4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Er hat schon viele Schlachten geschlagen, doch mit einem hat er nicht gerechnet: ihrem Kampfgeist.
Großbritannien, 19. Jahrhundert: Allein kann die bildhübsche, aber vaterlose Lady Clare die Schutzherrschaft über die wildromantische Isle of Desire auf Dauer nicht halten. Deshalb stimmt sie zu, als ihr Vormund einen geeigneten Ehemann für sie sucht. Aber diesen Entschluss bereut Clare rasch. Gareth of Wykmere ist nämlich alles andere als der erhoffte zartfühlende Poet. Ein herrischer, raubeiniger Krieger stürmt da in ihr Leben. Gareth glaubt, dass es ein Leichtes sei Clare zu zähmen – immerhin hat er schon gefährliche Schlachten geschlagen. Doch er hat nicht mit Clares Kampfgeist gerechnet …
Leidenschaftlich, atmosphärisch und spannend bis zur letzten Seite – perfekter Schmökerstoff für alle Fans der Erfolgsserie »Bridgerton«!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 493
Buch
Großbritannien, 19. Jahrhundert: Allein kann die bildhübsche, aber vaterlose Lady Clare die Schutzherrschaft über die wildromantische Isle of Desire auf Dauer nicht halten. Deshalb stimmt sie zu, als ihr Vormund einen geeigneten Ehemann für sie sucht. Aber diesen Entschluss bereut Clare rasch. Gareth of Wykmere ist nämlich alles andere als der erhoffte zartfühlende Poet. Ein herrischer, raubeiniger Krieger stürmt da in ihr Leben. Gareth glaubt, dass es ein Leichtes sei Clare zu zähmen – immerhin hat er schon gefährliche Schlachten geschlagen. Doch er hat nicht mit Clares Kampfgeist gerechnet …
Autorin
Amanda Quick ist das Pseudonym der erfolgreichen, vielfach preisgekrönten Autorin Jayne Ann Krentz. Krentz hat Geschichte und Literaturwissenschaften studiert und lange als Bibliothekarin gearbeitet, bevor sie ihr Talent zum Schreiben entdeckte. Sie ist verheiratet und lebt in Seattle.
Von Amanda Quick bereits erschienen (Auswahl)
Süßer Betrug · Geheimnis der Nacht · Liebe um Mitternacht · Verführung im Mondlicht · Verzaubertes Verlangen · Riskante Nächte · Dieb meines Herzens · Süßes Gift der Liebe · Glut der Herzen · Ungezähmte Leidenschaft · Gefährliche Küsse · Zärtliche Teufelin · Geliebte Rebellin · Liebe Ohne Skrupel · Verführung · Verlangen · Verruchte Lady
Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet
Amanda Quick
Liebe ohne Skrupel
Roman
Deutsch von Uta Hege
Die Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel »Desire« bei bei Bantam Books, a division of Bantam Doubleday Dell Publishing Group, Inc, New York.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright dieser Ausgabe © 2021 by Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © der Originalausgabe 1994 by Jane A. Krentz
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1995 by Goldmann Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: ©HorenkO, ©andreasirri; stock.adobe.com: ©Elena
DK · Herstellung: at
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-29125-9V001
www.blanvalet.de
Für Stella Cameron –
eine weitere der Schwestern, die ich niemals hatte.
»Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Lady immer noch Jungfrau ist«, sagte Thurston of Landry. »Aber unter den gegebenen Umständen bin ich sicher, dass du diesen Aspekt der Angelegenheit übersehen kannst.«
Gareth blickte seinen Vater reglos an. Als einzige Reaktion auf die Nachricht, dass seine zukünftige Braut sich bereits mit einem anderen Mann entehrt hatte, verstärkte er den Griff um seinen Weinbecher.
Als uneheliches Kind, das gezwungen gewesen war, sich einen Namen mit dem Schwert zu machen, hatte er es gelernt, seine Gefühle zu verbergen. In der Tat gelang ihm das inzwischen so gut, dass alle dachten, er habe gar keine Gefühle.
»Ihr sagt, sie ist eine reiche Erbin?« Gareth zwang sich, sich auf die Hauptsache zu konzentrieren. »Sie ist Herrin über einen großen Landbesitz?«
»Ja.«
»In dem Fall ist sie eine geeignete Ehefrau.« Gareth zeigte nicht, wie zufrieden er war.
Sein Vater hatte recht. Solange die Lady nicht das Kind eines anderen erwartete, war Gareth durchaus bereit, die Tatsache zu übersehen, dass sie keine Jungfrau mehr war. Hauptsache, sie verfügte über das Land, das er sich seit langem ersehnte.
Eigenes Land. Die Worte klangen vielversprechend.
Ein Ort, der ihm gehörte; ein Ort, an dem er nicht nur der Bastard war, dessen Anwesenheit geduldet werden musste; ein Ort, an dem er willkommen war und nicht nur wegen seines geübten Umgangs mit dem Schwert vorübergehend gebraucht wurde. Er wollte an einem Ort leben, an dem er das Recht hatte, vor seinem eigenen Kamin zu sitzen. Gareth war einunddreißig, und er wusste, dass er wahrscheinlich nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen würde. Er hatte bereits vor langer Zeit gelernt, jede Chance zu nutzen, die sich ihm bot. Und bisher war er damit immer gut gefahren.
»Sie ist jetzt Herrin über die Isle of Desire.« Thurston hob den reich verzierten Silberbecher an die Lippen, nippte an seinem Wein und blickte gedankenverloren ins Feuer. »Ihr Vater, Sir Humphrey, zog es vor zu reisen und zu lesen, statt das Land zu bearbeiten. Unglücklicherweise starb er vor mehreren Monaten während einer Reise nach Spanien. Er wurde von Banditen ermordet.«
»Und es gibt keine männlichen Erben?«
»Nein. Edmund, Humphreys einziger Sohn, brach sich vor zwei Jahren auf einem Turnier das Genick. Clare, die Tochter, ist die Einzige der Familie, die noch lebt. Demnach ist sie die Erbin des Ritterguts.«
»Und als Sir Humphreys Lehnsherr habt Ihr die Vormundschaft über seine Tochter. Sie wird also auf Euren Befehl hin heiraten.«
Thurston verzog unmerklich das Gesicht. »Das bleibt abzuwarten.«
Gareth bemerkte, dass sein Vater ein Grinsen kaum unterdrücken konnte. Diese Erkenntnis verursachte ihm leichtes Unbehagen.
Gareth war von Natur aus immer ernst und zurückhaltend, er hatte keinen besonderen Sinn für Humor. Auf die Späße, die andere laut lachen ließen, reagierte er höchstens mit einem milden Lächeln.
Sein ernstes Gesicht passte hervorragend zu seinem Ruf, ein skrupelloser Mann zu sein, den man besser nicht verärgerte, wenn einem das Leben lieb war. Er hatte keine besondere Abneigung gegen lächelnde Gesichter oder fröhliches Lachen; er selber hatte einfach selten Grund dazu. Und jetzt fragte er sich besorgt, was Thurston wohl so unterhaltsam fand an einer Sache, die eine rein geschäftliche Angelegenheit sein sollte.
Er musterte die schlanke, elegante Gestalt seines Vaters im Licht der Flammen des Kamins. Thurston war Mitte fünfzig. Sein dichtes, dunkles Haar war inzwischen von silbergrauen Fäden durchzogen, aber er erregte immer noch die Aufmerksamkeit sämtlicher Frauen seiner Umgebung.
Und Gareth wusste, dass es nicht nur seine Machtposition als einer der Lieblingsbarone Heinrichs II. war, die das Interesse der Damen weckte. Auch Thurstons gutes Aussehen zog die Frauen an.
Thurstons Verführungskünste, die er in jüngeren Jahren sowohl vor als auch nach seiner arrangierten Hochzeit häufig angewandt hatte, waren legendär gewesen. Gareths Mutter, die jüngste Tochter einer adligen Familie aus dem Süden, war eine seiner zahlreichen Eroberungen gewesen. Soweit Gareth wusste, war er jedoch der einzige lebende uneheliche Nachkomme. Falls es im Laufe der Jahre noch andere gegeben hatte, so waren sie alle noch als Kinder gestorben.
Zu Thurstons Ehre und zum kaum verhohlenen Missvergnügen seiner Frau musste gesagt werden, dass er seine Pflicht gegenüber seinem unehelichen Sohn erfüllt hatte.
Gareth war zunächst bei seiner Mutter aufgewachsen. Während dieser Zeit war Thurston ein häufiger Gast in dem abgelegenen Landhaus gewesen, in dem Gareth mit seiner Mutter gelebt hatte. Aber als der Junge mit acht Jahren ein Alter erreicht hatte, in dem die Söhne der Adligen mit der Ausbildung zum Ritter anfingen, hatte seine Mutter verkündet, sie wolle ins Kloster gehen.
Es hatte heftigen Streit gegeben. Niemals würde Gareth den Zorn seines Vaters vergessen. Aber seine Mutter war unnachgiebig geblieben und hatte sich durchgesetzt. Thurston hatte ihr eine prächtige Mitgift gegeben, auf Grund derer das Kloster Gareths Mutter nur allzu gern als Novizin aufnahm.
Thurston hatte seinen unehelichen Sohn mit zu sich nach Beckworth Castle genommen. Er hatte dafür gesorgt, dass Gareth mit derselben Sorgfalt und derselben Hingabe zum Ritter ausgebildet wurde wie seine ehelichen Söhne und sein rechtmäßiger Erbe Simon.
Thurstons Frau, Lady Lorice, schön, kalt und stolz, war keine andere Wahl geblieben, als die Situation hinzunehmen. Sie hatte sich jedoch nicht besonders bemüht, dem jungen Gareth das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Nun, das war wahrscheinlich normal.
Gareth, der sich seiner Rolle als Außenseiter nur allzu bewusst gewesen war und der die gelehrte, ruhige Atmosphäre im Haus seiner Mutter vermisst hatte, widmete sich mit ganzem Eifer der Ausbildung mit Lanze und Schwert. Er hatte endlos geübt und eine flüchtige Zufriedenheit in dem Streben nach Perfektion gefunden.
Wenn er nicht gerade seine Kampftechnik verfeinert hatte, hatte er sich in die Abgeschiedenheit der Bibliothek der örtlichen Benediktinerabtei zurückgezogen. Dort hatte er alles gelesen, was Bruder Andrew, der Bibliothekar, ihm in die Hände gegeben hatte.
Als Siebzehnjähriger hatte sich Gareth bereits mit den verschiedensten Themen beschäftigt. Er hatte sich in Abhandlungen über Mathematik und Optik vertieft, die Gerard von Cremona aus dem Griechischen und dem Arabischen übersetzt hatte. Er hatte über die Theorien des Aristoteles von den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer nachgedacht. Er war fasziniert gewesen von den Schriften Platons über Astronomie, Licht und Materie.
Gareths Interesse an derartigen Dingen war nie von praktischem Nutzen für ihn gewesen, aber seine Fähigkeiten als Ritter und als Führer seiner Männer hatten es ihm ermöglicht, eine bedeutende Karriere zu machen.
Zahlreiche mächtige Lehnsherren, einschließlich seines Vaters, konnten nur allzu gut einen Mann gebrauchen, der wusste, wie man Diebe und Wegelagerer sowie die abtrünnigen Ritter zur Strecke brachte, die eine ständige Gefahr für ihre abgelegenen Güter und Gutshäuser waren.
Die Banditenjagd war ein einträgliches Geschäft, und Gareth war äußerst erfolgreich. Es hatte ihm nie besonderen Spaß gemacht, aber dank seines Talents im Umgang mit dem Schwert war er inzwischen ein vermögender Mann. Seinen Wunsch nach eigenem Land hatte er sich bisher jedoch noch nicht erfüllen können. Nur sein Lehnsherr, das hieß, sein Vater, konnte ihm Grundbesitz übertragen.
Vor vier Tagen hatte Gareth Thurstons Befehl erhalten, nach Beckworth Castle zu kommen. Heute Abend hatte er erfahren, dass sein größter Wunsch in Erfüllung gehen sollte. Er musste sich nur bereiterklären, eine Frau mit einem befleckten Ruf zu heiraten.
Das war ein geringer Preis für die Sache, nach der er sich am meisten sehnte. Gareth war es gewohnt, für die Dinge zu bezahlen, die er wollte.
»Wie alt ist die Lady of Desire?« fragte er.
»Lass mich überlegen. Ich glaube, Clare müsste jetzt dreiundzwanzig sein«, sagte Thurston.
Gareth runzelte die Stirn. »Und immer noch unverheiratet?«
»Es heißt, sie lege keinen besonderen Wert darauf zu heiraten. Weißt du, manche Frauen sind so. Deine eigene Mutter zum Beispiel.«
»Ich bezweifle, dass meine Mutter nach meiner Geburt noch eine andere Wahl hatte«, sagte Gareth in neutralem Ton. Dies war eine alte und nur allzu vertraute Geschichte. Aber inzwischen wusste er seine Verbitterung zu verbergen. »Sie hatte Glück, dass sie ein Kloster gefunden hat, das bereit war, sie aufzunehmen.«
»Da irrst du dich.« Thurston stützte die Ellbogen auf die geschnitzten Armlehnen seines Stuhls und faltete die Hände unter dem Kinn. »Mit ihrer Mitgift hatte sie eine Wahl. In der Tat haben sich sämtliche bedeutenden Klöster um sie gerissen.« Er verzog unmerklich den Mund. »Natürlich war keinem der Häuser klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sie das Kommando übernommen hätte.«
Gareth zuckte mit den Schultern. Er sah seine Mutter nur selten, aber sie schrieben sich regelmäßig, und er wusste, dass Thurston recht hatte. Seine Mutter war eine aufsehenerregende und schwierige Persönlichkeit. In der Tat ebenso aufsehenerregend und schwierig wie sein Vater.
Gareth wandte sich wieder dem eigentlichen Thema ihrer Unterhaltung zu. »Hat Lady Clare irgendeinen besonderen Makel?«
»Soweit ich weiß, nicht. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie ein Kind war, aber soweit ich mich erinnere, war sie ein durchaus hübsches Mädchen. Ich hatte zwar nicht den Eindruck, dass sie einmal eine ausgesprochene Schönheit werden würde, aber sie war weder auffallend hässlich noch in irgendeiner Weise deformiert.« Thurston zog eine Braue hoch. »Ist ihr Aussehen denn von besonderer Bedeutung?«
»Nein.« Gareth blickte in die Flammen des Kamins. »Das Einzige, was mich interessiert, sind ihre Ländereien.«
»Das dachte ich mir.«
»Ich versuche lediglich zu verstehen, weshalb sie noch nicht verheiratet ist.«
Thurston winkte ab. Die herrlichen, karmesinroten und goldenen Stickereien auf dem Ärmel seiner Tunika schimmerten im Schein des Feuers. »Wie gesagt, manche Frauen legen keinen besonderen Wert darauf, mit einem Mann das Ehebett zu teilen, aus welchen Gründen auch immer. Anscheinend ist Lady Clare so eine Frau. Sie hat sich nur bereiterklärt zu heiraten, weil sie weiß, dass ihr keine andere Wahl bleibt.«
»Wegen ihres Gutes?«
»Ja. Die Isle of Desire ist wie eine goldene Gans, die Gefahr läuft, gerupft zu werden. Die Insel braucht Schutz. Lady Clare schreibt, dass sie bereits Probleme mit ihrem Nachbarn, Nicholas of Seabern, sowie mit einer Bande von Banditen hatte, die ihre Lieferungen nach London gefährden.«
»Demnach braucht sie einen Ehemann, der ihr Gut beschützen kann, und Ihr, Sir, wollt sichergehen, dass Desire weiterhin profitabel bleibt.«
»Ja. Die Insel selbst ist nicht besonders groß. Die Bewohner treiben ein wenig Wollhandel, und die Ernte wird regelmäßig eingefahren. Aber das ist nicht der Grund für den Reichtum der Insel.« Thurston nahm eine kleine, reich bestickte Tasche von dem Tisch neben seinem Stuhl. »Das hier ist die bedeutendste Einkommensquelle von Desire.« Er warf seinem Sohn das Täschchen zu.
Gareth fing es auf. Der Duft von Blumen und Kräutern wehte ihm entgegen. Er hob den Beutel an die Nase und atmete den üppigen, reichen, betörenden Duft tief ein. Das berauschende Aroma weckte tief in seinem Inneren ein eigenartiges sinnliches Verlangen. Er roch erneut daran. »Parfüm?«
»Ja. Auf der Insel wachsen zahllose Blumen und Kräuter. Und daraus machen die Leute Parfüms und Cremes aller Art.«
Gareth blickte den hübschen kleinen Beutel an. »Also werde ich Gärtner?«
Thurston lächelte. »Das wäre doch mal eine nette Abwechslung für den Höllenhund von Wyckmere.«
»In der Tat. Ich habe keine besondere Ahnung vom Gartenbau, aber ich nehme an, dass ich alles Erforderliche lernen kann.«
»Egal worum es ging, du hast schon immer eine schnelle Auffassungsgabe besessen.«
Gareth ignorierte diese Bemerkung. »Die Lady of Desire ist also bereit zu heiraten, wenn der Mann in der Lage ist, ihren großen Blumengarten zu beschützen. Und ich will eigenes Land. Wir sollten demnach in der Lage sein, ins Geschäft zu kommen.«
»Vielleicht.«
Gareth kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
»Besteht daran irgendein Zweifel?«
Das Lächeln, das Thurstons Mund umspielt hatte, wurde zu einem ausgewachsenen Grinsen. »Ich fürchte, es gibt noch einen Bewerber für die Position des Ehemannes.«
»Wen?«
»Nicholas of Seabern, Clares nächster Nachbar, ist ebenfalls einer meiner Lehnsmänner. Er hat schon seit geraumer Zeit ein Auge auf Desire geworfen. In der Tat ist er der Hauptgrund für meine Vermutung, dass die Lady keine Jungfrau mehr ist.«
»Er hat sie verführt?«
»Soweit ich weiß, hat Nicholas sie letzten Monat gekidnappt und vier Tage auf Seabern festgehalten.«
»Und dann hat er versucht, sie zu zwingen, ihn als Ehemann zu akzeptieren?«
»Ja. Aber die Lady hat sich geweigert.«
Gareth zog eine Braue hoch. Die Geschichte überraschte ihn nicht. Die Entführung unverheirateter Erbinnen war nichts Besonderes. Aber es überraschte ihn, dass die Lady nicht sofort nach dem Zwischenfall geheiratet hatte. Nur wenige Frauen wären so verwegen, eine Hochzeit abzulehnen, nachdem sie ihre Jungfräulichkeit und ihre Ehre an einen zudringlichen Lord verloren hatten. »Eine höchst ungewöhnliche Frau.«
»Ja. Es scheint, als hätte Lady Clare besondere Ansprüche an den Mann, der ihr Herr und Gebieter wird.« Thurston grinste erneut. »In der Tat hat sie mir ein Rezept für einen Ehemann geschickt. Weißt du, sie möchte einen Mann, der ihren hohen Anforderungen genügt.«
»Verdammt. Ein Rezept?«, murmelte Gareth. »Was für ein Unsinn ist das nun wieder? Ich wusste, dass Sie mir etwas verheimlichen.«
»Sie hat mir eine detaillierte Liste ihrer Forderungen geschickt. Hier, sieh selbst.« Thurston nahm ein zusammengefaltetes Pergament vom Tisch und gab es Gareth.
Gareth warf einen Blick auf das aufgebrochene Siegel und sah, dass es die Form einer Rose hatte.
Er überflog eilig die Begrüßungsformel und die Einleitung des kunstvoll gestalteten Briefes. Als er an die Stelle kam, an der die Lady erklärte, wie sie sich ihren zukünftigen Gatten vorstellte, wurde er langsamer.
Ich habe lange über Euren Wunsch und über die Bedürfnisse der Menschen auf der Insel nachgedacht. Zu meinem Bedauern erkenne ich die Notwendigkeit einer Eheschließung, und aus diesem Grund habe ich die Angelegenheit gründlich überdacht. Wie Ihr wohl wisst, ist Desire ein sehr abgelegener Ort. In der näheren Umgebung gibt es keinen geeigneten Kandidaten außer meinem Nachbarn, Sir Nicholas, den ich als Gatten nicht akzeptieren kann.
Aus diesem Grund bitte ich ergebenst darum, dass Ihr mir eine Auswahl von mindestens drei oder vier Bewerbern schickt, von denen ich dann einen als Ehemann auswählen werde. Um Euch bei der Auswahl der Kandidaten zu helfen, habe ich ein Rezept erstellt, das die Anforderungen enthält, die ich an meinen zukünftigen Gatten stelle.
Ihr, Mylord, habt ein offensichtliches Interesse an den Ländereien. Ich weiß, dass Ihr ebenso an deren Schutz interessiert seid wie ich. Aus Eurer Sicht muss der zukünftige Lord of Desire demnach ein vertrauenswürdiger Ritter sein, der in der Lage ist, eine kleine, aberschlagkräftige Truppe von Kämpfern zu befehligen. Ich möchte Euch daran erinnern, dass er eine solche Truppe mitbringen muss, da wir hier auf der Insel keine ausgebildeten Waffenträger haben. Neben diesem ganz offensichtlichen Anspruch, von dem ich weiß, dass Ihr ihn teilt, habe ich noch drei persönliche Anforderungen an meinen zukünftigen Gatten, die ich detailliert aufführen möchte, um sicherzugehen, dass Ihr sie versteht.
Was das Aussehen des zukünftigen Lord of Desire betrifft, so muss er ein Mann von bescheidener Gestalt und Größe sein. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass extrem große Männer es vorziehen, ihr Ziel durch rohe Gewaltanwendung statt durch Intelligenz und Überlegung zu erreichen. Ich mag Männer nicht, die versuchen, andere durch ihre körperliche Stärke zu überwältigen. Aus diesem Grund bitte ich Euch, die Größe der Kandidaten zu beachten.
Zweitens muss mein zukünftiger Herr ein fröhlicher, wohlerzogener Mann mit einem angenehmen Wesen sein. Ich bin sicher, Ihr versteht, dass ich nicht den Wunsch habe, an einen Mann gebunden zu sein, der ein melancholisches Gemüt aufweist, zu Wutausbrüchen neigt oder häufig schlechte Laune hat. Ich möchte, dass mein Gatte die Gabe hat zu lachen, dass er ein Mann ist, der sich an den bescheidenen Vergnügungen erfreuen kann, denen wir hier auf der Insel nachgehen.
Drittens ist es absolut unerlässlich, dass mein zukünftiger Gatte ein gelehrter Mann ist, der lesen und schreiben kann und der Gefallen hat an geistvollen Gesprächen. Ich werde mich häufig mit ihm unterhalten wollen, vor allem während der kalten Wintermonate, in denen wir gezwungen sein werden, viel Zeit zusammen innerhalb des Hauses zu verbringen.
Ich hoffe, dass diese drei Anforderungen nicht allzu vermessen sind und dass mein Rezept klar und deutlich ist. Es sollte kein Problem für Euch sein, mehrere passende Kandidaten zu finden.
Bitte schickt mir die Kandidaten, sobald es Euch möglich ist. Ich werde meine Wahl so schnell wie möglich treffen und Euch umgehend von meiner Entscheidung in Kenntnis setzen.
Geschrieben im Herrenhaus von Desire am siebten April.
Gareth faltete den Brief zusammen. Das unheilige Amüsement in den Augen seines Vaters blieb ihm nicht verborgen. »Ich frage mich, wie sie es angestellt hat, ihr Rezept für einen perfekten Herrn und Ehemann zusammenzustellen.«
Thurston grinste. »Ich nehme an, sie hat die Grundzutaten irgendwelchen romantischen Balladen entnommen. Du kennst diese Lieder. Im Allgemeinen wird in ihnen der ritterliche Held besungen, der zum Zeitvertreib böse Zauberer abschlachtet und der Dame seines Herzens unsterbliche Liebe schwört.«
»Einer Dame, die für gewöhnlich bereits einem anderen gehört«, murmelte Gareth. Dem Lehnsherrn des Helden zum Beispiel. »Ja, ich kenne diese Art von Liedern. Obwohl ich sie nicht besonders mag.«
»Die Damen lieben sie.«
Gareth zuckte mit den Schultern. »Wie viele Kandidaten werdet Ihr ihr schicken, Mylord?«
»Ich bin der festen Überzeugung, dass es gut ist, den Wünschen einer Frau bis zu einem gewissen Punkt nachzugeben. Ich werde Lady Clare also erlauben, zwischen zwei Kandidaten zu wählen.«
Gareth zog eine Braue hoch. »Nicht zwischen drei oder vier?«
»Nein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es immer nur Ärger gibt, wenn man einer Frau eine allzu große Freiheit der Wahl lässt.«
»Also zwei Kandidaten. Ich und ein anderer.«
»Ja.«
»Und mit wem werde ich um die Gunst der Dame buhlen?«
‚Thurston grinste. »Mit Sir Nicholas of Seabern. Und ich
wünsche dir viel Glück, mein Sohn. Die Anforderungen der Lady sind klar, nicht wahr? Sie will einen kleinen, fröhlichen Mann, der lesen kann.«
Gareth gab seinem Vater den Brief zurück. »Sie hat wirklich Glück, denn schließlich erfülle ich zumindest eine der Anforderungen. Ich kann lesen.«
Clare war gerade mit Margaret, der Priorin von Saint Hermione, im Garten des Klosters, als sie erfuhr, dass der erste der Bewerber auf der Isle of Desire gelandet war.
»Ein riesiger Trupp von Männern ist angekommen, Lady Clare. Und sie kommen direkt auf das Dorf zu«, rief William. Clare hielt mitten in der Diskussion über die beste Methode zur Gewinnung von Rosenöl inne. »Bitte verzeiht, Madam«, sagte sie zur Priorin Margaret.
»Selbstverständlich.« Margaret war eine kräftig gebaute Frau mittleren Alters. Der Schleier ihrer schwarzen Benediktinerinnentracht umrahmte scharfe Augen und ein sanftes Gesicht. »Das ist schließlich ein bedeutendes Ereignis.«
Clare wandte sich zu dem jungen William um, der aufgeregt vor dem Pförtnerhäuschen des Klosters herumsprang und ihr mit seinem Beutel voller getrockneter Korinthen winkte.
Er war ein pummeliger Zehnjähriger mit braunen Augen und dunklem Haar, der unbekümmert seine lebhafte Neugier und seine kindliche Begeisterungsfähigkeit zeigte. Er und seine Mutter, Lady Joanna, waren vor drei Jahren auf die Isle of Desire gekommen. Clare mochte die beiden sehr gern. Da von ihren eigenen Verwandten niemand mehr lebte, sah sie in William und Joanna ihre Ersatzfamilie.
»Wer ist es, William?« Clare machte sich auf eine unangenehme Antwort gefasst. Sämtliche Bewohner von Desire sahen diesem Tag seit Wochen mit freudiger Erwartung entgegen. Sie selbst war die Einzige, die sich nicht auf die Ankunft eines neuen Herrn für Desire zu freuen schien.
Zumindest würde sie eine Wahl haben, tröstete sie sich selbst.
»Es ist der erste Bewerber, den Lord Thurston Euch schickt.« William stopfte sich eine Handvoll Korinthen in den Mund. »Anscheinend ein mächtiger Ritter, Lady Clare. Und er bringt einen ganzen Trupp bewaffneter Männer mit. Ich habe gehört, wie John der Schmied gesagt hat, dass er die Hälfte aller Boote von Seabern benötigt hat, um all die Männer und Pferde und die ganze Ausrüstung vom Festland herüberzubringen.«
Clare wurde von einer düsteren Vorahnung beschlichen. Sie hatte sich geschworen, dass sie die Sache ruhig und geschäftsmäßig angehen würde, aber nun, da der Moment gekommen war, verspürte sie plötzlich eine ungewohnte Erregung.
»Ein großer Trupp?« Sie runzelte die Stirn.
»Ja.« Williams Gesicht glühte vor Aufregung. »Ihre Helme blitzen so sehr in der Sonne, dass einem davon die Augen weh tun.« Er verschlang zwei weitere Handvoll Korinthen. »Und die Pferde sind riesig. Vor allem eins, sagt John, ein prachtvoller, grauer Hengst mit Hufen, die die Erde erbeben lassen.«
»Aber ich habe keinen großen Trupp bewaffneter Männer angefordert«, sagte Clare. »Desire braucht nur eine kleine Armee von Männern, die unsere Warentransporte beschützen können. Was in aller Welt soll ich mit einer so großen Zahl von Kriegern anfangen? Und mit all ihren Pferden. Wisst Ihr, Männer und Pferde brauchen eine Menge zu essen.«
»Mach dir keine Sorgen, Clare.« Margaret lächelte. »Die Vorstellung des jungen William von einem großen Trupp ist wahrscheinlich eine ganz andere als die unsere. Vergiss nicht, dass der einzige Trupp bewaffneter Männer, den er jemals gesehen hat, Sir Nicholas’ kleine Privatarmee auf Seabern ist.«
»Ich nehme an, Ihr habt recht.« Clare griff nach dem Parfümbeutel, der an ihrem Gürtel hing, und atmete die beruhigende Mischung aus Rosen und Kräutern tief ein. Wie immer wirkte der Duft tröstlich. »Trotzdem wird es eine große Belastung sein, so viele Männer und Pferde füttern zu müssen. Beim Ohr der heiligen Hermione, die Vorstellung, all die Leute unterbringen zu müssen, gefällt mir nicht. Und das ist erst der erste Kandidat.«
»Beruhige dich, Clare«, sagte Margaret. »Vielleicht sind ja die drei, vier Kandidaten, die du bestellt hast, alle auf einmal angekommen. Das würde auch erklären, warum es so viele Männer und Pferde sind.«
Diese Vorstellung munterte Clare wieder auf. »Ja, so muss es sein.« Sie ließ den kleinen Beutel wieder in die Falten ihres Kleides fallen. »Die Bewerber sind alle zusammen gekommen. Und wenn jeder seine eigene Armee mitgebracht hat, ist es verständlich, dass es so viele Männer und Pferde sind.«
»Ja.«
Doch plötzlich kam Clare ein anderer Gedanke, der ihre momentane Erleichterung wieder zunichtemachte. »Ich hoffe nur, dass sie nicht allzu lange bleiben. Es wird ein Vermögen kosten, sie alle zu beköstigen.«
»Du kannst es dir doch leisten, Clare.«
»Darum geht es nicht. Zumindest nicht in erster Linie.«
Margaret musste lächeln. »Sobald du deine Wahl getroffen hast, werden die anderen Kandidaten mitsamt ihren Männern und anderen Gefolgsleuten wieder abreisen.«
»Beim Zeh der heiligen Hermione, dann werde ich mich schnell entscheiden, damit wir nicht mehr Lebensmittel und Heu an diesen Haufen vergeuden als unbedingt nötig.«
»Das ist ein vernünftiger Gedanke.« Margaret sah sie aufmerksam an. »Bist du sehr aufgeregt, mein Kind?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, log Clare. »Aber ich will die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Es gibt schließlich genug zu tun. Ich kann es mir nicht leisten, allzu viel Zeit mit der Wahl eines Ehemannes zu vergeuden. Ich hoffe, Lord Thurston hat mir nur Kandidaten geschickt, die meinen Anforderungen genügen.«
»Ich bin sicher, dass er das getan hat«, murmelte Margaret. »Du hast dich in deinem Brief ja deutlich genug ausgedrückt.«
»In der Tat.« Clare hatte Stunden damit verbracht, ihr Rezept für einen neuen Herrn von Desire zusammenzustellen. Diese Stunden hatte sie geopfert, nachdem sie noch mehr Zeit damit vergeudet hatte, sich Dutzende vernünftiger Gründe dafür zu überlegen, dass sie keinen Ehemann brauchte. Sie hatte alles, was sie von Margaret über Rhetorik und logische Argumentation gelernt hatte, zu Hilfe genommen. Sie war sich der Tatsache nur allzu bewusst gewesen, dass Lord Thurston eine wahrhaft brillante Rechtfertigung verlangen würde, wenn sie sich weigerte zu heiraten.
Clare hatte jedes ihrer Argumente zuerst gegenüber Joanna und dann an der Priorin Margaret getestet. Die beiden Frauen, die sie nur allzu gut verstanden, hatten all ihre Gründe sorgfältig abgewogen, und ihr mit Kritik und Rat zur Seite gestanden. In den Monaten seit dem Tod ihres Vaters hatte Clare sich eine Reihe von Argumenten gegen eine Eheschließung überlegt, die auf der natürlich sicheren Lage der Insel basierten und die ihrer Meinung nach vollkommen hieb- und stichfest und durch und durch logisch waren. Doch dann war die Katastrophe eingetreten.
Ihr Nachbar vom Festland, Sir Nicholas of Seabern, hatte ihre Überlegungen ad absurdum geführt, indem er sie einfach während eines kurzen Besuchs auf Seabern gekidnappt hatte. Clare war außer sich gewesen, weil Nicholas alles kaputtgemacht hatte, indem er bewies, dass sie durchaus verwundbar war, und sie hatte sich die größte Mühe gegeben, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Am Ende ihres erzwungenen Aufenthaltes auf Seabern war Nicholas richtiggehend froh gewesen, sie wieder los zu werden.
Aber für sie war es zu spät gewesen.
Nachdem ihre Warenlieferungen nach London bereits mehrere Male irgendwelchen Straßen- oder Seeräubern in die Hände gefallen waren, war die Entführung der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Clare hatte gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Lord Thurston davon erführe. Er würde zu dem Schluss kommen, dass sie nicht in der Lage sei, Desire angemessen zu schützen, und er würde umgehend dafür sorgen, dass die Insel einen neuen Herrn bekäme.
Empört und frustriert hatte Clare sich eingestehen müssen, dass sie es Thurston nicht verübeln konnte, wenn er sie zwang zu heiraten. An seiner Stelle hätte sie dasselbe getan. Seine Einkünfte als Lehnsherr von Desire waren einfach zu bedeutend, als dass er sie aufs Spiel setzen konnte.
Und Clare konnte das Leben der Männer aus dem Dorf, die ihre Parfümlieferungen begleiteten, nicht unnötig gefährden. Früher oder später würden die Räuber bei einem ihrer Überfälle jemanden töten.
Sie hatte einfach keine andere Wahl, und das wusste sie. Sie hatte die Verantwortung für die Menschen von Desire. Ihre Mutter, die gestorben war, als Clare zwölf Jahre alt gewesen war, hatte ihr von der Wiege an erklärt, dass die Wünsche der Herrin der Insel hinter den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Ländereien, von denen sie lebten, zurückstehen mussten. Clare besaß zwar alle Fähigkeiten, die erforderlich waren, um Desire zu einem fetten und ertragreichen Landgut zu machen, aber sie war eben kein ausgebildeter Kämpfer.
Es gab keine Ritter auf Desire, noch nicht einmal einfache Waffenträger. Die wenigen, die früher auf der Burg gelebt hatten, waren im Laufe der Jahre verschwunden. Ein paar von ihnen hatten ihren Bruder Edmund auf die Turniere begleitet und waren nach seinem Tod nicht mehr auf die Insel zurückgekehrt. Schließlich war Desire nicht gerade ein interessanter Ort. Es war nicht das Richtige für junge Ritter und Junker, die sich nach Ruhm und Ehre sehnten und nach den fetten Gewinnen, die sie bei den zahllosen Turnieren oder auf den Kreuzzügen einstreichen konnten.
Die letzten beiden Waffenträger, die auf Desire gelebt hatten, waren mit Clares Vater, Sir Humphrey, nach Spanien gereist. Sie hatten sie zwar vom Tod ihres Vaters benachrichtigt, aber sie waren nicht auf die Insel zurückgekehrt. Nach dem Tod ihres Herrn waren sie von ihrem Treueeid entbunden gewesen. Also hatten sie sich neue Herren im Süden gesucht. Clare hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie eine neue zuverlässige Schutztruppe für die Insel finden sollte, ganz zu schweigen davon, dass sie sie niemals selbst ausbilden und befehligen könnte.
Das erste Warnschreiben von Thurston war vor sechs Wochen gekommen. Es klang freundlich und war voll der Beileidsbezeugungen wegen des Todes von Sir Humphrey. Doch zugleich hatte er sie darauf hingewiesen, dass die Insel neue Schutztruppen benötigte. Und in seinem zweiten Schreiben hatte er ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie heiraten musste.
Zu ihrer großen Verärgerung war Clare inzwischen selbst zu diesem Schluss gekommen.
Eine Eheschließung war also unvermeidlich, und Clare hatte getan, was sie immer tat, wenn es um ihre Pflicht ging. Sie stellte sich dieser Verpflichtung und war bereit, sie zu erfüllen.
In der für sie typischen Art hatte sie die Situation in Angriff genommen.
Wenn sie schon einen Ehemann in Kauf nehmen musste, hatte sie Joanna und Margaret erklärt, dann war sie zumindest entschlossen, bei seiner Auswahl ein Wörtchen mitzureden.
»Sie kommen näher, Lady Clare«, schrie William vom Pförtnerhäuschen herüber.
Clare wischte sich die fruchtbare, dunkle Erde des Klostergartens von den Händen. »Bitte entschuldigt mich, Madam. Ich muss zurück zur Burg, um mich umzuziehen, ehe meine Gäste ankommen. Diese Ritter aus dem Süden erwarten zweifellos, dass man sie mit einem gewissen Zeremoniell empfängt.«
»Zu Recht«, sagte Margaret. »Ich weiß, dass du nicht gerade begeistert bist von der Idee zu heiraten, mein Kind. Aber sei frohgemut. Denk dran, es werden drei, vielleicht sogar vier Kandidaten sein. Du hast also eine reiche Auswahl.«
Clare sah ihre alte Freundin und Lehrerin fragend an. Dann senkte sie die Stimme, so dass weder William noch die Pförtnerin sie hören konnten. »Und wenn mir keiner der Kandidaten gefällt, die Lord Thurston geschickt hat?«
»Nun, dann werden wir uns fragen müssen, ob du einfach zu anspruchsvoll bist bei der Wahl eines neuen Lord of Desire oder ob du nur eine Entschuldigung suchst, um nicht heiraten zu müssen.«
Clare verzog das Gesicht und bedachte Margaret dann mit einem wehmütigen Blick. »Ihr seid immer so ungemein praktisch und direkt, Madam. Ihr versteht es, eine Sache immer genau auf den Punkt zu bringen.«
»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Frau im Allgemeinen das meiste erreicht, wenn sie praktisch denkt und sich selbst gegenüber ehrlich ist, vor allem, wenn sie sich in einem Zwiespalt befindet.«
»Ja, das habt Ihr mir schon öfter gesagt, Madam.« Clare straffte ihre Schultern. »Und ich werde versuchen, Eure weisen Worte zu beherzigen.«
»Deine Mutter wäre stolz auf dich, mein Kind.«
Clare bemerkte, dass Margaret nicht von ihrem Vater sprach. Das war auch nicht nötig. Sie beide wussten nur allzu gut, dass Sir Humphrey sich nie besonders für seine Ländereien interessiert hatte. Solche Dinge hatte er erst seiner Frau und dann seiner Tochter überlassen, während er sich seinen wissenschaftlichen Studien und Experimenten gewidmet hatte.
Von der Straße hinter der Klostermauer ertönten laute Rufe. Die Dorfbewohner waren zusammengelaufen, um die Neuankömmlinge zu begrüßen, und nun schrien sie aufgeregt durcheinander und gaben ihrer Bewunderung lautstark Ausdruck.
William stopfte die restlichen Korinthen zurück in den Beutel, der an seinem Gürtel hing, und rannte zu der kleinen Bank, die an der Mauer stand.
Zu spät merkte Clare, was er vorhatte. »William, wag es ja nicht, auf die Mauer zu klettern. Du weißt, was deine Mutter dazu sagen würde.«
»Keine Angst, ich falle schon nicht runter. Ich will nur die Ritter und ihre prachtvollen Pferde sehen.« William stieg auf die Bank und begann, seine füllige Gestalt auf die Steinmauer zu hieven.
Clare stöhnte und tauschte einen resignierten Blick mit Margaret aus. Es bestand kein Zweifel daran, dass Williams überängstliche Mutter in Ohnmacht fallen würde, wenn sie ihn jetzt sähe. Joanna war der Überzeugung, dass William ein schwächliches Kind war, das keinerlei Risiken eingehen durfte.
»Lady Joanna ist ja nicht da«, sagte Margaret trocken, als hätte Clare ihre Gedanken laut ausgesprochen. »Ich schlage also vor, dass wir die Sache einfach übersehen.«
»Wenn William herunterfällt, verzeiht Joanna mir das nie.«
»Eines Tages muss sie ja mal aufhören, den Jungen immer zu bemuttern.« Margaret zuckte mit den Schultern. »Wenn sie ihn weiterhin derart verhätschelt, wird er zu einem ängstlichen, zimperlichen, extrem fetten jungen Mann heranwachsen.«
»Ich weiß, aber ich kann es Joanna nicht verübeln, dass sie William beschützen will«, sagte Clare leiser. »Außer ihm hat sie niemand mehr auf der Welt. Und sie erträgt den Gedanken nicht, dass sie auch noch ihren Sohn verlieren könnte.«
»Ich sehe sie.« William schwang ein Bein über die Mauer. »Sie sind bereits in die Straße eingebogen.« Er schirmte seine Augen gegen die Frühlingssonne ab. »Der riesengroße graue Hengst kommt als Erstes. Ich schwöre, der Ritter, der darauf sitzt, ist fast genauso groß wie das Pferd.«
Clare runzelte die Stirn. »Ich habe Kandidaten von kleiner Gestalt verlangt.«
»Er hat einen schimmernden Helm und ein Kettenhemd«, rief William. »Und er trägt einen silbernen Schild, der in der Sonne wie ein großer Spiegel glänzt.«
»Ein großer Spiegel?« Fasziniert lief Clare in Richtung der Mauer, um sich die Neuankömmlinge ebenfalls anzusehen.
»Es ist wirklich eigenartig, Mylady. Alles an dem Ritter ist silber oder grau – sogar seine Kleider und das Geschirr seines Pferdes sind grau. Es ist, als ob er und sein Hengst ganz aus Silber und Rauch bestehen würden.«
»Silber und Rauch?« Clare blickte zu William auf. »Deine Fantasie geht mal wieder mit dir durch.«
»Ich schwöre, es stimmt, was ich sage.« William schien von dem Anblick, der sich ihm bot, ehrlich beeindruckt zu sein. Clares Neugierde wuchs. »Wie groß ist dieser Rauch-und-Silber-Ritter genau?«
»Sehr, sehr groß«, berichtete William von seinem Aussichtsposten. »Und der Ritter, der hinter ihm reitet, ist fast genauso groß …«
»Das geht so nicht.« Clare ging zum Tor und spähte auf die Straße, doch die aufgeregten Dorfbewohner versperrten ihr die Sicht.
Die Kunde von der Ankunft der Fremden hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Fast das ganze Dorf war ausgeschwärmt, um das Schauspiel zu genießen, das ihnen ein Aufmarsch von Rittern auf Desire bot. John der Schmied, Robert der Fassbinder, Alice der Brauer und drei muskulöse Bauern standen Clare im Weg, so dass sie nichts sehen konnte.
»Mach dir keine Sorgen wegen der Größe dieses grauen Ritters.« Margaret stellte sich neben Clare. Ihre Augen blitzten amüsiert auf. »Wie ich bereits sagte, dürfen wir nicht vergessen, dass William bisher noch nicht allzu viel von der Welt gesehen hat. Wahrscheinlich erscheint ihm jeder Ritter auf einem Pferd wie ein Hüne. Es ist die Rüstung, die sie so groß erscheinen lässt.«
»Ja, ich weiß. Trotzdem würde ich diesen grauen Ritter gern selbst sehen.« Clare warf der Mauer einen prüfenden Blick zu. »William, hilf mir mal.«
William riss seinen Blick von dem faszinierenden Anblick auf der Straße los, um kurz zu ihr hinunterzusehen. »Wollt Ihr Euch neben mich auf die Mauer setzen, Lady Clare?«
»Ja. Wenn ich hier unten stehen bleibe, werde ich der letzte Mensch auf der ganzen Insel sein, der diese Invasion sieht.« Clare schürzte die Röcke ihrer langen Tunika und kletterte auf die Bank.
Margaret schnaubte leise. »Also wirklich, Clare, das ist höchst unschicklich. Denk nur daran, wie peinlich es wäre, wenn einer der Bewerber sähe, dass du dich wie einer der jungen Burschen aus dem Dorf auf eine Mauer schwingst. Er könnte dich schließlich durchaus später auf der Burg wiedererkennen.«
»Niemand wird bemerken, dass ich hier oben sitze. Es klingt ganz so, als seien unsere Gäste viel zu sehr damit beschäftigt, die Dorfbewohner zu unterhalten. Und ich habe nicht die Absicht, mir dieses Schauspiel entgehen zu lassen.«
Clare umfasste den Mauerrand, fand einen Spalt, in den sie die Spitze ihres weichen Lederschuhs schieben konnte und hangelte sich neben William.
»Seid vorsichtig, Mylady.« William beugte sich herab, um ihr behilflich zu sein.
»Keine Sorge.« Keuchend schwang Clare erst ein Bein und dann das andere über die breite Steinmauer. »Ich bin vielleicht eine alte Jungfer von dreiundzwanzig, aber ich bin durchaus noch in der Lage, auf eine Mauer zu klettern.« Grinsend schob sie ihre Röcke zurecht. »Da, siehst du? Ich hab’s geschafft. Also, wo ist denn nun dieser Ritter aus Silber und Rauch?«
»Er ist am oberen Ende der Straße.« William zeigte in Richtung des Hafens. »Hört nur, wie die Hufe donnern. Es ist, als käme ein gewaltiger, heulender Sturm vom Meer herüber.«
»Auf jeden Fall machen sie genug Lärm, um die Toten zu wecken.« Clare schob die Kapuze ihres Umhangs zurück und wandte den Blick zum oberen Ende der engen Straße.
Das Donnern der Hufe kam immer näher, und die Dorfbewohner versanken in ehrfürchtiges Schweigen.
Und dann sah Clare den Ritter und den Hengst, beide in Silber und Rauch. Sie hielt den Atem an. Plötzlich konnte sie Williams Staunen verstehen.
Sowohl der Mann als auch das Pferd schienen aus den Elementen eines stürmischen Unwetters zu bestehen: Sie waren zu Fleisch gewordener Wind, Regen, Blitz und Donner. Ein kurzer Blick auf diese furchterregende, graue Gestalt genügte, um zu wissen, dass sie in der Lage war, alles zu zerstören, was ihr in den Weg kam.
Der Anblick des Ritters aus Silber und Rauch machte Clare ebenso sprachlos wie die Dorfbewohner. Als ihr klar wurde, dass sie zweifellos einen der Bewerber vor sich hatte, sank ihr Herz in die Knie.
Er ist zu groß, dachte sie. Viel zu groß. Und zu gefährlich. Auf jeden Fall der falsche Mann.
Der graue Ritter führte eine Kompanie von sieben Männern an. Der Trupp bestand aus Rittern, Waffenträgern und ein oder zwei Bediensteten. Clare blickte neugierig auf die Krieger, die hinter dem großen, grauen Schlachtross ritten. Sie hatte in ihrem Leben noch nicht viele Kämpfer gesehen, aber sie wusste, dass die meisten von ihnen starke, schimmernde Farben für ihre Rüstung bevorzugten.
Diese Männer folgten alle dem Beispiel ihres Anführers. Sie trugen dunkles Grau, Braun und Schwarz, was sie irgendwie noch bedrohlicher erscheinen ließ.
Die Neuankömmlinge waren inzwischen sehr nahe. Sie füllten die enge Straße vollkommen aus. Ihre Banner wehten im Wind. Clare hörte das Knarren und Quietschen von Stahl auf Leder. Geschirr und Waffen bewegten sich im gleichen Rhythmus.
Die schwer beschlagenen, riesigen Streitrösser bahnten sich ihren Weg. Sie bewegten sich mit einem langsamen, unerbittlichen Schritt, der ihre Kraft noch betonte und der allen Anwesenden ausreichend Gelegenheit bot, das Schauspiel eingehend zu verfolgen.
Clare starrte ebenso verblüfft wie alle anderen auf die Straße. Sie hörte kaum das aufgeregte Flüstern, das bei der kleinen Steinzelle der Dorfeinsiedlerin seinen Anfang nahm und das sich wie eine Welle fortsetzte, bis es bei ihr ankam.
Fasziniert von den berittenen Männern auf der Straße ignorierte sie das leise Murmeln zunächst. Aber als es an Lautstärke zunahm, erregte es schließlich doch ihre Aufmerksamkeit.
»Verstehst du, was die Leute sagen, William?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, irgendwas von einem Hund.«
Clare blickte über ihre Schulter in Richtung der Zelle, die in die Klostermauer eingelassen war. Beatrice die Einsiedlerin lebte dort, seit sie vor nunmehr beinahe zehn Jahren beschlossen hatte, ihr Leben in der Einsamkeit fortzusetzen. Gemäß den religiösen Vorschriften, die sie befolgte, verließ sie ihre Zelle nie.
Beatrice hätte sich als Einsiedlerin gänzlich dem Gebet und der Meditation widmen müssen, aber in Wahrheit widmete sie sich mit Vorliebe dem Tratsch. Es mangelte ihr nie an Gelegenheit, da im Verlauf des Tages fast jeder einmal an ihrem Fenster vorbeiging. Und viele blieben stehen, um sich mit ihr zu unterhalten oder sie um Rat zu bitten. Wann immer Beatrice Besuch bekam, ging sie mit ihm um wie die Magd mit der Kuh. Sie molk ihren Gast so lange, bis er keine Neuigkeit mehr zu bieten hatte.
Darüber hinaus folgte Beatrice ihrer Berufung, indem sie allen, die zu ihrem Fenster kamen, gutgemeinte Ratschläge erteilte. Nicht selten gab sie hilfreiche Tipps selbst dann, wenn niemand sie gebeten hatte. Am liebsten jedoch machte sie düstere Prophezeiungen und warnte vor drohendem Unheil und Verderben.
Manchmal hatte sie damit sogar recht.
»Was sagen sie?«, rief Margaret zu Clare hinauf.
»Ich weiß nicht genau.« Clare strengte sich an, das Geflüster der Leute unter sich zu verstehen. »William meint, irgendwas über einen Hund. Ich glaube, die Einsiedlerin hat damit angefangen.«
»Dann ignorieren wir es am besten«, sagte Margaret.
»Hört«, unterbrach William sie. »Jetzt versteht man, was sie sagen.«
Die Woge des Raunens hatte sie erreicht.
»… Höllenhund.«
»Es heißt, es sei ein Höllenhund irgendwo aus dem Süden. Ich hab den Namen nicht richtig verstanden.«
»Der Höllenhund von Wyckmere!«
»Ja, genau, Wyckmere. Er ist bekannt als der Höllenhund von Wyckmere. Angeblich hat er ein riesiges Schwert, das sie das Tor zur Hölle nennen.«
»Warum nennen sie es so!«
»Weil es das Letzte ist, was ein Mann sieht, ehe er stirbt.«
William riss die Augen auf. Er zitterte vor Aufregung und griff automatisch in den Beutel an seinem Gürtel, um sich mit einer weiteren Handvoll Trockenfrüchte zu beruhigen. »Habt Ihr das gehört, Lady Clare?«, fragte er mit vollem Mund. »Der Höllenhund von Wyckmere.«
»Ja.« Clare bemerkte, dass sich mehrere Dorfbewohner bei dieser Neuigkeit bekreuzigten, aber ihre Mienen waren so aufgeregt wie zuvor. Enttäuscht stellte sie fest, dass die Leute von den Rittern tatsächlich begeistert waren.
Alles in allem waren die Dörfler ein ehrgeiziger Haufen. Zweifellos dachten sie an das Prestige, da sie erlangen würden, wenn sie einen Herrn bekämen, der den Ruf eines gefürchteten Kämpfers hatte.
Ein solcher Ruf war ja schön und gut, dachte Clare, außer, wenn man gezwungen war, den Mann, der ihn hatte, zu heiraten.
»Der Höllenhund von Wyckmere«, hauchte William mit einer Ehrfurcht, die eigentlich nur eines Gebets oder einer göttlichen Erscheinung würdig gewesen wäre. »Er muss wirklich ein sehr bedeutender Ritter sein.«
»Mich interessiert vielmehr«, sagte Clare, »wo die anderen stecken.«
»Welche anderen?«
Clare runzelte die Stirn. »Es sollten mindestens drei Ritter kommen, unter denen ich dann einen Ehemann auswähle. Aber diese Kerle scheinen alle unter dem Banner eines einzigen Mannes zu reiten.«
»Tja, nun, dieser Höllenhund von Wyckmere ist fast so groß wie drei Männer zusammengenommen«, sagte William mit deutlicher Zufriedenheit. »Wir brauchen keinen anderen Kandidaten mehr.«
Clare kniff die Augen zusammen. Der Höllenhund war zwar nicht gerade so groß wie drei Männer zusammen, aber auf jeden Fall wirkte er durchaus beeindruckend. Und auf jeden Fall entsprach er nicht ihren Anforderungen bezüglich eines Mannes von bescheidener Gestalt.
Der graue Ritter und sein Gefolge waren inzwischen beinahe bei ihr angekommen. Was auch immer man gegen die Neuankömmlinge sagen konnte, zumindest boten sie allen Inselbewohnern wunderbare Unterhaltung. Es würde interessant werden zu sehen, ob die anderen Bewerber dieses Schauspiel noch überbieten konnten.
Sie war so gefangen von dem ungewöhnlichen Anblick, dass sie das erneute Flüstern der Leute kaum bemerkte. Sie meinte, ihren Namen zu hören, aber sie achtete nicht weiter darauf, da sie es als die Herrin von Desire gewöhnt war, dass die Menschen von ihr sprachen. So war es nun einmal.
Margaret blickte zu ihr hinauf. »Clare, du begibst dich am besten umgehend in die Burg. Wenn du da oben auf der Mauer sitzen bleibst, schaffst du es nie, rechtzeitig dort zu sein, um diesem großen Ritter einen angemessenen Empfang zu bereiten.«
»Dafür ist es bereits zu spät, Madam.« Clare musste beinahe schreien, um sich bei all dem Stimmengewirr und dem Donnern der Pferdehufe Gehör zu verschaffen. »Ich werde warten müssen, bis sie vorbei sind, ehe ich wieder herunterkommen kann. Ich sitze hier fest, solange die ganze Straße voller Menschen ist. Joanna und die Bediensteten werden unseren Gästen schon einen angemessenen Empfang bereiten.«
»Was sagst du da?«, schalt Margaret. »Joanna und die Bediensteten können kaum für den Empfang sorgen, den der zukünftige Lord of Desire wahrscheinlich erwartet.«
Clare wandte sich zu Margaret um und grinste. »Ah, aber wir wissen doch noch gar nicht, ob dieser graue Ritter der zukünftige Lord of Desire wird, oder? In der Tat halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Soweit ich sehe, hat er nicht im Geringsten die von mir geforderte Statur.«
»Die Statur eines Mannes ist wohl kaum das Wichtigste, mein Kind«, murmelte Margaret.
Plötzlich verstummten das Donnern der Hufe und das Klappern des Geschirrs. Williams erstaunter Aufschrei und die plötzliche Stille, die sich über die Dorfbewohner senkte, ließen Clares Kopf erneut herumfahren.
Überrascht sah sie, dass der gesamte Trupp, der sich langsam, aber unaufhaltsam durch das Dorf gewälzt hatte, mitten auf der Straße zum Stillstand gekommen war.
Genau an der Stelle, an der sie auf der Mauer saß.
Clare schluckte, als sie bemerkte, dass der graue Ritter sie direkt ansah. Ihr erster Gedanke war der, sich auf der anderen Seite von der Mauer fallen zu lassen und sich diskret in den Garten zurückzuziehen.
Aber dafür war es jetzt zu spät. Sie würde sich ihm stellen müssen.
Plötzlich wurde sich Clare ihres schmutzigen Kleides und ihres windzerzausten Haares bewusst. Mit feuchten Händen umklammerte sie den Rand der sonnengewärmten Mauer.
Sicher blickte er nicht sie an.
Es war vollkommen unmöglich, dass er·sie anblickte.
Es gab keinen Grund, weshalb sie die Aufmerksamkeit des grauen Ritters hätte erregen sollen. Sie war einfach eine Frau, die auf einer Mauer saß und gemeinsam mit allen anderen Dorfbewohnern das Schauspiel des einziehenden Ritters beobachtete.
Aber er blickte sie an.
Ein peinliches Schweigen senkte sich über die Menge, als der Rauch-und-Silber-Ritter Clare einen endlosen Augenblick lang nachdenklich ansah. Sie hatte das Gefühl, als hätte selbst der Wind aufgehört zu wehen. Die Blätter der Bäume im Klostergarten hingen reglos herab. Kein einziger Laut war zu hören, noch nicht einmal das Schnappen eines Banners.
Clare blickte in ein Paar dunkler, unergründlicher Augen unter dem Stahlhelm und betete, dass der Höllenhund von Wyckmere sie für eine der Dorfbewohnerinnen hielt.
Auf ein unsichtbares Kommando hin begann der riesige graue Hengst, sich auf die Mauer zuzubewegen. Diejenigen, die dem Biest im Wege standen, wichen beiseite, um ihm den Weg freizumachen. Aller Augen richteten sich auf Clare.
»Er kommt zu uns herüber, Mylady«, quietschte William.
»Vielleicht erkennt er Euch.«
»Aber wir sind uns doch noch nie begegnet.« Clare umklammerte die Steine der Mauer. »Er kann unmöglich wissen, wer ich bin.«
William öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er klappte ihn wieder zu, als das massige Pferd direkt vor Clare stehen blieb. Der Blick des grauen Ritters richtete sich auf Clare.
Sie sah in ein Paar leuchtender Augen in der Farbe von rauchigem Bergkristall, in denen nicht das kleinste Lächeln lag. Die kalte, berechnende Intelligenz, die in den Tiefen dieses Kristalls aufblitzte, verriet ihr, dass er sehr wohl wusste, wen er vor sich hatte.
Clare hielt den Atem an und versuchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Situation in den Griff zu bekommen. Nie zuvor war sie so verlegen gewesen.
»Ich suche die Lady of Desire«, sagte der Ritter.
Der Klang seiner Stimme ließ Clare erschaudern. Sie wusste nicht, weshalb sie so eigenartig darauf reagierte, denn die Stimme passte zu ihm. Sie war tief und vibrierte vor kaum gezügelter Kraft.
Sie klammerte sich an die Mauer, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Dann reckte sie das Kinn und straffte die Schultern. Sie war die Herrin dieser Insel und hatte durchaus die Absicht, sich ihrem Titel gemäß zu benehmen, auch wenn sie dem bestaussehenden Mann gegenübersaß, den sie jemals gesehen hatte.
»Ich bin diejenige, die Ihr sucht, Sir. Und wer seid Ihr?«
»Ich bin Gareth of Wyckmere.«
Clare erinnerte sich an das Geflüster der Leute. Der Höllenhund von Wyckmere. »Wie ich hörte, habt Ihr noch einen anderen Namen.«
»Ich habe noch viele andere Namen, aber ich reagiere nicht auf alle.«
In seinen Worten lag eine deutliche Warnung. Clare hörte sie und beschloss, dass es sicherer sei, gutes Benehmen zu zeigen. Also neigte sie höflich den Kopf.
»Ich heiße Euch auf Desire willkommen, Sir Gareth. Erlaubt mir, Euch im Namen des ganzen Dorfes für die nette Unterhaltung zu danken, die Ihr uns geboten habt. Wir haben nur selten das Vergnügen eines derart prächtigen Aufmarschs in unserem kleinen Dorf.«
»Es freut mich, dass Ihr mit meiner bisherigen Leistung zufrieden seid, Mylady, und ich nehme an, dass Euch auch der Rest gefallen wird.« Gareth ließ die Zügel seines Hengstes sinken, hob die Hände, die in Kettenhandschuhen steckten, an und setzte seinen Helm ab.
Er blickte sich nicht einmal um und gab, soweit Clare sehen konnte, auch sonst kein sichtbares Zeichen. Trotzdem kam sofort einer der anderen Ritter, nahm Gareth den Helm ab und zog sich zurück.
Auch wenn es nicht gerade von gutem Benehmen zeugte, musterte Clare Gareth mit kaum verhohlener Neugier. Schließlich war er einer der Männer, die geschickt worden waren, um sie zu umwerben. überrascht stellte sie fest, dass irgendetwas tief in ihrem Inneren durchaus zufrieden war mit dem, was sie vor sich sah.
Er war eindeutig zu groß, aber irgendwie erschien ihr dieser Makel plötzlich nicht mehr ganz so gravierend. Der Grund war offensichtlich. Trotz seiner Größe und seiner offensichtlichen körperlichen Kraft sagte ihr etwas, dass dieser Mann sich nicht nur auf rohe Gewalt verlassen würde, um seine Ziele zu erreichen.
Gareth of Wyckmere war ein ausgebildeter Ritter, durchaus versiert in der blutigen Kunst des Krieges, aber er war kein dickschädeliger Narr. Das erkannte Clare an seinem Gesicht. Das Sonnenlicht fiel auf seine glänzenden, schulterlangen schwarzen Haare. Seine stolzen, steinernen Züge erinnerten Clare an die mächtigen Klippen, die ihre geliebte Insel vor Eindringlingen schützten. Sie spürte, dass er trotz der Intelligenz, die in seinen Augen aufgeblitzt war, unnachgiebig und unversöhnlich sein konnte.
Dies war ein Mann, der sich alles, was er im Leben erreichen wollte, erkämpfte.
Er sah Clare an, als sie ihn musterte, und es schien, als begegnete er dieser Prüfung mit Gleichgültigkeit. Er saß einfach ruhig da und wartete geduldig ab, als sei ihr Urteil ohne besondere Bedeutung. Ihr kam der Gedanke, dass er ein Ziel vor Augen und die Absicht hatte, es zu erreichen – ungeachtet ihrer Wünsche und Vorstellungen.
Diese Erkenntnis machte Clare Angst. Der Höllenhund von Wyckmere würde sich nicht so einfach abweisen lassen, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte, der neue Lord of Desire zu werden.
Aber sie konnte ebenso entschlossen sein, wenn sie ein bestimmtes Ziel erreichen wollte. Schließlich hatte sie seit ihrem zwölften Lebensjahr die Befehlsgewalt über die Insel.
»Nun, Mylady?«, sagte Gareth. »Seid Ihr zufrieden mit Eurem zukünftigen Herrn?«
Ihrem zukünftigen Herrn? Clare blinzelte. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder schimpfen sollte über diese bodenlose Arroganz. Also setzte sie ein höfliches, aber zugleich entschlossenes Lächeln auf.
»Das kann ich noch nicht sagen«, sagte sie verhalten. »Ich habe schließlich die anderen Kandidaten noch nicht gesehen.«
»Da unterliegt Ihr einem Irrtum, Madam. Es gibt nur zwei Kandidaten, mich und Sir Nicholas of Seabern.«
Clare riss entgeistert den Mund auf. »Aber das ist unmöglich. Ich habe eine Auswahl von mindestens drei oder vier Rittern gefordert.«
»Wir bekommen im Leben nicht immer alles, was wir fordern, nicht wahr?«
»Aber Ihr entsprecht meinen Anforderungen ganz und gar nicht, Sir«, platzte Clare heraus. »Ich möchte Euch ja nicht zu nahe treten, aber Ihr habt nicht gerade die richtige Größe. Und außerdem erscheint Ihr mir wie ein Mann des Krieges, nicht wie ein Mann des Friedens.« Sie starrte ihn finster an. »Des Weiteren habe ich nicht gerade den Eindruck, als wärt Ihr ein sonderlich fröhlicher Mensch.«
»An meiner Größe kann ich nichts ändern. Und es stimmt, dass ich in der Kriegskunst ausgebildet bin, aber ich schwöre Euch, dass ich ein ruhiges, friedliches Leben suche. Was mein Temperament angeht, wer weiß? Ein Mann kann sich schließlich ändern, nicht wahr?«
»Da bin ich mir keineswegs sicher«, sagte Clare zögernd.
»Außerdem kann ich lesen.«
»Nun, ich nehme an, das ist schon mal etwas. Trotzdem …«
»Mylady, ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir alle lernen müssen, uns mit dem zufriedenzugeben, was uns zuteilwird.«
»Das weiß wohl niemand besser als ich«, entgegnete Clare mit eisiger Stimme. »Sir, ich will offen mit Euch sein. Ihr seid einen weiten Weg gekommen, und Ihr habt uns einen unterhaltsamen Vormittag beschert. Ich möchte Euch wirklich nicht enttäuschen, aber ich fürchte, Ihr seid nicht der Richtige für die Position des Lord of Desire. Vielleicht wäre es das Beste, wenn Ihr mit Euren Männern gleich wieder kehrtmacht.«
»Oh, nein, Mylady. Ich habe lange auf diese Gelegenheit gewartet, und ich habe eine weite Reise hinter mir. Ich bin gekommen, um meine Zukunft zu sichern. Und ich habe nicht die Absicht, wieder zu gehen.«
»Aber ich bestehe darauf …«
Plötzlich vernahm sie ein leises, tödliches Zischen, und auf einmal hielt Gareth sein Schwert in der Hand. Die unmerkliche Bewegung ließ die umstehenden Dorfbewohner vor Furcht erstarren. Clare unterbrach sich mitten im Satz. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die Waffe.
Das Sonnenlicht tanzte und blitzte auf dem Stahl, als Gareth die Klinge in die Luft reckte.
Erneut schien alles und jeder in Stille zu erstarren.
William war derjenige, der es wagte, den Bann zu brechen. »Ihr dürft meiner Lady nichts tun«, schrie er Gareth an. »Ich werde es nicht zulassen, dass Ihr ihr etwas zuleide tut.«
Williams Kühnheit verblüffte die Umstehenden ebenso wie der Anblick des gezückten Schwertes.
»Pst, William«, flüsterte Clare.
Gareth sah ihren Beschützer an. »Du bist sehr mutig, mein Junge. Es gibt Männer, die stürzen beim Anblick des Tores zur Hölle kopflos davon.«
Es war nicht zu übersehen, dass auch William sich fürchtete, aber seine Miene verriet trotzige Entschlossenheit. Er starrte Gareth an. »Ich lasse es nicht zu, dass Ihr ihr etwas antut.«
»Ich werde ihr nichts antun«, beruhigte ihn Gareth. »In der Tat bin ich als ihr zukünftiger Herr froh zu sehen, dass sie bis zu meiner Ankunft einen derart tapferen Beschützer hatte. Ich stehe tief in deiner Schuld, mein Junge.«
William blickte ihn unsicher an.
Mit einer erneuten unmerklichen Bewegung drehte Gareth das Schwert um, so dass die Klinge auf ihn wies. Als unverkennbares Zeichen seines Respekts und seiner Ehrerbietung reichte er Clare den Griff und wartete, dass sie die Waffe entgegennahm.
Unter den Umstehenden erhob sich überraschtes und zustimmendes Gemurmel. Clare hörte es. Sie spürte Williams kaum verhohlene Aufregung. Die erwartungsvolle Anspannung aller Beteiligten war überwältigend.
Wenn sie sich weigerte, das Schwert entgegenzunehmen, ginge sie damit ein unkalkulierbares Risiko ein. Sie hatte keine Ahnung, wie Gareth darauf reagieren oder was seine berittenen Kämpfer dann tun würden. Innerhalb weniger Minuten könnten sie das gesamte Dorf dem Erdboden gleichmachen.
Wenn sie das Schwert jedoch annahm, würden sowohl Gareth als auch alle anderen annehmen, dass sie seinem Werben positiv gegenüberstand.
Es war eine Falle. Eine äußerst geschickte Falle, aber dennoch eine Falle. Sie hatte nur zwei Möglichkeiten, und beide waren gefährlich. Und er hatte sie bewusst in diese Falle gelockt. Aber schließlich hatte sie sofort gewusst, dass er ein Mann war, der nicht nur seine Kraft, sondern auch seinen Verstand benutzte, um seine Ziele zu erreichen.
Clare blickte auf den Griff des blankpolierten Schwertes. Sie sah, dass der Knauf mit einem Stück Bergkristall verziert war. Der trübe graue Stein schien mit silbrigem Rauch von unsichtbaren Feuern gefüllt zu sein. Plötzlich wusste Clare, woher die Waffe ihren Namen hatte. Man brauchte nicht besonders viel Fantasie, um den Kristall im Griff als ein Tor zur Hölle zu betrachten.
Sie begegnete Gareths ruhigem Blick und sah, dass der rauchige Kristall hervorragend zu seinen Augen passte.
Da ihr keine andere Wahl blieb, entschied sich Clare für eine der beiden Möglichkeiten. Langsam streckte sie die Hand aus und ergriff das Schwert. Die Waffe war so schwer, dass sie sie mit beiden Händen nehmen musste.
Die Menge brach in lauten Jubel aus. William grinste. Hochrufe erfüllten die Luft. Es rasselte und klirrte, als die Ritter und die Waffenträger ihre Lanzen schwangen und ihre Schilde reckten.
Clare blickte Gareth an und hatte das Gefühl, als sei sie soeben von einer der hohen Klippen von Desire gesprungen.
Gareth streckte seine riesigen Hände aus, umfasste ihre Taille und zog sie von der Mauer. Clare wurde schwindlig. Beinahe hätte sie das riesige Schwert fallen gelassen.
Einen Augenblick später saß sie sicher vor dem Höllenhund von Wyckmere im Sattel. Ein gepanzerter Arm, so dick wie ein Baumstamm, bewahrte sie davor herunterzufallen. Sie blickte auf und sah die Zufriedenheit in Gareths Augen.
Clare fragte sich, weshalb sie immer noch das Gefühl hatte zu fallen.
Gareth hob eine Hand, und sofort eilte einer der Ritter herbei, ein Kerl mit einem Gesicht wie aus Stein.
»Ja, Sir Gareth?«
»Ulrich.« Gareth erhob die Stimme, um in dem allgemeinen Jubel Gehör zu finden. »Begleitet den edlen Beschützer meiner Lady in einer Weise auf die Burg, die seiner hervorragenden Dienste würdig ist.«
»Ja.« Ulrich führte sein Pferd näher an die Mauer und streckte die Arme nach William aus. Dann hob er den Jungen von der Mauer und setzte ihn vor sich in den Sattel.
Clare sah, dass William die Augen aufriss, als er auf dem riesigen Schlachtross durch die Menge ritt. Mit Bedauern wurde ihr klar, dass Gareth soeben einen treuen Ergebenen fürs Leben gefunden hatte.
Sie hörte den Jubel der Menschen, als der Höllenhund von Wyckmere seinen grauen Hengst durch die Straße lenkte. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Margaret in der Tür des Pförtnerhäuschens stand.
Die Priorin winkte fröhlich.
Clare umklammerte das Tor zur Hölle mit beiden Händen und dachte über die Falle nach, in der sie gefangen war.
»Der Lady das Tor zur Hölle zu übergeben war wirklich eine nette Geste.« Ulrich grinste, während er Gareth zusah, der sich in der großen Badewanne einseifte. »Recht untypisch für Euch, wenn ich so sagen darf.«
»Ihr meint also, ich sei nicht zu einer netten Geste gegenüber einer Lady fähig?« Gareth schob sich das nasse Haar aus den Augen und sah seinen Freund und Vertrauten an.
Ulrich saß auf der Bank am Fenster. Das Sonnenlicht fiel auf seinen kahlen Kopf. Er war ein erprobter Ritter mit dicken Muskelpaketen und einem erstaunlich hübschen Gesicht.
Lord Thurston hatte den damals zweiundzwanzigjährigen Ulrich an Gareths sechzehntem Geburtstag als dessen Mentor eingestellt. Er war sowohl ein guter Taktiker als auch ein erfahrener Kämpfer. Er war dabei gewesen, als Gareth seine ersten Sporen verdient hatte und in den Ritterstand erhoben worden war. Diese Ehrung war die Folge einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit einer Bande abtrünniger Ritter gewesen, die die Dorfbewohner eines von Thurstons Lehen malträtiert hatten. Von dem Tag an waren Ulrich und Gareth immer zusammen gewesen. Ihre Beziehung basierte auf Freundschaft, auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt. Gareth hatte am Anfang eine Menge von Ulrich gelernt, und er hörte auch heute noch auf den Rat des anderen. Aber irgendwann hatte sich die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler gewandelt, und sie hatten begonnen, als gleichberechtigte Ritter zu kämpfen.
Inzwischen war Gareth derjenige, der die Befehle erteilte. Er war derjenige, der eine verschworene, disziplinierte Truppe um sich versammelt hatte, deren Dienste für einen sehr hohen Preis zu haben waren.