Dieb meines Herzens - Amanda Quick - E-Book
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Amanda Quick

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Beschreibung

Voller Geheimnisse, knisternder Erotik und unvergesslich amüsanter Wortgefechte!

England: Die schöne Leona Hewitt ist eigentlich eine anständige junge Frau – wenn sie nicht gerade stiehlt. Doch gerade als sie die Finger nach dem Aurora Stone ausstreckt, kommt ihr der charmante Dieb Thaddeus Ware in die Quere. Zwar kann Leona mit dem geheimnisvollen Kristall entkommen, doch als der Vorbesitzer einen Mörder auf sie ansetzt, kreuzen sich die Wege von Leona und Thaddeus erneut – und diesmal lassen sie ihren Gefühlen freien Lauf …

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Seitenzahl: 444

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Buch

Leona Hewitt ist normalerweise eine anständige junge Frau. Doch eines Abends verkleidet sie sich als Dienstbote und schleicht sich während eines Empfangs in das Haus von Lord Delbridge ein, um aus dessen Sammlung wertvoller Gegenstände ein altes Familienerbstück zu entwenden. Bevor sie das Stück gefunden hat, entdeckt sie allerdings eine grausam ermordete Frau, über die sich gerade noch ein Mann beugt. Der Mörder …? Nein, aber der undurchsichtige und höllisch attraktive Thaddeus Ware ist auch nicht zufällig an diesem Abend im Haus von Lord Delbridge. Auch er ist auf der Jagd nach dem Gegenstand, einem Kristall namens Aurora-Stein. Eine geheime Organisation, der er angehört, ist schon lange auf der Suche nach dem Kristall und hat Thaddeus beauftragt, ihn zurückzuholen. Leona und Thaddeus wollen den Aurora-Stein daher beide, sind aber klug genug, erst aus dem Gebäude zu fliehen und dann um den Kristall zu kämpfen. Beide haben eine besondere Gabe, die sie zu gleichwertigen Gegnern macht, und Leona kann den Kristall für sich gewinnen. Doch schon bald kreuzen sich ihre Wege wieder, als Thaddeus von seiner Organisation beauftragt wird, den Mörder der jungen Frau – der mittlerweile wieder zugeschlagen hat – zu finden. Dieser Killer handelt im Auftrag von Lord Delbridge, der unbedingt den gestohlenen Kristall zurückhaben muss und schon bald herausgefunden hat, wo er sich befindet. Als es zu gefährlich für Leona wird, nimmt Thaddeus sie in sein Haus bei sich und seiner Großtante auf. Wo sich die schon bei ihrer ersten Begegnung spürbare Anziehungskraft zwischen den beiden bald in knisternde Leidenschaft wandelt …

Autorin

Amanda Quick ist das Pseudonym der erfolgreichen, vielfach preisgekrönten Autorin Jayne Ann Krentz. Krentz hat Geschichte und Literaturwissenschaften studiert und lange als Bibliothekarin gearbeitet, bevor sie ihr Talent zum Schreiben entdeckte. Sie ist verheiratet und lebt in Seattle.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorinKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Copyright

1

Gegen Ende der Regierungszeit Königin Viktorias

Die in tiefes Dämmerlicht getauchte Galerie des Museums war voller merkwürdiger und verstörender Artefakte. Keine dieser Antiquitäten aber war so grausig wie die auf dem kalten Marmorboden in einer Blutlache liegende Frau.

Über der Toten ragte die drohende Gestalt eines Mannes auf. Die Wandleuchten waren schon weit heruntergebrannt, doch das Licht genügte, um die Silhouette seines bis zu den Stiefeln reichenden Mantels erkennen zu lassen. Der hohe Kragen war aufgestellt und verbarg teilweise sein Profil.

Leona Hewitt blieb nur ein Sekundenbruchteil, um die schreckliche Szene zu registrieren. Eben hatte sie die massive steinerne Statue eines geflügelten mythologischen Ungeheuers umrundet. Als Diener verkleidet, das Haar unter einer Männerperücke festgesteckt, bewegte sie sich auf der Suche nach dem Kristall flink, fast im Laufschritt. Ihr Schwung trug sie nun direkt zu dem Mann, der sich über den Leichnam der Frau beugte.

Als er sich zu ihr umdrehte, schwang sein Mantel wie ein großer schwarzer Flügel aus.

Verzweifelt versuchte sie, die Richtung zu ändern, doch dazu war es zu spät.

Er packte sie so mühelos, als wäre sie eine Geliebte, die sich ihm mit Absicht in die Arme warf; eine Geliebte, die er voller Vorfreude erwartet hatte.

»Still«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Keine Bewegung.«

Es war nicht der Befehl, der sie reglos verharren ließ, sondern der Ton seiner Stimme. Energie durchpulste jedes Wort und überflutete ihre Sinne wie eine gewaltige Meereswoge. Ihr war, als hätte ein irrer Arzt ihr eine exotische Droge in die Venen injiziert, ein Gemisch, das sie lähmte. Doch die Furcht, die sie eben noch verspürt hatte, war wie von Zauberhand von ihr gewichen.

»Mund halten, und bis auf Weiteres keine Bewegung.«

Die Stimme des Mannes erschien ihr als Furcht einflößende, sonderbar erregende Naturgewalt, die sie in eine fremde Dimension entführte. Trunkenes Gelächter und Musik, die von der zwei Etagen unter ihnen stattfindenden Party gedämpft heraufklangen, verwehten in der Nacht. Sie befand sich nun an einem anderen Ort, in einem Reich, wo nur diese Stimme zählte.

Die Stimme. Sie hatte sie in einen bizarren Traumzustand gezwungen. Sie wusste alles über Träume.

Erkenntnis durchzuckte sie und riss sie aus der Trance. Der Mann machte sich eine paranormale Kraft zunutze, um sie zu beherrschen. Warum stand sie so reglos und passiv da? Sie sollte um ihr Leben kämpfen. Und sie würde kämpfen.

Sie aktivierte ihre Willenskraft und ihre Sinne wie immer, wenn sie Energie durch einen Traumkristall kanalisierte. Das schwankende Gefühl der Unwirklichkeit zerbarst in Millionen glitzernder Splitter. Plötzlich war sie frei von dem sonderbaren Bann, doch sie war noch nicht von dem Mann befreit, der sie an sich drückte. Es fühlte sich an, als wäre sie an einen Fels gefesselt.

»Verdammt«, flüsterte er. »Du bist eine Frau.«

Die Wirklichkeit mitsamt der Angst und den gedämpften Geräuschen der Party kehrten bestürzend rasch wieder. Sie fing an, sich heftig zur Wehr zu setzen. Die Perücke rutschte ihr über ein Auge und raubte ihr teilweise die Sicht.

Der Mann drückte ihr seine Hand auf den Mund und festigte den Griff, mit dem er ihren Körper hielt. »Ich weiß nicht, wie Sie aus der Trance gleiten konnten, doch verhalten Sie sich am besten still, wenn Sie die Nacht überleben wollen.«

Seine Stimme klang nun anders. Noch immer von einer tiefen bezwingenden Note durchdrungen, widerhallten seine Worte nicht mehr von der elektrisierenden Energie, die sie für kurze Zeit in eine reglose Statue verwandelt hatte. Offenbar hatte er es aufgegeben, sie mit Hilfe seiner mentalen Kräfte zu beherrschen. Stattdessen bediente er sich einer althergebrachten Methode und nutzte die überlegene körperliche Kraft, mit der die Natur das männliche Geschlecht ausstattet.

Als sie gegen sein Schienbein trat, glitt ihr Schuh an einer glitschigen Substanz ab. O Gott, Blut! Sie verfehlte ihr Ziel, doch ihre Zehe stieß gegen einen kleinen Gegenstand auf dem Boden neben der Toten. Sie hörte das Ding leicht über die Steinfliesen schlittern.

»Verdammt, jemand ist auf der Treppe«, raunte er ihr ins Ohr. »Hören Sie die Schritte? Entdeckt man uns, kommt hier keiner von uns lebend hinaus.«

Die grimmige Gewissheit seiner Worte machte sie plötzlich unsicher.

»Ich habe die Frau nicht getötet«, setzte er ganz leise hinzu, als könne er ihre Gedanken lesen. »Der Mörder befindet sich vermutlich noch im Haus. Vielleicht kommt er jetzt zurück, um die Spuren zu beseitigen.«

Sie merkte, dass sie ihm auf Grund kalter Logik glaubte, ohne dass er sie wieder in Trance versetzt hatte. Wäre er der Mörder gewesen, hätte er ihr inzwischen zweifellos die Kehle durchgeschnitten. Sie hätte in einer Blutlache neben der Toten auf dem Boden gelegen. Sie gab ihren Widerstand auf.

»Endlich Anzeichen von Intelligenz«, murmelte er.

Nun hörte sie die Schritte auch. Tatsächlich, jemand kam über die Treppe in die Galerie; wenn nicht der Mörder selbst, dann wahrscheinlich einer der Gäste. Wer immer es war, die Chance war groß, dass er betrunken war. Lord Delbridge hatte an diesem Abend viele seiner männlichen Bekannten eingeladen. Seine Partys waren berüchtigt, nicht nur für die unbegrenzte Menge edler Tropfen und delikater Speisen, sondern auch für die Scharen elegant gekleideter Prostituierter, die sich unter die Gäste mischten.

Vorsichtig entfernte der Mann seine Hand von ihrem Mund. Als sie keine Anstalten machte zu schreien, ließ er sie los, und sie schob die Perücke zurecht, um wieder ungehindert sehen zu können.

Seine Finger umschlossen ihre Handgelenke wie Handschellen. Als Nächstes realisierte sie, dass er sie von der Toten weg in den tiefen Schatten eines großen steinernen Tisches schleppte, der auf einem massiven Sockel stand.

Auf halbem Weg bückte er sich kurz nach dem kleinen Gegenstand, den sie eben mit dem Fuß über den Boden gekickt hatte. Er steckte das Ding in die Tasche, ehe er Leona in den Zwischenraum zwischen dem schweren Tisch und der Wand drängte.

Als sie an einer Ecke den Tisch streifte, spürte sie, wie eine Energie sie unangenehm knisternd durchzuckte. Reflexartig wich sie mit einem kleinen Zusammenzucken zurück. Im schwachen Licht konnte sie merkwürdige Zeichen im Stein sehen. Schaudernd erkannte sie, dass es kein gewöhnlicher Tisch war, sondern ein uralter, für unheilige Zwecke missbrauchter Altar. Ähnliche Andeutungen dunkler Energie hatte sie bei anderen in Lord Delbridges Privatmuseum aufbewahrten Relikten verspürt. Über der Galerie lag der Geruch negativer Ausstrahlungen, die ihr Gänsehaut verursachten.

Die Schritte waren nun schon näher und bewegten sich vom oberen Ende der Haupttreppe zur stillen Galerie.

»Molly?«, lallte eine betrunkene Männerstimme. »Wo bist du, meine Liebe? Entschuldige die Verspätung. Wurde im Kartenzimmer aufgehalten, habe dich aber nicht vergessen.«

Leona spürte, wie der Arm des Unbekannten sie fester umfasste. Er musste ihr unwillkürliches Schaudern bemerkt haben. Ohne weitere Umstände drückte er sie hinter den schützenden steinernen Tisch.

Neben ihr kauernd zog er etwas aus seiner Manteltasche. Sie hoffte aufrichtig, dass es eine Pistole war.

Die Schritte kamen näher. Gleich würde der Neuankömmling die Tote sehen.

»Molly?« Die Stimme klang jetzt scharf vor Ärger. »Wo zum Teufel steckst du, du dummes Ding? Ich bin heute nicht in Stimmung für Spielchen.«

Die Tote war also zu einem Stelldichein in die Galerie gekommen. Nun würde ihr Galan, der sich verspätet hatte, sie finden.

Die Schritte hielten inne.

»Molly?« Der Mann klang bestürzt. »Was machst du da auf dem Boden? Sicher finden wir ein bequemeres Lager. Ich werde doch nicht… verdammt…!«

Leona hörte einen erstickten Schreckenslaut, gefolgt von hastigen Schritten. Der Möchtegernliebhaber rannte zur Haupttreppe zurück. Als er an einer der Wandleuchten vorüberlief, sah Leona seine Silhouette wie ein Bild in einer Laterna-magica-Projektion über die Wand flackern.

Der Mann im schwarzen Mantel war plötzlich auf den Beinen. Einen Moment war Leona sprachlos. Was hatte er vor? Sie versuchte, seine Hand zu erfassen und ihn wieder zu sich herunterzuziehen. Er war aber schon in Bewegung und glitt hinter der Deckung des schaurigen Altars hervor, um den Weg des Flüchtenden zu blockieren.

Er ist verrückt, dachte sie. Der fliehende Liebhaber würde zweifellos folgern, dass er dem Mörder gegenüberstand. Er würde schreien und Delbridge, die Gäste und das Personal in die Galerie locken. Sie machte sich auf eine verzweifelte Flucht über die Dienstbotentreppe gefasst. Verspätet fiel ihr ein anderer Plan ein. Vielleicht war es besser, zu warten und sich unter die hereinströmende Gästeschar zu mischen.

Noch immer unschlüssig, was die beste Vorgangsweise sein mochte, hörte sie den Mann im schwarzen Mantel sprechen. Sein eigentümlicher Tonfall war jetzt derselbe, der bei ihr vorübergehend völlige Bewegungslosigkeit bewirkt hatte.

»Halt«, befahl er in dem tiefen, sonoren Ton, der vor unsichtbarer Energie widerhallte. »Keine Bewegung.«

Die Wirkung trat sofort ein. Die flüchtende Gestalt hielt mitten in der Bewegung inne und blieb reglos stehen.

Hypnose, dachte Leona, der endlich ein Licht aufging. Der Mann im schwarzen Mantel war ein starker Hypnotiseur, der seine Befehle mit Energie untermauerte.

Bis jetzt hatte sie dem Phänomen der Hypnose nicht viel Beachtung geschenkt. Im Allgemeinen war es die Gilde der Schausteller und Quacksalber, die behaupteten, Hysterie und andere nervöse Störungen mit ihren Künsten heilen zu können. Mesmerismus war auch Gegenstand vielfacher wilder Spekulationen und öffentlicher Erregung. In der Presse erschienen regelmäßig finstere Warnungen vor Hypnotiseuren und deren vielfältigen teuflischen Methoden, die sie anwendeten, um ihre rätselhafte Gabe für kriminelle Zwecke zu missbrauchen.

Unabhängig von den Absichten des Hypnotiseurs erforderte der Vorgang ihres Wissens Ruhe und ein williges Objekt. Noch nie hatte sie von einem Ausübenden dieser Kunst gehört, der einen Menschen mit ein paar Worten zur Reglosigkeit erstarren lassen konnte.

»Sie befinden sich an einem Ort völliger Stille«, fuhr der Hypnotiseur fort. »Sie schlafen. Sie werden schlafen, bis die Uhr dreimal schlägt. Beim Erwachen werden Sie sich erinnern, dass Sie Molly ermordet vorfanden. Sie werden aber nicht mehr wissen, dass Sie mich oder die Frau in meiner Begleitung sahen. Wir haben mit der Ermordung Mollys nichts zu tun. Wir sind unwichtig, verstehen Sie?«

»Ja.«

Leona warf einen Blick auf einen in der Nähe stehenden Tisch. Im Licht einer Wandleuchte konnte sie die Zeit kaum ausmachen. Halb drei. Der Hypnotiseur hatte ihnen eine halbe Stunde Vorsprung für die Flucht verschafft.

Er drehte dem zur Leblosigkeit erstarrten Mann den Rücken zu und sah sie an.

»Kommen Sie«, drängte er. »Höchste Zeit, dass wir hier verschwinden, ehe noch jemand auf die Idee kommt, über diese Treppe heraufzukommen.«

Automatisch legte sie eine Hand auf die Oberfläche des Altars, um sich auf die Füße hochzustemmen. Kaum aber kam ihre Haut mit dem Stein in Berührung, durchzuckte sie wieder ein unangenehmes Gefühl von fast elektrischer Natur, so als hätte sie einen alten Sarg berührt, in dem der Tote keinen Frieden gefunden hatte.

Rasch zog sie die Hand zurück, stand auf und kam hinter dem Relikt hervor. Sie starrte den Gentleman an, der reglos wie eine Statue mitten in der Galerie stand.

»Diese Richtung«, sagte der Hypnotiseur und ging rasch zur Tür, die sich auf die Dienstbotentreppe öffnete.

Sie riss ihre Aufmerksamkeit von dem hypnotisierten Mann los und folgte dem Hypnotiseur einen mit merkwürdigen Statuen und Glaskästen voller geheimnisvoller Gegenstände gesäumten Gang entlang. Ihre Freundin Carolyn hatte sie gewarnt, dass mancherlei Gerüchte über die Sammlung Lord Delbridges im Umlauf waren. Sogar andere ebenso besessene und exzentrische Sammler wie Seine Lordschaft hielten die Artefakte in seinem Privatmuseum für äußerst bizarr. Gleich beim Betreten der Galerie war ihr der Grund für dieses Gerede klar geworden.

Nicht Design und Form der Objekte waren es, die sonderbar wirkten. Im schwachen Licht war zu erkennen, dass die meisten Gegenstände nicht weiter außergewöhnlich waren und die Galerie mit einer Auswahl alter Vasen, Urnen, Schmuckstücke, Waffen und Statuen angefüllt war, mit Dingen, wie man sie in jeder großen Antiquitätensammlung erwartete. Es war vielmehr das schwache, aber beunruhigende Miasma einer schädlichen Energie in der Atmosphäre, das bewirkte, dass sich Leona die feinen Nackenhaare sträubten. Diese Energie ging von den alten Dingen aus.

»Sie spüren sie doch auch, oder?«, fragte der Hypnotiseur.

Die leise Frage ließ sie aufschrecken. Er klingt neugierig, dachte sie. Nein, er klingt verblüfft. Sie wusste, wovon er sprach. Angesichts seiner eigenen Talente war es nicht verwunderlich, dass er so empfindsam war wie sie.

»Ja, ich spüre es«, sagte sie. »Ziemlich unangenehm.«

»Es heißt, dass auch für jene, die nicht über unsere Empfindsamkeit verfügen, die Wirkung spürbar ist, wenn sich in einem Raum eine ausreichende Zahl paranormaler Relikte befindet.«

»Diese Objekte sind paranormal?«, fragte sie erstaunt.

»Man käme der Sache näher, wenn man sagt, dass jedes Objekt lange mit Übersinnlichem in Verbindung stand. Im Laufe der Zeit nahmen sie etwas von der Energie auf, die erzeugt wurde, als sie von Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten benutzt wurden.«

»Woher hat Delbridge all diese sonderbaren Relikte?«

»Was die gesamte Sammlung betrifft, kann ich es nicht sagen, ich weiß aber, dass eine stattliche Anzahl gestohlen wurde. Bleiben Sie in meiner Nähe.«

Eine unnötige Aufforderung. Sie hatte es ebenso eilig, von diesem Ort fortzukommen wie er. Um den Kristall zu finden, müsste sie ein anderes Mal zurückkommen.

Der Hypnotiseur bewegte sich so rasch, dass sie laufen musste, um mit ihm Schritt zu halten. Dass sie es schaffte, hatte sie nur den Männerkleidern zu verdanken. In einem Kleid mit schweren Stoffschichten und Unterröcken wäre es ihr unmöglich gewesen.

Ihre Sinne prickelten. Wieder Energie. Sie kam von den Objekten um sie herum, doch waren die Ströme nun völlig andersartig. Sie erkannte sie sofort. Kristallene Energie.

»Warten Sie«, flüsterte sie und blieb stehen. »Ich muss hier etwas erledigen.«

»Wir haben keine Zeit.« Der Hypnotiseur blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Sein schwarzer Mantel schlug gegen die Stiefel. »Wir haben eine halbe Stunde, möglicherweise weniger, falls uns jemand auf der Treppe entgegenkommt.«

Sie krümmte die Finger und versuchte ihre Hand zu befreien. »Dann gehen Sie ohne mich. Meine Sicherheit soll Sie nicht kümmern.«

»Haben Sie den Verstand verloren? Wir müssen hier fort.«

»Ich bin gekommen, um ein gewisses Relikt an mich zu bringen. Es befindet sich hier in der Nähe. Ohne dieses Ding gehe ich nicht.«

»Sind Sie eine professionelle Diebin?«

Das klang keineswegs schockiert. Sehr wahrscheinlich, weil auch er sich in dieser Branche betätigte. Es war die einzige logische Erklärung für seine Anwesenheit hier in der Galerie.

»Delbridge hat etwas, das mir gehört«, erklärte sie. »Es wurde meiner Familie vor einigen Jahren entwendet. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, es heute zu finden, da ich jetzt aber weiß, dass es sich in unmittelbarer Nähe befindet, kann ich nicht gehen, ohne danach zu suchen.«

Der Hypnotiseur blieb reglos stehen. »Woher wollen Sie wissen, dass der gesuchte Gegenstand in der Nähe ist?«

Sie zögerte, unschlüssig, wie viel sie verraten sollte. »Ich kann es nicht erklären, bin aber meiner Sache sehr sicher.«

»Wo ist er?«

Sie drehte sich ein wenig und suchte die Quelle der kleinen Energieimpulse. In der Nähe stand ein großer, kunstvoll geschnitzter Wandschrank.

»Dort«, sagte sie.

Als sie diesmal ihre Hand wegzog, ließ er sie los. Sie lief zum Schrank und untersuchte ihn aus der Nähe. Er hatte zwei durch ein Schloss gesicherte Türen.

»Wie ich es erwartete«, sagte sie.

Sie griff in ihre Tasche nach dem Nachschlüssel, den Adam Harrow ihr gegeben hatte, und machte sich an die Arbeit.

Es ging längst nicht so einfach wie bei den Gelegenheiten, als sie unter Adams Aufsicht geübt hatte. Das Schloss wollte nicht nachgeben.

Der Hypnotiseur sah ihr einen Moment schweigend zu.

Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie steckte den Nachschlüssel in leicht verändertem Winkel ein und versuchte es erneut.

»Etwas verrät mir, dass Sie in diesen Dingen nicht viel Erfahrung haben«, stellte er gelassen fest.

Seine Herablassung rüttelte sie auf.

»Ganz im Gegenteil, ich habe jede Menge Übung«, sagte sie zähneknirschend.

»Aber offenbar nicht im Dunkeln. Machen Sie Platz. Mal sehen, was ich ausrichten kann.«

Sie wollte widersprechen, doch ihre Vernunft gewann die Oberhand. In Wahrheit beschränkte sich ihre Erfahrung auf einige flüchtige Versuche mit dem Nachschlüssel, bei denen sie sich ihrer Meinung nach sehr geschickt angestellt hatte, doch Adams Warnung klang ihr noch in den Ohren, dass das Knacken eines Schlosses eine ganz andere Sache war, wenn man unter Druck stand.

Das Ticken der Uhr auf dem Tisch klang laut durch die Stille. Die Zeit wurde knapp. Sie warf einen Blick auf die reglose Gestalt, die bald aus der Trance erwachen würde.

Widerstrebend trat sie zurück und streckte stumm die Hand mit dem Nachschlüssel aus.

»Ich habe meinen eigenen dabei«, sagte der Hypnotiseur.

Er holte aus seiner Manteltasche ein schmales elastisches Metallband, schob es ins Schloss und ging an die Arbeit. Gleich darauf vernahm Leona ein leises Klicken.

»Geschafft«, flüsterte er.

In Leonas Ohren klang das Ächzen der Scharniere laut wie ein ganzer Eisenbahnzug. Ängstlich blickte sie zur großen Treppe, doch die Schatten am Ende des Raumes rührten sich nicht; auf der Galerie blieb es still.

Der Hypnotiseur warf einen Blick in die Tiefen des Schrankes. »Mir scheint, wir beide kamen heute mit derselben Absicht.«

Ein neues, andersartiges Frösteln überlief sie. »Sie sind gekommen, um meinen Kristall zu stehlen?«

»Ich schlage vor, das Thema des legalen Besitzstandes bei anderer Gelegenheit zu erörtern.«

Wut flammte in ihr auf und siegte über ihre Angst. »Dieser Kristall gehört mir.«

Sie stürzte vor, um den Kristall an sich zu nehmen, als ihr der Hypnotiseur den Weg vertrat und in den Schrank griff.

Sie konnte seine Bewegungen in der Dunkelheit nicht genau verfolgen, doch sie wusste sofort, dass die Katastrophe eingetreten war. Sie hörte sein plötzliches, scharfes Ausatmen, dem ein leises, gedämpftes Husten folgte. Zugleich erhaschte sie den schwachen Geruch einer unbekannten Chemikalie.

»Zurück!«, befahl er.

Der Befehl war so eindringlich, dass sie ohne Überlegung gehorchte.

»Was ist?«, fragte sie, ein paar Schritte zurückweichend. »Was ist passiert?«

Er wandte dem Schrank den Rücken zu. Erstaunt sah sie, dass er ein wenig schwankte, als fiele es ihm schwer, sein Gleichgewicht zu halten. In einer Hand hielt er einen schwarzen Samtbeutel.

»Wenn man den Leichnam der Frau findet, wird Delbridge mit der Polizei beschäftigt sein«, sagte er leise. »Mit etwas Glück wird es eine Weile dauern, bis er die Suche nach dem Stein aufnehmen kann. Ihnen bleibt also Zeit zur Flucht.«

Die Worte waren von tonloser Grimmigkeit gefärbt.

»Ihnen aber auch«, sagte sie rasch.

»Nein.«

Eine schreckliche Befürchtung kroch in ihr hoch. »Was reden Sie da? Was ist los?«

»Die Zeit ist um.« Er packte ihr Handgelenk und zog sie zur Dienstbotentreppe. »Wir dürfen keine Sekunde zögern.«

Eben war sie noch wütend auf ihn gewesen, nun aber jagte Panik durch ihre Adern und hatte heftiges Herzklopfen zur Folge.

»Was ist passiert?«, wollte sie wissen. »Sind Sie in Ordnung?«

»Ja, aber nicht mehr lange.«

»Um Himmels willen, sagen Sie mir, was passierte, als Sie den Kristall aus dem Schrank nahmen.«

Er öffnete die zur Wendeltreppe führende Tür. »Ich löste eine Falle aus.«

»Was für eine Falle?« Sie sah sich seine Hände genauer an. »Haben Sie sich geschnitten? Bluten Sie?«

»Der Kristall befand sich in einem Glasbehälter. Als ich diesen öffnete, schlug mir Dampf ins Gesicht. Ich atmete eine ganze Ladung davon ein. Vermutlich war er giftig.«

»O Gott … sind Sie sicher?«

»Es gibt keinen Zweifel.« Er zündete eine Leuchte an und versetzte ihr einen Schubs, der sie über die alten Steinstufen beförderte. »Ich spüre bereits die Wirkung.«

Sie warf einen Blick über die Schulter. Im flammenden Licht sah sie ihn zum ersten Mal ganz deutlich. Jettschwarzes, unmodern langes und glatt aus der hohen Stirn gekämmtes Haar fiel ihm hinter den Ohren bis auf den Hemdkragen. Seine Züge schienen von einem kompromisslosen Bildhauer gemeißelt, dem mehr daran lag, Kraft darzustellen als gutes Aussehen. Das Gesicht des Hypnotiseurs passte zu seiner elektrisierenden Stimme: eindringlich, geheimnisvoll und gefährlich faszinierend. Schaute eine Frau zu lange in seine unauslotbaren grünen Augen, lief sie Gefahr, einem Zauber zu verfallen, dem sie nie wieder zu entkommen vermochte.

»Sie brauchen einen Arzt«, drängte sie.

»Wenn der Dampf das ist, was ich glaube, hat kein Arzt ein Gegenmittel zur Hand. Es gibt kein Heilmittel.«

»Man muss es versuchen.«

»Hören Sie gut zu«, sagte er. »Ihr Leben hängt davon ab, dass Sie meine Anordnungen befolgen. In ganz kurzer Zeit, in fünfzehn Minuten etwa, werde ich ein Irrer sein.«

Sie kämpfte darum, die schreckliche Bedeutung seiner Worte zu erfassen. »Durch das Gift?«

»Ja. Die Droge erzeugt teuflische Halluzinationen, die vom Bewusstsein des Opfers Besitz ergreifen und es glauben machen, dass es von Dämonen und Ungeheuern umgeben ist. Sie dürfen nicht in meiner Nähe sein, wenn das Zeug die Kontrolle über meine Sinne übernimmt.«

»Aber …«

»Ich werde zu einer ernsten Bedrohung für Sie und jeden, der zufällig in der Nähe ist. Verstehen Sie?«

Sie schluckte hart und lief ein paar Stufen hinunter. »Ja.«

Sie waren fast am Fuß der Treppe angelangt. Schon konnte sie den Streifen Mondlicht unter der Tür sehen, die in den Garten führte.

»Wie wollen Sie hier wegkommen?«, fragte der Hypnotiseur.

»Meine Begleitung wartet mit einer Kutsche auf mich«, gab sie zurück.

»Sobald wir den Garten hinter uns haben, müssen Sie von mir und diesem verdammten Anwesen schleunigst fort. Da, nehmen Sie den Kristall.«

Sie hielt auf einer der abgetretenen Stufen halb umgedreht inne. Er hielt ihr den Samtbeutel hin. Benommen griff sie danach, wobei sie das leichte Prickeln der Energie spürte. Die Geste zeigte ihr deutlicher als seine Worte, dass er tatsächlich nicht erwartete, die Nacht zu überleben.

»Danke«, sagte sie unsicher. »Ich erwartete nicht …«

»Mir bleibt keine andere Wahl, als Ihnen den Kristall zu geben. Ich kann die Verantwortung für ihn nicht mehr übernehmen.«

»Sind Sie absolut sicher, dass es gegen das Gift kein Mittel gibt?«

»Keines, das bekannt wäre. Jetzt geben Sie gut acht. Sie glauben, ein Anrecht auf den verdammten Kristall zu haben, wenn Sie aber etwas Verstand besitzen und wenn Ihnen an Ihrer persönlichen Sicherheit etwas liegt, werden Sie ihn seinem wahren Eigentümer zurückgeben. Ich gebe Ihnen Namen und Adresse.«

»Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen, versichere Ihnen aber, dass Delbridge mich unmöglich finden kann. Sie sind es, der heute in Gefahr schwebt. Sie sprachen von Halluzinationen. Bitte, sagen Sie mir genau, was Ihnen zustieß.«

Er fuhr sich mit dem Ärmel ungeduldig über die Augen und schüttelte den Kopf, wie um ihn zu klären. »Allmählich sehe ich nicht vorhandene Dinge. Im Moment ist mir noch klar, dass die Bilder Fantasien sind, bald aber werden sie für mich Wirklichkeit sein. Dann werde ich für Sie zur Bedrohung.«

»Wie können Sie so sicher sein?«

»Ich glaube, der Dampf wurde zweimal in den vergangenen zwei Monaten verwendet. Beide Opfer waren ältere Sammler. Keiner der beiden neigte zu gewalttätigen Ausbrüchen, unter dem Einfluss der Droge aber griffen sie andere an. Einer erstach einen treuen Diener. Der andere versuchte, seinen Neffen in Brand zu setzen. Verstehen Sie jetzt, in welcher Gefahr Sie schweben, Madam?«

»Schildern Sie mir diese Halluzinationen, die jetzt bei Ihnen einsetzen.«

Er löschte das ersterbende Licht und öffnete die Tür am Fuß der Treppe. Kalte, feuchte Luft empfing sie. Der Mond beschien noch immer den Garten, doch kündigte sich Regen an.

»Wenn die Berichte auf Wahrheit beruhen«, sagte er ruhig, »werde ich in wachem Zustand von einem Albtraum heimgesucht. Vermutlich werde ich bald tot sein. Die beiden anderen Opfer mussten sterben.«

»Wie starben sie?«

Er trat hinaus und zog sie mit sich. »Einer stürzte sich aus dem Fenster. Der andere erlag einem Herzanfall. Genug geplaudert. Ich muss Sie von hier fortschaffen.«

2

Ich bin ein toter Mann, dachte Thaddeus Ware.

Sonderbar, dass diese Erkenntnis ihn so wenig berührte. Gut möglich, dass die Droge bereits wirkte. Er glaubte, die Albträume zügeln zu können, konnte dessen aber nicht sicher sein. Die Überzeugung, dass seine Kraft ausreichte, um dem Gift noch ein paar Minuten standzuhalten, konnte eine Illusion für sich sein.

In der verzweifelten Hoffnung, die bizarren Schreckensbilder beherrschen zu können, konzentrierte er dessen ungeachtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die Frau und die Notwendigkeit, sie in Sicherheit zu bringen. Es war nun sein einziges Bestreben. Dabei hatte er das Gefühl, dass die grotesken Bilder, die sich am Rande seines Bewusstseins drängten, ein wenig zurückwichen, wenn er sich auf die Rettung seiner Begleiterin konzentrierte. Dies war der Lohn für all die Jahre, in denen er gelernt hatte, seine hypnotischen Fähigkeiten zu beherrschen. An roher Willenskraft mangelte es ihm nicht. Er spürte, dass diese Fähigkeit alles war, was zwischen ihm und der sich verdichtenden Traumwelt stand, die bald von ihm Besitz ergreifen würde.

Er ging durch die Gartenanlagen voraus, dem Pfad folgend, auf dem er zum Haus gelangt war. Die Dame zeigte sich jetzt fügsam und blieb dicht hinter ihm.

Eine lange, hohe Hecke versperrte ihnen den Weg. Er streckte die Hand nach der Frau aus, um sie zur Pforte zu geleiten, als seine Hand sich aber um ihren Arm schloss, zerbrach seine Konzentration wie eine edle Porzellanvase, die auf einem Marmorboden zerschellt. Ohne Vorwarnung strömte freudige Erregung durch seine Adern, sein Griff wurde unter dem Hochgefühl fester.

Er vernahm einen leisen Schreckenslaut, den er nicht beachtete. Die erlesene, volle Rundung des Armes, den er festhielt, war ihm nun jäh und intensiv bewusst. Der Duft der Frau war betäubend und raubte ihm den Verstand.

Dämonen und Ungeheuer krochen unter der Hecke hervor. Ihr Grinsen ließ ihre Fänge im Mondschein glänzen. Du kannst sie hier und jetzt nehmen. Nichts kann dich daran hindern. Sie ist dein.

Der Frau muss doch klar sein, wie erotisch sie in Männerkleidern wirkt, dachte er. Das Wissen, dass sie sich mit Absicht so gekleidet hatte, um ihn zu reizen, amüsierte und freute ihn.

»Sie müssen sich beherrschen, Sir«, sagte sie beschwörend. »Bis zum Wagen ist es nicht mehr weit. Ein paar Minuten, dann sind wir beide in Sicherheit.«

Sicherheit. Das Wort war Auslöser für eine trügerische Erinnerung. Er konzentrierte sich und versuchte sich auf etwas Wichtiges zu besinnen, auf etwas, das er zu tun hatte, ehe er die Frau für sich forderte. Da fiel es ihm ein, ein Fetzchen Wissen, ihm von unsichtbaren Winden zugetrieben. Er bekam das Stückchen Wirklichkeit zu fassen und hielt es fest. Er musste die Frau retten. Ja, das war es. Sie schwebte in Gefahr.

Die Dämonen und Ungeheuer verschwammen und wurden durchscheinend.

Du hast Halluzinationen. Sei auf der Hut oder sie wird getötet.Eine Erkenntnis, die ihn wie ein Schwall Eiswasser traf. Er riss sich vom Rand zurück.

»Achtung … Sie stolpern sonst über ihn«, sagte er.

»Über einen Dämon?«, fragte sie wachsam.

»Nein, über den Mann unter der Hecke.«

»Wie bitte?« Erschrocken blickte sie nach unten und ließ wieder einen leisen Schreckenslaut hören, als sie den gestiefelten Fuß sah, der unter dem dichten Laub hervorlugte. »Ist er …?« Sie sprach nicht weiter.

»Ich versetzte ihn und den anderen Wachposten in Trance, als ich zum Haus ging«, erklärte er und drängte sie zum Tor. »Sie werden nicht vor Morgengrauen erwachen.«

»Ach.« Nun trat eine kurze Pause ein. »Ich … hm … ich wusste nicht, dass Delbridge Wachposten aufstellte.«

»Sie tun gut daran, diese Möglichkeit bei der Planung ihres nächsten Einbruchs zu berücksichtigen.«

»Ich betrat das Haus als einer der vielen für diesen Abend engagierten Diener verkleidet, doch plante ich, durch den Garten zu entkommen. Hätten Sie die Wachen nicht ausgeschaltet, wäre ich ihnen in die Arme gelaufen. Was für ein Glück, dass wir einander begegneten.«

»Mein Glück ist heute nicht zu überbieten.«

Er machte aus seinem Sarkasmus keinen Hehl. Ihre positive Einstellung machte ihn ebenso wahnsinnig wie die verdammten Halluzinationen.

»Das klingt sehr angespannt«, flüsterte sie, neben ihm dahineilend. »Sind die Halluzinationen jetzt stärker?«

Am liebsten hätte er sie angebrüllt und sie geschüttelt, um ihr den Ernst der Lage begreiflich zu machen. Die Halluzinationen ließen sich noch Zeit; sie lagen in dunklen Winkeln auf der Lauer und warteten auf den Moment, wenn sein Wille wieder nachgeben würde wie schon vor einem Augenblick. Verlor er die Kontrolle, würden die Albträume sein Gehirn überfluten. Am liebsten hätte er sie geküsst, ehe er den Albträumen verfiel.

Die schlichte Wahrheit war, dass er keine Zeit für alle diese Dinge hatte. Er war verdammt. Als Einziges blieb ihm der Versuch, sie zu retten. Noch ein paar Minuten. Mehr brauchte er nicht, um sie zu ihrer Kutsche zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie entkam. Nur ein paar Minuten. So lange würde er es schaffen. Ihr zuliebe musste er es schaffen.

Er öffnete das schwere Tor, und die Frau durchschritt es rasch. Er folgte ihr.

Das Delbridge-Anwesen lag einige Meilen außerhalb Londons. Jenseits der hohen Gartenmauern erstreckte sich dichter, allem Anschein nach undurchdringlicher Baumbestand, doch als er genauer hinsah, konnte er die im tiefen Dunkel lauernden Ungeheuer ausmachen.

»Der Wagen ist ganz in der Nähe«, sagte die Frau.

Er zog die Pistole aus seiner Manteltasche. »Nehmen Sie das.«

»Warum sollte ich Ihre Waffe nehmen?«

»Weil die Halluzinationen schlimmer werden. Eben noch wollte ich Sie mit Gewalt nehmen. Was ich als Nächstes tun werde, weiß ich nicht.«

»Unsinn.« Sie schien echt geschockt. »Ich glaube keinen Moment, dass Sie gewalttätig werden wollten, Sir.«

»Dann sind Sie nicht halb so intelligent, wie ich zunächst dachte.«

Sie räusperte sich. »Dennoch verstehe ich unter diesen Umständen Ihre Bedenken.«

Behutsam nahm sie seine Pistole entgegen und hielt sie unbeholfen in einer Hand. Dann drehte sie sich um und führte ihn einen schmalen, holprigen Weg entlang, der schwach vom Mondlicht beschienen wurde.

»Ich nehme nicht an, dass Sie mit der Waffe umgehen können«, sagte er.

»Nein. Aber meiner Begleitung ist der Umgang mit Schusswaffen vertraut.«

Sie hatte einen Begleiter, einen Freund. Diese Neuigkeit traf ihn mit der Gewalt eines Schlags. Wut und ein unerklärliches Besitzdenken krallten sich in sein Inneres.

Die Halluzinationen hatten ihn wieder im Griff. Sehr wahrscheinlich wäre er im Morgengrauen ohnehin tot. Er hatte keinen Anspruch auf die Frau.

Dennoch fragte er: »Wer ist dieser Freund?«

»Sie werden ihn gleich kennen lernen. Er wartet im Wald auf mich.«

»Was für ein Freund ist das, der zulässt, dass Sie solche Risiken wie heute auf sich nehmen?«

»Adam und ich gelangten zu dem Schluss, dass es leichter wäre, wenn nur eine Person ins Haus eindringt. Außerdem musste jemand die Pferde und den Wagen bewachen.«

»Ihr Freund hätte ins Haus eindringen und Sie bei der Kutsche zurücklassen sollen.«

»Mein Freund ist ein Mann vieler Talente, doch er verfügt nicht über die Fähigkeit, den Kristall zu spüren. Ich war die Einzige, die hoffen durfte, ihn zu finden.«

»Dieser verdammte Kristall ist das Risiko nicht wert, das Sie heute eingingen.«

»Also wirklich, Sir, das ist nicht der Zeitpunkt für eine Strafpredigt.«

Sie hatte recht. Die albtraumhaften Bilder bedrängten ihn immer heftiger. In seinen Augenwinkeln hockten Totengeister. Am Wegrand lauerten Dämonen. Eine große Schlange mit glühenden roten Augen glitt durch das überhängende Geäst eines nahen Baumes.

Er verstummte und konzentrierte sich darauf, die Frau in ihr Gefährt zu schaffen, damit ihr guter Freund Adam sie vor diesem Albtraum in Sicherheit bringen konnte.

Der holprige Weg bog scharf ab, und plötzlich stand eine kleine, geschlossene, sehr schnell aussehende Kutsche vor ihnen. Auf dem Bock saß niemand. Das Gespann stand ruhig dösend da.

Leona blieb stehen und blickte ein wenig beklommen um sich.

»Adam?«, rief sie leise. »Wo bist du?«

»Hier, Leona.«

Erregung und ein ungewohntes Gefühl der Verwunderung flammten in Thaddeus auf. Wenigstens hatte er jetzt einen Namen für die Frau. Leona. Die Altvordern, die einst dem Namen eines Menschen Macht zuschrieben, hatten recht gehabt. Der Name Leona flößte ihm Kraft ein.

Du halluzinierst, Ware. Beherrsch dich.

Ein in einen schweren Kutschermantel gehüllter schlanker Mann trat zwischen den Bäumen hervor. Seine Mütze war tief über die Augen gezogen. Das Mondlicht ließ die Pistole in einer Hand aufblitzen.

»Wer ist das?«

Die Stimme, die den rauen Ton eines Kutschers vermissen ließ, musste einem kultivierten jungen Gentleman gehören.

»Ein Freund«, sagte Leona. »Er schwebt in Lebensgefahr, wir aber auch. Für Erklärungen ist keine Zeit. Den Stein habe ich. Wir müssen hier sofort weg.«

»Das verstehe ich nicht. Wie kommt es, dass du im Haus von Delbridge einen Bekannten triffst? Einen der Gäste etwa?« Kalte Missbilligung färbte die letzte Frage.

»Bitte, Adam, nicht jetzt.« Leona lief zum Wagenschlag und öffnete. »Später werde ich alles erklären.«

Adam schien nicht überzeugt, sah aber offenbar ein, dass es nicht der richtige Zeitpunkt für Diskussionen war.

»Na schön.« Er steckte die Waffe ein und erklomm behände den Kutschbock.

Leona stieg in den unbeleuchteten Wagen. Thaddeus sah sie im dunklen Inneren verschwinden. Durch die dichter werdenden Nebelschwaden seiner Albträume kam ihm plötzlich der Gedanke, dass er diese erstaunliche Frau nie mehr sehen würde. Sie würde verschwinden, und er hatte sie nicht einmal in seinen Armen gehalten.

Er ging näher zur offenen Tür.

»Wohin wollen Sie fahren?«, fragte er, weil er sie ein letztes Mal sprechen hören wollte.

»Zurück nach London natürlich. Um Himmels willen, warum stehen Sie noch da? Steigen Sie ein.«

»Ich sagte schon, dass ich nicht mitkommen kann. Die Albträume holen mich ein.«

»Und ich sagte schon, dass ich etwas von Albträumen verstehe.«

Adam blickte auf ihn hinunter. »Sie gefährden uns alle«, herrschte er ihn leise an. »Steigen Sie ein, Sir.«

»Fahren Sie ohne mich«, befahl Thaddeus leise. »Ich muss noch etwas tun, ehe die Visionen mich überwältigen.«

»Und was ist das?«, fragte Adam.

»Ich muss Delbridge töten.«

»Hm.« Adam klang plötzlich nachdenklich. »Keine schlechte Idee.«

»Nein.« Leonas Gesicht erschien in der Türöffnung. »Sie können nicht riskieren, zum Haus zurückzugehen, Sir, nicht in Ihrem Zustand.«

»Wenn ich Delbridge nicht töte, wird er den Kristall suchen«, erklärte Thaddeus.

»Ich sagte schon, dass er mich nie finden wird«, beruhigte Leona ihn.

»Dein neuer Freund hat nicht unrecht«, sagte nun Adam. »Ich schlage vor, dass wir seinen Rat befolgen und ihn hier zurücklassen. Was kann es schon schaden, wenn er versucht, Delbridge zu töten? Gelingt es ihm, haben wir in Zukunft ein Problem weniger.«

»Du begreifst nicht«, beharrte Leona. »Dieser Mann befindet sich im Griff eines gefährlichen Giftes, das Halluzinationen erzeugt. Er redet sinnloses Zeug.«

»Umso mehr Grund, ihn zurückzulassen«, sagte Adam. »Ein Irrer als Mitreisender ist das Letzte, was wir heute brauchen.«

Thaddeus sah Leona eindringlich an, bemüht, einen letzten Blick auf ihr vom Mond beschienenes Gesicht zu werfen. »Er hat recht. Sie müssen ohne mich fahren.«

»Kommt nicht in Frage.« Leona streckte die Hand aus und erwischte seinen Ärmel. »Vertrauen Sie mir, Sir. Mein Wort darauf, die Chancen stehen sehr gut, dass ich Ihnen helfen kann. Wir fahren nicht ohne Sie.«

»Verdammt«, murmelte Adam. Es hörte sich an, als füge er sich. »Sie können ebenso gut einsteigen, Sir. Wenn Leona überzeugt ist, dass sie recht hat, ist ein Streit sinnlos.«

Es war nicht Leonas Hartnäckigkeit, die ihn zögern ließ, wie Thaddeus klar wurde. Es war ihre Überzeugung, dass sie imstande war, ihn zu retten.

»Konzentrieren Sie sich auf das Positive, Sir«, befahl Leona munter. »Wenn man ständig nur an das Negative denkt, ist gar nichts gewonnen.«

»Sie ist auch felsenfest von der Kraft überzeugt, die von Optimismus und positivem Denken ausgeht«, knurrte Adam. »Ein überaus ärgerlicher Zug.«

Thaddeus sah sehnsüchtig zum offenen Wagenschlag, nicht imstande, den winzigen Hoffnungsschimmer, den Leona entzündet hatte, zu ersticken.

Rettete sie ihn, würde er sie vor Delbridge schützen und könnte sie für sich fordern.

Diese Logik gab den Ausschlag. Er sprang in den Wagen und ließ sich auf den Sitz Leona gegenüber fallen.

Sofort setzte sich das Gefährt mit einem Ruck in Bewegung, als die Pferde in einen flotten Trab verfielen. In einem noch rationalen Winkel seines Gehirns wurde Thaddeus klar, dass Adam die Außenlaternen nicht angezündet hatte. Er lenkte das Gespann im Mondschein über den gewundenen Weg. Es war Wahnsinn, doch es passte zu allem, was sich heute zugetragen hatte.

Im Inneren konnte er Leonas Umrisse vor der dunklen Polsterung kaum erkennen. Dennoch war er sich ihrer Nähe intensiv bewusst. Die ganze Atmosphäre schien von ihrer Weiblichkeit aufgeladen.

»Wie heißen Sie, Sir?«, fragte sie.

»Thaddeus Ware.«

Sonderbar, wenn man bedachte, dass er mit dieser ihm völlig unbekannten Frau eben ein schreckliches Abenteuer erlebt hatte. Bislang hatte er sie nur in der halbdunklen Museumsgalerie und im mondbeschienenen Garten gesehen. Begegnete er ihr morgen in London auf der Straße, würde er sie womöglich gar nicht erkennen.

Es sei denn, sie sprach. Der Klang ihrer Stimme, leise, warm und aufreizend sinnlich, hatte sich für alle Zeit seinem Gedächtnis eingeprägt. Auch ihren Duft würde er erkennen und etwas von ihrer Gestalt. Er hatte ihre verführerischen Kurven gespürt, als sie gegen ihn gedrückt wurde. Und noch etwas, eine leise Andeutung von Verführungskraft, die nur von ihrer Aura stammen konnte.

Er würde sie überall erkennen.

Weil sie dein ist, flüsterte einer seiner Dämonen.

Mein.

Ohne Vorwarnung lösten sich seine letzten Abwehrkräfte auf. Die Ungeheuer waren frei und sprangen aus den Schatten seines Bewusstseins direkt in den Wagen.

Mit dem Wimpernschlag eines Dämonenauges wurde das Wageninnere in eine dunkle Traumlandschaft verwandelt. Ein Geschöpf von der Größe eines großen Hundes hockte auf dem Sitz neben ihm. Doch diese Monstrosität war kein Hund. Acht gefiederte Beine ragten aus dem glänzenden, zwiebelförmigen Leib. Das Mondlicht fiel stumpf auf seelenlose, reich facettierte Augen. Gift troff von seinen Fängen.

Am Fenster erschien ein geisterhaftes Antlitz. Die Augenhöhlen waren leere schwarze Löcher. Der Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei.

Er erhaschte die Andeutung einer Bewegung zu seiner Linken. Er musste den Kopf nicht wenden, um zu wissen, dass das, was da kauerte, schuppige, krallenbewehrte Füße und Antennen hatte, die sich wie getretene Würmer ringelten.

Die Fenster des Wagens blickten nun nicht mehr auf nachtdunkle Wälder, sondern enthüllten unirdische Szenen einer anderen Dimension. Vulkanische Ströme flossen zwischen Bäumen aus schwarzem Eis. Merkwürdige Vögel mit Schlangenköpfen hockten auf gefrorenen Ästen.

Er besaß gerade noch so viel Verstand, um zu erkennen, dass er ein Narr war, wenn er glaubte, dass Willenskraft allein die Albträume in Schach halten konnte. Delbridges Gift brodelte nun seit mindestens fünfzehn Minuten in seinem Blut und tat seine böse Wirkung. Jetzt hatte es ihn voll im Griff.

Erstaunlich daran war, dass es ihn nicht mehr kümmerte.

»Mr Ware!«

Leonas Stimme, die Stimme, die er überall erkennen würde, kam aus der Dunkelheit zu ihm.

»Zu spät«, sagte er, amüsiert über ihren besorgten Ton. »Willkommen in meinem Albtraum. Wenn man sich daran gewöhnt, ist hier alles halb so schlimm.«

»Mr Ware, Sie müssen mir zuhören.«

Heißes Begehren durchströmte ihn. Sie war in Reichweite. Er musste nur zugreifen. Nie hatte er eine Frau mehr begehrt, und es gab nichts, was ihn aufhalten konnte.

»Ich kann Ihnen im Kampf gegen die Halluzinationen helfen«, sagte sie.

»Aber ich will sie nicht bekämpfen«, sagte er leise. »Ich genieße sie sogar. Und das werden Sie auch.«

Ungeduldig riss sie sich die Perücke vom Kopf, griff in ihren Mantel und holte etwas hervor. Er konnte nicht sehen, was es war, Sekunden später aber leuchtete Mondlicht zwischen ihren Händen.

Nun sah er sie zum ersten Mal. Ihr dunkles Haar war auf dem Hinterkopf zu einem festen Knoten aufgetürmt und enthüllte Züge, die man nur als hinreißend bezeichnen konnte, wenn auch nicht auf die Art, die man im Allgemeinen mit großer Schönheit verband. Stattdessen sah er Intelligenz, Entschlossenheit und eine gewisse zarte Empfindsamkeit in ihrem Gesicht. Ihr Mund war weich, Augen von geschmolzenem Bernstein leuchteten vor weiblicher Kraft. Nichts war verführerischer.

»Zauberin«, flüsterte er fasziniert.

3

Sie hatte den Aurora-Stein seit ihrem sechzehnten Sommer nicht mehr in Händen gehalten, doch er reagierte sofort auf die Energie, die sie in sein Herz strömen ließ. Das stumpfe, schmutzige Weiß erglühte unter einem inneren Licht, das anzeigte, dass der Stein nun voll lebendiger Kraft war. Sie hielt ihn auf der Handfläche und blickte ihre Sinne darauf richtend in seine Tiefen.

Sie hatte keine Erklärung dafür, wie sie Zugang zu der Energie gewisser Kristalle fand. Es war eine über Generationen in der weiblichen Linie ihrer Familie vererbte Fähigkeit. Ihre Mutter hatte die Gabe des Hellsehens mit Kristallen besessen, ebenso ihre Großmutter und die vielen Urgroßmütter im Verlauf von mindestens zweihundert Jahren.

»Schauen Sie tief in den Kristall, Mr Ware«, sagte sie.

Er beachtete ihre Aufforderung nicht. Das Lächeln, das sich um seinen Mund legte, war so träge und sinnlich, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten.

»Viel lieber würde ich tief in Sie blicken«, gab er in dem dunklen, unwiderstehlichen Ton zurück, den er auch angeschlagen hatte, als er sie zu hypnotisieren versuchte.

Ein Schauer überlief sie. Die Atmosphäre hatte sich verändert. Eben noch hatte Thaddeus einen heftigen Kampf geführt, um seinen Verstand angesichts einer wachsenden Flut von Halluzinationen nicht zu verlieren, nun aber schien er den fantastischen Traum, in dem er sich befand, richtig auszukosten.

Sie kämpfte darum, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. »Sagen Sie mir, was Sie im Kristall sehen.«

»Nun gut, heute bin ich in nachgiebiger Stimmung. Momentan zumindest.« Er richtete seinen Blick wieder auf den Stein. »Ich sehe Mondschein. Ein kluger Trick, Madam.«

»Das Licht, das Sie sehen, ist die natürliche Energie des Kristalls. Es ist eine ganz spezielle Kraft, in der die Energie der Träume nachhallt. Alle Träume entspringen der übernatürlichen Seite unserer Natur, auch bei Menschen, die glauben, keine zu besitzen. Ändert man die von den Träumen erzeugten Energieströme, kann auch die Natur der Träume selbst verändert werden.«

»Sie reden wie ein Wissenschaftler, den ich gut kenne. Er heißt Caleb Jones. Er beschäftigt sich mit den naturwissenschaftlichen Aspekten des Übernatürlichen. Ich finde diese Erörterungen immer sehr öde.«

»Ich will Sie nicht mit Erklärungen über die Wirkungsweise des Kristalls langweilen«, sagte sie, ihr wachsendes Unbehagen unterdrückend. »Wir werden die Kraft und die Macht des Traumes reduzieren. Ganz auslöschen können wir ihn nicht, doch er lässt sich so abschwächen, dass er nicht mehr real und beängstigend wirkt. Sie müssen jedoch mitarbeiten, Sir.«

Wieder ließ er sein träges, gefährliches Lächeln sehen. »Ich bin nicht in Stimmung für Ihre Kristallspielereien. Ich ziehe heute Abend andere Vergnügungen vor.«

»Mr Ware, ich bitte Sie, mir zu vertrauen, so wie ich Ihnen heute vertraute.«

Im Licht des Kristalls sah sie, dass Ware seine kalt glitzernden Augen leicht zusammenkniff. Er beugte sich vor und strich mit der Fingerspitze an der Unterseite ihres Kinns entlang, eine Liebkosung, die sie schaudern ließ.

»Ich rettete Sie, weil Sie mir gehören. Ich beschütze, was mein ist.«

Er versank tiefer in Halluzinationen.

»Mr Ware«, sagte sie. »Das ist sehr wichtig. Richten Sie Ihren Blick ins Mondlicht, und konzentrieren Sie sich auf Ihre Traumbilder. Beschreiben Sie mir diese.«

»Na schön, wenn Sie darauf bestehen.« Er blickte wieder in den Kristall. »Soll ich mit dem Dämon am Fenster beginnen? Aber vielleicht ist die Viper interessanter, die sich um den Türgriff ringelt.«

Kraft sprang ins Herz des Steins über, viel Kraft. Das Mondlicht flammte auf. Er konzentrierte sich nun wie befohlen auf den Kristall, doch sie hatte nicht mit der Dimension seiner Kraft gerechnet. Sie musste sich nun selbst stärker konzentrieren, um die Strömungen unter Kontrolle zu halten.

»Keines der Geschöpfe, die Sie um sich sehen, ist real, Mr Ware.«

Er streckte die Hand aus und strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe. »Sie sind real. Allein das zählt heute.«

»Ich kenne Sie noch nicht lange, Sir, doch mir ist klar, dass Sie über einen starken Willen verfügen. Sie sind Ihrem Albtraum nicht völlig hilflos ausgeliefert. Ein Teil Ihres Bewusstseins erkennt, dass Sie halluzinieren.«

»Mag sein, doch es kümmert mich nicht mehr. Sie sind das Einzige, was mich im Moment interessiert.«

Die Leuchtkraft des Kristalls verblasste, da Thaddeus’ Konzentration abgelenkt wurde.

»Ohne Sie schaffe ich das nicht, Sir«, sagte sie mit Nachdruck. »Sie müssen sich stärker auf das Licht konzentrieren. Gemeinsam werden wir seine Energie nutzen, um die Fantasien in Ihrem Kopf zum Verschwinden zu bringen.«

»Ihre Therapie wird bei mir nicht wirken«, sagte er belustigt. »Sie scheint eine Form von Hypnose zu sein, und ich besitze wie Sie natürliche Immunität dagegen.«

»Ich versuche nicht, Sie zu hypnotisieren, Sir. Der Kristall ist nur ein Werkzeug, das uns gestattet, die Wellen Ihrer Traumenergie zu modifizieren. Im Moment erzeugt diese Energie die Halluzinationen.«

»Sie irren sich, Leona«, antwortete er leise. »Vipern und Dämonen sind keine Einbildungen; sie sind real, sie unterstehen als meine Geschöpfe meinem Befehl und sind durch alle Höllenkräfte an mich gebunden. Auch Sie sind an mich gebunden. Bald werden Sie das begreifen.«

Zum ersten Mal regte sich in ihr die Befürchtung, sie könnte ihn verlieren. Angst flackerte in ihr auf und störte ihre Konzentration. Er blickte in den Kristall und lachte.

Abrupt verdunkelte sich das Licht im Stein und veränderte die Farbe. Schockiert sah Leona es mit an. Im Herzen des Kristalls braute sich ein Sturm zusammen. Anstelle des Mondlichts wirbelten dunkle Strömungen unheilvoll durcheinander. Thaddeus’ eigene Kraft strömte in den Kristall und überlagerte ihre eigenen, sorgfältig gelenkten Energiewellen.

Das Gewitter verdichtete sich und gewann an Stärke. Mit wachsender Angst sah sie, wie die störenden Kräfte wogten und flammten. Noch nie war sie jemandem begegnet, der das zustande brachte, was Thaddeus Ware schaffte. Weil er so völlig im Griff seines Traumes war, stand zu bezweifeln, ob er überhaupt merkte, was vor sich ging.

Ein monströses Insekt, dessen Augen aus tausend kleinen Spiegeln bestanden, erschien auf dem Sitz neben Thaddeus. Die Fänge des Geschöpfes glänzten feucht.

Sie erstarrte vor Entsetzen. Es gab kein Entkommen, kein Versteck. In Fingern und Zehen spürte sie ein schmerzliches Prickeln der Angst. Ihr Hemd wurde feucht vom Angstschweiß. Sie versuchte zu schreien, doch der Laut blieb ihr im Hals stecken.

»Beruhigen Sie sich, meine Schöne«, sagte Thaddeus. »Es wird Ihnen nichts tun. Es ist mein Geschöpf, das mir zu Diensten ist. Ich werde Sie schützen.«

Instinktiv griff sie nach der Türschnalle. Sie riss ihre Finger zurück, ehe diese sich um den Kopf einer rotäugigen Viper schlossen.

»Jetzt sehen Sie sie auch, nicht wahr?«, fragte Thaddeus erfreut. »Sie sind in meine Welt eingetreten.«

Da ging ihr auf, dass er irgendwie Kraft aus dem Kristall bezog, um seine Halluzinationen sichtbar zu machen, nicht nur für sich, sondern auch für sie. Hätte sie die erstaunliche Szene nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte sie es nicht für möglich gehalten, dass jemand dies zustande brachte.

Wie aus dem Nichts kam ihr einer von Onkel Edwards Leitsprüchen in den Sinn. Leona, denk daran, dass du vom ersten Moment an dein Publikum in der Hand haben musst. Lass nie zu, dass dein Publikum dich in der Hand hat.

Sie musste die Kontrolle über den Kristall wiedergewinnen, sonst würde sie mit Thaddeus Ware in die Traumwelt eingesogen, und sie wären beide verloren.

Unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft zwang sie sich, den Blick von dem grässlichen Insekt abzuwenden und sich stattdessen auf die wilden Strömungen im Kristall zu konzentrieren.

»Blicken Sie in den Stein, Sir«, sagte sie mit so viel Autorität, wie ihr zu Gebote stand. »Es ist Ihre einzige Hoffnung. Die Halluzinationen sind übermächtig. Sie müssen dagegen ankämpfen.«

Er lächelte. »Mir wäre lieber, Sie würden den Traum mit mir teilen. Gemeinsam würden wir über unseren eigenen kleinen Höllenwinkel herrschen.«

Ehe sie seine Absicht erkannte, umschlossen seine Hände ihre Schultern. Er zog sie an sich.

»Lassen Sie mich sofort los, Mr Ware.« Sie bemühte sich, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, wusste aber sofort, dass er sie spürte.

»Warum sollte ich?«, fragte Thaddeus, dessen Ton von gefährlicher Sinnlichkeit gefärbt wurde. »In dieser Welt bist du mein. Es wird Zeit, dass ich deine Macht koste und dich meine fühlen lasse.«

Sie versuchte ihre Hände zu befreien, er aber festigte seinen Griff. Sofort erstarrte sie, da ihre Intuition ihr eingab, dass Widerstand ihn nur noch reizen würde. Verzweifelt überdachte sie die wenigen Möglichkeiten, die ihr offenstanden. Wenn sie um Hilfe rief, würde Adam sie sicher hören und reagieren. Aber Adams Lösung der Krise würde so aussehen, dass Thaddeus Ware eine Kugel in den Kopf bekam. Das erschien ihr nicht nur etwas übertrieben, sondern auch überaus unfair, da Ware ihr vermutlich das Leben gerettet hatte, als er die zwei Wachposten außer Gefecht gesetzt hatte.

Nun war es ihre Aufgabe, ihn zu retten. Sie musste für sie beide stark sein.

»Sie werden sich mir nicht aufzwingen, Sir«, sagte sie mit einer Ruhe, die sie keineswegs empfand. »Sie haben mich heute gerettet. Es entspricht nicht Ihrer Natur, einer Frau Gewalt anzutun.«

Er zog sie fester an sich. Im Licht des Steins leuchteten seine Augen vor dunkler Leidenschaft.

Er studierte ihren Mund wie eine seltene, exotische und überreife Frucht. »Sie wissen nichts von meiner Natur. Noch nicht. Aber bald, meine Süße, sehr bald, wirst du das zwischen uns existierende Band erkennen.«

»Ich weiß, dass Sie mir nichts tun werden, da Sie ein Ehrenmann sind«, erwiderte sie ruhig.

Er reagierte, indem er den Kragen ihres Hemdes aufknöpfte. Dabei war sie sich allzu deutlich bewusst, wie seine Finger ihren Hals streiften.

»Ehre ist ein komplizierter Begriff, wenn es um diese Dinge geht«, sagte er.

»Daran ist gar nichts kompliziert, und das wissen Sie«, flüsterte sie. »Sie werden von Ihren Albträumen beherrscht.«

»Niemand und nichts beherrscht mich, auch Sie nicht, meine reizende Leona.«

»Ich bin es nicht, die Sie manipuliert. Es ist Delbridge, der dies mit seinem Gift verursacht. Sicher werden Sie ihm den Sieg nicht gönnen.«

Thaddeus zögerte und kniff die Augen zusammen. »Delbridge. Sollte er jemals entdecken, dass Sie seinen Kristall an sich brachten, wird er vor nichts zurückschrecken, um ihn sich wieder zu verschaffen.«

Sie merkte, dass sich irgendwo in seinem Traumland eine Tür zur Vernunft einen Spaltbreit geöffnet hatte. Rasch ergriff sie die Gelegenheit.

»Sie haben recht, Sir«, sagte sie leise. »Ich sehe nun ein, dass Delbridge für mich eine ernste Bedrohung darstellt. Aber Sie können sich mit ihm nicht einlassen, solange Sie unter dem Einfluss des Giftes stehen. Sie müssen Ihre fünf Sinne wieder beisammen haben, dann können Sie mich vor ihm beschützen.«

»Ich schwöre, dass ich Sie vor ihm und jedem anderen Mann schützen werde, der es wagen sollte, Sie mir wegzunehmen.« Er zog eine Nadel aus ihrem Haar. »Du bist mein.«

»Ja, allerdings«, sagte sie energisch. »Ich gehöre Ihnen, und deshalb werden Sie gegen Delbridges Gift kämpfen. Mir zuliebe. Sie werden nicht zulassen, dass er Ihren Verstand zerstört, da Sie dann nicht imstande wären, mich zu beschützen.«

»Ihnen zuliebe«, wiederholte er wie einen Eid. »Um Sie zu schützen, Leona, würde ich die Pforten der Hölle durchschreiten.«

Energie schimmerte unsichtbar im Inneren des kleinen Wagens und nicht nur im Inneren des Kristalls. Ihre Sinne reagierten auf seine dunkle Aura. Das Zeug zog sie an wie ein betäubender Duft. In ihrem Inneren baute sich Fieberhitze auf. Ein Teil von ihr sehnte sich plötzlich danach, sein Traumland zu betreten und es mit ihm zu teilen.