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Eine leidenschaftliche Nacht, die alles verändert …
England: Als Fotografin Venetia Milton den attraktiven Wissenschaftler Gabriel Jones kennenlernt, ist sie sofort fasziniert von diesem geheimnisvollen Mann. Sie lässt sich auf eine leidenschaftliche Nacht mit ihm ein, doch am Morgen ist Gebriel spurlos verschwunden. Kurze Zeit später erfährt Venetia von Gebriels Tod und ist erschüttert. Fortan gibt sie sich als seine respektierte und trauernde Witwe aus – bis Gabriel überraschend in Venetias Gallerie auftaucht und klar wird, dass sie beide in höchster Gefahr schweben …
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Seitenzahl: 461
Buch
England, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die junge, selbstbewusste, aber verarmte Fotografin Venetia Milton hat eingewilligt, in der alten Villa Arcane House Relikte und Artefakte zu fotografieren, welche einer geheimnisvollen Organisation gehören. Dort lernt sie ihren Auftraggeber, den äußerst attraktiven Gabriel Jones kennen. Der Wissenschaftler ist ein von vielen Geheimnissen umgebener, sinnlicher Mann, und in Leidenschaft entbrannt verbringen sie eine romantische Liebesnacht miteinander. Dann trennen sich ihre Wege wieder. Venetia ist erschüttert, als sie, zurück in London, von Gabriels Tod liest. Fortan gibt sie sich als seine respektierte und trauernde Witwe Mrs. Jones aus. Aber Gabriel ist nicht tot, überraschend erscheint er in Venetias Galerie, und schon bald knistert es wieder gewaltig zwischen ihnen. Doch sie schweben in großer Gefahr, denn ein skrupelloser Mörder ist Gabriel, und nun auch Venetia, dicht auf den Fersen. Auf der Suche nach einem mysteriösen Artefakt schreckt er vor nichts zurück – und nur gemeinsam können sie ihn aufhalten …
Autorin
Amanda Quick ist das Pseudonym der erfolgreichen, vielfach preisgekrönten Autorin Jayne Ann Krentz. Krentz hat Geschichte und Literaturwissenschaften studiert und lange als Bibliothekarin gearbeitet, bevor sie ihr Talent zum Schreiben entdeckte. Sie ist verheiratet und lebt in Seattle.
Von Amanda Quick bereits erschienen:
Verstohlene Küsse (35257) ⋅ Im Bann der Leidenschaft (35828) ⋅ Geheimnis der Nacht (36195) ⋅ Geliebte Rebellin/Verstohlene Küsse (36352) ⋅ Verführung im Mondlicht (36309)
Amanda Quick Verzaubertes Verlangen Roman Aus dem Amerikanischen von Ute Thiemann
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Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2007 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München.
Copyright © by Jayne Ann Krentz 2006
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Umschlaggestaltung: HildenDesign, München
Umschlagmotiv: John Ennis/Agt. Schlück
Redaktion: Sigrun Zühlke
ES Herstellung: Heidrun Nawrot
Satz: DTP Service Apel, Hannover
ISBN 978-3-641-24644-0V002
www.blanvalet-verlag.de
Für Cathie Linz:Großartige Autorin, großartige Fotografin, großartige Freundin
In den letzten Jahren der Regentschaft von Königin Viktoria …
Das Skelett lag auf einem mit vergoldeten Schnitzereien verzierten Bett in der Mitte des altertümlichen Laboratoriums, das zur Grabkammer des Alchemisten geworden war.
Die zweihundert Jahre alten Gebeine waren noch immer in die zerschlissenen Fetzen einstmals kostbarer Gewänder aus Samt und Seide gehüllt. Goldgewirkte Handschuhe und Pantoffeln verliehen den Knochenhänden und -füßen einen gespenstischen Anschein von Fleisch und Blut.
»Ich wette, sein Schneider hat ihn geliebt«, feixte Gabriel Jones.
»Es steht nirgends geschrieben, dass ein Alchemist nicht mit der Mode gehen darf«, erwiderte Caleb Jones.
Gabriel musterte die Kleider seines Cousins und warf dann einen Blick auf seine eigene Aufmachung. Die Hosen und Leinenhemden, die sie beide trugen, waren staubig und beschmutzt, doch sie waren, wie auch ihre Stiefel, handgearbeitet und passten ihnen wie angegossen.
»Das liegt wohl in der Familie«, bemerkte Gabriel.
»Passt schön zur Jones-Legende«, pflichtete Caleb ihm bei.
Gabriel trat näher an das Bett und hielt seine Laterne hoch. In dem flackernden Lichtschein konnte er die kryptischen alchemistischen Symbole für Quecksilber, Silber und Gold ausmachen, mit denen die Gewänder des Skeletts verziert waren. Ähnliche Verzierungen waren in das hölzerne Betthaupt geschnitzt.
Die schwere Truhe stand neben dem Bett auf dem Boden. Rost von zwei Jahrhunderten verkrustete die Seiten, doch der Deckel war mit einem dünnen Blech aus einem Metall überzogen, dem Korrosion nichts anhaben konnte. Gold, schloss Gabriel.
Er bückte sich und wischte mit seinem Taschentuch die dünne Staubschicht vom Deckel. Das Licht der Laterne fiel schimmernd auf ein verschnörkeltes Blattmuster und kryptische Worte in Latein, die in das dünne Goldblech geätzt worden waren.
»Es ist ein Wunder, dass dieses Labor im Verlauf der vergangenen zweihundert Jahre nicht entdeckt und geplündert wurde«, sagte er. »Nach allem, was man so hört, hatte der Alchemist zu seinen Lebzeiten viele Feinde und Rivalen. Ganz zu schweigen von all den Mitgliedern der Arcane Society und der Jones-Familie, die jahrzehntelang danach gesucht haben.«
»Der Alchemist war berüchtigt für seine Schläue und seine Geheimnistuerei«, erinnerte Caleb ihn.
»Auch das liegt in der Familie.«
»Stimmt«, pflichtete Caleb ihm bei. Verbitterung schwang in seiner Stimme mit.
Sie waren in vielerlei Hinsicht sehr verschieden, sein Cousin und er, dachte Gabriel. Caleb hatte einen Hang zum Grübeln und versank oft in langes nachdenkliches Schweigen. Er verbrachte seine Zeit am liebsten allein in seinem Labor und war ungehalten zu Besuchern oder auch jedem anderen, der Gastfreundlichkeit oder sogar nur ein höfliches Wort von ihm erwartete.
Gabriel war immer der Aufgeschlossenere und weniger Launische von beiden gewesen, doch in jüngster Zeit zog er sich oft stundenlang in seine Privatbibliothek zurück. Er wusste, dass er dort nicht nur Wissen suchte, sondern dass ihm seine Studien auch zur Ablenkung, ja sogar zur Flucht dienten.
Sie flohen beide, jeder auf seine Art, vor jenen Aspekten ihrer Persönlichkeit, die als nicht normal bezeichnet werden mussten, dachte er. Doch er bezweifelte, dass sie das, was sie suchten, jemals in einem Labor oder einer Bibliothek finden würden.
Caleb nahm eins der alten Bücher in Augenschein. »Wir werden Hilfe brauchen, um all dies Zeug fortzuschaffen.«
»Wir können ein paar Männer aus dem Dorf anheuern«, sagte Gabriel.
Er begann sofort, Pläne für das Verpacken und den Transport der Besitztümer des Alchemisten zu schmieden. Er war gut darin, Strategien und Vorgehensweisen zu erdenken. Sein Vater hatte ihm mehr als einmal gesagt, dass dieses Talent eng mit seiner außergewöhnlichen übersinnlichen Begabung zusammenhing. Gabriel hingegen sah es lieber als Manifestation seiner normalen Seite statt seiner paranormalen. Er klammerte sich eisern an die Überzeugung, dass er ein logisch denkender, rationaler Mann dieser modernen Zeit war und kein primitiver, unzivilisierter Rückschritt auf eine frühere Evolutionsstufe.
Er verdrängte diese düsteren Gedanken und konzentrierte sich auf die Planung des Transports der antiken Gegenstände. Das nächstgelegene Dorf war etliche Meilen entfernt. Es war winzig und verdankte sein Überleben im Lauf der Jahrhunderte zweifellos der Schmuggelei. Die Bewohner verstanden es, ihre Geheimnisse zu wahren, besonders wenn es profitabel für sie war. Und die Arcane Society konnte es sich leisten, sich das Schweigen des Dorfes zu erkaufen, überlegte Gabriel.
Der entlegene Standort an der Küste, den der Alchemist für sein kleines festungsgleiches Laboratorium ausgewählt hatte, war selbst dieser Tage noch abgeschieden. Vor zweihundert Jahren musste es hier noch unwirtlicher und trostloser gewesen sein, ging es Gabriel durch den Sinn. Das Labor war unter der Erde erbaut worden, verborgen unter den Ruinen einer alten Burg.
Als Caleb und er kurz zuvor die Tür des Laboratoriums geöffnet hatten, war ihnen ein solch fauliger, von Tod geschwängerter Luftzug entgegengeschlagen, dass sie hustend und prustend rücklings getaumelt waren.
Sie waren übereingekommen, abzuwarten, bis die Luft in der Kammer von der Seebrise aufgefrischt worden war, bevor sie eintraten.
Als es schließlich so weit war, fanden sie sich in einem Raum wieder, der ganz als wissenschaftliches Studierzimmer eingerichtet war. Uralte ledergebundene Bände, abgegriffen und mit gebrochenen Rücken, füllten das Bücherregal. Zwei Kerzenständer warteten auf Talglichter und Schwefelhölzer.
Die zweihundert Jahre alten Gerätschaften, mit denen der Alchemist seine Experimente durchgeführt hatte, standen sorgsam aufgereiht auf einem langen Tisch. Die Glasbecher waren schmutzverkrustet. Die metallenen Werkzeuge, Brenner und Blasebälge waren verrostet.
»Wenn es hier irgendetwas von Wert gibt, dann befindet es sich zweifelsohne in jener Truhe«, sagte Caleb. »Aber ich sehe nirgends einen Schlüssel. Sollen wir das Schloss hier und jetzt aufbrechen, oder sollen wir warten, bis wir wieder in Arcane House sind?«
»Wir sollten besser bald herausfinden, womit wir es zu tun haben«, antwortete Gabriel. Er ging neben der massiven Kiste in die Hocke und nahm das Eisenschloss in Augenschein. »Wenn in der Truhe tatsächlich ein Vermögen an Edelsteinen oder Gold wartet, müssten wir für die Heimreise zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen treffen.«
»Wir brauchen Werkzeug, um den Deckel aufzustemmen.«
Gabriel sah zu dem Skelett. Halb verborgen unter einer behandschuhten Knochenhand lugte ein Gegenstand aus Eisen hervor.
»Ich glaube, ich habe den Schlüssel gefunden«, verkündete er.
Er hob behutsam die Finger hoch, um den Schlüssel darunter hervorzuziehen. Ein leises Rascheln ertönte. Die Hand löste sich vom Handgelenk, und Gabriel hielt einen mit losen Knochen gefüllten Handschuh in seinen Fingern.
»Verflucht«, entfuhr es Caleb. »Da läuft es einem doch kalt den Rücken herunter. Ich dachte immer, so etwas gäbe es nur in Schauerromanen.«
»Es ist doch bloß ein Skelett«, erwiderte Gabriel und legte den Handschuh mit seinem gruseligen Inhalt auf das alte Bett. »Ein zweihundert Jahre altes Skelett noch dazu.«
»Ah, aber zufällig ist es das Skelett von Sylvester Jones, dem Alchemisten, unserem Vorfahren und dem Gründer der Arcane Society«, erwiderte Caleb. »Nach allem, was man so hört, war der Mann nicht nur sehr klug, sondern auch sehr gefährlich. Vielleicht gefällt es ihm nicht, dass sein Labor nach all den Jahren entdeckt wurde.«
Gabriel ging wieder neben der Truhe in die Hocke. »Wenn ihm seine Privatsphäre tatsächlich so wichtig gewesen wäre, dann hätte er in den Briefen, die er vor seinem Tod geschrieben hat, keine Hinweise auf diesen Ort hinterlassen sollen.«
Die Briefe hatten unbeachtet im Archiv der Arcane Society vor sich hin geschimmelt, bis Gabriel sie vor einigen Monaten ausgegraben hatte und es ihm gelungen war, den persönlichen Code des Alchemisten zu entschlüsseln.
Er versuchte, den Schlüssel in das Schloss zu stecken, erkannte jedoch sofort, dass es nicht funktionieren würde.
»Zu verrostet«, erklärte er. »Hol uns Werkzeug.«
Zehn Minuten später gelang es ihnen mit vereinter Kraft, die Truhe aufzubrechen. Der Deckel öffnete sich widerstrebend. Die Scharniere ächzten und quietschten lautstark. Doch es gab keine Explosionen, keine züngelnden Flammen oder andere unangenehme Überraschungen.
Gabriel und Caleb spähten in die Truhe.
»So viel zu dem Schatz aus Gold und Juwelen«, feixte Caleb.
»Zum Glück haben wir diese Expedition nicht in der Hoffnung auf Reichtümer unternommen«, pflichtete Gabriel bei.
Der einzige Gegenstand in der Truhe war ein kleines, in Leder gebundenes Notizbuch.
Gabriel holte es heraus und schlug es vorsichtig auf. »Ich vermute, es enthält die Formel, auf die er in seinen Aufzeichnungen und Briefen angespielt hat. Aus seiner Sicht war sie unendlich viel wertvoller als Gold oder Edelsteine.«
Die vergilbten Seiten waren in der peniblen Handschrift des Alchemisten mit kryptischem Latein gefüllt.
Caleb beugte sich vor und betrachtete das scheinbar sinnlose Gewirr aus Buchstaben, Zahlen, Symbolen und Worten auf der ersten Seite.
»Es ist in einem weiteren seiner vermaledeiten persönlichen Codes geschrieben«, erklärte er kopfschüttelnd.
Gabriel blätterte die Seite um. »Die Liebe zu Geheimnissen und Codes ist eine Tradition, der die Mitglieder der Arcane Society zweihundert Jahre lang begeistert gefrönt haben.«
»Mir ist in meinem ganzen Leben kein größerer Haufen von geheimniskrämerischen Exzentrikern untergekommen als die Mitglieder der Arcane Society.«
Gabriel klappte das Notizbuch behutsam zu und sah Caleb an. »So mancher würde behaupten, dass du und ich ganz genauso exzentrisch wie die anderen Mitglieder der Arcane Society sind, wenn nicht gar exzentrischer.«
»Exzentrisch ist wohl nicht das richtige Wort für uns.« Caleb schaute grimmig drein. »Aber ich verzichte lieber darauf, einen treffenderen Begriff zu finden.«
Gabriel widersprach ihm nicht. Als sie jünger waren, hatten sie in ihren Exzentrizitäten geschwelgt, hatten sie ihre besonderen Begabungen als etwas Selbstverständliches betrachtet. Doch mit zunehmender Reife waren sie zu einer anderen, bedeutend verhalteneren Sichtweise gelangt.
Und nur um sein Leben noch komplizierter zu gestalten, musste er sich jetzt auch noch mit einem ausgesprochen fortschrittlich denkenden Vater herumplagen, der sich als ein begeisterter Anhänger von Mr. Darwins Theorien entpuppt hatte, ging es Gabriel durch den Sinn. Hippolyte Jones war eisern entschlossen, seinen Erben und Thronfolger schnellstmöglich zu verheiraten. Gabriel war zu dem Schluss gekommen, dass sein Erzeuger insgeheim herausfinden wollte, ob die außergewöhnliche paranormale Begabung seines Sohnes sich vererbte.
Der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich zur Teilnahme an einem Experiment zur Evolutionstheorie erpressen ließ, wütete Gabriel im Stillen. Wenn es darum ging, eine Ehefrau für sich zu finden, dann zog er es vor, höchstselbst auf die Jagd zu gehen.
Er sah Caleb an. »Stört es dich eigentlich manchmal, dass wir einer Gesellschaft angehören, deren Mitglieder allesamt geheimniskrämerische, eigenbrödlerische Exzentriker sind, die besessen sind von allem, was esoterisch und okkult ist?«
»Wir haben es uns nicht ausgesucht«, erwiderte Caleb und beugte sich vor, um eins der alten Instrumente auf dem Arbeitstisch zu betrachten. »Wir haben nur unsere Kindespflicht erfüllt, als wir zustimmten, uns in die Gesellschaft aufnehmen zu lassen. Du weißt ebenso gut wie ich, dass unsere beiden Väter außer sich gewesen wären, wenn wir uns geweigert hätten, ihrer heiß geliebten Gesellschaft beizutreten. Außerdem hast du nun wirklich keinen Grund, dich zu beschweren. Schließlich hast du mich überredet, überhaupt bei der verfluchten Zeremonie mitzumachen.«
Gabriels Blick wanderte zu dem mit einem schwarzen Onyx besetzten Goldring an seiner rechten Hand. In den Stein war das alchemistische Symbol für Feuer eingraviert.
»Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst«, sagte er.
Caleb seufzte tief. »Ich weiß, dass du, so wie die Umstän-
de nun mal waren, der Gesellschaft unter großem Druck beigetreten bist.«
»Ja.« Gabriel klappte den schweren Deckel der Truhe zu und betrachtete die kryptischen Worte, die in das Goldblech geätzt waren. »Ich hoffe doch inständig, dass das hier kein alchemistischer Fluch ist. Wer es wagt, diese Truhe zu öffnen, soll noch vor Morgengrauen eines grausamen Todes sterben oder was es da sonst so alles gibt. Aber du und ich sind Männer der modernen Zeit, stimmt’s? Wir glauben nicht an solchen Unfug.«
Der Erste starb drei Tage später.
Sein Name war Riggs. Er gehörte zu den Dorfbewohnern, die Gabriel und Caleb angeheuert hatten, um das alchemistische Labor auszuräumen und die Kisten sorgfältig zum Abtransport auf die Wagen zu laden.
Die Leiche wurde in einer heruntergekommenen Gasse nahe dem Hafen gefunden. Riggs war mit zwei Messerstichen ins Jenseits befördert worden. Beim ersten Stich hatte sich die Klinge in seine Brust gebohrt. Beim zweiten hatte die Klinge seine Kehle durchschnitten. Eine große Blutlache hatte sich auf den abgewetzten Pflastersteinen gesammelt und war dort geronnen. Er war mit seinem eigenen Messer ermordet worden. Es lag blutverschmiert neben ihm.
»Wie man hört, war Riggs ein Einzelgänger mit einer Vorliebe für Schnaps, Weiber und Kneipenschlägereien«, sagte Caleb. »Laut den Einheimischen musste es früher oder später ein schlimmes Ende mit ihm nehmen. Die landläufige Ansicht ist, dass er sich schließlich mit einem Gegner angelegt hat, der schneller war oder mehr Glück hatte als er.«
Er sah Gabriel an und wartete schweigend.
Gabriel ergab sich in sein Schicksal und hockte sich neben die Leiche. Widerstrebend hob er das Messer am Heft auf, konzentrierte sich auf die Mordwaffe und wappnete sich gegen den unausweichlichen, eisigen Schock, mit dem die übersinnlichen Wahrnehmungen über ihn hereinbrachen.
Der Messergriff pulsierte noch immer von psychischer Energie. Schließlich war der Mord erst vor wenigen Stunden verübt worden. Der Klinge haftete noch das Echo von Emotionen an, die so stark waren, dass sie tief in ihm einen dunklen Kitzel weckten.
All seine Sinne waren augenblicklich geschärft. Es war, als wäre er plötzlich auf eine undefinierbare übernatürliche Weise wacher. Das Bestürzende daran war dieses tief verwurzelte, unbezwingbare Verlangen danach, zu jagen, das sein Blut zum Kochen brachte.
Er ließ das Messer eilig wieder los, so dass es klirrend auf das Pflaster fiel, und stand auf.
Caleb sah ihn erwartungsvoll an. »Nun?«
»Riggs wurde nicht in einem plötzlichen Ausbruch von Wut oder Panik von einem Fremden ermordet«, sagte Gabriel. Geistesabwesend ballte er die Hand, mit der er das Messer gehalten hatte, zu einer Faust. Die Geste war unwillkürlich, ein fruchtloser Versuch, das nachhängende Schandmal des Bösen und den erregenden Jagdtrieb, den es in ihm geweckt hatte, abzuschütteln. »Wer immer ihm in dieser Gasse aufgelauert hat, kam mit der Absicht hierher, ihn zu töten. Das Ganze war sehr kaltblütig.«
»Ein gehörnter Ehemann oder ein alter Feind vielleicht.«
»Das ist die wahrscheinlichste Erklärung«, pflichtete Gabriel bei. Doch ein übersinnlicher Schauder ließ ihm die Nackenhaare zu Berge stehen. Dieser Tod war kein Zufall. »Angesichts von Riggs’ Ruf, wird die Polizei zweifellos zu demselben Schluss kommen. Ich persönlich denke allerdings, dass wir den Inhalt aller Kisten überprüfen sollten.«
Caleb zog die Augenbrauen hoch. »Denkst du, dass Riggs einen der Gegenstände gestohlen und versucht hat, ihn jemandem zu verkaufen, der ihn daraufhin ermordet hat?«
»Möglich.«
»Ich dachte, wir wären übereingekommen, dass es in dem Labor des Alchemisten wenig gab, das überhaupt Geld wert war, vom Leben eines Mannes ganz zu schweigen.«
»Lass uns die Polizei rufen, und dann überprüfen wir die Kisten«, sagte Gabriel ruhig.
Er drehte sich um und eilte mit ausholenden Schritten zum Ende der schmalen Gasse. Er wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Fährte der Gewalt bringen. Noch hatte er das Verlangen zu jagen unter Kontrolle, doch er wusste nicht, wie lange er sich noch taub stellen konnte gegen dieses stete, heimliche Wispern, das ihn drängte, sich jener anderen Seite seiner Natur zu öffnen, jenem Teil von ihm, der alles andere als modern war.
Es brauchte seine Zeit, jeden einzelnen der sorgfältig für den Transport verpackten Gegenstände mit der Inventarliste abzugleichen, die Gabriel und Caleb erstellt hatten. Wie sich herausstellte, fehlte nur ein einziger Gegenstand.
»Er hat das verfluchte Notizbuch gestohlen«, grollte Caleb. »Es wird kein Spaß werden, unseren Vätern diesen Verlust zu erklären, vom Rat ganz zu schweigen.«
Gabriel starrte in die leere Truhe. »Wir haben es ihm leicht gemacht, denn wir hatten bereits den Deckel aufgestemmt. Es war nicht besonders schwer für ihn, an das Notizbuch zu gelangen. Aber was wollte er damit? Es ist doch bestenfalls ein interessantes wissenschaftliches Zeugnis, gefüllt mit den wirren Aufzeichnungen eines verrückten alten Alchemisten. Nur für die Mitglieder der Arcane Society ist es von historischer Bedeutung, und selbst für sie nur, weil Sylvester der Gründer der Gesellschaft war.«
Caleb schüttelte den Kopf. »Es hat den Anschein, als gäbe es tatsächlich jemanden, der glaubt, die Formel könnte zu irgendetwas nütze sein. Jemand, der willens und bereit ist, dafür zu töten.«
»Nun, eins steht fest. Wir sind gerade Zeugen des Beginns eines neuen Kapitels der Legenden der Arcane Society geworden.«
Caleb schnitt eine Grimasse. »Der Fluch von Sylvester dem Alchemisten?«
»Das klingt doch recht spannend, findest du nicht?«
Zwei Monate später …
Er war der Mann, auf den sie gewartet hatte, der Liebhaber, der vom Schicksal bestimmt war, sie zu entehren. Doch vorher wollte sie ihn erst noch fotografieren.
»Nein«, sagte Gabriel Jones. Er durchquerte die elegant eingerichtete Bibliothek, griff die Brandykaraffe und schenkte daraus großzügig zwei Gläser ein. »Ich habe Sie nicht hierher nach Arcane House geholt, damit Sie mich fotografieren, Miss Milton. Ich habe Sie engagiert, um die Raritätensammlung der Gesellschaft zu fotografieren. Ich mag Ihnen greisenhaft erscheinen, aber ich persönlich betrachte mich nur ungern bereits als Antiquität.«
Gabriel war beileibe kein altes Relikt, dachte Venetia. Um genau zu sein, strahlte er die Kraft und das Selbstvertrauen eines Mannes in der Blüte seiner Jahre aus. Er wirkte wie geschaffen dafür, ihr Herz im Sturm zu erobern und in ihr das lodernde Feuer verbotener Leidenschaft zu entfachen.
Sie hatte lange genug gewartet, um den richtigen Mann für diese Aufgabe zu finden, fand sie. In den Augen der besseren Gesellschaft hatte sie bereits die Altersgrenze überschritten, in der sich eine Lady berechtigterweise Hoffnungen machen konnte, einen Heiratsantrag zu erhalten. Die Verpflichtungen, die ihr vor anderthalb Jahren aufgebürdet worden waren, nachdem ihre Eltern bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen waren, hatten ihr Schicksal besiegelt. Nur wenige ehrenwerte Gentlemen waren erpicht darauf, eine Frau Ende zwanzig zur Gemahlin zu nehmen, noch dazu eine Frau, die für den Lebensunterhalt von zwei Geschwistern und einer unverheirateten Tante aufkommen musste. Doch angesichts der Umtriebe ihres Vaters zweifelte sie sowieso stark an der Institution der Ehe.
Allerdings wollte sie nicht irgendwann ihren letzten Atemzug tun, ohne je echte körperliche Leidenschaft erlebt zu haben. Eine Lady in ihrer Situation hatte das Recht, ihre eigene Entehrung zu arrangieren, fand Venetia.
Das Unterfangen, Gabriel zu verführen, hatte sich als eine ausgesprochene Herausforderung erwiesen, da sie über keinerlei praktische Erfahrung in diesen Angelegenheiten verfügte. Selbstverständlich hatte es über die Jahre hier und da ein paar unbedeutende Flirts gegeben, doch keiner davon hatte zu mehr als ein paar harmlosen Küssen geführt.
Um ehrlich zu sein, war ihr noch kein Mann begegnet, der das Risiko einer verbotenen Romanze wert gewesen wäre. Nach dem Tod ihrer Eltern war die Notwendigkeit, jeden Skandal zu vermeiden, sogar noch zwingender geworden. Die finanzielle Sicherheit ihrer Familie hing einzig und allein von ihrer Karriere als Fotografin ab. Die durfte sie um keinen Preis in Gefahr bringen.
Doch diese verzauberten zwei Wochen in Arcane House waren ihr buchstäblich in den Schoß gefallen; ein gänzlich unerwartetes Geschenk.
Es war ganz zufällig dazu gekommen, erinnerte sie sich.
Ein Mitglied der geheimnisvollen Arcane Society hatte in Bath ihre Fotoarbeiten gesehen und sie dem offiziellen Vorstand empfohlen. Der Rat hatte offenkundig beschlossen, den Inhalt des Museums der Gesellschaft fotografisch zu dokumentieren.
Dieser lukrative Auftrag hatte ihr die beispiellose Gelegenheit gegeben, ihre geheimsten romantischen Phantasien auszuleben.
»Ich würde für eine Porträtaufnahme von Ihnen nichts berechnen«, versicherte sie rasch. »Das Honorar, das ich bereits erhalten habe, deckt alle Kosten.«
Und noch eine Menge mehr, dachte sie und hoffte dabei, dass man ihr ihre Befriedigung nicht ansehen konnte. Sie war noch immer wie benommen von der stattlichen Summe, die die Arcane Society auf ihr Bankkonto überwiesen hatte. Dieser unverhoffte Glücksfall würde ihr und ihrer kleinen Familie wortwörtlich eine neue Zukunft ermöglichen. Doch sie hielt es nicht für angeraten, dies Gabriel zu erzählen.
Prestige war in ihrem Beruf das A und O, wie Tante Beatrice oft und gern betonte. Sie musste ihren Kunden den Eindruck vermitteln, dass ihre Arbeit jeden Penny des enormen Vorabhonorars wert war.
Gabriel lächelte sein kühles, geheimnisvolles Lächeln und reichte ihr eins der Brandygläser. Als seine Finger die ihren streiften, lief ihr ein leiser, erregender Schauder über den Rücken. Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Kitzel spürte.
Sie war noch nie einem Mann wie Gabriel Jones begegnet. Er hatte die Augen eines uralten Zauberers. Sie waren erfüllt von dunklen, unergründlichen Geheimnissen. Die Flammen, die in dem riesigen Steinkamin loderten, warfen einen goldenen Feuerschein auf die Flächen und Kanten eines Gesichts, das aussah, als sei es von den Naturgewalten aus Stein gemeißelt worden. Er bewegte sich mit der gefährlichen Anmut eines Raubtiers, und er wirkte in seinem makellosen, maßgeschneiderten schwarzen Abendanzug unbeschreiblich männlich und elegant.
Alles in allem war er wie geschaffen für das, was sie im Sinn hatte, fand sie.
»Das ist keine Frage des Geldes, Miss Milton, wie Ihnen zweifelsohne klar ist«, sagte er.
Um ihre Verlegenheit zu verbergen, trank sie eilig einen Schluck Brandy und betete, dass die schummrige Beleuchtung ihre Röte verbergen würde. Natürlich war es keine Frage des Geldes, dachte sie verdrießlich. Nach der Einrichtung des Hauses zu urteilen, verfügte die Arcane Society über ein beachtliches Vermögen.
Sie war vor sechs Tagen in dem altehrwürdigen Kasten namens Arcane House eingetroffen, in einer modernen, gut gefederten Privatkutsche, die Gabriel geschickt hatte, um sie vom Bahnhof des Dorfes abzuholen.
Der vierschrötige Kutscher war von der mürrischen Sorte gewesen und hatte kaum ein Wort gesprochen, nachdem er sich ihres Namens vergewissert hatte. Er hatte die Koffer, in denen sich ihre Kleider sowie ihre Trockenplatten, ihr Stativ und die Entwickler und Fixierer befanden, so mühelos hochgehoben, als wären sie federleicht. Venetia hatte darauf bestanden, ihre Kamera selbst zu tragen.
Die Fahrt vom Bahnhof hatte fast zwei Stunden gedauert. Die Nacht war hereingebrochen, und Venetia war sich mit wachsendem Unbehagen bewusst geworden, dass sie tiefer und tiefer in eine abgelegene und augenscheinlich unbewohnte Gegend chauffiert wurde.
Als der wortkarge Kutscher schließlich vor einem uralten Herrenhaus hielt, das auf den Ruinen einer noch älteren Abtei erbaut worden war, konnte Venetia ihre Nervosität kaum noch verbergen. Sie hatte sogar schon angefangen, sich zu fragen, ob es ein großer Fehler gewesen war, diesen unbeschreiblich lukrativen Auftrag anzunehmen.
Alle Absprachen waren per Post getroffen worden. Ihre jüngere Schwester Amelia, die als ihre Assistentin fungierte, hatte sie eigentlich begleiten sollen. Doch im letzten Moment hatte Amelia sich eine böse Erkältung zugezogen. Tante Beatrice war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Venetia die Reise allein unternahm, doch letztendlich hatte die finanzielle Not den Ausschlag gegeben. Nachdem die überaus großzügige Geldsumme erst einmal auf ihr Konto eingezahlt worden war, wäre es Venetia niemals in den Sinn gekommen, den Auftrag abzulehnen.
Die abgeschiedene Lage von Arcane House hatte etliche Zweifel geweckt, doch ihre erste Begegnung mit Gabriel Jones hatte all ihre geheimen Bedenken beschwichtigt.
Als sie an jenem ersten Abend von der praktisch stummen Haushälterin zu ihm geführt worden war, hatte sie ein plötzliches, überraschendes Gefühl des Erkennens übermannt. Das Gefühl war so überwältigend, dass es all ihre Sinne weckte und erregte, einschließlich jenes ganz besonderen Sehvermögens, das sie, mit Ausnahme ihrer Familie, vor allen anderen verbarg.
Und in jenem Moment war ihr die Inspiration zu ihrem großartigen Verführungsplan gekommen.
Dies war der richtige Mann, der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sie Gabriel Jones jemals wiedersehen würde, nachdem sie Arcane House wieder verlassen hatte. Selbst wenn sich ihre Wege wirklich irgendwann zufällig kreuzen sollten, so sagte ihr ihre Eingebung, dass er sich als wahrer Gentleman erweisen und ihr Geheimnis wahren würde. Sie vermutete, dass er selbst etliche barg.
Ihre Familie, ihre Kunden und Nachbarn in Bath würden niemals erfahren, was sich hier zutrug, überlegte sie sich. Solange sie in Arcane House war, war sie in einer Weise befreit von allen gesellschaftlichen Restriktionen, wie sie es nie wieder sein würde.
Bis zum heutigen Tag hatte sie die Hoffnung gehegt, dass sich, ihrem Mangel an praktischer Erfahrung zum Trotz, die Verführung von Gabriel Jones recht vielversprechend anließ. Das Feuer, das sie in unbeobachteten Momenten in seinen Augen auflodern sah, und die erregende Energieaura, die sie beide umgab, wenn sie sich im selben Zimmer befanden, verrieten ihr, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.
In den vergangenen Tagen hatten sie oft bei einem gemütlichen Abendessen und anregenden Unterhaltungen vor dem Kaminfeuer beisammengesessen. Sie hatten morgens gemeinsam gefrühstückt und ausführlich die für den jeweiligen Tag angesetzten Fotoarbeiten durchgesprochen. Gabriel schien ihre Gesellschaft genauso zu genießen wie sie seine.
Es gab nur ein Problem. Dies war ihr sechster Abend hier in Arcane House, und bislang hatte Gabriel nicht einmal den Versuch unternommen, sie in seine Arme zu schließen, ganz zu schweigen davon, dass er sie die Treppe hinauf in eins der Schlafzimmer getragen hätte.
Zugegeben, es hatte viele flüchtige, doch unglaublich erregende kleine Intimitäten gegeben: Seine warme, kräftige Hand, mit der er sie sanft am Ellbogen fasste, wenn er sie in ein Zimmer führte; eine beiläufige, augenscheinlich unbeabsichtigte Berührung; ein sinnliches Lächeln, das mehr versprach, als es hielt.
Alles ausgesprochen verlockend, sicher, aber nicht unbedingt ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass sein Begehren nach ihr groß genug war, um sich zu einer wilden, leidenschaftlichen Liebesnacht mit ihr hinreißen zu lassen.
Sie begann schon zu befürchten, dass sie die Sache verpatzt hatte. In wenigen Tagen würde sie Arcane House für immer verlassen. Wenn sie nicht bald handelte, würden ihre Träume unerfüllt bleiben.
»Sie sind wirklich ausgezeichnet mit Ihrer Arbeit hier vorangekommen«, bemerkte Gabriel. Er stellte sich an eins der Fenster und schaute hinaus in die mondhelle Nacht. »Denken Sie, dass Sie zum verabredeten Termin fertig sein werden?«
»Sehr wahrscheinlich«, antwortete sie. Leider, fügte sie im Stillen hinzu. Sie hätte viel für eine Ausrede gegeben, um länger zu bleiben. »Die vergangenen Tage waren so sonnig, dass ich kaum Probleme mit der Ausleuchtung hatte.«
»Das Licht ist immer die größte Sorge eines Fotografen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Die Einheimischen im Dorf sagen, dass das gute Wetter anhalten wird.«
Schlimmer konnte es nicht kommen, dachte sie verdrossen. Schlechtes Wetter war der einzig Grund, der ihr einfiel, um ihren Aufenthalt in Arcane House zu verlängern.
»Wie schön«, sagte sie höflich.
Ihr wurde die Zeit knapp. Verzweiflung packte sie. Gabriel mochte Verlangen nach ihr empfinden, aber anscheinend war er zu sehr Gentleman, um den ersten Schritt zu wagen.
Ihre Hoffnungen auf wenigstens eine einzige Liebesnacht lösten sich vor ihren Augen in Schall und Rauch auf. Sie musste handeln.
Beherzt leerte sie ihr Glas. Der Brandy brannte auf seinem Weg ihre Kehle hinunter, doch das Feuer verlieh ihr den Mut, den sie brauchte, um aufzustehen.
Sie stellte das Glas mit solchem Nachdruck ab, dass es mit einem lauten Geräusch auf dem Tisch aufschlug.
Jetzt oder nie. Würde er mit Entsetzen reagieren, wenn sie sich ihm einfach an den Hals warf? Ohne Frage. Jeder wahre Gentleman wäre zutiefst schockiert von solch ungehörigem Benehmen. Sie selbst war entsetzt von dem bloßen Gedanken. Was, wenn er sie zurückwies? Die Schande wäre unerträglich.
Die Situation verlangte nach Raffinesse.
Verzweifelt suchte sie nach einer Eingebung. Draußen schien das Mondlicht auf die Terrasse. Es schuf eine angemessen romantische Stimmung, fand Venetia.
»Wo wir gerade von der Wetterlage sprechen«, sagte sie und bemühte sich dabei um einen leichtherzigen Tonfall, »es ist hier drinnen etwas stickig geworden, finden Sie nicht? Ich denke, ich werde noch ein wenig an die frische Luft gehen, bevor ich mich zurückziehe. Möchten Sie mir Gesellschaft leisten, Sir?«
Sie ging zu den Terrassentüren und hoffte dabei, dass ihre Bewegungen und ihr Blick hinlänglich heißblütig und einladend waren.
»Gern«, sagte Gabriel.
Das gab ihr Auftrieb. Es könnte tatsächlich funktionieren.
Er folgte ihr zur Tür und hielt sie für sie auf. Als sie hinaus auf die Steinterrasse trat, schlug ihr die kühle Nachtluft mit unerwarteter Kraft entgegen. Ihr Optimismus erlosch augenblicklich.
So viel zu meiner brillanten List, dachte sie. Diese eisigen Temperaturen waren wohl kaum geeignet, brennende Leidenschaft in Gabriel zu wecken.
»Ich hätte eine Stola mitbringen sollen«, sagte sie und schlang ihre Arme um sich, um sich zu wärmen.
Gabriel stellte einen gestiefelten Fuß auf die niedrige Steinmauer, die die Terrasse einfasste, und schaute abschätzend zum sternenhellen Nachthimmel auf.
»Diese kühle, klare Nacht ist ein weiterer Hinweis darauf, dass wir in der Tat morgen herrlichen Sonnenschein erwarten können«, sagte er.
»Wunderbar.«
Er schaute sie an. Im Mondschein konnte sie sehen, dass wie so oft ein geheimnisvolles Lächeln um seine Lippen spielte.
Meine Güte, amüsierte ihn ihr hilfloser Versuch, ihn zu verführen? Der Gedanke war noch bestürzender als die Angst, er könnte sie zurückweisen.
Sie schlang ihre Arme fester um sich und stellte sich die Porträtaufnahme vor, die sie von ihm gemacht hätte, wenn er ihr die Gelegenheit dazu gegeben hätte. Es hätte Bereiche tiefer, kräftiger Schatten im fertigen Bild gegeben, überlegte sie, eine Widerspiegelung der unsichtbaren dunklen Energie, die er ausstrahlte.
Diese Erkenntnis erschreckte sie nicht. Sie wusste, dass die metaphysische Dunkelheit, die Gabriel umgab, Beweis seines starken Willens und seiner Selbstbeherrschung war. Es war nicht die schockierende Energie, die von einem kranken Hirn ausging. Venetia hatte jene sonderbaren, schrecklichen Farbtöne gelegentlich bei jenen, die sich von ihr fotografieren ließen, gesehen. Diese schaurigen Erlebnisse erfüllten sie jedes Mal mit Abscheu und Furcht.
Bei Gabriel Jones war es eine gänzlich, gänzlich andere Sache.
Gedankenverloren schaute sie in die Nacht hinus und sann über ihren fehlgeschlagenen Verführungsversuch nach. Es hatte keinen Zweck, bibbernd vor Kälte hier draußen zu stehen. Sie konnte sich ebenso gut ihre Niederlage eingestehen und den Rückzug in die warme Bibliothek antreten.
»Ihnen ist kalt«, sagte Gabriel. »Erlauben Sie mir.«
Zu ihrer Überraschung knöpfte er die Jacke seines eleganten Abendanzugs auf, zog sie aus und legte sie ihr mit einer ebenso schwungvollen wie anmutig männlichen Bewegung um die Schultern.
Die Schurwolle des schweren Kleidungsstücks hatte seine Körperwärme gespeichert und wärmte Venetia augenblicklich. Sie atmete einen Hauch seines Dufts ein.
Lass dich nicht von seiner Ritterlichkeit täuschen, ermahnte sie sich im Stillen. Er spielte nur den Gentleman.
Nichtsdestotrotz war die Intimität der Situation unbeschreiblich erregend. Am liebsten hätte sie sich an das Jackett geklammert und es nie wieder losgelassen.
»Ich muss gestehen, dass ich diesen Auftrag höchst interessant gefunden habe«, sagte sie und schmiegte sich in seine Jacke. »Er war ebenso künstlerisch herausfordernd wie lehrreich. Ich hatte noch nie von der Arcane Society gehört, bevor ich hierhergekommen bin.«
»Die Mitglieder der Gesellschaft scheuen gemeinhin das Licht der Öffentlichkeit.«
»Das haben Sie sehr deutlich gemacht«, erwiderte sie. »Ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber ich muss mich doch fragen, warum die Gesellschaft ein solches Geheimnis aus ihrer Existenz macht.«
»Das gehört zur Tradition.« Wieder lächelte Gabriel. »Die Gesellschaft wurde vor rund zweihundert Jahren von einem Alchemisten gegründet, der für seine Geheimniskrämerei berüchtigt war. Die nachfolgenden Mitglieder haben das beibehalten.«
»Ja, aber wir leben in der modernen Zeit. Heutzutage nimmt niemand mehr die Alchemie ernst. Selbst Ende des siebzehnten Jahrhunderts galt sie als eine der schwarzen Künste, nicht als echte Wissenschaft.«
»Die Wissenschaft ist an ihren Rändern immer schwarz gewesen, Miss Milton. Die Grenze zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten ist sehr verschwommen, um es freundlich auszudrücken. Heutzutage nennen jene, die diese obskuren Randgebiete ergründen, ihre Forschungen Parapsychologie oder Spiritismus. Doch in Wahrheit sind sie nichts weiter als moderne Alchemisten in neuem Gewand.«
»Die Arcane Society beschäftigt sich also mit der Erforschung des Übersinnlichen?«, fragte sie verblüfft.
Einen Moment lang dachte sie, er würde die Frage nicht beantworten. Doch schließlich nickte er einmal kurz.
»So ist es«, bestätigte er.
Venetia runzelte die Stirn. »Verzeihen Sie mir, aber in dem Fall ist diese besessene Geheimhaltung wirklich sehr sonderbar. Schließlich ist die Parapsychologie heutzutage ein durchaus angesehenes Forschungsgebiet. Heißt es nicht, dass man in London an jedem Abend der Woche an einer Séance teilnehmen kann? Und jeden Monat erscheint eine Vielzahl von wissenschaftlichen Journalen, die sich der Erforschung paranormaler Phänomene widmen.«
»Die Mitglieder der Arcane Society betrachten die meisten jener, die behaupten, übersinnliche Kräfte zu besitzen, als Betrüger und Scharlatane.«
»Oh.«
»Die Forscher und Wissenschaftler der Arcane Society nehmen ihre Arbeit sehr ernst«, fuhr Gabriel fort. »Sie möchten nicht mit Schwindlern und Hochstaplern in einen Topf geworfen werden.«
Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er diese Ansichten teilte, dachte sie. Dies war eindeutig nicht der richtige Moment, um zu verkünden, dass sie Auren sehen konnte.
Sie zog sich tiefer in die tröstende Wärme seiner Anzugjacke und in die Sicherheit ihrer eigenen Geheimnisse zurück. Um nichts in der Welt wollte sie ihrem Traumliebhaber den Eindruck vermitteln, dass sie eine Scharlatanin oder Schwindlerin wäre. Nichtsdestotrotz konnte sie das Thema nicht einfach widerspruchslos fallen lassen.
»Ich persönlich gehe lieber unvoreingenommen an die Sache heran«, sagte sie. »Ich kann nicht glauben, dass alle, die behaupten, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen, Lügner und Betrüger sind.«
Er wandte seinen Kopf um und sah sie an. »Sie missverstehen mich, Miss Milton. Die Mitglieder der Gesellschaft erkennen durchaus die Möglichkeit an, dass bestimmte Menschen übersinnliche Wahrnehmung und Fähigkeiten besitzen. Diese Möglichkeit ist der Grund, weshalb es die Arcane Society noch immer gibt.«
»Wenn die Gesellschaft sich der Parapsychologie verschrieben hat, warum hat sie dann all diese sonderbaren Gegenstände im Museum hier in Arcane House erworben?«
»Alle Antiquitäten in der Sammlung stehen in dem Ruf, irgendeine okkulte Bedeutung zu besitzen, entweder real oder imaginär.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich schätze, in den meisten Fällen ist es wohl Letzteres. Nichtsdestotrotz hat jeder Gegenstand als historisches Artefakt und als Forschungsobjekt für die Gesellschaft einen gewissen Wert.«
»Ich muss gestehen, dass ich etliche der Gegenstände ausgesprochen beunruhigend, ja sogar beängstigend fand.«
»Ach wirklich, Miss Milton?«, fragte er beinahe flüsternd.
»Bitte verzeihen Sie mir, Sir«, sagte sie hastig. »Ich wollte weder Ihren Geschmack noch den der anderen Mitglieder der Gesellschaft beleidigen.«
Er sah sie amüsiert an. »Keine Sorge, Miss Milton, so leicht bin ich nicht zu beleidigen. Und wie es sich trifft, sind Sie eine sehr scharfsinnige Frau. Die Raritäten hier in Arcane House wurden nicht in der Absicht zusammengetragen, das Anmutige oder das künstlerisch Wertvolle zu bewahren. Jeder Gegenstand wurde allein zum Zwecke wissenschaftlicher Studien hierhergebracht.«
»Warum hat die Gesellschaft beschlossen, die Sammlung fotografieren zu lassen?«
»Es gibt viele Mitglieder in ganz Großbritannien und in anderen Teilen der Welt, die die Raritäten studieren möchten, aber außerstande sind, die Reise nach Arcane House zu unternehmen. Der Großmeister der Gesellschaft hat daher bestimmt, dass ein Fotograf engagiert werden solle, um die Sammlung zu dokumentieren, damit jene, die sie nicht persönlich in Augenschein nehmen können, zumindest die Fotos studieren können.«
»Die Gesellschaft beabsichtigt also, die Fotografien in Form von Alben zu veröffentlichen, welche dann an die Mitglieder ausgegeben werden können.«
»Das ist die Absicht, ja«, bestätigte er. »Aber die Gesellschaft will nicht, dass die Bilder Raritätensammlern oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aus diesem Grunde werde ich, wie es vertraglich vereinbart wurde, die Negative an mich nehmen. Auf diese Weise kann die Anzahl der Abzüge streng kontrolliert werden.«
»Ihnen ist sicher bewusst, dass unsere Übereinkunft sehr unüblich ist. Bis zu diesem Auftrag ist es meine Praxis gewesen, jedes Negativ, das ich anfertige, in meinem Besitz zu behalten.«
»Ich kann verstehen, dass es Ihnen widerstrebt, Ihre Geschäftpratiken zu ändern.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Doch ich glaube, die Gesellschaft hat Sie angemessen dafür entschädigt.«
Sie errötete. »Ja.«
Er regte sich ganz leicht in der Dunkelheit und nahm seinen Fuß von der niedrigen Mauer. Es war eine lässige, beiläufige Bewegung, doch irgendwie verringerte sie die Distanz zwischen ihnen und verstärkte das Gefühl von Intimität in einer Weise, die Venetias Herz schneller schlagen ließ.
Er streckte eine Hand aus und umfasste sacht das Revers seiner Jacke, die sie um ihre Schultern trug. »Es freut mich, dass unser finanzielles Arrangement zu Ihrer vollsten Befriedigung ist.«
Sie stand völlig reglos da, gleichzeitig erschreckt und entzückt davon, wie verlockend nah seine kräftigen Finger ihrem Hals waren. Das war eindeutig keine zufällige Berührung, schoss es ihr durch den Sinn.
»Ich hoffe, dass meine Arbeiten gleichermaßen zu Ihrer vollsten Befriedigung ausfallen«, sagte sie.
»Ich habe in den vergangenen Tagen genug gesehen, um zu wissen, dass Sie eine ausgezeichnete Fotografin sind, Miss Milton. Die Bilder, die Sie gemacht haben, sind bemerkenswert klar und detailliert.«
Sie schluckte schwer und versuchte angestrengt, sich als Frau von Welt zu geben. »Sie hatten betont, dass jede Inschrift und jede gravierte Linie von jedem Gegenstand erkennbar sein sollte.«
»Detailtreue und Schärfe sind entscheidend.«
Er umfasste das Revers der Jacke mit beiden Händen und zog sie enger an sich. Sie versuchte nicht einmal, sich zu sträuben. Dies war genau das, wonach sie sich in den vergangenen Tagen und Nächten gesehnt hatte, ermahnte sie sich. Sie würde um keinen Preis jetzt die Nerven verlieren.
»Ich fand meine Arbeit hier ausgesprochen … anregend«, hauchte sie und starrte dabei auf seinen Mund.
»Ach wirklich?«
»Oh ja.« Sie konnte kaum noch atmen.
Er zog sie noch enger an sich.
»Wäre es vermessen von mir, anzunehmen, dass Sie auch Interesse an mir gefunden haben?«, fragte er. »Oder habe ich die Situation missverstanden?«
Erregung schoss durch ihre Adern, glühender als das gleißende Feuer der Magnesiumbänder, die sie gelegentlich zur Beleuchtung ihrer Modelle benutzte. Ihr Mund war schlagartig wie ausgetrocknet.
»Ich finde Sie sehr faszinierend, Mr. Jones.«
Sie beugte sich dichter an ihn heran und öffnete leicht ihre Lippen, lud ihn ein, sie zu küssen.
Endlich reagierte er. Seine Lippen pressten sich auf die ihren, begehrend und forschend. Unwillkürlich stieß sie ein leises Stöhnen aus, dann ließ sie sich von der Situation mitreißen und schlang ihre Arme um seinen Hals.
Die wärmende Jacke rutschte von ihren Schultern, doch es kümmerte sie nicht. Sie hatte keine Verwendung mehr dafür. Gabriel drückte sie fest an sich. Die Hitze seines Körpers und die unsichtbare Energie seiner Aura hüllten sie ein. Der Kuss übertraf ihre kühnsten Träume und Phantasien. Vieles an Gabriel war ihr auch weiterhin ein Rätsel, doch zumindest wusste sie jetzt, dass sein Verlangen nach ihr echt war.
Ihr Verführungsplan war ein überwältigender Erfolg.
»Ich denke, wir sollten wieder hineingehen«, flüsterte Gabriel und hauchte einen Kuss auf ihre Nackenbeuge.
Er hob sie auf seine Arme, als wäre sie leicht wie eine Feder, und trug sie durch die offene Tür in die einladende Wärme der Bibliothek.
Vor dem Kaminfeuer setzte er sie wieder ab. Ohne ihre Lippen freizugeben, machte er sich daran, die Haken an der Vorderseite des engen Mieders ihres Kleides zu öffnen. Sie erschauderte der Hitze des Kaminfeuers zum Trotz und war mit einem Mal sehr froh, dass sie zu den Frauen zählte, die Korsetts als ebenso ungesund wie unbequem betrachteten. Es wäre schon peinlich gewesen, hier zu stehen, während Gabriel ihr Korsett aufschnürte, schoss es ihr durch den Sinn.
Ein leichter Schwindel ergriff sie, als wäre sie trunken von den berauschenden Gefühlen, und sie stützte sich instinktiv mit den Händen gegen seine Schultern. Als sie die festen Muskeln durch den Stoff seines Hemdes fühlte, loderte ein nie gekanntes Feuer in ihr auf.
Unwillkürlich spreizte sie ihre Finger und grub ihre Nägel in sein Fleisch.
Ein vielsagendes Lächeln breitete sich auf Gabriels Gesicht aus. »Ah, meine liebe Miss Milton, ich glaube, Sie werden mir heute Nacht noch den Verstand rauben.«
Das schwere Kleid glitt zu Boden, bevor sie sich noch bewusst war, dass er es ganz geöffnet hatte. Der blutrote Stoff des weiten Rocks breitete sich wie eine Lache um ihre Füße aus. Ihr stockte erschaudernd der Atem, als seine Hand ihre Brust umfasste. Sie fühlte durch das feine Leinen ihrer Unterwäsche, wie seine Finger ganz sanft, fast spielerisch, über ihre Brustwarze strichen.
Im nächsten Moment fiel ihr Haar gelöst über ihre nackten Schultern. Er hatte ihre Haarnadeln herausgezogen, erkannte sie.
Ihr wurde bewusst, dass, obgleich sie die Verführerin war, er die ganze Arbeit leistete. Als Frau von Welt sollte sie doch zweifellos ihren Anteil beisteuern.
Sie griff ein Ende seiner Fliege und zog beherzt daran.
Ein wenig zu beherzt.
Gabriel stieß ein heiseres Lachen aus. »Haben Sie vor, mich zu erdrosseln, bevor wir diese Sache hier zu Ende gebracht haben, Miss Milton?«
»Es tut mir leid«, hauchte sie entsetzt.
»Erlauben Sie mir.«
Er löste geschickt den Knoten der Fliege. Der Stoffstreifen baumelte kurz zwischen seinen Fingern, und dann legte er ihn zur ihrer Verblüffung sacht um ihren Hals. Sie sah im Feuerschein des Kamins, wie Begehren seinen Blick verschleierte.
Nur wenige Augenblicke später war der Streifen schwarzer Seide das Einzige, was sie noch am Leibe trug. Sie schloss die Augen, verlegen in dem Wissen, dass sie nackt vor dem Mann ihrer Träume stand.
»Sie sind wunderschön«, flüsterte er und küsste ihre Nackenbeuge.
Sie wusste, dass das etwas übertrieben war, doch plötzlich fühlte sie sich hübsch und anziehend, allein durch die Überzeugungskraft seiner Stimme und die magische Atmosphäre in der vom Kaminfeuer vergoldeten Bibliothek.
»Sie auch«, platzte sie heraus, überwältigt vom Zauber des Augenblicks.
Er lachte leise auf, hob sie hoch und legte sie auf die samtenen Polster des Sofas. Schwindelig von den Wogen der Erregung und den nie gekannten Empfindungen, die in ihr entfacht wurden, schloss sie ihre Augen. Das Ende des Sofas senkte sich unter seinem Gewicht. Sie hörte, wie erst einer seiner Stiefel auf den Boden fiel, dann der zweite.
Er stand vom Sofa auf. Sie schlug ihre Augen auf und sah, wie er sein Hemd auszog. Der goldene Feuerschein des Kamins offenbarte seine schlanke, kräftige Statur. Er ist wie eine Raubkatze gebaut, dachte sie. Sie konnte es kaum abwarten, ihn zu liebkosen.
Er stieg aus seiner Hose und warf sie achtlos beiseite.
Als er sich wieder zu Venetia umdrehte, erstarrte sie beim Anblick seines erregten Körpers.
Auch er verharrte reglos.
»Was ist?«, fragte er.
»Nichts«, brachte sie mit Mühe heraus. Sie konnte ihm schließlich kaum gestehen, dass er der erste Mann war, den sie nackt und stolz aufgerichtet sah. Einer Frau von Welt wäre ein solcher Anblick vertraut, ermahnte sie sich.
»Finden Sie mich abstoßend?«, fragte er, noch immer völlig reglos.
Sie atmete tief ein, um sich zu fassen, und schenkte ihm dann ein bebendes Lächeln.
»Ich finde Sie sehr … anregend«, hauchte sie.
»Anregend.« Er klang, als wisse er nicht ganz, wie er das verstehen sollte. Dann verzogen sich seine Lippen abermals zu jenem geheimnisvollen Lächeln. »Ich glaube, das gleiche Wort haben Sie benutzt, um Ihre Arbeit hier in Arcane House zu beschreiben. Bedeutet das, dass Sie Ihre Kamera aufbauen möchten, bevor wir fortfahren?«
»Mr. Jones.«
Er stieß ein schallendes, zutiefst männliches Lachen aus und trat zu ihr. Langsam ließ er sich auf sie sinken und schob seinen muskulösen Schenkel zwischen ihre Beine.
Er hauchte feurige, verführerische, schockierend verruchte Worte auf ihre nackten Brüste. Sie antwortete ihm spontan, nicht mit Worten, denn sie brachte inzwischen kein Wort mehr heraus, sondern mit ihrem Körper. Sie wand und bog sich unter ihm und klammerte sich an ihn.
Es dauerte nicht lange, da verstummte auch er. Seine Atemzüge wurden keuchender. Sie fühlte, wie sich seine Muskeln unter ihren Händen anspannten. Das dunkle Feuer der Lust war so intensiv, dass ihr nicht einmal Zeit blieb, schockiert zu sein, als er seine Hand zwischen ihnen nach unten schob und ihre intimste Stelle streichelte.
Sie verlangte nach dieser Berührung. Und nicht nur das, sie wollte mehr, viel mehr.
»Ja«, stöhnte sie. »Bitte, ja.«
»Alles«, presste er heiser heraus. »Alles, was du willst. Du musst es nur sagen.«
Er streichelte sie, bis sie ihn um eine Erlösung anflehte, für die sie keine Worte kannte, bis sich jede Muskelfaser an der Schwelle zum Höhepunkt verkrampfte. Als er einen Finger in sie schob, wurde das Warten unerträglich.
Sie erkannte, dass er von dem gleichen Verlangen getrieben wurde. Er stöhnte, als ob ihn tief in seinem Innern ein köstlicher Schmerz peinigte. Seine Berührungen besaßen nicht mehr die erlesene Zärtlichkeit eines ritterlichen Liebhabers. Stattdessen kämpfte er mit ihr um die Oberhand in der Umarmung, quälte sie, reizte sie. Sie zahlte mit gleicher Münze zurück und kostete jeden Augenblick dieses lustvollen Ringkampfs aus.
»Du bist wie geschaffen für mich«, sagte er unvermittelt, als ob die Worte aus ihm herausgepresst würden. »Du gehörst mir.«
Eine Feststellung, kein kosendes Wort. Die Erklärung einer unbestreitbaren Tatsache.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Sag es. Sag, dass du mir gehört.«
»Ich gehöre dir.« Für heute Nacht, fügte sie im Stillen hinzu. Sie zog ihre Fingernägel über seinen Rücken.
Ein Strudel aus Energie umtoste sie. Ihre Aura war mit seiner verschmolzen und hatte einen unsichtbaren übersinnlichen Sturm erschaffen, der sie beide mitriss, dachte sie in einem entlegenen Winkel ihres Verstands.
Als sie ihre Augen etwas zusammenkniff, erkannte sie, dass ihre paranormale Sicht immer wieder verschwamm. Licht und Schatten verkehrten sich und verkehrten sich dann sogleich wieder.
Gabriel benutzte seine Hand, um sich in Position zu bringen. Er unternahm einen ersten forschenden Versuch, noch ganz behutsam, und drang dann mit einem einzigen, unerbittlichen Stoß tief in sie ein.
Schmerz durchzuckte sie, riss sie aus ihrer sinnlichen Trance.
Gabriel erstarrte.
»Teufel aber auch«, entfuhr es ihm. Er sah mit einem Blick auf sie herab, der ebenso gefährlich war wie seine dunkle Aura. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Weil ich wusste, dass du aufhören würdest, wenn ich es täte«, flüsterte sie. Sie strich mit ihren Fingern durch sein Haar. »Und ich wollte nicht, dass du aufhörst.«
Er stöhnte auf. »Venetia.«
Doch die Energie, die sie gemeinsam erzeugten, wuchs von neuem. Gabriel presste ihr einen Kuss auf die Lippen, ebenso besitzergreifend wie leidenschaftlich.
Als er sie wieder freigab, holte sie stockend Luft und wand sich leicht, um sich dem intimen Eindringling besser anzupassen.
»Nein«, sagte Gabriel. »Beweg. Dich. Nicht.« Er klang, als hätte er Atembeschwerden.
Sie lächelte leise, legte ihre Arme um seinen Hals und zog ihn enger an sich.
»Es ist dir doch bewusst, dass du dafür bezahlen wirst«, sagte er.
»Das hoffe ich doch.«
Er zog sich sehr behutsam aus ihr zurück.
»Nein.« Sie zog sich um ihn zusammen, versuchte, ihn tief in sich zu halten.
»Ich gehe nicht weg«, sagte er.
Die Worte waren gleichzeitig Versprechen und köstliche Drohung.
Er stieß abermals in sie hinein, füllte sie aus, dehnte sie bis an ihre Grenzen. Sie wollte dies so verzweifelt und konnte es doch nicht einen Augenblick länger ertragen.
Ohne Vorwarnung löste sich die unendliche Anspannung in ihr in übermächtigen Wogen, in einer Lust, die so intensiv war, dass sie an Schmerz grenzte.
Gabriel stieß mit einem triumphierenden Aufschrei ein letztes Mal in sie hinein. Als er zum Höhepunkt kam, loderte das übersinnliche Feuer mit solch gewaltiger Kraft auf, dass es sie beinah überraschte, dass es nicht ganz Arcane House in Brand steckte.
Viel, viel später spürte sie, wie Gabriel sich regte. Seine Hand ruhte auf ihrer Brust, während er sich gemächlich aufsetzte. Er studierte sie lange und eingehend im Feuerschein des Kamins, bevor er sich hinabbeugte, sie ganz sanft küsste und schließlich aufstand.
Er sammelte ihre Unterwäsche auf und reichte sie ihr. Dann griff er nach seiner Hose.
»Ich denke, dass Sie mir eine Erklärung schuldig sind«, sagte er.
Sie zerknüllte das feine Leinen ihres Unterkleids zwischen ihren Fingern. »Sie sind verärgert, weil ich Ihnen nicht gesagt habe, dass ich so etwas noch nie getan habe.«
Er sah sie gedankenvoll, ja beinahe amüsiert an. »Verärgert ist nicht das richtige Wort. Es freut mich, dass Sie so etwas noch nie zuvor mit einem anderen Mann getan haben. Aber Sie hätten das gleich zu Anfang klarmachen sollen.«
Sie kämpfte sich in ihr Unterkleid. »Hätte ich das gemacht, hätten Sie sich dann trotzdem darauf eingelassen?«
»Ja, meine Liebste. Ohne jeden Zweifel.«
Sie sah ihn überrascht an. »Ist das wahr?«
»Das ist wahr.« Er lächelte leise. »Aber ich bilde mir gern ein, dass ich mit etwas mehr Finesse vorgegangen wäre.«
»Ich … verstehe.«
Er musterte ihr vom Kaminfeuer vergoldetes Gesicht.
»Schockiert Sie das?«
»Ich bin nicht sicher. Ja, ich glaube schon.«
»Warum? Haben Sie mich denn für einen solch hochanständigen Gentleman gehalten?«
»Nun, ja«, gestand sie.
»Und ich habe Sie für eine Frau von Welt gehalten. Wie es scheint, sind wir da beide einem kleinen Missverständnis erlegen.«
»Einem kleinen Missverständnis?«, wiederholte sie kühl.
»Nicht, dass es jetzt noch eine Rolle spielen würde.« Er knöpfte seine Hose zu. »Sagen Sie mal, was hat Sie überhaupt auf die Idee gebracht, mich zu verführen?«
So viel zu ihrer Raffinesse. Wie peinlich, dass sie so durchschaubar gewesen war!
»Angesichts meines Alters und meiner Umstände habe ich mich damit abfinden müssen, dass ich wohl kaum je heiraten werde«, erklärte sie. »Aber offen gesagt, Sir, habe ich keinen Grund gesehen, warum ich mir deshalb für den Rest meines Lebens auch jegliche Leidenschaft und Lust versagen sollte. Wenn ich ein Mann wäre, würde niemand von mir erwarten, auf ewig keusch zu bleiben.«
»Da haben Sie natürlich recht. Was bestimmte Dinge angeht, stellt die Gesellschaft für Männer und Frauen unterschiedliche Regeln auf.«
»Nichtsdestotrotz gibt es diese Regeln.« Sie seufzte. »Und man verstößt auf eigene Gefahr dagegen. Ich habe gewisse Verpflichtungen meiner Familie gegenüber. Ich muss darauf achten, jeglichen Skandal zu vermeiden, der meine Karriere als Fotografin ruinieren könnte. Mein Beruf ist unsere einzige Einkommensquelle.«
»Doch als Sie nach Arcane House kamen, ist Ihnen aufgegangen, dass die Situation Ihnen die ausgezeichnete Gelegenheit für ein Experiment in verbotener Leidenschaft bot, oder?«
»Ja.« Sie hatte inzwischen ihr Kleid angezogen und konzentrierte sich betont auf das Schließen der Haken. »Mir ist nicht aufgefallen, dass Sie sich dagegen gesträubt hätten, Sir. Um genau zu sein, Sie schienen mehr als willens und bereit,
an meinem Experiment teilzunehmen.«
»Ich war in der Tat mehr als willens und bereit.«
»Nun, damit wäre dann ja alles geklärt.« Erleichtert über den Triumph ihrer Logik, lächelte sie. »Es besteht für keinen von uns beiden Anlass, auch nur einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, was hier heute Abend geschehen ist. Wir werden alsbald wieder getrennte Wege gehen. Sobald ich nach Bath zurückkehre, wird mir dies alles nur noch wie ein Traum vorkommen.«
»Ich weiß ja nicht, wie es mit Ihnen steht«, sagte Gabriel, urplötzlich sehr grimmig. »Aber ich brauche jetzt frische Luft.«
»Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahetreten, Sir, aber sind alle Männer nach dem Liebesakt so launisch?«
»Ich bin eben von Natur aus recht empfindsam.«
Er ergriff ihre Hand und führte sie abermals hinaus auf die Terrasse. Die Jacke, die er ihr vorhin umgelegt hatte, lag zerknüllt auf dem Steinboden. Er hob sie auf und legte sie ihr wieder um die Schultern.
»Also«, sagte er. Er umfasste die Revers des Jacketts und sah ihr tief in die Augen. »Lassen Sie uns auf Ihre Theorie zurückkommen, dass alles, was hier heute Nacht passiert ist, alsbald nichts weiter als ein Traum sein wird.«
»Was ist damit?«
»Ich habe schlechte Nachrichten für Sie, meine Liebste. Die Beziehung zwischen uns ist leider komplizierter, als Sie denken.«
»Ich verstehe nicht«, hauchte sie.
»Glauben Sie mir, dessen bin ich mir nur allzu bewusst. Aber ich glaube nicht, dass die heutige Nacht der richtige Zeitpunkt für eine ausführliche Erklärung ist. Morgen ist früh genug.«
Er beugte seinen Kopf vor, um sie zu küssen. Doch diesmal gab sie sich nicht der Umarmung hin. Ungewissheit nagte an ihr. Vielleicht hatte sie doch einen fatalen Fehler begangen.
Gabriels Launenhaftigkeit und seine aufbrausende Reizbarkeit verwirrten sie. Alles in allem verhielt er sich ausgesprochen seltsam für einen Mann, der sich gerade der Leidenschaft hingegeben hatte. Andererseits, was wusste sie schon davon, wie Männer sich nach solchen Erlebnissen aufführten?
Seine Lippen pressten sich auf die ihren. Sie schlug ihre Augen auf, stemmte ihre Hände gegen seine Schultern und schubste ihn mit aller Kraft von sich. Es war, als versuchte sie, einen Berg zu verschieben. Gabriel rührte sich nicht von der Stelle, doch er hob den Kopf.
»Wollen Sie mir denn einen Gutenachtkuss verwehren?«, fragte er.
Sie antwortete ihm nicht. Sie wollte zuerst seine Aura sehen. Die würde ihr vielleicht einen Hinweis auf seine wahren Gefühle geben.
Einen Augenblick lang pendelte ihre Sicht zwischen normal und paranormal. Licht und Schatten kehrten sich um. Die Nacht verwandelte sich in ein Fotonegativ.
Gabriels Aura wurde sichtbar. Doch auch die einer anderen Person.
Erschreckt schaute sie in den dunklen Wald jenseits des Gartens.
»Was ist?«, fragte Gabriel leise.
Sie erkannte, dass er augenblicklich begriffen hatte, dass etwas nicht stimmte.
»Da draußen im Wald ist jemand«, sagte sie.
»Einer unserer Bediensteten«, meinte er und wandte sich um, um ebenfalls in den Wald zu schauen.
»Nein.« Es gab nur wenige Bedienstete in Arcane House. Während der vergangenen Tage hatte die Neugier Venetia verleitet, all ihre Auren in Augenschein zu nehmen. Wer immer sich dort zwischen den Bäumen bewegte, war ein Fremder.
Eine zweite Aura tauchte auf, folgte eilig der ersten.
Es war zwecklos zu versuchen, Gabriel zu beschreiben, was sie sah. Es war besser, wenn er dachte, sie verfüge über Adleraugen. In gewisser Hinsicht entsprach es ja sogar der Wahrheit.
»Es sind zwei«, sagte sie leise. »Sie verbergen sich in der Dunkelheit. Ich glaube, sie halten auf den Wintergarten zu.«
»Ja«, erwiderte er. »Ich kann sie sehen.«
Sie sah ihn verblüfft an. Die Auren der Eindringlinge waren für ihre übersinnliche Wahrnehmung sichtbar, doch sie bezweifelte, dass Gabriel die beiden Männer nur mit Hilfe seiner normalen Sehkraft ausmachen konnte. Es drang nur wenig Mondschein in den Wald, der an Arcane House grenzte.
Ihr blieb keine Zeit, ihn danach zu fragen. Er hatte sich bereits in Bewegung gesetzt.
»Kommen Sie mit.« Er drehte sich und und packte sie am Arm.
Unwillkürlich umklammerte sie die Revers seiner Anzugjacke, damit sie ihr nicht von den Schultern rutschte. Gabriel zog sie eilig durch die Terrassentür zurück in die Bibliothek.
»Wo gehen wir hin?«, fragte sie atemlos.
»Es lässt sich nicht sagen, wer die beiden sind oder was sie im Schilde führen. Ich will, dass Sie auf der Stelle das Haus verlassen.«
»Meine Sachen –«
»Vergessen Sie sie. Es bleibt keine Zeit zum Packen.«
»Meine Kamera«, beharrte sie. »Die kann ich nicht hierlassen.«
»Sie können sich von dem Geld, das Sie für diesen Auftrag bekommen haben, eine neue kaufen.«
Das stimmte, aber dennoch gefiel ihr der Gedanke nicht, ihre kostbare Ausrüstung zurückzulassen, von ihrer Garderobe ganz zu schweigen. Sie hatte ihre besten Kleider mit nach Arcane House gebracht.
»Mr. Jones, was geht hier vor? Diese Eile ist doch sicherlich übertrieben. Wenn Sie die Bediensteten rufen, werden die schon dafür sorgen, dass diese Einbrecher nicht ins Haus gelangen.«
»Ich bezweifle sehr, dass es sich bei den beiden um gewöhnliche Wald-und-Wiesen-Diebe handelt.« Gabriel hielt neben dem Schreibtisch inne und griff nach der samtenen Klingelschnur. Er zog dreimal kurz und kräftig daran. »Das gibt den Bediensteten Bescheid. Sie haben ihre Anweisungen für derartige Notfälle.«
Er zog die oberste Schreibtischschublade auf und langte hinein. Als er sich wieder aufrichtete, sah Venetia eine Pistole in seiner Hand.
»Folgen Sie mir«, befahl er. »Ich werde Sie unbeschadet hier herausbringen, und dann werde ich mich um die Eindringlinge kümmern.«
Hundert Fragen schossen ihr durch den Sinn, doch der Tonfall seiner Stimme verlangte unbedingten Gehorsam. Was immer hier vor sich ging, Gabriel war offenkundig überzeugt, dass es sich um mehr als einen gewöhnlichen Einbruch handelte.
Sie raffte ihre Röcke und eilte ihm hinterher. Sie nahm an, dass sie auf die Tür zuhielten, die in das großzügige Vestibül führte. Doch zu ihrer Verblüffung ging Gabriel zu der klassischen Statue eines griechischen Gottes, die neben einem Bücherregal stand, und bewegte einen der Steinarme.
Im Innern der Wand ertönte das erstickte Ächzen schwerer Angeln. Ein Abschnitt der Täfelung schwang träge auf und offenbarte eine schmale Stiege. Venetia konnte nur die obersten Stufen sehen. Der Rest verlor sich in der Dunkelheit.
Gabriel hob eine Laterne auf, die am Kopf der Treppe abgestellt war, und riss ein Streichholz an. Der gelbe Laternenschein drang in die Finternis unterhalb der Stufen vor. Er wartete, bis Venetia zaudernd auf die erste Stufe getreten war, bevor er die Geheimtür hinter ihnen zuzog.
»Seien Sie vorsichtig«, warnte Gabriel und stieg die ersten Stufen hinab. »Die Stiege ist sehr ausgetreten. Sie gehört zum ältesten Teil der Abtei.«
»Wo führt sie hin?«
»Zu einem Geheimtunnel, der dem Kloster einst im Falle eines Überfalls als Fluchtweg diente«, sagte er.
»Weshalb glauben Sie, dass diese beiden Eindringlinge keine gewöhnlichen Halunken sind?«
»Abgesehen von den Mitgliedern der Gesellschaft wissen nur wenige, dass Arcane House überhaupt existiert, ganz zu schweigen davon, wo genau es liegt. Sie werden sich erinnern, dass Sie bei Dunkelheit hierhergebracht wurden, in einer geschlossenen Kutsche. Könnten Sie Ihren Weg zurück finden?«
»Nein«, gestand sie.