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Eine junge und wagemutige Frau und ein Privatdetektiv mit verborgenen Geheimnissen – knisternde Spannung garantiert!
England, Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Lehrerin Concordia Glade ist froh über ihre Anstellung in Aldwick Castle. Doch ihre Schützlinge, vier Waisenmädchen, werden in der Burg gefangen gehalten! Bei der Flucht hilft ihnen der attraktive Privatdetektiv Ambrose Wells, der verspricht, die Vorfälle aufzuklären. Doch Concordia ist keine Frau, die ihre Hände in den Schoß legt: Wagemutig und erfindungsreich geht sie selbst auf die Jagd nach der Wahrheit. Zu Ambroses großem Entsetzen – denn er hat sich Hals über Kopf in die bildschöne aber dickköpfige Frau verliebt …
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Seitenzahl: 476
Buch
England zur Zeit von Königin Victoria: Der jungen Miss Concordia Glade eilt der Ruf voraus, eine Lehrerin mit unkonventionellen Ideen über Mädchenerziehung zu sein. So ist sie besonders froh, eine Anstellung als Hauslehrerin in Aldwick Castle gefunden zu haben. Bald muss sie jedoch feststellen, dass ihre Schützlinge, vier elternlose Mädchen, ständig unter der Überwachung des Gärtners stehen – und die vorherige Gouvernante unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Concordia hat schnell Gewissheit: Sie muss ihre Schülerinnen retten. Auf der Flucht aus der brennenden Burg treffen sie auf den charmanten und überaus attraktiven Privatdetektiv Ambrose Wells, einen Mann mit verborgenen Geheimnissen und einer ungewöhnlichen Tätowierung. Obwohl dieser ein überzeugter Einzelgänger ist, besteht er darauf, dass Concordia und ihre Schülerinnen sich bei ihm verstecken, bis er die Wahrheit über ihre Gefangenschaft aufgedeckt hat. Doch Concordia ist noch nie eine Frau gewesen, die abwartet und die Hände in den Schoß legt – zu Ambroses Entsetzen! Denn er will die Frau, die er liebt, beschützen. Doch bald muss er einsehen, dass sie nur gemeinsam das Geheimnis um Aldwick Castle lösen können. Dabei lernen sie einige Lektionen: in Sturheit, Mut und Leidenschaft …
Autorin
Amanda Quick ist das Pseudonym der erfolgreichen, vielfach preisgekrönten Autorin Jayne Ann Krentz. Krentz hat Geschichte und Literaturwissenschaften studiert und lange als Bibliothekarin gearbeitet, bevor sie ihr Talent zum Schreiben entdeckte. Sie ist verheiratet und lebt in Seattle.
Amanda Quick
Verführung im Mondlicht
Roman
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Lie by Moonlight« bei G.P. Putnam’s Sons, Penguin Group (USA) Inc., New York.
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Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2006 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
Copyright © Originalausgabe by Jayne Ann Krentz 2005
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by
Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagillustration: Agentur Schlück/Leslie Peck
Redaktion: Sigrun Zühlke
ES · Herstellung: Heidrun Nawrot
Satz: DTP Service Apel, Hannover
ISBN: 978-3-641-24643-3V001
www.blanvalet-verlag.de
Dieses Buch ist allen aufopfernden Lehrern gewidmet.
Jedes Mal, wenn ihr ein Klassenzimmer betretet, beeinflusst ihr die Zukunft.
Gegen Ende der Regentschaft Königin Victorias …
Mitternacht auf einem nebelverhangenen Friedhof. Es gibt bestimmt keinen düstereren Ort auf der Welt, dachte Annie Petrie.
Ihr fröstelte und sie zog ihren Mantel enger um sich. Noch nie in ihrem Leben hatte sie größere Angst gehabt. Doch die Gerüchte, die sich um den Mann rankten, den sie hier zu treffen hoffte, besagten eines ganz eindeutig. Eine Begegnung mit ihm fand zu der Zeit und an dem Ort statt, die er bestimmte. Oder gar nicht.
Annie hatte bestimmt hundertmal an diesem Tag ihre Meinung darüber geändert, ob sie überhaupt hierher kommen sollte. Seit sie heute Morgen aufgewacht war und die Notiz auf ihrem Nachttisch entdeckt hatte, war sie das reinste Nervenbündel.
Mit zitternden Fingern hatte sie den Zettel genommen, erschüttert, dass er ihr Zimmer unbemerkt mitten in der Nacht betreten hatte. Irgendwie hatte er ihre verschlossenen Türen und Fensterläden überwunden, und sie hatte nicht das leiseste Geräusch gehört oder seine Anwesenheit irgendwie wahrgenommen. Es kam ihr vor, als hätte ein Geist ihr einen Besuch abgestattet.
Schließlich hatte sie sich so weit wieder beruhigt, dass sie die Nachricht auf dem Zettel lesen konnte. Sie bestand aus einer einfachen Liste mit Anweisungen. Annie war sich darüber klar, dass sie nie wieder würde ruhig schlafen können, solange sie nicht einige Antworten bekommen hatte, also befolgte sie die Instruktionen auf der Liste Punkt für Punkt.
Eine Weisung forderte sie auf, das Licht der Laterne abzuschwächen, sobald sie durch das Tor des Friedhofs getreten war. Jetzt strahlte sie nur noch ein schwaches Schimmern aus, das von dem unheimlichen Nebel reflektiert wurde. Die düsteren Umrisse von Grabsteinen, Krypten und Monumenten ragten aus dem feuchten Dunkel auf.
Annie musste ihre gesamte Willenskraft aufbringen, um weiterzugehen. Du bist so weit gekommen, sagte sie sich, da wirst du doch jetzt nicht aufgeben! Es war immerhin der letzte Liebesdienst, den sie der armen Nellie erweisen konnte.
»Guten Abend, Mrs. Petrie.«
Die Stimme, die aus dem offenen Portal einer Krypta unmittelbar in ihrer Nähe drang, wirkte ebenso dunkel und bedrohlich wie der Friedhof. Annie erstarrte. Sie konnte vor Entsetzen nicht schreien, geschweige denn die Flucht ergreifen.
Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass die Stimme gebildet klang, wie die eines Gentlemans. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund jedoch vergrößerte dieser Gedanke ihre Angst noch. Immerhin gelang es ihr, sich aus der Erstarrung zu lösen und sich langsam umzuwenden. Sie bemühte sich, den Mann in den Schatten zu erkennen, doch das gedämpfte Licht der Laterne reichte nicht bis in die eisige Dunkelheit im Eingang der Krypta.
»Ich habe jeden einzelnen Punkt auf Eurer Liste befolgt.« Ihre Stimme zitterte, aber sie konnte nichts dagegen tun.
»Ausgezeichnet. Vielleicht überrascht es Euch zu erfahren, dass viele der Leute, die eine Verabredung mit mir treffen, nicht erscheinen?«
»Nein, Sir, das verwundert mich nicht im Geringsten.« Sie erschrak beinah, als ihr auffiel, dass sie doch noch ein bisschen Mut besaß. »Es gibt gewiss nicht viele Menschen, die es wagen würden, einen Fremden mit Eurem Ruf um eine solche Stunde an einem solchen Ort zu treffen.«
»Wohl wahr.« Er klang amüsiert. »Aber ich konnte feststellen, dass solch merkwürdige Zeiten und Orte mir helfen, all jene auszusondern, denen es mit ihrem Anliegen nicht wirklich ernst ist.« Er machte eine Pause. »Ich arbeite nur für Klienten, die fest entschlossen sind, Antworten zu finden, ganz gleich, um welchen Preis, versteht Ihr?«
»Ich bin fest entschlossen, Sir.«
»Das glaube ich Euch. Also, warum kommen wir dann nicht zur Sache. Ich nehme an, es geht um den Tod Eurer Schwester, die vor zwei Tagen gestorben ist?«
Seine nüchternen Worte erschütterten Annie. »Woher wisst Ihr von Nellie?«
»Als ich erfuhr, dass Ihr mich zu treffen wünscht, war ich natürlich neugierig auf Euren Grund. Also habe ich Nachforschungen angestellt und erfahren, dass Ihr erst kürzlich Eure Schwester bei einem tragischen Unfall verloren habt.«
»Genau darum geht es, Sir. Es war kein Unfall«, stieß Annie hervor. »Ich weiß, was die Polizei annimmt, aber das stimmt nicht.«
»Nellie Taylor wurde bäuchlings treibend in einem kalten Tauchbecken in den Doncaster-Bädern gefunden. Alle Indizien deuteten darauf hin, dass sie auf den Fliesen am Rand des Beckens ausgeglitten ist, sich den Kopf angeschlagen hat, ins Wasser gestürzt und ertrunken ist.«
Seine kühle, unbeteiligte Aufzählung der Tatsachen entzündeten wie ein Funke die Wut und die Enttäuschung, die seit Nellies Tod in Annie schwelten.
»Ich glaube das nicht, Sir«, sagte sie entschieden. »Meine Schwester hat über zehn Jahre in den Bädern gearbeitet, seit ihrem dreizehnten Lebensjahr, um genau zu sein. Sie hat dort angefangen, als Dr. Doncaster selbst noch Wasserkuren anwendete. Sie kannte sich dort seht gut aus und war immer vorsichtig, gerade wegen der nassen, rutschigen Fliesen.«
»Unfälle geschehen, Mrs. Petrie.«
»Nellie ist kein Unfall widerfahren, das sagte ich doch!« Sie umklammerte den Griff der Laterne so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Jemand hat sie umgebracht.«
»Wieso seid Ihr Euch dessen so sicher?«, erkundigte er sich mit höflicher Neugier.
»Wie gesagt, Sir, ich habe keinerlei Beweise.« Annie schluckte und straffte ihre Schultern. »Deshalb möchte ich ja, dass Ihr Antworten für mich findet. Das sind doch genau die Dienste, die Ihr anbietet, hab ich Recht?« Sie schwiegen lange.
»Ja, Mrs. Petrie. Genau das ist mein Beruf«, gab er schließlich zu. »Erzählt mir mehr von Eurer Schwester.«
Annie holte tief Luft und wog ihre nächsten Worte sorgfältig ab. »Nellie hat in der Damenabteilung der DoncasterBäder gearbeitet.«
»Ihr Leichnam wurde aber in dem kalten Tauchbecken auf der Seite der Gentlemen gefunden.«
»Ja, Sir, das weiß ich. Eben das ist einer der Umstände, die mich misstrauisch machen, versteht Ihr?«
»Hatte sie gelegentlich im Bereich der Männer zu tun?«
»Ja, ab und zu.« Jetzt kam der unangenehme Teil, den Annie eigentlich hatte umgehen wollen. Jedenfalls hatte sie gehofft, es auslassen zu können. »Einige der Herren bezahlen für eine weibliche Angestellte, die Ihnen das Haar wäscht oder sie in einem Séparée frottiert.«
»Mir ist bekannt, dass solche Dienste dort angeboten werden«, erwiderte er neutral.
Annies Magen verkrampfte sich vor Furcht. Wenn er zu dem Schluss kam, dass Nellie eine Prostituierte war, würde er wahrscheinlich entscheiden, dass ihr Fall seiner Mühe nicht wert war.
»Es ist nicht so, wie Ihr glaubt, Sir. Nellie war eine ehrbare, hart arbeitende Frau. Sie war keine Dirne.«
»Verzeiht mir, bitte. So etwas wollte ich keineswegs andeuten.«
Wie höflich er ist, dachte Annie erstaunt. Er klang sogar beinah aufrichtig. Es gab nicht viele Männer seines Standes, die sich herabgelassen hätten, sich bei einer einfachen Ladenbesitzerin wie ihr zu entschuldigen.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, was in diesen Séparées in den Bädern auf der Seite der Gentlemen vorging«, gab sie zu. »Ich weiß nur, dass Nellie gelegentlich dort hingerufen wurde. Ihren Schilderungen nach fragten sogar einige Gäste extra nach ihr und gaben ihr ein großzügiges Trinkgeld für ihre … Bemühungen.«
Der Mann im Eingang der Krypta schwieg so lange, dass Annie sich schon fragte, ob er überhaupt noch da war. Eine unnatürliche Stille legte sich über den Friedhof.
Der Klatsch, den sie aufgeschnappt hatte, wollte wissen, dass dieser geheimnisvolle Mann nach Belieben auftauchen und verschwinden konnte. Als Annie diese Gerüchte zum ersten Mal zu Ohren gekommen waren, hatte sie das Gerede als hanebüchenen Unsinn abgetan. Doch jetzt, als sie mitten in der Nacht auf diesem nebelverhangenen Friedhof stand, fiel es ihr sehr leicht sich vorzustellen, dass sie möglicherweise mit einem Geist aus dem Jenseits gesprochen hatte.
Vielleicht schlief er ja am Tag in einem Sarg in ebendieser Krypta, in deren Eingang er stand.
Das Entsetzen peitschte auf ihre Nerven ein wie ein Stromschlag.
»Glaubt Ihr, dass Nellie von einem ihrer besonderen männlichen Badegäste ermordet wurde?«, fragte er.
»Das ist das Einzige, was ich mir vorstellen kann, Sir.«
Wieder hüllte dieses schreckliche Schweigen sie ein. Der Nebel schien dichter zu werden und schluckte selbst das spärliche Mondlicht, das diese Szenerie beleuchtet hatte. Annie konnte nicht einmal mehr die Umrisse der Krypta erkennen.
»Einverstanden, ich werde für Euch Erkundigungen einziehen«, erklärte die körperlose Stimme. »Vorausgesetzt, Ihr wollt wirklich und wahrhaftig die Antworten auf Eure Fragen erfahren.«
»Was wollt Ihr damit andeuten, Sir? Warum sollte ich sie nicht wissen wollen?«
»Bei solchen Angelegenheiten ist keineswegs auszuschließen, dass meinen Klienten Dinge über ihre teuren Verschiedenen zu Ohren kommen, von denen sie lieber nichts gewusst hätten.«
Annie zögerte. »Ich verstehe, was Ihr meint, Sir. Aber Nellie war meine Schwester. Wie wir alle hat sie nur getan, was sie tun musste, um zu überleben. Im Grunde ihres Herzens war sie ein anständiger Mensch. Ich werde nicht mehr in den Spiegel schauen können, wenn ich nicht wenigstens versuche herauszufinden, wer ihr dieses abscheuliche Unrecht angetan hat.«
»Verstehe, Mrs. Petrie. Ich verständige Euch, sobald ich Antworten gefunden habe.«
»Danke, Sir, ich bin Euch sehr dankbar.« Sie räusperte sich. »Soweit ich gehört habe, verlangt Ihr ein gewisses Honorar für Eure Dienste.«
»Man muss für alles bezahlen, Mrs. Petrie.«
Bei seinen Worten fröstelte es Annie erneut, doch sie wich nicht zurück. »Ja, nun, dann sollten wir wohl klären, was ich zu zahlen habe. Ich kann zwar vom Verkauf meiner Schirme bescheiden leben, aber ich bin keine wohlhabende Frau.«
»Ich verlange für meine Dienste kein Geld, Mrs. Petrie. Mein Honorar besteht eher aus Gefälligkeiten.«
»Wie bitte, Sir?« Annie bekam es wieder mit der Angst zu tun. »Ich … ich bin nicht sicher, ob ich Euch recht verstehe.«
»Möglicherweise kommt einmal der Moment, in dem ich Verwendung für einen oder zwei Sonnenschirme hätte. Sollte diese Gelegenheit sich ergeben, benachrichtige ich Euch umgehend. Stimmt Ihr meinen Bedingungen zu?«
»Jawohl, Sir«, hauchte Annie. Sie war vollkommen verblüfft. »Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, aus welchem Grund Ihr Damensonnenschirme benötigen solltet, Sir.«
»Man kann nie wissen. Auf jeden Fall ist unsere Abmachung damit besiegelt. Verratet niemandem, dass Ihr mich heute Nacht hier getroffen habt.«
»Nein, Sir, ganz bestimmt nicht. Das versichere ich Euch.« »Gute Nacht, Mrs. Petrie.«
»Gute Nacht, Sir.« Annie war einen Moment ratlos. »Danke«, setzte sie schließlich hinzu.
Dann drehte sie sich um und ging zügig zum Eingang des Friedhofs zurück. Als sie das Portal erreicht hatte, drehte sie die Laterne hoch und eilte nach Hause zurück, in die vertraute Wärme ihrer behaglichen Zimmer über ihrem Schirmgeschäft.
Sie hatte getan, was sie tun konnte. Die Gerüchte, die sie gehört hatte, schienen jedenfalls in einem Punkt glaubhaft zu sein, was immer sonst noch an den Geschichten um diesen Fremden dort auf dem Friedhof stimmen mochte: Man konnte darauf vertrauen, dass er sein Wort hielt.
Die zweite Explosion hallte laut durch die uralten Steinmauern, durch die das geheime Treppenhaus führte. Die Laterne, die Concordia Glade in der Hand hielt, schwankte leicht von der mächtigen Erschütterung. Das gedämpfte Licht waberte in der eisigen Finsternis, durch welche die vier jungen Mädchen Concordia die Treppe hinab folgten.
Sie alle, Concordia eingeschlossen, zuckten zusammen und hielten unwillkürlich den Atem an.
»Wenn die Treppe nun zusammenbricht, bevor wir unten angekommen sind?« Hannah Radburns bebende Stimme verriet, dass die junge Frau unmittelbar vor einem hysterischen Anfall stand.
»Diese Mauern brechen nicht zusammen.« Concordias Versicherung klang weit zuversichtlicher, als sie sich in Wahrheit fühlte. Sie hielt die Laterne ruhig und schob ihre Brille fester auf die Nase. »Ihr erinnert euch hoffentlich daran, dass wir die Geschichte des Baus von Aldwick Castle sehr gründlich durchgenommen haben, bevor wir entschieden, an welchen Stellen wir die Sprengsätze platzieren. Dieser Teil der Burg steht schon seit mehreren hundert Jahren. Es ist der älteste und solideste Teil des Bauwerks. Er wurde so konstruiert, dass er selbst dem Angriff von Katapulten standhalten konnte. Also wird er bestimmt auch heute Nacht nicht zusammenbrechen.«
Jedenfalls bete ich darum, dass er es nicht tut, fügte sie in Gedanken hinzu.
In Wahrheit jedoch hatte die Wucht der beiden dumpfen Explosionen ihre Erwartungen, gelinde gesagt, bei weitem übertroffen. Die erste hatte sämtliche Fenster im neuen Flügel zerstört, dicht neben dem Salon, in dem die beiden Männer aus London nach dem Dinner ihre Zigarren und ihren Port genossen. Von ihrem Standort im Klassenzimmer im alten Abschnitt der Burg aus hatte sie beobachtet, wie die Flammen mit erschreckender Geschwindigkeit und Gewalt aus den leeren Fensteröffnungen loderten.
Die zweite Ladung hatten sie so abgestimmt, dass sie einige Minuten nach der ersten hochging. Dieser Sprengsatz hatte offenbar noch größeren Schaden angerichtet.
»Die letzte Explosion war ziemlich laut, Miss Glade, hab ich Recht?«, fragte Phoebe Leyland beklommen. »Vielleicht haben die Formeln ja nicht gestimmt, die wir in dem alten Buch gefunden haben.«
»Die Anweisungen, wie man die Chemikalien zusammenmischen muss, waren unmissverständlich«, erwiderte Concordia. »Und wir haben sie auch penibelst befolgt. Allerdings waren diese Sprengladungen natürlich nicht für die Verwendung in geschlossenen Räumen gedacht. Deshalb mussten sie hier eine solch erschütternde Wirkung zeitigen. Aber schließlich wollten wir ja auch genau das damit erreichen.«
Sie sprach ruhig und zuversichtlich. Es wäre fatal für sie alle gewesen, den Mädchen auch nur einen Hauch der Furcht zu zeigen, die in ihr pulsierte. Das Leben der vier Mädchen, die hinter ihr die Treppe hinunterstiegen, lag in ihrer Hand. Wenn sie alle überleben wollten und ihre Flucht gelingen sollte, mussten sie ruhig bleiben und ihren Anordnungen folgen. Hysterie und Panik dagegen würden mit Gewissheit eine Katastrophe heraufbeschwören.
Concordia hörte erstickte Schreie aus dem Hof. Die Hand voll Angestellten der Burg waren damit beschäftigt, das Feuer einzudämmen. Mit etwas Glück würden die Flammen alle so lange ablenken, bis sie und die Mädchen die Stallungen erreicht hatten.
Sie mussten heute Nacht fliehen, sonst war alles verloren.
Nachdem sie heute das Gespräch der beiden Männer aus London hatte belauschen können, hegte sie keinerlei Zweifel mehr daran. Verstohlenheit war jedoch dabei von höchster Wichtigkeit. Concordia war fest davon überzeugt, dass die ordinären, bedrohlich aussehenden Wächter, die sich als Gärtner und Landarbeiter der Burg ausgaben, keine Sekunde zögern würden, einem dieser vier unschuldigen Geschöpfe die Kehle durchzuschneiden oder es zu erschießen, falls einer der beiden gut gekleideten Schurken aus der Stadt es ihnen befahl.
»Es ist wirklich sehr dunkel hier«, flüsterte Hannah kaum hörbar.
Concordia hob die Lampe etwas höher. Die Treppe war nicht nur dunkel, sondern auch sehr schmal. Der Abstieg fiel keiner von ihnen leicht, Hannah jedoch hegte eine besondere Furcht vor engen, finsteren Räumen.
»Wir haben den Fuß der Treppe beinahe erreicht, Hannah«, erklärte sie beruhigend.
»Ich rieche Rauch«, verkündete die sechzehnjährige Theodora Cooper.
Ihre Zwillingsschwester Edwina sog hörbar den Atem ein. »Vielleicht steht dieser Flügel der Burg ja auch schon in Flammen.«
Der schwache, wenngleich unverkennbare Geruch von Rauch wehte unheilverkündend die Treppe hinauf. Erneut packte Concordia die Furcht, doch sie zwang sich, mit der Stimme zu sprechen, die sie insgeheim ihre »Klassenzimmerstimme« nannte.
»Dieser Abschnitt der Burg ist sicher«, erklärte sie. »Wir riechen den Rauch nur, weil der Wind ihn in unsere Richtung bläst. Die Rauchwolken dringen einfach unter dem Türschlitz hindurch in dieses Treppenhaus ein.«
»Vielleicht sollten wir besser umkehren, Miss Glade«, wimmerte Edwina.
»Sei nicht kindisch, Edwina«, erklärte Phoebe scharf. »Du weißt sehr genau, dass wir nicht mehr zurückkönnen. Es sei denn, du möchtest von diesen schrecklichen Männern fortgeschafft werden.«
Edwina verstummte, und die anderen folgten ihrem Beispiel.
Concordia sah über die Schulter zurück und lächelte Phoebe an. Wie sie selbst trug auch dieses Mädchen eine Brille. In den bemerkenswert intelligent blickenden Augen hinter den Gläsern schimmerte eine Entschlossenheit, die viel zu reif für ihre erst fünfzehn Jahre schien.
Während dieses einen Monats, den Concordia auf Aldwick Castle beschäftigt war, hatte sie bestürzend häufig ähnliche Funken von beinahe erwachsenem Verständnis über die Realitäten der Welt bei ihren Schülerinnen bemerkt. Eben noch schien eines der Mädchen vollkommen in den unschuldigen Vergnügungen und Freuden gefangen zu sein, die einer jungen Dame angemessen waren, die kurz davor stand, eine Frau zu werden, und im nächsten Augenblick flackerte eine Furcht oder eine Melancholie über ihre Züge, die das Glühen der Jugend und der Vorfreude aus ihren Augen verscheuchte.
Concordia hatte bald herausgefunden, dass diese tiefen Ängste, die ihre Schülerinnen regelmäßig überkamen, allesamt sehr wohl begründet waren. Alle waren sie irgendwann in den letzten Monaten zu Waisen geworden und hilflos den rauen Stürmen des Lebens ausgesetzt worden, ohne jegliche Unterstützung ihrer Familien oder auch nur bescheidenste finanzielle Mittel. Diese Erfahrung eines verheerenden Verlustes und die Furcht vor einer ungewissen Zukunft zehrten unablässig an ihren lebhaften, jungen Gemütern.
Das konnte Concordia sehr gut nachvollziehen. Sie hatte ebenfalls im Alter von sechzehn Jahren ihre Eltern verloren und mit ihnen die unkonventionelle Gemeinschaft, die ihre ganze Welt gewesen war. Das lag zwar bereits zehn Jahre zurück, doch der Gram und die Angst suchten sie noch häufig in ihren Träumen heim.
»Und wenn die Stallungen auch brennen?«, erkundigte sich Edwina ängstlich.
»Sie liegen auf der anderen Seite des Burgfrieds«, beruhigte Concordia das Mädchen. »Es wird lange dauern, bis die Ställe Feuer fangen, falls das überhaupt geschieht.«
»Miss Glade hat Recht.« In Theodoras Stimme schwang neuer Mut mit. »Ihr erinnert euch doch, wie sorgfältig wir die Plätze für die Sprengladungen ausgesucht haben, eben damit die Ställe nicht sofort in Mitleidenschaft gezogen werden.«
»Die Würfel sind gefallen«, erklärte Hannah. »Unser Leben liegt in der Hand des Schicksals.«
Wenn Hannah nicht damit beschäftigt war, ihre anscheinend endlose Liste von Ängsten zu pflegen, pflegte sie ihr bemerkenswertes Talent für Dramatik. Sie war das jüngste der Mädchen und hatte erst kürzlich ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert. Dennoch überraschte sie Concordia häufig mit ihrer Fähigkeit, intuitiv in eine Rolle zu schlüpfen oder das Verhalten einer Person nachzuahmen.
»Nein, unser Leben liegt keineswegs in der Hand des Schicksals«, widersprach Concordia jetzt nachdrücklich. Sie warf einen Blick über ihre Schulter zurück. »Vergesst nicht, dass wir einen Plan haben. Wir müssen uns nur genauestens daran halten. Und dies werden wir jetzt tun.«
Theodora, Edwina, Hannah und Phoebe zogen aus der Entschlossenheit, die Concordia an den Tag legte, sichtlich Kraft. Sie hatte den Mädchen schon seit Tagen die Bedeutung ihres Planes eingetrichtert. Und in diesen Stunden der Krise war er ihr Talisman, genau wie sie es vorhergesehen hatte. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man selbst die größten Hindernisse überwinden konnte, solange man nur einen Plan hatte, an den man glaubte.
»Ja, Miss Glade.« Hannah gewann schlagartig ihre Zuversicht wieder. Ihre ausdrucksvollen dunklen Augen waren zwar weit aufgerissen, doch ihre Stimme klang fest. »Wir haben alle den Plan auswendig gelernt.«
»Seid zuversichtlich, er wird funktionieren.« Mittlerweile hatten sie den Fuß der Treppe erreicht, und Concordia drehte sich zu den Mädchen herum. »Schritt eins haben wir bereits erfolgreich hinter uns gebracht. Jetzt bereiten wir uns auf Schritt zwei vor. Ich werfe einen Blick nach draußen und überzeuge mich davon, dass die Luft rein ist. Weiß jede von euch, was sie als Nächstes zu tun hat?«
»Wir gehen zusammen zu den Stallungen«, deklamierte Phoebe gehorsam, »und halten uns dabei im Schatten der alten Vorratsschuppen an der Südmauer.«
Die anderen nickten zustimmend. Sie hatten die Kapuzen ihrer Mäntel zurückgeschlagen, und auf ihren ernsten jungen Gesichtern zeigte sich eine rührende Mischung aus Angst und Entschlossenheit.
»Hat jede von euch ihr Bündel dabei?«, erkundigte sich Concordia.
»Ja, Miss Glade.« Phoebe hielt ihren kleinen Segeltuchbeutel fest in beiden Händen. An zwei Stellen beulte er sich verdächtig aus. Offenbar hatte sie da ihre wissenschaftlichen Instrumente hineingestopft.
Diese Geräte gehörten zu der Sammlung aus Büchern und Apparaturen, die Concordia letzten Monat mit auf die Burg gebracht hatte.
Noch am Nachmittag hatte sie ein letztes Mal versucht, den jungen Mädchen klar zu machen, dass sie für dieses Abenteuer nur das absolut Notwendigste einpacken sollten. Doch ihr war bewusst, dass junge Mädchen sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was notwendig war.
Hannah Radburns Beutel schien schwerer zu sein, als er eigentlich hätte sein sollen. Concordia vermutete, dass sie ebenfalls die Anweisungen ihrer Lehrerin missachtet und einige ihrer geliebten melodramatischen Romane eingepackt hatte.
Theodoras Beutel war bis zum Rand mit eben dem Künstlerzubehör voll gepackt, das sie eigentlich hatte zurücklassen sollen.
In Edwinas Bündel dagegen befand sich zweifellos eines dieser modischen Gewänder, die Anfang der Woche aus London geliefert worden waren.
Nicht zuletzt diese wertvollen Kleider, die man den Mädchen geschenkt hatte, hatten Concordia davon überzeugt, dass ihre Lage allmählich kritisch wurde.
»Vergesst nicht«, sagte sie sanft, »wenn etwas schief geht, gebe ich das Notsignal. Versprecht mir, dass ihr in diesem Fall eure Beutel fallen lasst und so schnell ihr könnt zu den Stallungen lauft. Ist das klar?«
Wie aufs Stichwort umklammerten die vier Mädchen beschützend ihre kostbaren Segeltuchbeutel.
Concordia hörte zwar einen pflichtschuldigen Chor aus »Jawohl, Miss Glade«, doch ihre Zuversicht sank. Wenn das Desaster tatsächlich eintrat, würde es schwer werden, die Mädchen zu überreden, ihre Habseligkeiten zurückzulassen. Wenn man ganz allein und mittellos in der Welt stand, neigte man dazu, sehr an den Dingen zu hängen, die einen persönlichen Wert hatten.
Allerdings konnte sie ihren Schülerinnen das nicht verdenken. Sie selbst war gewiss kein Vorbild gewesen, was das Packen anging. Sie würde es mit dem Teufel persönlich aufnehmen, bevor sie ihre Segeltuchtasche zurückließ. Sie enthielt ein Trauermedaillon mit den Bildnissen ihrer toten Eltern und das Philosophiebuch, das ihr Vater geschrieben und noch kurz vor seinem Tod veröffentlicht hatte.
Concordia dämpfte das Licht der Laterne. Hannah stieß ein leises, ängstliches Wimmern aus, als es im Treppenhaus schlagartig düster wurde.
»Beruhige dich, Liebes«, murmelte Concordia. »Wir sind in wenigen Sekunden draußen.«
Sie schob den alten Riegel an der Pforte zurück und drückte den schmiedeeisernen Griff herunter. Die uralte Eichentür aufzustemmen kostete mehr Kraft, als sie erwartet hatte. Durch den Spalt drangen das flackernde Licht der Flammen und eisige, nach Qualm riechende Luft. Die Schreie der beunruhigten Männer im Burgfried, die das Feuer bekämpften, wurden deutlich lauter.
Zwischen dieser Pforte und dem ersten der alten Schuppen jedoch konnte Concordia niemanden sehen.
»Der Weg ist frei«, verkündete sie. »Los geht’s.«
Sie nahm die abgedunkelte Laterne auf und trat hinaus. Die Mädchen drängten sich hinter ihr wie eine Schar junger Gänschen.
Die Szenerie im Burgfried wurde durch ein höllisches, gelbliches Licht erhellt. In dem großen Hof herrschte das reine Chaos. Concordia sah einige dunkle Silhouetten, die kopflos umherrannten und Befehle brüllten, die niemand befolgte. Zwei Männer schöpften mit Eimern Wasser aus der Zisterne in der Mitte des Hofes, doch es war offensichtlich, dass die wenigen Bediensteten der Burg auf einen Notfall von derartigen Ausmaßen nicht vorbereitet waren.
Concordia staunte, als sie sah, wie verheerend sich das Feuer bereits ausgebreitet hatte. Noch vor wenigen Minuten hatten die Flammen nur aus den hohen, zerborstenen Fenstern geleckt. In der kurzen Zeit, die sie für ihren Abstieg benötigt hatten, hatte sich das Feuer zu einem wahren Inferno ausgewachsen, das jetzt rasend schnell den ganzen neuen Flügel der Burg verzehrte.
»Meine Güte«, flüsterte Theodora. »Diese Flammen können sie niemals ersticken. Es würde mich nicht überraschen, wenn die ganze Burg vor ihren Augen bis auf die Grundmauern niederbrennt.«
»Ich hätte nie gedacht, dass diese Formel ein so gewaltiges Feuer auslösen könnte«, meinte Phoebe ehrfürchtig.
»Wir haben damit jedenfalls genau für die Ablenkung gesorgt, die wir brauchten«, erklärte Concordia. »Und jetzt rasch. Wir haben keine Zeit zu vergeuden.«
Sie ging schnell weiter, während ihr Kleid und ihr Mantel schwer an ihr zerrten. Nicht nur die langen Röcke und der dicke Stoff des Mantels erschwerten ihr das Gehen. In den letzten zwei Wochen hatte sie einige kleinere Gegenstände in beide Kleidungsstücke eingenäht, Wertgegenstände, die klein genug waren, um sie in handlichen Taschen zu verbergen. Sie hatte vor, dieses Diebesgut zu veräußern, damit sie davon leben konnten, solange sie sich mit den Mädchen versteckt hielt. Im Augenblick jedoch fühlte sich jede dieser Kostbarkeiten wie schieres Blei an.
Die Mädchen hielten sich dicht hinter ihr. Sie hatten ihre Röcke zusammengenäht, so dass sie weite Hosen bildeten, was ihnen ein leichteres Fortkommen ermöglichte.
Dicht zusammengedrängt liefen sie an den eingefallenen, vernagelten Außengebäuden vorbei, in denen einst Getreide und andere Vorräte für die Burg gelagert worden waren.
Kurz darauf bogen sie um die Ecke der alten Hufschmiede, hinter der die Stallungen auftauchten.
Concordia konzentrierte sich gerade auf die nächste Phase ihres Planes, als ein großer Mann aus dem Schatten der Ruine der Windmühle trat und sich ihnen breitbeinig in den Weg stellte.
Das Feuer und das Mondlicht spendeten ausreichend Licht, so dass Concordia seine groben Gesichtszüge erkennen konnte. Es war Rimpton, einer der beiden Männer, die am Mittag aus London eingetroffen waren. Sein Mantel war zerrissen und angesengt.
Außerdem hielt er eine Pistole in der Hand.
Concordia blieb wie angewurzelt stehen. Die Mädchen folgten ihrem Beispiel, als imitierten sie im Angesicht der Gefahr das Verhalten ihrer Lehrerin.
»Sieh an, ist das nicht unsere Lehrerin und ihre hübschen, kleinen Schülerinnen?«, knurrte Rimpton. »Wohin des Wegs, ihr Täubchen?«
Concordia umklammerte unwillkürlich den Griff der Laterne fester. »Wir versuchen, den Flammen zu entkommen, Ihr Dummkopf! Wenn Ihr bitte so freundlich wärt, uns den Weg freizumachen.«
Rimpton musterte sie schärfer. »Ihr wollt zu den Stallungen, richtig?«
»Es scheint mir das Gebäude zu sein, das am weitesten von dem Feuer entfernt ist.« Concordia machte sich keine Mühe, die Verachtung zu verbergen, die sie für diesen gemeinen Rohling empfand.
Sie hatte Rimpton auf den ersten Blick verabscheut. Es war nicht zu übersehen, wie lüstern er die jungen Mädchen angesehen hatte.
»Ihr habt doch was vor!«, erklärte er jetzt.
»Hannah?«, Concordia ließ Rimpton nicht aus den Augen, während sie sprach.
»J … Ja, Miss Glade?«
»Bitte sei doch so gut und führe uns Aramintas Reaktion auf Lockhearts überraschende Enthüllung in Sherwood Crossing vor.«
Rimpton verzog verwirrt sein Gesicht. »Was zum Teufel …?«
Doch Hannah hatte bereits die unsichtbare Bühne betreten und stürzte sich leidenschaftlich in die Rolle von Araminta, der Heldin des melodramatischen Romans, dessen Lektüre sie erst letzte Woche abgeschlossen hatte.
Sie stieß einen verängstigten, verzweifelten Schrei aus und brach auf der Stelle zusammen. Ihre Ohnmacht war so perfekt dargestellt, dass sie der talentiertesten Schauspielerin alle Ehre gemacht hätte.
Rimptons massiger Schädel fuhr herum, um verblüfft das zu Boden gesunkene Mädchen zu betrachten. »Was ist denn in dieses alberne Gör gefahren? Ich habe allmählich genug von diesem Unsinn!«
»Das war noch nicht alles«, murmelte Concordia.
Sie holte so weit sie konnte mit der gelöschten Laterne aus und ließ den schweren Eisenrahmen gegen Rimptons Hinterkopf krachen. Das Glas zersprang knackend.
Betäubt sank Rimpton auf die Knie, doch er hatte seinen Revolver nicht losgelassen.
Er ist nur benommen, dachte Concordia, nicht bewusstlos. Sie beobachtete entsetzt, wie er versuchte, sich aufzurappeln.
Hastig holte sie erneut aus und ließ die Laterne ein zweites Mal hinuntersausen und legte ihre ganze Kraft in diesen Hieb.
Rimpton stieß ein merkwürdiges Geräusch aus, sackte vornüber aufs Gesicht und rührte sich nicht mehr. Seine Waffe fiel klappernd auf die Pflastersteine. Im Mondlicht konnte Concordia die dunkle Flüssigkeit sehen, die aus der Wunde an seinem Schädel sickerte und bereits eine kleine Pfütze um seinen Kopf bildete.
Einen Moment herrschte schockiertes Schweigen. Dann richtete sich Hannah ungelenk wieder auf und nahm ihre Tasche hoch. Die Mädchen starrten Rimpton an, erschüttert über die brutale Gewalt, deren Zeuge sie geworden waren.
»Kommt mit.« Concordia versuchte, kühl und beherrscht zu klingen, doch ihre Finger zitterten ärgerlicherweise erheblich, als sie sich bückte und den Revolver aufhob, den Rimpton fallen gelassen hatte. »Wir sind gleich am Stall. Hannah, das war eine ausgezeichnete Darbietung.«
»Danke, Miss Glade.« Hannah antwortete beinahe automatisch. Sie konnte ihren Blick nicht von Rimptons Körper losreißen. »Ist er … ist er tot?«
»Er sieht jedenfalls ziemlich tot aus«, flüsterte Phoebe.
»Geschieht ihm ganz recht«, erklärte Edwina. Sie klang überraschend befriedigt. »Er und sein Freund Mr. Bonner haben Miss Bartlett fortgeschafft. Wir haben Euch ja gesagt, Miss Glade, dass sie ihr etwas Schreckliches angetan haben müssen. Sie behaupteten zwar, sie wäre mit dem Zug nach London zurückgefahren, aber sie hätte niemals ihre neuen Handschuhe zurückgelassen.«
»Hier entlang, meine Damen«, sagte Concordia. Sie zweifelte nicht mehr an der Theorie der Mädchen, was das Verschwinden ihrer Vorgängerin auf der Burg betraf. »Bleibt dicht zusammen.«
Ihre brüsken Befehle rissen die Mädchen aus dem morbiden Bann, in den Rimptons vollkommen reglose Gestalt sie geschlagen hatte. Hastig scharten sich die Mädchen hinter Concordia.
Sie führte die vier durch die Dunkelheit, wobei ihr deutlich bewusst war, dass der schwierigste Teil ihres Planes noch vor ihnen lag. Es würde nicht leicht werden, die Pferde in der Dunkelheit zu satteln, obwohl sie genau dies immer wieder mit den Mädchen geübt hatte.
Crocker, der Stallknecht, hatte nur uninteressiert mit den Schultern gezuckt, als Concordia ihm erklärte, es wäre unerlässlich für die Ausbildung der Mädchen, regelmäßig zu reiten. Es gab zwar keine schicklichen Damensättel auf der Burg, doch Crocker hatte auf ihr Drängen hin drei abgeschabte Herrensättel und entsprechendes Zaumzeug herausgerückt.
Die einzigen Pferde auf der Burg waren die stämmigen, geduldigen Kutschtiere, die für die Fahrten zum Dorf angespannt wurden, wenn man Vorräte holte.
Glücklicherweise waren Edwina und Theodora in einem wohlhabenden Elternhaus aufgewachsen. Sie hatten schon in jungen Jahren reiten gelernt und stellten sich so geschickt an, dass sie Phoebe, Hannah und Concordia anleiten konnten. Mit ihrem jugendlichen Elan hatten Phoebe und Hannah die Grundlagen des Reitens sehr schnell begriffen.
Concordia dagegen war das erheblich schwerer gefallen. Sie bezweifelte selbst jetzt noch, dass sie sich jemals auf dem Rücken eines Pferdes wohl fühlen würde.
Zu ihrer ungeheuren Erleichterung stießen sie in dem dunklen Stall auf keine weiteren Widersacher. Wie Concordia gehofft hatte, waren die Männer alle damit beschäftigt, das Feuer zu bekämpfen.
Die drei Pferde waren aufgeregt. Concordia hörte, wie sie in ihren Boxen ruhelos mit den Hufen stampften und leise und unbehaglich schnaubten. Es war gerade hell genug, um zu erkennen, wie drei Pferdeköpfe unruhig zum Eingang herumschwangen. Die Ohren waren alle nervös nach vorn gerichtet. Obwohl sich die Stallungen nicht in unmittelbarer Gefahr befanden, witterten die Tiere den Rauch und hörten die Schreie der Männer.
Concordia öffnete die Tür zur Sattelkammer, trat hinein und strich ein Streichholz an.
»Rasch, Mädchen!«, befahl sie. »Wir haben keine Minute zu verschenken. Legt eure Taschen weg und sattelt die Pferde.«
Ihre Schülerinnen ließen die Segeltuchtaschen fallen und beeilten sich, die Decken, Sättel und Zaumzeuge zu holen.
Concordia bemerkte erleichtert, dass ihr ständiger Drill sich jetzt auszahlte. Die Mädchen sattelten die Pferde schnell und geschickt.
Edwina und Theodora hatten bereits vorab entschieden, wer welches Pferd reiten sollte. Die Zwillinge nahmen das lebhafteste der drei Pferde, eine Stute, weil sie die meiste Erfahrung hatten und mit ihr zurechtkommen würden, falls sie nervös wurde. Phoebe und Hannah sollten sich zusammen auf einen gutmütigen Wallach setzen.
Concordia bekam den zweiten Wallach im Stall zugeteilt, Blotchy, ein massiges, grobknochiges Tier. Edwina und Theodora hatten diesen Wallach für Concordia ausgewählt, weil er einen außerordentlich friedfertigen Charakter besaß. Unter normalen Umständen musste man Blotchy nachdrücklich antreiben, damit er eine schnellere Gangart anschlug als einen harten Trab. Das Gute an seinem eher trägen Gemüt war nach den Worten der Zwillinge, dass er praktisch niemals erschrak und wahrscheinlich niemals buckeln oder Concordia abwerfen würde.
Concordia legte Rimptons Waffe auf eine Holzbank und hielt das Zaumzeug vor sich. Sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Blotchy steckte gehorsam seinen Kopf in das Halfter und ließ sich das Gebiss ins Maul schieben. Er schien genauso darauf versessen zu sein, diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen, wie Concordia und die Mädchen es waren.
»Danke, Blotchy«, flüsterte sie ihm ins Ohr, als sie das Halfter befestigte. »Bitte hab Geduld mit mir. Ich weiß, dass ich eine schlechte Reiterin bin. Aber ich brauche heute Nacht dringend deine Hilfe. Wir müssen die Mädchen von diesem gefährlichen Ort wegholen.«
Sie führte den Wallach aus dem Stall und nahm den Revolver von der Bank. Stroh raschelte und Leder knarrte, als Edwina und Theodora die beiden anderen Pferde aus ihren Boxen führten.
Sie sattelten rasch die drei Pferde, legten die Segeltuchbeutel hinter die Sättel über den Rücken der Gäule und sicherten sie mit Lederriemen.
»Aufgesessen!«, befahl Concordia.
Systematisch, wie sie es so oft geübt hatten, wurde jedes Pferd zum Block geführt. Edwina und Theodora setzten sich auf die Stute. Auch Phoebe und Hannah schwangen sich beruhigend geschickt auf den Rücken des anderen Pferdes.
Concordia wartete bis zuletzt und ließ dabei keine Sekunde den Eingang des Stalls aus den Augen.
Als die Reihe an sie kam, schob sie die Falten ihres Rockes aus dem Weg, schob den Revolver in die Tasche ihres Mantels und stieg auf den Block.
»Ich weiß deine Geduld und dein Verständnis wirklich sehr zu schätzen, Blotchy«, erklärte sie.
Sie schob ihre Fußspitze in den Steigbügel und zog sich auf Blotchys breiten Rücken. Kaum saß sie im Sattel, als der Wallach auch schon mit ungewohntem Eifer lostrabte. Concordia packte die Zügel und zog sie an.
»Ruhig«, sagte sie. »Bitte.«
Eine Laterne flammte am Eingang des Stalles auf.
Ihr Licht fiel auf die Silhouette eines korpulenten Mannes und schimmerte auf dem Lauf der Waffe in seiner Hand.
»Hierher sind all die hübschen kleinen Dinger also geflüchtet«, erklärte er. »Und ihre Lehrerin auch. Hab ich mir doch gedacht, dass ihr weglaufen wolltet, als ich euch nicht in euren Zimmern gefunden habe.«
Concordia fühlte, wie ihr das Blut in den Adern gefror. Die Stimme kannte sie. Sie gehörte Rimptons Gefährten Bonner.
»Tretet zur Seite, Sir.« Sie legte ihre ganze Autorität in ihre Stimme. »Ich muss meine Schülerinnen an einen sichereren Ort bringen.«
»Halt die Klappe, blödes Weib!« Der Mann richtete die Mündung seiner Waffe auf sie. »Ich bin kein Narr! Wenn ihr aus Angst vor den Flammen Hals über Kopf aus euren Betten geflüchtet wäret, hättet ihr alle eure Nachthemden an. Aber ihr seid angezogen wie für einen Ausritt im Hyde Park. Ich weiß ganz genau, was hier vorgeht. Ihr versucht, die Mädchen zu entführen, hab ich Recht?«
»Wir versuchen, uns in Sicherheit zu bringen«, widersprach Concordia kühl. »Ich bin schließlich für meine Schülerinnen verantwortlich.«
»Nehme an, Ihr habt rausgekriegt, wie wertvoll diese Küken sind, was? Glaubtet wohl, Ihr könntet selbst versuchen, Profit aus ihnen zu schlagen, oder etwa nicht?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht, Sir.«
Verstohlen nahm sie beide Zügel in die linke Hand und ließ ihre Rechte zu der Tasche ihres Mantels gleiten, in der Rimptons Revolver steckte. Da ihr nichts Besseres einfiel, ließ sie Blotchy langsam vorwärts gehen.
»Ihr müsst eine vollkommene Närrin sein, wenn Ihr glaubt, dass Ihr Larkins Eigentum stehlen könnt, wahrhaftig!« Bonner schnaubte verächtlich. »Ihr seid so gut wie tot, das ist mal sicher.«
Concordia schob jetzt ihre freie Hand in ihre Manteltasche, und ihre Finger schlossen sich um den Griff der Waffe. »Sir, Ihr redet Unsinn. Diese Schülerinnen befinden sich in meiner Obhut, und ich muss sie vor dem Feuer in Sicherheit bringen. Die Flammen breiten sich sehr schnell aus, falls Euch das entgangen sein sollte.«
»Das habe ich auch schon gemerkt. Und je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass diese verdammten Explosionen kein Unfall waren.« Jetzt erst bemerkte er, dass Blotchy sich ihm immer weiter näherte. »Bleibt stehen.« »Ihr bringt diese Mädchen in große Gefahr. Wenn sie so kostbar für Euch sind, dann wird dieser Mr. Larkin, von dem Ihr gesprochen habt, bestimmt nicht allzu erfreut sein, wenn er davon erfährt.«
»Wenn Ihr diesen verdammten Gaul nicht anhaltet, lege ich Euch auf der Stelle um!«, knurrte Bonner sie an.
Blotchy machte unvermittelt einen Satz nach links. Concordia wusste nicht, ob sie ihn mit den Zügeln falsch geführt hatte oder ob ihm diese beunruhigenden Aktivitäten mitten in der Nacht einfach nur so missfielen, so dass er beschlossen hatte, die Flucht zu ergreifen.
Was auch immer der Grund war, Concordia war jedenfalls gezwungen, die Pistole in ihrer Tasche loszulassen und die Zügel mit beiden Händen zu packen, um das Pferd zu kontrollieren und ihr Gleichgewicht zu halten. Blotchy reagierte auf ihre feste Parade an den Zügeln, indem er einen engen Kreis beschrieb und heftig den Kopf zurückwarf.
»Nehmt den verdammten Gaul an den Zügel!«, fauchte Bonner und trat hastig zur Seite.
Ihr dämmerte, dass dieser Mann offenbar noch weniger mit Pferden vertraut war als sie. Bonner war ein Städter, ein geborener Städter, der sein ganzes Leben fast ausschließlich in der Stadt verbracht hatte. Nur die Wohlhabenden konnten sich private Stallungen in der Stadt leisten. Alle anderen mussten entweder zu Fuß gehen, sich eine Mietdroschke rufen oder mit dem Omnibus fahren, wenn sie eine Transportmöglichkeit brauchten. Dieser Schurke hier war zwar teuer gekleidet, doch sein ungeschliffener Akzent verriet ihn. Er stammte von der Straße, nicht aus der feinen Gesellschaft. Vermutlich hatte er noch nie im Leben auf einem Pferd gesessen.
»Passt mit dieser Waffe auf, Sir«, sagte sie und mühte sich mit den Zügeln ab. »Wenn Ihr sie in diesem engen Stall abfeuert, geraten die Pferde in Panik. Sie werden zweifellos zum Eingang rennen und alles niedertrampeln, was ihnen im Weg steht.«
Bonner musterte die drei Pferde besorgt. Offenbar wurde ihm jetzt erst klar, dass er das einzige Hindernis war, das sich zwischen den drei Pferden und dem Ausgang befand. Er stellte die Laterne zu Boden und trat unsicher einen Schritt zurück.
»Sorgt dafür, dass ihr diese verdammten Klepper unter Kontrolle behaltet!«
»Wir tun unser Bestes, Sir, aber ich glaube, Ihr macht sie unruhig.« Concordia zerrte an den Zügeln und ermunterte Blotchy damit, einen weiteren engen Kreis zu schlagen. Als sie sich mit dem Rücken zu Bonner befand, griff sie in die Tasche und zog den Revolver heraus.
Sie konnte nur hoffen, dass es ihr gelang, den Mann zu überrumpeln, und betete gleichzeitig, dass sie Blotchy unter Kontrolle halten konnte, wenn sie die Waffe abfeuerte.
Blotchy beendete den Kreis, und Concordia umklammerte die Pistole.
Doch bevor sie die Waffe heben und schießen konnte, materialisierte sich die dunkle Gestalt eines Mannes aus dem Schatten neben dem Eingang. Er glitt lautlos hinter Bonner und machte zwei kurze, brutale, hackende Handbewegungen.
Der Schurke zuckte zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen, und brach lautlos auf dem Boden zusammen.
Einen Moment herrschte tödliches Schweigen, als sich selbst die Pferde nicht rührten. Concordia und die Mädchen starrten den Fremden an.
Mit geschmeidigen Schritten näherte er sich Concordia.
»Ihr müsst die Lehrerin sein«, bemerkte er.
Concordia fiel endlich wieder ein, dass sie einen Revolver in der Hand hielt.
»Wer seid Ihr?«, fuhr sie ihn an. »Was habt Ihr hier zu schaffen?«
Er blieb nicht stehen, und als er durch den Lichtkegel der Laterne schritt, sah Concordia, dass er ganz in Schwarz gekleidet war. Das Licht zuckte kurz über sein dunkles Haar und kalte, strenge Gesichtszüge. Bevor sie jedoch genauer hinsehen konnte, war er bereits wieder in die Schatten eingetaucht.
»Ich würde vorschlagen, dass wir diese Fragen klären, wenn wir alle in Sicherheit sind«, erklärte er. »Oder habt Ihr etwas dagegen einzuwenden?«
Er hatte den Mann aus London mit zwei kurzen Schlägen einfach so gefällt. Das deutete wohl nachdrücklich darauf hin, dass er nicht auf der Seite dieses mysteriösen Larkins stand. Ein altes Axiom schoss Concordia durch den Kopf. Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Und heute Nacht konnte sie einen Freund wahrhaftig gebrauchen.
»Ich habe keinerlei Einwände, Sir.« Sie schob die Waffe wieder in ihre Manteltasche.
»Es erleichtert mich, das zu hören.« Er schaute die Mädchen an. »Können diese jungen Damen einigermaßen reiten?«
»Sie sind durchaus geschickt im Sattel«, versicherte Concordia ihm mit unüberhörbarem Stolz.
Der Fremde packte Blotchys Zügel und beruhigte den Wallach. »Das ist die erste gute Nachricht, die ich in dieser ansonsten eher desaströsen Nacht zu hören bekomme.«
Er löste die Riemen des Bündels, das sie so sorgfältig hinter dem Sattel befestigt hatte.
»Das gehört mir!«, erklärte sie scharf. »Ich kann es nicht zurücklassen.«
»Dann schlage ich vor, dass Ihr es festhaltet.«
Sie klemmte sich die Tasche unter einen Arm und nahm die Zügel mit ihrer anderen Hand.
Kräftige Finger legten sich um ihre Fußknöchel.
Erschreckt blickte Concordia hinunter. »Was erlaubt Ihr Euch, Sir?«
Im nächsten Moment wurde ihr klar, dass er sich keineswegs irgendwelche Freiheiten herausnehmen wollte. Stattdessen schob er ihren Fuß aus dem Steigbügel, steckte seine Stiefelspitze hinein und schwang sich geschickt hinter Concordia auf das Pferd.
Er nahm ihr die Zügel aus der Hand und trieb Blotchy sanft zu den beiden anderen Pferden.
»Bitte gebt mir die Zügel, meine Damen«, sagte er. »Draußen ist es vollkommen neblig von dem Rauch. Er bietet uns zwar ausgezeichneten Schutz vor Entdeckung, aber wir verlieren uns sofort aus den Augen, falls wir getrennt werden.«
Edwina und Phoebe reichten ihm ohne zu zögern die Zügel.
»Gut, reiten wir los«, erklärte er.
Der Fremde machte irgendetwas mit seinen Unterschenkeln, was Concordia nicht genau erkennen konnte, und Blotchy stürmte los.
Der mächtige Satz des Wallachs überrumpelte Concordia. Sie hätte beinah ihren Beutel fallen lassen, als sie hastig zum Sattelriemen griff und sich festhielt.
»Meine Schülerinnen sind alle ausgezeichnete Reiterinnen, Sir!«, stieß sie erstickt hervor. »Aber ich muss bedauerlicherweise zugeben, dass ich noch recht unerfahren im Sattel bin.«
»In dem Fall solltet Ihr Euch gut festhalten. Ihr habt mir heute Nacht bereits mehr als genug Scherereien bereitet. Wenn Ihr vom Pferd fallt, kann ich Euch nicht versprechen, dass ich geneigt bin, anzuhalten und Euch aufzuheben.«
Seine Stimme verriet, dass er jedes Wort seiner Warnung ernst meinte. Sie umklammerte den Sattelriemen, als hinge ihr Leben davon ab.
Im Schutz des dichten Rauchs und des Lärms, den die Flammen und die Schreie der Männer verursachten, galoppierten sie aus dem Stall und schlugen die Richtung zum Südtor ein.
Concordia wusste, dass sie sich zeit ihres Lebens lebhaft an zwei Dinge in dieser Nacht erinnern würde. Das erstaunliche Fauchen des Feuers, das die Burg verzehrte, und die Kraft und Energie des männlichen Körpers, der sich fest an den ihren presste, als sie davonritten, in Sicherheit.
Der Fremde hielt die kleine Gruppe auf dem niedrigen Kamm eines Hügels an, der auf der anderen Seite des Flusses lag.
Blotchy und die beiden anderen Pferde waren einen so scharfen Ritt nicht gewohnt und gehorchten dem Befehl des Mannes nur zu bereitwillig. Mit hängenden Köpfen und bebenden Flanken blieben sie stehen und schnaubten vernehmlich durch ihre geweiteten Nüstern.
Concordia war von ihrer kühnen Flucht ebenfalls etwas außer Atem. Sie drehte sich herum und schaute zu dem lodernden Inferno auf der Burg zurück. Das Mondlicht tauchte die Landschaft in einen unirdischen Glanz. Die Flammen der Burg leuchteten wie rotgoldene Fackeln in der Nacht. Und selbst aus dieser Entfernung konnten sie noch den beißenden Rauch riechen.
»Seht nur!« Phoebe streckte die Hand aus. »Das Feuer hat den alten Flügel erfasst. Ein Glück, dass wir uns nicht in einem der Räume dort versteckt haben.«
»Die ganze Burg wird bald zu Asche heruntergebrannt sein«, erklärte Theodora leise und fast staunend.
Concordia fühlte, wie sich der sehnige Körper des Fremden hinter ihr leicht bewegte, als er sich umdrehte, um die Szenerie ebenfalls zu betrachten.
»Ich nehme an, dieses Feuer war Ihr Werk, meine Damen?«, erkundigte er sich.
Er klang nachdenklich, als dächte er eben über eine neue und außerordentlich interessante Entdeckung nach, die er soeben gemacht hatte, und versuchte sie einzuordnen.
»Phoebe und Miss Glade haben die Formel für die Sprengsätze gemischt«, erklärte Hannah. »Edwina, Theodora und ich haben die Zündschnüre genäht. Sie mussten sehr lang und sehr dünn sein, damit sie niemandem auffielen. Wir haben sie an der Wand hinter den Möbeln platziert.«
»Und sie mussten aus einem Material bestehen, das weder zu schnell noch zu langsam brennt«, fügte Theodora hinzu.
»Wir haben viele Experimente gemacht«, mischte sich Edwina ein.
»Miss Glade hat die Brandsätze und die Zünder in den Zimmern angebracht, während die Männer aus London nach dem Essen ihre Zigarren und ihren Portwein genossen haben«, fuhr Hannah fort.
»Miss Glade hat auch die Zündschnüre in Brand gesetzt«, schloss Phoebe. »Es hat genauso funktioniert, wie wir es geplant hatten.« Sie drehte sich herum und warf einen Blick auf die Flammen in der Ferne. »Nur hatten wir nicht erwartet, dass unsere Sprengsätze ein solch gewaltiges Feuer auslösen würden.«
»Wirklich, sehr beeindruckend«, meinte der Fremde gelassen. »Nun, ich kann für meine Fehleinschätzung nur mir selbst die Schuld geben. Im Dorf kursierten zwar Gerüchte, dass oben auf der Burg eine Art Mädcheninternat eingerichtet worden wäre, aber ich hielt das nur für eine erfundene Geschichte, die verbreitet worden war, um zu verschleiern, was dort tatsächlich vor sich ging.«
Er gab Edwina und Phoebe die Zügel ihrer Pferde zurück.
Concordia war sich seiner Nähe sehr deutlich bewusst. Er hockte dicht hinter ihr im Sattel und das auf eine Art, die man nur als höchst intim bezeichnen konnte. Die unmittelbare Gefahr war überstanden. Es wurde Zeit, wieder die Kontrolle zu übernehmen.
»Wir stehen zwar in Eurer Schuld, Sir, weil Ihr uns geholfen habt, aber ich muss darauf bestehen, dass Ihr uns mitteilt, wer Ihr seid!«
»Mein Name ist Ambrose Wells.«
»Ich brauche mehr als nur einen Namen, Mr. Wells«, erwiderte sie entschieden.
Er blickte noch immer zu dem Feuer hinüber. »Ich bin der Mann, dessen sorgfältig ausgearbeitete Pläne Ihr und Eure Schülerinnen soeben gründlich durcheinander gewirbelt habt.«
»Erklärt Euch, Sir.«
»Wärt Ihr vielleicht zunächst einmal bereit, mir Euren Namen und die der jungen Damen zu nennen? Ich glaube, ich habe eine angemessene Vorstellung verdient, nach dem, was wir soeben durchgemacht haben.«
Concordias Wangen wurden heiß, als er ihr höflich zu verstehen gab, dass sie sich ziemlich unhöflich verhalten hatte. Dieser Mister Ambrose Wells hat sich außerordentlich hilfreich gezeigt, rief sie sich ins Gedächtnis. Das konnte sie ihm zumindest mit einem Mindestmaß an Höflichkeit entgelten.
»Ja, selbstverständlich«, erwiderte sie in gemäßigterem Ton. »Ich bin Concordia Glade. Ich wurde engagiert, um diese jungen Damen zu unterrichten, Edwina und Theodora Cooper, Hannah Radburn und Phoebe Leyland.« »Ladys.« Ambrose neigte galant den Kopf.
Die Mädchen murmelten höfliche Erwiderungen. Gute Manieren, die man in jungen Jahren erlernt hat, vergisst man nicht so schnell, nicht einmal in einer Krise, dachte Concordia.
»Darf ich jetzt fragen, warum Ihr uns bei unserer Flucht erfreulicherweise so passend zur Hand gehen konntet?«, fuhr Concordia fort.
Er zog die Zügel an und lenkte Blotchys Kopf von der brennenden Burg weg, bevor er das Pferd antrieb.
»Die Antwort auf Eure Frage ist ein wenig komplex, Miss Glade. Ich glaube, wir stellen sie besser zurück, bis wir uns in angenehmeren Umständen eingerichtet haben. Eure Schülerinnen sind zweifellos unerschrockene junge Damen, aber ich gehe davon aus, dass sie für einen Tag genug Aufregungen erlebt haben. Sie werden bald erschöpft sein. Ich schlage vor, dass wir uns für den Rest der Nacht eine Unterkunft suchen.«
»Haltet Ihr es denn für sicher, in einer Herberge abzusteigen?«, erkundigte sich Concordia.
»Ja.«
Sie runzelte die Stirn. »Nehmt es mir nicht übel, aber ich stimme in dieser Frage nicht mit Euch überein, Sir. Mein Plan sah vor, bis zum Morgengrauen so weit zu reiten wie möglich und mich dabei von den Hauptstraßen fern zu halten. Ich hatte beabsichtigt, an irgendeinem verborgenen Ort zu halten, vielleicht einem kleinen Wäldchen, dort zu rasten und die Speisen zu verzehren, die wir mitgenommen haben.«
»Das habt Ihr geplant? Für meine Ohren hört sich das außerordentlich ungemütlich an. Ich persönlich halte ein Bett und eine Mahlzeit in einer Herberge für weit erfreulicher.«
Es war klar ersichtlich, dass Ambrose Wells kein Mann war, der Befehle oder auch nur Anweisungen von jemand anderem einfach so annahm.
»Ihr scheint das volle Ausmaß der Gefahr nicht zu begreifen, Mr. Wells. Ich fürchte, dass diese beiden Männer aus London uns verfolgen werden, sobald sie wieder bei Sinnen sind.«
»Seid versichert, dass keiner dieser beiden Schurken irgendeine Suche mehr beginnen wird, weder heute Nacht noch in Zukunft.«
Bei seinem kalten, etwas zu sachlichen Tonfall überlief es Concordia kalt vor Furcht.
»Seid Ihr Euch dessen … gewiss, Sir?«, fragte sie beklommen.
»Ja, Miss Glade, ich bin mir sicher. Der eine ist tot. Und wenn der andere aufwacht, dürfte er eine geraume Weile benommen und orientierungslos sein.« Er nahm die Zügel auf, und Blotchy fiel gehorsam in einen leichten Trab. »Ich nehme an, Ihr habt den Mann gefällt, den ich auf dem Boden neben den alten Lagerschuppen gefunden habe?«
Sie schluckte schwer. »Ihr habt ihn gesehen?«
»Ja.«
»Und er war …?«
»Ja.«
Sie umklammerte ihre Tasche unwillkürlich fester. »Ich habe so etwas noch nie getan.«
»Ihr habt getan, was die Notwendigkeit gebot, Miss Glade.«
Ihr zweiter Schlag mit der Laterne musste Rimpton tatsächlich getötet haben. Es fröstelte sie, und sie fühlte sich ein bisschen elend.
Dann fiel ihr etwas anderes ein, und sie schluckte erneut schwer. »Dann werde ich jetzt bald wegen Mordes gesucht werden.«
»Beruhigt Euch, Miss Glade. Wenn die örtlichen Behörden dieses Desaster auf der Burg geklärt haben, vorausgesetzt, es gelingt ihnen überhaupt, wird der Tod dieses Mannes einem Unfall zugeschrieben werden, der ihm widerfuhr, als er versuchte, das Feuer zu bekämpfen und den Flammen zu entkommen.«
»Wie könnt Ihr Euch dessen so sicher sein?« Sie drehte ihren Kopf herum und schaute ihn an.
Das Mondlicht war hell genug, so dass sie den sarkastischen Ausdruck auf seinen Lippen erkennen konnte. »Ich versichere Euch, Miss Glade, es wird niemand auch nur die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine Frau, die ihren Lebensunterhalt als Erzieherin junger Damen verdient, auch nur im Entferntesten in der Lage sein könnte, sich eines hartgesottenen Verbrechers zu erwehren, der darüber hinaus auch noch bewaffnet war.«
»Und was ist mit dem Mann, den Ihr niedergeschlagen habt? Wird er nicht alles verraten, was passiert ist?«
»Wenn er wieder zu Bewusstsein kommt, wird er sich wahrscheinlich an keines der Geschehnisse erinnern, die sich kurz vor dem Augenblick ereigneten, in dem er bewusstlos geschlagen wurde.«
Concordia umklammerte ihre Tasche wie einen Rettungsanker. »Mir will scheinen, Sir, dass Ihr sehr genau über die Vorkommnisse heute Nacht auf der Burg informiert seid.«
»Das stimmt, Miss Glade. Ganz offensichtlich bleibt im Moment wohl keinem von uns beiden etwas anderes übrig, als dem anderen zu vertrauen.«
Kurz nach ein Uhr morgens fand sich Ambrose endlich allein mit Concordia in dem Gastraum der Herberge. Die Flammen des Feuers, das der Gastwirt für seine späten Gäste wieder angefacht hatte, warfen einen sanften Glanz über die Möbel, deren Gebrauchsspuren von der Nutzung durch Generationen von Reisenden kündeten.
Sofort nach ihrer Ankunft war den erschöpften Schülerinnen kaltes Fleisch mit Kartoffelscheiben von der Frau des Gastwirtes serviert worden, und anschließend hatte Concordia sie in ihre Betten gescheucht. Die Besitzer der Herberge hatten kurz darauf die Türen zum zweiten Mal an diesem Abend verschlossen und sich in ihre eigenen Schlafgemächer zurückgezogen.
Ambrose schenkte einen Schluck vom Sherry des Gastwirtes in ein Glas und reichte es Concordia.
Sie runzelte die Stirn. »Ich möchte wirklich nicht …«
»Trinkt das«, bat er sie ruhig. »Dann könnt Ihr besser schlafen.«
»Glaubt Ihr?« Sie nahm das Glas entgegen und nippte zögernd daran. »Danke.«
Ambrose nickte. Sie ist mir gegenüber immer noch zutiefst argwöhnisch, dachte er, und ich kann ihr das auch kaum verdenken. Er hatte selbst einige Fragen an sie über ihre Rolle bei diesen nächtlichen Ereignissen auf der Burg.
Er trat an den Kamin, stützte einen Arm auf den Sims und betrachtete seine Gefährtin einen Moment nachdenklich.
Das Licht des Kaminfeuers spielte auf ihren glänzenden braunen Locken und ließ den Goldrand ihrer Brille glänzen. Sie muss Mitte zwanzig sein, sagte er sich. Ihrem Gesicht mangelte es an den klassischen Merkmalen, die gemeinhin mit weiblicher Schönheit gleichgesetzt wurden, aber er fand sie dennoch recht anziehend. Ihre rauchgrauen Augen waren zutiefst faszinierend. In ihrem Blick erkannte er die hart erlernte Vorsicht einer weit älteren und erfahreneren Frau.
Unter ihrem eng anliegenden Mieder zeichneten sich ein kleiner, eleganter Busen ab sowie die Kurve einer Taille, die nicht ganz so schmal war, wie die Mode es vorschrieb. Die erzwungene Intimität ihres Rittes, die daraus resultierte, dass er dicht hinter ihr im Sattel gesessen hatte, hatte ihn spüren lassen, dass diese Dame außerdem ein sehr charmant geformtes Gesäß besaß.
Ambrose war noch nie ein überzeugter Anhänger der aktuellen Mode gewesen. Concordias Proportionen entsprachen vielleicht nicht jenen, die in den Modemagazinen und Journalen abgezeichnet waren, ihm jedoch gefielen sie ganz ausgezeichnet.
Ihre Haltung kündete von Stolz und Anmut, und sie strahlte eine Intelligenz und innere Stärke aus, hinter denen er einen robusten, unbeugsamen Geist erkannte, den keine Kosmetika herausbilden konnten. Selbst jetzt, als sie zweifellos erschöpft vor ihm saß, schimmerte eine unbezähmbare Energie und Entschlossenheit in ihr, die er nur bewundern konnte.
Nein, verbesserte er sich. Ich bewundere sie nicht, ich begehre sie. Genau dieses Gefühl löste sie in ihm aus. Es war ihm zwar höchst unwillkommen, aber es wäre sinnlos gewesen, diese Tatsache zu verleugnen.
Ambrose war sich natürlich bewusst, dass ein Teil seiner Reaktion rein physische Ursachen hatte. Man konnte sie den bekannten Nachwirkungen gemeinsam überstandener Gefahr und diesen zwei Stunden zuschreiben, die sie hintereinander auf einem Pferd zugebracht hatten. Darüber hinaus gab Concordia Glade ihm Rätsel auf. Schon aufgrund seines Wesens und seiner Ausbildung fühlte er sich getrieben, hinter jede Fassade zu blicken und nach Antworten zu suchen.
Dennoch, keiner dieser vollkommen logischen Gründe konnte die merkwürdige Faszination gänzlich erklären, die diese Frau auf ihn ausübte.
Er beobachtete, wie Concordia noch einen Schluck Sherry trank. Das Glas zitterte unmerklich in ihren Fingern. Die Anspannung, die Gefahr und die Auswirkungen der Furcht forderten allmählich ihren Tribut. Ambrose vermutete, dass ihr das Schlimmste noch bevorstand. Und zwar würde das in dem Moment einsetzen, in dem ihr klar wurde, dass sie einem Mann den Schädel eingeschlagen und ihn so getötet hatte.
Solch erschütternde Erkenntnisse setzten einem vor allem des Nachts zu, das hatte er am eigenen Leib erfahren. Düstere Gedanken gediehen am besten in der Dunkelheit. Wenn er sich auch nur im Geringsten nach seinen eigenen Erfahrungen mit Gewalt richten konnte, war es so gut wie sicher, dass Concordia vermutlich ab jetzt des Nachts häufiger schweißgebadet aufwachen würde, und zwar nicht nur in den nächsten Tagen, sondern noch in Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren.
Das Wissen, dass sie diese Tat nur begangen hatte, um ihre Schülerinnen zu retten, würde nur wenig dazu beitragen, ihre Albträume zu besänftigen. Seine Ausbildung hatte ihn gelehrt, die gefährliche Alchemie der Gewalt zu fürchten. Sie verlieh demjenigen, der sich ihrer bediente, große Macht, doch sie forderte einen ebenso hohen Preis.
»Wenn Ihr es vorzieht, können wir dieses Gespräch morgen früh fortsetzen, nachdem Ihr geruht habt.« Sein spontaner Vorschlag überraschte ihn. Eigentlich wollte er Antworten, und zwar möglichst sofort, nicht erst morgen. Heute war so viel schief gegangen. All seine sorgfältig geschmiedeten Pläne waren, im wahrsten Sinne des Wortes, in Rauch aufgegangen. Er musste so schnell wie möglich einen neuen Plan ersinnen.
Doch er brachte es nicht über sich, Concordia in dieser Nacht noch weiter zu bedrängen.
»Nein.« Sie ließ das Sherryglas sinken und schaute ihn entschlossen an. »Ich glaube, es wäre das Beste, wenn wir uns gegenseitig unsere Fragen beantworten. Zunächst einmal möchte ich wissen, wie und warum Ihr heute Abend zu der Burg gekommen seid. Was hattet Ihr dort vor?«
»Ich habe das Kommen und Gehen auf der Burg fast vierundzwanzig Stunden lang von einem verlassenen Gehöft aus beobachtet. Ich habe auf die Ankunft eines bestimmten Mannes gewartet. Mein Informant hatte mir gesagt, dass er bald erwartet würde. Morgen oder spätestens übermorgen. Angesichts der Ereignisse dieses Abends jedoch halte ich es für ziemlich sicher, dass er nicht mehr auftauchen wird.« »Und wie heißt dieser Mann?«
»Alexander Larkin.« Er beobachtete sie scharf, um festzustellen, ob dieser Name ihr etwas sagte.