Sherlock Holmes - Neue Fälle 49: Die Dämonenburg - Nils Noir - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 49: Die Dämonenburg E-Book

Nils Noir

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Beschreibung

Ein Angelausflug in die schottischen Highlands wird für Holmes und Watson zu einem Wochenende des Grauens. Auf der Burg, in der sie übernachten, verschwinden nacheinander drei Menschen. Zwei von ihnen findet der Meisterdetektiv am nahegelegenen Loch Ness tot auf.Sherlock Holmes hegt bereits einen ersten Verdacht.

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In dieser Reihe bisher erschienen

In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter

3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel

3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler

3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner

3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler

3028 – Der Träumer von William Meikle

3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund

3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler

3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel

3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner

3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington

3034 – Der stille Tod von Ian Carrington

3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner

3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick

3037 – Winnetous Geist von Ian Carrington

3038 – Blutsbruder Sherlock Holmes von Ian Carrington

3039 – Der verschwundene Seemann von Michael Buttler

3040 – Der unheimliche Mönch von Thomas Tippner

3041 – Die Bande der Maskenfrösche von Ian Carrington

3042 – Auf falscher Fährte von James Crawford

3043 – Auf Ehre und Gewissen von James Crawford

3044 – Der Henkerkeller von Nils Noir

3045 – Die toten Augen des Königshauses von Ian Carrington

3046 – Der grausame Gasthof von Ralph E. Vaughn

3047 – Entfernte Verwandte von Jürgen Geyer

3048 – Verrat aus dem Dunkel von James Crawford

3049 – Die Dämonenburg von Nils Noir

Die Dämonenburg - Und andere blutige Fälle

Basierend auf den Charakteren von Sir Arthur Conan Doyle

Die neuen Fälle des Meisterdetektivs Sherlock Holmes

Buch 49

Nils Noir

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2024 BLITZ-Verlag  

Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Logo: Mark Freier

Vignette: iStock.com/neyro2008

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.blitz-verlag.de

3049

ISBN: 978-3-7579-8466-3

Inhalt

Wer hat Angst vor Cutty Coldclown?

Schrei, wenn du kannst, Wendy Wildhorse

Lord Neverlove von Demon Castle

Hillary Hates’ Horror Hotel

Anmerkungen

Über den Autor

Wer hat Angst vor Cutty Coldclown?

1

Die Nacht war mondlos und schwarz, wie der Ruß einer Tabakspfeife. Nur ein paar wenige Sterne leuchteten über dem Zelt in der Ferne. Sie funkelten in seinen Augen wie kleine Diamanten, obwohl jeder einzelne von ihnen schon längst erloschen war. Dieser Gedanke faszinierte ihn. Seinen Blick gen Himmel gerichtet, saß er da, auf den Stufen seines Wohnwagens, und schmunzelte. Nicht über die Sterne oder das Licht, sondern über die Tatsache, dass er hier morgen vor Publikum den Clown spielen würde. Dabei war er noch nicht einmal lustig. Ganz im Gegenteil. Er war ein mieser Kerl, ein Bankräuber und zudem der meistgesuchteste Gangster im Vereinigten Königreich. Aus diesem Grund hatte er sich dem Zirkus angeschlossen. Er war auf der Flucht und hier hatte er die Möglichkeit unterzutauchen. Außerdem bot ihm der Standort seines neuen Jobs die ideale Voraussetzung für sein geplantes Unternehmen. Die Baring Brothers & Company Bank lag direkt gegenüber dem Zirkusgelände, auf der anderen Seite der Straße.Am Montag kam die Lieferung mit den Geldsäcken. Dann wäre der Tresorraum voll. Bis dahin musste alles stehen für seine One-Man-Show. Die Entscheidung, das Ganze diesmal allein über die Bühne zu bringen, hatte Ashton nach dem letzten Überfall in Brighton getroffen, nachdem einer seiner Rekruten angefangen hatte, wie wild in der Bank herumzuballern. Dieser Idiot hatte ihm beinahe eine Kugel verpasst bei dieser Aktion. Ashton war nichts anderes übrig geblieben, als diesem hirnverbrannten Greenhorn an Ort und Stelle den Kopf wegzublasen und sich schnellstmöglich aus dem Staub zu machen. Nicht einen Shilling hatte er bei dem Überfall erbeutet. Aber er wollte jetzt nicht wieder daran denken. Die Sache war gelaufen und hatte ihm genügend Bauchschmerzen bereitet. Es war an der Zeit, wieder nach vorne zu schauen. In der Nacht von Montag auf Dienstag würde er bei der Bank einsteigen. Ohne Geballer und Geplärr. Und noch bevor der Laden öffnete, würde er mit dem Zaster aus der Stadt verschwunden sein.

„Cutty Coldclown, du bist noch wach?“ Die Stimme der Schlangenfrau riss Ashton aus seinen Gedanken. Er blickte auf und sah Angela Anakonda vor sich, in ihrem silberglänzenden Kimono. Zwischen ihren rot bemalten Lippen steckte eine halb gerauchte Zigarette. Flammen der Leidenschaft loderten in ihren hungrigen Augen. Verdammt, das passte ihm jetzt gar nicht. Am liebsten würde er sie wieder wegschicken. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass er gleich noch etwas vorhatte und eine mögliche Szene vermeiden wollte, die eventuell die anderen auf dem Gelände wecken würde, sagte er: „Ich habe kein Auge zugekriegt. Deinetwegen!“

„Meinetwegen?“, säuselte Angela hingebungsvoll. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrem Glimmstängel und blies Ashton ihren Rauch ins Gesicht.

„Jepp, Baby“, antwortete er mit einem Knurren, worauf Angela näher an ihn herantrat und sich mit ihrem stromlinienförmigen Astralkörper zu ihm herunterschlängelte. Ein Lächeln huschte über ihr verlebtes Gesicht. Es verschwamm vor seinen Augen, kurz bevor sich ihre Lippen berührten. Die Schlangenfrau beherrschte das Zungenspiel wie kein anderes Mädchen, das er jemals zuvor geküsst hatte. Er nahm Angela bei der Hand und mit zu sich in den Wohnwagen. Nach einem kurzen leidenschaftlichen Feuerwerk lösten sie sich aus ihrer Umklammerung und rauchten stumm ihre Zigaretten. Als Angela neben ihm eingeschlafen war, kroch Ashton unter der Decke hervor, schlich sich heraus auf das Zirkusgelände und rüber zum Abwasserkanaldeckel, hinter dem Affenkäfig. Er hob den Deckel an, um hinab in die Kanalisation zu steigen. Wie auch schon in den vorangegangenen Nächten, bemerkte Ashton, dass ihn jemand bei seinem Tun beobachtete. „Hey, Kumpel“, flüsterte er dem neugierigen Gorilla hinter den Gitterstäben zu, der jeden seiner Schritte verfolgte. „Verpfeif mich ja nicht bei den Bullen, hörst du? Ansonsten mach ich einen Pelzmantel aus dir.“

Die Öffnung bei seinem Abstieg wieder mit dem Deckel verschließend, kletterte er die glitschige Leiter herunter, die ihn in den Untergrund führte. Er rutschte einige Male aus, da er keinen Halt fand. Schaffte es aber ohne Sturz bis runter zur letzten Sprosse, hinter der die Öllampe stand, die er dort versteckt hatte. Der Docht knisterte, als er ihn in Brand steckte, und erhellte Ashton den Weg durch die dunkle Röhre, an deren schmalen Vorsprüngen die Ratten quiekten und krabbelten. Der Gestank des Abwassers, durch das er watete, war entsetzlich. Aber Ashton kümmerte es nicht. Er hatte nur sein Ziel vor Augen, seinen letzten großen Coup.

Wie er bei seiner Ankunft unter dem Gebäude der Ba-ring- Brothers & Company Bank sehen konnte, stand sein Gerüst noch. Bei seinem Aufstieg allerdings wackelte das Gestell, schwang umher und knirschte, dass es einen fürchten konnte. Aber es hielt, ohne unter ihm zusammenzubrechen. Bei dem waghalsigen Aufbau vor ein paar Tagen stürzte die Konstruktion ein und Ashton landete kopfüber in der Jauche. Den Weg zurück musste er im Dunkeln zurücklegen, da die Lampe unter den Trümmern erloschen war und er sie nicht mehr finden konnte. In der darauffolgenden Nacht hatte er es geschafft, das Baugerüst so zu stabilisieren, dass es hielt und er unter der Gewölbedecke in Ruhe arbeiten konnte. Ein ganzes Stück hatte er von dem porösen Stein in den Nächten zuvor schon abmeißeln können. So tief, wie das Loch schon war, verschwand Ashton beinahe völlig darin, als er oben ankam und begann, sich weiter durchzuschlagen. Bei jedem Hieb, den er tat, hallte es scheppernd durch den Tunnel. Spätestens wenn oben der Verkehr einsetzte und die Leute zur Arbeit gingen, musste er sein Gehämmer einstellen. Aber daran dachte Ashton jetzt nicht. Morgen war der große Tag, also dürfte heute nur noch eine dünne Schicht übrig bleiben, die er morgen Nacht in kürzester Zeit durchbrechen konnte, um in den Tresorraum zu gelangen. Nach seinen Berechnungen würde er genau dort herauskommen. Etliche Male war er drüben in der Bank gewesen und hatte sich bei seinen Besuchen die Lage des Raumes im Geiste genau markiert. Er war sich sicher, über ihm lagen die Moneten. Er konnte sie förmlich riechen.

Als Ashton seine Arbeit im Morgengrauen beendete, waren seine Arme schwer wie Blei. Doch hatte sich sein Aufwand gelohnt. Beim Klopfen gegen die Decke konnte er schon den Hohlraum dahinter hören. Zufrieden stieg er von dem Gerüst herunter, ging zurück in seinen Wohnwagen und zu Angela ins Bett, die tief schlafend vor sich hinmurmelte.

Am Morgen, als Ashton erwachte, war Angela verschwunden. Die Schlangenfrau hatte sich davongeschlichen, nur ihr Geruch hing noch in den Kissen. Müde, wie Ashton war, rollte er sich noch einmal auf die Seite, schaffte es aber nicht, wieder einzuschlafen. Der Trubel draußen auf dem Gelände hielt ihn wach. Er nahm den kleinen Vorhang vom Fenster am Kopfende des Bettes zur Seite und blickte raus auf den Zirkusplatz. Die Artisten, Jongleure und Musikanten probten vor dem Zelt schon eifrig für die heutige Premiere. Auch er müsste noch einmal seine Nummer durchgehen. Ein einziges Mal noch, für eine einzige Vorstellung.

„Hey Cutty, wo bleibst du?“ Crucho blickte durch einen geöffneten Spalt in der Tür zu ihm in den Wohnwagen hinein. Sein Clown-Kollege mit der bunten Löwenmähne schien verärgert. Kein Wunder. Ashton hatte ihm gestern versehentlich beim Einüben ihrer lustigen Drehscheibennummer eine Klinge in die Schulter gejagt, und jetzt verschlief er auch noch die Generalprobe.

„Bei unserem Messerakt kommt es auf Zentimeter an“, piepste Crucho und sagte fordernd: „Wir müssen das wirklich hinkriegen. Ich habe keine Lust, deinetwegen draufzugehen. Das verstehst du sicherlich?“

„Klar, Crucho. Kein Problem“, beruhigte ihn Ashton und steckte sich eine Zigarette an. „Gib mir nur noch einen Moment, muss mir noch mein Kostüm überziehen.“

Geschminkt und verkleidet legte Ashton seinen Messergürtel um und machte sich auf zur Manege. Auf dem Weg dorthin hörte er einen lauten Knall, der ihn aufhorchen ließ, da er geklungen hatte wie ein Pistolenschuss. Doch da alle auf dem Gelände ungerührt weiterprobten, ging Ashton davon aus, sich getäuscht zu haben. Bis er die beiden Knallfrösche am Eingang des Platzes ausmachte, die für den Schuss verantwortlich waren. Sie standen etwas abseits vom Tor, aber aufgrund ihres merkwürdigen Verhaltens waren sie nicht zu übersehen. Der eine von den beiden Witzfiguren, ein hagerer Typ mit dem Blick eines quengelnden Kindes, sah sich gerade zu allen Seiten um, während der andere, ein Nilpferd mit Melone, hektisch seinen Revolver im Hosenbund verschwinden ließ. Was waren das für Blockheads? Ashton bewegte sich lautlos wie eine Wildkatze über den Zirkusplatz und beobachtete, was die beiden Komiker als Nächstes taten.

2

Harriet Hill war verdammt nervös an diesem Morgen. Auf dem Weg zur Arbeit lief sie einen Umweg. Sie hoffte, durch die Bewegung ihre Aufregung in den Griff zu kriegen. Das funktionierte allerdings nur bedingt. Als sie schließlich in der Bank eintraf und ihren Platz hinter einem der Schalter einnahm, trommelte ihr Herz immer noch bis zum Hals. Sie öffnete den Beutel mit dem abgezählten Wechselgeld, den sie sich zuvor aus dem Tresorraum geholt hatte, und zählte alles einmal nach. Sie brauchte mehrere Anläufe, da sie sich jedes Mal verzählte und nicht mehr wusste, wie viel sie eigentlich schon zusammengerechnet hatte. Als sie endlich so weit war, ließ sie das Wechselgeld in dem Schubfach unterhalb der Theke ihres Bankschalters verschwinden und trug die Summe im Kassenbuch ein. Kaum hatte sie alles erledigt und den Schalter geöffnet, trat auch schon der erste Kunde des heutigen Tages auf sie zu. Es war ein kleinwüchsiger Gnom mit einer riesigen Warze auf dem Zinken, aus der schwarze Härchen sprießten. Der kleine Mann stellte sich auf die Zehenspitzen und stützte sich mit seinen Ellbogen auf dem Schaltertresen ab.

„Was kann ich für Sie tun, Mister Daddeldoo?“, fragte Harriet freundlich nach ihrer Begrüßung, obwohl sie genau wusste, was er wollte, schon bevor der Zwerg einen Haufen Klimpergeld zum Vorschein brachte und unter dem Schaltergitter durchschob. Es waren immer nur ein paar wenige Shilling, die sich Mister Daddeldoo draußen auf der Straße als Schuhputzer verdiente. Doch lächelte er jeden Morgen, wenn er hier in die Baring Brothers & Company Bank kam, als wären die Münzen, die er einzahlte, aus purem Gold. Der Grund für seinen ungebrochenen Optimismus war leicht zu erklären. Mister Daddeldoo war der Überzeugung, dass aus einem kleinen bisschen schnell ein großer Batzen werden konnte, wenn man nur mit Geld umzugehen wusste. Wie er Harriet einmal erzählt hatte, war er früher ein erfolgreicher Travelling-Salesman gewesen. Er war im Außendienst eines Unternehmens tätig, das Seidenstrümpfe für Damen verkaufte. In der Zeit hätte er viel erlebt, erzählte er, und zudem einige interessante Leute kennengelernt. Vor allen Dingen Damen natürlich, denen er seine Modelle präsentierte. Einmal hatte er sich sogar in eine von denen, die ein Paar seiner Seidenstrümpfe anprobiert hatte, verliebt. Doch als er sie küsste und ihr Mann hereinkam, war es mit der Liebe schnell wieder vorbei. Eine ganze Zeit hatte er danach im Hospital verbringen müssen, in der er nur flüssige Nahrung zu sich hatte nehmen können. Als er fünf Wochen später wieder herauskam, war er nicht nur sein Muskelfleisch und seine staatliche Figur los, sondern auch seinen Job. Somit begann er, sich mit Gelegenheitsarbeiten durchzuschlagen. Er malochte hier und da. Kellnerte in einem Varieté-Theater, war Bouttonier in einer Knopffabrik und Werftarbeiter an den Docks. Allerdings bekam er durch die Schichtarbeit im Hafen nicht genügend Schlaf, wodurch er ständig müde war und einnickte, während der Arbeitszeit. Einmal sogar an Deck eines Schiffes, dass er entladen sollte und das kurz darauf mit ihm zusammen von Liverpool in Richtung Hamburg ablegte. Dort lernte er ein Mädchen namens Rotraut kennen. Sie stand am Millerntor und sprach ihn an. Doch hielt auch diese Liebe nicht lang. Eigentlich nur ein, zwei Stunden, um genau zu sein. Mister Daddeldoo war nur kurz Zigaretten holen gegangen, da hatte sich Rotraut schon einen anderen geschnappt. Mit gebrochenem Herzen fuhr er zurück nach England und ging in London von Bord, wo er seine Karriere als Schuhputzer auf der Waterloo Bridge begann.

„Oh, ganze sechsundfünfzig Shilling, Mister Daddeldoo. Die Woche fängt doch gut an.“

„Wir werden sehen, Miss Hill“, quiekte Mister Daddeldoo fröhlich. „Ich zahle bei Ihnen doch immer meinen Verdienst vom Vortag ein. Wie viel es heute werden wird, wissen wir erst morgen.“

Ein Morgen wird es nicht mehr geben, dachte Harriet. Sie stellte Mister Daddeldoo eine Quittung über den erhaltenen Betrag aus und nannte ihm danach das aktuelle Guthaben auf seinem Konto, das für Mister Daddeldoo mit knapp zweiundsiebzig Pfund ein kleines Vermögen darstellte und ihn erfreut von dannen schreiten ließ.

Bis zum Mittag hatte Harriet noch einiges zu tun. Es herrschte ein Betrieb wie auf dem Piccadilly Circus. Die Leute strömten herein und wieder heraus. Dann wurde es ruhiger und Harriet ließ sich für einen Moment in dem Sessel hinter ihrem Schreibtisch nieder. Den ganzen Vormittag hatte sie gestanden und nun taten ihr die Beine weh. Sie nahm einen Schluck von ihrem Orange Tea und blickte dabei rüber zum Büro des Direktors. Mister Penny saß an seinem Schreibtisch und las in der Zeitung. In etwa einer Stunde, also gegen ein Uhr, würde er sich aus seinem Sessel erheben, aus seinem Büro treten und zur Hintertür marschieren, um die Geldboten hereinzulassen. Der Transport kam immer um die gleiche Zeit und brachte jeden Montag zweihunderttausend Pfund, die im Tresorraum gelagert wurden. Sobald die Boten gegangen waren, stand der Tresorraum noch etwa eine halbe Stunde auf, da Mister Penny sich von der Vollständigkeit des frisch eingetroffenen Geldes überzeugen musste. Wenn er heute im Tresorraum verschwand, um das Geld zu zählen, würden zwei Männer mit Masken und Pistolen durch die Tür in die Bank kommen. Sie hatten alles gründlich abgesprochen. Wochenlang waren sie die Abläufe durchgegangen, hatten jedes noch so kleine Detail bedacht. Oder etwa nicht? Harriet strich den Gedanken gleich wieder. Sie musste jetzt die Ruhe bewahren und sich auf ihre Rolle konzentrieren. Es würde schon alles nach Plan laufen. Zumindest hoffte sie das.

3

Mit ihren Waffen im Hosenbund liefen sie die Sout-hampton Row runter. Da Stan bis eben gerade noch keinen Ballermann hatte, waren sie zuvor noch schnell ins British Museum gegangen und hatten ihm eine dreiläufige Steinschlosspistole aus dem 18. Jahrhundert aus der Vitrine geklaut. Das Ding war schon etwas unhandlich, aber besser als gar keine Bleispritze. Olly hingegen hatte einen sechsschüssigen Pepper-Box Revolver, der richtig was hermachte. Er hatte das Schießeisen einem alten Sack abgekauft, der sie noch aus seiner Zeit bei der Armee hatte. Wie er sagte, hätte er mit dem Ding im Krimkrieg einigen Russen in den Hintern geschossen und sogar noch Patronen über, die er in einer Pappschachtel aufbewahrte und Olly beim Kauf des Revolvers noch obendrauf legte. Olly konnte also, wenn er wollte, mit dem Ding schießen. Stan mit seiner hingegen nicht. Das Museumsstück war ungeladen, als sie es stahlen. Aber das würde keinen Unterschied machen, erschießen wollten sie sowieso niemanden. Sie brauchten die Waffen lediglich zur Abschreckung. Und falls wirklich einer in der Bank auf die Idee kommen sollte, den Helden zu spielen, würde Olly einfach in die Luft feuern, um ihn ruhig zu stellen.

„Sag mal, Olly. Was wollen wir eigentlich schon so früh hier?“, fragte der hagere Stan seinen schwergewichtigen Freund. Sie standen gegenüber der Bank. Das Mittagsläuten des Big Ben war gerade verklungen. „Harriet hatte doch gesagt, wir sollen um Viertel nach eins in die Bank kommen.“

„Nein!“ Olly zeigte sich erbost. „Sie sagte, wir sollen um Viertel nach zwölf kommen, Stan“, tadelte er seinen langjährigen Freund, den er stets wie einen kleinen Jungen behandelte, da er sich für den Klügeren der beiden hielt. „Die Geldboten kommen immer um Punkt zwölf, hat Harriet gesagt, und bräuchten in der Regel zehn Minuten, um das Geld in den Tresor zu bringen. Danach würde ihr Chef im Tresorraum sitzen und das Geld zählen. Wie Harriet sagte, würde das etwa eine halbe Stunde dauern.“

„Nein, Olly. Das stimmt nicht“, widersprach Stan. „Du scheinst nicht richtig zugehört zu haben. Harriet sagte, die Geldboten kommen um Punkt ein Uhr und nicht um Punkt zwölf. Du bringst das durcheinander. Wenn wir da jetzt reinmarschieren, sind wir eine Stunde zu früh.“

„Ach, tatsächlich.“ Olly stützte seine Fäuste in die Hüften und schob sein Kinn vor. „Um was wollen wir wetten, dass ich recht habe?“

„Ich wette nicht mit dir, Olly“, erwiderte Stan ungerührt. „Davon mal abgesehen, hast du doch sowieso keinen Shilling auf der Tasche. Womit willst du also wetten, frag ich dich?“

„Na, mit dem Geld, das ich mir jetzt aus der Bank holen werde, du Dummkopf.“

„Du wirst dir gar nichts holen, wenn du da jetzt hineingehst. Hör auf mich, Olly. Wir sind zu früh!“

„Ach, du spinnst doch. Geh mir aus dem Weg und nach Hause auf dein Sofa. Aber ich sage dir, Stan: Komm bloß nicht nachher bei mir an und jammere mir einen vor, dass du auch was von der Beute abhaben willst.“