Western Legenden 13: Die spanische Expedition - Andreas Zwengel - E-Book

Western Legenden 13: Die spanische Expedition E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Auf der Suche nach den legendären sieben goldenen Städten von Cibola haben spanische Eroberer im 16. Jahrhundert den nordamerikanischen Kontinent durchkämmt. Ihre Suche blieb erfolglos, die Städte wurden zum Mythos. Gab es tatsächlich kein Gold?Dreihundert Jahre später, kurz nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, erfahren ein amerikanischer Glücksritter, eine englische Kapitänstochter und ein russischer Bordellbesitzer von der Existenz eines verborgenen Schatzes und machen sich auf die Suche. Doch sie haben gefährliche Konkurrenz, die Schatzsuche hat sich bereits herumgesprochen.Die Printausgabe umfasst 202 Buchseiten.

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Seitenzahl: 218

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WESTERN LEGENDEN

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

Andreas Zwengel

Die spanischeExpedition

Historischer Western

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-413-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Ausgerechnet Alaska

Bartholemew P. Mason legte sich am 6. Oktober 1867 in Russisch-Amerika sturzbetrunken zu Bett und erwachte am 18. Oktober desselben Jahres gegen Mittag in Alaska, ohne sich von der Stelle bewegt zu haben. Die Umstellung vom julianischen auf den gregorianischen Kalender war ihm gleichgültig, auch wenn sich dadurch mehrere Kalendertage einfach in Nichts auflösten. Dass aber auf einen Freitag sofort wieder ein Freitag folgte, das gefiel ihm überhaupt nicht.

Genauso wenig wie der Umstand, sich ein schmales Zimmer mit zwei norwegischen Matrosen teilen zu müssen, die den Raum über Nacht mit dem brennbaren Geruch von Schweißfüßen und ungewaschenen Achselhöhlen gefüllt hatten. Ein noch stärkerer, fast schon sengender Gestank stieg vom Nachttopf in der Ecke auf und peinigte seine Nase. Mason trat ans Fenster, knöpfte seine Unterwäsche auf und pinkelte hinaus, während er den Vulkan betrachtete. Zwei russische Mädchen unterbrachen kichernd das Wäscheaufhängen. Er zwinkerte ihnen zu, streifte eilig seine eisig klamme nach Rauch und Tierfett stinkende Kleidung über und rieb sich auf dem Weg in die Küche mit den Händen warm.

Mason, ein bärtiger Glücksritter und Schürzenjäger aus Bristol, Connecticut, war vor einer Woche mit zwei klapprigen Pferden und wenig Gepäck, durchnässt und verfroren in Sitka angekommen. Er hatte die Pferde ­verkauft, so wie man mit großer Geste eine Rückfahrkarte zerreißt: um seine Entschlossenheit zu demonstrieren.

Die Stadt war noch unzureichend auf Fremden­verkehr eingerichtet und lebte von jenen Matrosen, die mal wieder eine Nacht auf festem Untergrund verbringen wollten. Seine Zimmerwirtin, eine alte Indianerin ohne jeglichen Reiz, hatte einen unverschämten Preis für das ungemachte und muffige Lager verlangt. Während sie vor dem Haus feilschten, spuckte ein Mann die Wirtin im Vorübergehen an. Nicht aus Wut, mehr aus Gewohnheit oder einer inneren Verpflichtung folgend. Sie hatte den Schleimklumpen mit einer beiläufigen Geste von ihrer Schulter gewischt, ohne die Preisverhandlung zu unterbrechen. Mason hatte solches Verhalten oft genug gegenüber Negern und Chinesen erlebt. Warum sollte es hier anders sein?

In der Küche schlürfte Mason bitteren Kaffee aus einem Blechnapf und las dabei eine Zeitung, die die Norweger in einem amerikanischen Hafen als Einwickelpapier erhalten hatten. Es war ein schundiges Sensationsblatt, das mit grausigen Geschichten um Leserschaft buhlte: In England war der berüchtigte Straßenräuber Basil ­Robtherich gehängt worden. Auf Kreta hatte man das Labor von Ebenazar Maddoc gestürmt, der perverse Experimente an seinem Dienstmädchen vollführte (Fortsetzung und Zeichnungen auf Seite 2), und in Paris fasste man den paranoiden chinesischen Diplomaten Pin Chen mit beiden Händen im Tresor der amerikanischen Botschaft. Gerne hätte sich Mason zu der Lektüre ein Pfeifchen gestopft. Aber er hatte dem Tabakgenuss abgeschworen, um sein Leben zu verlängern, und hoffte, im hohen Alter nicht feststellen zu müssen, dass sich die Quacksalber in Bezug auf die Gefahren des Rauchens geirrt hatten. Wahrscheinlich war das ohnehin unbedeutend, wenn man gleichzeitig soff wie ein Loch.

Kaum war der Kaffeebecher geleert, betrachtete die Wirtin ihre gastlichen Pflichten als erfüllt und wies zur Tür. Mason folgte bereitwillig, da es sich hoffentlich um seine letzte Nacht in dieser Behausung gehandelt hatte. Er trat in den Morast der Straße, wobei sein Fuß bis zum Knöchel verschwand, und hörte augenblicklich das laute Schimpfen des Zwergs.

Die wenig schmeichelhafte Bezeichnung galt Wladimir Willow Oblomow aus Minsk, der im nächsten Moment um die Ecke bog. Ein gewaltiger Zylinder ließ seine Körpergröße wenigstens an ein Mittelmaß heranreichen. Obwohl Oblomow zahlreiche unangenehme Charaktereigenschaften besaß, war er der Einzige im Ort, mit dem sich Mason unterhalten konnte, ohne auf seine Extremitäten zurückgreifen zu müssen. Der Russe sprach ein hartes, aber zumindest verständliches Englisch.

„Der Regierungsbeauftragte der Amerikaner ist eingetroffen“, sagte Oblomow grinsend, sofern das mit so wenigen Zähnen möglich war, und zog einen Hut hinter seinem Rücken hervor. „Ein Gentleman sollte nie ohne Kopfbedeckung aus dem Haus gehen. Besonders, wenn er sich in meiner Begleitung befindet.“

Mason betrachtete den Hut und überlegte, in welchem Zirkus diese lächerliche Kopfbedeckung wohl gerade vermisst wurde.

Oblomow war aus dem gleichen Grund wie Mason in Sitka: Er wollte Geld machen. Der Russe ging dem ältesten Gewerbe der Welt nach. Sein Etablissement hieß Archangel, nach dem ursprünglichen Namen des Ortes, und lag am aufsteigenden Rand von Sitka, sodass es für jedermann, ob gewollt oder nicht, gut sichtbar war. Keine billige Spelunke, sondern nicht weniger als das beste Hurenhaus der Stadt. Momentan bereiteten sich dort seine fünf Damen auf die Ankunft der US-Army vor. Bereits seit zehn Tagen lag der Dampfer John L. Stevens im Hafen. An Bord warteten zweihundertfünfzig sexuell ausgehungerte Soldaten, die Alaska in Zukunft verwalten sollten, sehnsüchtig auf die Ankunft des amerikanischen Regierungsbeauftragten. Denn solange es noch russisches Gebiet war, ließ der russische Kommandant keine ausländischen Truppen das Land betreten. Die Stimmung unter den Soldaten auf dem Dampfer war dementsprechend gereizt.

Bereits vor einem halben Jahr hatte Baron von ­Stoeckl, der russische Botschafter von Zar Alexander II, den Verkaufsvertrag in Washington unterschrieben. 7,2 Millionen Dollar hatten die USA bezahlt und Außenminister William H. Seward musste sich seitdem eine Menge Spott anhören. Das neu erworbene Gebiet wurde im Allgemeinen nur Sewards Eisschrank genannt. Heute sollte endlich die offizielle Übergabe stattfinden.

Mason teilte die Gefühle seiner Landsleute: „Die meisten von uns wollen Alaska nicht mal geschenkt haben. Wir haben genug Probleme nach unserem eigenen Krieg. Da müssen wir euch nicht helfen, die Kosten für die Krimkriege wieder reinzuholen. Meinetwegen geben wir euch sogar das Geld, aber behaltet diesen gefrorenen Acker. Was sollen wir denn damit? Man kann das Gebiet nicht besiedeln. Die Pelztiere sind fast ausgerottet und ständig muss man sich mit aufständischen Indianern rumschlagen. Außerdem ist dieses beschissene Stück Land viel zu weit vom Rest Amerikas entfernt.“

Oblomow störte es, dass Mason von ihm als Russen sprach. Er würde Amerikaner werden. Sie alle hatten die Wahl, entweder die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder auf Kosten der Regierung in die Heimat zurückzureisen.

Da der Russe ihm nicht antwortete, wechselte Mason das Thema. „Was genau war noch einmal der Grund, weshalb ich Sie zu diesem albernen Schauspiel begleiten soll, anstatt angemessen meinen Kater zu pflegen?“

„Kontakte, mein lieber Mason. Kontakte. Sie sind ein großer Kerl und ziemlich kräftig. Ich biete Ihnen den Job eines Rausschmeißers. Allein schon, damit das ewige Gemecker ein Ende hat. Aber wie ertragreich diese Tätigkeit wird, hängt einzig und allein vom Erfolg des heutigen Tages ab.“

Mason wahrte sein geschultes Pokerface, obwohl ihm innerlich mehr nach einem Flickflack war. Hätte er über das nötige Kleingeld verfügt, wäre er längst bei ­Oblomow eingezogen. Stattdessen musste er bisher den gutwilligen Gesellschafter spielen, in der Hoffnung, dass der geizige Zwerg einen Gratisbesuch springen ließ. Von nun an erhielt Mason freie Kost und Logis, dazu ein kleines Taschengeld und eine begrenzte Zahl an Zuwendungen von den Damen. Natürlich war diese Tätigkeit nur ein Vorwand. Oblomow sprach zwar wie gesagt ein gutes und gewandtes Englisch, aber sein harter russischer Akzent ließ selbst die sanftesten Worte klingen wie ein Blechtopf, der durch einen Steinbruch kullerte. Seine zukünftige amerikanische Kundschaft würde einem Landsmann mehr Vertrauen schenken, als einem gebürtigen Russen.

Der frostige Wind fraß sich durch die Kleidung und Oblomow klammerte sich mit beiden Händen an den Rand seines Zylinders. Vor ihnen marschierten amerikanische Truppen vom Hafen kommend die Hauptstraße entlang. Russische Kinder sprangen um sie herum und sangen Spottverse, die die Soldaten glücklicherweise nicht verstanden. Es sollte ein würdiger Staatsakt werden. Auch wenn es im Vorfeld einige Verwirrung bei den Terminabsprachen gegeben hatte, weil sich die Russen beharrlich an ihren eigenen Kalender hielten und sich zudem nach Moskauer Zeit richteten, die einen Tag voraus war.

Zur Zeremonie erklommen die Vertreter beider Länder die hölzernen Stufen zu Schloss Baranow, dem Gouverneurssitz, wo an einer dreißig Meter hohen Stange die russische Fahne wehte. Gelangweilt ließ Mason seinen Blick über die anwesenden Frauen schweifen. ­Durchweg üppige, mondgesichtige Matronen in grellfarbenen Ballonkleidern. Die wegen des Windes eng gezurrten Hauben ließen dankenswerterweise nur wenig erahnen. Er dachte schmachtend an die reizenden Gestalten im ­Archangel, vor allem an Violet, seine Favoritin.

Hundert russische Soldaten standen mit ausgebesserten Uniformen und geputzten Stiefeln bereit. Egal, was die Obrigkeit sagte, für sie war es kein Geschäftsabschluss, der hier begangen wurde, sondern eine Niederlage und Demütigung. Trotzdem waren sie froh, bald wieder in die Zivilisation zurückkehren zu können.

Gegen halb vier feuerten die Kanonen Salutschüsse und man begann, die russische Fahne einzuholen. Lange war der Vorgang geübt worden. Doch als ein Soldat an der Fallleine zog, klatschte ein heftiger Windstoß die Fahne an den Mast und wickelte sie fest herum. Mehrere Männer versuchten vergeblich, am Mast hinaufzuklettern, bis ausgerechnet ein amerikanischer Matrose den Tipp gab, jemanden in einer Schlinge hinaufzuziehen. Der Auserwählte, ein ausgesprochen zittriger Jüngling, ob der Höhe oder der Verantwortung wegen, fingerte zuerst zögerlich, dann immer energischer an der Fahne herum. Von der einen Seite versuchte sein Vorgesetzter möglichst unauffällig Ratschläge, Ermunterungen und Drohungen nach oben zu brüllen. Auf der anderen Seite bemühten sich seine Kameraden um Haltung, um nicht so schamlos die Hälse zu verdrehen wie die Zivilisten. Aber deren ständige Aaahs und Ooohs spornten die Neugier der Soldaten nur noch an. Ein deutliches Reißen war zu hören und ein Raunen ging durch die russische Hälfte der Zuschauer. Endlich löste sich die Fahne vom Mast, aber der Riss im Stoff hatte den Doppeladler beinahe entzweit. Der Jüngling ließ sie den ausgestreckten Händen entgegenfallen.

Für den Gott des Windes schien der Spaß jedoch noch nicht vorbei zu sein. Keiner der Russen schaffte es, sie zu fangen. Als sich die glorreiche Fahne zielsicher in den aufgepflanzten Bajonetten der Soldaten verfing, keuchten die russischen Zuschauer hörbar und die Frau von Prinz Maksutov, dem Gouverneur, fiel bei dem Anblick in Ohnmacht. Der Prinz selbst stand bebend stramm und blickte starr geradeaus, während Mason in schallendes Gelächter ausbrach. Oblomow sah sich peinlich berührt nach allen Seiten um und stieß ihm heftig in die Seite.

Es folgten weitere Salutschüsse, nachdem die amerikanische Fahne gehisst war. Oblomow schob Mason durch die Zuschauer hindurch. Der kleine Russe suchte die Bekanntschaft von General Jefferson C. Davis, um ihm die Dienste seines Hauses anzubieten, und er hoffte nur, dass es sich nicht um einen verknöcherten Sittenwächter handelte, der nicht wusste, wie wichtig es für junge Soldaten fern der Heimat war, auch mal Dampf ablassen zu können.

„General Davis, Sir. Ich hätte ein wichtiges Anliegen. Ein Geschäft, das beiden Seiten von größtem Nutzen sein könnte.“

Davis schien nicht gewillt, sich so weit herab zu beugen, um Augenkontakt mit Oblomow aufnehmen zu können. „Wenden Sie sich an den Major.“

„Aber Sir ...“

„Ich muss mich um dringendere Angelegenheiten kümmern.“

Oblomow unterließ es, auf seinen kurzen Beinen mit dem General Schritt halten zu wollen. „Borniertes Yankee­schwein“, zischte er und atmete tief durch.

Als sie ins Archangel mit all seinem rotem Samt und rosa Plüsch zurückkehrten, erwarteten die Damen, zuvorderst Violet, sie gespannt. Oblomow ging direkt hinter die Theke, schenkte sich einen Wodka ein, verschloss die Flasche behutsam und schmiss sie an die Wand.

Violet reagierte schnell und scheuchte die Mädchen aus dem Raum. Man musste kein Hellseher sein, um zu erahnen, wie die Verhandlungen ausgegangen waren. Violet beugte sich herab und hob die Scherben auf.

„Der General hatte Dringlicheres zu erledigen, als sich mit mir zu unterhalten“, klagte Oblomow beleidigt. Dabei ahnte er noch nicht, dass eine der Tätigkeiten, die General Davis so in Anspruch nahmen, die Beschaffung von Unterkünften für seine Leute war. Davis war den Russen gegenüber sehr argwöhnisch eingestellt. Vielleicht weil die grauen Uniformen der russischen Offiziere, von den Pelzmützen einmal abgesehen, so sehr denen der Konföderierten ähnelten, mit denen er sich als Unionsgeneral bis vor zwei Jahren herumschlagen musste. Ein Bürgerkrieg ist nie ein Vergnügen. Besonders dann nicht, wenn man den gleichen Namen trug, wie der Oberbefehlshaber der gegnerischen Truppen.

Kaum war die Zeremonie beendet gewesen, hatte er den Befehl gegeben, dass alle Russen vor ­Sonnenuntergang Schloss Baranow räumen mussten. Die amerikanischen Soldaten wurden angewiesen, das Gebäude zu besetzen. Bald erreichten diese Neuigkeiten auch das ­Archangel. Viele Bewohner hatten zugesehen, wie Diener den Besitz der Maksutovs den Berg hinuntertrugen. Während ­Oblomow noch das ganze Ausmaß dieser Nachricht abzuschätzen versuchte, meldete Mason von der Tür aus: „Wir haben Besuch.“

Draußen stand ein Lieutenant mit drei Soldaten. „Sie befinden sich von nun an im Militärischen Distrikt Alaska. Dieses Haus ist bis Sonnenuntergang zu räumen.“

Oblomow starrte ihn fassungslos an. „Aber ich bin jetzt Amerikaner.“

Der Lieutenant machte ihm in harschen Worten deutlich, dass Oblomow für ihn eindeutig ein Russe war und deshalb dem Befehl zu folgen hatte. „Die Frauen dürfen natürlich in ihren Zimmern wohnen bleiben“, fügte der Offizier mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.

Oblomow verschwand im Haus, um kurz darauf mit einer Schrotflinte zurückzukehren. Der Lieutenant zog drohend seinen Säbel zur Hälfte aus der Scheide, die Soldaten hoben ihre Gewehre und visierten den Zwerg an. Die Situation drohte zu eskalieren, bis Mason, Violet und der Barkeeper ihre Waffen aus den Fenstern streckten und eine Pattsituation schufen.

Minutenlang schwangen die Mündungen von einem Ziel zum anderen. Dann wichen die Soldaten auf Befehl des Lieutenants, der sich die Chancen seines Säbels bei einer Schießerei nicht allzu rosig ausmalte, ­rückwärtsgehend in Deckung. Kaum zehn Minuten später waren sie mit Verstärkung zurück. Die Belagerung des Archangel hatte begonnen.

*

Die Verteidigung nahm schnell konkrete Formen an. Möbel wurden verschoben, Tische umgestoßen, Barrikaden errichtet und Drinks geordert. Den Billardtisch rückten sie in den hinteren Teil des Raumes, um ihn zu schützen und, falls nötig, die Belagerungszeit zu verkürzen. Der Pianist hatte sich in die Ecke neben der Bar zurückgezogen, wo er sich vor umherschwirrenden Kugeln einigermaßen sicher wähnte. Zwei schwarze Kellner in schicken Uniformen mit Messingknöpfen und weißen Handschuhen standen untätig herum, was Oblomow veranlasste, über die Sklavenbefreiung zu zetern, die ihn zwang, seine Leute fürs Nichtstun zu bezahlen.

Violet brachte ihre Mädchen durch die Hintertür aus dem Haus. Viele Kunden hatten sich selbstlos dazu bereit erklärt, sie bei sich zu Hause aufzunehmen, auch wenn sie noch nicht wussten, wie sie dies ihren Ehefrauen erklären sollten. Einige Stammkunden schlossen sich spontan der Verteidigung an. Die meisten, weil es sich ihrer Meinung nach beim Archangel um einen schützenswerten Ort handelte, und einer, weil er längst vergessen hatte, wo sich der Ausgang befand.

Die Theke starrte vor Waffen. Mason hielt es für eine weniger gute Idee, sich mit der US-Army anzulegen, die spätestens am nächsten Morgen über schweres Gerät verfügen würde. Er prüfte das Arsenal und nahm sich eine Armbrust. „Das wäre eine gute Gelegenheit, um unsere Geschäftsbeziehung neu zu verhandeln“, knurrte er, als er am Fenster Posten bezog.

„Auf Alamo“, prostete Oblomow seinen Angestellten zu.

Violet kehrte zurück und band dabei ihr glattes schwarzes Haar, das weit über ihre Schultern hinabreichte, zu einem Zopf zusammen. Hier oben war solches Haar nicht sonderlich gefragt, erinnerte es doch zu sehr an eine Indianerin. Alle wollten gelockte Blondinen. In den Großstädten der Ostküste dagegen war es umgekehrt. Dort hätte sie mit ihrem leicht exotischen Aussehen viel Geld machen können, wenn sie das nötige Geld hätte, um dorthin zu gelangen. Violet schnappte sich eines der Gewehre und überprüfte mit geübten Handgriffen, ob es funktionsbereit war.

Die Stammgäste waren durch die Freigetränke inzwischen betrunken genug, um das alles für eine lustige Idee zu halten. Doch Violet schätzte die Situation etwas realistischer ein und da Mason der Einzige war, der nicht grölend eine Schusswaffe herumschwenkte, teilte sie ihre Bedenken mit ihm.

„Eine verzwickte Lage“, antwortete Mason, weil ihm einfach nichts Besseres einfiel. In ihrer Gegenwart neigte er dazu, sich stets komplett zum Trottel zu machen: Mit dem, was er sagte und mit dem, was er tat. Er hatte nie einen Hehl aus seiner Zuneigung für sie gemacht. Violet hingegen schien ihm nicht ansatzweise dasselbe Interesse entgegenzubringen. Nachdem er sich eine Weile bemüht hatte, einen besonders guten Eindruck zu machen, suchte sich Violet ein anderes Fenster, das sie bewachen konnte.

Später stellte sich Oblomow angetrunken zu Mason, der am Fenster Wache hielt, während alle anderen im Raum versuchten, etwas Schlaf zu bekommen. Der Russe schilderte Masons Zukunft in den schillerndsten Farben. Jedenfalls, sobald die lästige Angelegenheit dort draußen geklärt war.

„Über die Bezahlung können Sie nicht meckern und die Tätigkeit lässt Ihnen tagsüber genug Zeit, um nach Gold zu suchen“, sagte Oblomow und kurz darauf: „Wie in aller Welt kommen Sie eigentlich darauf, dass es hier Gold geben könnte? Glauben Sie, der Zar würde dem Verkauf zustimmen, wenn es hier irgendetwas zu holen gäbe?“

Mason erzählte ihm von einer Rede, die Charles Sumner, der Vorsitzende des Senatsausschusses, zur Rechtfertigung des Kaufes gehalten hatte. Die politischen Hintergründe waren für Mason nicht interessant gewesen. Aber er konnte den Teil der Rede Wort für Wort wiedergeben, in dem Sumner über Zentner von Fischen, Sandbänke voller Gold, Felle von bester Qualität und wunderschönem Elfenbein sprach. Die Erwähnung von Elfenbein im Zusammenhang mit Alaska hatte ihn zugegebenermaßen damals schon etwas irritiert.

Nachdem Mason geendet hatte, bescheinigte ihm ­Oblomow in einem Anflug wohlmeinender ­Herablassung, dass er den Inhalt der Rede damals nicht verstanden hatte. All diese Dinge seien nur aufgezählt worden, um zu verdeutlichen, wie unwichtig sie im Vergleich dazu waren, Alaska die Segnungen der amerikanischen Demokratie zu verleihen. Mason ignorierte den Tadel und malte sich weiter Sandbänke voller Gold aus. Gab es in dieser Gegend überhaupt Sandbänke?

Vor dem Gebäude hatte der Lieutenant ein Dutzend Soldaten dazu abgestellt, das Archangel zu bewachen. Schlimm genug, dass sie ein Bordell belagern mussten, anstatt sich darin zu befinden. Sie mussten auch noch in kalter Nacht Wache schieben, während sich ihre Kameraden in den anderen Hurenhäusern der Stadt amüsierten. Die Stimmung unter den Soldaten war mies, und sie versuchten mit Beschimpfungen und Beleidigungen, die Leute aus dem Haus ins Freie zu locken. Von mitfühlenden Kameraden waren die Soldaten mit Schnaps versorgt worden und es dauerte nicht lange, bis dieser seine üble Wirkung tat. Sie fingen einen streunenden Hund, den sie mit alten Feldrationen angelockt hatten. Aus bloßem Übermut und wohl auch einer gehörigen Portion Sadismus bestrichen sie sein Rückenfell mit Pech und zündeten es unter lautem Gejohle an. Der brennende Hund stürzte, rasend vor Schmerz und Angst, geradewegs auf das Archangel zu. Mason sah ihn kommen, riss das Fenster auf und feuerte die Armbrust ab. Der Hund überschlug sich und blieb reglos am Fuß der Treppe liegen. Der Geruch von brennendem Fell und Fleisch drang zu ihnen herein. Violet presste ihre blasse Hand auf das noch blassere Gesicht und wandte sich ab. Mason sah entlang der Reihe der Verteidiger, die angewidert das Gesicht verzogen oder traurig den Kopf schüttelten. Er selbst verspürte nur Wut wegen der sinnlosen Grausamkeit, als er vor die Tür trat. Hoch erhoben blieb er am oberen Ende der Treppe stehen und sah zu den Belagerern, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren. Provozierend langsam stieg er die Stufen nach unten, packte den brennenden Kadaver an Vorder- und Hinterläufen, schwang ihn einmal kräftig herum und ließ ihn in Richtung der Soldaten fliegen. Er schaffte kaum die Hälfte der Strecke, aber das war ohne Bedeutung. Mason warf ihnen einen letzten verächtlichen Blick zu, dann ging er wieder hinein. Niemand wusste, ob die Soldaten von der Scham ernüchtert wurden oder ein zufällig vorbeikommender Offizier sie zur Ordnung gerufen hatte. Jedenfalls kam es in der Nacht zu keinen weiteren Vorkommnissen.

Am nächsten Morgen verließen Oblomow und Mason das Haus, gingen zu den übermüdeten Soldaten und verlangten, zu General Davis gebracht zu werden. Zuvor hatte Oblomow die Anweisung gegeben, das Archangel bestmöglich herauszuputzen, falls jemand es besichtigen wolle.

Der triefäugige Major mit Schmerbauch und Walrossbart, an den sie verwiesen wurden, zeigte sich über einen voreiligen Bestechungsversuch Oblomows verärgert: „Ein Offizier der Streitkräfte der Vereinigten Staaten hat kein Interesse an Schmiergeld. Vor allem nicht aus den Händen eines russischen Bordellbesitzers.“

Aber der Mann war Pragmatiker und stellte die Moral der Truppe über seinen eigenen Sittenkodex. Man wurde sich schnell einig und der Offizier zugänglicher. Wenn seine Soldaten schon ihrem unzüchtigen Treiben nachgehen mussten, dann sollte es an einem sauberen und gepflegten Ort mit gesunden Frauen geschehen. Er hatte während des Krieges miterlebt, wie die Syphilis ein ganzes Regiment schneller dezimieren konnte, als es einem Feind unter günstigsten Voraussetzungen gelungen wäre.

„Bleiben Sie doch noch einen Moment, meine Herren. Wir haben einen Ehrensalut für Alaska als amerikanischen Besitz beschlossen. Einer meiner begabtesten Leute hat eine Position gefunden, bei der wir das Echo der Berge optimal ausnutzen können.“

Der Morgensalut war ihnen herzlich gleichgültig, aber sie blieben, um die gutmütige Stimmung des Majors nicht zu verderben. Mit bemüht ernsthaften Gesichtern standen sie neben ihm. Oblomow hatte seinen Zylinder abgenommen und in Höhe des Herzens an seine Brust gelegt. Mason tat es dem Vorbild des Majors nach und salutierte. Der Knall wurde um ein Vielfaches zurück­geworfen und erweckte den Eindruck einer ganzen Salve. Die Welt erzitterte. Vögelschwärme stiegen auf und entschwanden für immer am Horizont. Halb bekleidete Menschen taumelten schlaftrunken aus ihren Häusern in Erwartung eines Vulkanausbruches. Kein hörendes Lebewesen in der Umgebung würde noch schlafen und der Major schien sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

„Der General hat vorgeschlagen, einen Salut für jeden Dollar des Kaufpreises zu feuern“, sagte er und prustete los, als er Oblomow und Mason erbleichen sah. Sie bemühten sich, den schlechten Scherz zu würdigen. Anschließend reichte man sich die Hände und entließ sich unter der gegenseitigen Versicherung der besten Wünsche. Die letzte Hand, die Oblomow schüttelte, gehörte dem Lieutenant, den er am Tag zuvor mit der Schrotflinte bedroht hatte. Der Offizier zwinkerte Oblomow zu. Anscheinend war er nicht besonders nachtragend.

Unter gegenseitigem Schulterklopfen stiegen ­Oblomow und Mason die Treppen vom Schloss hinab, mit dem festen Entschluss, die eine oder andere Flasche auf ihr bald blühendes Geschäft zu leeren. Oblomow redete unentwegt, machte Pläne und zeigte insgesamt ein ekstatisches Gehabe, das gänzlich fremd an ihm war. Heftig gestikulierend, wohl damit sein amerikanischer Freund es sich besser ausmalen konnte, beschrieb er die geplanten Anbauten, um noch mehr Zimmer zu schaffen und noch mehr Mädchen zu beschäftigen. Mason selbst beschränkte sich auf ein strahlendes Grinsen und eine gedankliche Profitschätzung.

Auf dem Rückweg zum Archangel strömten aufgeregt schnatternde Leute an ihnen vorbei. Mason beschlich ein ungutes Gefühl. Obwohl er sie nicht verstand, meinte er doch, den Namen ihres Hauses mehrmals erkannt zu haben. Und dann tauchte Violet in der Menge auf. Ihr Haar war in Unordnung und ihr Gesicht von Rauch­spuren geschwärzt. Mason packte Oblomow und stemmte den zappelnden Zwerg über den Kopf, damit er die Menschenmenge überblicken und sehen konnte, was der Salut von ihrer gemeinsamen Zukunft übrig gelassen hatte.

Miss Violet

Monate später. Sie standen an Deck, außerhalb der Lichtkegel der Lampen, dicht neben dem Schaufelrad des Dampfschiffes, das jedes Geräusch überdeckte. Der dicke Mann keuchte und sein Gesicht war rot angelaufen. Er hatte sie an den nackten Schultern gefasst und sie drehte den Kopf zur Seite, um seinen Atem nach Bier und Zwiebeln nicht riechen zu müssen. Sie sah auf den Sacramento River hinab und auf die Spur aufgewühlten Wassers, die der Raddampfer hinterließ. Der Dicke packte kräftiger zu und sie beschleunigte das Tempo. Ihre Hand arbeitete routiniert wie die Kolben unter ihnen im Bauch des Schiffes. Der Körper des Mannes krümmte sich und zuckte. Violet bewegte sich etwas zur Seite, damit ihr Kleid nicht beschmutzt werden konnte. Ein letztes Aufbäumen. Der Mann grunzte, dann wandte er sich ab, ohne sie anzusehen. Ein paar Münzen fielen auf die Holzplanken und er ging davon, während er seine Hose zuknöpfte.

Zum Jahreswechsel hatten Violet und Oblomow Sitka endgültig verlassen. An Bord eines französischen Handelsschiffes waren sie nach San Francisco gereist. Die Reise dauerte wegen etlicher Zwischenstationen sehr lange und war höchst unkomfortabel gewesen. Aber es war das günstigste Transportmittel, das sie bekommen konnten. Sie hatten alles verkauft, was vom Archangel noch zu Geld zu machen war. Der Erlös reichte gerade für zwei Passagen. Unterwegs hatte jeder auf seine Weise dazu beigetragen, um die Reisekasse aufzubessern. ­Oblomow verdiente an den Pokertischen und Violet ging einsamen Reisenden zur Hand. Beide waren sich einig, dass dies nicht bis zum Ende ihrer Tage so weitergehen sollte. Wenn Oblomow mal wieder der Falschspielerei bezichtigt wurde und nur knapp einer gehörigen Tracht Prügel entgangen war, oder Violet ihre Handfläche nach ersten Anzeichen von Schwielen absuchte, machten sie gerne Pläne für ihre Zukunft.

Violet wollte weiterkommen. Es war nicht einfach, sich mal eben nebenbei einen vermögenden Geliebten oder Ehemann zu angeln. Dafür war zu viel Konkurrenz nachgewachsen, während sie am Nordzipfel des Landes festgesessen hatte. Ihre Herkunft und ihr Lebenswandel taten ein Übriges.

Mason hatte sich nicht mit ihnen eingeschifft. Er war nur wenige Tage nach dem verheerenden Salutschuss auf dem Landweg abgereist. Jeder hatte ihm davon abgeraten, sich zu Beginn des Winters auf die Reise zu machen, doch er schlug alle Warnungen in den Wind. Er hatte eines seiner beiden Pferde zu einem unverschämten Preis zurückgekauft, sich in alle Kleidung gewickelt, die er beschaffen und erbetteln konnte, und war mit einem knappen Winken aus der Stadt geritten. Seine Pläne, als Pelzhändler sein Glück zu versuchen, hatte Mason ­ohnehin schnell aufgeben müssen, da man alles abschoss, was sich auf vier Pfoten durch die Gegend bewegte. Violet hatte Mason zwar gemocht. Ihr Leben aber mochte sie noch viel mehr. Sie hatte lange genug in Armut gelebt, um sich nicht an einen mittellosen Glücksritter zu binden.