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Vom Tyrannen und Playboy zum liebenswerten Mann - die wundersame Verwandlung des Richard VanRyan
Richard VanRyan ist ein erfolgreicher Werbemann und ein echtes Arschloch. Unaufhaltsam klettert er die Karriereleiter nach oben, ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen - bis er bei einer Beförderung übergangen wird. Wutentbrannt reicht er seine Kündigung ein. Um jedoch bei der einzigen Konkurrenzagentur der Stadt anzuheuern, muss er seinen schlechten Ruf und sein Playboy-Image loswerden. Da kommt ihm seine Assistentin gerade recht. Er macht Katharine Elliott ein Angebot, das sie nicht abschlagen kann. Geld gegen vorgespielte Liebe. Da Katharine für die Pflege ihrer Adoptivmutter jeden Cent braucht, lässt sie sich darauf ein. Alles läuft nach Plan, bis echte Gefühle ins Spiel kommen und sie das Herz des Tyrannen erweicht ...Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 470
MELANIE MORELAND
The Contract
Sie dürfen den Chef jetzt küssen
Roman
Ins Deutsche übertragenvon Ralf Schmitz
Richard VanRyan ist ein erfolgreicher Werbemann und ein echtes Arschloch. Unaufhaltsam klettert er die Karriereleiter nach oben, ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen – bis er bei einer Beförderung übergangen wird. Wutentbrannt reicht er seine Kündigung ein. Um jedoch bei der einzigen Konkurrenzagentur der Stadt anzuheuern, muss er seinen schlechten Ruf und sein Playboy-Image loswerden. Da kommt ihm seine Assistentin gerade recht. Er macht Katharine Elliott ein Angebot, das sie nicht abschlagen kann: Geld gegen vorgespielte Liebe. Da Katharine für die Pflege ihrer Adoptivmutter jeden Cent braucht, lässt sie sich darauf ein. Alles läuft nach Plan, bis echte Gefühle ins Spiel kommen und sie das Herz des Tyrannen erweicht …
Wie immer für meinen Matthew – meinen Grund für alles.
Als ich mich, meine Wut zügelnd, über den Tisch beugte, verebbte der Lärm in dem gut besuchten Restaurant zu Hintergrundrauschen. Ich unterdrückte den Drang zu schreien und senkte die Stimme, trotzdem trieften meine Worte vor Zorn. »Was hast du da gerade gesagt? Ich hab dich wohl falsch verstanden.«
David lehnte sich entspannt zurück, meine Rage machte ihm nicht das Geringste aus. »Ich habe gesagt, dass ich Tyler zu meinem Partner mache.«
Meine Hand umklammerte mein Glas so fest, dass ich mich wunderte, warum es nicht zerbrach. »Aber ich sollte doch als Nächster befördert werden.«
Er zuckte die Achseln. »Die Dinge ändern sich.«
»Ich habe mir den Arsch aufgerissen und über neun Millionen eingebracht. Du hast gesagt, wenn ich das letzte Jahr übertreffe, machst du mich zu deinem Partner.«
Er winkte ab. »Tyler hat zwölf Millionen Umsatz gemacht.«
Ich schlug mit der Hand auf den Tisch. Es war mir scheißegal, wenn ich damit Aufmerksamkeit erregte. »Ja, weil der Mistkerl mich hintergangen und mir den Kunden gestohlen hat. Ich hatte die Idee für die Kampagne. Er hat mich verdammt noch mal abgezockt.«
»Dein Wort steht gegen seins, Richard.«
»Bockmist. Das ist doch alles Bockmist.«
»Die Entscheidung ist gefallen, das Angebot steht. Leg dich ordentlich ins Zeug, dann bist nächstes Jahr vielleicht du an der Reihe.«
»War’s das?«
»Das war’s. Du erhältst einen großzügigen Bonus.«
Einen Bonus.
Ich wollte keinen weiteren beschissenen Bonus. Ich wollte befördert werden. Ich hätte am Zug sein müssen.
Ich stand so schnell auf, dass mein Stuhl umkippte und mit einem dumpfen Knall auf dem Boden aufschlug. Dann richtete ich mich zu meiner vollen Größe von einem Meter neunzig auf und starrte ihn von oben herab finster an. Da David kaum größer als eins siebzig war, wirkte er im Sitzen ziemlich klein.
Er hob die Augenbrauen. »Vorsicht, Richard. Denk daran, dass Anderson Inc. auf Teamarbeit baut. Und noch bist du ein Teil des Teams – ein sehr wichtiger Teil.«
Ich sah ihn unverwandt an und unterdrückte den Wunsch, ihm mitzuteilen, dass er sich ins Knie ficken könne. »Wir sind ein Team. Schon klar.«
Ich schüttelte den Kopf und ging.
Ich marschierte in mein Büro und schlug die Tür hinter mir zu. Meine Assistentin blickte erschrocken auf, in der Hand hielt sie ein halb aufgegessenes Sandwich.
»Was habe ich Ihnen verdammt noch mal über essen am Schreibtisch gesagt?«, blaffte ich sie an.
Sie raffte sich auf. »S-Sie waren außer Haus«, stammelte sie. »Ich war mit Ihrer Spesenabrechnung beschäftigt, da dachte ich …«
»Nun, was immer Sie gedacht haben, war falsch.« Ich langte über ihren Schreibtisch, nahm ihr das Sandwich aus der Hand und verzog angesichts des Belags angewidert das Gesicht. »Erdnussbutter und Marmelade? Mehr können Sie sich von Ihrem Gehalt nicht leisten?« Ich fluchte, als Marmelade auf mein Jackett tropfte. »Himmelherrgott!«
Als sie den roten Fleck auf meinem grauen Anzug sah, wurde ihr ohnehin kreidebleiches Gesicht noch eine Spur blasser. »Mr VanRyan, es tut mir so leid. Ich bringe das Jackett sofort in die Reinigung.«
»Darauf können Sie wetten. Und bringen Sie mir ein Sandwich mit. Und einen Latte mit extra viel Milchschaum. Und holen Sie mir Brian Maxwell ans Telefon. Sofort!« Ich riss mir ungeduldig das Jackett vom Leib, sah allerdings noch nach, ob die Taschen leer waren. »Tragen Sie es in die Reinigung. Aber ich will es noch heute Nachmittag wiederhaben.«
Sie saß stocksteif da und starrte mich nur an.
»Sind Sie taub?«
»Was soll ich zuerst erledigen?«
Ich schmiss das Jackett hin. »Das ist Ihr verdammter Job. Denken Sie nach und tun Sie, was ich Ihnen sage!«
Damit knallte ich die Bürotür zu.
Eine Viertelstunde später hatte ich mein Sandwich und den Latte. Meine Gegensprechanlage summte. »Mr Maxwell für Sie auf Leitung zwei.«
»Schön.« Ich nahm den Hörer ab. »Brian, ich muss dich sehen. Heute.«
»Es geht mir gut. Danke der Nachfrage, Richard.«
»Dafür habe ich keine Zeit. Wann passt es dir?«
»Ich bin den ganzen Nachmittag ausgebucht.«
»Sag deine Termine ab.«
»Ich bin nicht mal in der Stadt. Ich kann frühestens um sieben dort sein.«
»Gut. Treffen wir uns bei Finlay’s. Mein üblicher Tisch.« Ich legte auf und schlug auf die Gegensprechanlage. »Rein mit Ihnen.«
Die Tür ging auf, und sie kam hereingestolpert – buchstäblich. Ich tat nicht mal so, als müsste ich nicht angewidert die Augen verdrehen. Jemand dermaßen Ungeschicktes war mir noch nie begegnet – sie stolperte sogar, obwohl ihr nichts im Weg stand. Ich schwöre, sie verbrachte mehr Zeit auf den Knien als die Frauen, mit denen ich ausging. Ich wartete, bis sie sich gefangen, ihren Notizblock aufgehoben und ihren Stift wiedergefunden hatte. Sie war knallrot im Gesicht, und ihre Hand zitterte.
»Ja, Mr VanRyan?«
»Reservieren Sie mir meinen Tisch bei Finlay’s um sieben. Und bis dahin habe ich besser mein Jackett wieder.«
»Ich habe Schnellreinigung verlangt. Aber, äh, das kostet extra.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Ich bin sicher, Sie haben das liebend gerne übernommen, war ja schließlich Ihre Schuld.«
Ihr Gesicht wurde noch dunkler, doch sie gab mir keine Widerworte. »Ich hole das Jackett in einer Stunde ab.«
Ich winkte ab. Der Zeitpunkt war mir egal, solange ich das Jackett wiederhatte, wenn ich losmusste.
»Mr VanRyan?«
»Was?«
»Ich muss heute um vier hier raus sein. Ich habe eine Verabredung. Ich hatte Ihnen deshalb letzte Woche eine E-Mail geschickt.«
Während ich sie betrachtete, trommelte ich mit den Fingern auf meinem Schreibtisch. Meine Assistentin – Katharine Elliott – war mir ein Stachel im Fleisch. Ich hatte alles unternommen, um sie wieder loszuwerden, hatte dabei aber keine glückliche Hand gehabt. Was auch immer ich ihr auftrug, bewältigte sie. Sie erledigte jede noch so demütigende Aufgabe, ohne zu murren. Gehen Sie mal eben für mich zur Reinigung? Schon erledigt. Sorgen Sie dafür, dass mein privater Waschraum immer mit meinen Lieblingstoilettenartikeln und Kondomen ausgestattet ist? Alles klar. Reinigen und sortieren Sie meine riesige CD-Sammlung alphabetisch, weil ich beschlossen habe, sämtliche CDs ins Büro mitzubringen? Schon passiert. Als ich es mir »anders überlegte« und die Sammlung wieder nach Hause schaffen ließ, verpackte sie die CDS fleckenlos rein und perfekt sortiert in Kartons. Kein böses Wort kam ihr über die Lippen. Schicken Sie, wem auch immer ich diesen Monat oder diese Woche den Laufpass gegeben habe, Blumen und eine schriftliche Abfuhr? Bitte sehr.
Jeden Tag erschien sie verlässlich und pünktlich im Büro, das sie nur selten verließ. Es sei denn, um etwas für mich zu erledigen oder um den Pausenraum aufzusuchen und eines ihrer lächerlichen, von daheim mitgebrachten Sandwiches zu verspeisen. Schließlich hatte ich ihr untersagt, an ihrem Schreibtisch zu essen. Sie koordinierte meine Termine und brachte meine Kontaktdaten auf den neuesten Stand, organisierte meine Akten nach dem von mir bevorzugten Farbencode, filterte meine Anrufe und sorgte dafür, dass mir meine zahlreichen Exfreundinnen nicht auf die Nerven gingen. Aus der Gerüchteküche wusste ich, dass sie allgemein beliebt war. Sie vergaß nie einen Geburtstag und backte die allerköstlichsten Kekse, die sie bei jeder Gelegenheit mit jedermann teilte. Sie war einfach perfekt.
Ich konnte sie nicht ausstehen.
Sie verkörperte alles, was ich an Frauen nicht leiden konnte. Sie war klein, zierlich, hatte dunkle Haare und blaue Augen, trug schlichte Hosenanzüge und Röcke – nett, adrett und ohne jeden Chic. Das Haar hatte sie ständig zu einem Knoten aufgesteckt, trug keinerlei Schmuck und kam, soweit ich es erkennen konnte, vollkommen ungeschminkt zur Arbeit. Sie war null attraktiv und besaß nicht genug Selbstachtung, um irgendetwas daran zu ändern. Bescheiden und schüchtern, wie sie war, konnte man sie leicht übergehen. Sie stand nie für sich ein, ertrug klaglos, was ich ihr vorwarf, und bot mir nie Paroli. Ich mochte starke, dynamische Frauen – keine Fußabtreter wie Miss Elliott.
Trotzdem hatte ich sie am Hals.
»Schön, aber lassen Sie das nicht einreißen, Miss Elliott.«
Eine Sekunde lang glaubte ich ihre Augen aufflackern zu sehen, doch dann nickte sie nur. »Ich hole Ihr Jackett ab und hänge es in Ihren Schrank. Ihre Telefonkonferenz um zwei ist vorbereitet, und um halb vier haben Sie ein Meeting im Besprechungsraum.« Sie deutete auf einen Aktenstapel an einer Ecke des Schreibtischs. »Da liegen Ihre Notizen.«
»Und die Spesen?«
»Mache ich fertig und lege sie Ihnen zur Unterschrift vor.«
»Gut. Sie können jetzt gehen.«
An der Tür hielt sie inne. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Mr VanRyan.«
Ich hielt mich nicht mit einer Antwort auf.
Brian trank einen Schluck Rye und sah mich über den Rand des Glases an. »Ich verstehe ja, dass das wehtut, Richard. Aber was soll ich deiner Ansicht nach dagegen unternehmen?«
»Ich will einen anderen Job. Das sollst du tun. Besorg mir einen.«
Er lachte trocken und setzte das Glas ab. »Die Diskussion hatten wir doch schon. Bei deinen Referenzen kann ich dir jeden beliebigen Job besorgen – nur nicht hier. Es gibt in Victoria zwei bedeutende Wettbewerber, und für einen davon arbeitest du. Aber lass es mich wissen, falls du doch noch bereit bist, umzuziehen. Ich habe Angebote in sämtlichen Großstädten, die für dich infrage kommen. Toronto boomt.«
Ich tat schnaubend meine Verärgerung kund. »Ich will nicht umziehen; es gefällt mir in Victoria.«
»Was hält dich denn hier?«
Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch, während ich mir seine Frage durch den Kopf gehen ließ. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mich weigerte, umzuziehen. Mir gefiel die Stadt. Mir gefiel, dass sie am Wasser lag, mir gefielen die Restaurants und die Theater, die Hektik einer Metropole in einer Kleinstadt, aber vor allem gefiel mir das Klima. Doch es gab noch etwas, etwas, das ich gar nicht hätte benennen können, das mich hier hielt. Klar konnte ich umziehen, genau genommen hätte ich gar nichts Besseres tun können, andererseits war es nicht das, was ich wollte.
»Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich will einfach hierbleiben. Wieso kann ich nicht bei der Gavin Group anfangen? Da könnte man von Glück sagen, mich zu kriegen. Meine Branchenkenntnis spricht für mich.«
Brian räusperte sich und klopfte mit den manikürten Fingernägeln gegen sein Glas. »So wie deine Persönlichkeit.«
»Mit meiner direkten und federführenden Art passe ich doch in die Werbebranche, Brian.«
»Das ist nicht ganz das, was ich meine, Richard.«
»Und was zum Henker meinst du genau?«
Brian orderte per Handzeichen weitere Drinks, lehnte sich zurück und richtete seine Krawatte, ehe er antwortete. »Dein Ruf und dein Name sprechen eine deutliche Sprache. Du weißt ja, dass du in manchen Kreisen als ›Dick, die Arschgeige‹ giltst.« Er hob eine Schulter. »Aus naheliegenden Gründen.«
Ich zuckte die Achseln. Es war mir egal, was die Leute über mich dachten.
»Die Gavin Group ist ein Familienunternehmen. Und anders als Anderson Inc. hat die Firma zwei Prinzipien: Familiensinn und Integrität. Und was die Kunden angeht, ist man dort extrem heikel.«
Ich schnaubte. Anderson Inc. arbeitete für jeden. Solange Geld zu verdienen war, startete man dort eine Kampagne – und wenn manche Konsumenten noch so angewidert davon waren. Das wusste ich, und es war mir so oder so ziemlich egal. Die Gavin Group dagegen war, was die Kunden anging, erheblich anspruchsvoller, aber damit würde ich klarkommen. David hasste die Gavin Group – wenn ich Anderson Inc. den Rücken kehrte und stattdessen dort anfing, wäre er dermaßen sauer, dass er mir, nur um mich zur Rückkehr zu bewegen, eine Partnerschaft anbieten würde. Wenn er herausfand, dass ich auf dem Sprung war, vielleicht sogar auf der Stelle. Ich musste dafür sorgen, dass es dazu kam.
»Ich kann mich zurückhalten und nach deren Regeln arbeiten.«
»Das ist es nicht allein.«
Ich wartete, bis sich der Kellner, nachdem er uns die nächsten Drinks gebracht hatte, wieder verkrümelte. Ich unterzog Brian einer kurzen Musterung. Sein Glatzkopf glänzte im Licht, und seine hellblauen Augen funkelten. Er war ganz entspannt und mit sich zufrieden, mein Dilemma bereitete ihm nicht die geringste Sorge. Er streckte die langen Beine aus, schlug sie lässig übereinander, wippte mit einem Bein und griff nach seinem Glas.
»Was noch?«
»Graham Gavin ist ein Familienmensch, so leitet er auch seine Firma. Und er stellt nur Leute ein, die darüber so denken wie er. Und dein, äh, Privatleben ist nichts, was er akzeptabel finden würde.«
Ich winkte ab. Natürlich wusste ich, worauf er anspielte. »Ich hab schon vor Monaten mit Erica Schluss gemacht.«
Meine Was-auch-immer-Ex machte mit ihrem Drogenproblem Schlagzeilen, seit sie während einer Modenschau zugedröhnt vom Laufsteg getorkelt war. Ich hatte ihr ewiges Aufmerksamkeitsdefizit sowieso satt. Ich hatte Miss Elliott beauftragt, ihr Blumen in die Entzugsklinik zu schicken, dazu die Nachricht, dass es aus zwischen uns sei, und danach hatte ich ihre Nummer gesperrt. Als sie mich letzte Woche sehen wollte, hatte ich sie von der Security aus dem Gebäude führen lassen – beziehungsweise hatte diese Aufgabe vertrauensvoll in Miss Elliotts Hände gelegt. Klar hatte sie auf dem Weg nach unten Mitleid mit Erica gehabt, war aber kurz darauf trotzdem zu mir gekommen, um mir zu versichern, dass Erica mich zukünftig nicht mehr belästigen würde. Ich war meine Verflossene also los!
»Es geht nicht bloß um Erica, Richard. Dein Ruf ist allgemein bekannt. Außerhalb der Geschäftszeiten bist du ein Playboy und tagsüber ein Tyrann. Du hast dir deinen Spitznamen redlich verdient. Weder das eine noch das andere passt zu Graham Gavin.«
»Du siehst einen geläuterten Menschen vor dir.«
Brian lachte. »Richard, du verstehst nicht. Grahams Firma setzt auf Familie. Meine Freundin, Amy, arbeitet dort. Ich weiß, wie man dort vorgeht. So ein Unternehmen habe ich noch nie gesehen.«
»Erzähl.«
»Seine ganze Familie ist mit einbezogen. Seine Frau, seine Kinder, sogar deren Partner arbeiten dort. Es gibt Picknicks und Abendessen für die Angestellten und ihre Familien. Sie bezahlen gut und behandeln ihre Mitarbeiter bestens. Dort eine Stelle zu ergattern ist schwierig, weil kaum jemand aufhört.«
Ich dachte über seine Worte nach. Es war kein Geheimnis, wie wichtig familiäre Bindungen für die Gavin Group waren und wie gering die Personalfluktuation war. David hasste Graham Gavin und alles, wofür er im Geschäftsleben stand. Für ihn hieß es nur fressen und gefressen werden, und danach handelte er auch. Je blutiger, desto besser. Erst jüngst hatten wir zwei Großkunden an Gavin abtreten müssen, und David war darüber fuchsteufelswild gewesen. An dem Tag waren Köpfe gerollt – viele Köpfe. Ich hatte Glück gehabt, dass es nicht meine Kunden gewesen waren.
»Also habe ich kein Glück.«
Er zögerte, sah mich an und warf dann einen Blick über meine Schulter. »Ich weiß, dass einer ihrer Führungskräfte geht.«
Ich beugte mich vor. Meine Neugier war geweckt. »Warum?«
»Weil die Frau des Mannes schwer krank ist. Ihre Prognose ist gut, trotzdem hat er beschlossen, beruflich zurückzustecken und zu Hause bei ihr zu bleiben.«
»Also eine befristete Stelle?«
Brian schüttelte den Kopf. »Nein, das zeigt, aus welchem Holz Graham Gavin geschnitzt ist. Er entlässt den Mann in den vorzeitigen Ruhestand, bei vollem Gehalt und mit sämtlichen Sozialleistungen. Außerdem hat er ihm und seiner Frau zur Feier ihrer Genesung eine Kreuzfahrt versprochen.«
»Woher weißt du das?«
»Amy ist seine Assistentin.«
»Aber dann muss er ihn ersetzen. Verschaff mir ein Vorstellungsgespräch.«
»Richard, hast du mir überhaupt zugehört? Graham stellt niemanden wie dich ein.«
»Wenn ich ihn davon überzeuge, dass ich nicht so bin, wie er denkt, wird er mich einstellen.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Sorg du für den Termin, um den Rest kümmere ich mich selbst.« Ich trank einen großen Schluck Scotch. »Aber das muss unter uns bleiben, Brian.«
»Schon klar. Ich will sehen, was ich tun kann, aber eines sage ich dir – das wird nicht leicht werden.«
»Wenn du mich da reinbringst, werde ich mich erkenntlich zeigen.«
»Und David zu beweisen, dass du bereit bist zu gehen, lohnt den ganzen Aufwand? So wichtig ist es dir, dass er dich befördert und zu seinem Partner macht?«
Ich fuhr mir nachdenklich übers Kinn und kratzte mir die Bartstoppeln. »Ich habe es mir anders überlegt.«
»Was soll das heißen?«
»David hasst Graham. Nichts würde ihn mehr aufregen, als mich an ihn zu verlieren. Und ich weiß, dass ein paar von meinen Kunden mit mir von Bord gehen würden, was alles nur noch schlimmer machen würde. Ich werde Graham dazu bringen, mich einzustellen, und wenn David mich zurückhaben will, ist es an mir, ihm mitzuteilen, dass sich die Dinge eben ändern.«
»Du bist ja ziemlich zuversichtlich.«
»Das ist das A und O in unserer Branche.«
»Ich weiß zwar nicht, wie du das bewerkstelligen willst, aber ich sehe zu, dass ich für dich einen Fuß in die Tür kriege.« Er schürzte die Lippen. »Ich bin mit seinem Schwiegersohn zur Schule gegangen, wir spielen noch regelmäßig zusammen Golf. Nächste Woche wollen wir uns wieder treffen. Ich fühle dann mal für dich vor.«
Ich nickte. Meine Gedanken rasten mit tausend Meilen pro Stunde.
Wie überzeugte man einen Fremden davon, dass man ganz anders war, als es den Anschein hatte?
Das war die Preisfrage.
Nun musste ich nur noch die Antwort finden.
Am nächsten Morgen hatte ich eine Idee, allerdings wusste ich noch nicht, wie ich sie in die Tat umsetzen sollte. Wenn Graham Gavin einen integren Mann mit Familiensinn wollte, dann würde er ihn bekommen. Ich musste mir nur etwas einfallen lassen, um dieses kleine Problem zu lösen. Aber das würde ich schon schaffen. Schließlich war genau das mein Spezialgebiet – ich war ein Kreativer.
Mein Hauptproblem waren die Frauen, mit denen ich üblicherweise mein Leben bevölkerte. Weibliche Ausgaben meiner Selbst. Schön anzusehen, aber kalt, berechnend und nur daran interessiert, was ich ihnen geben konnte: schicke Restaurantbesuche, kostspielige Geschenke und, vorausgesetzt sie hielten es lange genug bei mir aus, irgendeine Fernreise, bevor ich ihnen den Laufpass gab. Denn das geschah immer. Mich interessierte auch nur, was sie mir geben konnten. Alles, was ich wollte, waren ein hübscher Anblick und ein warmer Leib, in dem ich mich abends verlieren konnte. Ein paar Stunden gedankenloser Lust, ehe der toughe Alltag wieder die Oberhand über mein Leben gewann.
Keine von ihnen wäre die Sorte Frau, mit der den Rest meiner Tage zu verbringen Graham Gavin mir zutrauen würde. Manchmal schaffte ich ja selbst kaum einen ganzen Abend.
Da klopfte schüchtern Miss Elliott an und wartete. Bis ich brüllte, sie möge gefälligst hereinkommen. Sie kam, balancierte vorsichtig meinen Kaffee und stellte die Tasse schließlich auf den Schreibtisch. »Mr Anderson hat in zehn Minuten ein Meeting im Besprechungszimmer anberaumt.«
»Wo ist mein Bagel?«
»Ich dachte, den würden Sie lieber nach dem Meeting haben wollen, um sich nicht so beeilen zu müssen. Sie essen doch nicht gerne so schnell, weil Sie davon Sodbrennen bekommen.«
Ich blickte sie finster an und ärgerte mich, weil sie recht hatte.
»Hören Sie auf zu denken, Miss Elliott. Ich hab Ihnen doch schon erklärt, dass Sie viel häufiger falsch liegen als richtig.«
Sie sah auf ihre Uhr – eine einfache schwarze Armbanduhr mit schlichtem Ziffernblatt, zweifellos bei Walmart oder in irgendeinem anderen Allerweltsgeschäft gekauft. »Bis zu dem Meeting sind es noch sieben Minuten. Soll ich Ihnen Ihren Bagel noch holen? Bis ich ihn getoastet habe, bleiben Ihnen noch zwei Minuten, um ihn hinunterzuschlingen.«
Ich stand auf und nahm den Kaffeebecher. »Nein. Dank Ihnen gehe ich jetzt hungrig in die Besprechung. Ihre Schuld, wenn ich unkonzentriert bin.«
Damit stürmte ich aus dem Büro.
David trommelte auf die gläserne Tischplatte. »Aufgepasst, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die gute Nachricht. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich Tyler Hunter zu meinem Partner ernannt habe.«
Ich setzte ein beherrschtes, ausdrucksloses Gesicht auf. Ich spürte die Seitenblicke, wollte aber niemanden sehen lassen, wie sehr mich die neue Situation auf die Palme brachte. Anstatt mich mit den anderen zu streiten, schlug ich mit den Fingerknöcheln gegen mein Glas. »Schön für dich, Tyler. Meinen Glückwünsch.«
Niemand sagte etwas. Innerlich musste ich grinsen. Ich konnte mich durchaus anständig aufführen. Was nichts daran änderte, dass ich den Drecksack nicht ausstehen konnte oder es David nicht weiter verübelte, dass er mir das angetan hatte.
David räusperte sich. »Und nun die schlechte Nachricht: Alan Summers gehört von heute an nicht mehr zur Firma.«
Meine Brauen schossen in die Höhe. Alan war eine der Verkaufskanonen bei Anderson Inc. Ich konnte unmöglich die Klappe halten. »Warum?«
David warf mir einen Blick zu. »Wie bitte?«
»Warum ist er nicht mehr dabei? Hat er gekündigt?«
»Nein. Er …« David verzog die Lippen zu einer Grimasse. »Mir wurde zugetragen, dass er sich mit einer unserer Assistentinnen eingelassen hat.« Er blickte finster drein. »Wie Sie alle wissen, gibt es strenge Regeln, was Verhältnisse innerhalb des Unternehmens angeht. Also, lassen Sie sich das eine Lehre sein.«
Anderson Inc. legte großen Wert auf strenge Regeln. Entweder man hielt sich daran oder man war Geschichte. Bei Verstößen wurde man, bildlich gesprochen, kastriert und verlor den Boden unter den Füßen. Und Beziehungen innerhalb der Firma gingen gar nicht.
David glaubte, Büroliebschaften trübten den Verstand. Alles, was die Konzentration von der Arbeit oder seiner Gewinnmaximierung abzog, ließ ihn die Stirn runzeln. Wie ich vermutete, hatte er generell etwas dagegen, wenn seine Angestellten ein Leben außerhalb der Firma führten. Als ich den Blick um den Konferenztisch wandern ließ, wurde mir klar, dass alle Führungskräfte entweder solo oder geschieden waren. Bisher hatte ich den Beziehungsstatus meiner Kollegen weder bemerkt noch beachtet.
»Emily hat uns übrigens auch verlassen.«
Man musste kein Genie sein, um dahinterzukommen, mit welcher Assistentin Alan sich getroffen hatte. Emily war seine PA. So ein Schwachkopf. Man lässt sich mit niemandem von der Arbeit ein. Schon gar nicht mit seiner PA. Zum Glück fühlte ich mich nicht mal annähernd versucht.
David setzte seine Leier fort, doch ich blendete ihn aus und wandte mich wieder meinem eigenen Problem zu. Als die anderen sich zu erheben begannen, sprang ich ebenfalls auf und stapfte aus dem Besprechungsraum, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie Tyler anerkennend die Hand geschüttelt und auf die Schulter geklopft wurde.
Wichser.
Ich marschierte in mein Büro und blieb stehen, als ich Brian mit vor Lachen bebenden Schultern auf Miss Elliotts Schreibtischkante hocken sah. Beide sahen auf, als ich eintrat, jeder mit einem anderen Gesichtsausdruck: Brian belustigt, Miss Elliott schuldbewusst.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich anklagend. Dann wandte ich mich Miss Elliott zu. »Warum haben Sie mich nicht wissen lassen, dass jemand auf mich wartet?«
Brian hob die Hand. »Ich bin erst vor ein paar Minuten gekommen, Richard. Katy hat mir einen Kaffee angeboten und wollte dir gerade Bescheid sagen, aber ich fand ihre Gesellschaft viel angenehmer als deine, deshalb hatte ich es nicht sonderlich eilig.« Er zwinkerte mir zu. »Sie ist viel unterhaltsamer als du. Und hübscher sowieso. Ich verplaudere immer gerne ein paar Minuten mit ihr.«
Hübsch und unterhaltsam? Miss Elliott? Und was sollte überhaupt dieser Katy-Scheiß?
Ich quittierte seine Beschreibung mit einem bellenden Lachen.
»In mein Büro«, befahl ich.
Er kam mir nach und schloss die Tür. »Was machst du hier? Wenn David dich gesehen hätte …«
Er schüttelte den Kopf. »Bleib locker. Es ist ja nicht so, als wäre ich noch nie zuvor hergekommen. Und selbst wenn er mich sieht und irgendeinen Verdacht schöpft? Dann gerät er bloß ein bisschen ins Schwitzen.«
Ich hielt inne. Das war vielleicht gar keine schlechte Idee. Schließlich wusste er, dass Brian der gefragteste Headhunter in Victoria war. Und wenn er Brian nun bei Anderson Inc. herumscharwenzeln sah, wurde er womöglich ein bisschen nervös.
»Hör auf, meiner Assistentin Honig ums Maul zu schmieren. Du verschwendest bloß deine Zeit; außerdem dachte ich, du hättest eine Freundin.«
»Habe ich auch. Und ich hab Katy keinen Honig ums Maul geschmiert. Ich unterhalte mich nur gerne mit ihr.«
Ich schnaubte. »Ja, klar, sie ist ja auch toll – wenn du auf Fußabtreter stehst, die sich als magere Vogelscheuchen verkleiden.«
Brian runzelte die Stirn. »Du magst sie nicht? Im Ernst? Was kann man an ihr nicht mögen?«
»Sie ist einfach zu perfekt«, stellte ich fest. Meine Stimme triefte vor Sarkasmus. »Sie macht alles, was ich ihr sage. Aber Themenwechsel: Sag mir lieber, warum du hier bist.«
Nun senkte er die Stimme. »Ich habe mich heute Morgen auf einen Kaffee mit Adrian Davies getroffen.«
Ich durchquerte mein Büro und setzte mich hinter den Schreibtisch. »Mit Adrian Davies von der Gavin Group?«
Er nickte. »Ich habe Amy besucht und bin zu ihm, um mich nächste Woche mit ihm zum Golf zu verabreden. Er hat sich bereit erklärt, Graham auf einen Gesprächstermin mit dir anzusprechen.«
Ich schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Das nenne ich doch mal eine gute Nachricht. Was hast du ihm gesagt?«
»Dass du aus persönlichen Gründen kündigen willst. Und dass deine Lage sich, ungeachtet aller Gerüchte, verändert hat und dir die Richtung von Anderson Inc. nicht mehr passt.«
»Meine Lage?«
»Ich habe ihm gesagt, dass du mit deiner Playboy-Phase abgeschlossen hast, dein Geschäftsgebaren sich deutlich weiterentwickelt hat und du ein neues Leben anfangen willst.«
»Und das hat er dir abgekauft?«
Brian strich mit den Fingerspitzen seine Bügelfalten glatt und begegnete meinem Blick. »Ja.«
»Hast du ihm auch erklärt, was zu dieser wundersamen Kehrtwendung geführt hat?«
»Du hast mich neulich Abend gewissermaßen selbst darauf gebracht. Ich habe ihm gesagt, du hast dich verliebt.«
Ich nickte. Genauso hatte ich mir das gedacht. Graham stand auf eine familiäre Atmosphäre. Darauf musste ich mich einstellen.
Brian warf mir einen gewieften Blick zu. »Wenn man deine Vergangenheit bedenkt, Richard, muss sich diese Frau erheblich von den Frauen unterscheiden, mit denen du dich bisher eingelassen hast. Besonders in jüngster Zeit.« Er neigte den Kopf. »Sie muss bodenständig, warmherzig und fürsorglich sein. Echt.«
»Schon klar.«
»Ist es das wirklich wert?«
»Ja.«
»Du willst nur für einen Job lügen und betrügen?«
»Es geht nicht nur um einen Job. David hat mich beschissen – und Tyler sowieso. Und nicht zum ersten Mal. Ich lasse mir das nicht länger bieten.« Ich lehnte mich zurück und blickte aus dem Fenster. »Mag ja sein, dass ich mit nicht ganz sauberen Absichten einsteige, aber Graham erzielt damit für seine Firma einen verdammt hohen Zugewinn. Ich werde mir für ihn den Arsch aufreißen.«
»Und die Frau?«
»Wir trennen uns. So was kommt vor.«
»Irgendeine Idee, wer die Glückliche sein könnte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich lasse mir was einfallen.«
Da klopfte es. Miss Elliott kam herein und stellte mir einen Bagel und frischen Kaffee auf den Schreibtisch. »Darf ich Ihnen auch noch eine Tasse Kaffee bringen, Mr Maxwell?«
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Wie ich schon sagte, nennen Sie mich Brian. Und nein, danke, Katy. Ich muss los, und Ihr Boss hat einen Riesenhaufen Arbeit vor sich.«
Sie wandte sich mir mit großen Augen zu. »Kann ich irgendetwas für Sie tun, Mr VanRyan? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
»Ganz sicher nicht. Ich brauche absolut nichts von Ihnen.«
Sie wurde rot und ließ den Kopf hängen. Dann nickte sie, ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu.
»Himmel, du bist so ein Arsch«, bemerkte Brian. »Du bist dermaßen unhöflich zu ihr.«
Ich zuckte unbeeindruckt die Achseln.
Er erhob sich und knöpfte sein Jackett zu. »Wenn dein Plan aufgehen soll, musst du deine Einstellung überdenken, Richard. Er deutete auf die Tür. »Wenn du dich mit Graham verstehen willst, brauchst du genauso ein hübsches Mädchen wie sie.«
Ich ignorierte, dass er sie für hübsch hielt, und starrte ihn mit offenem Mund an. »Wie soll ich das verstehen?«
Er grinste. »Du glaubst ja wohl nicht wirklich, dass er sich zufriedengibt, wenn du ihm deine Freundin kurz vorstellst? Ich hab dir doch erzählt, wie eng das Verhältnis zu seinen Angestellten ist. Wenn er dich einstellt, wird er sich auch mit der Frau an deiner Seite unterhalten wollen. Und das nicht bloß einmal.«
So weit hatte ich noch nicht vorausgedacht. Ich hatte angenommen, die Rolle einen Abend lang von irgendeiner Bekannten spielen zu lassen, aber natürlich hatte Brian recht. Ich würde die Fassade eine Zeit lang aufrechterhalten müssen – zumindest bis ich Graham von meinem Wert überzeugt hatte.
An der Tür blieb er stehen. »Ich nehme an, Miss Elliott ist unverheiratet?«
»Das liegt wohl auf der Hand.«
Er schüttelte den Kopf. »Du bist blind, Richard. Die Lösung des Problems liegt direkt vor deinen Augen.«
»Wovon redest du?«
»Du bist ein kluger Mann. Finde es selbst heraus.«
Als er ging, ließ er die Tür offen stehen. Ich hörte ihn noch etwas sagen, das Miss Elliott zum Lachen brachte, ein Laut, den man aus ihrer Richtung nur sehr selten vernahm. Ich griff nach dem Bagel und biss herzhafter hinein, als es erforderlich gewesen wäre.
Worauf zum Henker spielte er an?
Langsam kam mir da so ein Gedanke; schließlich warf ich einen langen Blick zur Tür.
Das konnte unmöglich sein Ernst sein.
Ich stöhnte und ließ den Bagel fallen. Mir war der Appetit vergangen.
Er meinte es absolut ernst.
Fuck.
Das Laufband unter meinen unermüdlich trottenden Füßen summte beharrlich. Ich hatte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen und war finsterster Stimmung. Schweiß rann mir über den Rücken und das Gesicht. Ich griff nach meinem Handtuch, wischte mir energisch den Schweiß ab und warf das Handtuch dann achtlos weg. Aus dem iPod dröhnte laute, harte Musik, die mir jedoch noch nicht laut genug war, also drehte ich weiter auf. Zum Glück war meine Wohnung schalldicht.
Ich lief fast wie im Fieber. Im Dunkel der Nacht hatte ich mir meine Möglichkeiten und Pläne durch den Kopf gehen lassen. Dabei waren mir zwei Einfälle gekommen.
Zuerst hatte ich gedacht, dass ich mich, falls Adrian und Brian mir überhaupt eine Tür öffnen konnten, schon irgendwie durch das Vorstellungsgespräch mogeln und Graham nur vage Einzelheiten über die Frau mitteilen würde, die angeblich meine Weltanschauung und damit mich geändert hatte. Wenn ich es richtig anpackte, würde ich, zumindest bis ich Graham überzeugt hatte, so tun können als ob, und dann würde das Undenkbare passieren – diese perfekte Frau würde mich verlassen. Ich konnte ein gebrochenes Herz mimen und mich Hals über Kopf in die Arbeit stürzen.
Nur leider würde dieser Plan, nach allem, was Brian mir erzählt hatte, wahrscheinlich nicht aufgehen.
Und das bedeutete, dass ich eine leibhaftige Frau vorweisen musste – eine, die Graham davon überzeugte, dass ich ein besserer Mensch war als der, für den er mich hielt. Eine, die, wie er sich ausgedrückt hatte, »bodenständig, warmherzig und fürsorglich« war.
Ich kannte nicht viele Frauen, auf die das zutraf, es sei denn, sie waren bereits über sechzig. Graham würde mir vermutlich nicht abkaufen, dass ich mich in eine Frau verliebte, die doppelt so alt war wie ich. Und keine der Frauen, auf die ich mich einließ, würde seine gestrenge Prüfung bestehen. Ich spielte mit dem Gedanken, jemanden zu engagieren – vielleicht eine Schauspielerin –, aber das erschien mir zu riskant.
Immer hörte ich in Gedanken Brians Worte: Du bist blind, Richard. Die Lösung des Problems liegt direkt vor deinen Augen.
Miss Elliott.
Sein Vorschlag war, Miss Elliott als meine Freundin auszugeben.
Aus einem gewissen Abstand und nüchtern betrachtet, lag er damit gar nicht mal so falsch. Sie wäre die perfekte Tarnung. Wenn Graham mir abnahm, dass ich Anderson Inc. verließ, weil ich mich in meine Assistentin verliebt hatte und sie – und unsere Beziehung – meiner Stellung dort vorzog, würde ich bei ihm entscheidende Punkte machen können. Sie war anders als alle Frauen, mit denen ich zusammen gewesen war. Brian fand sie warmherzig, klug und einnehmend. Andere Menschen schienen sie zu mögen. Pluspunkte ohne Ende.
Abgesehen davon, dass es um Miss Elliott ging.
Ich schaltete stöhnend das Laufgerät ab und langte nach meinem weggeworfenen Handtuch. Ich holte mir eine Flasche Wasser aus der Küche, trank sie hastig aus und schaltete meinen Laptop ein. Ich meldete mich auf der Firmenseite an, durchsuchte die Liste der Angestellten, verharrte bei Miss Elliott und versuchte, unvoreingenommen ihr Foto zu betrachten.
Ich fand nichts Bemerkenswertes an ihr; ihre blauen Augen schauten groß unter langen Wimpern hervor. Ich nahm an, dass sie langes Haar hatte, da ich es nie anders als zu einem festen Knoten aufgesteckt gesehen hatte. Sie hatte sehr helle Haut. Ich fragte mich, wie sie wohl nach einer Behandlung durch eine fachkundige Visagistin und in anständigen Klamotten aussehen würde. Blinzelnd starrte ich auf ihr Bild auf dem Monitor. Sich mal richtig auszuschlafen würde ihr bestimmt nicht schaden, damit sie die tiefen Augenringe loswurde, und ein anderer Speiseplan als Sandwiches mit Erdnussbutter und Marmelade würde ihr sicher auch guttun. So war sie spindeldürr. Ich stand auf Frauen mit ein paar mehr Kurven.
Ich seufzte frustriert und rieb mir den Nacken.
Vermutlich spielten meine Vorlieben in diesem Fall keine Rolle. Es ging um das, was ich brauchte.
Und in dem Fall musste ich zugeben, dass ich Miss Elliott brauchte.
Ich war verflucht.
Als das Telefon schrillte, warf ich einen Blick auf die Rufnummernanzeige und sah überrascht, dass es Brian war.
»Hey.«
»Sorry, wenn ich dich geweckt habe.«
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst halb sieben war. Ich wunderte mich, dass er schon wach war. Ich kannte ihn eigentlich als Langschläfer.
»Ich bin schon eine Weile auf. Was gibt’s denn?«
»Graham erwartet dich heute um elf.«
Als ich aufstand, lief mir ein nervöser Schauer über den Rücken. »Im Ernst? Warum so bald schon?«
»Weil er den Rest der Woche nicht im Haus sein wird und weil ich ihm über Adrian gesagt habe, dass du überlegst, einen Vorstellungstermin in Toronto anzunehmen.«
Ich kicherte. »Ich schulde dir was.«
»Und ob. So viel wirst du mir im Leben nicht zurückzahlen können.« Er gluckste. »Dir ist schon klar, dass nichts dabei herauskommt, wenn es dir nicht gelingt, ihn davon zu überzeugen, dass du dich inzwischen geändert hast, oder? Ich hab bei Adrian ziemlich dick aufgetragen – aber für den Rest musst du schon selber sorgen.«
»Schon klar.«
»Gut. Viel Glück. Lass mich wissen, was du erreichst.«
»Mach ich.«
Ich legte auf, checkte meinen Terminkalender und musste grinsen, als ich sah, dass Miss Elliott ihn gestern Abend noch auf den neusten Stand gebracht hatte. Um acht Uhr hatte ich eine Verabredung zum Frühstück, was bedeutete, dass ich um zehn oder so wieder im Büro sein würde. Ich beschloss daher, gar nicht erst ins Büro zu fahren. Ich hatte eine Idee, wie ich meine sogenannte Freundin in das Vorstellungsgespräch einflechten konnte.
Ich wählte Miss Elliotts Nummer. Es läutete ein paarmal, dann ging sie ran und meldete sich, verschlafen brummend.
»Mm … Hallo?«
»Miss Elliott.«
»Ja?«
Um nicht die Geduld zu verlieren, holte ich erst mal tief Luft. Ich hatte sie offenbar geweckt. Nächster Versuch.
»Miss Elliott, VanRyan hier.«
Ihre Stimme klang heiser und irritiert. »Mr VanRyan?«
Ich seufzte. »Ja.«
Ich hörte heftige Bewegungen und sah vor meinem geistigen Auge, wie sie sich zerzaust im Bett aufrichtete.
Dann räusperte sie sich. »Gibt es, äh, ein Problem, Mr VanRyan?«
»Ich komme heute erst nach der Mittagspause ins Büro.«
Schweigen.
»Sie müssen mir in einer Privatangelegenheit helfen.«
Sie erwiderte etwas einsilbig: »Sie hätten eine SMS schicken können … Sir.«
»Sie müssen zweierlei für mich tun.« Ich redete weiter, ohne den Anflug von Sarkasmus in ihrer Stimme zu beachten. »Wenn David reinkommt und wissen will, wo ich bin, sagen Sie ihm, ich hätte etwas Persönliches zu erledigen, sie wüssten aber weiter von nichts. Ist das klar?«
»Glasklar.«
»Und um elf Uhr fünfzehn müssen Sie mich anrufen. Pünktlich.«
»Soll ich etwas sagen oder nur schwer atmen?«
Verblüfft über ihren Ton, hielt ich den Hörer vom Ohr. Meine PA war anscheinend nicht begeistert, in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf gerissen zu werden. Sie war viel vorlauter als sonst, und ich war unsicher, wie ich damit umgehen sollte.
»Sie sollen mir mitteilen, dass mein Vier-Uhr-Termin auf drei vorverlegt wurde.«
»Noch was?«
»Nein. Und jetzt wiederholen Sie, was ich gerade gesagt habe.«
Als sie einen seltsamen Laut von sich gab, der verdächtig nach einem Grummeln klang, musste ich grinsen. Miss Elliott schien unter den richtigen Umständen tatsächlich so was wie Rückgrat zu haben. Egal, ich musste mich überzeugen, dass sie wach genug war, um meine Anweisungen verstanden zu haben.
»Ich soll David erklären, dass Sie privat unterwegs sind, ich aber nicht weiß, wo. Dann rufe ich Sie pünktlich um elf Uhr fünfzehn an und teile Ihnen mit, dass Ihr Termin um vier auf drei vorverlegt wurde.«
»Gut. Vermasseln Sie es nicht.«
»Aber, Mr VanRyan, das ergibt doch keinen Sinn. Warum sollte …«
Doch ich wollte nichts mehr hören und legte auf.
Das Haus, in dem die Gavin Group untergebracht war, war das genaue Gegenteil des Anderson-Inc.-Gebäudes. Anders als der Wolkenkratzer aus Stahl und Glas, in dem ich jeden Tag arbeitete, war dies ein von Bäumen gesäumter vierstöckiger Backsteinbau. Nachdem ich mich bei dem Wachmann am Eingang angemeldet hatte, der mir freundlich lächelnd einen Besucherausweis aushändigte, stellte ich meinen Wagen ab und ging hinein. Dort nahm mich ein weiterer Wachmann in Empfang, führte mich zu Grahams Büro im obersten Stockwerk und wünschte mir einen schönen Tag.
Kurz darauf begleitete mich eine Sekretärin in einen Besprechungsraum, servierte mir eine Tasse frischen Kaffees und teilte mir mit, dass Graham jeden Moment bei mir sein würde. Ich nahm mir die Zeit, den Raum auf mich wirken zu lassen, wobei mir abermals die Unterschiede zwischen beiden Firmen ins Auge fielen.
Anderson Inc. protzte in jeder Hinsicht. Die Büros und Besprechungsräume waren hochmodern, die vorherrschenden Farben Schwarz und Weiß. Selbst die Dekoration war monochrom und bestand größtenteils aus Metall. Unbequeme, moderne Sessel, dicke Glas- und Schreibtische, helle Parkettfußböden – alles kalt und abweisend. Aber wenn dieser Raum irgendwelche Schlüsse zuließ, befand ich mich nicht mehr in meiner Welt. Heimelige Eichenholztäfelung an den Wänden, ein von gemütlichen Ledersesseln umgebener ovaler Konferenztisch aus Holz, dicke weiche Teppiche unter den Füßen. Ein offener Bereich rechts beherbergte eine überaus brauchbare Küche. An den Wänden einige der erfolgreichen Kampagnen des Unternehmens. Alle gerahmt und geschmackvoll ausgestellt. In den Regalen diverse Auszeichnungen.
An einem Ende des Raums stand eine Tafel für Ideen. Darauf Kritzeleien und Entwürfe. Ich ging hin und sah mir die Abbildungen an. Rasch prägte ich mir die Struktur der skizzierten Kampagne für eine Schuhmarke ein. Nichts daran stimmte.
Eine tiefe Stimme riss mich aus meinen Überlegungen.
»Ihrer Miene nach zu urteilen gefällt Ihnen das Konzept nicht.«
Mein Blick traf auf Graham Gavins leicht amüsierten Gesichtsausdruck. Wir waren uns hier und da auf Branchenempfängen begegnet. Höflich und distanziert, eben professionell, hatten wir uns die Hände geschüttelt und einander zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Er war groß und hatte ein selbstsicheres Auftreten, sein voller weißer Haarschopf glänzte im Lampenschein.
Aus der Nähe fielen mir die Wärme seiner grünen Augen und das tiefe Timbre seiner Stimme auf. Ich fragte mich, ob die Tafel absichtlich stehen gelassen worden war. Als eine Art Test.
Ich zuckte die Achseln. »Das Konzept ist gut, aber nicht neu. Eine Familie, die dasselbe Produkt benutzt. Das gab es bereits.«
Er lehnte sich mit der Hüfte gegen die Tischkante und verschränkte die Arme. »Schon, aber es war erfolgreich. Der Kunde ist Kenner Schuhe. Man will dort nicht nur eine Bevölkerungsgruppe ansprechen.«
Ich nickte. »Und wenn Sie trotzdem nur eine Person zeigen würden?«
»Ich würde gerne mehr hören.«
Ich deutete auf die Abbildung der Familie und klopfte mit dem Finger gegen das kleinste Kind, einen Jungen. »Setzen Sie hier an. Konzentrieren Sie sich auf ihn. Der Ersterwerb des Produkts – von seinen Eltern gekaufte Schuhe. Bleiben Sie bei ihm, während er größer wird, heben Sie ein paar wesentliche Momente in seinem Leben in diesen Schuhen hervor: die ersten Schritte, der erste Schultag, unterwegs mit Freunden, Sport, Verabredungen, Examen, Hochzeit …« Meine Stimme verlor sich.
Graham blieb einen Augenblick stumm, dann begann er zu nicken. »Das Produkt begleitet ihn durchs Leben.«
»Als Konstante. Sie ändern sich – die Schuhe bleiben. Ein ganzes Leben lang.«
»Brillant«, sagte er anerkennend.
Aus irgendeinem Grund wurde mir bei dem Kompliment ganz warm ums Herz, doch ich zog vor dem merkwürdigen Gefühl den Kopf ein. Er stieß sich vom Tisch ab und streckte die Hand aus. »Graham Gavin.«
Als ich ihm Hand gab, stellte ich fest, wie fest er zupackte. »Richard VanRyan.«
»Ich bin schon jetzt beeindruckt.«
Ehe ich antworten konnte, summte mein Handy. Genau zur richtigen Zeit. »Entschuldigung.« Ich sah in der Hoffnung auf ein verlegenes Gesicht aufs Display. »Da muss ich rangehen. Entschuldigung.«
»Kein Problem, Richard.« Er lächelte. »Ich könnte einen Kaffee vertragen.«
Ich drehte mich weg, als ich das Gespräch annahm. »Katharine«, murmelte ich mit gesenkter Stimme.
Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Mr VanRyan?«
»Ja.« Ich lachte leise, weil ich wusste, dass ich sie in allergrößte Verwirrung stürzte. Ich hatte sie vermutlich niemals anders als Miss Elliott genannt, und gewiss nicht mit einer Stimme, wie ich sie gerade eingesetzt hatte.
»Äh, Sie hatten mich gebeten, Sie anzurufen und Ihnen mitzuteilen, Ihr Termin um vier sei auf drei vorverlegt worden.«
»Also um drei?«, wiederholte ich.
»Ja.«
»Ja, gut, ich richte mir das dann so ein. Ist bei dir alles okay?«
Hörbar entsetzt antwortete sie: »Mr VanRyan, geht es Ihnen gut?«
»Natürlich.« Ich konnte nicht widerstehen, sie weiter aufzuziehen. »Wieso?«
»Sie klingen, äh, so anders.«
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich sie in dem Bewusstsein, dass Graham zuhörte. »Alles ist gut.«
»David hat Sie gesucht.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Genau, was Sie mir zu sagen aufgetragen hatten. Er …«
»Was? Was ist passiert?«
»Er hat heute Vormittag so was wie einen Höhenflug.«
David hatte immer einen Höhenflug. »Geh früh in die Mittagspause und schließ das Büro ab. Ich kläre das mit ihm, wenn ich zurück bin«, wies ich sie an und grinste heimlich ins Telefon, während ich meiner Stimme einen besorgten Tonfall gab.
Die Verwirrung verlieh ihr Mut. »Geh früh in die Mittagspause und schließ das Büro ab? Sind Sie betrunken?«
Das war’s. Ich wurde von Lachen geschüttelt. »Tu es einfach, Katharine. Und pass auf dich auf. Wir sehen uns, wenn ich zurück bin.« Immer noch lächelnd beendete ich das Gespräch und drehte mich zu Graham um. »Meine Assistentin«, erklärte ich.
Er sah mich mit einem wissenden Blick an. »Ich denke, ich weiß, weshalb Sie Anderson Inc. verlassen wollen.«
Ich erwiderte seinen Blick und zuckte leicht die Achseln.
Ich hatte ihn.
»Erzählen Sie mir etwas über sich.«
Ich verzog bei der Frage das Gesicht. »Ich glaube, Sie wissen bereits sehr viel über mich. Zumindest wissen Sie von mir.«
Er nickte und trank einen Schluck Kaffee. »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.«
In der Hoffnung, ernst dreinzublicken, beugte ich mich vor. »Menschen ändern sich.«
»Und Sie haben sich geändert?«
»Was ich vom Leben erwarte und wie ich es bekommen kann, hat sich geändert. Deshalb existiert der Mensch, der ich mal war, nicht mehr.«
»So etwas passiert, wenn man sich verliebt.«
»Das finde ich gerade heraus.«
»Anderson Inc. hat, was Beziehungen angeht, sehr strenge Regeln.«
Ich schnaubte. »David duldet Beziehungen zwischen Angestellten weder innerhalb noch außerhalb der Firma. Er meint, das lenke vom Geschäft ab.«
»Und Sie sehen das anders?«
»Ich denke, dass beides geht – mit dem richtigen Partner.«
»Und Sie haben so jemanden gefunden?«
»Ja.«
»Ihre Assistentin?«
Ich schluckte und konnte nur nicken.
»Erzählen Sie mir von ihr.«
Mist. Wenn es ums Geschäftliche ging, konnte ich reden wie ein Wasserfall. Strategien, Standpunkte, Konzepte, Gestaltung – darüber konnte ich stundenlang sprechen. Über mich selbst sprach ich indes kaum einmal, was sollte ich also über eine Frau zum Besten geben, die ich kaum kannte und nicht mal mochte? Ich hatte keine Ahnung. Ich schluckte noch einmal, blickte auf den Tisch und strich mit den Fingern über die glatte Oberfläche. »Sie ist der ungeschickteste Mensch, der mir jemals begegnet ist«, platzte ich dann heraus. Das wenigstens entsprach der Wahrheit.
Als er irritiert das Gesicht verzog, bügelte ich meinen Fehler rasch wieder aus.
»Ich finde es grässlich, wenn sie sich wehtut«, legte ich sanftmütiger nach.
»Natürlich.« Er nickte.
»Sie ist, äh, perfekt.«
Er lachte. »Das sagt jeder über die Frau, die er liebt.«
Ich überlegte fieberhaft und listete in Gedanken alles auf, was ich über sie wusste. »Ihr Name ist Katharine. Die meisten nennen sie Katy, aber ich bevorzuge ihren vollen Namen.«
Das war nur eine halbe Lüge. Schließlich nannte ich sie immer nur Miss Elliott.
Er nickte. »Ein sehr schöner Name. Ich bin sicher, es gefällt ihr, wenn Sie ihn aussprechen.«
Ich musste grinsen, als ich an ihre Reaktion vorhin dachte. »Ich glaube, es verwirrt sie.«
Er wartete, während ich mir meine nächsten Worte zurechtlegte. »Sie ist klein und zierlich. Aber ihre Augen sind wie das Meer – so blau und unergründlich. Alle in der Firma verehren sie. Sie backt Kekse für die Kollegen, die alle lieben.« Ich zögerte und versuchte mir mehr einfallen zu lassen. »Sie mag es nicht, früher als nötig geweckt zu werden. Ihre Stimme wird dann ganz brummig, und ich muss daraufhin jedes Mal lachen.«
Er lächelte ermutigend.
»Sie sorgt dafür, dass ich nie den Überblick verliere – sie ist eine fantastische Assistentin, ohne sie wäre ich aufgeschmissen.« Ich seufzte, da ich nicht sicher war, was ich noch sagen sollte. »Ich habe sie zweifellos überhaupt nicht verdient«, bekannte ich und wusste tief in mir, dass ich die Wahrheit sagte. Mir war klar, dass ich der Schurke in diesem Stück war, besonders wenn man bedachte, was ich in diesem Moment anstellte.
»Wollen Sie sie mit an Bord bringen?«
»Nein!«, rief ich aus. Schließlich wäre dies die Gelegenheit, sie loszuwerden.
»Ich verstehe nicht.«
»Sie, äh … wir wollen eine Familie gründen. Da möchte ich, dass sie zu Hause bleibt; ich würde dann mit jemand anderem arbeiten. Ich möchte, dass sie die Möglichkeit hat, auszuspannen und mal eine Zeit lang das Leben zu genießen – ohne arbeiten zu müssen.«
»Genießt sie es jetzt denn nicht?«
»Das ist in Anbetracht der Situation nicht ganz einfach, außerdem arbeitet sie viel zu viel«, fügte ich in der Hoffnung, das Richtige zu sagen, hinzu. »Sie sieht seit einiger Zeit ziemlich müde aus. Und ich möchte, dass sie so viel Schlaf bekommt, wie sie braucht.«
»Sie wollen für sie sorgen.«
Nun betraten wir vermintes Gebiet. Ich hatte keinen Schimmer, was ich darauf antworten sollte. Ich hatte noch nie den Wunsch verspürt, für jemanden zu sorgen – außer für mich selbst. Trotzdem nickte ich zustimmend.
»Ich nehme an, Sie beide leben zusammen? Vermutlich können Sie nur so einfach Sie selbst sein und sich wie ein Paar verhalten.«
Mist. Daran hatte ich gar nicht gedacht.
»Äh, ja, wir … wir wissen unsere Privatsphäre zu schätzen.«
»Sie sprechen nicht gerne über Ihr Privatleben.«
Ich setzte ein reuiges Lächeln auf. »Nein. Ich bin es gewohnt, alles für mich zu behalten.«
Das jedenfalls war keine Lüge.
»Die Gavin Group ist eine besondere Firma – in vielerlei Hinsicht.«
»Worauf ich mich sehr freue.«
Er deutete auf die Tafel. »Wir glauben an Teamarbeit. Hier genauso wie im Privatleben. Wir entwerfen unsere Kampagnen im Team, jeder profitiert vom anderen, so wie wir vorhin voneinander profitiert haben. Und wir teilen unsere Siege und Niederlagen.« Er zwinkerte. »Auch wenn Letzteres nur sehr selten vorkommt. Ich schätze jeden einzelnen meiner Angestellten.«
»Eine sehr interessante Herangehensweise.«
»Mit der wir erfolgreich arbeiten.«
»Offensichtlich. Ihr Unternehmen hat einen guten Ruf.«
Unsere Blicke trafen sich. Ich sah ihn unverwandt, mit offenem und, wie ich hoffte, aufrichtigem Gesichtsausdruck an.
Er lehnte sich bequem zurück. »Erzählen Sie mir mehr über Ihre Idee.«
Ich entspannte mich nun ebenfalls. Das war leicht – viel leichter, als über Katharine Elliott zu sprechen.
Eine Stunde später erhob sich Graham Gavin. »Ich bin bis Freitag nicht im Haus. Aber meine Frau und ich würden Sie gerne am Samstag zu einer Grillparty einladen. Ich möchte, dass Sie meine Frau und ein paar andere Leute kennenlernen.«
Mir war klar, was das hieß. »Herzlich gerne, Sir. Vielen Dank.«
»Natürlich mit Katharine.«
Ich ergriff mit ungerührter Miene seine ausgestreckte Hand. »Sie wird begeistert sein.«
Als ich ins Büro zurückkam, saß Miss Elliott an ihrem Schreibtisch. Obwohl sie telefonierte, spürte ich, dass sie mich beobachtete, als ich ihren Blickwinkel kreuzte. Sie rechnete zweifellos mit einem Zornesausbruch wegen irgendeiner neuen, beliebig herausgepickten Verfehlung. Stattdessen nickte ich nur, ging weiter zu meinem Schreibtisch und blätterte durch die Nachrichten und den kleinen Stapel Papiere, die darauf warteten, von mir abgezeichnet zu werden. Seltsam desinteressiert stand ich wieder auf und betrachtete die Skyline und die Stadt unter mir, deren geschäftiges Treiben durch das Glas und die Höhe gedämpft wurde. Der Ausblick und Geräuschpegel unterschieden sich gewiss enorm von denen aus dem Gebäude der Gavin Group.
Alles würde dort anders sein.
Wenn ich aus einem Meeting mit David kam, lagen häufig meine Nerven blank und ich stand komplett unter Spannung. Er wusste bei allen seinen Mitarbeitern, wo er den Hebel ansetzen musste, was er sagen und tun musste, um genau das zu bekommen, was er wollte – im Guten wie im Schlechten. Allerdings war mir das bis zu diesem Augenblick nicht klar gewesen. Nach dem Gespräch mit Graham indes war ich, selbst unter den aufreibenden Voraussetzungen, unter denen ich ihn getroffen hatte, die Ruhe selbst.
Als ich mich auf den Mann und seine Firma vorbereitete, hatte ich immer wieder von seinem freundlichen Wesen und seiner großzügigen Art gelesen. Im Grunde war David der Einzige, der eine Antipathie gegen ihn hatte, ansonsten hatte ich nichts Negatives über ihn gehört. Als ich mit ihm zusammensaß und meine Vorstellungen für die Schuhkampagne mit ihm diskutierte, hatte ich sogar eine Begeisterung gespürt, die mir davor lange Zeit gefehlt hatte. Ich hatte mich kreativ und energiegeladen gefühlt. Graham hörte wirklich zu, er ermutigte meinen Gedankengang durch positive Rückkopplungen und fügte eigene Ideen hinzu. Zu meiner Überraschung gefiel mir seine Vorstellung von Teamwork. Ich fragte mich inzwischen, wie es wohl sein würde, mich nicht mehr jeden Tag unter den Halsabschneidern bei Anderson Inc. zu bewegen. Wie es sein mochte, mit anderen Menschen zu arbeiten und nicht gegen sie. Wäre das womöglich ein besseres Leben? Einfacher wäre es bestimmt, dessen war ich mir sicher. Allerdings nahm ich nicht an, dass es deshalb weniger spannend wäre.
Vor allem wusste ich nach unserem Gesprächstermin, dass mein Wunsch, für Graham Gavin zu arbeiten, nicht mehr ausschließlich von Rachegedanken beflügelt wurde. Ich wollte diese Begeisterung – ich wollte auf die von mir entwickelten Kampagnen stolz sein. Eine durchaus unerwartete, aber keineswegs unangenehme Situation.
Als meine Tür schlug, wandte ich mich um und runzelte ob meines grob unterbrochenen Gedankengangs die Stirn.
»David.« Ich sah ihn unverblümt an. »Gut, dass ich nicht im Kundengespräch war.«
»Katy hat mir gesagt, dass du Zeit hast. Sie hat dich angerufen, aber du bist nicht rangegangen.«
Offenbar war ich so in Gedanken gewesen, dass ich die Gegensprechanlage nicht gehört hatte. Das war neu.
»Was kann ich für dich tun?«
Er nahm streitlustig die Schultern zurück. »Wo hast du heute Vormittag gesteckt? Ich hab dich gesucht, und du bist weder ans Telefon gegangen noch hast du auf meine Nachrichten reagiert.«
»Ich hatte einen privaten Termin.«
»Deine Assistentin sagte, du warst beim Arzt.«
Ich wusste, dass er log. Man musste Miss Elliott lassen, dass meine Geheimnisse bei ihr sicher waren. Dennoch ließ ich es drauf ankommen. »Keine Ahnung, wieso sie so etwas sagen sollte. Ich habe Miss Elliott nicht verraten, wo ich sein würde. Es war, wie gesagt, eine Privatangelegenheit.«
Er sah mich finster an, ließ das Thema aber fallen. Er ging herum und tätschelte seine mutwillig kaschierte kahle Stelle am Kopf, eine Geste, die ich nur zu gut kannte. Jetzt würde er sich auf mich stürzen. Er wirbelte zu mir herum. »Warum war Brian Maxwell neulich hier?«
Ich zuckte die Achseln und wandte mich, um mein Grinsen zu verbergen, wieder meinem Schreibtisch zu. Nun wusste ich, worum es hier ging.
»Brian und ich sind Freunde. Er hat sich mit mir zum Golfspielen verabredet.«
»Und das konnte er nicht telefonisch erledigen?«
»Er hatte in der Nähe zu tun. Außerdem flirtet er gerne mit Miss Elliott, deshalb kam er persönlich hereingeschneit. Hast du damit ein Problem?«
»Was führst du im Schilde?«
Ich hob beschwörend die Hände. »Ich führe gar nichts im Schilde, David. Außer einer Runde Golf und ein paar Stunden außerhalb des Büros. Aber stauch mich ruhig zusammen, wenn dir danach ist.« Ich griff nach den Papieren. »Hättest du nachgesehen, wüsstest du, dass ich noch eine Menge Resturlaub hab – zieh die zwei Stunden heute Morgen davon ab.«
»Ich behalte dich im Auge«, warnte er mich, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte hinaus. Die Tür schlug so heftig ins Schloss, dass die Fensterscheiben klirrten.
Ich grinste die Tür an. »Mach nur, David. Ich bin sowieso bald weg.«
Ich streckte mich über den Schreibtisch und schlug auf die Gegensprechanlage.
Miss Elliott meldete sich misstrauischer als sonst. »Mr VanRyan?«
»Ich brauche einen Kaffee, Miss Elliott.«
»Noch etwas, Sir?«
»Ein paar Minuten Ihrer Zeit.«
Sie schnappte nach Luft. »Jetzt sofort?«
Ich drehte meinen Sessel wieder zum Fenster und seufzte schwer. Ich konnte nicht fassen, was ich vorhatte.
Hoffentlich vermasselte ich es nicht. So wahr mir Gott helfe – so oder so.
»Ich verstehe nicht«, murmelte ich ins Telefon und versuchte, Ruhe zu bewahren. »Ich habe keine Mitteilung über diese Erhöhung bekommen.«
»Ich weiß, Miss Elliott, wir haben die Anweisung erst vor zwei Tagen erhalten, deshalb rufe ich Sie ja an, um Sie von dieser Änderung in Kenntnis zu setzen.«
Ich würgte den Kloß in meinem Hals hinunter. Jeden Monat vierhundert Dollar mehr. Ich musste jeden Monat vierhundert Dollar mehr zahlen.
»Haben Sie gehört, Miss Elliott?«
»Entschuldigung. Könnten Sie noch mal wiederholen, was Sie gerade gesagt haben?«
»Ich sagte, die Gebührenanpassung tritt zum nächsten Ersten in Kraft.«
Ich sah auf den Kalender. Das war in zwei Wochen.
»Ist das überhaupt erlaubt?«
Die Frau am anderen Ende seufzte verständnisvoll. »Das Heim wird privat geführt, Miss Elliott. Sie finden kaum ein besseres in der Stadt, aber dafür gelten eben eigene Regeln. Natürlich können Sie sich nach anderen Heimen umsehen, in die Ihre Tante umziehen könnte. Staatlich geführte, erschwinglichere Heime.«
»Nein«, beharrte ich, »das möchte ich nicht. Es geht ihr dort gut, und sie hat sich daran gewöhnt.«
»Es gibt nirgendwo sonst so gutes Personal. Aber Sie könnten sie in ein anderes Zimmer verlegen lassen, wo sie allerdings nicht mehr für sich wäre.«
Ich rieb mir frustriert die Stirn. Andere Zimmer hatten keine Aussicht auf den Garten – und es gab nicht genug Platz für Pennys Staffeleien und ihre Kunstbände. Sie wäre dort total unglücklich und verloren. Ich musste ihr, komme, was wolle, das Einzelzimmer erhalten.
Da kam Mr VanRyan ins Büro und starrte mich an. Ich zögerte, noch etwas zu sagen, da ich nicht wusste, ob er stehen bleiben würde. Doch er ging weiter, betrat sein Büro und schloss leise klickend die Tür hinter sich. Er schenkte mir keinerlei Beachtung. Nicht, dass er das jemals getan hätte, es sei denn, um mich anzuschreien oder zu verwünschen. Deshalb konnte ich davon ausgehen, dass der seltsame Anruf, den ich für ihn tätigen musste, zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war.
»Miss Elliott?«
»Entschuldigung, ich bin in der Arbeit, und mein Chef ist gerade hereingekommen.«
»Haben Sie noch etwaige Fragen?«
Ich hätte sie am liebsten angebrüllt: Ja! Wie zum Teufen soll ich vierhundert Dollar mehr auftreiben, um sie Ihnen in den Rachen zu schmeißen? Aber ich wusste, dass das sinnlos war. Die Frau arbeitete ja nur in der Buchhaltung, Entscheidungen traf sie keine.
»Momentan nicht.«
»Sie haben ja unsere Nummer.«
»Ja, danke.« Ich legte auf. Auf jeden Fall hatte das Heim meine Nummer.
Ich starrte auf meinen Schreibtisch, meine Gedanken rasten mit einer Meile pro Minute. Anderson Inc. bezahlte mich gut – und da ich für Mr VanRyan arbeitete, war ich eine der am besten entlohnten PAs. Er war ein grässlicher Chef – grässlich, wie sehr er mich offensichtlich verabscheute. Aber egal, ich ließ das für das Extrageld über mich ergehen, das in Penny Johnsons Pflege floss.