Liebe um Mitternacht - Amanda Quick - E-Book

Liebe um Mitternacht E-Book

Amanda Quick

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Beschreibung

Auf den Spuren eines Verbrechens trifft er auf eine attraktive Unbekannte, die seine Welt auf den Kopf stellt – spannend und voll knisternder Leidenschaft!

Adam Hardesty muss um seinen guten Ruf in der feinen Londoner Gesellschaft bangen. Die stadtbekannte Wahrsagerin Elizabeth Delmont droht ihr Tagebuch zu veröffentlichen und damit ein dunkles Geheimnis aus Adams Vergangenheit zu enthüllen. Fest entschlossen, sich nicht erpressen zu lassen, stürmt Adam Mrs. Delmonts Haus. Doch er kommt zu spät: Die Wahrsagerin ist tot – ermordet! Und was noch schlimmer ist: Ihr Tagebuch wurde gestohlen! Adams einzige Spur führt ihn zu einer Kundin von Mrs. Delmont: der schönen jungen Witwe Caroline Fordyce. Die ist von Adams Anschuldigungen zwar schockiert, andererseits bringt der aufbrausende Fremde mit einem Schlag jede Menge Aufregung in ihr langweiliges Leben …

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Buch

Der attraktive Adam Hardesty fürchtet um seinen guten Ruf in der feinen Gesellschaft. Denn die stadtbekannte Wahrsagerin Elizabeth Delmont droht, ihr Tagebuch zu veröffentlichen und damit ein dunkles Geheimnis aus Adams Vergangenheit zu enthüllen. Fest entschlossen, sich nicht erpressen zu lassen, stürmt Adam in Mrs. Delmonts Haus. Er will ihr mal so richtig die Meinung sagen. Damit kommt Adam aber leider zu spät. Er findet sie tot – ermordet! Und was noch schlimmer ist: Ihr geheimes Tagebuch wurde gestohlen. Adams einzige Spur führt ihn zu einer Kundin von Mrs. Delmont, der schönen jungen Witwe Caroline Fordyce, die von Adams kaum verhohlenen Anschuldigungen – gelinde gesagt – einigermaßen schockiert ist. Aber andererseits bringt dieser aufbrausende Fremde mit einem Schlag jede Menge Aufregung in Carolines langweiliges Leben …

Autorin

Amanda Quick ist das Pseudonym der erfolgreichen, vielfach preisgekrönten Autorin Jayne Ann Krentz.

Von Amanda Quick bereits erschienen (Auswahl)

Süßer Betrug · Geheimnis der Nacht · Liebe um Mitternacht · Verführung im Mondlicht · Verzaubertes Verlangen · Riskante Nächte · Dieb meines Herzens · Süßes Gift der Liebe · Glut der Herzen · Ungezähmte Leidenschaft

Amanda Quick

Liebe um Mitternacht

Roman

Deutsch von Elke Iheukumere

BLANVALET

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Wait until Midnight« bei Jove, published by the Berkley Publishing Group, a division of Penguin Group (USA) Inc.,

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Der Blanvalet Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House.

Deutschte Erstveröffentlichung August 2005

Copyright © der Originalausgabe 2005 by Jane A. Krentz

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2005

by Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlaggestaltung: Design Team München

Umschlagfoto: Agt. Schlück/Ennis

Satz: DTP Service Apel, Hannover

Redaktion: Sabine Wiermann

ISBN 978-3-641-24647-1V001

www.blanvalet-verlag.de

Für Frank

Prolog

Die letzten Jahre der Regierungszeit von Königin

Victoria …

Erstaunliche Darbietung übersinnlicher Kräfte

von

Gilbert Otford

Reporter

The Flying Intelligencer

Mrs. Fordyce, die bekannte Autorin, hat vor einiger Zeit vor einem kleinen, privaten Publikum, das nur aus Damen bestand, eine aufregende Demonstration ihrer übersinnlichen Fähigkeiten gegeben.

Diejenigen, die dieser Demonstration beigewohnt haben, beschrieben eine beeindruckende Szene. Der Raum war auf eine höchst dramatische Art und Weise abgedunkelt. Mrs. Fordyce saß allein an einem Tisch, der nur von einer einzelnen Lampe erhellt wurde. Aus dieser Position beantwortete sie Fragen und machte Bemerkungen höchst persönlicher Art über viele der Anwesenden.

Nach dieser Vorstellung war man allgemein der Ansicht, dass nur der Besitz höchst außergewöhnlicher übersinnlicher Fähigkeiten dafür verantwortlich war, dass Mrs. Fordyce so ungeheuer genau auf die Fragen antworten konnte, die man ihr gestellt hatte. Die erstaunliche Genauigkeit ihrer Bemerkungen über die Anwesenden in dem Raum, die sie zuvor nicht gekannt hatte, hinterließ einen tiefen Eindruck.

Mrs. Fordyce wurde später überschüttet von Anfragen nach Séancen und Sitzungen. Man schlug ihr auch vor, dass sie Mr. Reed, den Präsidenten der Gesellschaft für übersinnliche Untersuchungen, um die Erlaubnis bitten sollte, sich im Wintersett House, dem Sitz der Gesellschaft, testen zu lassen. Sie schlug all diese Aufforderungen aus und machte deutlich, dass es keine weiteren Demonstrationen oder Darbietungen ihrer Fähigkeiten geben würde.

Unter den Wissenschaftlern, die solche Phänomene untersuchen, ist es allgemein bekannt, dass der Einsatz eines solchen übersinnlichen Talents eine beträchtliche Belastung für die Nerven bedeutet, und die sind, so hat die Natur es nun einmal eingerichtet, bei Frauen bei weitem noch empfindsamer als bei Männern.

Mr. Reed hat unserem Korrespondenten berichtet, dass die Sorge um die Gesundheit der Nerven der einzige Grund für das Zögern eines weiblichen Mediums ist, seine Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Er hat erklärt, dass die angeborene Zartheit ihrer Gefühle und der Wunsch nach Bescheidenheit, die Kennzeichen einer jeden wahren Dame, dafür sorgen, dass eine Frau, die sowohl wirklich übersinnliche Fähigkeiten als auch einen feinen Sinn für Anstand besitzt, nur äußerst zögerlich zustimmen wird, ihre Kräfte in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Sonder01 Ende

1

Das Gesicht des toten Mediums war ein geisterhafter Schatten unter dem blutgetränkten Hochzeitsschleier.

Im Leben war die Frau recht hübsch gewesen. Der lange, schwere Rock eines dunkelblauen Kleides lag zerknittert um ihre schlanken Beine mit den weißen Strümpfen. Der eiserne Feuerhaken, mit dem man ihr den Hinterkopf eingeschlagen hatte, lag gleich neben der Leiche.

Adam Hardesty ging durch das kleine, halbdunkle Zimmer und zwang sich, die unsichtbare Barriere zu überwinden, die der ganz besondere Geruch und die eisige Kälte des Todes schufen. Er hockte sich neben dem leblosen Körper nieder und hielt die Kerze hoch.

Durch den durchsichtigen Schleier erkannte er das Glitzern der blauen Perlen, die als Kette um den Hals von Elizabeth Delmont lagen. Dazu passende Ohrringe steckten in ihren Ohren. Auf dem Boden neben ihren blassen, leblosen Fingern entdeckte er eine zerbrochene Taschenuhr. Das Glas war zersplittert, die Zeiger der Uhr waren um Mitternacht stehen geblieben.

Er zog seine eigene Uhr aus der Tasche seiner Hose und sah nach der Zeit. Zehn nach zwei. Wenn die Uhr auf dem Teppich in der Tat bei dem heftigen Kampf zerbrochen war, der in diesem Zimmer stattgefunden hatte, war Delmont vor ein wenig mehr als zwei Stunden ermordet worden.

Eine Trauerbrosche, verziert mit schwarzem Emaille, lag auf dem geschnürten, mit Spitze besetzten steifen Mieder des blauen Kleides. Es sah so aus, als hätte jemand die Brosche absichtlich auf Delmonts Busen gelegt, eine Art grimmiger Parodie der Totenehrung.

Adam nahm die Brosche hoch und drehte sie um, um sich die Rückseite anzusehen. Die flackernde Kerze erhellte eine kleine Fotografie, das Portrait einer Frau mit hellem Haar, in einem weißen Kleid und mit einem Hochzeitsschleier. Die Lady schien nicht älter als achtzehn oder neunzehn Jahre zu sein. Etwas an dem traurigen, resignierten Gesichtsausdruck auf ihrem wunderschönen, ernsten Gesicht erweckte den Eindruck, dass sie sich nicht auf das Eheleben freute. Unter dem Bild war eine Locke blonden Haares unter einem abgeschrägten Kristall befestigt.

Lange betrachtete Adam das Gesicht der Frau und prägte sich jede Einzelheit des winzigen Bildes ein. Als er damit fertig war, legte er die Brosche sorgfältig auf das Mieder von Elizabeth Delmont zurück. Für die Polizei würde sie vielleicht ein nützlicher Hinweis sein.

Er richtete sich auf und drehte sich langsam um, um sich das Zimmer anzusehen, in dem Elizabeth Delmont umgebracht worden war. Es sah aus, als wäre ein heftiger Sturm hindurchgefegt und hätte einen Pfad der Zerstörung hinterlassen. Der große Tisch in der Mitte des Zimmers war umgestürzt und enthüllte einen eigenartigen Mechanismus, der darunter verborgen war. Zweifellos hatte Delmont den versteckten Mechanismus angebracht, um damit den schweren Tisch schweben zu lassen. Leicht zu beeindruckende Mitglieder einer Séance nahmen so etwas zum Zeichen, dass Geister anwesend waren.

Zwei Schubladen waren in die Seite des Tisches eingelassen, gleich unter der Oberfläche. Beide Schubladen standen offen. Er ging ein wenig näher und schob prüfend eine der Schubladen zu. Wie er es vermutet hatte, waren sie für das bloße Auge nicht zu erkennen, wenn sie geschlossen waren.

Mit den Fingerspitzen fuhr er um den ganzen Rand des viereckigen Tisches und suchte nach weiteren, sorgfältig verborgenen Schubladen. Doch er fand keine mehr.

Ein paar Stühle standen verstreut im Zimmer. Eine ganze Anzahl ungewöhnlicher Dinge lag auf dem Teppich, darunter eine Flöte, ein Sprachrohr, einige Glocken und Teile eines Glockenspiels.

Ein ausziehbarer Stock, eine Schieferplatte und einige Vorhängeschlösser lagen verstreut neben einem offenen Schrank. Er hob eines der Schlösser auf und untersuchte es im Licht der Kerze. Nur wenige Sekunden brauchte er, um die versteckte Feder zu finden, die jemand, der mit diesem Schloss gefesselt war, benutzen musste, um das Schloss zu öffnen.

Neben einem Stuhl lag ein totenbleicher weißer Arm, der so aussah, als hätte man ihn am Ellbogen amputiert. Die elegant geformte Hand hing noch an dem Arm. Er stieß mit der Schuhspitze dagegen.

Wachs, entschied er, sorgfältig gearbeitet, bis hin zu den weißen Fingernägeln und den Linien in der Handfläche.

Er war ein Skeptiker und hatte kein Verständnis für das augenblickliche große Interesse an übersinnlichen Erscheinungen. Dennoch wusste er sehr wohl, dass es eine ganze Menge Menschen geben würde, die bereit waren zu glauben, dass Delmont von einem der gefährlichen Geister beiseite geschafft worden war, den sie von der anderen Seite gerufen hatte, wenn erst einmal die Nachricht von ihrem Tod in den Zeitungen erscheinen würde.

Wenn es um Skandale ging, so gab es für ihn nur ein einziges, unumstößliches Gesetz: Lasse dich in keinen hineinziehen. Das Letzte, was er sich wünschte, war, dass der Tod von Elizabeth Delmont von den Zeitungen als Sensation verbreitet wurde, doch es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sich das jetzt noch vermeiden ließ. Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, seinen eigenen Namen aus den Presseberichten herauszuhalten.

Er durchsuchte auch den Rest des Zimmers gründlich, in der Annahme, dass dieses Zimmer der Ort im Haus war, in dem das Medium sehr wahrscheinlich seine Geheimnisse versteckt hatte. Er entdeckte drei weitere verborgene Fächer, eines in der Wand und zwei im Boden, doch nirgendwo fand er Spuren eines Tagebuches.

Als er seine Durchsuchung beendet hatte, ging er die Treppe hinauf in das Schlafzimmer von Elizabeth Demont und sah sich auch dort gründlich um, durchsuchte jede Schublade und den Schrank.

Vergeblich. Das einzig Interessante, das er finden konnte, war ein kleiner Katalog mit dem Titel Die Geheimnisse des Mediums. Unter den Artikeln, die in diesem Katalog zum Verkauf angeboten wurden, war eine Anzahl künstlicher Körperteile, die dazu bestimmt waren, Erscheinungen von Geistern vorzutäuschen, außerdem gab es Trickspiegel und ein eigenartiges Gerät aus Drähten und Flaschenzügen, mit dem man Schwerelosigkeit vortäuschen konnte. Die Firma garantierte potenziellen Kunden, dass alle Transaktionen mit strikter Vertraulichkeit und absoluter Diskretion abgewickelt werden würden.

Unten im Haus ging er durch den dunklen Flur, mit der Absicht, das Haus durch die Küchentür zu verlassen. Er hatte alles getan, was er tun konnte. Es war unmöglich, jeden Zentimeter des Hauses abzusuchen, in der Hoffnung, noch weitere versteckte Fächer oder Schränke zu finden.

Als er an dem düsteren Wohnzimmer vorüberging, fiel ihm inmitten der schweren Möbel ein Schreibtisch auf.

Er ging in das Zimmer, schritt über den rot und schwarz gemusterten Teppich und öffnete schnell verschiedene Schubladen des Schreibtisches. In keiner davon fand er ein Tagebuch, doch dann entdeckte er in einem Fach ein achtlos beiseite gelegtes Stück Papier, auf dem einige Adressen standen. Das Datum des gestrigen Tages und die Worte neun Uhr waren oben auf der Seite notiert.

Er betrachtete die Liste mit den Adressen eingehend und überlegte, dass er hier wahrscheinlich die Namen der Leute in der Hand hielt, die an Elizabeth Delmonts letzter Séance teilgenommen hatten.

Einer der Namen war dick unterstrichen. Er kam ihm vage bekannt vor, doch konnte er ihn nicht genau einordnen. Allein das war beunruhigend. Er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Ein solches Talent war in seinem früheren Leben sehr nützlich gewesen, als er noch vom Klatsch und den Geheimnissen anderer Menschen seinen Lebensunterhalt bestritten hatte.

Jetzt bewegte er sich in weit gehobeneren Kreisen, doch einige Dinge hatten sich nicht verändert. Er vergaß niemals einen Namen oder ein Gesicht, das mit einem Gerücht in Verbindung stand. Diese Information gab ihm Macht in dem glitzernden, verräterischen Dschungel der Gesellschaft, genau wie sie ihm geholfen hatte, in seiner Jugend in den Straßen von London zu überleben.

Adam konzentrierte sich auf den unterstrichenen Namen und versuchte, in seiner Erinnerung ein Bild oder einen Eindruck heraufzubeschwören oder auch nur einen winzigen Hauch eines Gerüchtes. Ein flüchtiges Bild erschien. Er war beinahe sicher, dass Julia oder Wilson diesen Namen einmal erwähnt hatten. Er hatte irgendetwas mit einem Artikel in der Zeitung zu tun. Doch es war nicht die Times, dessen war er ganz sicher. Die las er gründlich, jeden Tag.

Der Name musste in einer der weniger angesehenen Zeitungen erwähnt worden sein, entschied er. In einer Zeitung, die sich mit blutrünstigen Geschichten oder Sensationen beschäftigte – mit gewalttätigen Verbrechen und mit anrüchigen Sexgeschichten – um ihre Auflage zu erhöhen.

Er hatte damals diesem Namen keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt, weil diese Person nicht zu der relativ kleinen Welt des Reichtums und der Privilegien gehörte, die sein Jagdgebiet war.

Eine unheimliche Erregung ließ ihn erschauern und die Haare in seinem Nacken sträubten sich.

Mrs. Fordyce. Corley Lane 22.

Diesmal würde er den Namen nicht vergessen.

2

Der Mann wirkte geheimnisvoll und faszinierend. Sein Anblick hatte etwas Aufregendes, sogar ein wenig Beunruhigendes, als er an der Tür ihres kleinen Arbeitszimmers stand, überlegte Caroline Fordyce. Erwartung, Neugier und eine eigenartige Erregung erfassten sie.

Es war gerade erst neun Uhr am Morgen, und sie war Adam Grove noch nie zuvor in ihrem Leben begegnet. Eine Lady mit dem nötigen Sinn für Anstand hätte ihn niemals in ihr Haus gelassen, ganz sicher nicht zu einer so frühen Stunde am Morgen, überlegte sie. Aber ein zu engstirniger Umgang mit dem Anstand machte das Leben nicht gerade aufregend. Sie musste es schließlich wissen, immerhin war sie in den letzten drei Jahren äußerst bemüht gewesen, was den Anstand betraf, und das Leben hier in der Corley Lane 22 hatte entsetzlich trübe ausgesehen.

»Bitte, setzen Sie sich doch, Mr. Grove.« Caroline stand hinter ihrem Schreibtisch auf und trat vor das Gartenfester. Mit dem warmen Licht der Morgensonne in ihrem Rücken konnte sie ihren Besucher besser betrachten. »Meine Haushälterin hat mir gesagt, dass Sie zu mir gekommen sind, um über eine Angelegenheit zu sprechen, die Ihrer Meinung nach von äußerster Wichtigkeit für uns beide ist.«

In der Tat war es der Ausdruck äußerste Wichtigkeit gewesen, die ihr Interesse geweckt und sie dazu gebracht hatte, Mrs. Plummer zu bitten, Mr. Grove in ihr Arbeitszimmer zu führen. Die Worte äußerste Wichtigkeit vibrierten förmlich und versprachen einen ungewöhnlichen Vorfall.

Die Leute besuchten sie nie hier in der Corley Lane 22 mit einer Neuigkeit von äußerster Wichtigkeit, außer vielleicht der Tatsache, dass die junge Tochter des Fischhändlers Mrs. Plummer in der letzten Woche geraten hatte, gründlich an dem Lachs zu riechen, ehe sie ihn kaufte, weil er schon verdorben war. Das Mädchen hatte erklärt, dass ihr Vater den Fisch mit einer Substanz behandelte, die den Geruch der Verwesung überdeckte. Sie hatte Mrs. Plummer anvertraut, dass sie nicht dafür verantwortlich sein wollte, wenn sich der ganze Haushalt an dem Fisch den Magen verdarb. »Als hätte ich mich von einer solchen Sache hinters Licht führen lassen«, hatte Mrs. Plummer Caroline erklärt, und aus jedem ihrer Worte hatte Verachtung geklungen.

Das waren die einzigen äußerst wichtigen Ereignisse, die es in diesem Haushalt gab.

Sehr wahrscheinlich würde auch der Besucher am heutigen Morgen schon sehr schnell feststellen, dass er sich in der Adresse geirrt hatte und seine Neuigkeit von äußerster Wichtigkeit mit sich nehmen, wenn er wieder verschwand, überlegte Caroline. Aber inzwischen hatte sie die Absicht, die Unterbrechung ihres eintönigen Lebens entsprechend zu genießen.

»Danke, dass Sie mich so schnell empfangen haben, Mrs. Fordyce«, meinte Adam Grove, der noch immer an der Tür stand.

Oh, du meine Güte, dachte sie. Seine Stimme klang wundervoll bezwingend, sie war leise und tief und voller männlicher Selbstsicherheit. Wieder spürte sie einen Hauch von Erregung am ganzen Körper. Doch diesmal weckte er auch einen Anflug von Vorsicht in ihr. Sie fühlte, dass Grove ein Mann war, der einen eisernen Willen besaß, er war ein Mann, der es gewöhnt war, seine Ziele zu erreichen, wahrscheinlich sogar mit allen Mitteln.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Adam Grove war genau das, wonach sie schon den ganzen Morgen gesucht hatte. Er war perfekt.

Sie warf einen Blick auf das Blatt Papier und den Stift auf ihrem Schreibtisch und fragte sich, ob sie es wohl wagen konnte, sich Notizen zu machen. Sie wollte Grove nicht beunruhigen oder ihn allzu übereilt wieder wegschicken. Er würde seinen Fehler schon sehr schnell feststellen und dann zu der richtigen Adresse verschwinden. In der Zwischenzeit war es für sie eine hervorragende Gelegenheit, die sie nicht verderben wollte. Vielleicht würde er es ja gar nicht bemerken, wenn sie sich ab und zu während ihrer Unterhaltung ein paar Notizen machte.

»Natürlich fühlte ich mich verpflichtet, mir ihre Neuigkeit anzuhören, die nach Ihren Worten von äußerster Wichtigkeit ist, Sir«, sagte sie und setzte sich so unauffällig wie möglich wieder auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch.

»Ich hätte Sie nicht zu so früher Morgenstunde aufgesucht, wenn der Anlass meines Besuches nicht so äußerst dringend gewesen wäre«, versicherte er ihr.

Sie setzte sich, griff nach ihrem Stift und lächelte ihn aufmunternd an. »Bitte, wollen Sie sich nicht setzen, Sir?«

»Danke.«

Sie sah ihm zu, wie er durch das kleine Zimmer kam. Als er ins Licht trat, erkannte sie den teuren Schnitt seines Rockes und seiner Hose. Ihre Finger krallten sich um den

Stift.

Sei vorsichtig, dachte sie. Dieser Mann kommt aus der anderen Welt, nicht aus dem unsichtbaren Reich, das ein solches Interesse unter den Forschern der übersinnlichen Kräfte weckte, sondern aus den weitaus gefährlicheren Regionen der Gesellschaft. Es war ein Ort, an dem die Reichen und die Mächtigen alle Regeln bestimmten und sich rücksichtslos über diejenigen hinwegsetzten, die sie als gesellschaftlich unter ihnen stehend betrachteten. Vor drei Jahren hatte sie eine schreckliche Erfahrung mit einem Mann gehabt, der sich in privilegierten Kreisen bewegte. Das hatte sie eine Lektion gelehrt, die sie nicht so schnell wieder vergessen würde, ganz ungeachtet davon, wie geheimnisvoll und verlockend Mr. Adam Grove auch sein mochte.

Sie beobachtete ihn und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Grove war schlank und gut gebaut, auf eine sehr männliche Art. Seine Bewegungen waren knapp und kontrolliert, aber dennoch anmutig. Man hatte den Eindruck, dass er schnell handeln konnte, wenn Gefahr drohte, doch dass er seine Kraft und seinen Willen vollkommen unter Kontrolle hatte. Er erfüllte die Luft in diesen Zimmer mit Energie und einer männlichen Lebhaftigkeit, die nicht zu leugnen war.

Ohne Zweifel, er war das perfekte Vorbild für die Rolle des Edmund Drake.

Sie notierte schnell: erfüllt die Luft mit männl. Lebhaftigkeit und hoffte, dass es nicht aufgefallen war, dass es vielleicht so aussah, als hätte sie nur eine Einkaufsliste aufgeschrieben.

Sie entschied, dass sie sich auch Notizen über seinen Kleidungsstil machen sollte. Er war einmal elegant und vornehm gewesen, doch jetzt entsprach er nicht mehr der augenblicklichen Männermode, die solch atemberaubende Kombinationen wie gepunktete Hemden und gefältelte Hosen bevorzugte.

Grove war von Kopf bis Fuß in Schattierungen von dunklem Grau gekleidet. Sein Hemd war die einzige Ausnahme. Es strahlte leuchtend weiß. Der Kragen war in dem neuen modischen Stil zurückgeschlagen, was wesentlich bequemer zu sein schien als die übliche Art des hochstehenden Kragens. Seine Krawatte hatte er in einem lockeren Knoten gebunden, bei dem die langen Enden gerade herunterhingen.

Kein Wunder, dass sie so große Schwierigkeiten gehabt hatte bei der Frage, wie Edmund Drake gekleidet sein sollte. Sie hatte die Absicht gehabt, ihn in die Art von grell gestreiften Hosen und bunt gemusterten Hemden zu kleiden, die sie in letzter Zeit bei einigen der Gentlemen gesehen hatte. Solch eine leuchtend bunte Kleidung war jedoch für Edmund Drake vollkommen unangebracht. Er musste eine gewisse Bedrohung ausstrahlen, eine Aura resoluter Entschlossenheit. Punkte, Streifen und Falten passten gar nicht zu ihm.

Sie schrieb: dunkelgrauer Rock und Hose, ohne einen Blick auf das Papier zu werfen.

Grove setzte sich in den Ohrensessel vor dem Kamin. »Wie ich sehe, habe ich Ihre morgendliche Korrespondenz unterbrochen. Ich entschuldige mich noch einmal dafür.«

»Ach, das ist gar nicht nötig.« Sie lächelte ihn aufmunternd an. »Ich mache mir nur ein paar Notizen von einigen Dingen, um die ich mich später noch kümmern muss.« »Verstehe.«

Groves Haar war genau richtig für Edmund Drake, überlegte sie. Es hatte einen Schimmer, der beinahe schwarz aussah, mit leisen Anzeichen von Silber an den Schläfen. Es war kurz geschnitten und eng an den Kopf gekämmt. Er hatte sich nicht der letzten Mode unterworfen, die einen Schnurrbart und einen kurzen Bart bevorzugte, doch konnte sie den Anflug eines dunklen Schattens auf den kantigen Linien seines Gesichts erkennen. Sie ahnte, dass er sich an diesem Morgen noch nicht rasiert hatte. Wie eigenartig.

Edmund Drakes Kleidung und Frisur waren nicht die einzigen Dinge, die sie würde ändern müssen, um ihm einen geheimnisvolleren Charakter zu geben. Sie begriff sofort, dass sie sich geirrt hatte, als sie versucht hatte, ihn als gut aussehend zu beschreiben. Jetzt hatte sie begriffen, dass sein Gesicht die gleichen unheimlich asketischen Züge haben musste, die sie in Adam Groves Gesicht bemerkt hatte. In der Tat musste Drake zu einem Mann werden, der durch die heißen, reinigenden Feuer einer harten und trüben Vergangenheit geprägt worden war.

Schnell notierte sie: wilde Gesichtszüge.

Von der Stelle, an der Adam Grove saß, konnte er ganz unmöglich über den kunstvoll geschnitzten Rücken ihres Rokoko-Schreibtisches erkennen, was sie geschrieben hatte, doch sie fühlte, dass er sie beobachtete. Sie hielt inne und sah mit einem strahlenden Lächeln auf.

Und sofort erstarrte sie, als sie die Ungeduld und die kalte Intelligenz in seinem Blick erkannte, die seine Augen ganz dunkelgrün erscheinen ließen.

Sehr sorgfältig und ohne auf das Papier zu blicken notierte sie: Augen wie Smaragde. Glühen im Dunkeln?

»Noch mehr Notizen, Mrs. Fordyce?« Er verzog den Mund auf eine Art, die jeden Anflug von Höflichkeit vermissen ließ.

»Ja. Ich entschuldige mich.« Schnell legte sie den Stift beiseite.

Jetzt, wo er mehr im Licht saß, konnte sie die tiefen Linien der Erschöpfung um seinen Mund und seine Augen herum erkennen. Der Tag hatte gerade erst begonnen. Was konnte für diese unterschwellige Art der Erschöpfung verantwortlich sein?

»Hätten Sie gern eine Tasse Tee?«, fragte sie leise.

Er schien von ihrem Angebot überrascht zu sein. »Nein, danke. So lange werde ich nicht bleiben.«

»Verstehe. Vielleicht sollten Sie mir genau sagen, weshalb Sie hierher gekommen sind, Sir.«

»Sehr wohl.« Er hielt einen Augenblick inne und versicherte sich, dass er ihre vollkommene Aufmerksamkeit genoss. »Ich glaube, Sie kennen eine Frau mit dem Namen Elizabeth Delmont?«

Einen Augenblick lang war ihr Kopf ganz leer. Doch dann weckte der Name eine Erinnerung.

»Sie meinen das Medium in der Hamsey Street?«, fragte sie. »Jawohl.«

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Von allen Themen, die er hätte anschneiden können, hatte sie dieses am wenigsten erwartet. Und auch wenn es im Augenblick schien, als sei das ganze Land gefangen in einer ungeheuren Faszination aus Séancen, Medien und Untersuchungen über übersinnliche Kräfte, so konnte sie sich dennoch nicht vorstellen, warum ein Gentleman wie Adam Grove sich ernsthaft für solche Dinge interessierte.

»Ich bin ihr begegnet, ja«, gestand sie zögernd. »Zufällig habe ich gestern Abend einer Séance in Mrs. Delmonts Haus beigewohnt, zusammen mit meinen Tanten.« Sie zögerte. »Warum fragen Sie?«

»Elizabeth Delmont ist tot.«

Benommen starrte sie ihn einige Sekunden lang an. »Wie bitte?«

»Sie wurde ermordet, irgendwann nach dem Ende der Séance am gestrigen Abend«, erklärte er ihr bei weitem viel zu ruhig.

»Ermordet.« Sie schluckte. »Sind Sie ganz sicher?«

»Ich habe selbst ihre Leiche gefunden, kurz nach zwei Uhr heute Morgen.«

»Sie haben die Leiche gefunden?« Sie brauchte einen Augenblick, um sich von dieser beunruhigenden Bemerkung zu erholen. »Das verstehe ich nicht.«

»Jemand hat ihr mit einem Feuerhaken den Schädel eingeschlagen.«

Ein eisiger Klumpen bildete sich in Carolines Magen. Ihr kam der Gedanke, dass es vielleicht nicht gerade sehr vernünftig war, einen geheimnisvollen Gentleman in ihrem Haus zu haben, der behauptete, eine ermordete Frau entdeckt zu haben. Sie warf einen schnellen Blick zu dem Klingelzug neben dem Schreibtisch. Vielleicht sollte sie Mrs. Plummer herbeirufen.

Doch selbst noch, als sie in Gedanken bereits die Hand ausstreckte, um ihre Haushälterin zu rufen, erlag sie ihrer größten Schwäche, der Neugier.

»Darf ich fragen, warum sie zu einer so späten Stunde in Mrs. Delmonts Haus waren?«, fragte sie.

Sobald sie diese Worte ausgesprochen hatte, begriff sie, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Eine heiße Röte stieg in ihre Wangen. Es gab nur einen einzigen Grund, warum ein reicher, offensichtlich lebensfroher Mann wie Adam Grove um zwei Uhr am Morgen einen Besuch bei Elizabeth Delmont gemacht hatte.

Mrs. Delmont war eine wunderschöne Frau gewesen mit einer attraktiven Figur. Mit ihrer sinnlichen Art hatte sie ganz sicher Mr. McDaniel bezaubert, einen der Teilnehmer an der Séance am gestrigen Abend. Und zweifellos hatte das Medium die gleiche Wirkung auf eine ganze Anzahl anderer Gentlemen.

»Nein, Mrs. Fordyce, Elizabeth Delmont war nicht meine Geliebte«, erklärte Adam, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »In der Tat bin ich ihr bis zur letzten Nacht noch nie begegnet. Als ich sie fand, war es für ein Kennenlernen bereits viel zu spät.«

»Verstehe.« Sie drängte die heiße Röte in ihren Wangen zurück und versuchte, gelassen auszusehen. Sie war angeblich immerhin eine Witwe, eine Lady, die einige Erfahrungen gesammelt hatte. »Verzeihen Sie mir, Mr. Grove. Die ganze Unterhaltung hat eine sehr eigenartige Wendung genommen. Ich hatte keine Ahnung, dass Mrs. Delmont gestorben ist.«

»Ermordet war das Wort, das ich benutzt habe.« Adam betrachtete sie nachdenklich. »Sie haben behauptet, dass diese Unterhaltung nicht in die Richtung geht, die Sie erwartet haben. Sagen Sie mir, was haben Sie geglaubt, warum ich heute hierher gekommen bin?«

»Wenn ich ganz ehrlich bin, so habe ich angenommen, dass Sie sich in der Adresse geirrt haben«, gestand sie.

»Wenn das der Fall war, warum haben Sie dann nicht Ihre Haushälterin angewiesen, sich zu versichern, dass ich auch bei der richtigen Hausnummer bin?«, fragte er mit einem überwältigenden Sinn für Logik.

»Ich gestehe, ich war neugierig darauf, was für Neuigkeiten Sie hatten.« Sie breitete beide Hände weit aus. »Wir bekommen hier nur sehr selten Besuch, der behauptet, Neuigkeiten von äußerster Wichtigkeit zu haben, müssen Sie wissen. In der Tat kann ich mich nicht an einen einzigen solchen Besucher in den ganzen drei Jahren erinnern, in denen ich hier lebe.«

»Wir?«

»Meine beiden Tanten leben zusammen mit mir hier. Sie sind im Augenblick nicht da, sie machen ihren Morgenspaziergang. Tante Emma und Tante Milly sind von der Wichtigkeit eines täglichen Spaziergangs überzeugt.«

Er runzelte die Stirn. »Ihre Namen habe ich auf der Liste der Anwesenden nicht gesehen. Sie haben gesagt, die beiden hätten Sie zu der Séance am gestrigen Abend begleitet?«

Ihr gefiel die Richtung nicht, in die sich die Unterhaltung bewegte. Es hatte beinahe den Anschein, als würde er sie verhören.

»Ja«, meinte sie und wurde jetzt vorsichtiger. »Sie wollten nicht, dass ich am Abend noch allein ausgehe. Mrs. Delmont hatte gegen ihre Anwesenheit nichts einzuwenden.«

»Warum haben Sie dieser Séance beigewohnt? Haben Sie wirklich geglaubt, dass Elizabeth Delmont Verbindung mit den Geistern aufnehmen konnte?« Er machte sich gar nicht die Mühe, seine abschätzige Meinung über einen solchen Gedanken vor ihr zu verbergen.

Sein Sarkasmus ärgerte sie. Sie hatte das Gefühl, ihr Verhalten verteidigen zu müssen.

»Ich möchte Sie daran erinnern, Sir«, erklärte sie knapp, »dass eine ganze Reihe hoch angesehener, gebildeter, respektierter Menschen den Spiritismus und andere übersinnliche Dinge sehr ernst nehmen.«

»Alles Dummköpfe.«

»Eine ganze Anzahl Gesellschaften und Clubs haben sich gebildet, um Forschungen über diese übersinnlichen Ereignisse anzustellen und die Behauptungen der Medien zu untersuchen.« Sie streckte die Hand aus und griff nach einer Ausgabe der New Dawn, die gestern gekommen war. »Diese hier, zum Beispiel. Es ist eine Zeitung, die von der Gesellschaft für übersinnliche Forschungen herausgegeben wurde, und ich versichere Ihnen, die Artikel sind sehr gut untermauert.«

»Untermauerter Unsinn.« Er winkte mit einer Hand ab. »Es ist für jeden logisch denkenden Menschen offensichtlich, dass diejenigen, die behaupten, übersinnliche Kräfte zu besitzen, alle Scharlatane und Betrüger sind.«

»Ich würde behaupten, dass Sie ein Recht auf Ihre eigene Meinung haben«, gab sie zurück. »Aber verzeihen Sie, wenn ich darauf hinweise, dass dies nicht beweist, dass Sie offen und neugierig sind.«

Er lächelte freudlos. »Wie offen sind Sie denn, Mrs. Fordyce? Nehmen Sie die Dinge um die Erscheinung von Geistern, von Geisterstimmen und Klopfen unter Tischen wirklich ernst?«

Sie richtete sich ein wenig gerader in ihrem Stuhl auf. »Zufällig habe ich in dieser Richtung einige eigene Forschungen betrieben.«

»Und sind Ihnen irgendwelche Medien begegnet, von denen Sie überzeugt sind, dass sie echt sind? Mrs. Delmont, zum Beispiel?«

»Nein«, gestand sie ihm nur zögernd ein, weil sie ihm nicht nachgeben wollte. »Um ganz ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass es möglich ist, sich mit Geistern in Verbindung zu setzen.«

»Ich bin erleichtert, das zu hören. Es unterstreicht meinen ersten Eindruck, den ich von Ihrer Intelligenz gewonnen habe.«

Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Darf ich Sie daran erinnern, Sir, dass sich das Gebiet der Erforschungen des Übersinnlichen in letzter Zeit sehr schnell erweitert hat? Seit einiger Zeit umschließt es eine unendliche Vielfalt von Phänomenen, nicht nur das Herbeirufen von Geistern.

Und auch wenn ich nicht glaube, dass sich ein Medium mit Geistern und Phantomen in Verbindung setzen kann, so bin ich doch auch nicht bereit, all die anderen Arten der übersinnlichen Kräfte von der Hand zu weisen.«

Seine grünen Augen zogen sich beinahe unmerklich zusammen, und sein Blick wurde dadurch gefährlich eindringlich. »Wenn Sie nicht glauben, dass Medien sich mit der Geisterwelt in Verbindung setzen können, warum haben Sie dann gestern Abend an der Séance im Haus von Elizabeth Delmont teilgenommen?«

Zweifellos war dies hier ein ganz offensichtliches Verhör. Wieder warf sie einen Blick auf den Klingelzug.

»Es besteht keine Notwendigkeit, Ihre Haushälterin zu rufen, um Sie zu retten«, meinte er sarkastisch. »Ich habe nicht die Absicht, Ihnen etwas anzutun. Aber ich will schon einige Antworten von Ihnen bekommen.«

Sie runzelte die Stirn. »Sie klingen wie ein Polizeibeamter, Mr. Grove.«

»Beruhigen Sie sich, Mrs. Fordyce. Ich verspreche Ihnen, ich habe keinerlei Verbindungen zur Polizei.«

»Aber warum sind Sie dann hier, um Himmels willen, Sir? Was wollen Sie von mir?«

»Informationen«, erklärte er schlicht. »Warum haben Sie an der Séance teilgenommen?«

Er ist wirklich recht unerbittlich, dachte sie.

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Forschungen über übersinnliche Phänomene betrieben habe«, wiederholte sie. »Und ganz im Gegensatz zu Ihrer Meinung sieht man das als legitimes Forschungsgebiet an.«

Er schüttelte verächtlich den Kopf. »Das sind einfache Tricks und Spielchen, mehr nicht.«

Es war höchste Zeit, dass sie ihm auch ein paar Fragen stellte, entschied sie. Sie verschränkte die Hände auf ihrem Schreibtisch und nahm, wie sie hoffte, eine entschlossene, autoritäre Haltung ein.

»Es tut mir sehr Leid zu erfahren, dass Mrs. Delmont umgebracht wurde«, erklärte sie mit ausdrucksloser Stimme. »Aber ich fürchte, ich habe noch nicht so ganz verstanden, warum Sie sich für die Umstände ihres Todes interessieren. In der Tat, wenn Sie und Mrs. Delmont nicht, äh, intim miteinander bekannt waren, warum sind Sie dann um zwei Uhr am Morgen in ihr Haus gegangen?«

»Sie müssen sich damit zufrieden geben, dass ich meine Gründe hatte, Elizabeth Delmont zu dieser Zeit aufzusuchen und dass meine Gründe außerordentlich wichtiger Natur waren. Und jetzt, wo sie tot ist, habe ich keine andere Wahl, als ihren Mörder zu finden.«

Sie war benommen. »Sie haben die Absicht, den Mörder selbst zu suchen?«

»Jawohl.«

»Aber das ist doch sicher Aufgabe der Polizei, Sir.«

Er zuckte mit den Schultern. »Die Polizei wird natürlich auch ihre Nachforschungen anstellen, aber ich bezweifle sehr, dass sie den Missetäter finden wird.«

Sie öffnete die Hände wieder und griff erneut nach ihrem Stift. »Das ist alles sehr interessant, Mr. Grove. In der Tat finde ich es fesselnd.« Sie schrieb: entschlossen und unerbittlich auf ihren Zettel. »Lassen Sie mich sehen, ob ich die Tatsachen richtig verstanden habe. Sie untersuchen den Tod von Mrs. Delmont, und Sie sind hierher zu mir gekommen, um mich zu fragen, ob ich irgendwelche Informationen über den Mord habe.«

Er sah, wie ihr Stift schnell über das Papier glitt. »Das ist die richtige Einschätzung der Situation.«

Das kann man wohl einen erstaunlichen Vorfall nennen, dachte sie. Viel erstaunlicher hätte er überhaupt nicht sein können.

»Ich werde Ihnen sehr gern alles erzählen, an das ich mich erinnern kann, Sir, wenn Sie mir zunächst einmal erklären, warum Sie sich für die ganze Sache interessieren.«

Er betrachtete sie, als sei sie ein ganz besonderes biologisches Wesen, das unerwartet aufgetaucht war und sich jetzt nur sehr schwer identifizieren ließ. In der Stille hörte man das Ticken der großen Uhr.

Nach einer langen Weile schien er eine Entscheidung getroffen zu haben.

»Also gut«, meinte er. »Ich werde Ihnen einige Ihrer Fragen beantworten. Aber als Gegenleistung muss ich darauf bestehen, dass Sie über all das, was ich Ihnen sage, strengstes Stillschweigen bewahren.«

»Ja, natürlich.« Sie notierte schnell das Wort: geheimnisvoll auf ihrem Zettel.

Er war schon von seinem Stuhl aufgestanden, noch ehe sie überhaupt bemerkt hatte, dass er sich bewegte.

»Was um alles in der Welt?« Erschrocken von seiner plötzlichen Bewegung schnappte sie nach Luft und ließ ihren Stift fallen.

Mit zwei großen Schritten hatte er die Entfernung zwischen ihnen überbrückt und nahm das Blatt Papier von ihrem Schreibtisch.

So weit ging seine offensichtliche Erschöpfung also doch nicht, dachte sie. Und dabei hatte er ihr sogar beinahe Leid getan.

»Sir.« Sie versuchte, ihm den Zettel aus der Hand zu reißen. »Geben Sie mir das bitte sofort zurück. Was fällt Ihnen eigentlich ein?«

»Ihre Liste der Dinge, die Sie erledigen müssen, hat mich neugierig gemacht, Madam.« Er überflog den Zettel schnell, und sein Gesichtsausdruck wurde immer kälter. »Dunkelgrauer Rock und Hose? Wilder Gesichtsausdruck? Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«

»Ich sehe keinen Grund dafür, dass meine Notizen für Sie von Bedeutung sein sollten, Sir.«

»Ich habe Ihnen gerade erklärt, dass die Angelegenheit streng vertraulich behandelt werden muss. Immerhin gibt es die Möglichkeit eines Skandals. In diesen Dingen habe ich sehr strenge Regeln.«

Sie runzelte die Stirn. »Sie haben Regeln, wenn es um Skandale geht? Was hat das denn zu bedeuten?«

»Ich vermeide sie tunlichst.«

»Tut das nicht jeder?« Da es ihr nicht möglich war, ihm den Zettel wieder zu entreißen, machte sie ein hochmütiges Gesicht. »Glauben Sie mir, Sir, auch ich habe nicht den Wunsch, in einen Skandal verwickelt zu werden. Ich habe ganz sicher nicht die Absicht, außerhalb dieses Hauses über Ihre Untersuchungen zu reden.«

»Und warum halten Sie es dann für nötig, diese Bemerkungen aufzuschreiben?«

Rechtschaffene Empörung stieg in ihr auf. »Ich habe nur meine Gedanken in eine gewisse Ordnung gebracht.«

Er überflog das, was sie aufgeschrieben hatte. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass dieses Gekritzel mit meiner Kleidung und der Farbe meiner Augen zu tun hat, Mrs. Fordyce?«

»Nun ja …«

»Ich verlange zu wissen, warum Sie Ihre Beobachtungen zu Papier bringen. Verdammt, wenn Sie glauben, Sie könnten mich zum Objekt Ihrer privaten Aufzeichnungen machen …«

»Ich versichere Ihnen, dass ich nicht die Absicht habe, Sie in meinen privaten Aufzeichnungen zu erwähnen.« Es gelang ihr, diese Bemerkung mit äußerster Überzeugung vorzubringen, weil sie genau der Wahrheit entsprach.

»Dann muss ich daraus wohl schließen, dass Sie in der Tat ziemlich tief in dieser Geschichte um das ermordete Medium drinstecken«, erklärte er gedehnt und mit einer unterschwelligen Drohung.

Sie war entsetzt. »Das ist nicht wahr.«

»Es gibt keinen anderen logischen Grund, warum Sie sonst so persönliche Dinge aufschreiben sollten. Wenn Sie keine Mitschrift unserer Unterhaltung machen für Ihre persönlichen Aufzeichnungen, dann kann ich nur daraus schließen, dass Sie das tun, um einen Bericht für ihren Komplizen anzufertigen.«

»Komplizen.« Sie sprang auf, verwirrt und völlig verängstigt. »Das ist ungeheuerlich, Sir. Wie können Sie es wagen, anzudeuten, dass ich in einen Mord verwickelt sein könnte?«

Er wedelte mit dem Stück Papier vor ihrem Gesicht herum. »Wie sonst können Sie mir den Wunsch erklären, dieses Gespräch mitzuschreiben?«

Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und klar zu denken. »Ich schulde Ihnen keinerlei Erklärungen, Mr. Grove. Ganz im Gegenteil. Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie es waren, der heute in dieses Haus hereingeplatzt ist.«

Dieser Vorwurf schien ihn deutlich zu verwirren. »Das klingt ja gerade so, als hätte ich mir den Zugang zu Ihrem Haus erzwungen. Aber so war das nicht. Sie haben Ihre Haushälterin angewiesen, mich hereinzulassen.«

»Aber nur, weil Sie ihr gesagt haben, dass Sie wegen einer Sache gekommen sind, die für uns beide von äußerster Wichtigkeit ist.« Sie richtete sich auf. »Aber in Wahrheit scheint es so zu sein, dass Mrs. Delmonts unvorhergesehener Tod nur für Sie von äußerster Wichtigkeit ist, Mr. Grove.«

»Da irren Sie sich, Mrs. Fordyce.«

»Unsinn«, erklärte sie heftig und war sich ihrer Sache sehr sicher. »Ich interessiere mich überhaupt nicht für die Umstände, die zum Mord an Elizabeth Delmont geführt haben.«

Adam zog die Augenbrauen hoch. Er schwieg.

Zwei oder drei Sekunden lang hing die Stille schwer über dem Raum.

»Natürlich abgesehen von der vollkommen normalen Neugier, die man von einem Menschen erwarten kann, der gerade von einem schrecklichen Verbrechen gehört hat«, fügte sie noch hinzu.

»Ganz im Gegenteil, Mrs. Fordyce, ich bin überzeugt, dass Ihr Interesse an der ganzen Sache wesentlich tiefer geht als reine Neugier und normale Betroffenheit.«

»Wie soll das denn möglich sein?«, wollte sie wissen. »Ich habe diese Frau erst am gestrigen Abend kennen gelernt. Ich hatte auch nicht die Absicht, sie noch einmal wiederzusehen. Und dann möchte ich Sie auch noch daran erinnern, dass ich und meine Tanten nicht die einzigen Menschen waren, die an der letzten Séance von Mrs. Delmont teilgenommen haben. Es gab immerhin noch zwei andere Teilnehmer. Ich glaube, ihre Namen waren Mrs. Howell und Mr. McDaniel.«

Er trat an das Fenster und sah hinaus in den Garten. Trotz der Müdigkeit, die er ausstrahlte, hatte er seine schlanken, kräftigen Schultern gereckt.

»Beide sind schon recht alt und zerbrechlich«, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme. »Ich glaube kaum, dass einer der beiden die nötige Kraft oder die Entschlossenheit besitzt, mit einem Feuerhaken einem jüngeren, kräftigeren Menschen den Schädel einzuschlagen, geschweige denn, einen schweren Tisch und mehrere Stühle umzustürzen.«

Sie zögerte. »Haben Sie mit den beiden gesprochen?«

»Es bestand nicht die Notwendigkeit, sie persönlich zu befragen. Ich habe einige diskrete Beobachtungen gemacht und in den Straßen nachgefragt, wo die beiden leben. Ich bin davon überzeugt, dass keiner der beiden mit der Sache etwas zu tun hat.«

»Nun ja, ich nehme an, das ist wohl auch eher unwahrscheinlich«, gestand sie ihm.

»Erzählen Sie mir, was während der Séance geschehen ist«, forderte er sie ruhig auf.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Sie breitete beide Hände aus. »Es gab nur die ganz normalen Dinge, wie etwa Klopfen und Geräusche. Und auch eine oder zwei Erscheinungen. Und dann gab es finanziellen Rat aus der Geisterwelt.«

»Finanziellen Rat?«, fragte er unerwartet aufmerksam.

»Ja, man hat Mr. McDaniel gesagt, dass er in Kürze mit einer außergewöhnlich erfolgreichen Gelegenheit einer Investition zu rechnen hätte. Es war nicht weiter ungewöhnlich. Die Teilnehmer bei solchen Séancen erfahren oft von den Geistern, dass ihnen eine unerwartete Erbschaft bevorsteht oder dass sie Geld aus einer zuvor nicht vorherzusehenden Quelle bekommen.«

»Verstehe.« Langsam wandte er sich um und sah sie mit einem Ausdruck an, der selbst für das Gesicht des Teufels höchstpersönlich ungewöhnlich gewesen wäre. »Also wurde das Thema Geld angeschnitten, nicht wahr?«

Sie umklammerte die Rückenlehne des Stuhles so fest, dass ihre Fingerknöchel ganz weiß wurden. Sie konnte kaum noch atmen. Würde er zur Polizei gehen, um sie und ihre Tanten des Mordes anzuklagen?

Jetzt ahnte sie, dass sie drei sich in großer Gefahr befanden. Sie waren alle unschuldig, doch zweifelte sie keinen Augenblick lang daran, dass sie sich in einer verzweifelten Lage befinden würden, wenn ein Gentleman mit der offensichtlichen Macht und der Stellung eines Adam Grove sie des Mordes bezichtigte.

Sie hatten keine andere Wahl als so schnell wie möglich aus London zu fliehen, entschied sie und dachte schnell nach. Ihre einzige Hoffnung war es, wieder zu verschwinden, genau wie schon einmal vor drei Jahren. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie viel Geld sich im Haus befand. Sobald Adam Grove gegangen war, würde sie Mrs. Plummer losschicken, um sich nach dem Fahrplan der Züge zu erkundigen. Wie schnell konnten sie ihre Sachen zusammenpacken?

Adam zog seine dichten schwarzen Augenbrauen zusammen. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mrs. Fordyce? Sie sehen aus, als würden Sie gleich ohnmächtig werden.«

Wut stieg in ihr auf und überdeckte einen Augenblick lang ihre Panik.

»Sie haben gerade mein Leben bedroht, Sir, und auch das Leben meiner beiden Tanten. Welche Reaktion erwarten Sie denn da von mir?«

Er runzelte die Stirn. »Wovon reden Sie überhaupt? Ich habe keinerlei Drohungen gemacht, Madam.«

»Sie haben eine von uns oder sogar uns alle drei des Mordes beschuldigt. Und wenn Sie mit dieser Nachricht zur Polizei gehen, wird man uns alle verhaften und uns ins Gefängnis werfen. Man wird uns hängen.«

»Mrs. Fordyce, Sie lassen zu, dass Ihre Vorstellungskraft Ihren Verstand und Ihre Logik leitet. Ich mag ja vielleicht ein wenig misstrauisch sein, aber es gibt keinerlei Beweise gegen Sie.«

»Bah. Unsinn. Keine von uns kann beweisen, dass sie nach der Séance nicht noch einmal zurückgekehrt ist, um das Medium zu ermorden. Unser Wort würde gegen das Ihre stehen, Sir, und wir wissen doch alle sehr gut, dass drei Damen in unseren bescheidenen Verhältnissen, die keinerlei gesellschaftliche Verbindungen haben, keine Chance hätten, wenn ein Mann von Ihrem Stand und Ihrem Reichtum mit dem Finger auf uns zeigen und uns anklagen würde.«

»Reißen Sie sich zusammen. Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit einer hysterischen Frau zu befassen.«

Ihre Wut gab ihr Kraft. »Wie können Sie es wagen zu behaupten, dass ich hysterisch bin? Meine Tanten und ich werden am Galgen enden, und daran sind nur Sie schuld.« »Nicht ganz«, brummte er.

»Sehr wohl.«

»Zum Teufel. Ich habe genug von all dem Theater.« Er machte einen Schritt auf sie zu.

»Halt.« Sie umklammerte den Rücken des Stuhls mit beiden Händen und wirbelte ihn herum, damit er als Barriere zwischen ihnen stand. »Kommen Sie nicht näher. Ich werde Mord und Brand schreien, wenn Sie noch einen einzigen Schritt näher kommen. Mrs. Plummer und die Nachbarn werden mich hören, das verspreche ich Ihnen.«

Er blieb stehen und atmete tief durch. »Beruhigen Sie sich, Mrs. Fordyce. Das ist alles sehr aufregend, ganz zu schweigen davon, dass es für alle eine große Zeitverschwendung ist.«

»Es ist mir ganz unmöglich, ruhig zu bleiben im Angesicht solch schwerer Bedrohungen.«

Er betrachtete sie nachdenklich. »Haben Sie vielleicht irgendwann einmal daran gedacht, eine Karriere auf der Bühne zu verfolgen, Mrs. Fordyce? Sie scheinen ein ausgeprägtes Talent für Melodramen zu haben.«

»Zumindest ich finde diese dramatische Reaktion in dieser Situation vollkommen angemessen«, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er betrachtete sie lange und eingehend. Sie hatte den Eindruck, dass er sich einen geheimen Plan zurechtlegte.

»Atmen Sie tief durch, Madam, und fassen Sie sich«, meinte er schließlich. »Ich habe nicht die Absicht, Sie oder Ihre Tanten des Mordes anzuklagen.«

»Warum sollte ich Ihnen glauben?«

Er rieb sich über die Schläfen. »Sie müssen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass die Gerechtigkeit in diesem Fall nicht mein hauptsächlicher Beweggrund ist. Ich bin damit zufrieden, der Polizei das Problem zu überlassen, obwohl ich daran zweifle, dass sie Erfolg haben wird. Sie ist recht tüchtig, wenn es darum geht, einen gewöhnlichen Mörder zu fassen, doch dies hier war kein gewöhnlicher Mord.«

Sie fühlte, dass er die Wahrheit sagte. Und dennoch hörte sie nicht auf, die Stuhllehne zu umklammern. »Wenn Sie nicht hierher gekommen sind, um für Elizabeth Delmont Gerechtigkeit zu suchen, was wollen Sie dann, Mr. Grove?«

Er betrachtete sie mit kühler Berechnung. »Mein einziges Ziel in der ganzen Sache ist, das Tagebuch zu finden.«

Sie versuchte erst gar nicht, ihr Erstaunen zu verbergen. »Was für ein Tagebuch?«

»Das Tagebuch, das man gestern Abend aus Elizabeth Delmonts Haus gestohlen hat.«

Sie dachte über seine Worte nach, so gut es ging. »Sie suchen das Tagebuch von Mrs. Delmont? Nun, ich versichere Ihnen, ich habe keine Ahnung davon, und meine Tanten auch nicht. Außerdem kann ich Ihnen mit absoluter Sicherheit sagen, dass ich am gestrigen Abend während der Séance kein Tagebuch gesehen habe.«

Er dachte einen Augenblick lang nach, dann schüttelte er den Kopf, als würde er seine Niederlage nur sehr zögernd akzeptieren.

»Wissen Sie, ich glaube sogar, dass Sie mir die Wahrheit sagen, Mrs. Fordyce. In der Tat scheint es so, als hätte ich mich in Ihnen geirrt.«

Sie entspannte sich ein wenig. »Geirrt, Sir?«

»Ich bin heute Morgen hierher gekommen in der Hoffnung, Sie dazu bringen zu können, mir zu gestehen, dass Sie dieses verdammte Tagebuch an sich genommen haben. Zumindest habe ich geglaubt, dass Sie in der Lage sein würden, mir zu erklären, was damit geschehen ist.«

»Warum ist ausgerechnet dieses Tagebuch so wichtig für Sie?«

Sein Lächeln war alles andere als fröhlich. »Es reicht wohl, wenn ich behaupte, dass Mrs. Delmont angenommen hat, sie könne mich damit erpressen.«

Mrs. Delmont hat sich offensichtlich von ihrer Gier leiten lassen und alle Vorsicht und Vernunft außer Acht gelassen, dachte Caroline. Kein normaler, vernünftiger Mensch würde das Risiko eingehen zu versuchen, Geld von diesem Mann zu erpressen.

»Wieso kommen Sie auf den Gedanken, dass ich wissen könnte, was mit dem Tagebuch geschehen ist?«, fragte sie.

Er stellte die Beine ein wenig weiter auseinander und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Sie und die anderen Teilnehmer der Séance waren die letzten Menschen, die Elizabeth Delmont lebend gesehen haben, abgesehen von ihrem Mörder, natürlich. Ich habe von einem der Nachbarn von Mrs. Delmont erfahren, dass die Haushälterin an diesem Abend frei hatte.«

»Ja, das stimmt. Mrs. Delmont hat uns persönlich die Tür geöffnet. Sie hat gesagt, dass sie ihrer Haushälterin immer am Abend einer Séance frei gibt, weil sie nicht in eine richtige Trance kommen könnte, wenn außer den Teilnehmern noch jemand im Haus anwesend ist. In der Tat habe ich mich schon gefragt, ob vielleicht …«

»Ja?«, drängte er sie. »Was haben Sie sich gefragt, Mrs. Fordyce?«

»Nun ja, wenn Sie es unbedingt wissen müssen, ich habe überlegt, ob Mrs. Delmont ihre Haushälterin vielleicht deshalb nicht im Haus haben wollte, wenn sie eine Séance abhielt, weil sie fürchtete, dass die Frau vielleicht ihre Tricks herausfinden würde, um sie dann später damit zu erpressen. Es gibt da einige Forscher des Übersinnlichen, von denen man gehört hat, dass sie die Dienstboten, die für ein Medium arbeiten, dafür bezahlen, wenn diese ihren Arbeitgebern nachspionieren.«

»Ein sehr kluger Gedanke, Mrs. Fordyce.« Adam schien von ihrer Logik beeindruckt. »Ich nehme an, dass Sie damit sogar Recht haben. Ein Medium verhält sich immer sehr geheimnisvoll.«

»Woher haben Sie überhaupt meinen Namen und meine Adresse erfahren?«

»Als ich die Leiche fand, habe ich auch eine Liste der Leute gefunden, die an der letzten Séance teilgenommen haben. Die Adressen standen neben den Namen.«

»Ach so.«

In ihrer Vorstellung sah sie Adam Grove, der methodisch das Wohnzimmer von Mrs. Delmont durchsuchte, während die Leiche der ermordeten Frau auf dem Boden lag. Es war eine erschreckende Vorstellung, die viel über das Nervenkostüm von Adam Grove verriet. Sie schluckte.

»Ich habe den Rest der Nacht und die frühen Morgenstunden damit verbracht, mich mit den Dienstboten, den Kutschern und …« Er zögerte, als würde er seine nächsten Worte sehr sorgfältig abwägen. »… anderen Menschen zu unterhalten, die ihren Lebensunterhalt auf den Straßen in der Nähe von Mrs. Delmonts Haus verdienen. Unter anderem ist es mir gelungen herauszufinden, dass die Haushälterin von Mrs. Delmont damit beschäftigt war, ihrer Tochter beizustehen, die in der vergangenen Nacht ein Kind bekommen hat. Ihr Alibi ist unerschütterlich. Da blieb also nur noch Ihr Name, Mrs. Fordyce.«

»Kein Wunder, dass Sie so erschöpft aussehen«, meinte sie leise. »Sie waren die ganze Nacht unterwegs.«

Abwesend rieb er sich über sein stoppeliges Kinn und verzog das Gesicht. »Ich entschuldige mich für mein Aussehen.«

»Das ist wohl nicht so wichtig, unter diesen Umständen.« Sie zögerte. »Sie sind also heute hierher gekommen in der Absicht, mich auf diese Art und Weise zu befragen. Ihr Ziel war es, mich in Angst und Schrecken zu versetzen und mich so dazu zu bringen, ein schreckliches Komplott zu gestehen, nicht wahr?«

Er fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes, dunkles Haar und zeigte keinerlei Anzeichen von Reue. »Das war mehr oder weniger mein Plan, jawohl.«

Sie war sich noch immer nicht sicher, ob er diesen Plan schon vollkommen aufgegeben hatte, deshalb suchte sie in Gedanken verzweifelt nach anderen Verdächtigen.

»Vielleicht ist Mrs. Delmont ja das Opfer eines Einbrechers geworden, der sie angegriffen hat, nachdem er in ihr Haus eingebrochen ist«, schlug sie vor.

»Ich habe das ganze Haus auf dem Kopf gestellt. Es gab keinen Beweis dafür, dass die Türen oder die Fenster aufgebrochen waren. Es scheint so, als hätte sie ihren Mörder selbst ins Haus gelassen.«

Die lässige Art und Weise, wie er dies sagte, vertiefte nur noch ihr Unbehagen. »Sie haben in der vorigen Nacht sicher eine ganze Menge Entdeckungen gemacht, Mr. Grove. Man könnte glauben, dass die Nähe einer so schrecklich ermordeten Frau es Ihnen schwer gemacht hat, so methodisch und logisch zu denken und zu handeln.«

»Leider scheine ich allerdings keinerlei besonders nützlichen Entdeckungen gemacht zu haben«, lenkte er ein. Mit entschlossenem Schritt ging er zur Tür. »Ich habe nur Ihre Zeit verschwendet und auch die meine. Ich würde es wirklich sehr begrüßen, wenn Sie mit niemandem über diese Unterhaltung sprechen würden.« Sie gab ihm keine Antwort.

Er blieb mit einer Hand auf der Türklinke stehen und sah sich noch einmal nach ihr um. »Nun, Mrs. Fordyce? Kann ich mich auf Sie verlassen, dass Sie unsere Unterhaltung vertraulich behandeln werden?«

Sie reckte sich. »Das kommt ganz darauf an, Sir.«

Ihre Worte schienen ihn zu belustigen. Zynisch erwiderte er: »Natürlich. Zweifellos möchten Sie für Ihr Stillschweigen entschädigt werden. Nennen Sie mir Ihren Preis, Mrs. Fordyce.«

Wieder stieg heiße Wut in ihr auf. »Sie können sich mein Schweigen nicht erkaufen, Mr. Grove. Ich will Ihr Geld nicht. Was mir Sorgen macht, ist die Sicherheit meiner Tanten und auch meine eigene. Sollte jemand von uns wegen Ihres Handelns in Gefahr sein, verhaftet zu werden, dann werde ich nicht zögern, der Polizei Ihren Namen zu nennen, und ich werde auch über jede Einzelheit unserer Unterhaltung berichten.«

»Ich bezweifle sehr, dass die Polizei Ihnen Schwierigkeiten machen wird. Wie ich schon sagte, werden die Polizisten sehr wahrscheinlich schließen, dass Mrs. Delmont von einem Einbrecher ermordet wurde, und das ist alles.«

»Wie können Sie da so sicher sein?«

»Weil es die einfachste Antwort ist, und weil die Vertreter des Gesetzes dafür bekannt sind, eine solche Erklärung vorzuziehen.«

»Und wenn sie nun die Liste der Teilnehmer der Séance finden und diese Menschen alle zu Verdächtigen werden, so wie Sie es auch vermutet haben, Sir?«

Er griff in seine Tasche und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier daraus hervor. »Sie werden die Liste nicht finden.«

Sie starrte auf das Blatt Papier. »Sie haben die Liste mitgenommen?«

»Ich bin ganz sicher, dass keiner der Namen auf dieser Liste für die Polizei von irgendwelchem Nutzen sein wird.«

»Ach so.« Sie wusste nicht, was sie sonst noch hätte sagen sollen.

»Und da wir gerade von Namen sprechen«, fügte er noch wie nebenbei hinzu, »sollte ich Ihnen vielleicht sagen, dass es Ihnen gar nichts nützen würde, meinen Namen der Polizei zu nennen.«

»Und warum nicht?«, fragte sie kalt. »Weil ein Gentleman von Ihrem offensichtlichen Stand und Reichtum sich keine großen Sorgen zu machen braucht, Fragen der Polizei zu beantworten?«

»Niemand steht über dem Gesetz. Aber das ist nicht der Grund, warum ich Ihnen raten würde, meinen Namen nicht zu nennen.« Sein Mund verzog sich zu einem rätselhaften Lächeln. »Das Problem ist, dass es einen Mr. Grove überhaupt nicht gibt. Ich habe ihn für diese Befragung heute erfunden. Wenn ich heute dieses Haus hier verlasse, wird er ganz einfach verschwinden, genauso wie eine dieser geisterhaften Erscheinungen, die bei einer Séance so beliebt sind.«

Sie setzte sich ganz plötzlich hin, alles in ihrem Kopf drehte sich. »Gütiger Himmel. Sie haben mir einen falschen Namen genannt?«

»Jawohl. Würden Sie so freundlich sein und mir eine Antwort auf eine allerletzte Frage geben?«

Sie zwinkerte mit den Augenlidern und kämpfte immer noch um ihre Fassung und darum, ihre verwirrten Gedanken zu ordnen. »Was für eine Frage?«

Er hielt das Blatt Papier hoch, das er von ihrem Schreibtisch genommen hatte. »Warum zum Teufel haben Sie sich all diese Notizen gemacht?«

»Ach die.« Bedrückt betrachtete sie die Notizen auf dem Blatt Papier, das er noch immer in der Hand hielt. »Ich bin Schriftstellerin, Sir. Meine Romane werden im Flying Intelligencer als Serie veröffentlicht.« Sie hielt inne. »Vielleicht lesen Sie diese Zeitung ja?«

»Nein, das tue ich nicht. Wenn ich mich recht erinnere, ist es eine dieser extrem ärgerlichen Zeitungen, die von Sensationen leben.«

»Nun ja …«

»Die Art von Zeitung, die nur Nachrichten druckt, die sich mit Skandalen und entsetzlichen Verbrechen beschäftigt, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erregen.«

Sie seufzte. »Ich nehme an, Sie ziehen die Times vor.«

»Jawohl.«

»Das überrascht mich nicht, nehme ich an«, murmelte sie. »Sagen Sie mir, finden Sie es nicht recht langweilig, diese Zeitung zu lesen?«

»Ich finde sie korrekt und verlässlich, Mrs. Fordyce. Es ist genau die Art von Zeitung, die ich bevorzuge.«

»Natürlich ist es das. Wie ich schon sagte, der Flying Intelligencer druckt meine Romane. Ich bin vertraglich dazu verpflichtet, meinem Herausgeber, Mr. Spraggett, jede Woche ein neues Kapitel abzuliefern. Ich hatte einige Probleme mit einem der Charaktere, Edmund Drake. Er ist für die Geschichte sehr wichtig, aber ich hatte Schwierigkeiten, ihn richtig zu Papier zu bringen. Sein Charakter ist noch ziemlich vage, fürchte ich. Er braucht noch ein wenig deutlichere Züge.«

Er zögerte, wirkte in gewisser Weise fasziniert, aber vielleicht auch verwirrt. »Sie haben sich Notizen über meine Erscheinung gemacht, damit Sie dann diese dem Helden Ihrer Geschichte geben können?«

»Um Himmels willen, nein«, versicherte sie ihm und winkte ab. »Wie kommen Sie denn auf diesen Gedanken? Edmund Drake ist nicht der Held meiner Geschichte. Er ist der Bösewicht des Stückes.«

3

Aus irgendeinem vollkommen unverständlichen Grund ärgerte er sich darüber, dass sie ihm die Rolle des Bösewichtes zugedacht hatte.

Adam Hardesty grübelte auf dem Weg zurück zu seinem Haus am Laxton Square über die entsetzliche Begegnung nach, die er gerade mit der unerwartet sehr attraktiven Mrs.

Caroline Fordyce gehabt hatte. Er wusste sehr wohl, dass die Meinung, die diese Lady von ihm hatte, ganz am Ende der Liste all seiner Probleme stehen sollte, ganz besonders nach den sich rasch vermehrenden Schreckensmeldungen, die er unter Kontrolle zu halten versuchte.

Dennoch ärgerte er sich über die Tatsache, dass Caroline Fordyce ihn als ausgezeichnetes Vorbild für einen Bösewicht gehalten hatte. Seine Eingebung sagte ihm, dass nicht allein der wilde Gesichtsausdruck schuld daran war, dass sie eine so schlechte Meinung von ihm hatte. Er hatte den deutlichen Eindruck, dass Mrs. Fordyce Männer von seinem Stand nicht sehr hoch einschätzte.

Sie hingegen hatte sich sofort seinen wenn auch vorsichtigen Respekt erworben. Ein Blick in ihre intelligenten, neugierigen und äußerst hübschen braunen Augen hatte ihm verraten, dass er es mit einem großartigen Gegner zu tun hatte. Er hatte sich vorgenommen, in seinem Umgang mit dieser Lady sehr vorsichtig zu sein.

Doch leider war Respekt nicht die einzige Reaktion, die Caroline Fordyce in ihm hervorgerufen hatte. Sie hatte gleich beim ersten Anblick all seine Sinne gefangen genommen. So erschöpft er auch nach der langen Nacht seiner vergeblichen Nachforschungen gewesen war, hatte er doch sofort auf sie reagiert, auf eine sehr körperliche, äußerst beunruhigende Art und Weise.

Verdammt. Er konnte diese Art von Komplikation überhaupt nicht brauchen. Was zum Teufel war nur mit ihm los? Selbst als junger Mann hatte er sich nur sehr selten von seinen Leidenschaften führen lassen. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass Selbstbeherrschung der Schlüssel zum Erfolg war, sowohl auf den Straßen als auch in der genauso gnadenlosen Welt der Gesellschaft. Er hatte sich strenge Regeln auferlegt und auch danach gelebt. Sie beherrschten seine intimen Beziehungen genauso wie alles andere in seinem Leben.

Seine Regeln hatten ihm gute Dienste geleistet. Daher hatte er auch nicht die Absicht, sie jetzt außer Acht zu lassen.

Dennoch konnte er nicht aufhören, an den ersten Blick zu denken, den er auf Caroline Fordyce geworfen hatte, und er wunderte sich darüber, wie sehr ihn dieser erste Eindruck für sie eingenommen hatte. Ihr Bild vor diesem zierlichen kleinen Schreibtisch, erhellt vom Strahl der Morgensonne, schien sich in sein Gedächtnis eingebrannt zu haben.

Sie hatte ein schlichtes, schmuckloses Hauskleid in einem warmen Kupferton getragen. Das Kleid war dafür gemacht, von einer Dame im Haus getragen zu werden, daher fehlten die gerüschten Unterröcke und auch die kunstvolle Schleife am Rücken, die das eher förmlichere Kleid einer Frau zierte. Die Formen des eng anliegenden Mieders hatten ihre weibliche Figur, die hohen Brüste und ihre schlanke Taille noch unterstrichen.

Carolines glänzendes goldbraunes Haar war hochgesteckt gewesen, und sie hatte es im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, der die anmutige Linie ihres Halses noch unterstrich. Ihre Haltung strahlte einen ruhigen Stolz aus. Er glaubte, dass sie ungefähr Mitte zwanzig sein musste.

Ihre Stimme war einnehmend und sanft und hatte ihn sofort berührt. Bei jeder anderen Frau hätte diese Stimme absichtlich herausfordernd geklungen, doch er fühlte, dass es bei ihr keine Absicht war. Er war sehr sicher, dass die Art, wie Caroline sprach, ein Teil von ihr war. Sie deutete auf eine tiefe Leidenschaft hin.

Was war nur mit dem verstorbenen Mr. Fordyce geschehen? fragte er sich. War er an Altersschwäche gestorben? Hatte ein Fieber ihn dahingerafft? Oder vielleicht ein Unfall? Wie auch immer, er war erleichtert, dass die Witwe sich nicht verpflichtet fühlte, sich in dem unglücklichen Stil der Trauer zu kleiden, den die Königin eingeführt hatte, nachdem sie ihren geliebten Albert verloren hatte. Manchmal hatte er den Eindruck, dass die Hälfte der Frauen in England in Krepp und Trauerschleier gekleidet zu sein schienen. Er hatte sich immer wieder darüber gewundert, dass es dem schwachen Geschlecht gelungen war, die triste Kleidung, die doch tiefe Trauer ausdrücken sollte, den höchsten Höhen der Mode zu unterwerfen.

Doch Caroline hatte kein einziges Schmuckstück getragen, das schwarz oder dunkel emailliert gewesen war. Vielleicht trauerte die geheimnisvolle Mrs. Fordyce ja gar nicht so sehr über den Verlust von Mr. Fordyce. Vielleicht war sie ja auch auf der Suche nach einer neuen Bindung intimer Art.

Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, sich in solch tiefes Wasser ziehen zu lassen, überlegte er. Hier stand viel zu viel auf dem Spiel. Er durfte das Risiko nicht eingehen, sich von dieser Lady ablenken zu lassen, ganz gleich wie attraktiv und verlockend sie auch war.

Er überquerte die Straße und blieb kurz stehen, um einen überfüllten Bus vorbeizulassen, die Pferde mühten sich ab, das schwere Gefährt zu ziehen. Der Kutscher einer schnell dahineilenden zweirädrigen Droschke entdeckte ihn und bot ihm seine Dienste an. Adam winkte ab. Er würde schneller zu Fuß vorankommen.

Als er die gegenüberliegende Straßenseite erreicht hatte, ging er über den schmalen Bürgersteig und durchquerte einen kleinen, heruntergekommenen Park. Aus seinem alten Leben auf der Straße kannte er all die verborgenen Straßen und Wege der Stadt, die auf keiner Karte zu finden waren und von denen auch nur wenige Kutscher wussten.

Als er nach seinem schnellen Gang die schmale Gasse wieder verließ, entdeckte er einen Zeitungsjungen, der die neueste Ausgabe des Flying Intelligencer verkaufte.

Aus einem unerfindlichen Grund blieb er vor dem verwahrlost aussehenden Verkäufer stehen.

»Ich hätte gern eine Zeitung.« Er holte eine Münze aus der Tasche.

»Aye, Sir.« Der Junge grinste und griff in seine Tasche, um eine Zeitung herauszuholen. »Sie haben Glück, ich habe noch eine übrig. Ich nehme an, Sie können es kaum erwarten, die nächste Episode von Mrs. Fordyces Geschichte zu lesen, wie all meine anderen Kunden auch.«

»Ich gebe zu, ich bin ein wenig neugierig darauf.«

»Sie werden erfreut sein über diese Fortsetzung des Romans Der geheimnisvolle Herr, The Mysterious Gentleman, Sir«, versicherte ihm der Junge. »Sie beginnt mit einem erstaunlichen Vorfall und endet mit einem echten Knaller.«

»Wirklich?« Adam warf einen Blick auf die Titelseite der billigen Zeitung und stellte fest, dass The Mysterious Gentleman von Mrs. C. J. Fordyce drei ganze Spalten in Anspruch nahm. »Und wie steht es mit Edmund Drake? Findet er ein schlimmes Ende?«

»Noch nicht, Sir. Dafür ist es noch viel zu früh. Drake verhält sich noch immer sehr geheimnisvoll, obwohl es offensichtlich ist, dass er nichts Gutes im Schilde führt.« Der Zeitungsjunge strahlte vor Erwartung. »Er heckt einen bösen Plan gegen die Heldin aus, Miss Lydia Hope.«