fehlenden Dunkelheit leuchtete, und bemerkte zu spät das Hindernis vor ihnen. Ein Elch stand mitten auf der Straße. Das Tier sah ihnen ausdruckslos entgegen und ließ sich weder von dem aufgeblendeten Licht noch der lauten akustischen Hupe beeindrucken. Thorgard riss das Steuer zur Seite. Nicht um das Tier zu schonen, sondern weil er um seine eigene Gesundheit bei einem Zusammenstoß fürchtete. Für einen Sekundenbruchteil blieb ihm die Wahl, den Wagen entweder in den Wald zu lenken, oder ins Wasser. Er entschied sich für Letzteres. Sie schossen über den Straßenrand hinaus und landeten hart auf dem abschüssigen Hang aus Felsbrocken. Thorgard und Larsson prallten gegen ihre Airbags, Haikko dagegen hatte das Gefühl, von seinem Anschnallgurt in Streifen geschnitten zu werden.

Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatten, stiegen sie aus dem Wagen und kletterten an den Fels­brocken hinauf. Sie zuckten zusammen, als der Wagen mit einem durchdringenden Geräusch noch ein Stück weiter ins Wasser rutschte.

„Wir sollten einen Abschleppdienst bestellen!“, rief Haikko.

Larsson schnaubte. „Ist doch nur ein Mietwagen. Wir haben das Rundum-sorglos-Paket gewählt, selbst wenn wir den Wagen abfackeln, würde uns das nichts kosten.“

„Aber irgendwie müssen wir hier wegkommen“, entschied Thorgard. „Also ein Taxi.“

Sie griffen gleichzeitig nach ihren Handys. „Verdammt, der Akku ist leer“, sagte Thorgard.

Larsson schlug sich gegen die Stirn, als seine Erinnerung einsetzte. „Meins hängt noch im Hotel am Lade­kabel. Hab’s vergessen.“

Beide Männer sahen zu Haikko.

„Meins versinkt gerade mit dem Auto.“

Sie sahen zu dem Mietwagen. Keiner von ihnen hatte Lust, in das kalte Wasser zu steigen und anschließend in nassen Klamotten herumzulaufen.

„Hat jemand auf die letzten Straßenschilder geachtet?“, fragte Thorgard.

„Ich weiß nicht mal mehr, wann wir durch den letzten Ort gekommen sind oder uns das letzte Auto begegnet ist.“ Larsson wollte sofort etwas gegen die Konzentrationsschwäche tun und zog wieder den Zellophanbeutel mit dem Kokain aus seiner Tasche.

„Wir können zum Leuchtturm laufen und um Hilfe bitten“, schlug Haikko vor.

„Glaubst du etwa, da wohnt jemand?“, erkundigte sich Larsson belustigt.

„Der glaubt noch an Leuchtturmwärter.“ Thorgard lachte. „Mann, das wird heute alles zentral gesteuert. Und wenn die Regierung nicht von alleine auf diese Idee gekommen wäre, hätte unsere Firma es ihr empfohlen.“

„Trotzdem ist es besser, als hier auf der Straße zu stehen“, sagte Haikko. Dagegen konnte keines der beiden Alphatiere etwas einwenden, also marschierten sie hintereinander am Straßenrand entlang bis zu der kleinen Landzunge, auf der man den Leuchtturm errichtet hatte. Sie gingen um den Turm herum und entdeckten den Zugang. Doch der war abgesperrt. Es gab noch einen Geräteschuppen, an dessen Tür war ein Vorhängeschloss angebracht.

„Vielleicht steht da ein Fahrrad drin“, sagte Thorgard. „Damit könnte Larsson Hilfe holen.“

Larsson hob seinen Blick von den schwindenden Koksvorräten. „Weshalb ausgerechnet ich?“

„Weil es zu lange dauert, wenn wir Haikko schicken?“

„Stimmt“, sagte Larsson und grinste. Dann bückte er sich nach einem faustgroßen Stein und begann, damit den Schuppen zu öffnen. Das Vorhängeschloss hielt seinen Schlägen stand, aber sie lösten den Riegel von der Tür ab. Der Weg war frei.

„Ich muss pinkeln“, verkündete Haikko und trat dichter an das Wasser heran. Auch in seinem Blut kreiste noch eine beträchtliche Menge Alkohol, er musste darauf achten, wie er seine Schritte setzte, wenn er nicht mit den Händen am Gemächt kopfüber ins Wasser stürzen wollte. Bald darauf ertönte lautes Plätschern. Aber Haikko hörte noch ein anderes Geräusch, das nichts mit seinem Strahl zu tun hatte. Es war ein merkwürdiger Singsang, der sich in sein Ohr schmeichelte. Der Klang wurde zunehmend menschlicher. Haikko vernahm eindeutig eine Stimme in seinem Kopf. Anfangs konnte er die Worte nicht verstehen, trotzdem verursachten sie ein wohliges Gefühl. Als die Stimme in seine Sprache wechselte und Haikko auch den Inhalt begriff, geriet er vollends in Verzückung. Er sah sich zu seinen beiden Begleitern um, ob sie die Stimme ebenfalls hören konnten. Sie hielten ihre Köpfe lauschend zur Seite geneigt, also bekamen sie gerade dasselbe Angebot unterbreitet.

Thorgard grinste zu Larsson hinüber, die beiden klatschten sich ab. Haikko lachte ausgelassen. Sie fühlten sich, als wäre ihnen gerade Aladins Wunderlampe angeboten worden. Innerlich begannen sie, Wunschlisten zu verfassen, während die Stimme weitersprach. Beinahe hätten sie in ihrer Begeisterung den Haken an der Geschichte überhört. Doch die Stimme wiederholte den Punkt noch einmal, damit es unmissverständlich war: Das Angebot galt nur für einen von ihnen. Die Entscheidung lag bei ihnen, sie konnten auswählen.

Thorgard ging selbstverständlich davon aus, dass das Angebot ihm galt und seine Begleiter sich wie gewöhnlich seinem Willen unterwarfen. Larsson hielt ihm stets die Treue, und Haikko würde sicher an dem Angebot herumjammern, weil er es für zu gefährlich hielt. Doch dieses Mal war der Gewinn zu verlockend. Larsson war zudem so vom Kokain aufgeputscht, dass er neben dem Anspruch auf das Angebot auch gleich noch Thorgards Führungsrolle infrage stellte.

Ihre Aufgabe war simpel, sie bestand lediglich darin, sich die Konkurrenz vom Hals zu schaffen.

Larsson machte eine Bewegung zur Pistole im Hosenbund seines Kollegen hin, doch Thorgard schlug ihm ins Gesicht, bevor er die Waffe berühren konnte. Die beiden Männer stürzten sich aufeinander, während Haikko zurückwich, damit er nicht aus Versehen einen Schlag abbekam. Die beiden rollten über das Betonpodest, auf dem der Turm stand. Larsson versuchte, wieder an die Pistole zu gelangen, während Thorgard ihn mit beiden Händen würgte. Die Männer kannten sich seit über dreizehn Jahren und hatten so ziemlich alles miteinander erlebt, was es zu erleben gab, aber nun zählte nur noch der Tod des anderen.

Es war nicht ihr erster Kampf gegeneinander. Als Sparringspartner standen sie sich regelmäßig im Ring gegenüber und trainierten auch einige asiatische Kampfsportarten miteinander, aber dies war ihr erster Kampf auf Leben und Tod.

Thorgard warf Larsson von sich herab, rollte sich herum und schaffte es, die Pistole zu ziehen. Er schoss Larsson aus kurzer Distanz in den Bauch. Drückte immer wieder ab, doch nach dem ersten Schuss folgte nur noch Klicken. Thorgard fluchte laut, weil er das gesamte Magazin auf dumme Elche und einige Verkehrsschilder verschwendet hatte. Er sprang auf und stürzte durch die Tür in den Geräteschuppen. Dort gab es allerlei ­Werkzeuge, die man für Reparaturen in und am Leuchtturm gebrauchen konnte. Er überlegte nicht lange und griff sich eine Axt. Die Pistole wäre ihm lieber gewesen, aber ohne Munition nutzte sie ihm nichts. Larsson war zwar verletzt, aber nicht so sehr, dass er keine Gefahr mehr darstellte.

Als er wieder ins Freie trat, sah er Haikko mit einer Sense. Grinsend ließ er die Axt sinken. „Ein Tölpel wie du sollte nicht mit so unhandlichem Werkzeug herumfuchteln“, sagte er.

Haikko grinste nicht. Thorgard dachte zum ersten Mal daran, dass sich sein Kollege durch solche Sprüche verletzt fühlen könnte. Es war tatsächlich das allererste Mal, dass ihm ein solcher Gedanke kam. Sein Blick glitt zur Sense. Tropfen fielen von der Spitze auf den Boden, das Blatt war nass vor Blut.

Thorgard blickte zu Haikko auf, er wollte die Axt wieder anheben, doch sein langjähriger Prügelknabe war schneller. Erbarmungslos schnitt die Sense durch die Luft.

*

Am nächsten Morgen kam Gunnar Eklund zum Leuchtturm geradelt, um routinemäßig die Funktionen zu überprüfen. Diese Aufgabe erledigte er alle drei Tage. Da der Leuchtturm vollautomatisch arbeitete, waren häufigere Besuche nicht notwendig. Irgendwann würden auch diese eingestellt werden. Elende Sparmaßnahmen. Vorbei waren die Zeiten, als ein Leuchtturmwärter noch in seinem Turm wohnte oder wenigstens die Nacht über dort seinen Dienst tat. Leute wie Gunnar behielt man nur für Wartungen und Notfälle, damit man keine teuren Mitarbeiter von weither schicken musste.

Zuerst sah er das Autowrack, das bis zu den Scheibenwischern im Wasser stand. Er würde einen Traktor brauchen, um es zu bergen. Gunnar sah zum Leuchtturm hinüber. Ein Mann in einem teuren Anzug saß an die Mauer des Podests gelehnt. Ein Betrunkener, der hier mit seinem Wagen verunglückt war? Sein Kopf befand sich im Schatten, daher konnte Gunnar ihn nicht erkennen. Allerdings kannte er auch niemanden, der einen solchen Wagen fuhr oder einen solchen Anzug besaß. Er schob sein Rad näher an den Turm und den sitzenden Mann heran. Und dann erkannte er, dass es nicht an dem Schatten lag, dass er das Gesicht nicht sehen konnte. Der Kopf des Mannes fehlte.

Einem ersten Impuls folgend, wollte er sich auf sein Rad schwingen und in die Pedale treten, bis er sein Haus erreicht hatte. Aber dieser Kerl hier konnte ihm nicht mehr gefährlich werden. Andererseits hatte er sich wohl kaum selbst enthauptet. Neben der Leiche lag zwar eine Axt, aber die war blitzsauber. Neugierig stieg er die Stufen zum Turmpodest hinauf. Die Tür zum Geräteschuppen stand offen. Keine Überraschung für Gunnar, der die Axt sofort erkannt hatte.

Oben auf dem Podest fand er eine zweite Leiche mit tiefen Einschnitten im Rücken, wie von einem breiten Schwert. Jetzt wurde ihm doch mulmig. Hatten die ­beiden sich gegenseitig umgebracht? Ausgeschlossen. Es musste noch einen dritten Mann geben. Gunnar umrundete den Turm und wäre beinahe über die Sense gestolpert, die auf dem Beton lag. Die Klinge war über und über mit Blut bedeckt und hatte mindestens einen der Anzugträger getötet. Er sah zum Wasser, etwas lag auf den Steinen, direkt vorne, an der Spitze der Landzunge.

Gunnar stieg von dem Podest herab und kletterte über die Steine. Zuerst glaubte er, eine dritte Leiche gefunden zu haben, doch als er näherkam, erkannte er, dass es sich um einen leeren Anzug handelte. Eine ebenfalls teure Marke, wie sie auch die beiden Toten am Turm trugen. Aber dieser hier lag ausgebreitet auf den Steinen, zusammen mit Strümpfen und Unterwäsche. Der Fund ließ keinen anderen Schluss zu, als dass sich an dieser Stelle jemand ausgezogen hatte, um ins Wasser zu gehen. Vielleicht aus Reue über seine Taten. Vielleicht aber auch aus einem ganz anderen Grund.

Kapitel 2

„Mein Name ist Martin Anderson, ich bin dreiunddreißig Jahre alt und wurde in Lindberg geboren, in der Provinz Västerbotten. Ich besitze die schwedische Staatsbürgerschaft, genau wie meine Kollegin Leila Dahlström aus Stockholm, hier neben mir.“

„Nur Kollegin?“, fragte Leila auf dem Stuhl neben mir mit hochgezogener Augenbraue.

„Partnerin, Kampfgefährtin, Vertraute“, beeilte ich mich zu ergänzen.

„Schon besser“, sagte Leila.

„Zu viel Information“, sagte der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches. Er hatte sich uns als Lennart Lindquist vorgestellt, dabei aber nicht erwähnt, für wen er tätig war. Da die Flughafenangestellten seinen Anweisungen Folge leisteten, hatten wir beschlossen, dasselbe zu tun. Es würde uns in dieser Situation nichts bringen, die sturen Schweiger zu spielen. Nicht, wenn wir in absehbarer Zeit diesen Raum und dieses Gebäude verlassen wollten. Lindquist gehörte genauso wenig hierher wie wir. Die Räume und das Personal waren ihm nicht vertraut, aber alle gehorchten ihm aufs Wort. Ein Hinweis auf den Rang, den er bekleidete. Unwahrscheinlich, dass jemand wie er auf einem kleinen Flughafen so weit im Norden seinen Dienst tat. Es sei denn, er hatte im Süden großen Bockmist gemacht. Aber das glaubte ich nicht, er wirkte wie auf der Durchreise. Oder als habe man ihn eigens für unseren Empfang hierher geschickt. Unser Pilot musste seinen Flugplan bereits von Frankfurt aus einreichen und mit dem kurzen Aufenthalt im Haus Etheridge war Lindquist genug Zeit geblieben, um vor uns in Skellefteá einzutreffen.1

Lennart Lindquist war ein Klotz von einem Mann. Gebaut wie ein Türsteher, der altersbedingt etwas Fett angesetzt hatte. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig, und für sein Alter besaß er noch eine volle und sehr dichte Haarmähne. Die Haare waren pechschwarz, ohne billig gefärbt auszusehen. Entweder besaß er indianische Vorfahren oder er hatte die perfekte Tönung gefunden. Er pochte mit seinem Kugelschreiber auf einem Notizblock herum, auf dem er noch kein einziges Wort notiert hatte. Ich war mir sicher, dass dies nicht nötig war. Er besaß bestimmt schon jede relevante Information über uns.

„Sie haben Frau Dahlström Ihre Kollegin genannt, darf ich fragen, für wen Sie beide tätig sind?“

Leila öffnete den Mund, um ihm von der Tarnfirma zu erzählen, die wir nach außen hin in solchen Situationen angaben, aber ich kam ihr zuvor. „Wir sind Mitarbeiter einer privaten Organisation namens Schattenchronik.“

Beide waren sichtlich überrascht von meiner Aussage. Sie konnten beide nicht glauben, dass ich es so offen ausgesprochen hatte. Ich hatte unseren Gesprächspartner nicht aus den Augen gelassen und wusste nun, dass er den Namen Schattenchronik nicht zum ersten Mal gehört hatte.

„Was führt Sie nach Norrland?“, erkundigte sich Lindquist. „Sie müssen meine Neugier verstehen. Wenn zwei hochrangige Mitglieder der Militära underrättelse- och säkerhetstjänsten überraschend den Dienst quittieren, um sich von einer ausländischen Privatorganisation anheuern zu lassen, dann finden wir das bedauerlich. Wenn diese beiden Spezialisten dann plötzlich nach Schweden zurückkehren, werden wir natürlich hellhörig und fragen uns nach den Gründen. Wobei wir Heimweh in der Regel ausschließen.“

„Das ist aber tatsächlich der Grund“, sagte Leila.

Ich konnte seine Neugier verstehen. Leila, Ryan und ich hatten uns damals sehr über das Angebot aus Deutschland gewundert. Wir hatten bei M.U.S.T. nicht schlecht verdient, aber was Robert Linder uns als Gehalt anbot, besaß eine fette Stelle mehr vor dem Komma. Ich will nicht lügen, die Bezahlung hat uns gereizt. Als wir dann das Aufgabengebiet der Schattenchronik erfuhren, hielten wir es für leicht verdientes Geld, denn wie viele übernatürliche Vorkommnisse konnte es schon geben? Ich vermutete, keiner von uns dreien hatte in seinem Leben schon einmal mit einer Schätzung so weit danebengelegen.

„Womit beschäftigt sich Ihre Organisation? Schattenchronik ist schon einmal ein ungewöhnlicher Name.“

„Das haben Sie höflich ausgedrückt, da habe ich schon anderes gehört“, sagte ich und wusste aus Erfahrung, dass dies noch kommen konnte. „Wir setzen uns mit übernatürlichen Vorfällen überall auf der Welt auseinander.“

„So wie Parapsychologen? Sie arbeiten jetzt als Wissenschaftler?“

Leila lächelte. „Eher wie die Ghostbusters. Wir treten auch in ektoplasmische Hintern.“

Anfangs hatten wir gedacht, Linder und der Butler benötigten nur schlagkräftige Spezialisten. Eine Arbeit, für die uns der Dienst beim militärischen Nachrichtendienst der Nation Schweden auf jeden Fall qualifizierte, aber inzwischen wussten wir, dass noch weit mehr dahintersteckte. Wir alle drei hatten eine Vergangenheit, in der wir in Berührung mit dem Übernatürlichen gekommen waren. Ich besaß sogar einen eigenen Schutzengel auf der anderen Ebene, eine weiße Hexe namens Jalo. So gesehen, waren wir geradezu ein Schnäppchen für die Schattenchronik.

Ich grinste Lindquist an. „Irgendwann im Leben muss sich jeder seinen Dämonen stellen. Nur dass es sich bei den meisten anderen Menschen nicht um echte Dämonen handelt.“

Lindquist verzog das Gesicht, das fand er offensichtlich nicht witzig. „Wir haben Waffen in Ihrem Gepäck gefunden.“

„Für die wir eine Genehmigung haben“, erklärte Leila.

„Sehr ungewöhnliche Waffen.“

„Prototypen.“

„Die Sie in Schweden ausprobieren wollen?“

Leila lächelte. „Es sind keine schwedischen Entwicklungen. Falls Sie uns Industriespionage vorwerfen wollen, sollten Sie bedenken, dass wir genau das Gegenteil tun. Wir bringen eine neuartige Entwicklung in das Land hinein, nicht umgekehrt.“

Lindquist betrachtete uns prüfend. Er schien noch nicht so richtig zu wissen, was er von uns halten sollte. Er hatte offensichtlich keine Probleme mit Spinnern, aber wir beide waren bewaffnete Spinner. Auch wenn wir über die entsprechenden Dokumente für unsere Ausrüstung verfügten, bereitete ihm der Gedanke Bauchschmerzen, dass wir damit in seinem Land herumlaufen würden. Lindquist drehte den Kugelschreiber zwischen seinen Fingern. Ich konnte ihm ansehen, dass er sich das Ding am liebsten zwischen die Lippen stecken und anzünden würde. Der Mann war Raucher, das bedeutete, er würde früher als wir eine Pause brauchen.

„Ich weiß zwar nicht, was Sie beide für Ihre Dienste berechnen, aber finanziell scheint Ihre Organisation offensichtlich auf gesunden Füßen zu stehen.“

Die Anspielung bezog sich wohl auf unsere Anreise. Das Privatflugzeug von Lady Marbely, das uns zuerst nach England gebracht hatte, um Smith ins Haus ­Etheridge zu überführen, lieferte uns anschließend in Schweden ab, bevor es sich mit Doktor Selthan wieder auf den Heimflug machte. Für unsere Rückreise wollten wir eine öffentliche Fluglinie nutzen. Das Privatflugzeug und der Einfluss von Lady Marbely sorgten in der Regel dafür, dass die Kontrollen nicht zu streng ausfielen. Ausgerechnet in Schweden machte man eine Ausnahme, und so entdeckten sie Kragencoms, Pads und Laserpistolen. Sollten sich unsere Urlaubspläne erfüllen, würden wir keinen der drei Ausrüstungs­gegenstände benötigen, wir konnten sie also genauso gut am Flughafen unter Verschluss zurücklassen, wenn das Lindquist beruhigte.

Eigentlich hatten wir vorgehabt, Ryan in Frankfurt bei seiner Rückkehr aus New York vom Gate abzuholen, aber wie so oft, war etwas dazwischengekommen. In diesem Fall unter anderem die fast vollständige Zerstörung der Schattenchronik-Station unter dem Flughafen.2