Mörderische Existenzen - Jörg Spitzer - E-Book

Mörderische Existenzen E-Book

Jörg Spitzer

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Beschreibung

Wenn du spürst, wie der letzte Atemzug ihren Körper verlässt, schaust du ihnen in die Augen. Eine Person in dieser Situation ist Gott! Diese Äußerung stammt von dem berüchtigten Serienkiller Theodore Bundey. In mir persönlich ruft dieses Zitat nichts hervor. Aber wohl bei Ihnen; denn warum sollten Sie sich sonst ein Buch über Serienmörder kaufen wollen? Pures Interesse, Neugier oder doch eher der verkappte Versuch nur einmal über allem stehen zu wollen, sein, falls überhaupt vorhandenes, rudimentäres Ich vermeintlich strahlend präsentieren zu dürfen, wenn auch nur in der Fantasie? Einmal der vermeintliche Sieger sein, um seine alltäglich gefühlte und auch tatsächliche Unwichtigkeit und Nichtigkeit besser ertragen zu können. Nein, Ich doch nicht, so wird Ihre lapidare Antwort lauten. Natürlich nicht. Natürlich sind Sie über jeden Zweifel erhaben. Aber sicher doch und eben so sicher sind Sie einer von diesen Glückskeksen die denken etwas grandioses darzustellen um dann kurz vor dem Einschlafen doch daran erinnert zu werden, was für ein Versager man eigentlich ist. Nein? Aber ganz bestimmt. Warum? Das werden Sie wissen und auch verstehen wenn Sie dieses Buch gelesen haben.

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Wenn du spürst, wie der letzte Atemzug ihren Körper verlässt,schaust du ihnen in die Augen. Eine Person in dieser Situation ist Gott!

TED BUNDEY

Sie haben sich zum Erwerb eines Buches entschieden das sich mit dem Thema und zugleich Phänomen des Serienmordes befasst.

Warum auch immer besitzen Sie ein gesteigertes Interesse an dieser Diskussion oder ist es schlicht nur die Neugier auf die Menschen, die dieses Phänomen verursachen?

Vielleicht ist es aber auch einfach nur diese immer angeführte Faszination am Grauen oder des Bösen, am grausamen Handeln von Menschen an Menschen unter dem Aspekt den wir als Serienmord bezeichnen. Jenes Töten von drei oder mehr Menschen innerhalb bestimmter Zeiträume, grob definiert.

Ein Begriff den der damalige Berliner Kriminalbeamte Ernst Gennat im Fall des sogenannten Vampir von Düsseldorf, Peter Kürten, einführte.

Aber was ist eigentlich so faszinierend an diesem Thema allgemein? Was soll diese fesselnde Begeisterung für teils unvorstellbar grausame, rohe und brutale Handlungen sein, so eine Definition von Faszinierend. Was soll daran fesselnd sein und auch noch mit Begeisterung zur Kenntnis genommen werden?

Aber nicht doch, Ich bin nicht von diesen Taten fesselnd begeistert, mich interessieren doch nur ausschließlich die Menschen, die dieses Grauen generieren; so dürfte sich eine der lapidaren Argumentationen anhören.

Aber warum haben Sie ausgerechnet ein Interesse an Menschen, abgesehen vom christlich-humanistischen Hintergrund, die anderen Menschen den Kopf abschneiden, dutzende Male auf sie einstechen, schlagen oder schießen, zerfleischen oder gar kannibalistischen Tendenzen fröhnen?

Ach ja, ich vergaß, Sie meinen natürlich die Umstände und Bedingungen, also den Grund, warum jemand so etwas vornimmt

Aber warum sollte Sie dann ein Grund begeistern? Das ist doch unsinnig und unlogisch, so könnte sich eine Konklusion darstellen. Denn nach einem eigentlich kurzen beschäftigen mit der Materie werden Sie sehr schnell feststellen, dass es keine generellen Ursachen für den Serienmord sprich Serienmörder gibt.

Die Forschung auf diesem Gebiet hat längst schon resigniert, hält sich mit geschönten Statistiken und getunten Profiling-Methoden so gerade eben in der Diskussion, mögen auch noch so moderne und neue bildgebende Verfahren, ausgefeilte psychiatrische und psychologische Tests und andere Untersuchungsdesigns zum Einsatz kommen: nichts wird erklärt.

Dem ist leider so. Ich kann nichts anderes konstatieren.

Denn alles was Sie von wissenschaftlicher Seite zu hören bekommen oder lesen werden lautet: es ist möglich, wahrscheinlich, oder höchstwahrscheinlich, unter Umständen, eventuell, nur bedingt… usw. Semantische Floskeln und unverbindliche hypothetische Phrasen sind die Quintessenz der Ergebnisse zur Forschung auf dem Gebiet Serienmord.

„Aus dem verfehlten Versuch der Gesellschaftswissenschaften, die Methoden der Naturwissenschaften zu übernehmen und nachzuahmen, ist unserer Menschenwürde großer Schaden entstanden. Die quantitative Methode kaschiert Sozial- und Wertkonflikte so, als handle es sich um rein technische Fragen. Objektivität bedeutet in menschlicher Hinsicht die Menschen gleichzuschalten und als passive Objekte ohne spezifische Persönlichkeit zu betrachten. Objektivität und Natürlichkeit entstehen durch Weglassen des objektiv Unwesentlichen. Was aber wesentlich und unwesentlich ist, ist kein objektiver Tatbestand, sondern kann nur in Hinsicht auf diesen oder jenen Zweck festgestellt werden. Die Zwecke, die sich Menschen setzen, sind immer subjektiv. Der Individualität eines Menschen werden keine allgemeinen Theorien gerecht. Wo ein Mensch als Individuum gefragt ist, hört alle Schulweisheit auf. In Bezug auf das Interesse eines Menschen gibt es die verschiedensten Entscheidungsgründe, die jedoch nicht objektiv und allgemeingültig bestimmt werden können“.

Laurent Verycken-Formen der Wirklichkeit. 1994

Doch zurück zu Ihnen. Warum also dieses potenzierte Interesse am Serienmord?

Vielleicht die inneren, tiefsten Begierden nach Freiheit? Einmal etwas Verbotenes tun, und sei es nur durch Lesen? Oder ist es doch eher die Faszination an den Menschen, die sich das Recht herausgenommen haben, ohne Würdigung der Ursache, über das Leben anderer und natürlich über ihr eigenes zu walten und zu bestimmen was auch immer passiert. Eine vermeintliche Freiheit zu genießen, die man nur schwerlich mit etwas anderem vergleichen kann?

Eine noch höhere Faszination geht aber von den Serientätern aus, die nicht ermittelt oder ihrer Bestrafung zugeführt werden konnten.

Kann es sein, dass Sie diese Aura des Unnahbaren auch einmal verspüren möchten?

Wie heißt es immer in diesen Kontexten: Sein wie Gott und über Leben und Tod entscheiden dürfen. Was für eine Aussicht zu den trivialen Dingen, die Sie jetzt machen. Acht Stunden arbeiten, etwas Sport, hin und wieder essen gehen, mal ins Kino und und und.

Eigentlich schon ziemlich langweilig, oder? Sozial gesehen sind Sie doch bestimmt mehr als konform, üben gar ein Ehrenamt aus, sind hoch beliebt bei den Arbeitskollegen, den Freunden und selbst beim Nachbarn trübt kein Makel das kleinlich gepflegte Image.

Aber was ist, wenn all dies nicht ausreicht, wenn tiefe unbewusste Informationen plötzlich ihren Anspruch anmelden?

Wenn das eigentliche Ich aus den Untiefen ihres eigenen Selbst emporsteigen will, um anstelle des sozial konformen Ich zu treten?

Wenn all die vergrabenen Träume , Sehnsüchte und ureigenen Denkmuster hervorbrechen, aber selbstverständlich nicht dürfen, da eben sozial und kulturell nicht erlaubt, moralisch gar verwerflich sind und schon überhaupt nicht mit dem Bild des Homo Technicus sich kompatibel darstellen oder mit den Erfordernissen des gebildeten Jetzt-Menschen in Einklang stehen?

Dann, ja dann, greift man eben zu anderen Kompensationsmechanismen um dem Ganzen Luft zu machen und Freiraum anbieten zu können. Nun sucht der eine in pädophilen Dark-Net Foren nach scheinbarer Hilfe, der andere greift zu Whisky und Co. Und der Dritte...Nun der Dritte greift zu Literatur über Serienmörder.

Etwas zu hinkend der Vergleich, finden Sie?

Mag sein, wie man es sieht, doch könnte es auch allemal zutreffen.

Wie dem auch sei… Die Antwort liegt in Ihnen selbst. Sie müssen nur richtig hinhören.

Aber vielleicht haben die Menschen über die ich in diesem Buch schreiben werde, einfach zu wenig oder zu viel hingehört. Wie auch immer.

Doch nun soll mein laienhaftes psychologisieren ein Ende haben

Aber bevor ich mich sozusagen den Hauptakteuren dieser Schrift widme, vorab noch eine wissenschaftliche Stellungnahme zu meinen gemachten Äußerungen. Doch wie Sie unschwer feststellen werden, ist auch hier wenig erklärt.

Der „Psychologie der menschlichen Destruktivität“ gilt seit Jahrzehnten sein berufliches wie auch persönliches Interesse. Nun ist sein neues Buch erschienen, mit genau jenem Untertitel. Reinhard Haller, einer der renommiertesten Psychiater des Landes, über eines der größten, komplexesten und rätselhaftesten Menschheitsthemen: das Böse. Ist eine Welt denkbar, in der das logische Prinzip, dass das Gute ein Gegenteil erfordert, nicht gilt? Nein. Dies zu glauben, wäre illusorisch. Denn die Krone der Schöpfung, der Mensch, trägt die Anlage zum Bösen in sich. So sagt es schon die Bibel. Der Satz „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ aus dem Evangelium nach Matthäus (6,13) und im Vaterunser impliziert, was heute als wissenschaftliches Faktum gilt. Bereits auf den ersten Seiten des Alten Testaments wurden die im Paradies verweilenden Urmenschen Adam und Eva in Versuchung geführt und erlagen dieser auch. „Und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ – seit der Aneignung der Erkenntnis von Gut und Böse ist die Versuchung des Bösen nach jüdisch-christlicher Tradition Teil der menschlichen Existenz. Dessen ist sich auch Reinhard Haller sicher. Der Psychiater beschäftigt sich seit mehr als drei Jahrzehnten von Berufs wegen mit dem Bösen. Einen hohen Bekanntheitsgrad in Österreich und darüber hinaus erlangte Haller vor allem durch seine forensischpsychiatrischen Gerichtsgutachten der größten Kriminalfälle Österreichs der letzten Jahrzehnte, so etwa die Fälle des Sexualmörders Jack Unterweger, des „Bombenhirns“ Franz Fuchs oder des NS-Euthanasiearztes Heinrich Gross. Von Angesicht zu Angesicht berichteten ihm Sexualmörder, Serienkiller, Terroristen, Kinderschänder, Amokläufer und NS-Verbrecher von ihren Motiven und Gefühlszuständen. In seinen Gesprächen mit mehr als 300 Mördern begab sich Reinhard Haller auf die Suche nach den Wurzeln des Bösen. Seine wichtigsten Erkenntnisse hat er nun in einem neuen Buch zusammengefasst. Ein Gespräch über die Faszination des Bösen. Herr Dr. Haller, das Böse übt auf viele Menschen eine starke Faszination aus. Wir alle sind sozusagen Voyeure des Grauens. Was, glauben Sie, warum ist die Anziehungskraft des Bösen so groß? Auf der einen Seite, glaube ich, ist das so, weil es immer sehr spannende Geschichten sind, die das Böse schreibt. Das Zweite ist, dass sich im Bösen letztlich Psychologie pur abspielt. Es sind im Prinzip jedem bekannte psychologische Vorgänge, also Eifersucht, Neid, Hass, Kränkung, Machtkämpfe etc., die in diese spannenden Geschichten eingebaut sind. Das Dritte ist, dass jeder Mensch weiß und spürt, dass er in sich auch böse Anteile hat, dass es Verschattetes gibt in seiner Psyche, dass es seelische Abgründe gibt, und diese will man kennenlernen. Das kann man auf verschiedene Arten und Weisen tun, zum Beispiel, indem man sich zum Psychiater auf die Couch legt. Die meisten Menschen sehen in den bösen Geschichten einen Spiegel, einen Spiegel ins Unbewusste, in seine eigenen bösen Anteile. Ich glaube, das ist der Hauptgrund, warum uns diese Geschichten so faszinieren.

„Jeder Mensch weiß und spürt, dass er in sich auch böse Anteile hat.“

Experimente wie das berühmte Milgram-Experiment, das Sie in Ihrem Buch genau beschreiben, bestätigen, dass der Mensch nicht nur gute Anteile in sich hat.

Wenn es das Gute gibt, muss es logischerweise auch das Böse geben. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch gute und böse Anteile hat. Es ist eine Frage der Erziehung und der Entwicklung, wie man damit zurechtkommt, ob man diese bösen Anteile auslebt oder ob man sie so sozialisiert, dass man verträglich für sich und andere durchs Leben kommt.

Eine der grundlegenden Fragen hierbei ist „Nature or nurture?“, „Gene oder Umwelt?“, eine von ideologischen Fehden umrankte Frage. Wie ist der Stand der Wissenschaft?

Es ist ein Zusammenspiel von beidem. Die unterschiedlichen Forschungsergebnisse stellen zwar mal das eine, mal das andere in den Vordergrund – in den letzten Jahren hat besonders die Hirnforschung neue Ergebnisse geliefert –, böses Verhalten ist aber so komplex, dass es nicht nur organisch sein kann oder sich nur auf Hirnareale oder -zellen beziehen kann, sondern da sind auch viele andere Dinge involviert.

Die Streitfrage allerdings, ob der Mensch als böses Wesen auf die Welt kommt und dann zum guten erzogen werden kann und muss, oder ob er als gutes Wesen auf die Welt kommt und erst durch Erziehung und Umgebung schlecht wird, ist nach wie vor nicht entschieden.

Kürzlich ereignete sich in Kitzbühel ein Fünffach-Mord: Ein 25-Jähriger tötete seine Ex-Verlobte sowie vier ihrer Familienangehörigen und gestand die Tat danach. Da Ihnen für gewöhnlich die großen Kriminalfälle in Österreich zugeteilt werden, sind Sie in den Fall involviert?

Ich bin tatsächlich involviert, ja, und darf direkt zum Fall natürlich nichts sagen.

Das ist verständlich. Gibt es abgesehen von einem Psychogramm des Täters und Einzelheiten zum Fall etwas, was Sie dazu sagen können? Der Laie würde meinen, es wäre eine klassische Beziehungstat gewesen.

Allgemein kann ich sagen, dass sich das Böse zunehmend im zwischenmenschlichen Bereich abspielt.

Etwa 65 Prozent der Tötungsdelikte in Österreich sind Beziehungsdelikte, die meisten schweren Verbrechen spielen sich also in den eigenen vier Wänden ab. Die Konstellation männliches Geschlecht, 20 bis 30 Jahre alt, eine vorangehende Kränkung, die Eifersucht sein kann, Alkohol, der oft im Spiel ist – im Fall von Kitzbühel trifft das offenbar nicht zu –, das ist sehr typisch bei Gewaltverbrechen dieser Art. Auffällig ist auch ganz allgemein, dass die Delikte immer motivärmer werden. Eine Trennung darf man zwar vielleicht nicht als geringfügig bewerten, aber sie rechtfertigt jedenfalls nicht diese übermaximale Reaktion, diesen Overkill. Es ist international zu beobachten, dass sich immer mehr motivarme Tötungsdelikte mit immer stärkeren Reaktionen ereignen.

„Was kränkt, macht nicht nur krank, sondern oft auch kriminell.“

Die „Banalität des Bösen“, ein von der politischen Theoretikerin Hannah Arendt geprägter Begriff, drückt aus, dass das Böse häufig in ganz normaler Gestalt daherkommt.

Wie Sie bereits erwähnt haben, sind etwa zwei Drittel aller Tötungsdelikte in Österreich Beziehungsdelikte. Gibt es hier Möglichkeiten zur Prävention?

Das ist schwierig. Dieser Trend in Österreich, dass man die Schuld immer bei der Gesellschaft sucht, der gefällt mir ehrlich gesagt nicht, denn schuldig ist natürlich der, der die Tat begeht. Was die Prävention betrifft, so müsste diese dahin gehen, dass man sich überlegt, was man mit dem hohen Aggressionspotenzial, das in jungen Männern schlummert, tut. Ein junger Mann, ein Jugendlicher hat einen enormen Kräftezuwachs, es geht um das Ausloten von Grenzen, bei einem Einfluss von aggressionsfördernden Hormonen.

Dazu kommen oft Minderwertigkeitsgefühle. Die Frage ist: Was machen wir mit diesen Aggressionen? Früher war es die körperliche Arbeit, durch die viel an Aggression abgeführt wurde. Das haben wir heute nicht mehr aufgrund der vorwiegend sitzenden Tätigkeiten, die wir ausüben. Es kommt also zu einem Aggressionsstau, vor allem bei Menschen, die nicht nur viel im Sitzen arbeiten, sondern auch keinen Sport machen. Hier müsste man ansetzen in der Präventionsarbeit.

Der zweite Punkt betrifft mein persönliches Lieblingsthema, weil ich mich damit besonders beschäftige, und zwar: wie man mit der Kränkbarkeit der Menschen anders umgehen kann. Dieses Thema ist tabuisiert, Kränkungen sind schließlich nichts für harte Männer, sondern für Weicheier und Warmduscher. Das ist natürlich ganz falsch, denn auch Männer sind extrem verletzlich hinter der Maske der Coolness und können am Ende mit Kränkungen auch nicht umgehen.

Frauen sind eher bereit, sich mit einer Kränkung auseinanderzusetzen, auch in Therapie zu gehen, während Männer rasche und möglichst gründliche Lösungen wollen. Solche erweiterten Morde wie der von Kitzbühel sind todsichere Lösungen im schlimmsten Sinn des Wortes.

Im Vorwort zum neuen Buch schreiben Sie: „Was kränkt, macht nicht nur krank, sondern oft auch kriminell.“ Können Sie das kurz erklären? Was macht Kränkung mit uns?

Wie bereits angesprochen, denke ich, dass das Thema Kränkung sehr stiefmütterlich behandelt wird. Es gibt nicht einmal eine medizinische Diagnose dafür, geschweige denn eine Definition, aber jeder weiß, was es ist. Kränkung wird häufig nicht ernst genommen, wird verdrängt, sie ist einem peinlich. Das ist aber der Boden, auf dem sie heranwuchert. Die Kränkung entwickelt sich wie ein Eiterherd, den man unter der gesunden Haut gar nicht sieht, der sich aber weiterwühlt und irgendwann zum Durchbruch kommt.

Schon Hildegard von Bingen hat gesagt: „Was kränkt, macht krank; was beleidigt, erzeugt Leid.“ Man kann gut belegen, dass viele psychosomatische Leiden, Süchte und auch Kriminaltaten mit Kränkungen zu tun haben. Am Arbeitsplatz ist Mobbing systematisches Kränken. Abfälliges Lachen, die Nicht-Erwiderung des Grußes,… – das sind typische Kränkungen, die verheerende Folgen haben können, die bis zur Berufsunfähigkeit gehen.

Im Kriminalbereich haben Terroranschläge, die sich gegen die kalte, ausschließende Welt richten, sehr viel mit Kränkungen zu tun. Bei Familien- und Beziehungstragödien sind meist Kleinigkeiten, also typische Kränkungen, die Auslöser. Und auch Kriege werden durch Kränkungen ausgelöst. Beide Weltkriege hatten natürlich mehrere Ursachen, aber die Demütigungs-, die Kränkungshypothese, gilt heute bei Historikern als eine ganz wichtige. Die Erschießung des Thronfolgers als Auslöser des Ersten Weltkriegs war für das mächtige Habsburgerreich eine Beleidigung, die es sich nicht gefallen lassen konnte.

Auch Adolf Hitler kannte das Kränkungsgefühl aus seinem eigenen Leben gut. Ich will damit niemanden verteidigen oder etwas rechtfertigen, sondern psychologische Abläufe bewusst machen. Nur so kann man dagegen vorgehen.

In Ihrer Arbeit als psychiatrischer Gerichtsgutachter gibt es oft keine absoluten Antworten auf die Fragen, die sich auftun. Dass es mehr um Wahrscheinlichkeiten als um Sicherheiten geht, dass es, was die Psyche des Menschen betrifft, nicht für alles eine Erklärung, schon gar nicht eine mit mathematischer Sicherheit, gibt, ist das das Schwierige an Ihrer Arbeit – und gleichzeitig auch genau das, was Sie daran lieben?

Ich muss zugeben, dass das weite Land der Seele niemals so vermessen werden kann wie ein Organ oder ein Bremsweg. Dementsprechend hat man einen gewissen Ermessensspielraum. Die Frage, ob jemand schuldfähig ist oder nicht, ist in der Regel aber gar nicht so schwierig zu beantworten, denn hier geht es einfach darum, festzustellen, ob jemand eine schwere psychische Störung hat, eine akute Geisteskrankheit.

Naturwissenschaftliche Genauigkeit und mathematische Sicherheit gibt es allerdings nicht, das ist richtig. Wir können die Psyche eines Menschen nicht vermessen. Viel schwieriger und letztendlich auch nicht lösbar ist die Frage der Zukunftsprognose, ob jemand gefährlich ist. Dort kann man tatsächlich, wie Sie sagen, nur bestimmte Risikoparameter und Wahrscheinlichkeiten aufzeigen.

„Wir können die Psyche eines Menschen nicht mit mathematischer Genauigkeit vermessen.“

Diese Verantwortung, zu entscheiden, ob ein Mörder rückfällig werden könnte oder geheilt ist, ist eine immense.

Ja, das ist tatsächlich etwas, was in meinem Beruf bedrückend ist. Wenn in meiner Umgebung ein Mord passiert, und man weiß noch nicht, wer der Mörder ist, habe ich zugegebenermaßen immer höchste Angst und sage zu mir: „Hoffentlich ist das nicht einer, bei dem ich vor ein paar Wochen gesagt habe, dass er eine gute Prognose hat!“ Darum sollte man diesen Teil der gutachterlichen Aufgaben meines Erachtens auf eine Kommission aufteilen. Ich bin sonst eher „kommissionsallergisch“, aber wenn es um so große Entscheidungen geht, müsste man verschiedene Professionen ihre Meinungen einbringen lassen, also jemanden von der Bewährungshilfe, vom Justizvollzug, von der Verfolgungsbehörde, einen psychiatrischen Sachverständiger involvieren. Nicht nur würde sich so die Verantwortung verteilen, auch kommen mehrere Personen gemeinsam zu einem besseren Bild.

Ich glaube, diese immense Verantwortung, von der Sie gesprochen haben und die schon Kollegen in den Suizid getrieben hat, ist auch der Grund, warum wir eine so hohe Zahl an Einweisungen und Unterbringungen haben, obwohl man weiß, dass von den Personen, die untergebracht sind, die Hälfte gar nicht gefährlich ist.

Die Gutachter sind natürlich übervorsichtig. Wenn jemand nach der Entlassung mit angeblich guter Prognose jemanden umgebracht hat, dann können Sie sich vorstellen, welch enormer Druck auf dem Gutachter lastet.

Muss man unterscheiden zwischen der bösen Tat und dem bösen Menschen?

Das ist eine sehr gute Frage. Aber noch interessanter und mindestens so wichtig ist die Frage: Unter welchen Bedingungen kommen beim Menschen die bösen Anteile, die in ihm ruhen, zum Durchbruch, sodass er eine böse Tat verübt? Das ist höchst spannend. Wie kann es sein, dass man bei einem völlig unauffälligen Mitbürger daraufkommt, dass er ein grauenhafter NS-Scherge war? Oder dass man bei jeder schlimmen Tat sagt, der Täter war ein ganz netter Mensch, unauffällig, hilfsbereit…?

Warum sind es unverhältnismäßig mehr Männer als Frauen, die böse Taten verüben? Diese Tatsache muss wohl, zumindest zu einem Teil, mit jenem Anteil bei der Entstehung des Bösen zu tun haben, der genetisch/biologisch bedingt ist.

Ja ja, der Teufel ist ja auch männlich. (schmunzelt) Die erste Sünderin war nicht Eva, sondern der männliche Luzifer. Am Anfang stand eine narzisstische Sünde, Gott gleich sein zu wollen. Das erste Verbrechen in der Bibel war der Brudermord von Kain an Abel. Auch das Urverbrechen der Menschheit hat im Übrigen als Urmotiv eine Kränkung gehabt: Gott beachtet Kains Opfer weniger als das von Abel, was Kain tief kränkt. Gott selbst gibt eine wunderbare Beschreibung der Kränkung: „Kain, du trägst in dir ein lauerndes Tier.“

Man kennt es nicht so genau, es ist auf jeden Fall vorhanden, es wird zuschlagen, aber man weiß nicht, wann und wie lange das dauert.

Um Ihre Frage konkret zu beantworten: Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen sind Mann und Frau genetisch anders programmiert, zweitens gibt es auch vom Hirnbau her Unterschiede. Beim weiblichen Gehirn sind die sozialen Strukturen, die für soziale Kompetenz, für Emotionalität zuständig sind, stärker ausgeprägt als beim männlichen. Frauen und Männer stehen außerdem unter einem ganz unterschiedlichen hormonellen Einfluss. Hinzu kommt, dass Männer und Frauen ganz anderes sozialisiert werden. Männer müssen kämpfen, Männer dürfen keine Schwäche zeigen, Männer haben viel mehr riskante Verhaltensweisen… Alle diese Faktoren führen dazu, dass der Anteil männlicher Mörder im Vergleich zu weiblichen überproportional ist. Frauen sind auf andere Weise grausam, mehr im seelischen denn im physischen Bereich. Und wenn sie töten, töten sie dann auch anders?

Sie bevorzugen weichere Methoden – wobei es bei einem Mord nur ein Euphemismus sein kann, das zu sagen. Früher haben Frauen sehr oft mit Gift getötet; die Giftmörderin war das Gegenstück zum bösartigen männlichen Narzissten. Mittlerweile, mit den neuen Ermittlungsmethoden, ist Vergiften als Tötungsmethode allerdings in eine Krise gekommen, weil man Gift sehr leicht nachweisen kann.

Wobei das nicht ganz richtig ist, weil es die wahrscheinlich meisten Tötungsdelikte im Pflegebereich gibt. Es kommen immer wieder große Serien auf, die aber auch nur die Spitze des Eisbergs sind. Wenn ein alter, pflegebedürftiger Mensch stirbt, nimmt man es mit der Totenschau nicht so genau, weil man sagt, er war halt sehr alt und ist an Altersschwäche verstorben. Es gibt hier allerdings eine relativ große Dunkelziffer an Tötungsdelikten.

Wir haben in Österreich heute ein kriminalitätsarmes Milieu. Warum ist das so? Gilt hier: Je höher eine Kultur, je zivilisierter eine Gesellschaft, desto weniger Kriminalität? Oder wie Freud sagte: „Das Böse kann nur durch die Kultur zurückgedrängt werden.“

Ich bin überzeugt davon, dass das möglich wäre, wobei ich unter „Kultur“ auch wirtschaftlichen und sportlichen Wettbewerb verstehe. Eine Fußballweltmeisterschaft ist auch Krieg auf hohem Niveau – es werden alle Bedürfnisse, die man im Krieg hat, befriedigt: Länder kämpfen gegeneinander, es geht um Geld, man macht eine Riesenpropaganda, die Schlachtgesänge, die Gladiatoren, die Feldherren und die anschließenden Siegesparaden… – man kann hier alles hineinprojizieren, was es auch im Krieg gibt, allerdings auf eine unblutige Art und Weise.

Aber um zu Ihrer konkreten Frage zu kommen: Diese ist sehr umstritten. Ich glaube, es sind mehrere Bedingungen. Erstens haben wir glücklicherweise keine großen kriminellen Strukturen, was auch ein Erfolg der Behörden, der Exekutive, ist. Das Zweite ist, dass wir ein gutes soziales Netz haben und die sozialen Risikofaktoren keine so große Rolle spielen. Außerdem haben wir generell eine Verlagerung des Verbrechens ins Virtuelle, was natürlich von der manifesten Kriminalität auch einiges an Potenzial abzieht.

Sie haben viele Stunden mit Schwerstverbrechern verbracht und mehr als 300 Mörder im Gefängnis befragt. Sind diese Menschen so viel anders als wir?

Das Böse kommt ja meist in banaler Gestalt daher … So ist es. Es war für mich, als ich in diese Tätigkeit eingestiegen bin, eine große Überraschung, dass Schwerverbrecher Menschen sind, ich würde jetzt nicht sagen, wie Sie und ich, aber der Großteil sind einfach Menschen, die es oft selbst nicht fassen können, dass sie eine solche Tat verübt haben. Es gibt eine Gruppe von 15 bis 20 Prozent, die schwere psychische Probleme haben, das heißt, die auch nicht zurechnungsfähig sind; und es gibt eine ganz kleine Gruppe, die dem nahekommt, was man aus psychiatrischer Sicht als „das Böse“ bezeichnen kann, also ganz schwer bösartige Psychopathen. Letztere sind psychiatrisch am interessantesten – obwohl es auch makaber ist, wenn man über einen schwer Gestörten sagt, er sei super interessant. Diese Gruppe ist sehr klein und man kann sie auch nicht heilen, sondern da gibt es nur die Möglichkeit, dass man die Gesellschaft vor ihnen schützt und sie in Anstalten unterbringt, bis sie alt werden. Das Alter nimmt meistens die Gefährlichkeit. Wir haben hier heute noch keine anderen Möglichkeiten.

https://www.salzburger.online/die-faszination-des-boesen/Aufruf06/2023

Als dann. Beginnen wir nun eine Reise durch die bizarre Welt der Serienmorde bzw. durch das Leben der Menschen die dieses Phänomen in fast steter Kontinuität generieren.

Den Anfang macht natürlich der Prototyp des Serienkillers schlechthin, ja fast möchte man ihn als „Vater der Serienmörder“1 bezeichnen.

Wenn er wüßte, was er heute für eine Berühmtheit besitzt, würde er sich bestimmt zufrieden in seinem unbekannten Grabe herumdrehen und sich mächtig freuen, falls denn alles so geschehen ist, was man jenem Jack the Ripper bis heute in die Schuhe schiebt. Denn ganz so „save“, um es salopp auszudrücken, ist die Geschichte um den berüchtigten Mörder von London nämlich nicht.

Die sogenannten fünf kanonischen Morde, also die Morde, die dem Ripper zugeschrieben wurden, sind allesamt geschehen. Angefangen vom zunächst kaum beachteten Mord an Polly Nichols Ende August 1888 in der Bucks Row bis zum grausamen Gemetzel an Mary Kelly im Millers Court 13 in Whitechapel im November. Doch schon bevor Jack the Ripper seinen „Autum of Terror“, sein herbstliches Gemetzel begann, kam es vorher schon zu ähnlichen Morden im Londoner East-End und sollten auch nach dem angeblich letzten Mord im November 1888 weiterhin geschehen.

Zwar gibt es einige Briefe die dem Ripper zugeordnet wurden und als authentisch gelten

doch warum wurde diese Korrespondenz überwiegend mit Tages-Zeitungen faktisch erst nach dem dritten Mord an Catherine Eddowes in der Berner Street aufgenommen?

Warum nicht schon eher oder warum nicht später? War es tatsächlich nur ein Täter oder waren es doch mehrere?

Es existieren vage Personenbeschreibungen von Augenzeugen, die den Ripper kurz vor den Taten gesehen haben wollen. Ein modernes Profiling bescheinigt dem Ripper eine Körpergröße von 170-180 cm, geformt von einer stämmigen Figur; mittleren Alters soll er gewesen sein.

Inwieweit die anatomischen Kenntnisse des Rippers vorhanden waren oder nicht, die Aussagen hierzu sind ebenfalls vage und widersprüchlich. Ich verweise auf die entsprechende Literatur.

Wer oder was auch immer das Phänomen des Jack the Ripper hervorgerufen hat, tat dies nachhaltig.

Aber bleiben wir bei diesem legendären-schaurigen Mythos und lassen den Geist von Jack the Ripper auch heute noch über Whitechapel schweben.

Denn was wäre London und die Welt ohne ihren Jack the Ripper?

Seit dreißig Jahren versuche ich nachzuweisen, daß es keine Kriminellen gibt, sondern normale Menschen, die kriminell werden.

-

( Georges Simenon 1903-1989 Belgischer Schriftsteller )

Sechsundfünfzig Jahre nach den Ripper-morden wurde in der damaligen UDSSR ein Mann geboren, der sich zwar nicht selber als Ripper bezeichnet hat, seinem englischen Pendant in Sachen Grausamkeit und Brutalität aber in nichts nachstand. Ob er nun mehr Morde als der Ripper begangen hat oder nicht vermag ich nicht zu beurteilen. Niemand außer dem Täter weiß das genau. Offiziell beging der „Ripper von Rostow“, wie er später betitelt wurde, insgesamt wohl 53 Tötungen, für die Andrei Romanowitsch Tschikatilo dann auch hingerichtet wurde.

Was normal ist oder wie es sich zumindest anfühlen müsste, blieb diesem Menschen wohl sein (fast) ganzes Leben verborgen. Es offenbarte sich ihm nicht die Wichtigkeit und Schönheit einer gesunden und unbeschwerten Kindheit.

Es zeigten sich nicht die entwickelnden und aufbauenden Kräfte und Prozesse einer aufregenden, turbulenten und richtungsweisenden Jugend.

Es begab sich allerdings recht bald und ohne Umschweife das aus einem unnormalen Menschen ein normaler Mensch wurde.

Zu fatalen Fehlern der Natur die seinen normalen biologischen Werdegang nachhaltig beeinträchtigen sollten, gesellten sich dann noch zu allem Überdruss höchst ungünstige soziale und kulturelle Umstände und Faktoren, die eine Metamorphose von einem unnormalen Menschen zu einem normalen Serienmörder entscheidend unterstützen sollten. Das dieser Prozess der Metamorphose rd. 42 Jahre Bestand haben sollte, war dem zerbrechlichen und kleinen Jungen der an einem Freitag, den 16. Oktober 1936 in dem ukrainischen Dorf Jablutschne mit seinen schon von da an schwächlichen und unnormalen Augen das Licht dieser Welt erblickte, natürlich noch nicht bewusst. Zum Glück wurde er nicht an einem Freitag, den dreizehnten geboren; womöglich wäre dieser Umstand noch als kausales Element seiner Taten ausgelegt worden. So aber sollten sich erst weit über 200 Strafaktenbände füllen um dann höchst offiziell von juristischer und psychiatrischer Seite verkündet zu werden das dieser A.R.Tschikatilo trotz massivster Beeinträchtigungen und Dysfunktionalitäten ein gemeiner simpler Mörder sei und voll zurechnungsfähig für seine Taten ist. Da er ja wusste was er tat war er voll für schuldig zu erklären und nach dem Willen der Gesellschaft in den Tod zu befördern. Das normierte gesellschaftlich bzw. staatlich legalisierte Töten von Menschen als höchste Form der Bestrafung wurde angewendet und ausgeführt. Was vorher beim Täter als Rechtfertigungsgrund für seine Taten, nämlich unter anderem Hass, als niederer Beweggrund von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden konnte erfährt im staatlichen juristischen Rechtfertigungsgrund der Rache ein eigentümliches Pedant. Rache ist auch nichts weiter als ein niederer Beweggrund doch wird er hier sozial akzeptiert. Als die 42 Jahre währende Qual des A.R. Tchikatilo vorbei war folgte einer unnormalen Entwicklung ein normales Ergebnis. Denn als der Russisch-Lehrer und Techniker Tchikatilo kurz vor Weihnachten 1978 seine erste Tötung an der neunjährigen Elena Sakotnowa durchführte, sollte die zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene Metamorphose ca. 12 Jahre noch andauern, für ca. 53 Tötungen verantwortlich sein und Tchikatilo als „ Ripper von Rostow3“ in die Kriminalhistorie eingehen lassen.

Seinen ganz eigenen, individuellen Lebensweg, seine Biographie oder wie heute auch gesagt wird, Vita, werden wir uns etwas genauer ansehen müssen, werden dann sehen müssen, warum 21 Frauen und etwa 32 Kinder zum größten Teil bestialisch getötet wurden; von einem Menschen der am Ende seines Strafprozesses für seine verübten Taten als voll zurechnungsfähig beurteilt wurde und es dennoch nicht war. Aber diese Beurteilung von seiten psychiatrischer Gutachter verwundert kaum wie wir noch sehen werden. Schließlich führte dieses Gutachten einer heilkundlichen Disziplin dazu, das ein nach unseren Kriterien durch und durch kranker Mensch staatlicherseits mit einem Genickschuss getötet werden durfte ebenda aus einem Racheanspruch des Staates (der Gesellschaft) der auf einem niederen Grund beruht.

Vier Jahre vor Tschikatilos Geburt wurde die damalige noch junge ukrainisch-sozialistische Sowjetrepublik, auch als Kornkammer der Sowjetunion bezeichnet, von einer katastrophalen Hungersnot heimgesucht. Unterschiedlichen Schätzungen nach fielen bis zu 14 Mio. Menschen mittelbar oder unmittelbar diesem wohl politisch initiierten Desaster zum Opfer. Unter dem Begriff „Holodomor“4 ging diese grauenvolle Zeit in die Geschichte ein.

Andrei Tschikatilo war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren, als seine Mitmenschen anfingen, vor lauter Hunger und dem dadurch drohenden Tod, ihre bereits verstorbenen Leidensgenossen zu verspeisen. Der ältere Bruder Tschikatilos, Stepan, wurde so zum tragischen Opfer dieser Hungerkatastrophe und, nach den Erzählungen der eigenen Mutter, entführt und aufgegessen. Dieses kannibalische Verhalten fand seine Fortsetzung in Tschikatilo selber, als dieser später bei seinen Opfern teilweise Körperteile aß oder auf ihnen herumkaute.