Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 09: Willkommen auf Hell-Go-Land - Andreas Zwengel - E-Book

Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 09: Willkommen auf Hell-Go-Land E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Ein grausamer Amoklauf führt die Schattenchronik-Agenten Martin Anderson und Leila Dahlström nach Helgoland. Schon bald wird die Insel in der Nordsee der Schauplatz einer Massenhysterie. Aus unerklärlichen Gründen folgen die Menschen ihren primitivsten Instinkten, werden zu blutrünstigen Wahnsinnigen und bringen die gesamte Insel unter ihre Kontrolle. Ein erbitterter Kampf ums Überleben beginnt.

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Seitenzahl: 162

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SCHATTENCHRONIK – GEGEN TOD UND TEUFELBand 9

In dieser Reihe bisher erschienen:

2901 Curd Cornelius Die andere Ebene

2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee

2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald

2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen

2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald

2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer

2907 Michael Mühlehner Gamma-Phantome

2908 Curd Cornelius & A. Schröder Dunkles Sauerland

2909 Andreas Zwengel Willkommen auf Hell-Go-Land

2910 Andreas Zwengel Tempel des Todes

Andreas Zwengel

WILLKOMMENAUFHELL-GO-LAND

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verla, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckgRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierInnenillustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-569-2Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Nach einem regelrechten Schaffensrausch während der Nacht wusch Tobias gerade oben im Bad seine Pinsel aus, als das Geschrei losging. Er versuchte, vom Badezimmerfenster aus etwas zu erkennen, aber die Öffnung war zu klein, um den Kopf hindurchzustecken.

Als er nach draußen in die Morgensonne trat, sah er zuerst seine Freundin Emma, die ihm den Rücken zukehrte. Dann erst bemerkte er die Frau, die auf dem Boden kniete und ihr Kind, einen Jungen von etwa sieben Jahren, an sich gedrückt hielt. Die beiden hockten in einem Meer von Flaschenscherben, und die Augen der Mutter feuerten tödliche Blitze auf Emma ab. „Was ist denn hier los?“, fragte Tobias besorgt.

„Sie hat mein Kind verletzt“, sagte die Frau ­tränenerstickt.

„Blödsinn“, meinte Emma leise, und Tobias erkannte, dass ihr der Schreck noch sehr in den Knochen saß, sonst hätte sie sich wohl etwas energischer gegen diese Beschuldigung gewehrt.

„Überall stehen hier ihre Schnapsflaschen herum, und mein kleiner Sven ist mitten hineingefallen“, schluchzte die Frau.

Bevor Emma etwas zu ihrer Verteidigung sagen konnte, kam ein ungefähr zwölfjähriger Junge aus dem Nachbarhaus gelaufen, der das Ebenbild seiner Mutter war. „Ich habe Papa angerufen, er ist gleich hier. Soll ich jetzt die Polizei anrufen?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Das soll dein Vater entscheiden, sobald er hier ist.“

„Sollten wir uns nicht erst mal alle wieder beruhigen?“, schlug Tobias vor. „Dem Kleinen scheint doch nichts Schlimmes passiert zu sein.“

Tatsächlich versuchte sich das Opfer schon die ganze Zeit aus der erdrückenden Umarmung seiner Mutter zu befreien.

„Sind Sie Arzt?“, blaffte die Frau Tobias an. „Wer sagt mir denn, dass er keinen Schock oder eine Gehirnerschütterung hat?“

„Es sind doch nur ein paar Flaschen kaputt gegangen, er hat nicht mal einen Kratzer.“

„Seien Sie still, Sie werden sich nicht herausreden. Warten Sie nur, bis mein Mann da ist.“

Emma schnaufte genervt. „Es war überhaupt nicht meine Schuld, er kam die Straße heruntergerannt, machte dabei seine Kunststückchen und konnte nicht mehr rechtzeitig anhalten.“

„Schämen Sie sich nicht, ein unschuldiges Kind zu belasten, das sich nicht wehren kann? Nein, Sie werden sich verantworten müssen, wir wissen schließlich alle, was für Partys hier stattfinden“, zischte die Mutter und wies auf andere noch intakte Flaschen, als stellten sie ein Beweismittel dar.

In diesem Moment kam ein großer, übel gelaunter Mann die Straße entlang und ging neben seiner Frau in die Hocke. Vorsichtig wand er seinen Sohn aus ihren klammernden Armen und sah ihn sich sorgfältig von allen Seiten an. Dann schob er ihn dem älteren Bruder zu. „Bring ihn ins Haus. Er soll duschen, falls noch irgendwo Glasscherben sind.“

Kaum hatten sich seine Söhne auf den Weg gemacht, drehte er sich zu Emma. „Also?“

„Es waren die Flaschen, Dietmar, wir haben doch schon immer gesagt, wie gefährlich das ist. Sven hatte keine Chan...“

Mit einer raschen Handbewegung brachte Dietmar seine Frau zum Verstummen. „Ich will von ihr hören, was passiert ist. Also?“

Tobias mochte die Art nicht, wie der Kerl hier Befehle erteilte. Aber er war wenigstens bereit zuzuhören, und wahrscheinlich war es die schnellste Möglichkeit, die Sache aus der Welt zu schaffen.

„Ihr Sohn kam die Straße heruntergerannt, wie er es ziemlich oft macht, und ist dann von der Mauer an der Ecke gegen die Hauswand der Meiers gesprungen. Diese kleinen Parkour-Kunststückchen eben. Nur hat er diesmal die Kurve nicht bekommen, ist gegen meine Gartentür gefallen und hat das Leergut umgestoßen.“

„Sie lügt. Die lügt doch, wie kann sie so was behaupten?“

„Würdest du bitte still sein“, unterbrach ihr Mann sie barsch. „Ich würde gern weiterhören, was sie zu sagen hat.“

„Aber die lügt doch, die will sich doch nur herausreden. Du weißt doch selbst, was das für eine ist.“

Tobias fand das Maß nun langsam voll. „Vielleicht sollten Sie erst mal Ihre Frau beruhigen, bevor ...“

„Sag’ mir nicht, wie ich meine Frau zu behandeln habe. Wer bist du überhaupt?“

„Das ist einer von den Kerlen, mit denen sie zusammenlebt“, klärte die Frau ihren Mann auf.

„So, so“, murmelte dieser vielsagend.

Tobias hätte gern gewusst, was die beiden damit meinten. Er bewohnte den Sommer über das Gästezimmer seiner Freundin Emma, um auf Helgoland in Ruhe zu malen, aber in der Phantasie dieser Leute gingen wohl abgründigere Dinge im Haus vor sich.

Emma hatte inzwischen nicht nur die Fassung wiedererlangt, sondern war auch noch auf dem besten Wege, ihre Geduld zu verlieren. „Sie waren doch überhaupt nicht dabei, Sie kamen erst lange, nachdem es passiert war, aus dem Haus gerannt.“

„Ich habe alles gesehen“, behauptete die Mutter.

„Sie lügen.“

„Hast du das gehört, Dietmar, sie hat ...“, begann sie empört.

Doch Emma kam nun ihrerseits in Fahrt. „Ihr Junge hat versucht anzuhalten, es aber nicht mehr rechtzeitig geschafft, deswegen ist er gegen die Kiste mit den Flaschen gestoßen und hat sie umgekippt. Zu diesem Zeitpunkt war ich im Haus. Es ist also völliger Blödsinn zu behaupten, ich hätte etwas damit zu tun.“

„Dietmar!“

„Und wenn Sie ihn nicht sofort an sich gedrückt und gehätschelt hätten, wäre er auch in der Lage gewesen, das selbst zu sagen, und wir könnten uns den ganzen ­Zirkus hier sparen.“

„Die ist doch betrunken und gemeingefährlich. Dietmar, tu was!“

Zuerst hatte Tobias den Eindruck, dass Dietmar, genau wie er selbst, nicht recht wusste, weshalb er hier herumstand und den Frauen beim Streiten zusah. Tobias hatte während seines kurzen Aufenthaltes bereits selbst oft genug gesehen, wie Sven durch die engen Gassen auf dem Oberland flitzte und eine kindliche Version von Parkour veranstaltete. Die Schuhabdrücke an der Wand der Meiers dürften auch Dietmar schon aufgefallen sein. Tobias wollte sich neben ihn stellen, ihm auf die Schulter klopfen und ihn auf ein Bier einladen, während die Frauen sich weiterzankten.

Aber dann mischte sich Dietmar als guter Vater doch mit ein. „Ich rate Ihnen, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, wenn Sie hier überall die Überbleibsel Ihrer durchzechten Nächte herumstehen lassen, so besteht natürlich Verletzungsgefahr. Wir haben uns viel zu lange mitangesehen, was sich bei Ihnen abspielt.“

Da war er natürlich bei Emma genau an die Richtige geraten. „Und was spielt sich bitte schön bei mir ab? Sie sehen doch selbst, dass die Scherben in erster Linie von Milch- und Wasserflaschen stammen.“

„Kommen Sie, tun Sie nicht so unschuldig, wir wissen doch alle, dass bei Ihnen die Typen ein und aus gehen. Auch eine Form des Tagestourismus, nicht wahr?“

„Wir führen ein normales, geregeltes Leben. Genau wie Sie.“

„Jetzt werden Sie mal nicht beleidigend“, brauste Dietmar auf. „Ich rufe sonst wirklich noch die Polizei.“

„Aber bitte, ich blamiere mich ja nicht, wenn Ihr eigener Sohn die Hirngespinste Ihrer Frau entlarvt.“

„Hirngespinste? Dietmar!“

Doch der brauchte keine zusätzliche Aufforderung. „Ich habe Sie gewarnt. Wir werden die Behörden auf die Zustände hier aufmerksam machen, und dann wollen wir doch mal sehen.“

„Jetzt kommen wir richtig zur Sache, was?“, spottete Tobias.

Der Mann fletschte die Zähne, und alle hörten ein leises Knurren aus seiner Kehle aufsteigen.

Seine Frau warf sich in die Bresche. „Wir werden euch einsperren lassen. So was wie ihr bringt die Insel in Verruf“, unterstützte sie ihren Mann, der mittlerweile vor Wut zitterte.

Emma warf einen Blick auf die beiden Jungen, die vor ihrem Haus stehen geblieben waren und, statt hineinzugehen, aus der Ferne weiter zusahen. Sven hatte sich an seinen großen Bruder geklammert und sah irritiert zu, wie ihre Eltern diese Leute beschimpften. Deshalb hob Emma die Hände. „Beruhigen Sie sich lieber, es könnte jemand hören, was Sie sagen und denken, dass Sie es ernst meinen.“

„Und ob wir das ernst meinen“, sagte Dietmar, und sein Zeigefinger stieß Tobias jedes Wort mit Nachdruck in die Brust.

Der hatte eine sehr niedrige Hemmschwelle, wenn man ihn so von oben herab behandelte.

„Weshalb streiten wir uns noch, dem Jungen ist nichts passiert, niemand trägt die Schuld daran“, versuchte Emma noch einmal zu schlichten, dabei hätte sie inzwischen am meisten Grund dazu gehabt, sauer zu sein.

„Hörst du, jetzt versucht sie, sich herauszureden. Lass dich auf nichts ein, Dietmar!“

Tobias beschloss, das sinnlose Gespräch zu beenden und den Rückzug anzutreten. „Wir gehen jetzt“, sagte er zu Emma und wies mit dem Kopf zur Haustür.

„Glauben Sie nicht, dass Sie uns so einfach davonkommen. Jeder wird erfahren, was Sie hier für wilde Partys feiern. Und was weiß ich noch alles.“

„Davon bin ich überzeugt“, sagte Emma spöttisch.

Tobias nahm sie an der Hand und wollte mit ihr reingehen, als Dietmar auf ihn zukam und versuchte, den Ärmel seines Hemdes zu packen. „Sie bleiben hier!“

Tobias zog den Arm zur Seite, und Dietmar griff ins Leere. „Versuchen Sie das nicht noch einmal“, warnte er ihn.

„Sie bleiben hier“, wiederholte Dietmar ernst.

Tobias sah ihn halb wütend, halb mitleidig in die Augen. „Ficken Sie sich ins Knie und Ihre Frau am besten gleich mit!“

Dietmar sperrte empört den Mund auf, während seine Frau erschrocken nach Luft japste. Dann griff er Tobias in die Haare und schüttelte seinen Kopf heftig hin und her. Tobias stieß Dietmars Arm weg, doch der griff sofort wieder zu, und diesmal zog er so fest an seinem Haar, dass es Tobias die Tränen in die Augen trieb. Gute Worte halfen inzwischen nicht mehr.

Emma schrie, sie sollten damit aufhören. Die Frau schrie, Emma solle gefälligst nicht ihren Mann anschreien.

Inzwischen hatten sich einige Bewohner zusammengefunden, die das lautstarke Schauspiel beobachteten. Tobias vollführte eine schnelle Bewegung und stieß seinen Ellenbogen in Dietmars Leib. Dietmar ließ los, presste beide Hände gegen seine Brust und setzte sich aus dem Stand unsanft auf seinen Hintern.

Seine Frau kreischte hysterisch auf und fiel neben ihm auf die Knie. „Lieber Gott, Dietmar, was fehlt dir? Ist es das Herz? Meine Güte, es ist das Herz!“

Ihr Mann winkte heftig ab.

Tobias sah, dass sein Gegner langsam wieder zu Atem kam. „Lass uns endlich gehen“, sagte er zu Emma, sie nickte. Er konnte an ihrem Gesicht ablesen, wie wütend sie war.

Es hatte sie schwer getroffen, was die beiden über sie gesagt hatten. „Da wohnt man jahrelang nebeneinander, und plötzlich stellt sich heraus, dass deine Nachbarn Psychopathen sind“, murmelte sie leise.

„Vorsicht!“, riefen mehrere Zuschauer, Tobias fuhr herum. Die Ehefrau hatte eine der unversehrten leeren Weinflaschen am Hals gepackt und holte weit über ihren Kopf damit aus.

Mit einem Satz war Tobias bei ihr, machte seinen Mund unnatürlich weit auf und umschloss mit den Zähnen ihren Kehlkopf. Dann biss er zu, riss und zerrte, bis er sich ein großes Stück Beute gesichert hatte.

Die Frau gab gurgelnde Laute von sich und kippte mit rudernden Armen nach hinten. Die sprudelnde Wunde in ihrer Kehle schuf während des Falls einen roten ­Regenbogen. Ihr älterer Sohn eilte brüllend herbei.

Dietmars Mund war aufgeklappt, er war unfähig, sich zu rühren. Als Emma seinen Sohn packte und ihm mit einer schnellen Handbewegung das Genick brach, begannen Tränen über sein Gesicht zu laufen. Er stieß klägliche Laute aus, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Er hatte weder seine Frau noch seine Kinder gegen diese Bestien verteidigen können. Es schien fast, als sei Dietmar erleichtert, als Tobias von seiner Frau abließ und sich zu ihm drehte.

Kapitel 2

Zett hatte vor dem Abflug von den schrecklichen Ereignissen am frühen Morgen gehört. Anstatt die Leute abzuschrecken, hatte es an diesem Tag die Zahl der Tages­besucher auf Rekordhöhe getrieben. Die Schiffe Richtung Helgoland waren aus allen Nähten geplatzt. Während der Fahrt würden an Bord die wildesten Spekulationen entstehen. Zett war froh, dass er einfach darüber hinwegfliegen konnte.

Er sah zu dem seltsamen Paar, das ebenfalls zur Insel flog. Sie hatten den gesamten Flug über schweigend vor ihm gesessen und irgendwelche Berichte auf ihren Handys gelesen. Wenn sie ein Paar waren, dann hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen, aber Zett war sicher, dass sie etwas anderes verband. Eine gemeinsame Aufgabe, die, angesichts ihrer angespannten Körperhaltung, nicht besonders angenehm zu sein schien.

Kaum hatte die Maschine auf dem Flugplatz Helgoland-­Düne aufgesetzt, lösten sie ihre Anschnallgurte, und als sie ausstiegen, bekam Zett die beiden zum ersten Mal richtig zu sehen.

Die Frau war eine atemberaubende, blonde Schönheit, und Zett musste sie einfach anstarren. Dies bemerkte auch ihr Begleiter. Wegen seiner Größe musste er sich in der engen Maschine ziemlich verbiegen und kam Zett dadurch sehr nahe. Ihre Gesichter waren für einen Moment nur eine Handbreit auseinander, und Zett blickte in diese durchdringenden Augen, die ihn zurückzucken ließen. Der Kerl sah auch ziemlich gut aus, kein Wunder, dass die Blonde mit ihm unterwegs war. Es schien ihn nicht zu stören, dass Zett seine Begleiterin begafft hatte, offensichtlich war er mit seinen Gedanken woanders. Zett ließ den beiden den Vortritt, schon allein, um nicht noch einmal in diese unheimlichen Augen sehen zu müssen.

Das Paar marschierte geradewegs zum Wassertaxi zur Hauptinsel und hatte keinen Blick für die Schönheit der Düne, auf der sich die Landebahn befand. Der feine Sandstrand und das klare, türkisfarbene Wasser mussten doch auch bei ihnen Urlaubsgefühle auslösen? Aber vielleicht waren sie nicht zum ersten Mal hier und kannten das alles schon.

Zett ließ sich mehr Zeit und blieb einige Male stehen, um auf das Meer hinauszuschauen. Im Norden der Düne paddelten einige Surfer den Wellenbergen entgegen. Ein Sport, der faszinierend anzuschauen war, dessen ­Ausführung ihn allerdings nie gereizt hatte. Zu schnell, zu gefährlich, zu nass. Er zog die hellbeigen Segeltuchschuhe und seine Socken aus und spazierte barfuß bis zum Wasser. Tief sog er die Seeluft durch die Nase ein und krallte dabei die nackten Zehen in den Sand. Obwohl er sich öfter als gewöhnliche Urlauber an solchen Orten aufhielt, nutzte sich das Gefühl nicht ab.

Zett stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Aber es wurde Zeit, sich das Haus anzusehen.

In diesem Moment trat vor ihm eine junge Frau in einem schwarzen Neoprenanzug aus den Wellen und schwang ihr Haar umher. In Zeitlupe hätte es vielleicht lasziv ausgesehen, aber so erinnerte es nur an einen Hund, der Tropfen aus seinem Fell schüttelte. Zett fand sie sehr attraktiv, obwohl oder gerade weil sie keine klassische Schönheit war.

Die Surferin bohrte die Spitze ihres Surfbretts in den Sand und griff zum Reißverschluss an der Vorderseite ihres eng anliegenden Anzugs. Sofort verharrten die Männer um sie herum. Händchenhaltende Ehefrauen spürten mit einem Ruck das unbewegliche Gewicht an ihrem Arm. Andere prallten gegen den Rücken ihres oder eines anderen Mannes, der mit halb geöffnetem Mund zum Strand blickte.

Die Surferin bemerkte die allgemeine Aufmerksamkeit und wandte dem Publikum den Rücken zu. Als sie den Anzug bis zur Hüfte heruntergestreift hatte und sich nach einem T-Shirt bückte, konnte Zett die obere Hälfte des Supergirl-Logos auf ihrer rechten Pobacke ausmachen. Das Überbleibsel jugendlicher Rebellion oder schlichter Selbstüberschätzung. Die Frau musste Mitte Zwanzig sein, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als Zett. Ihre Bräune war noch nicht so tief wie die ihrer Surferkollegen, woraus er schloss, dass sie noch nicht lange auf der Insel war. Außerdem besaß sie auch bedeutend weniger Tätowierungen.

Sie kam über den Weg aus Holzplanken auf ihn zu. Zett wusste nicht, was er tun sollte. Zum Ausweichen war es zu spät. Wenn er umdrehte, hätte es ausgesehen, als würde er davonlaufen. Sie hatte sicher bemerkt, wie er sie beobachtete, und ihrem selbstbewussten Auftreten nach zu urteilen, schien sie entschlossen, ihn darauf anzusprechen. Er war noch keine zehn Minuten auf der Insel und hatte bereits zwei Frauen angestarrt wie ein Pubertierender. Es war ihm peinlich, wenn sie ihn für einen sabbernden Spanner hielt, und er hätte gern einen angenehmeren Anlass gehabt, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Plötzlich hallte ein durchdringender Pfiff über den Strand, und die junge Frau drehte den Kopf zu einer winkenden Gruppe von Surfern. Sie bog rechtwinklig vor ihm ab und spazierte davon. Zett hatte das Gefühl, davongekommen zu sein, um eine weitere Chance für einen guten ersten Eindruck bei ihr zu haben.

Seine kurzen Beziehungen beschränkten sich auf die wenigen Wochen, die er am jeweiligen Ort verbrachte. Sie führten zu nichts, denn bevor sich etwas daraus entwickeln konnte, musste er stets weiter. Dies war meist von Vorteil, da es genau der Zeitspanne entsprach, die Frauen brauchten, um herauszufinden, dass sein Job das einzig Exotische oder Aufregende an ihm war.

Schon mit fünfzehn hatte man ihn hauptsächlich mit Adjektiven wie ernsthaft, zuverlässig und vertrauenswürdig beschrieben. Erwachsene waren davon begeistert. In Jugendsprache übersetzt bedeutete es allerdings: ein absoluter Langweiler und Streber.

Er war schon immer ein Einzelgänger gewesen und nun glücklich in einem Beruf, der ohne Kontakt zu anderen Menschen ablief.

Zetts Kleidung passte nicht recht zu einem Touristen. Entsprechend seiner anspruchsvollen Klientel trat er bei der Übergabe der Häuser im dreiteiligen Anzug auf und legte selbst bei tropischen Temperaturen höchstens das Jackett ab, jedoch niemals die Weste. Es dauerte mindestens zwei Tage, bis er begann, sich dem legeren Kleidungsstil der Touristen anzunähern. Gegen Ende seines Aufenthalts verlief der Wandlungsprozess dann in umgekehrter Reihenfolge. An den letzten beiden Tagen vor der Rückkehr seiner Klienten war er bereits makellos rasiert und hatte Jackett und Weste stets in Griffweite. Bei diesem Auftrag würde er die Hausbesitzer erst bei ihrer Rückkehr kennenlernen, aber das war für ihn kein ausreichender Grund, um mit Traditionen zu brechen.

Er erreichte die Dünenfähre zur Hauptinsel kurz vor dem Ablegen und sah dabei das Paar aus dem Flugzeug wieder. Ihre Eile hatte ihnen keinen Zeitgewinn gebracht. Zett schaute während der Überfahrt zum Oberland hinauf und versuchte dabei, das Haus auszumachen, zu dem er wollte, aber es gelang ihm nicht.

Als sie sich der Anlegestelle näherten, sah er einen Polizisten von etwa Ende Zwanzig, semmelblond mit Oberlippenbart, der der Dünenfähre schon ungeduldig entgegensah. Zett war mit einem Mal überzeugt, dass der Beamte auf das seltsame Paar wartete. Und so war es. Er schüttelte den beiden aufgeregt die Hand und schien sich nur mit Mühe das Salutieren verkneifen zu können. Sie waren offensichtlich auf Helgoland, um das Blutbad zu untersuchen.

Zett beschloss, sich angenehmeren Gedanken zu widmen. Er stieg die Treppe hinauf zum Oberland. Überall machte man sich auf das Eintreffen der Bäderschiffe bereit. Es war die Ruhe vor dem Ansturm, und Zett spazierte über die noch größtenteils verlassene Norder Falm auf sein Ziel zu.