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Serienmörder sind im eigentlichen Sinne nichts besonderes, jedoch, dass was sie tun ist es. Experten rühmen sich damit zu wissen, was ein Serienmörder ist. Das ungebremste Töten von Menschen zu verschiedenen Ereignissen in bestimmten Zeiträumen mag an dieser Stelle als erste lapidare Definition genügen. Alles andere ist nach meiner Ansicht Unsinn und soll dem gesellschaftlichen Anliegen Rechnung tragen, auch dieses scheinbar abgründige menschliche Verhalten wenigstens statistisch erklären zu wollen und die albernen und fast schon, ja, borderlinehaften und teils schon debil anmutenden Interpretationsversuche der Psychologie, Psychiatrie oder der Neurowissenschaften einigermaßen plausibel erscheinen zu lassen. Denn was zu dieser Thematik von Wissenschaften verkündet wird, ist eine Frechheit und Dreistigkeit, wiederum aber ein Spiegelbild der völlig verblödeten Gesellschaften und Kulturen. Aber solange von unhaltbaren Definitionen und stupiden statistischen Zahlenspielereien ausgegangen wird, kann dieses Phänomen auch nicht erklärt werden, ohne das es ins Lächerliche abgleitet. Jedenfalls kann es nicht mit den grotesken und , pardon, teils förderschulartigen Versuchen und Methoden der Wissenschaften erklärt werden, wie in diesem Buch zu lesen sein wird. Tatsächlich aber wird impertinenterweise unterstellt, der interessierte Laie sei ignorant und das sakrosankte Wort des Akademikers ist unumstößlich auch wenn dieses Wort nur oberflächliches Geschwätz darstellt und somit natürlich evidenterweise auch die mentale Verfassung des Redners widerspiegelt. Es ist schon fast, wenn es nicht so ein ernstes Thema wäre, humorvoll zu sehen, wie die kulturelle Debilität langsam aber stetig Besitz ergriffen hat von einst seriösen und absichtsvollen wissenschaftlichen Disziplinen, die eigentlich heute nach ihren Äußerungen unter heilpädagogische Vollbetreuung gehören oder zumindest psychotherapeutisch begleitet werden sollten. Denn was hier Wissenschaftler von sich geben würde in anderen Berufen mindestens zu einem sofortigen Berufsverbot führen. Gleichwohl stellt sich die Frage was noch von einer Gesellschaft zu erwarten ist, die so etwas auch noch toleriert und für normal hält? Schulen und leider auch Universitäten sind zu Stätten der reinen Massenverblödung mutiert und demzufolge kann von dieser Seite natürlich vorerst nichts mehr erwartet werden. Ob mit oder ohne Rechtschreibfehler-Die Fakten bleiben trotzdem.
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Seitenzahl: 410
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Von freundlichen Serienkillern
sympathischen Pädophilen, liebevollen Kindermördern
und Dem, das sie (nicht!?) dazu machte
Tödliche Natur
Auch das Böse ist gut, es ist die unterste Stufe des vollkommen Guten
( Baal Schem Tov )
Ein Erklärungsansatz des Phänomens Serienmord aus
scheinbar multifaktoriellen Ursachen, soziokulturellem Kontext und anderen wenig schlüssigen Hypothesen.
„ Das Problem der Ordnung war seit jeher das fundamentale theoretische und praktische Problem der Menschen. Die Gesetzlosigkeit, die angeblich überall in der Welt zu sehen war, sollte immer wieder durch Formen der Ordnung beseitigt werden. Alle Weltanschauung beruthe auf der unverrückbaren Gesetzmäßigkeit der Natur. Die Naturgesetze waren der Beweis für die Existenz einer bestehenden Ordnung in der Natur, von der aus auf eine natürliche Ordnung auf der gesellschaftlichen Ebene geschlossen werden konnte. Das Natürliche hatte gleichsam normative Bedeutung“.
Laurent Verycken-Formen der Wirklichkeit
„ Ich möchte, dass sie meine Liebe an meine Familie und Freunde weitergeben“ Theodore „Ted“ Robert Bundey. US-Serienkiller. 24.11.194624.1.1989
Der wegen 53- fachen Mordes verurteilte T.R Bundey entsprach bis ins Detail einem klassischen Serienmörder-profil: offen, sympathisch, freundlich, hilfsbereit....Der nette Junge von nebenan... Eine Aussage die einmal mehr von statistischer Stupidität zeugt...
Foto: Federal Bureau of Investigation , USA
Die einwohnende Herrlichkeit umfasst alle Welten, alle Kreaturen Gut und Böse, und sie ist die wahre Einheit.
Aber da ist kein Gegensatz, denn das Böse ist der Thronsitz des Guten
Rabbi Israel ben Eliesergenannt Baal Schem Tov ( ca. 1700-1760 )
Prolog
Kapitel 1
1.1 Der Ripper von Rostow
1.2 Die (Un)-Normalität des A.R.Tchikatilo
Kapitel 2
2.1. Der Coast to Coast Killer oder Hightech und die Struktur des Geistes
Kapitel 3
3.1. Von liebevollen Pädophilen und sympathischen Kindermördern oder Arkadien hielt nicht sein Versprechen
Kapitel 4
4.1. Über Wissenschaften und andere Wissen schaffende Systeme oder das Problem mit der Menschwerdung
Kapitel 5
5.1. Das mörderische Gehirn Erkenntnisse zur Physiologie des Geistes
Kapitel 6
6.1. Vom Töten der Serienmörder oder Die Illusion von Moral, Ethik und dem Bösen
Kapitel 7
7.1. Serienmörder und ihre Taten oder Jack the Ripper, Zodiac-Killer und Co.
Epilog
Literatur
Bildquellenverzeichnis
Dieses Buch handelt über das serielle Töten und dem „klassischen“ Serienmörder so wie wir ihn aus Film und Zeitung kennen. Wir alle wissen, oder glauben zu wissen, was ein Serienmörder ist. Das multizide1Phänomen des ungebremsten Tötens von Menschen in verschiedenen Ereignissen in bestimmten Zeiträumen mag an dieser Stelle als Definition genügen. Alles andere ist nach meiner Ansicht Wortklauberei und soll dem gesellschaftlichen Anliegen Rechnung tragen auch dieses scheinbar abgründige menschliche Verhalten wenigstens statistisch erklären zu wollen und die hilflosen und phrasenreichen Deutungsversuche der Psychologie, Psychiatrie oder der Neurowissenschaften einigermaßen plausibel erscheinen zu lassen! Ich könnte mich jetzt damit begnügen und das ganze Thema lapidar und lakonisch herunterleiern wie eine tibetische Gebetsmühle, könnte einen Wust an möglichen Ursachen vortragen, angefangen von einer unheilvollen Kindheit mit dem trinkenden Vater und der vergnügungssüchtigen Mutter, einer unsäglich grausamen Pubertät deren Auswirkungen bis ins adulte Dasein reichen, und würde doch nichts damit erklären.
Denn das was die zuständigen Wissenschaften vorbringen ist ein Konglomerat an scheinbaren Erkenntnissen und Theorien die wie so oft alles erklären sollen und dennoch nichts aussagen.. Die letztendliche Kausalität bleibt im Dunklen. Aber solange von starren Definitionen und statistischen Zahlenspielereien ausgegangen wird kann dieses Phänomen auch nicht erklärt werden.
Das Phänomen des Serienmordes2 ist kein neues. Ob Jung oder Alt, Mann oder Frau, ob in Los Angeles, Düsseldorf oder in den chinesischen Wudang-Bergen, ob im Mittelalter oder in der Neuzeit: Es reifen Persönlichkeiten heran die in Ihrer weiteren Entwicklung und Ihrem Werdegang zu wahren Tötungsmaschinen mutieren. Was veranlasst diese Menschen dazu, anderen mit bloßen Händen Hoden abzureißen, Ihnen bei vollem Bewusstsein die Augen auszustechen, sie zu foltern und zu quälen um dann aus Ihrer Sicht einen genussvollen und befreienden Tötungsakt zu begehen? Was sind das für Menschen, die mit für uns unvorstellbarer Grausamkeit und widerwärtigster Brutalität töten, die mit eiskalter Präzision einem lockenden Ruf folgen der Tod und Verderben bringt, die mit kalten Augen, hinter denen ein mächtiges Feuer lodert, ihren schaurigen Musterplan in die Tat umsetzen und sich scheinbar über alle Grenzen hinweg zu erheben scheinen? Sie fühlen sich Gott gleich, erhaben zu sein über anderes Leben, sie fühlen sich als Richter: sie lassen Gnade walten oder sprechen den Tod aus; und gleichzeitig sind sie auch der Henker, der Vollstrecker der auserwählt ist, den zuvor in Gedanken gefassten vermeintlichen Schuldspruch zu erfüllen.
Doch was ist nun die Triebfeder, die vermeintliche Ursache oder wenigstens der Auslöser der das ganze Geschehen Realität werden lässt? Gibt es überhaupt eine Ursache? Diese Frage mag a prima Vista etwas merkwürdig erscheinen; aber ist sie bei weitem nicht.
Denn Ursache und Wirkung werden im Verlaufe dieses Buches ihre Grenzen verlieren, ihre Polarität wird sich nach und nach auflösen und letztendlich...
Aber bevor ich diesen Satz vollenden kann müssen wir uns auf eine lange und unübersichtliche Reise in die auch bis heute noch größtenteils unbekannten Dimensionen und Tiefen des sogenannten menschlichen Geistes begeben oder zumindest zu dem was Menschen als Geist definiert haben; begeben wir uns zu den vermeintlichen Quellen der menschlichen Psyche oder zumindest zu dem was heute unter der Psyche eines Menschen verstanden werden will.
Begeben wir uns auf die Suche nach der unbedingten Information die es augenscheinlich ermöglicht das Menschen zu ( willenlosen? ) Monstern pervertieren so wie es der „ normale“ Mensch deutet. Aber was ist dann Normal? Wer definiert dies? Gibt es überhaupt ein Bewußtsein, einen Geist? Existieren wir als denkende Menschen überhaupt? Ist das, was wir heute als Gesellschaft bezeichnen und die damit einhergehende Kultur vielleicht schon selbst nicht normal? Kann dies möglicherweise schon eine Art Perversion, ein perfider menschenverachtender Auswuchs des menschlichen Geistes sein? Entscheidet ein Serienmörder , ein Pädophiler oder Kindermörder tatsächlich aus dem freien Willen heraus? Unterliegt er Zwängen? Kann ein Mensch frei entscheiden Gutes oder Böses zu tun?
Eifrig bemühen sich Wissenschaftler weltweit das Problem mittels spezieller Hirn-Scan-Aufnahmen zu lösen. Ein Trugschluss, wie sich noch herausstellen wird und wie immer ein plumper und infantiler Versuch der ( Human,-)-Wissenschaften von Strukturdefekten auf Verhalten zu schließen und umgekehrt.
Doch begeben wir uns nun auf die angekündigte Reise zu all den vorgenannten Bereichen und hoffen das wir nicht am Ende dieser Reise ein Zitat des deutschen Dichters Friedrich Schiller anwenden müssen, der uns da zuruft:
Verwünscht! Dreimal verwünscht sei diese Reise!
( Schiller, Piccolomini )
Anmerkung des Verfassers.Dieses Buch enthält aufgrund der sehr komplexen Thematik neben meinen eigenen Ansichten und Perspektiven auch zahlreiche aktuelle Berichte und Statements aus der neuen Forschung und Untersuchungsergebnisse der verschiedensten Art. Mit den entsprechenden Quellenangaben kann der Leser dann auch in eigener Verantwortung seine Meinung bilden und sich einen Überblick verschaffen. Denn was momentan von einigen Autoren zu diesem Forschungsgegenstand des multiziden Tötens teilweise publiziert wird, ist, mit Verlaub ausgedrückt ein Sammelsurium allgemeiner wenig aussagender Theorien. Um das Ganze zu kaschieren werden recht dubiose Interviews mit inhaftierten Straftätern geführt die dann die wahre Ursache eruieren sollen.
Es ist dann hier so wie in der Psychologie. Unter fast klinischen Bedingungen werden einzelne Begebenheiten ohne Berücksichtigung des Gesamtkontextes in einem vielleicht 60,-minütigen Interview erörtert um dann vollmundig seine ( die des Interviewers) eigenen Schlussfolgerungen darzustellen. Eine wenig verlässliche und höchst subjektive Massnahme.
Man sollte sich etwas mehr Mühe geben bei der Recherche und weniger auf Hollywoodeffekte spekulieren.
1 Per definitionem spricht man von Serienmord ab drei vollendeten Tötungen.
2 Die Auswahl der in diesem Buch dargestellten Serienmörder geschah rein stochastisch. Lediglich zur besseren Erklärung der Begriffe wie Psyche, Geist usw. habe ich rein zufällig diese Täter ausgewählt.
Seit dreißig Jahren versuche ich nachzuweisen, daß es keine Kriminellen gibt, sondern normale Menschen, die kriminell werden.
( Georges Simenon 1903-1989 Belgischer Schriftsteller )
Der Ripper von Rostow oder Was ist normal?
Normal! Ein Wort, ein Begriff, eine Umschreibung für etwas, das wir tagtäglich mehr oder weniger oft hören:
„ Aber das ist doch normal...!“, „ Der ist doch nicht ganz normal...!“, „ Was ist schon normal...?“; und genau darum geht es in diesem Kapitel bzw. in diesem Buch.
Was ist normal? Normal ist was alle tun oder zumindest die Mehrheit tut!
So könnte man ganz grob und undifferenziert postulieren was der Mensch unter dem Begriff des Normalen versteht. Dies ist natürlich stark vereinfacht und simpel ausgedrückt. Aber ebenso simpel und einfach ist das Normale aus der Kultur,-und Zivilisationsgeschichte der Menschheit entstanden.
Diente es doch eigentlich und ursprünglich dem Überleben einer Gemeinschaft oder späteren Gesellschaft. Denn was alle taten konnte nicht schaden und mußte nur noch durch rigide Regeln und Gesetze fixiert werden. Dies ging auch über einen langen Zeitraum gut bis allerdings dann einige Menschen auf die Idee kamen das Ganze zu hinterfragen und schließlich zu dem Ergebnis kamen, das Normalität eigentlich nur eine Sache der subjektiven Definition und Ansicht darstellt und keineswegs eine anzuordnende Tugend ist die dann auch noch die abenteuerlichsten sozialen Blüten treibt, wie wir noch sehen werden. Alle sog. sozialen Gruppen wie Familie, Gemeinschaft und die Gesellschaft als höchste Form des Zusammenlebens in einem Staat oder anderem politischen Gefüge erfuhren dann in ihrer weiteren Kultivierung das Vorschriften, Normen, Ge-und Verbote und schließlich Gesetze nur in einem bedingten Rahmen die Fähigkeit des menschlichen Geistes einschränken konnte beides, Normal und eben Unnormal, zu unterscheiden.
Der Literaturwissenschaftler Romanist und Germanist Jürgen Link bemerkte einst "Offenbar erweitern sich die Normalitätsspektren und ihre Spreizung“. Frei übersetzt: Was in früheren Zeiten nicht normal war kann heute als gesellschaftsfähig gelten und ist vom sozialen und kulturellen Hintergrund abhängig.
Normal bedeutet nach der menschlichen Definition das etwas die Norm betrifft, also sich typisch und Regelkonform darstellt; ein Maßstab, eine Richtschnur wie die lateinische Übersetzung des Normalen, das Norma bedeutet. Demnach ist das Normale u.a. nicht mehr als eine statistische Größe, die, wie alle Statistik, alles und nichts aussagen kann und in hohem Masse abhängig ist vom Urheber der Zahlenspielerei.
Daneben werden noch zwei andere Arten der sog.
Norm unterschieden. Zum einen die sog. Ideal-Norm, die einen wünschenswerten Zustand erreichen möchte, und das realistischere Gegenstück der sog.
funktionalen Norm, die das Verhalten eines Individuums als der Norm entsprechend angemessen beurteilt. Gesehen werden muß dieses absolut künstliche Adjektiv vor dem sozio-kulturellen Background oder besser gesagt vor dem gesellschaftlichen Hintergrund.
Hundefleisch in China zu verzehren gilt dort als normal und würde in unseren Breiten Empörung und entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen.
Allerdings betrachten wir es wiederum als normal wenn eben jene Tiere und andere Lebewesen einen qualvollen und langen Tod sterben in dubiosen Versuchslaboratorien um vermeintlichen Nutzen für Medikamente oder Gesichtscremes zu erzielen. Zwar erfolgt auch hierzulande manchmal ein Aufschrei des Entsetzens; doch geht unser vermeintliches Wohlbefinden und eine schöne Haut doch über das Leben eines „ niederen“ Lebewesens hinaus. Ethik und Moral, um diese hehren philosophischen Begriffe hier schon einmal zu verwenden, waren immer schon recht flexibel und variabel in ihrer (Be-)deutung und praktischen Anwendung und sind stets abhängig vom Deutenden und seiner Umgebung.
Das heute unzählige Menschen durch staatliche Willkür in Armut und höchste Existenz,-und Lebensangst gezwungen werden, wie man unschwer am sog. „Hartz-IV“-Programm ersehen kann, mag auch an dieser Stelle als erster Hinweis für latente und tatsächliche Destruktivität der menschlichen Gesellschaft dienen. Doch auch dazu später mehr.
Serienmörder kommen nicht von ungefähr um es salopp auszudrücken.
Der deutsche Anarchist und Schriftsteller Rudolf Rocker ( 1873-1958 ) der zuletzt in den USA lebte, bemerkte zur menschlichen Gesellschaft bzw. zum Staatswesen folgendes:
" Politische Herrschaft strebt immer nach Uniformität. In ihrer blöden Sucht, alles gesellschaftliche Geschehen nach bestimmten Grundsätzen ordnen und lenken zu wollen, ist sie stets darauf erpicht, alle Gebiete menschlicher Betätigung einer einheitlichen Schablone zu unterwerfen. Damit gerät sie in einen unlösbaren Gegensatz mit allen schöpferischen Kräften des höheren Kulturgeschehens, das stets nach neuen Formen und Gestaltungen Ausschau hält, infolgedessen an das Mannigfaltige und Vielseitige des menschlichen Strebens ebenso gebunden ist, wie die politische Macht an die Schablone und die starre Form gebunden ist“.RUDOLF ROCKER, Nationalismus und Kultur, Bremen o.J., Bd.1, S.18
Als der große deutsche Lyriker Rainer Maria Rilke ( 18751926) in den Jahren 1899/1900 nach Russland reiste und dort dem russischen Schriftsteller Leo N. Tolstoi ( 18281910) begegnete, war er sehr von der„ russischen Seele“ beeindruckt. Leo Tolstoi mag ihn dann auch in seinem später verfassten Brief an den Schriftsteller und Journalisten Franz Xaver Kappus ( 1883-1966 ) beeinflusst haben der von einer sehr tiefsinnigen Psychologie und großem Humanismus geprägt ist.
Ich möchte diesen Brief dem Leser nachfolgend zur Verfügung stellen um diese wundervolle und gleichsam einfache „ Psycho-analyse“ mit als einen Maßstab für dieses Buch zu nehmen. Wie einfach können oft Dinge erklärt oder dargestellt werden ohne schwülstige Manierismen und Terminologien wie es in den Wissenschaften oftmals, nein eigentlich fast immer der Fall ist.
Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will“
(Rainer Maria Rilke)
An Franz Xaver KappusBorgeby gård, Flädie, Schweden, am 12. August 1904
Mein lieber Herr Kappus, Ich will wieder eine Weile zu Ihnen reden, lieber Herr Kappus, obwohl ich fast nichts sagen kann, was hilfreich ist, kaum etwas Nützliches. Sie haben viele und große Traurigkeiten gehabt, die vorübergingen. Und Sie sagen, daß auch dieses Vorübergehen schwer und verstimmend für Sie war. Aber, bitte, überlegen Sie, ob diese großen Traurigkeiten nicht vielmehr mitten durch Sie durchgegangen sind? Ob nicht vieles in Ihnen sich verwandelt hat, ob Sie nicht irgendwo, an irgendeiner Stelle Ihres Wesens sich verändert haben, während Sie traurig waren? Gefährlich und schlecht sind nur jene Traurigkeiten, die man unter die Leute trägt, um sie zu übertönen; wie Krankheiten, die oberflächlich und töricht behandelt werden, treten sie nur zurück und brechen nach einer kleinen Pause um so furchtbarer aus; und sammeln sich an im Innern und sind Leben, sind ungelebtes, verschmähtes, verlorenes Leben, an dem man sterben kann. Wäre es uns möglich, weiter zu sehen, als unser Wissen reicht, und noch ein wenig über die Vorwerke unseres Ahnens hinaus, vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit größerem Vertrauen ertragen als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes; unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit, alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille, und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt. Ich glaube, daß fast alle unsere Traurigkeiten Momente der Spannung sind, die wir als Lähmung empfinden, weil wir unsere befremdeten Gefühle nicht mehr leben hören. Weil wir mit dem Fremden, das bei uns eingetreten ist, allein sind, weil uns alles Vertraute und Gewohnte für einen Augenblick fortgenommen ist; weil wir mitten in einem Übergang stehen, wo wir nicht stehen bleiben können. Darum geht die Traurigkeit auch vorüber: das Neue in uns, das Hinzugekommene, ist in unser Herz eingetreten, ist in seine innerste Kammer gegangen und ist auch dort nicht mehr, - ist schon im Blut. Und wir erfahren nicht, was es war. Man könnte uns leicht glauben machen, es sei nichts geschehen, und doch haben wir uns verwandelt, wie ein Haus sich verwandelt, in welches ein Gast eingetreten ist. Wir können nicht sagen, wer gekommen ist, wir werden es vielleicht nie wissen, aber es sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Zukunft in solcher Weise in uns eintritt, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht. Und darum ist es so wichtig, einsam und aufmerksam zu sein, wenn man traurig ist: weil der scheinbar ereignislose und starre Augenblick, da unsere Zukunft uns betritt, dem Leben so viel näher steht als jener andere laute und zufällige Zeitpunkt,da sie uns, wie von außen her, geschieht. Je stiller, geduldiger und offener wir als Traurige sind, um so tiefer und um so unbeirrter geht das Neue in uns ein, um so besser erwerben wir es, um so mehr wird es unser Schicksal sein, und wir werden uns ihm, wenn es eines späteren Tages «geschieht» (das heißt: aus uns heraus zu den anderen tritt), im Innersten verwandt und nahe fühlen. Und das ist nötig. Es ist nötig und dahin wird nach und nach unsere Entwicklung gehen -, daß uns nichts Fremdes widerfahre, sondern nur das, was uns seit lange gehört. Man hat schon so viele Bewegungs-Begriffe umdenken müssen, man wird auch allmählich erkennen lernen, daß das, was wir Schicksal nennen, aus den Menschen heraustritt, nicht von außen her in sie hinein. Nur weil so viele ihre Schicksale, solange sie in ihnen lebten, nicht aufsaugten und in sich selbst verwandelten, erkannten sie nicht, was aus ihnen trat; es war ihnen so fremd, daß sie, in ihrem wirren Schrecken, meinten, es müsse gerade jetzt in sie eingegangen sein, denn sie beschworen, vorher nie Ähnliches in sich gefunden zu haben. Wie man sich lange über die Bewegung der Sonne getäuscht hat, so täuscht man sich immer noch über die Bewegung des Kommenden. Die Zukunft steht fest, lieber Herr Kappus, wir aber bewegen uns im unendlichen Raume. Wie sollten wir es nicht schwer haben? Und wenn wir wieder von der Einsamkeit reden, so wird immer klarer, daß das im Grunde nichts ist, was man wählen oder lassen kann. Wir sind einsam. Man kann sich darüber täuschen und tun, als wäre es nicht so. Das ist alles. Wieviel besser ist es aber, einzusehen, daß wir es sind, ja geradezu, davon auszugehen. Da wird es freilich geschehen, daß wir schwindeln; denn alle Punkte, worauf unser Auge zu ruhen pflegte, werden uns fortgenommen, es gibt nichts Nahes mehr, und alles Ferne ist unendlich fern. Wer aus seiner Stube, fast ohne Vorbereitung und Übergang, auf die Höhe eines großen Gebirges gestellt würde, müßte Ähnliches fühlen: eine Unsicherheit ohnegleichen, ein Preisgegebensein an Namenloses würde ihn fast vernichten. Er würde vermeinen zu fallen oder sich hinausgeschleudert glauben in den Raum oder in tausend Stücke auseinandergesprengt: welche ungeheure Lüge müßte sein Gehirn erfinden, um den Zustand seiner Sinne einzuholen und aufzuklären. So verändern sich für den, der einsam wird, alle Entfernungen, alle Maße; von diesen Veränderungen gehen viele plötzlich vor sich, und wie bei jenem Mann auf dem Berggipfel entstehen dann ungewöhnliche Einbildungen und seltsame Empfindungen, die über alles Erträgliche hinauszuwachsen scheinen. Aber es ist notwendig, daß wir auch das erleben. Wir müssen unser Dasein so weit,als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann. Daß die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man «Erscheinungen» nennt, die ganze sogenannte «Geisterwelt», der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, daß die Sinne, mitdenen wir sie fassen könnten, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden. Aber die Angst vor dem Unaufklärbaren hat nicht allein das Dasein des einzelnen ärmer gemacht, auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind durch sie beschränkt, gleichsam aus dem Flußbett unendlicher Möglichkeiten herausgehoben worden auf eine brache Uferstelle, der nichts geschieht. Denn es ist nicht die Trägheit allein, welche macht, daß die menschlichen Verhältnisse sich so unsäglich eintönig und unerneut von Fall zu Fall wiederholen, es ist die Scheu vor irgendeinem neuen, nicht absehbaren Erlebnis, dem man sich nicht gewachsen glaubt. Aber nur wer auf alles gefaßt ist, wer nichts, auch das Rätselhafteste nicht, ausschließt, wird die Beziehung zu einem andren als etwas Lebendiges leben und wird selbst sein eigenes Dasein ausschöpfen. Denn wie wir dieses Dasein des einzelnen als einen größeren oder kleineren Raum denken, so zeigt sich, daß die meisten nur eine Ecke ihres Raumes kennen lernen, einen Fensterplatz, einen Streifen, auf dem sie auf und nieder gehen. So haben sie eine gewisse Sicherheit. Und doch ist jene gefahrvolle Unsicherheit so viel menschlicher, welche die Gefangenen in den Geschichten Poes drängt, die Formen ihrer fürchterlichen Kerker abzutasten und den unsäglichen Schrecken ihres Aufenthaltes nicht fremd zu sein. Wir aber sind nicht Gefangene. Nicht Fallen und Schlingen sind um uns aufgestellt, und es gibt nichts, was uns ängstigen oder quälen sollte. Wir sind ins Leben gesetzt, als in das Element, dem wir am meisten entsprechen, und wir sind überdies durch jahrtausendelange Anpassung diesem Leben so ähnlich geworden, daß wir, wenn wir stille halten, durch ein glückliches Mimikry von allem, was uns umgibt, kaum zu unterscheiden sind. Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Mißtrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben. Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns rät, daß wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden. Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen können, die am Anfange aller Völker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im äußersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will. Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, daß etwas an Ihnen geschieht, daß das Leben Sie nicht vergessen hat, daß es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen. Warum wollen Sie irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschließen, da Sie doch nicht wissen, was diese Zustände an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommenmag und wohin es will? Da Sie doch wissen daß sie in den Übergängen sind, und nichts so sehrAhnens hinaus, vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit größerem Vertrauen ertragen als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes; unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit, alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille, und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt. Ich glaube, daß fast alle unsere Traurigkeiten Momente der Spannung sind, die wir als Lähmung empfinden, weil wir unsere befremdeten Gefühle nicht mehr leben hören. Weil wir mit dem Fremden, das bei uns eingetreten ist, allein sind, weil uns alles Vertraute und Gewohnte für einen Augenblick fortgenommen ist; weil wir mitten in einem Übergang stehen, wo wir nicht stehen bleiben können. Darum geht die Traurigkeit auch vorüber: das Neue in uns, das Hinzugekommene, ist in unser Herz eingetreten, ist in seine innerste Kammer gegangen und ist auch dort nicht mehr, - ist schon im Blut. Und wir erfahren nicht, was es war. Man könnte uns leicht glauben machen, es sei nichts geschehen, und doch haben wir uns verwandelt, wie ein Haus sich verwandelt, in welches ein Gast eingetreten ist. Wir können nicht sagen, wer gekommen ist, wir werden es vielleicht nie wissen, aber es sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Zukunft in solcher Weise in uns eintritt, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht. Und darum ist es so wichtig, einsam und aufmerksam zu sein, wenn man traurig ist: weil der scheinbar ereignislose und starre Augenblick, da unsere Zukunft uns betritt, dem Leben so viel näher steht als jener andere laute und zufällige Zeitpunkt, da sie uns, wie von außen her, geschieht. Je stiller, geduldiger und offener wir als Traurige sind, um so tiefer und um so unbeirrter geht das Neue in uns ein, um so besser erwerben wir es, um so mehr wird es unser Schicksal sein, und wir werden uns ihm, wenn es eines späteren Tages «geschieht» (das heißt: aus uns heraus zu den anderen tritt), im Innersten verwandt und nahe fühlen. Und das ist nötig. Es ist nötig und dahin wird nach und nach unsere Entwicklung gehen -, daß uns nichts Fremdes widerfahre, sondern nur das, was uns seit lange gehört. Man hat schon so viele Bewegungs-Begriffe umdenken müssen, man wird auch allmählich erkennen lernen, daß das, was wir Schicksal nennen, aus den Menschen heraustritt, nicht von außen her in sie hinein. Nur weil so viele ihre Schicksale, solange sie in ihnen lebten, nicht aufsaugten und in sich selbst verwandelten, erkannten sie nicht, was aus ihnen trat; es war ihnen so fremd, daß sie, in ihrem wirren Schrecken, meinten, es müsse gerade jetzt in sie eingegangen sein, denn sie beschworen, vorher nie Ähnliches in sich gefunden zu haben. Wie man sich lange über die Bewegung der Sonne getäuscht hat, so täuscht man sich immer noch über die Bewegung des Kommenden. Die Zukunft steht fest, lieber Herr Kappus, wir aber bewegen uns im unendlichen Raume. Wie sollten wir es nicht schwer haben? Und wenn wir wieder von der Einsamkeit reden, so wird immer klarer, daß das im Grunde nichts ist, was man wählen oder lassen kann. Wir sind einsam. Man kann sich darüber täuschen und tun, als wäre es nicht so.Das ist alles. Wieviel besser ist es aber, einzusehen, daß wir es sind, ja geradezu, davon auszugehen. Da wird es freilich geschehen, daß wir schwindeln; denn alle Punkte, worauf unser Auge zu ruhen pflegte, werden uns fortgenommen, es gibt nichts Nahes mehr, und alles Ferne ist unendlich fern. Wer aus seiner Stube, fast ohne Vorbereitung und Übergang, auf die Höhe eines großen Gebirges gestellt würde, müßte Ähnliches fühlen: eine Unsicherheit ohnegleichen, ein Preisgegebensein an Namenloses würde ihn fast vernichten. Er würde vermeinen zu fallen oder sich hinausgeschleudert glauben in den Raum oder in tausend Stücke auseinandergesprengt: welche ungeheure Lüge müßte sein Gehirn erfinden, um den Zustand seiner Sinne einzuholen und aufzuklären. So verändern sich für den, der einsam wird, alle Entfernungen, alle Maße; von diesen Veränderungen gehen viele plötzlich vor sich, und wie bei jenem Mann auf dem Berggipfel entstehen dann ungewöhnliche Einbildungen und seltsame Empfindungen, die über alles Erträgliche hinauszuwachsen scheinen. Aber es ist notwendig, daß wir auch das erleben. Wir müssen unser Dasein so weit,als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann. Daß die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man «Erscheinungen» nennt, die ganze sogenannte «Geisterwelt», der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, daß die Sinne, mit denen wir sie fassen könnten, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden. Aber die Angst vor dem Unaufklärbaren hat nicht allein das Dasein des einzelnen ärmer gemacht, auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind durch sie beschränkt, gleichsam aus dem Flußbett unendlicher Möglichkeiten herausgehoben worden auf eine brache Uferstelle, der nichts geschieht. Denn es ist nicht die Trägheit allein, welche macht, daß die menschlichen Verhältnisse sich so unsäglich eintönig und unerneut von Fall zu Fall wiederholen, es ist die Scheu vor irgendeinem neuen, nicht absehbaren Erlebnis, dem man sich nicht gewachsen glaubt. Aber nur wer auf alles gefaßt ist, wer nichts, auch das Rätselhafteste nicht, ausschließt, wird die Beziehung zu einem andren als etwas Lebendiges leben und wird selbst sein eigenes Dasein ausschöpfen. Denn wie wir dieses Dasein des einzelnen als einen größeren oder kleineren Raum denken, so zeigt sich, daß die meisten nur eine Ecke ihres Raumes kennen lernen, einen Fensterplatz, einen Streifen, auf dem sie auf und nieder gehen. So haben sie eine gewisse Sicherheit. Und doch ist jene gefahrvolle Unsicherheit so viel menschlicher, welche die Gefangenen in den Geschichten Poes drängt, die Formen ihrer fürchterlichen Kerker abzutasten und den unsäglichen Schrecken ihres Aufenthaltes nicht fremd zu sein. Wir aber sind nicht Gefangene. Nicht Fallen und Schlingen sind um uns aufgestellt, und es gibt nichts, was uns ängstigen oder quälen sollte. Wir sind ins Leben gesetzt, als in das Element, dem wir am meistenentsprechen, und wir sind überdies durch jahrtausendelange Anpassung diesem Leben so ähnlich geworden, daß wir, wenn wir stille halten, durch ein glückliches Mimikry von allem, was uns umgibt, kaum zu unterscheiden sind. Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Mißtrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben. Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns rät, daß wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden. Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen können, die am Anfange aller Völker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im äußersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will. Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, daß etwas an Ihnen geschieht, daß das Leben Sie nicht vergessen hat, daß es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen. Warum wollen Sie irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschließen, da Sie doch nicht wissen, was diese Zustände an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommen mag und wohin es will? Da Sie doch wissen daß sie in wünschten, als sich zu verwandeln
Beobachten Sie sich nicht zu sehr. Ziehen Sie nicht zu schnelle Schlüsse aus dem, was Ihnen geschieht; lassen Sie es sich einfach geschehen. Sie kommen sonst zu leicht dazu, mit Vorwürfen (das heißt: moralisch) auf Ihre Vergangenheit zu schauen, die natürlich an allem, was Ihnen jetzt begegnet, mitbeteiligt ist. Was aus den Irrungen, Wünschen und Sehnsüchten Ihrer Knabenzeit in Ihnen wirkt, ist aber nicht das, was Sie erinnern und verurteilen. Die außergewöhnlichen Verhältnisse einer einsamen und hilflosen Kindheit sind so schwer, so kompliziert, so vielen Einflüssen preisgegeben und zugleich so ausgelöst aus allen wirklichen Lebenszusammenhängen, daß, wo ein Laster in sie eintritt, man es nicht ohne weiteres Laster nennen darf. Man muß überhaupt mit den Namen so vorsichtig sein; es ist so oft der Name eines Verbrechens, an dem ein Leben zerbricht, nicht die namenlose und persönliche Handlung selbst, die vielleicht eine ganz bestimme Notwendigkeit dieses Lebens war und von ihm ohne Mühe aufgenommen werden könnte. Und der Kraft-Verbrauch scheint Ihnen nur deshalb so groß, weil Sie den Sieg überschätzen; nicht er ist das «Große», das Sie meinen geleistet zu haben,obwohl Sie recht haben mit Ihrem Gefühl; das Große ist, daß schon etwas da war, was Sie an Stelle jenes Betruges setzen durften, etwas Wahres und Wirkliches. Ohne dieses wäre auch Ihr Sie nur eine moralische Reaktion gewesen, ohne weite Bedeutung, so aber ist er ein Abschnitt Ihres Lebens geworden. Ihres Lebens, lieber Herr Kappus, an das ich mit so vielen Wünschen denke. Erinnern Sie sich, wie sich dieses Leben aus der Kindheit heraus nach dem «Großen» gesehnt hat? Ich sehe, wie es sich jetzt von den Großen fort nach den Größeren sehnt. Darum hört es nicht auf, schwer zu sein, aber darum wird es auch nicht aufhören zu wachsen. Und wenn ich Ihnen noch eines sagen soll, so ist es dies: Glauben Sie nicht, daß der, welcher Sie zu trösten versucht, mühelos unter den einfachen und stillen Worten lebt, die Ihnen manchmal wohltun. Sein Leben hat viel Mühsal und Traurigkeit und bleibt weit hinter Ihnen zurück. Wäre es aber anders, so hätte er jene Worte nie finden können.Ihr:Rainer Maria Rilke
Rainer Maria Rilkes Briefe an einen jungen Dichter, Inselverlag Leipzig 192(Hrsg.)http://www.rilke.de/briefe/120804.htm
Dies Geschriebene muss man sich nach der Lektüre des Briefes erst einmal vollkommen bewusst und vorstellbar machen. Mit welch einer Tiefe und Tiefgründigkeit Rilke hier die Nöte und Ängste existentieller Art von Menschen im besonderen und allgemeinen darstellt, ist meines Erachtens nach grandios. Es wäre jedenfalls erklärender als mancher kriminologische und psychiatrische Beitrag zur Thematik des Serienmordes. Denn was menschliches Verhalten und seine Ausdrucksformen angeht finden wir hier eine sehr passende Erklärung. Nun schreibe ich nicht das Rilke hier einen Beitrag zum Serienmordphänomen geleistet hat; bitte nicht falsch verstehen.
Aber einen gewissen Anspruch zur Thematik leite ich schon hiervon ab. Und wenn ich den Brief genau lese kann mit etwas Fantasie eine Art „Formel“ erstellt werden mit deren Hilfe man die Taten von Serienkillern möglicherweise ( wenn auch nicht bei allen ) auf einen vagen Nenner bringen könnte :
Traurigkeit - Melancholie - Hass = Grausamkeit
Natürlich ist mir die absolute Bedingtheit dieser Formel bewusst, gereicht selbstverständlich nicht für eine Erklärung mag aber als tendenzielles Mittel eine gewisse Aussagekraft haben. Sozusagen.
Andrei Romanowitsch Tchikatillo..Der ukrainischrussische Serienmörder galt faktisch bei seiner Verurteilung als "normal". Ein perfider Umkehrschluss einer Rechtsprechung. Der mithin Beweggrund des Hasses bei Tchikatilo entspricht dem Beweggrund Rache des Staates, der Gesellschaft zur Bestrafung eines Täters. In diesem Fall mit dem Tode. Unter normalen Aspekten beides niedere Beweggründe.
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„Aus dem verfehlten Versuch der Gesellschaftswissenschaften, die Methoden der Naturwissenschaften zu übernehmen und nachzuahmen, ist unserer Menschenwürde großer Schaden entstanden. Die quantitative Methode kaschiert Sozial- und Wertkonflikte so, als handle es sich um rein technische Fragen.Objektivität bedeutet in menschlicher Hinsicht die Menschen gleichzuschalten und als passive Objekte ohne spezifische Persönlichkeit zu betrachten. Objektivität und Natürlichkeit entstehen durch Weglassen des objektiv Unwesentlichen. Was aber wesentlich und unwesentlich ist, ist kein objektiver Tatbestand, sondern kann nur in Hinsicht auf diesen oder jenen Zweck festgestellt werden. Die Zwecke, die sich Menschen setzen, sind immer subjektiv. Der Individualität eines Menschen werden keine allgemeinen Theorien gerecht. Wo ein Mensch als Individuum gefragt ist, hört alle Schulweisheit auf. In Bezug auf das Interesse eines Menschen gibt es die verschiedensten Entscheidungsgründe, die jedoch nicht objektiv und allgemeingültig bestimmt werden können“.
Laurent Verycken- Formen der Wirklichkeit
Was bewegt die Fahne? Vor seiner Ordination zum sechsten Patriarchen des Shaolintempels kam der chinesische Meister des Chan-Buddhismus Hui Neng zum Tempel Bup Sung Sa und wurde Zeuge eines Streitgesprächs zwischen zwei auf einem Felsen sitzenden Mönchen, die über eine am Mast flatternde Fahne diskutierten. Einer meinte: Die Fahne bewegt sich. Der Andere warf ein: Der Wind, nicht die Fahne, bewegt sich. Hui Neng gab zu bedenken: Was sich wirklich bewegt, ist weder der Wind noch die Fahne Verblüfft über seine ungewöhnliche Antwort auf ihre Streitfrage, fragten die beiden Mönche den Weisen: Was bewegt sich denn wirklich? Hui Neng erwiderte: Euer Geist bewegt sich!
Was normal ist oder wie es sich zumindest anfühlen müsste, blieb einem Menschen wohl sein ( fast ) ganzes Leben verborgen. Es offenbarte sich ihm nicht die Wichtigkeit und Schönheit einer gesunden und unbeschwerten Kindheit.
Es zeigten sich nicht die entwickelnden und aufbauenden Kräfte und Prozesse einer aufregenden, turbulenten und richtungsweisenden Jugend.
Es begab sich allerdings recht bald und ohne Umschweife das aus einem unnormalen Menschen ein normaler Mensch wurde.
Zu fatalen Fehlern der Natur die seinen normalen biologischen Werdegang nachhaltig beeinträchtigen sollten, gesellten sich dann noch zu allem Überdruss höchst ungünstige soziale und kulturelle Umstände und Faktoren, die eine Metamorphose von einem unnormalen Menschen zu einem normalen Serienmörder entscheidend unterstützen sollten. Das dieser Prozess der Metamorphose rd. 42 Jahre Bestand haben sollte, war dem zerbrechlichen und kleinen Jungen der an einem Freitag, den 16. Oktober 1936 in dem ukrainischen Dorf Jablutschne mit seinen schon von da an schwächlichen und unnormalen Augen das Licht dieser Welt erblickte, natürlich noch nicht bewusst. Zum Glück wurde er nicht an einem Freitag, den dreizehnten geboren; womöglich wäre dieser Umstand noch als kausales Element seiner Taten ausgelegt worden. So aber sollten sich erst weit über 200 Strafaktenbände füllen um dann höchst offiziell von juristischer und psychiatrischer Seite verkündet zu werden das dieser A.R.Tschikatilo trotz massivster Beeinträchtigungen und Dysfunktionalitäten ein gemeiner simpler Mörder sei und voll zurechnungsfähig für seine Taten ist. Da er ja wusste was er tat war er voll für schuldig zu erklären und nach dem Willen der Gesellschaft in den Tod zu befördern. Das normierte gesellschaftlich bzw. staatlich legalisierte Töten von Menschen als höchste Form der Bestrafung wurde angewendet und ausgeführt. Was vorher beim Täter als Rechtfertigungsgrund für seine Taten, nämlich unter anderem Hass, als niederer Beweggrund von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden konnte erfährt im staatlichen juristischen Rechtfertigungsgrund der Rache ein eigentümliches Pedant. Rache ist auch nichts weiter als ein niederer Beweggrund doch wird er hier sozial akzeptiert. Als die 42 Jahre währende Qual des A.R. Tchikatilo vorbei war folgte einer unnormalen Entwicklung ein normales Ergebnis. Denn als der Russisch-Lehrer und Techniker Tchikatilo kurz vor Weihnachten 1978 seine erste Tötung an der neunjährigen Elena Sakotnowa durchführte, sollte die zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene Metamorphose ca. 12 Jahre noch andauern, für ca. 53 Tötungen verantwortlich sein und Tchikatilo als „ Ripper von Rostow3“ in die Kriminalhistorie eingehen lassen.
Seinen ganz eigenen, individuellen Lebensweg, seine Biographie oder wie heute auch gesagt wird, Vita, werden wir uns etwas genauer ansehen müssen, werden dann sehen müssen, warum 21 Frauen und etwa 32 Kinder zum größten Teil bestialisch getötet wurden; von einem Menschen der am Ende seines Strafprozesses für seine verübten Taten als voll zurechnungsfähig beurteilt wurde und es dennoch nicht war. Aber diese Beurteilung von seiten psychiatrischer Gutachter verwundert kaum wie wir noch sehen werden. Schließlich führte dieses Gutachten einer heilkundlichen Disziplin dazu, das ein nach unseren Kriterien durch und durch kranker Mensch staatlicherseits mit einem Genickschuss getötet werden durfte ebenda aus einem Racheanspruch des Staates (der Gesellschaft) der auf einem niederen Grund beruht.
Vier Jahre vor Tschikatilos Geburt wurde die damalige noch junge ukrainisch-sozialistische Sowjetrepublik, auch als Kornkammer der Sowjetunion bezeichnet, von einer katastrophalen Hungersnot heimgesucht.
Unterschiedlichen Schätzungen nach fielen bis zu 14 mio. Menschen mittelbar oder unmittelbar diesem wohl politisch initiierten Desaster zum Opfer. Unter dem Begriff „Holodomor“4 ging diese grauenvolle Zeit in die Geschichte ein.
Andrei Tschikatilo war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren, als seine Mitmenschen anfingen, vor lauter Hunger und dem dadurch drohenden Tod, ihre bereits verstorbenen Leidensgenossen zu verspeisen. Der ältere Bruder Tschikatilos, Stepan, wurde so zum tragischen Opfer dieser Hungerkatastrophe und, nach den Erzählungen der eigenen Mutter, entführt und aufgegessen. Dieses kannibalische Verhalten fand seine Fortsetzung in Tschikatilo selber, als dieser später bei seinen Opfern teilweise Körperteile aß oder auf ihnen herumkaute.
Nach solch einem Ereignis kann keine normale Familiensituation mehr vorhanden gewesen sein. Das diese Geschehnisse in Trauerprozessen-arbeit versucht wurden zu bewältigen, schließe ich hier einmal ganz kühn aus. Heerscharen von Psychotherapeuten oder Psychiatern, wie sie heutzutage vorhanden sind, gab es zu jener Zeit nicht. Als nun der kleine Andre geboren wurde, lag somit schon eine düstere und unheilvolle Aura über seinem späteren Umfeld. Sein erheblicher Sehfehler, seine kranken und schwächlichen Augen, seine bis ins Jugendalter währende Bettnässerei und seine mit Entsetzen festgestellte Impotenz im heranreifenden jungen Mann brachten dann nicht einen vor Selbstvertrauen-und Bewußtsein strotzenden Menschen hervor, sondern, um es gelinde auszudrücken, einen labilen und wenig durchsetzungsfähigen Charakter. Da dem Kind Andre keine adäquate Brille gekauft werden konnte weil kein Geld vorhanden war, traten große schulische Probleme auf; der Junge konnte dem Unterricht nicht mehr folgen, weil er nicht richtig sehen konnte. Die weitere Konsequenz hieraus war, dass seine Mitschüler diese Schwäche recht bald herausfanden und anfingen ihn zu mobben, so würde man es heute ausdrücken. Das hier schon schwerwiegende Verhaltensauffälligkeiten neben den bereits vorliegenden Defekten hervorgerufen wurden, bedarf wohl keine weiteren Auslegung! Die menschliche Physis ( und mit ihr das ganze Denken und Handeln ) lässt sich nicht in ein Schema pressen, so gerne das auch die Kultur und ihre Methoden der Erziehung und (schulischen ) Bildung sehen würden.
Menschliche Entwicklungen und Entfaltungsprozesse verlaufen nie linear, sondern immer nur subjektiv und stets individuell. Allein die vorgenannten wenigen Umstände mögen schon für sich alleine eine „auffällige“ und „unnormale“ Sichtweise produzieren.
Und wenn jetzt an dieser Stelle der standardmäßige Einwand erhoben wird, dass solch eine Entwicklung oder eine ähnliche viele ( junge ) Menschen durchlaufen und eben nicht auffällig ( zum Serienmörder ) werden, so ist dies ein wenig schlüssiges Argument, dass nur statistischen Perspektiven folgt. Trotz aller Bekundungen der vor Arroganz strotzenden Neurowissenschaften werden nur sehr hypothetische Erklärungen angeboten: Wir wissen bis heute nicht wie Gefühle, Ängste und andere Emotionen genau entstehen und letztlich verarbeitet werden. Dem ist so, wie später noch dargelegt wird.
Andre Tschikatilo sagte einmal selber dass er „ ohne Augen und Genitalien geboren wurde“. Aus seiner eigenen , ganz subjektiven Sicht, konnte er tatsächlich nicht „erkennen“ was normal ist, geschweige denn eine Reifung nach unseren Vorstellungen und Maßstäben erfahren.
Tschikatilo zeugte mit seiner Frau Fenja noch zwei Kinder; ein wohl eher verzweifelter und ebenso sinnloser Versuch doch noch ein wenigstens nach außen scheinendes normales Leben darzustellen. Aber bereits hier zu diesem Zeitpunkt muß bei Tschikatilo bereits seine Pädophilie bzw. Pädosexualität vorgelegen haben. Schon von daher war dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt. Auf bereits Krankem lässt sich schwerlich Gesundes errichten.
Dies ist auch ein Grund weshalb Tschikatilo später seinen Beruf als Lehrer aufgeben muss: sexuelle Übergriffe auf vor allem männliche Jugendliche und dadurch resultierende Schikanen und Gewalttätigkeiten derselben gegen den Lehrer. Er kann sich nicht dagegen durchsetzen, wie schon als Kind; seine Schüler haben ihn in der Hand, erpressen ihn faktisch, schlagen ihn, schlagen jemanden, der nur nach Liebe sucht.
Doch kurz vor Weihnachten des Jahres 1978 soll endgültig mit diesen Demütigungen und Erniedrigungen Schluss sein, schluss mit dem Versteckspielen seiner innersten geheimsten Wünsche und Neigungen, heute an diesem Tag kann er endlich das ausleben, was er schon immer sein wollte: erhaben zu sein über Leben und Tod, sich einfach das nehmen was ihm sein Leben lang verborgen geblieben war, seine Kindheit zurückholen, dieses zarte Kind-sein dürfen und nicht alleine in den Wäldern seines Heimatdorfes Guerillaspiele zu praktizieren um dann später zu hören, dass sein Vater als Desserteur galt, nur weil er in deutsche Gefangenschaft geraten war. Eines kam zum anderen, eine Frustration ergab die nächste, eine Enttäuschung jagte die andere. Diese Welt war nicht gut, sie war nie gut zu Andrei Tschikatilo. Er hatte alles in seiner Macht stehende getan um normal zu werden. Hatte studiert, wollte seinen Schülern das Leben beibringen, beibringen etwas zu sein!
Aber er konnte nicht mehr ankämpfen gegen diese maßlose Wut die sich in ihm gebildet hatte, die eigentlich schon seine ganze Persönlichkeit ausmachte, dieser Hass der sich gebildet hat und seine Seele zerfressen konnte. Es sollte alles wieder normal werden, sein unglaublicher Hass sollte umgekehrt werden, sollte zumindest für eine Zeit kompensiert werden, sollte einer Zufriedenheit Platz machen, die er sich insgeheim stets gewünscht hatte. Doch aufgrund seiner Gesamtkonstitution, seiner psychischen als auch physischen Verfassung konnte sein Gehirn nur das eine gedankliche Konstrukt bilden, diese eine neuronale Verknüpfung, diese Fähigkeit des Gehirns, zu kompensieren: und sei es durch Mord.
Für seine Taten war Tschikatilo nicht verantwortlich zu machen. Statt seines Verstandes hatte dann letztendlich nur sein Wille die sozusagen cerebrale Befehlsgewalt übernommen. Da weder philosophisch noch wissenschaftlich bis zum heutigen Tage geklärt ist ob es einen freien Willen gibt oder nicht, gehe ich in diesem Fall davon aus, dass es keinen freien Willen gibt. Die finale Triebfeder für Tschikatilos Taten, der Auslöser (nicht zu verwechseln mit der Ursache!!) seines Tuns waren die vorgenannten Situationen und Umstände. Er hatte einen Tunnelblick bilden müssen um seine verzerrte Sicht des Normalen zu kompensieren.
Niemand weiß bis heute wie Bewusstsein, Emotionalität, Wille und Impulse entstehen oder wie sie miteinander kommunizieren. Es gibt Hinweise, Theorien der unterschiedlichsten Art, Meinungen:
geklärt ist nichts. Das ist momentan der wissenschaftliche Status quo. Alle anderen Verlautbarungen entsprechen nicht den bisherigen Erkenntnissen.
Da lesen sich dann die psychiatrischen Gutachten über Andrei Tschikatilo wie eine finstere Erzählung von einem Hexenprozess im Mittelalter. Weil die Hexe rote Haare hatte und einen stechenden Blick stand sie mit dem Leibhaftigen in reger Beziehung und musste sterben. Und mit dem Willen des Landesfürsten und vor allem der klerikalen Gerichtsbarkeit und somit Gottes Willen und seinem Urteil wurden Morde begangen. Weil Andrei Tschikatilo zum Zeitpunkt seiner Taten wusste welchen Frevel er anrichtete und seine Taten plante und heimtückisch ausführte musste er sterben bzw. ermordet werden. Man kann ein solches Todesurteil schon als Mord bezeichnen wie ich anfangs dargelegt habe. Der niedere Beweggrund der Rache bleibt auch bei staatlicher Inanspruchnahme und Handhabung nichts anderes als Mord. Fast jeder Mensch mit einer auch schwersten geistigen Dysfunktionalität weiß was richtig und nicht richtig ist. Aufgrund meiner eigenen beruflichen Tätigkeiten kann ich dies hier so postulieren. Ich hatte im Laufe meines Berufslebens unzählige Situationen mit Menschen die schwerste geistige Handicaps aufwiesen und dennoch wußten dass es eigentlich falsch ist, jemanden z.b. zu schlagen. Sie taten es dennoch weil sie es mussten. In diesem einen Moment war nur der Impuls des Schlagens vorhanden. Sonst nichts. Es lag unbestritten eine zwanghafte Situation vor. So auch bei Tschikatilo. Er musste töten. Gedanken an eventuelle Konsequenzen seines Tuns wurden in diesem Moment ausgeblendet. Nicht von ihm bewusst, sondern von seinem Zwang. Deshalb können diese Phrasen von bewusster Durchführung und Planung einer Tat und alles was an sicherheitsrelevanten Maßnahmen der Täter bedachte nur als hilfloser Versuch gedeutet werden eine scheinbar unfassbare Handlung als rational initiiert darzustellen. Ich spreche hier nicht von klinisch-psychologischen Zwangsstörungen so wie sie in den einschlägigen Lehrbüchern der Psychiatrie oder Psychologie definiert werden und eher wenig aussagen. Das plumpe Einordnen von Erkrankungen und Störungen in Kategorien wie dem ICD 5oder MSN6 mag dem einfallslosen und kargen Denkschema der Medizin entsprechen; weit gekommen ist die sie mit ihren Künsten damit bisher nicht. Bei Erkrankungen stellt sich nicht die Frage des Warum Hier kann es keine Antwort geben weil es immer und immer wieder ein neues Warum geben wird. Beispiel:
Warum bekomme ich einen Schnupfen?
Lapidare Antwort der Medizin: Weil du eine
geschwächte Immunabwehr hast!
Warum habe ich eine geschwächte Immunabwehr?
Weil du Stress hattest oder schlecht geschlafen hast!
Warum hatte ich Stress oder einen schlechten Schlaf?
Weil...und und und.
Es würde nie aufhören dieses Spiel fortzusetzen. Aber noch besser wird es, wenn wir das Ganze von der reinen medizinisch-naturwissenschaftlichen Seite betrachten.
Warum bekomme ich einen Schnupfen?
Lapidare Antwort der Medizin: Weil du eine
geschwächte Immunabwehr hast!
Warum habe ich eine geschwächte Immunabwehr?
Weil du zu wenige Abwehrzellen hast?
Warum habe ich zu wenig Abwehrzellen?
Weil....!
Warum-Fragen implizieren für unsere doch recht eingeschränkte und verzerrte Sicht der Dinge eine ursächliche ( kausale ) Erklärung. Da es aber keine objektive Welt gibt und somit auch keine absolute Wahrheit ist dies alles nur vom Beobachtenden und seiner gedanklichen Zusammensetzung abhängig. Wir erschaffen uns unsere eigene Wirklichkeit allein in unserem Kopf.
Alles Seiende auf chemische oder physikalische
Formeln bringen zu wollen ist immer ziemlich
aussichtslos. Das Lebendige mag sein was es will, es
ist aber auf keinen Fall linear. Es gibt kein
Berwertungskriterium oder Maßsystem, mit dem das
Unmeßbare im wirklichen Leben kommensurabel
gemacht werden könnte. Wir beschreiben nur
unseren Zwecken entsprechend, erklären aber nichts.
Wo scheinbar die größte Ordnung herrscht, sind
Verwirrung und Unklarheit schon vorprogrammiert.
Die Logik eignet sich nicht zur Beschreibung
biologischer Muster. Eine Belastung mit Qualitäten
erschwert immer die methodische Aufgabe. Statische
Gesetze sind etwas grundlegend anderes, als
dynamisch-lebende Strukturen. "Unauflösliche
Unauflösliche Widersprüche entstehen (erst), wenn
man die Tatsache des Flußes im Leben erklären
will." Wie Leben entsteht, hat noch niemand kausal
erklären können. Wie das Ei den Organismus formt,
bleibt eine offene Frage. Was immer wir messen ist
nicht die lebende Wirklichkeit, sondern ein
Mechanismus, der auf seine technischen
Funktionsmöglichkeiten hin geprüft wird. Der
Organismus wird zur Maschine, die nach abstrakten
Prinzipien hin beurteilt wird.
Laurent Verycken, Formen der Wirklichkeit - Auf den Spuren der Abstraktion, Penzberg, 1994
Dadurch das wir die vermeintliche Wirklichkeit und Realität in unserem gedanklichen Kontext bilden und synthetisieren entsteht ein Bild; abhängig von vielen Einzelfaktoren ( Kindheit, Eltern usw. ) die das Ganze strukturieren und letztlich Form geben entwickelt sich so eine andere Art der Sicht. Diese Sicht ist dann nicht mehr abhängig von Recht und Ordnung, sozialen Normen und Regeln, Werte wie Moral oder Sittlichkeit, Verwerflichkeit oder (dis-) sozialem Verhalten: es obliegt ganz allein und ganz autark dem dann folgenden cerebralen ( spirituellen ) Entstehungsprozess. Dieser verläuft so individuell und subjektiv ohne das er auch nur im entferntesten erklärt werden könnte. Ohne jetzt philosophisch werden zu wollen oder gar metaphysische Einlassungen zu machen kann niemand letztendlich beantworten was normal ist.
In unseren sozialen und kulturellen Gefügen mag der Begriff der sozialen Norm eine hypothetische Antwort auf diese Frage sein.
Allerdings ist diese eigentliche Erwartungshaltung der Gesellschaft ( der Mehrheit ) an den Einzelnen ( Du-Ich ) sein Handeln und Verhalten auf ein normales ( statistisches ) Niveau zu halten ein brutales und rücksichtsloses Prinzip dem Individuum gegenüber:
Soziale Norm bedeutet dann in der letzten Konsequenz, sein eigenes „Selbstbild“ ( so es denn objektiv existieren mag!) hinten anzustellen, schmerzliche Kompromisse hinnehmen zu müssen und seine Individualität ( Persönlichkeit? ) weitestgehend fremdbestimmt manipulieren zu lassen. Garantiert diese „ Norm