Verführung - Amanda Quick - E-Book

Verführung E-Book

Amanda Quick

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Beschreibung

Sie will die neue Lady Ravenwood werden, doch dazu muss sie sich erst einen Weg in das Herz des geheimnisvollen Earls bahnen …

England, 19. Jahrhundert: Julian, der Earl von Ravenwood, ist bekannt für sein unberechenbares Temperament, aber auch für seinen mysteriösen dunklen Zauber, mit dem er schon so manche Frau ins Unglück gestürzt hat. Die junge Sophy Dorring weiß, worauf sie sich einläßt, als sie beschließt, die neue Lady Ravenwood zu werden. Doch sie hat sich eines in den Kopf gesetzt: Sie will die Liebe und die Leidenschaft wecken, die unter Julians grausamer Schale schlummern …

Leidenschaftlich, atmosphärisch und spannend bis zur letzten Seite – perfekter Schmökerstoff für alle Fans der Erfolgsserie »Bridgerton«!

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Seitenzahl: 542

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Buch

England, 19. Jahrhundert: Julian, der Earl von Ravenwood, ist bekannt für sein unberechenbares Temperament, aber auch für seinen mysteriösen dunklen Zauber, mit dem er schon so manche Frau ins Unglück gestürzt hat. Die junge Sophy Dorring weiß, worauf sie sich einläßt, als sie beschließt, die neue Lady Ravenwood zu werden. Doch sie hat sich eines in den Kopf gesetzt: Sie will die Liebe und die Leidenschaft wecken, die unter Julians grausamer Schale schlummern …

Autorin

Amanda Quick ist das Pseudonym der erfolgreichen, vielfach preisgekrönten Autorin Jayne Ann Krentz. Krentz hat Geschichte und Literaturwissenschaften studiert und lange als Bibliothekarin gearbeitet, bevor sie ihr Talent zum Schreiben entdeckte. Sie ist verheiratet und lebt in Seattle.

Von Amanda Quick bereits erschienen (Auswahl)

Süßer Betrug · Geheimnis der Nacht · Liebe um Mitternacht · Verführung im Mondlicht · Verzaubertes Verlangen · Riskante Nächte · Dieb meines Herzens · Süßes Gift der Liebe · Glut der Herzen · Ungezähmte Leidenschaft · Gefährliche Küsse · Zärtliche Teufelin · Geliebte Rebellin · Liebe Ohne Skrupel · Verführung · Verlangen · Verruchte Lady

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Amanda Quick

Verführung

Roman

Deutsch von Dinka Mrkowatschki

Die Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Seduction« bei bei Bantam Books, a division of Bantam Doubleday Dell Publishing Group, Inc, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright dieser Ausgabe © 2021 by Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © der Originalausgabe 1992 by Jane A. Krentz

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 by Goldmann Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.deunter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © rvika; stock.adobe.com: © VJ Dunraven, © FPWing

DK · Herstellung: at

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN978-3-641-29124-2V001

www.blanvalet.de

Eins

Julian Richard Sinclair Earl von Ravenwood traute seinen Ohren nicht. Soeben war sein offizieller Heiratsantrag abgelehnt worden. Das war doch wirklich unfassbar. Was bildete sich diese Lady überhaupt ein, fragte er sich wutentbrannt. Leider konnte er ihr diese Frage nicht selbst stellen. Die Lady hatte es vorgezogen, nicht zu erscheinen, und es ihrem sehr verlegenen Großvater überlassen, Julians großzügiges Angebot abzulehnen.

»Hol’s der Teufel, Ravenwood, mir gefällt das genauso wenig wie Euch. Die Sache ist, das Mädchen ist leider kein Kind mehr«, erklärte ihm Lord Dorring niedergeschlagen. »War mal ein ganz liebes Ding. Immer brav. Aber jetzt ist sie dreiundzwanzig, und im Lauf der letzten Jahre ist sie ziemlich eigensinnig geworden. Verflixt lästig manchmal, aber so ist es nun mal. Kann sie nicht mehr einfach rumkommandieren.«

»Ich weiß sehr wohl, wie alt sie ist«, sagte Julian trocken. »Ich war der Annahme, dass sie gerade deshalb ein vernünftiges gefügiges weibliches Wesen wäre.«

»Oh, das ist sie auch«, stammelte Lord Dorring. »Auf jeden Fall. Wollte nichts Gegenteiliges andeuten. Sie ist keine alberne junge Gans, kriegt auch keine hysterischen Anfälle oder so was.« Sein ohnehin recht rotes Gesicht mit den dicken Koteletten wurde vor Verlegenheit noch röter. »Normalerweise ist sie sehr umgänglich. Sehr gutmütig. Ein Ausbund weiblicher Demut und Grazie.«

»Weibliche Demut und Grazie, soso«, wiederholte Julian langsam.

Lord Dorring war sichtlich erleichtert. »Genau, Mylord. Weibliche Demut und Grazie. Eine große Stütze ihrer Großmutter seit dem Tod unseres jüngsten Sohnes und seiner Frau vor ein paar Jahren. Sophys Eltern sind auf See verschollen, seit dem Jahr, in dem sie siebzehn wurde, müsst Ihr wissen. Sie und ihre Schwester sind dann zu uns gezogen. Ihr erinnert Euch sicher noch.« Lord Dorring räusperte sich. »Oder vielleicht doch nicht. Ihr wart zu der Zeit mit … äh, anderen Dingen beschäftigt.«

Die anderen Dinge waren eine recht höfliche Umschreibung dafür, dass er damals hilflos im Netz einer schönen Hexe namens Elizabeth zappelte, dachte Julian. »Wenn Eure Enkelin tatsächlich ein solcher Ausbund aller erstrebenswerter Tugenden ist, Dorring, wieso habt Ihr dann Probleme, sie zu überreden, meinen Antrag anzunehmen?«

»Die Schuld trifft mich allein, das behauptet zumindest ihre Großmutter.« Lord Dorring zog traurig seine buschigen Augenbrauen zusammen. »Ich fürchte, ich habe ihr gestattet, sehr viel zu lesen. Und, wie man mir sagt, lauter falsche Sachen. Aber Sophy lässt sich nicht so einfach vorschreiben, was sie lesen soll, wisst Ihr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Mann das zuwege bringt. Noch etwas Wein, Ravenwood?«

»Danke. Ich glaube, ich könnte noch ein Glas vertragen.« Julian warf einen Blick auf seinen puterroten Gastgeber und zwang sich, ruhig zu bleiben. »Ich muss gestehen, ich begreife nicht ganz, Dorring. Was haben denn Sophys Lesegewohnheiten mit dieser Sache zu tun?«

»Ich fürchte, ich hab mich nicht immer darum gekümmert, was sie liest«, murmelte Lord Dorring und kippte seinen Wein hinunter. »Junge Frauen kriegen den Kopf voller Flausen, wenn man nicht aufpasst, was sie lesen. Aber nach dem Tod ihrer Schwester vor drei Jahren, wollte ich mit Sophy nicht allzu streng sein. Ihre Großmutter und ich haben sie recht gern. Sie ist wirklich ein vernünftiges Mädel. Weiß nicht, wie sie dazu kommt, Euch abzulehnen. Bin mir sicher, sie würde ihre Meinung ändern, wenn sie ein bisschen mehr Zeit hätte.«

»Zeit?« Ravenwood hatte größte Mühe, nicht allzu sarkastisch zu klingen.

»Ihr müsst zugeben, Ihr habt die Sache etwas überstürzt. Sogar meine Frau sagt das. Hier draußen auf dem Land gehen wir solche Sachen langsamer an. Die Stadtsitten sind uns fremd, wisst Ihr. Und Frauen, sogar vernünftige Frauen, haben diese romantischen Vorstellungen, wie ein Mann so etwas machen sollte.« Lord Dorring warf seinem Gast einen hoffnungsvollen Blick zu. »Wenn Ihr ihr vielleicht noch ein paar Tage Bedenkzeit gebt, damit sie sich Euren Antrag überlegen kann?«

»Ich möchte persönlich mit Miss Dorring sprechen«, sagte Julian.

»Dachte, ich hätte Euch das erklärt. Geht im Augenblick nicht. Ist beim Reiten. Besucht mittwochs immer Old Bess.«

»Das ist mir bekannt. Sie wurde unterrichtet, dass ich um drei Uhr vorsprechen würde, nehme ich doch an.«

Lord Dorring räusperte sich erneut. »Ich, äh, habe es, glaub ich, erwähnt. Hat es sicher vergessen. Ihr wisst doch, wie junge Frauen so sind.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Sollte um halb fünf zurück sein.«

»Leider kann ich nicht warten.« Julian stellte sein Glas ab und erhob sich. »Ihr dürft Eurer Enkelin mitteilen, dass ich kein geduldiger Mann bin. Ich hatte gehofft, diese Heiratsgeschichte heute regeln zu können.«

»Ich glaube, sie betrachtet sie als geregelt, Mylord«, sagte Lord Dorring traurig.

»Ich werde morgen um dieselbe Zeit noch einmal vorsprechen. Und ich wäre Euch sehr dankbar, Dorring, wenn Ihr die Güte hättet, sie an ihre Verabredung zu erinnern. Ich habe vor, sie unter vier Augen zu sprechen, bevor die Sache endgültig entschieden ist.«

»Selbstverständlich, aber natürlich, Ravenwood. Aber ich muss Euch darauf hinweisen, dass es immer schwer ist, im Voraus zu wissen, wo Sophy gerade sein wird. Wie ich schon sagte, sie ist manchmal ein bisschen eigensinnig.«

»Dann erwarte ich, dass Ihr Euren Willen auch einmal durchsetzt. Sie ist Eure Enkelin. Wenn sie die Kandare braucht, dann gebt sie ihr in Gottes Namen.«

»Gütiger Gott«, stöhnte Dorring. »Wenn das nur immer so einfach wäre.«

Julian schritt durch die Tür der kleinen, schäbigen Bibliothek hinaus in den schmalen, dunklen Gang. Der Butler, dessen Uniform genau in die Atmosphäre verblichenen Glanzes des alten Herrenhauses passte, reichte ihm seinen Zylinder und seine Handschuhe.

Julian verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und drängte sich an dem in Ehren ergrauten Faktotum vorbei. Die Absätze seiner glänzenden Stiefel dröhnten auf dem Steinboden. Er bereute bereits die Zeit, die er damit vergeudet hatte, sich für diesen unproduktiven Besuch förmlich zu kleiden.

Sogar eine seiner Kutschen hatte er zu dieser Gelegenheit vorfahren lassen. Er hätte genauso gut nach Chesley Court reiten können, anstatt sich die Mühe zu machen, dem Besuch offiziellen Charakter zu geben. Zu Pferd hätte er wenigstens auf dem Heimweg noch bei einigen seiner Pächter vorbeischauen und ein paar geschäftliche Dinge erledigen können. So wäre zumindest nicht der ganze Nachmittag vergeudet gewesen.

»Zum Abbey«, befahl er, als ihm der Kutschenschlag geöffnet wurde. Der Kutscher in seiner grün-goldenen Ravenwood-Livree tippte sich kurz an den Hut.

Kaum war die Tür geschlossen, jagten die herrlichen beiden Grauschimmel auf einen kleinen Peitschenschnalzer los. Der Kutscher kannte seinen Herrn nur zu gut. Der Earl von Ravenwood war heute Nachmittag nicht in der Stimmung für eine gemächliche Fahrt über die Landstraßen.

Julian lehnte sich in die Kissen zurück, streckte seine langen Beine aus, verschränkte die Arme und versuchte, seine Ungeduld zu zähmen. Keine leichte Aufgabe.

Er hatte nicht im Traum daran gedacht, dass sein Heiratsantrag abgelehnt werden könnte. Ein besseres Angebot würde Miss Sophy Dorring nie im Leben kriegen, und alle Beteiligten wussten das. Ihre Großeltern waren sich dieser Tatsache sicher nur allzu bewusst.

Lord Dorring und seine Frau waren fast in Ohnmacht gefallen, als Julian vor ein paar Tagen um die Hand ihrer Enkelin angehalten hatte. In ihren Augen war Sophy bereits viel zu alt, um noch auf eine so gute Partie hoffen zu können. Julians Antrag war ein Geschenk des Himmels.

Julians Mund verzog sich zu einem sarkastischen Grinsen bei dem Gedanken an die Szene, die es sicher gegeben hatte, als Sophy ihren Großeltern mitteilte, dass sie an der Heirat nicht interessiert wäre. Lord Dorring war sicher wie immer ratlos, und seine Gemahlin hatte bestimmt einen Schwächeanfall erlitten. Die Enkelin mit den bedauernswerten Lesegewohnheiten war mühelos als Siegerin aus diesem Scharmützel hervorgegangen.

Die eigentliche Frage war aber, warum die alberne Gans überhaupt so darauf erpicht war, die Schlacht zu gewinnen. Von Rechts wegen hätte sie Julians Angebot in Freudentaumel versetzen sollen. Er war schließlich und endlich bereit, sie zur Gräfin von Ravenwood von Ravenwood Abbey zu machen. Ein dreiundzwanzig Jahre altes Fräulein von bestenfalls passablem Aussehen, das auf dem Land aufgewachsen war, konnte sich, weiß Gott, keine bessere Partie erhoffen. Julian fragte sich kurz, was für Bücher Sophy wohl gelesen hatte, schob den Gedanken aber rasch wieder beiseite, ihre Bücherwahl war sicher nicht das Problem.

Das Problem war wohl eher der Hang ihres Großvaters, sein verwaistes Enkelkind zu verwöhnen. Frauen waren sehr geschickt, wenn es um das Ausnutzen schwacher Männer ging.

Möglicherweise spielte auch ihr Alter eine Rolle. Anfangs hatte Julian ihr Alter als Vorteil betrachtet. Er hatte bereits eine junge, unbezähmbare Ehefrau hinter sich, und eine war in der Tat genug. Er hatte genug Szenen, Wutanfälle und hysterische Ausbrüche von Elizabeth erlebt, sie reichten für ein ganzes Leben. Er hatte geglaubt, eine ältere Frau wäre vernünftiger und weniger anspruchsvoll, schlicht gesagt, einfach dankbarer.

Das Mädchen hatte natürlich hier auf dem Land keine allzu großen Chancen gehabt, ermahnte sich Julian. In der Stadt wäre die Auswahl aber auch nicht wesentlich größer für sie. Sie war ganz bestimmt nicht der Typ, der die Aufmerksamkeit der übersättigten Herren des Ton erregen würde. Solche Männer betrachteten sich als Connaisseurs weiblicher Schönheit, genau wie sie sich als Experten für Pferde betrachteten, keiner würde Sophy auch nur zweimal ansehen.

Nachdem sie weder eine rassige Dunkelhaarige noch eine engelsgleiche Blondine war, entsprach sie kaum der gängigen Mode. Sie hatte hübsche hellbraune Locken, die aber offensichtlich nicht zu bändigen waren. Ständig hingen ihr Strähnen aus dem Hut oder lösten sich aus einer mühsam arrangierten Frisur.

Sie war wirklich keine griechische Göttin, wie sie in London gerade der letzte Schrei waren. Doch Julian musste zugeben, dass ihre leichte Stupsnase, das sanft gerundete Kinn und ihr herzliches Lächeln ganz niedlich waren. Es wäre sicher keine allzu große Strapaze, sie oft genug zu besteigen, um einen Erben zu zeugen.

Und, zugegeben, Sophy hatte wirklich sehr schöne Augen. Sie waren ganz ungewöhnlich türkis, mit kleinen goldenen Flecken. Außerdem war es recht interessant und auch befriedigend, dass die Besitzerin offensichtlich keine Ahnung hatte, welche Wirkung sie beim Flirten erzielen konnten.

Anstatt vorsichtig durch die Wimpern nach einem Mann zu lugen, hatte Sophy die beunruhigende Angewohnheit, ihn direkt anzusehen. Ihr Blick war so offen und aufrichtig, dass Julian überzeugt war, Sophy hätte die größten Schwierigkeiten mit der eleganten Kunst des Lügens. Auch das gefiel ihm. Es hatte ihn fast zum Wahnsinn getrieben, die Handvoll Wahrheiten herauszupicken, die sich in Elizabeths Lügengespinsten verbargen.

Sophy war schlank, nur leider betonte die gängige Mode mit hoher Taille ihre doch sehr kleinen Brüste. Aber sie hatte so etwas Lebendiges, Gesundes, was Julian sehr anziehend fand. Er wollte keine kränkelnde Frau, die hatten immer Schwierigkeiten im Kindbett.

Doch dann wurde Julian klar, dass er bei der geistigen Bestandsaufnahme der körperlichen Vorzüge seiner Frau offensichtlich gewisse Aspekte ihrer Persönlichkeit nicht in Betracht gezogen hatte. Er hätte sich nie träumen lassen, dass sich hinter dieser lieben, sittsamen Fassade Eigensinn und Stolz verbargen.

Sophys Stolz war es wohl gewesen, der ihr nicht erlaubte, angemessene Dankbarkeit zu zeigen. Und ihr Eigensinn war wesentlich ausgeprägter als vermutet. Ihre Großeltern waren offenbar sehr beschämt über den unerwarteten Widerstand ihrer Enkelin, aber völlig machtlos dagegen. Wenn einer die Situation retten konnte, dann nur er, so viel war Julian klar.

Seine Entscheidung fiel, als die Kutsche vor dem imposanten Eingang zu Ravenwood Abbey mit den beiden geschwungenen Treppen hielt. Er stieg aus, schritt die steinerne Treppe hinauf und erteilte gelassen einige Befehle, sobald sich die Tür geöffnet hatte.

»Schick eine Nachricht in den Stall, Jessup. Der Rappe muss in zwanzig Minuten gesattelt bereitstehen.«

»Sehr wohl, Mylord.«

Der Butler gab den Befehl an einen Lakaien weiter, und Julian überquerte rasch den schwarz-weiß gekachelten Marmorboden der Halle und stieg die mächtige, mit rotem Teppich belegte Treppe hinauf.

Julian registrierte die prachtvolle Umgebung kaum. Er war zwar hier aufgewachsen, aber seit den Anfängen seiner Ehe mit Elizabeth interessierte ihn Ravenwood Abbey kaum mehr. Einst hatte er für das Haus denselben Besitzerstolz empfunden wie für die fruchtbaren Ländereien, die es umgaben, aber jetzt widerte ihn das Haus seiner Ahnen mehr oder minder an. Jedes Mal, wenn er ein Zimmer betrat, fragte er sich, ob sie ihm wohl auch in diesem Raum Hörner aufgesetzt hatte.

Das Land war natürlich eine andere Geschichte. Keine Frau konnte die guten, reichen Felder von Ravenwood oder seiner anderen Besitzungen besudeln. Auf das Land konnte sich ein Mann verlassen. Wenn er es hegte und pflegte, wurde ihm das reich gedankt. Und um diese Ländereien für die zukünftigen Grafen von Ravenwood zu erhalten, war Julian bereit, das größte aller Opfer zu bringen: Er würde noch einmal heiraten.

Er hoffte, dass die Anwesenheit einer neuen Frau den Geist Elizabeths endgültig aus dem Abbey vertreiben würde und ganz besonders aus dem bedrückend luxuriösen, exotisch sinnlichen Schlafzimmer, das sie sich hatte einrichten lassen. Julian hasste dieses Zimmer. Er hatte es seit Elizabeths Tod nicht mehr betreten.

Eins war jedenfalls gewiss, sagte er sich, als er die Treppe hochstieg, er würde nicht mehr dieselben Fehler bei einer neuen Braut machen wie bei der ersten. Nie wieder würde er die Rolle der Fliege im Netz der Spinne spielen.

Fünfzehn Minuten später kam Julian im Reitdress wieder die Treppe herunter. Wie nicht anders erwartet, stand Angel, der schwarze Hengst, bereits gesattelt vor der Tür. Jedes Mitglied des Haushalts war darauf bedacht, alles zu tun, um nicht den Zorn des Satans auf sich zu ziehen. Julian lief rasch die Treppe hinunter und schwang sich in den Sattel.

Der Stallknecht sprang zurück, als der Rappe seinen Kopf hochwarf und zu tänzeln begann. Mächtige Muskeln bauschten sich unter dem glänzenden Fell, aber Julian trieb ihm die Flausen in kurzer Zeit mit strenger Hand aus. Dann gab er ihm das Signal, und das Tier galoppierte los.

Es würde sicher kein Problem sein, Miss Sophy Dorring auf dem Heimweg nach Chesley Court abzufangen, dachte Julian. Er kannte jeden Zentimeter seiner Ländereien und wusste genau, wo sie eine Abkürzung über sein Land nehmen würde.

»Irgendwann wird er sich auf dem Gaul noch umbringen«, sagte der Lakai zum Pferdeknecht, seinem Cousin.

Der Knecht spuckte auf das Pflaster. »Auf einem Pferd wird seine Lordschaft sicher nicht sterben. Der reitet doch wie der Leibhaftige selbst. Wie lange wird er denn diesmal hierbleiben?«

»In der Küche wird erzählt, dass er sich wieder eine Braut suchen will. Hat ein Auge auf Lord Dorrings Enkelin geworfen. Seine Lordschaft will diesmal ein braves kleines Fräulein vom Land. Eine, die ihm keinen Ärger macht.«

»Kann ich ihm nicht verdenken, mir würd’s nach so einem Teufelsweib auch nicht anders gehen.«

»Maggie aus der Küche sagt, seine erste Frau war die Hexe, die ihn in einen Satan verwandelt hat.«

»Da muss ich Maggie recht geben. Aber diese Miss Dorring tut mir leid. Sie ist eine gute Seele. Weißt du noch, wie sie letzten Winter mit Kräutern gekommen ist, als Maden schlimmen Husten hatte? Ma schwört, dass ihr Miss Dorring das Leben gerettet hat.«

»Na ja, die Miss Dorring kriegt dafür aber auch einen Grafen«, meinte der Lakai.

»Das kann ja sein, aber das Privileg, des Satans Braut zu sein, wird sie teuer zu stehen kommen.«

Sophy saß auf der hölzernen Bank vor Old Bess’ Hütte und wickelte behutsam das letzte Büschel getrockneten Bockshornklees in ein kleines Päckchen. Sie steckte es zu dem kleinen Bündel Kräuter, die sie sich gerade ausgesucht hatte. Ihre Vorräte an so wichtigen Dingen wie Knoblauch, Distel, Nachtschatten und Mohn waren zur Neige gegangen.

»Das müsste die nächsten paar Monate reichen, Bess«, sagte sie, klopfte sich die Hände ab und erhob sich. Den Grasfleck auf ihrem alten blauen Reitkleid ignorierte sie einfach.

»Sei vorsichtig, wenn du den Mohntee für Lady Dorrings Rheuma kochst«, warnte Bess sie. »Der Mohn ist heuer sehr kräftig.«

Sophy nickte der verhutzelten alten Frau zu, die ihr so viel beigebracht hatte. »Ich werde meine Dosierung verringern. Wie geht’s dir denn so? Brauchst du irgendetwas?«

»Nichts, mein Kind, ich brauche nichts.« Bess ließ zufrieden den Blick über ihre alte Kate und ihren Kräutergarten schweifen, während sie sich die Hände an ihrer Schürze abwischte. »Ich hab alles, was ich brauch.«

»Wie immer. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, dass du so zufrieden mit dem Leben bist, Bess.«

»Du wirst auch eines Tages Zufriedenheit finden, wenn du wirklich danach strebst.«

Sophys Lächeln verblasste. »Vielleicht. Aber zuerst muss ich noch etwas erledigen.«

Bess’ blasse Augen waren voller Verständnis, aber ihre Miene war traurig. »Ich dachte, du hättest deine Rachegelüste überwunden, Kind. Ich dachte, du hättest sie in die Vergangenheit verbannt, wo sie hingehören.«

»Es hat sich einiges geändert, Bess.« Sophy ging zur Ecke der kleinen reetgedeckten Hütte, dort wartete ihr Wallach. »So, wie’s aussieht, hab ich jetzt eine neue Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.«

»Wenn du ein bisschen gesunden Menschenverstand hättest, würdest du meinen Rat befolgen und es vergessen, Kind. Was geschehen ist, ist geschehen. Deine Schwester, Gott sei ihrer Seele gnädig, ist tot. Du kannst nichts mehr für sie tun. Du solltest anfangen, etwas aus deinem eigenen Leben zu machen.« Bess zeigte grinsend ihre Zahnlücken. »Wie ich höre, bist du dieser Tage mit anderen Geschichten beschäftigt.«

Sophy warf der alten Frau einen scharfen Blick zu, während sie vergeblich versuchte, ihren windschiefen Hut gerade zu rücken. »Du bist wie immer auf dem neuesten Stand, was den Dorfklatsch angeht. Du hast gehört, dass mir der Satan persönlich einen Heiratsantrag gemacht hat?«

»Die Leute, die Lord Ravenwood einen Satan nennen, sind die schlimmsten Klatschmäuler. Mich interessieren nur Fakten. Ist es wahr?«

»Was? Dass der Graf ein enger Verwandter Luzifers ist? Ja, Bess, ich bin mir fast sicher, dass es stimmt. Mir ist in meinem Leben noch kein so arroganter Mensch begegnet wie seine Lordschaft. So stolz kann nur ein Satan sein.«

Bess schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich meine, stimmt es, dass er um dich angehalten hat?«

»Ja.«

»Und? Wann, bitte, wirst du ihm deine Antwort geben?«

Sophy hob resigniert die Schultern, sollte der Hut doch schief sitzen. Hüte machten bei ihr grundsätzlich, was sie wollten. »Großvater gibt ihm heute Nachmittag meine Antwort. Der Graf hat vermelden lassen, dass er um drei Uhr heute vorsprechen wird, um sich die Antwort zu holen.«

Bess blieb abrupt stehen. Graue Locken wippten unter einer gelben Musselinhaube. Sie runzelte erstaunt die faltige Stirn. »Heute Nachmittag? Und du bist hier bei mir und suchst Kräuter aus, als wär’s ein Tag wie jeder andere? Was soll der Unsinn, Kind? Du solltest jetzt in deinem Sonntagsstaat auf Chesley Court sein.«

»Warum? Großvater braucht mich dort nicht. Er kann dem Satan sehr gut allein sagen, dass er zur Hölle fahren soll.«

»Dem Satan sagen, dass er zur Hölle fahren soll! Sophy, Kind, willst du damit sagen, dass du deinem Großvater gesagt hast, er soll den Antrag des Grafen ablehnen?«

Sophy lächelte grimmig, als sie neben ihrem braunen Wallach zum Stehen kam. »Du hast es erfasst, Bess.« Sie stopfte die kleinen Kräuterpäckchen in ihre Satteltaschen.

»Unsinn«, rief Bess. »Ich kann nicht glauben, dass Lord Dorring so wirr im Kopf ist. Er weiß, dass du nie wieder so ein gutes Angebot kriegen wirst, selbst wenn du hundert wirst.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Sophy sarkastisch. »Es kommt natürlich darauf an, was du als gutes Angebot betrachtest.«

Bess kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Kind, machst du das etwa, weil du Angst vor dem Grafen hast? Ich hätte gedacht, du wärst zu vernünftig, um die Geschichten, die sie im Dorf erzählen, zu glauben.«

»Die glaube ich selbstverständlich nicht«, sagte Sophy und schwang sich in den Sattel. »Oder bestenfalls zur Hälfte. Tröstet dich das, Bess?« Sophy ordnete ihre Röcke unter sich. Sie ritt Herrensattel, obwohl es für eine Frau ihrer Position nicht unbedingt als schicklich galt. Aber auf dem Land sahen die Leute das nicht so eng. Außerdem war Sophy überzeugt, dass ihre Keuschheit gewahrt war. Nur ihre kleinen sandfarbenen Stiefeletten lugten unter den Röcken hervor.

Bess packte den Zügel des Pferdes und sah hinauf zu Sophy. »Hör mal, Mädchen. Du glaubst doch nicht etwa diese Geschichte, dass seine Lordschaft seine erste Frau im Ravenwood-Teich ertränkt hat, oder?«

Sophy seufzte. »Nein, Bess, das tu ich nicht.« Es wäre wohl richtiger gewesen zu sagen, sie wollte es nicht glauben.

»Dem Himmel sei Dank, obwohl es dem Mann wahrscheinlich keiner hätte verdenken können, wenn er’s gemacht hätte«, gab Bess zu.

»Da magst du recht haben, Bess.«

»Und was soll dann der Unsinn, dass du den Antrag seiner Lordschaft ablehnst? Der Ausdruck in deinen Augen gefällt mir gar nicht, Kind. Ich kenne ihn, und er verheißt nichts Gutes. Was führst du denn jetzt wieder im Schild?«

»Jetzt? Ich werde natürlich den alten Dancer hier nach Chesley Court zurückreiten, und dann werde ich mich daranmachen, die Kräuter gut zu lagern, die du mir gütigerweise gegeben hast. Großvaters Gicht macht ihm wieder zu schaffen, und mir ist sein Lieblingsdekokt ausgegangen.«

»Sophy, Schatz, willst du den Antrag des Grafen wirklich ablehnen?«

»Nein«, sagte Sophy offen. »Du brauchst also gar nicht so entsetzt dreinzuschauen. Wenn er nicht lockerlässt, wird er mich schon kriegen. Aber dann nur zu meinen Bedingungen.«

Bess’ Augen wurden ganz groß. »Ah, ich glaube, jetzt begreife ich allmählich. Du hast wieder diese Bücher über die Rechte der Frauen gelesen, stimmt’s? Sei kein Narr, Kind. Hör auf den Rat einer alten Frau. Denk ja nicht, du könntest mit Ravenwood deine Spielchen machen. Er lässt sich das nicht bieten. Lord Dorring kannst du vielleicht an der Nase herumführen, aber der Graf ist ein ganz anderer Mann.«

»In diesem Punkt muss ich dir zustimmen, Bess. Der Graf ist tatsächlich ein ganz anderer Mann als Großvater. Aber mach dir bitte keine Sorgen um mich. Ich weiß, was ich tue.« Sophy nahm die Zügel auf und gab Dancer die Sporen.

»Nein, Kind, dessen bin ich mir nicht so sicher«, rief ihr Bess nach. »Den Satan reizt keiner ungestraft!«

»Ich dachte, du hättest gesagt, Ravenwood wäre kein Satan?«, warf ihr Sophy schnippisch über die Schulter zu, als Dancer gemächlich antrabte.

Sie winkte Bess noch einmal zu und verschwand dann in einem Wäldchen. Sie brauchte Dancer den Weg nach Chesley Court nicht zu zeigen. Er war diesen Weg in den letzten Jahren so oft gegangen, dass er die Route über Ravenwood im Schlaf beherrschte.

Sophy ließ Dancer die Zügel und versuchte sich den Aufruhr vorzustellen, der sie garantiert in Chesley Court erwartete.

Ihre Großeltern würden sicher außer sich sein. Lady Dorring hatte sich heute Morgen ins Bett zurückgezogen, bewaffnet mit Riechsalz und diversen Tränklein. Lord Dorring, der gezwungen gewesen war, Ravenwood allein gegenüberzutreten, würde sich inzwischen wohl mit einer Flasche Wein getröstet haben. Die kleine Dienerschaft war sicher auch niedergeschlagen. Eine gute Partie für Sophy wäre in aller Interesse gewesen. Ohne einen respektablen Ehevertrag, der die Schatztruhen der Familie füllen würde, bestand nur wenig Hoffnung auf eine Pension für die älteren Bediensteten.

Von keinem Mitglied ihres Haushalts konnte Sophy Verständnis für ihre strikte Ablehnung des Antrags erhoffen. Nun, mal abgesehen von allen Gerüchten, dem Klatsch und den Schauergeschichten über ihn – der Mann war schließlich und endlich ein Graf, und noch dazu ein sehr mächtiger und reicher. Ihm gehörten fast die gesamten umliegenden Ländereien hier in Hampshire und auch noch zwei kleinere Güter in benachbarten Grafschaften. Außerdem hatte er sehr elegantes Haus in London.

Was die ortsansässigen Leute anging, so verwaltete Ravenwood sein Land sehr gut und war fair zu seinen Pächtern und dem Personal. Hier auf dem Land war das das einzig Wichtige. Diejenigen, die beim Grafen ihren Lebensunterhalt verdienten und darauf achteten, ihm nicht in die Quere zu kommen, hatten ein gutes Leben.

Natürlich hatte Ravenwood seine Fehler, da waren sich alle einig, aber er kümmerte sich um sein Land und um die Leute, die darauf arbeiteten. Möglicherweise hatte er tatsächlich seine Frau umgebracht, aber zumindest hatte er nichts wirklich Ehrenrühriges getan, wie zum Beispiel sein ganzes Erbe in einer Londoner Spielhölle verschleudert.

Die Leute von hier konnten ihm leicht wohlgesinnt sein, dachte Sophy. Sie sollten ihn ja auch nicht heiraten.

Wie immer auf diesem Weg wurde Sophys Blick von den kalten, dunklen Wassern des Sees von Ravenwood angezogen, als er zwischen den Bäumen auftauchte. Kleine Eisschollen trieben auf der Oberfläche des tiefen Wassers. Der Schnee war fast weggeschmolzen, aber die winterliche Kühle schwebte noch in der Luft. Sophy erschauderte, und Dancer reagierte mit einem neugierigen Wiehern.

Sophy beugte sich vor, um dem Pferd beschwichtigend den Hals zu klopfen, aber ihre Hand erstarrte in der Bewegung. Eine eisige Brise raschelte in den Ästen über ihr. Sophy erschauderte wieder, aber diesmal war es nicht von der Kühle des Frühlingsnachmittags. Sie richtete sich im Sattel auf, und jetzt sah sie den Mann, der auf einem pechschwarzen Hengst durch einen Hain kahler Bäume auf sie zugeritten kam. Ihr Herz klopfte schneller, wie immer, wenn Ravenwood in der Nähe war.

Wenn auch mit einiger Verspätung, wurde Sophy jetzt klar, warum sie gerade dieses seltsame Gefühl gehabt hatte. Schließlich und endlich war ein Teil von ihr schon seit ihrem achtzehnten Lebensjahr in diesen Mann verliebt.

Damals hatte man ihr den Grafen von Ravenwood das erste Mal vorgestellt. Er erinnerte sich wahrscheinlich nicht einmal mehr daran. Er hatte nur Augen für seine schöne, faszinierende, hexenhafte Elizabeth gehabt.

Sophy wusste, dass ihre anfänglichen Gefühle für den reichen Grafen von Ravenwood nur die übliche Schwärmerei eines jungen Mädchens für den ersten Mann, der ihre Fantasie beflügelte, war. Diese Schwärmerei war aber nicht eines natürlichen Todes gestorben, nicht einmal dann, als sie akzeptiert hatte, dass sie gar keine Chance hatte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Im Lauf der Jahre war die Schwärmerei zu etwas Tieferem und Beständigerem herangereift.

Sophy fühlte sich von seiner Ruhe und Kraft angezogen und dem angeborenen Stolz und der Integrität, die sie bei Ravenwood spürte. In ihren geheimsten Träumen hatte sie ihn zum edlen Ritter hochstilisiert.

Nachdem es die atemberaubende Elizabeth geschafft hatte, die Faszination, die sie für Ravenwood gehabt hatte, in grausame Pein und brutalen Zorn zu verwandeln, hatte Sophy ihm Trost und Zuspruch bieten wollen. Aber der Graf hatte es vorgezogen, seinen Kummer in dem Krieg, der damals auf dem Kontinent tobte, zu begraben, unter dem Kommando Wellingtons.

Bei seiner Rückkehr war es offensichtlich, dass sich die Gefühle des Grafen längst an einen kalten, fernen Ort tief in seinem Innersten zurückgezogen hatten. Jetzt hatte es den Anschein, als wäre Ravenwood nur noch zu Leidenschaft oder Wärme fähig, wenn es um sein Land ging.

Schwarz stand ihm sehr gut, stellte Sophy fest. Sie hatte gehört, dass er den Hengst Angel getauft hatte, sein Sinn für Ironie erstaunte sie.

Angel war eine Kreatur der Finsternis, für einen Mann bestimmt, der im Schatten lebte. Der Reiter schien geradezu mit dem Pferd verwachsen. Ravenwood war schlank, aber kräftig gebaut, seine Hände waren groß und stark, so gar nicht modisch, Hände, die ohne Weiteres eine abtrünnige Frau erwürgen könnten, genau wie die Dorfbewohner behaupteten, schoss es Sophy kurz durch den Sinn.

Seine Schultern waren so breit, dass er keine Polster brauchte, und seine maßgeschneiderten Reithosen umspannten wohlgeformte, muskulöse Schenkel.

Zugegeben, er machte seinem Schneider alle Ehre, dachte Sophy, aber gegen seine grimmige Miene und sein finsteres Aussehen war selbst die feinste Nadel Londons machtlos.

Sein Haar war so schwarz wie das seidige Fell seines Hengstes, und seine Augen waren strahlend grün, dämonisch grün, wie Sophy gelegentlich fand. Man erzählte sich, die Grafen von Ravenwood würden immer mit Augen geboren werden, die zu den Familiensmaragden passten.

Sophy machte Ravenwoods Blick nervös, nicht nur wegen der Augenfarbe, sondern weil er die unangenehme Angewohnheit hatte, einen Menschen anzusehen, als würde er im Geiste einen Preis für die Seele des Unglücklichen aushandeln. Sophy fragte sich, was seine Lordschaft wohl tun würde, wenn er ihren Preis erfuhr.

Sie zügelte Dancer, wischte sich die Feder ihres Reithutes aus den Augen und setzte ein, wie sie hoffte, heiter-huldvolles Lächeln auf.

»Einen schönen guten Tag, Mylord. Welche Überraschung, Euch hier im Wald zu treffen.«

Der schwarze Hengst kam mit stampfenden Hufen in einigen Metern Entfernung zum Stehen. Ravenwood blieb ruhig sitzen und musterte Sophys höfliches Lächeln, erwiderte es aber nicht.

»Was genau findet Ihr denn so überraschend an diesem Treffen, Miss Dorring? Das hier ist schließlich und endlich mein Land. Ich wusste, dass Ihr die alte Bess besucht habt, und habe mir gedacht, dass Ihr diesen Weg zurück nach Chesley Court nehmen werdet.«

»Wie klug von Euch, Mylord. Vielleicht ein Beispiel für deduktive Logik? Ich bin eine große Bewunderin dieser Art des Denkens.«

»Ihr seid Euch sehr wohl bewusst, dass wir heute etwas Geschäftliches zu besprechen hatten. Wenn Ihr so intelligent seid, wie Eure Großeltern offensichtlich glauben, müsst Ihr auch wissen, dass ich die Sache heute Nachmittag zum Abschluss bringen wollte. Nein, ich kann eigentlich nicht akzeptieren, dass an diesem Treffen irgendetwas überraschend sein soll. Um ehrlich zu sein, ich würde sagen, es war von Anfang an so geplant gewesen.«

Sophys Hände krallten sich in die Zügel. Seine leisen Worte brannten wie Feuer auf ihrer Seele. Dancer protestierte mit zuckenden Ohren, und sie ließ die Zügel sofort wieder locker. Bess hatte recht. Ravenwood war kein Mann, der sich so leicht an der Nase herumführen ließ. Sie musste ganz besonders vorsichtig sein.

»Ich war der Meinung, mein Großvater würde das für mich erledigen, wie es sich geziemt«, sagte Sophy. »Hat er Euch denn meine Antwort auf Euren Antrag nicht gegeben?«

»Das hat er.« Ravenwood ließ seinen Hengst ein paar Schritte näher an Dancer herantänzeln. »Ich zog es vor, sie nicht zu akzeptieren, bis ich die Sache mit Euch persönlich besprochen habe.«

»Aber, Mylord, eine solche Vorgehensweise ist doch sicher nicht ganz korrekt. Oder werden die Dinge in London heutzutage so gehandhabt?«

»In diesem Fall wünsche ich, sie so zu handhaben. Ihr seid kein schüchternes kleines Mädchen, Miss Dorring. Also benehmt Euch bitte nicht so. Ihr könnt für Euch selbst sprechen. Sagt mir, welche Probleme es gibt, und ich werde sehen, ob ich sie aus der Welt schaffen kann.«

»Probleme, Mylord?«

Das Grün seiner Augen wurde dunkler. »Ich möchte Euch raten, nicht mit mir zu spielen, Miss Dorring. Ich habe keine Geduld mit Frauen, die versuchen, mich zum Narren zu halten.«

»Das verstehe ich vollkommen, Mylord. Und Ihr könnt sicher auch meinen Widerwillen verstehen, mich an jemanden zu binden, der allgemein keine Geduld mit Frauen hat, ganz zu schweigen mit denen, die versuchen, ihn zum Narren zu machen.«

Ravenwoods Augen wurden schmal. »Habt Ihr die Güte, das näher zu erläutern?«

Sophy gelang ein andeutungsweises Achselzucken, wobei leider ihr Hut noch weiter nach vorn rutschte. Ganz automatisch strich sie sich erneut die Feder aus den Augen.

»Also gut, Mylord, Ihr zwingt mich, offen zu sprechen. Ich glaube nicht, dass Ihr und ich ähnliche Vorstellungen haben, wie eine Ehe zwischen uns funktionieren könnte. Bei Euren drei Besuchen in den letzten zwei Wochen auf Chesley Court habe ich jedes Mal versucht, mit Euch unter vier Augen zu sprechen, aber Ihr habt keinerlei Interesse daran gezeigt, über die Angelegenheit mit mir zu diskutieren. Ihr habt die ganze Geschichte gehandhabt, als wolltet Ihr ein neues Pferd für Eure Stallungen kaufen. Ich muss zugeben, dass ich deshalb heute gezwungen war, zu sehr drastischen Methoden zu greifen, um Eure Aufmerksamkeit zu erregen.«

Ravenwoods Blick war frostig und sehr irritiert. »Ich hatte also recht, unsere Begegnung hier hat Euch nicht überrascht. Also schön, jetzt habt Ihr meine ungeteilte Aufmerksamkeit, Miss Dorring. Was wollt Ihr mir denn begreiflich machen? Mir scheint die Sache doch recht klar.«

»Ich weiß, was Ihr von mir wollt«, sagte Sophy. »Es liegt ja klar auf der Hand. Aber ich bin der Meinung, dass Ihr nicht die geringste Ahnung habt, was ich von Euch will. Und bis Ihr das begriffen habt und meinen Wünschen in dieser Hinsicht zustimmt, sehe ich mich außerstande, Euch zu heiraten.«

»Vielleicht sollten wir das Schritt für Schritt durchgehen«, sagte Ravenwood. »Was, glaubt Ihr, will ich von Euch?«

»Einen Erben und keinen Ärger.«

Ravenwood blinzelte täuschend gelangweilt. Sein harter Mund verzog sich leicht. »Knapp ausgedrückt.«

»Und präzise?«

»Sehr«, sagte er sarkastisch. »Es ist kein Geheimnis, dass ich Kinder haben will. Ravenwood ist seit drei Generationen im Besitz meiner Familie. Ich will nicht, dass es ihr in dieser Generation verloren geht.«

»Mit anderen Worten, Ihr betrachtet mich als Zuchtstute.«

Das Leder seines Sattels knarzte, als Ravenwood sie lange, bedrohlich schweigend, musterte. »Ich fürchte, Euer Großvater hatte recht«, sagte er schließlich. »Eure Lesegewohnheiten haben wohl zu einem gewissen Mangel an Taktgefühl geführt, Miss Dorring.«

»Oh, ich kann noch wesentlich taktloser sein, Mylord. Zum Beispiel haltet Ihr, wie ich höre, in London eine Mätresse aus.«

»Woher, zum Teufel, habt Ihr denn das?«

»Das weiß eigentlich jeder hier in der Gegend.«

»Und Ihr hört Euch die Geschichten der Dorfbewohner an, die nie weiter als ein paar Meilen von zu Hause weg waren?«, fragte er spöttisch.

»Sind denn die Geschichten, die die Leute in der Stadt erzählen, so viel anders?«

»Allmählich glaube ich, dass Ihr mich absichtlich provozieren wollt, Miss Dorring.«

»Nein, ich bin nur sehr vorsichtig.«

»Starrköpfig, nicht vorsichtig. Benutzt den wenigen Verstand, den Ihr habt, und passt zumindest auf. Glaubt Ihr etwa, Eure Großeltern hätten meinem Antrag zugestimmt, wenn es gegen meine Person oder mein Verhalten tatsächlich ernsthafte Einwände gäbe?«

»Wenn der Ehevertrag großzügig genug ist schon.«

Das entlockte Ravenwood ein kleines Lächeln. »Da könntet Ihr recht haben.«

Sophy zögerte. »Wollt Ihr etwa behaupten, dass all die Geschichten, die ich über Euch gehört habe, falsch sind?«

Ravenwood sah sie nachdenklich an. »Was habt Ihr denn sonst noch gehört?«

Sophy hatte nicht damit gerechnet, dass dieses seltsame Gespräch so ins Detail gehen würde. »Ihr meint abgesehen von der Tatsache, dass Ihr eine Mätresse habt?«

»Wenn die restlichen Klatschgeschichten genauso albern sind wie das, solltet Ihr Euch schämen, Miss Dorring.«

»Ach, ich fürchte, mein Schamgefühl ist nicht so zartbesaitet, Mylord. Eine bedauernswerte Schwäche, die Ihr sicher auch in Betracht ziehen solltet. Klatsch kann so unterhaltsam sein, und ich muss zugeben, dass ich gelegentlich nicht widerstehen kann und einfach zuhöre.«

Der Mund des Grafen wurde schmal. »In der Tat eine bedauernswerte Schwäche. Was habt Ihr sonst noch gehört?«, wiederholte er.

»Na ja, abgesehen von der Sache mit der Mätresse, erzählt man sich auch noch, dass Ihr einmal ein Duell ausgetragen habt.«

»Ihr erwartet doch nicht etwa, dass ich solchen Unsinn bestätige?«

»Ich habe auch gehört, dass Ihr Eure erste Frau aufs Land verbannt habt, weil sie Euch keinen Erben geschenkt hat«, fuhr Sophy unbedacht fort.

»Meine erste Frau ist als Thema tabu.« Ravenwoods Miene war mit einem Mal gefährlich abweisend. »Wenn wir miteinander auskommen sollen, Miss Dorring, gebe ich Euch den guten Rat, sie nie wieder zu erwähnen.«

Sophy errötete. »Verzeiht, Mylord. Ich wollte eigentlich gar nicht über sie sprechen, sondern über Eure Gewohnheit, Frauen aufs Land zu verbannen.«

»Wovon, zum Teufel, redet Ihr denn überhaupt?«

Es kostete Sophy mehr Mut als erwartet, trotz seines bedrohlichen Tonfalls fortzufahren. »Ich finde, ich sollte Euch unmissverständlich klarmachen, dass ich nicht vorhabe, in Ravenwood oder irgendeiner anderen Eurer Besitzungen zu bleiben, wenn Ihr Eure Zeit in London verbringt, Mylord.«

Er runzelte die Stirn. »Ich hatte den Eindruck, Ihr wärt hier glücklich?«

»Es stimmt, dass ich das Leben auf dem Lande genieße, und im Allgemeinen bin ich hier ganz zufrieden, aber ich möchte nicht auf Ravenwood Abbey beschränkt sein. Ich habe fast mein ganzes Leben auf dem Land verbracht, Mylord. Ich möchte London wiedersehen.«

»Tatsächlich? Man hat mir zu verstehen gegeben, dass Ihr Euch während Eurer Saison in London nicht amüsiert habt, Miss Dorring.«

Sie schlug beschämt die Augen nieder. »Ich bin mir sicher, dass Ihr sehr wohl wisst, dass mein Debüt ein spektakulärer Reinfall war. Ich habe während dieser Ballsaison keinen einzigen Heiratsantrag bekommen.«

»Allmählich beginne ich zu begreifen, wieso Ihr so kläglich versagt habt, Miss Dorring«, sagte Ravenwood herzlos. »Wenn Ihr all Euren Bewunderern so unumwunden die Meinung gesagt habt, habt Ihr sie ohne Zweifel schwer verängstigt.«

»Und, ist es mir gelungen, Euch zu verängstigen, Mylord?«

»Innerlich zittere ich wie Espenlaub.«

Fast hätte Sophy unwillkürlich gegrinst. »Ihr versteckt Eure Ängste gut, Mylord.« Sie sah das kurze Aufblitzen in Ravenwoods Augen und unterdrückte rasch ihren vorwitzigen Sinn für Humor.

»Führen wir doch dieses offene Gespräch weiter, Miss Dorring. Wenn ich Euch recht verstehe, so wollt Ihr nicht Eure ganze Zeit auf Ravenwood Abbey verbringen. Steht denn sonst noch etwas auf Eurer Liste mit Forderungen?«

Sophy hielt die Luft an. Jetzt wurde es gefährlich. »Ich habe tatsächlich noch einige andere Forderungen, Mylord.«

Er seufzte. »Dann lasst mal hören.«

»Ihr habt klar zu verstehen gegeben, dass Euer Hauptinteresse an dieser Ehe die Zeugung eines Erben ist.«

»Das mag Euch vielleicht überraschen, Miss Dorring, aber das wird als legitimer Heiratsgrund für einen Mann betrachtet.«

»Ich verstehe«, sagte sie. »Aber ich bin nicht bereit, mich überstürzt ins Wochenbett bringen zu lassen, Mylord.«

»Nicht bereit? Wie ich höre, seid Ihr dreiundzwanzig Jahre alt. In den Augen der Gesellschaft seid Ihr also mehr als bereit, meine Liebe.«

»Ich bin mir bewusst, dass man mich bereits als alte Jungfer betrachtet. Darauf braucht Ihr mich nicht extra hinzuweisen. Aber seltsamerweise finde ich mich gar nicht so alt. Und Ihr wohl auch nicht, sonst würdet Ihr mich nicht bitten, Eure Frau zu werden.«

Ravenwood lächelte und zeigte dabei kurz seine ebenmäßigen weißen Zähne. »Ich muss zugeben, dass einem dreiundzwanzig nicht sonderlich alt scheint, wenn man selbst schon vierunddreißig ist. Und Ihr scheint mir sehr gesund und munter, Miss Dorring. Ich glaube, Ihr hättet keinerlei Schwierigkeiten, die Strapazen einer Geburt zu überstehen.«

»Ich hatte keine Ahnung, dass Ihr ein solcher Experte seid.«

»Wir kommen wieder vom Thema ab. Was genau versucht Ihr mir zu sagen, Miss Dorring?«

Sie holte tief Luft. »Ich will damit sagen, dass ich nicht in eine Heirat einwillige, wenn Ihr mir nicht Euer Wort gebt, dass Ihr mich nicht mit Gewalt nehmt, bevor ich Euch nicht die Erlaubnis dazu gebe.«

Eiskalte Wut blitzte aus Julians grünen Augen. »Ich gebe Euch mein Ehrenwort, Miss Dorring, dass ich noch nie einer Frau Gewalt angetan habe. Aber wir sprechen hier von Ehe, und ich kann nicht glauben, dass Ihr Euch nicht bewusst seid, dass es sowohl für den Mann als auch für die Frau so etwas wie eheliche Pflichten und Verpflichtungen gibt.«

Sophy nickte hastig, und ihr kleiner Hut rutschte gefährlich weit nach vorn. Diesmal ignorierte sie die Feder. »Ich bin mir auch bewusst, Mylord, dass die meisten Männer es nicht als falsch betrachten würden, auf ihren Rechten zu bestehen, gleichgültig ob die Frau willig ist oder nicht. Gehört Ihr zu diesen Männern?«

»Ihr könnt doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich in eine Ehe einwillige, obwohl ich weiß, dass meine Frau nicht bereit ist, mir meine Rechte als Ehemann zuzugestehen«, sagte Ravenwood mit zusammengebissenen Zähnen.

»Ich habe nicht gesagt, ich würde Euch nie Eure ehelichen Rechte zugestehen, ich bitte Euch nur um genügend Zeit, Euch kennenzulernen und mich an meine veränderte Situation zu gewöhnen.«

»Ihr bittet nicht, Miss Dorring, Ihr fordert. Ist das auch ein Ergebnis Eurer bedauerlichen Lesegewohnheiten?«

»Wie ich sehe, hat Euch mein Großvater gewarnt.«

»Das hat er. Ich kann Euch garantieren, dass ich persönlich die Verantwortung für die Auswahl Eures Lesematerials übernehmen werde, nachdem wir verheiratet sind.«

»Das bringt mich natürlich zum dritten Punkt meiner Forderungen. Ich muss freie Hand bei der Auswahl der Bücher und Traktate haben, die ich lese und kaufe.«

Der Rappe warf seinen Kopf hoch, und Ravenwood fluchte leise vor sich hin. Der Hengst beruhigte sich wieder, als sein Herr mit geübter Hand etwas Druck ausübte. »Lasst mich noch einmal wiederholen, um ganz sicherzugehen, dass ich Eure Forderungen auch richtig verstanden habe«, sagte Ravenwood mit sehr sarkastischem Unterton. »Ihr wollt nicht aufs Land verbannt werden, Ihr wollt mein Bett erst teilen, wenn es Euch gefällt, und Ihr wollt lesen, was Ihr wollt, trotz gegenteiligen Rats oder Empfehlungen meinerseits.«

Sophy holte tief Luft. »Eine gute Zusammenfassung meiner Forderungen, Mylord.«

»Und Ihr erwartet, dass ich dieser unverschämten Forderungsliste zustimme?«

»Das halte ich für sehr zweifelhaft, Mylord, und genau deshalb hatte ich meinen Großvater gebeten, Euren Antrag heute Nachmittag abzulehnen. Ich dachte, das würde uns allen eine Menge Zeit ersparen.«

»Verzeiht meine Offenheit, Miss Dorring, aber ich glaube, ich begreife jetzt voll und ganz, wieso Ihr nie geheiratet habt. Kein Mann, der bei Verstand ist, würde einer solch lächerlichen Forderungsliste zustimmen. Könnte es sein, dass Ihr tatsächlich den Wunsch habt, überhaupt nicht zu heiraten?«

»Auf jeden Fall habe ich es nicht eilig, in den Hafen der Ehe einzulaufen.«

»Offensichtlich.«

»Ich würde sagen, Mylord, wir haben etwas gemeinsam«, sagte Sophy, obwohl es ihren ganzen Mut erforderte. »Ich habe den Eindruck, Ihr wollt nur aus Pflichtbewusstsein heiraten. Ist es denn für Euch so schwer zu verstehen, dass ich in der Ehe auch keinen so großen Vorteil sehe?«

»Ihr vergesst den Vorteil meines Geldes.«

Sophy warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Das ist natürlich ein starker Anreiz, aber einer, den ich gern bereit bin zu übersehen. Ich werde mir von dem kleinen Einkommen, das mir mein Vater hinterlassen hat, vielleicht nie diamantenbesetzte Tanzschuhe kaufen können, aber es ermöglicht mir ein einigermaßen komfortables Leben. Und, was noch wichtiger ist, ich werde über dieses Einkommen verfügen können, wie ich will. Wenn ich heirate, verliere ich diesen Vorteil.«

»Warum fügt Ihr Eurer Forderungsliste nicht einfach hinzu, dass Ihr Euch von Eurem Gatten in finanziellen und wirtschaftlichen Dingen nicht führen lassen wollt, Miss Dorring?«

»Eine ausgezeichnete Idee, Mylord. Ich glaube, genau das werde ich tun. Danke, dass Ihr mich auf die einfachste Lösung für mein Dilemma hingewiesen habt.«

»Unglücklicherweise ist da noch ein Punkt zu bedenken: Selbst wenn es Euch gelingen sollte, ein männliches Wesen zu finden, das wahnsinnig genug ist, Eure Forderungen zu akzeptieren, so habt Ihr doch keine gesetzliche Garantie, dass Euer Mann sich nach der Eheschließung an die Vereinbarungen hält.«

Sophy betrachtete verlegen ihre Hände. Er hatte natürlich recht. »Nein, Mylord, ich wäre völlig abhängig vom Ehrgefühl meines Gatten.«

»Seid gewarnt, Miss Dorring«, sagte Ravenwood mit leiser, bedrohlicher Stimme. »Selbst wenn ein Mann ein Gentleman in Bezug auf seine Spielschulden oder in sportlichen Dingen ist, so ist er das meist nicht mehr, wenn es um Frauen geht.«

Sophy wurde es eiskalt ums Herz. »Dann bleibt mir ja wohl keine andere Wahl, nicht wahr? Wenn dem so ist, werde ich es nie riskieren können zu heiraten.«

»Ihr irrt Euch, Miss Dorring. Ihr habt Eure Wahl bereits getroffen, und jetzt müsst Ihr es riskieren. Ihr habt gesagt, Ihr wäret willens, mich zu heiraten, wenn ich Eure Forderungen akzeptiere. Also gut, ich stimme allen Bedingungen zu.«

Sophy starrte ihn mit offenem Mund an. Ihr Puls raste. »Das werdet Ihr?«

»Der Handel gilt.« Ravenwood nahm die Zügel fester, und der Hengst hob aufmerksam den Kopf. »Wir werden sobald wie möglich heiraten. Euer Großvater erwartet mich morgen um drei Uhr. Sagt ihm, ich möchte dann alles arrangieren. Nachdem es Euch und mir gelungen ist, uns unter vier Augen zu einigen, erwarte ich, dass Ihr den Mut habt, morgen auch zu Hause zu sein, wenn ich komme.«

Sophy wusste nicht, wie ihr geschah. »Mylord, ich verstehe Euch nicht ganz. Seid Ihr Euch ganz sicher, dass Ihr mich zu diesen Bedingungen heiraten wollt?«

Ravenwoods Lächeln war eisig. Seine grünen Augen funkelten boshaft. »Die wirkliche Frage, Sophy, ist, wie lange Ihr Eure Forderungen aufrechterhalten könnt, wenn Ihr mit der Realität, mein Eheweib zu sein, konfrontiert seid.«

»Mylord, Euer Ehrenwort«, sagte Sophy ängstlich. »Ich muss darauf bestehen.«

»Wenn Ihr ein Mann wärt, würde ich Euch fordern, weil Ihr es wagt, es infrage zu stellen. Ihr habt mein Wort, Miss Dorring.«

»Danke, Mylord. Ihr habt wirklich nichts dagegen, dass ich mein Geld so ausgeben werde, wie ich will?«

»Sophy, Eure vierteljährliche Apanage von mir wird wesentlich höher sein als Euer gesamtes jährliches Einkommen«, sagte Ravenwood unumwunden. »Solange Ihr daraus Eure Rechnungen begleicht, werde ich Eure Ausgaben nicht infrage stellen.«

»Oh, ich verstehe. Und … meine Bücher?«

»Ich werde schon irgendwie mit den hanebüchenen Vorstellungen fertigwerden, die Ihr aus Euren Büchern bezieht. Ich werde ohne Zweifel von Zeit zu Zeit sehr verärgert sein, aber das gibt uns doch zumindest eine Basis für sehr interessante Diskussionen, hm? Die meisten Frauengespräche können einen Mann ja weiß Gott zu Tode langweilen.«

»Ich werde versuchen, Euch nicht zu langweilen, Mylord. Ich möchte aber sichergehen, dass wir uns richtig verstanden haben. Ihr werdet nicht versuchen, mich das ganze Jahr über aufs Land zu verbannen?«

»Ich werde Euch erlauben, mich nach London zu begleiten, wenn es konveniert, falls das wirklich Euer Wunsch ist.«

»Ihr seid zu gütig, Mylord. Und meine … meine andere Forderung?«

»Ah ja. Ich garantiere Euch, dass ich mich Euch nicht, äh … aufzwinge. Ich glaube, diese Forderung sollte zeitlich begrenzt werden. Schließlich und endlich ist es ja mein Hauptziel bei dieser ganzen Geschichte, einen Erben zu bekommen.«

Sophy wurde sichtlich nervös. »Eine zeitliche Begrenzung?«

»Wie viel Zeit, denkt Ihr denn, werdet Ihr brauchen, um Euch an meinen Anblick zu gewöhnen?«

»Sechs Monate?«, sagte sie etwas kleinlaut.

»Seid bitte nicht albern. Ich denke gar nicht daran, sechs Monate lang damit zu warten, meine Rechte geltend zu machen.«

»Drei Monate?«

Fast schien es, als wolle er das Gegenangebot ablehnen, aber dann überlegte er es sich doch in letzter Minute anders: »Na, schön. Drei Monate. Seht Ihr jetzt, wie einsichtig ich bin?«

»Eure Großzügigkeit überwältigt mich, Mylord.«

»Das sollte sie auch. Ich wette, Ihr findet keinen zweiten Mann, der bereit ist, so lange zu warten, ehe er darauf besteht, dass Ihr Euren Pflichten als Ehefrau nachkommt.«

»Da muss ich Euch recht geben, Mylord. Ich bezweifle, dass es noch einen zweiten Mann gibt, der so vernünftig wie Ihr in Bezug auf die Ehe ist. Verzeiht mir, aber meine Neugier lässt mir einfach keine Ruhe. Warum seid Ihr so vernünftig?«

»Weil ich, meine liebe Miss Dorring, am Ende doch genau das in dieser Ehe kriegen werde, was ich will. Einen schönen Tag noch, ich werde Euch morgen um drei sehen.«

Angel reagierte sofort auf den Druck von Ravenwoods Schenkeln. Der Rappe schlug einen Kreis und galoppierte dann in den Wald davon.

Sophy blieb einfach sitzen, bis Dancer den Kopf senkte, um zu grasen. Die Bewegung brachte sie wieder in die Gegenwart zurück.

»Nach Hause, Dancer. Meine Großeltern haben inzwischen sicher entweder einen hysterischen Anfall oder sind total verzweifelt. Zumindest kann ich ihnen mitteilen, dass ich die Situation bereinigt habe.«

Dennoch ging ihr auf dem Heimweg ein altes Sprichwort nicht aus dem Sinn – diejenigen, die sich mit dem Teufel an einen Tisch setzen, müssen einen langen Löffel mitbringen.

Zwei

Lady Dorring, die sich heute Morgen in einem Anfall von Verzweiflung zu Bett begeben hatte, kam genau rechtzeitig zum Dinner, nachdem sie erfuhr, dass ihre Enkelin zur Vernunft gekommen war.

»Ich weiß wirklich nicht, was in dich gefahren ist«, sagte Lady Dorring und musterte kritisch die schottische Graupensuppe, die Hindley, der Butler, der zu den Mahlzeiten den Diener spielte, kredenzte. »Wirklich völlig unbegreiflich, dass du den Antrag des Grafen ablehnen wolltest. Aber Gott sei Dank hast du dich ja eines Besseren besonnen. Gestatte mir die Bemerkung, junge Dame, wir sollten wirklich alle sehr dankbar sein, dass der Graf bereit ist, dein höchst befremdliches Verhalten zu tolerieren.«

»Es macht einen etwas stutzig, nicht wahr?«, murmelte Sophy.

»Also wirklich«, rief Dorring vom anderen Ende des Tisches. »Was willst du denn damit sagen?«

»Nur, dass ich mir den Kopf zerbrochen habe, warum der Graf überhaupt ausgerechnet um meine Hand angehalten hat.«

»Was, bitte, soll denn daran verwunderlich sein?«, fragte Lady Dorring. »Du bist eine gut aussehende junge Frau aus einer respektablen Familie.«

»Ich habe meine Ballsaison bereits hinter mir, Großmutter, hast du das schon vergessen? Ich habe gesehen, wie hinreißend die Stadtschönheiten sein können, und mit den meisten kann ich ganz bestimmt nicht mithalten. Ich war vor fünf Jahren keine Konkurrenz für sie, und jetzt bin ich es genauso wenig. Noch habe ich ein beachtliches Vermögen, das ich als Köder bieten könnte.«

»Ravenwood hat es nicht nötig, wegen Geld zu heiraten«, sagte Lord Dorring unumwunden. »Um ehrlich zu sein, der Ehevertrag, den er anbietet, ist äußerst großzügig. Äußerst.«

»Aber er könnte doch eine Frau mit großen Ländereien oder großem Vermögen oder eine wirkliche Schönheit heiraten«, sagte Sophy geduldig. »Und ich frage mich eben, warum er das nicht macht. Warum ausgerechnet ich? Ein wirklich interessantes Rätsel.«

»Sophy, bitte«, sagte Lady Dorring mit gequälter Miene. »Stell keine so albernen Fragen. Du bist sehr charmant und äußerst präsentabel.«

»Charmant und präsentabel sind wohl die meisten jungen Frauen der Gesellschaft, und die Mehrheit von ihnen hat auch noch den Vorteil, dass sie jünger sind als ich. Ich wusste, dass ich noch etwas anderes haben muss, was den Earl von Ravenwood zu diesem Antrag bewogen hat, also habe ich mich eingehend damit beschäftigt, und dann war die Lösung ganz einfach.«

Lord Dorrings wirklich interessierter Blick war nicht gerade schmeichelhaft für Sophy. »Und was glaubst du, macht dich so interessant, Mädchen? Ich mag dich natürlich sehr gerne. Bist eine liebe Enkelin und so weiter, aber ich muss gestehen, dass ich mich auch gewundert habe, dass der Graf so erpicht auf dich ist.«

»Theo!«

»Tut mir leid, meine Liebe, tut mir leid«, entschuldigte sich Dorring bei seiner erbosten Frau. »Reine Neugier, weißt du.«

»Genau wie bei mir«, sagte Sophy prompt. »Aber ich glaube, jetzt kenne ich seine Beweggründe. Ich habe drei Vorzüge. Erstens bin ich greifbar und wie Großmutter sagte, aus gutem Hause. Er wollte wahrscheinlich möglichst wenig Zeit mit der Suche nach einer zweiten Frau verbringen. Ich habe den Eindruck, es gibt Wichtigeres, was ihn beschäftigt.«

»Wie zum Beispiel?«, fragte Dorring.

»Eine neue Mätresse oder ein neues Pferd oder ein neues Stück Land aussuchen. Tausend verschiedene Sachen, die für den Grafen wichtiger sind als eine Ehefrau.«

»Sophy!«

»Ich fürchte, es ist leider die Wahrheit, Großmutter. Ravenwood hat so wenig Zeit wie nur irgend möglich auf diesen Antrag verwendet. Du musst zugeben, dass er mir noch nicht einmal ansatzweise den Hof gemacht hat.«

»Aber, aber«, unterbrach Lord Dorring sie brüsk. »Du kannst doch dem Mann nicht vorwerfen, dass er dir keine Blumenbuketts oder Liebesgedichte gebracht hat. Ravenwood scheint mir nicht gerade der romantische Typ.«

»Ich glaube, da hast du recht, Großvater. Ravenwood ist definitiv nicht romantisch veranlagt. Er hat nur ein paarmal seine Aufwartung hier in Chesley Court gemacht, und wir sind nur zweimal ins Abbey geladen worden.«

»Ich hab’s dir doch gesagt, er ist nicht der Typ, der seine Zeit mit solchem Firlefanz verschwendet«, sagte Lord Dorring, der sich anscheinend verpflichtet fühlte, dieses andere männliche Wesen zu verteidigen. »Er muss sich um seine Güter kümmern, und wie ich höre, ist er an irgendeinem Bauprojekt in London beteiligt. Der Mann ist beschäftigt.«

»Genau, Großvater.« Sophy unterdrückte ein Lächeln. »Aber lass mich fortfahren: Der zweite Grund, warum der Graf mich als so passend empfindet, ist mein fortgeschrittenes Alter. Ich bin überzeugt, er ist der Meinung, dass jede Frau, die in diesem Alter noch ledig ist, dem Mann ewig dankbar sein müsste, der sie davor bewahrt, als alte Jungfer zu enden. Eine dankbare Frau ist natürlich auch eine Frau, die keine Schwierigkeiten macht.«

»Ich glaube nicht, dass ihm das so wichtig ist«, sagte ihr Großvater nachdenklich. »Er denkt vielmehr, dass eine Frau in deinem Alter auf jeden Fall vernünftiger und ausgeglichener ist als irgendein junges Mädel, das den Kopf voller romantischer Flausen hat. Er hat heute Nachmittag etwas in dieser Richtung angedeutet.«

»Also wirklich, Theo.« Lady Dorring warf ihrem Gatten einen vernichtenden Blick zu.

»Du könntest recht haben«, sagte Sophy zu ihrem Großvater. »Vielleicht glaubt er, ich wäre vernünftiger als eine Siebzehnjährige, die gerade der Schulbank entwachsen ist. Wie auch immer, wir können davon ausgehen, dass mein Alter ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Grafen war. Aber der dritte und bei Weitem wichtigste Grund, warum er mich gewählt hat, ist, dass ich auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau habe.«

Lady Dorring hätte sich fast an dem pochierten Steinbutt verschluckt, den man ihr gerade vorgesetzt hatte. »Was bitte soll denn das damit zu tun haben?«

»Es ist doch kein Geheimnis, dass der Graf mehr als genug Probleme mit schönen Frauen gehabt hat. Wir alle wussten, dass Lady Ravenwood die Gewohnheit hatte, ihre Liebhaber im Abbey zu empfangen. Und wenn wir es schon wussten, könnt ihr sicher sein, dass Seine Lordschaft es ebenfalls wusste. Der Himmel weiß, was sie in London gemacht hat.«

»Da bin ich mir sicher«, murmelte Dorring. »Wenn sie es hier auf dem Land schon so wild getrieben hat, wird sie ihm in London das Leben zur Hölle gemacht haben. Hab gehört, dass er Kopf und Kragen in einigen Duellen wegen ihr riskiert hat. Kann’s ihm wirklich nicht verdenken, wenn er eine zweite Frau will, die nicht ständig von anderen Männern belagert ist. Nichts für ungut, Sophy, aber du bist einfach nicht der Typ, der ihm in der Richtung Schwierigkeiten machen könnte, und ich denke, das weiß er wohl auch.«

»Ich wünsche, dass ihr beide sofort dieses sehr unziemliche Gespräch beendet«, sagte Lady Dorring, obwohl ihr sicher klar war, dass diese Aufforderung nicht befolgt würde.

»Aber Großmutter, Großvater hat wirklich recht. Ich bin die perfekte Kandidatin als nächste Gräfin von Ravenwood. Ich bin schließlich und endlich auf dem Land aufgewachsen, und man kann von mir erwarten, dass ich mich damit zufriedengebe, den Großteil der Zeit hier auf Ravenwood Abbey zu verbringen. Und ich werde nicht von meinen Geliebten verfolgt werden, wo ich gehe und stehe. Ich war ein totaler Reinfall bei meiner einen Ballsaison in London und wäre wahrscheinlich ein noch größerer, wenn ich mich wieder in die Gesellschaft begeben würde. Lord Ravenwood weiß, dass er keine Zeit damit verschwenden muss, meine Bewunderer fernzuhalten. Es wird keine geben.«

»Sophy«, Lady Dorring nahm all ihre Würde zusammen. »Jetzt reicht es aber wirklich. Ich werde diese lächerliche Konversation nicht dulden. Sie ist unziemlich.«

»Ja, Großmutter. Aber ist es dir vielleicht entgangen, dass die unziemlichen Konversationen meist die interessantesten sind.«

»Kein Wort mehr, Mädchen. Und dasselbe gilt auch für dich, Theo.«

»Ja, meine Liebe.«

»Ich weiß nicht, ob Eure Schlüsse hinsichtlich Lord Ravenwoods Motiven richtig sind oder nicht«, informierte Lady Dorring sie in sehr ernstem Ton, »aber ich weiß, dass er und ich in einem Punkt einer Meinung sind. Du, meine liebe Sophy, solltest dem Grafen sehr dankbar sein.«

»Ich hatte tatsächlich einmal Gelegenheit, dem Grafen dankbar zu sein«, sagte Sophy traurig. »Nämlich als er so galant war, mich bei einem der Bälle während meiner Saison in London aufzufordern. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war mein einziger Tanz an diesem Abend. Ich bezweifle, dass er sich überhaupt daran erinnert. Er hat die ganze Zeit über meine Schulter geguckt, um zu sehen, wer mit seiner kostbaren Elizabeth tanzt.«

»Jetzt zerbrich dir nicht den Kopf über die erste Lady Ravenwood. Sie ist tot, und keiner weint ihr nach«, sagte Lord Dorring unverblümt, wie es nun mal seine Art war. »Einen guten Rat, junge Dame. Hüte dich davor, Ravenwood zu provozieren, dann wirst du ganz gut mit ihm auskommen. Erwarte nicht mehr, als vernünftig ist, von ihm, dann wird er dir ein guter Ehemann sein. Der Mann kümmert sich um sein Land, und er wird sich auch um seine Frau kümmern. Der Mann hegt und pflegt, was ihm gehört.«

Ihr Großvater hatte zweifelsohne recht. Zu diesem Schluss kam Sophy, als sie später an diesem Abend wach im Bett lag. Sie war überzeugt, dass Ravenwood auch nicht schlimmer sein würde als andere Ehemänner, wenn es ihr gelänge, ihn nicht über die Maßen zu provozieren. Sie würde ihn ohnehin nicht allzu oft sehen. Während ihrer Londoner Saison hatte sie gelernt, dass die Ehefrauen und Ehemänner der Gesellschaft meist ein völlig getrenntes Leben lebten.

Das war natürlich nur zu ihrem Vorteil, wie sie sich einzureden versuchte. Sie hatte schließlich eigene Interessen. Als Ravenwoods Gemahlin hatte sie Zeit und Gelegenheit, in aller Ruhe ihre Untersuchungen wegen der armen Amelia weiterzuführen. Eines Tages, schwor sich Sophy, würde es ihr gelingen, den Mann aufzuspüren, der ihre Schwester verführt und dann im Stich gelassen hatte.

Während der letzten drei Jahre hatte sich Sophy zum Großteil an den Rat der alten Bess gehalten und den Tod ihrer Schwester verdrängt. Aus ihrer ursprünglichen Wut war Resignation geworden. Hier draußen auf dem Land bestand nur wenig Hoffnung, den unbekannten Mann, der dafür verantwortlich war, zu stellen.

Aber wenn sie den Grafen heiratete, würde alles anders werden.

Sophy konnte nicht ruhig liegen bleiben. Sie schob die Decke beiseite und stieg aus dem Bett, dann tappte sie barfuß über den fadenscheinigen Teppich zu ihrem kleinen Schmuckkästchen auf dem Toilettentisch. Auch ohne Kerze fand sie sofort den schwarzen Metallring in dem Kästchen. Sie hatte ihn schon so oft in der Hand gehabt, dass sie ihn blind erkannte. Ihre Hand umschloss ihn.

Kalt und hart lag der Ring in ihrer Hand. Sie spürte auf ihrer Handfläche das seltsame Dreiecksmuster, was darauf eingraviert war.

Sophy hasste diesen Ring. Sie hatte ihn in der Hand ihrer Schwester gefunden in der Nacht, als Amelia eine Überdosis Laudanum geschluckt hatte. Und Sophy hatte sofort gewusst, dass dieser Ring nur dem Mann gehören konnte, der ihre schöne blonde Schwester verführt und geschwängert hatte – der Liebhaber, dessen Namen Amelia nicht hatte preisgeben wollen. Eines der wenigen Dinge, die Sophy herausgefunden hatte, war, dass dieser Mann auch einer von Lady Ravenwoods Liebhabern gewesen war.

Und noch eines wusste Sophy mit Sicherheit: Ihre Schwester und dieser unbekannte Mann hatten die Ruinen des Normannenschlosses auf Ravenwoods Land für ihre heimlichen Schäferstündchen genutzt. Sophy hatte den alten Steinhaufen immer gerne skizziert, bis sie eines Tages Amelias Taschentuch dort gefunden hatte. Das war einige Wochen nach dem Tod ihrer Schwester gewesen. Seit diesem schicksalhaften Tag hatte Sophy die pittoreske Ruine gemieden.

Welch bessere Möglichkeit könnte es geben, die Identität des Mannes festzustellen, der ihre Schwester in den Tod getrieben hatte, als die neue Lady Ravenwood zu werden?

Sophy drückte den Ring einen Augenblick fest in ihrer Hand, dann ließ sie ihn in das Schmuckkästchen zurückfallen. Es war wirklich begrüßenswert, dass sie einen vernünftigen, rationalen, realistischen Grund hatte, den Grafen von Ravenwood zu heiraten, weil der andere Grund, seine Frau zu werden, sich wahrscheinlich als sinnloses Unterfangen erweisen würde.

Sie hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, den Satan wieder zu lehren, was Liebe ist.