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Als ein Fremder in Eutaw Springs einen Mann erschießt, geht Jake Gutterson im winterlichen Montana auf Mörderjagd. Bald erfährt er, dass das Opfer nicht so unschuldig war, wie er zunächst angenommen hatte. Jake deckt eine grausame Vendetta auf, in der Rache immer wieder neue Rache erzeugt. Er versucht, das Blutvergießen zu beenden.
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Seitenzahl: 156
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Western Legenden
In dieser Reihe bisher erschienen
9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache
9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato
9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen
9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen
9005 Dietmar Kuegler Tombstone
9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang
9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod
9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin
9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana
9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas
9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs
9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk
9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition
9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen
9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer
9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen
9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell
9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr
9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee
9020 R. S. Stone Die Hand am Colt
9021 Dietmar Kuegler San Pedro River
9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen
9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas
9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker
9025 R. S. Stone Blutiger Winter
9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge
9027 Alex Mann Dreitausend Rinder
9028 R. S. Stone Schwarzes Gold
9029 R. S. Stone Schmutziger Job
9030 Peter Dubina Bronco Canyon
9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt
9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille
9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache
9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang
9035 Alex Mann Mexico Marshal
9036 Alex Mann Der Rodeochampion
9037 R. S. Stone Vierzig Tage
9038 Alex Mann Die gejagten Zwei
9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge
9040 Peter Dubina Brennende Lager
9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone
9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General
9043 Alfred Wallon Der El-Paso-Salzkrieg
9044 Dietmar Kuegler Ein freier Mann
9045 Alex Mann Ein aufrechter Mann
9046 Peter Dubina Gefährliche Fracht
9047 Alex Mann Kalte Fährten
9048 Leslie West Ein Eden für Männer
9049 Alfred Wallon Tod in Montana
9050 Alfred Wallon Das Ende der Fährte
9051 Dietmar Kuegler Der sprechende Draht
9052 U. H. Wilken Blutige Rache
9053 Alex Mann Die fünfte Kugel
9054 Peter Dubina Racheschwur
Alex Mann
Die fünfte Kugel
Jake GuttersonBand 4
Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-674-3
Fred Morgan fuhr sich mit den Fingern über das glatt rasierte Kinn und zog, ohne dass er es merkte, leicht die rechte Augenbraue hoch, was seinem Gegenüber wohl ein Lächeln entlockt haben würde, wenn er sich nicht etwas besser im Griff gehabt hätte.
Angestrengt musterte Fred seine Karten. Eines hatte er in den letzten Tagen bereits über das Pokerspiel gelernt. Man sollte nie seine Karten sortieren, denn das sagte einem erfahrenen Gegenspieler bereits so einiges über das Blatt, das man auf der Hand hatte. Durch die Art, wie jemand sortierte, und daran, was er dann für Karten abwarf, bekam ein gewissenhafter Beobachter eine Vorstellung vom Wert des Blattes, das man auf der Hand hatte. Allerdings bereitete es Fred noch einige Mühe, sich das ungeordnete Blatt auf seiner Hand als einen vernünftigen Straight vorzustellen, wofür er lediglich seine Pik Drei abwerfen und auf eine Zehn spekulieren musste.
Er spielte jetzt den dritten Abend hintereinander Poker in diesem lauten Saloon mitten in der kleinen verschneiten Stadt am Rande von Montana. Er war trotz der Kälte hierhergekommen, weil er sich den Winter über verkriechen wollte. Fred Morgan hatte nicht viel erwartet und in Eutaw Springs am Ende doch alle Annehmlichkeiten gefunden, die ein Mann sich wünschen konnte: eine bezahlbare Unterkunft, einen Saloon mit erstklassigem Bier, ein Freudenhaus mit schönen Mädchen und ein paar Pokerfreunde, die ihn forderten, aber nicht überforderten. Die drei Männer, die ihm gegenübersaßen, waren allesamt kleine Geschäftsleute der Stadt. Keiner von ihnen war ein professioneller Spieler – und Fred Morgan hätte sich gehütet, sich mit so jemandem einzulassen. Aber sie spielten alle gut, um nicht zu sagen, besser als er, was sich daran bemerkbar machte, dass er jeden Abend mit leichten Verlusten nach Hause ging. Aber er wurde besser, auch wenn seine Erfolge noch stärker von einem guten Blatt und weniger von seinen Blufferfähigkeiten abhingen.
„Karten?“, fragte sein Gegenüber und Fred erschrak, als er im Gesicht des Mannes erkennen konnte, dass die Frage nicht zum ersten Mal gestellt wurde.
„Ähm ... eine“, sagte er, griff unsicher nach der Pik Drei und warf sie auf den Tisch.
„Was ist los mit dir, Fred?“, fragte der Geber. „Steigt dir das Bier in den Kopf?“
Eine einzelne Karte flog über den Tisch. Fred ergriff sie und presste enttäuscht die Lippen zusammen. Es war das Karo As, eigentlich eine exzellente Karte, aber in seinem Fall nahezu wertlos.
Der Geber, der einen einfachen braunen Cordanzug trug, lächelte sanft. „Kein Glück heute?“
Fred Morgan schob seine Karten zusammen und warf sie in die Mitte des Tisches, als ihm klar wurde, dass seine Mitspieler genau wussten, dass er nichts – oder nahezu nichts – auf der Hand hatte und es daher keinen Sinn hatte, zu bluffen.
„Ich setze eine Runde aus und trinke noch ein Bier“, sagte er.
„Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte der Mann im Cordanzug.
„Alles bestens. Es ist ein schöner Abend. Auch wenn die Karten gegen mich sind.“
Fred durchschritt den lärmenden Saloon, in dem es nach Tabakqualm, Whisky, Bier, Schweiß und dem süßen Parfüm von ein paar Animiermädchen roch. Eine Gruppe Bergarbeiter hatte sich mit großen Humpen dünnen Bieres neben das Klavier gestellt und sang irische Lieder. An der Bar tummelten sich Geschäftsleute in schlichten Anzügen und ein paar Vertreter der Minengesellschaft.
Fred Morgan suchte sich eine freie Lücke, schob sein leeres Glas über die Theke und wartete, dass der Barkeeper Blickkontakt mit ihm aufnahm.
„Noch eins von dem Guten?“, fragte dieser, als er schließlich auf Fred Morgan zukam.
Fred zögerte einen Moment. „Ach, was solls, immer her damit.“
„Sie sind mein Mann“, sagte der Barkeeper zufrieden, nahm das Glas und hielt es unter den Messingzapfhahn.
Fred Morgan beobachtete, wie das Bier langsam ins Glas lief und die Blume immer weiter anwuchs. Dabei entging ihm der Neuankömmling, der sich durch die verschlossene Doppeltür des Saloons schob. Auch den kurzen frostigen Windhauch, der sein Erscheinen begleitete, bemerkte er nicht. Der Mann trug einen dunkelblauen Mantel, der bis an die Schäfte seiner braunen, knapp unter den Knien endenden Stiefel herabfiel. Er war über und über mit Schnee gesprenkelt, der draußen in dicken Flocken über der Stadt niederging. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog er sich den kratzigen braunen Schal aus dem Gesicht, wobei er seinen Blick durch den Saal schweifen ließ. Keiner der Gäste nahm von dem Neuankömmling sonderlich Notiz, doch er schien irgendjemanden Bestimmtes zu suchen. Die angenehme Wärme trieb dem Mann, der mehrere Stunden in eisiger Kälte verbracht hatte, den Schweiß aus den Poren, sodass er sich mit dem Handrücken über die Stirn fuhr und dann die ledernen Handschuhe auszog. Er knöpfte den dicken Mantel auf und schien immer noch jedes Gesicht im Raum genau zu studieren.
Ein braunes Lederholster war um seine Hüften geschwungen, und anstatt den Mantel auszuziehen, schlug er ihn nur so weit zurück, dass der Kolben seines Schofield-Revolvers sichtbar wurde. Der Mann war jung, noch keine dreißig, auch wenn ein dichter schwarzer Vollbart und seine im Frost spröde gewordene Haut seine Jugend kaschierten.
Sein Brustkorb bebte, weniger vor Anstrengung als vor einer Erregung, die niemand hätte deuten können, wenn er den Mann bemerkt hätte.
Mike schob Fred Morgan sein Bier zu, sackte sein Geld ein und zog sofort zum nächsten Gast weiter. Ihm war der Neuankömmling aus den Augenwinkeln durchaus aufgefallen – ihm entging kein neuer Gast –, aber er hatte so viel zu tun, dass er sich nicht weiter darum kümmern konnte. Wenn der Mann etwas von ihm wollte, würde er sich schon an die Theke bemühen.
Fred Morgan setzte das Glas an und nahm einen tiefen Schluck. Das Bier in diesem Saloon war das Beste, dass er jemals getrunken hatte. Wenn das Leben sonst keinerlei Annehmlichkeiten bieten würde, dieses Bier allein wäre Grund genug, den Winter in Eutaw Springs zu verbringen.
Er lächelte, ohne es zu merken, und drehte sich zu seinen Pokerfreunden um, wodurch der Fremde sein Gesicht erkannte. Fred Morgan bemerkte den Mann nicht und hing schon wieder über der Theke, als der Mann sich mit langsamen, festen Schritten in Bewegung setzte.
Fred setzte zu einem weiteren Schluck an, als eine Stimme hinter ihm fragte: „Fred Morgan?“
„Hmmm“, brummte Fred bejahend und trank.
Der Fremde zog seinen Revolver, spannte den Hahn und schoss Fred Morgan aus kürzester Distanz in den Kopf. Der Donner ließ jeden einzelnen Besucher erschrocken zusammenzucken. Freds Kopf zerplatzte. Blut spritzte auf den Fremden, die umstehenden Gäste und an den Spiegel der Bar. Das noch beinahe volle Bierglas zersprang, von derselben Kugel getroffen, in tausend Teile. Freds lebloser, ja, regelrecht kopfloser Körper wurde gegen die Bar geschleudert und sackte dann einfach in sich zusammen.
Für einen Sekundenbruchteil herrschte eine unheimliche Stille, während der Schall des Schusses verrauchte und alle zu verarbeiten suchten, was sie gerade gesehen hatten, beziehungsweise, was sie in Form einer grausam entstellten Leiche noch immer mit ansehen mussten.
Der Fremde senkte den Revolver, machte ein, zwei Schritte nach hinten.
Ein Animiermädchen schrie entsetzt auf. Ein Mann in einem grauen Anzug löste sich von der Bar, ging auf den Fremden zu und wollte seinen Arm packen, doch schon schwang der Revolver wieder nach oben und krachte gegen das Kinn des Mannes, der schwer getroffen gegen die Theke taumelte und von seinen Freunden aufgefangen wurde.
Der Fremde machte zwei weitere schnelle Schritte nach hinten, als sich auch die Minenarbeiter vom Klavier lösten und auf ihn zueilten.
Wieder schoss der Arm des Fremden nach vorn, ein weiterer Schuss krachte und einer der Minenarbeiter wirbelte schreiend herum. Der Geruch verbrannten Pulvers breitete sich in dem Raum aus.
„Das war was Persönliches“, sagte der Fremde. „Geht keinen von euch was an. Gibt keinen Grund, Mitleid mit dem Schwein zu haben. Er hats genauso gemacht.“ Er schaute auf den Minenarbeiter, der zu Boden gestürzt war und sich den linken Arm hielt, aus dem das Blut quoll. Seine Kumpel hatten sich über ihn gebeugt. Sie alle hielten noch immer ihre schweren Bierhumpen in der Hand. „Ich hab’ noch vier Kugeln“, sagte der Fremde. „Hab nicht vor, sie zu benutzen, aber wenn ich’s muss, werde ich sie auch nicht verschwenden.“
Langsam ging er rückwärts auf die große Flügeltür zu. Den Revolver hielt er weiter auf die Minenarbeiter gerichtet, doch sein Blick wanderte ruhelos durch den ganzen Saloon. Als er die Tür erreicht hatte, griff seine linke Hand vorsichtig nach hinten, suchte und fand den Türknauf und drehte ihn. Eisiger Wind und Schnee fauchten durch den Türspalt.
„Ich rate euch, mir nicht gleich zu folgen“, sagte der Fremde, stieß die Tür ganz auf, trat ins Freie und schloss die Tür wieder.
Sofort setzte lauter Tumult in dem Saloon ein. Mehrere Männer umringten die Leiche, während die Minenarbeiter nach dem Arzt riefen, der jedoch nicht zu den Gästen gehörte.
„Der Sheriff!“, sagte Mike, der Barkeeper, schließlich. „Jemand muss Sheriff Gutterson holen.“ Er wandte sich seinem Gehilfen zu, der sich weit über die Theke der Bar gebeugt hatte, um den Toten zu betrachten. „Steve, geh los und hol ihn.“
Erschöpft ließ sich Jake Gutterson in das Bett fallen. Er schwitzte am ganzen Körper, sein Brustkorb bebte. Sophie zog rasch die Decke bis zu ihrem Hals und kuschelte sich dann an ihn.
„Wenn es nach mir ginge, könnte immer Winter sein“, sagte sie.
„Warum?“
„Sobald der Schnee schmilzt, wird das Gras auf den Weiden sprießen. Dann kommen die ersten Treibherden und mit ihnen die Cowboys. Und dann ist es mit der Ruhe in dieser Stadt vorbei. Dann wirst du nicht mehr so früh nach Hause kommen.“
„Ach, und wenn ich später komme, haben wir für das hier keine Zeit mehr?“, fragte er und zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Ich nehme an, du wirst dafür keine Energie mehr haben.“
„Du unterschätzt mich.“
„Tue ich das?“
„Aber sicher. Cowboys kosten nur Nerven. Keine Energie.“
„Na, wenn du meinst.“
Jake schüttelte sich, als der Schweiß in der kalten Luft abkühlte. Er kroch unter die Decke, drehte sich zur Seite und sah Sophie ins Gesicht. Ihre Augen strahlten. Wilde Strähnen ihres braunen Haares hingen ihr in die Stirn. Sie sah wunderschön aus. Jake war immer wieder erstaunt, wie sehr sich ihr Körper seine jugendliche Straffheit bewahrt hatte.
Plötzlich kam ein Flackern in das Strahlen ihrer Augen.
„Was ist?“, fragte Jake.
„Ach nichts.“
Er kniff fragend die Augen zusammen, zog sie enger an sich heran. „Sag schon.“
„Ich frage mich manchmal, ob es Spuren hinterlässt, wenn ... ich meine ...“
„Ob es Spuren hinterlässt, wenn ich einen Menschen erschießen muss?“
Sie nickte kaum merklich. „Alle in der Stadt wissen, dass Jimi Hill von sechs Kugeln durchlöchert wurde. Eine ganze Trommel. Du hast ihn nicht einfach nur getötet.“
„Das stimmt“, sagte er und rief sich das Duell in Erinnerung. „Aber das hat nichts damit zu tun, ob es Spuren hinterlässt.“
„Meinst du? Spielt die Art und Weise keinerlei Rolle?“
„Nicht in diesem Fall. Ich wusste, wer der Mann war, ich wusste, was er getan hatte, und es war klar, dass es genau darauf hinausläuft. Die erste Kugel war gerechtfertigt. Der Rest war Zorn, aber das spielte dann schon keine Rolle mehr.“
„Fragst du dich nicht, wie Gott das Ganze sieht?“
„Um ehrlich zu sein, habe ich es nicht so sehr mit Gott. Ich frage mich immer nur, wenn es so weit ist, ob es gerechtfertigt ist.“
„Ist es so einfach?“
„Na ja, wenn es einfach wäre, wäre das hier nicht meine, keine Ahnung, wievielte Station als Sheriff.“
„Das meinte ich nicht“, sagte Sophie und fuhr mit ihren Fingernägeln über seinen Bauch. „Seit ich in dieser Stadt wohne, hatte Sheriff Tucker einmal richtig zu tun. Ein junger Mann hatte seinen besten Freund erschossen, weil sie beide in das gleiche Mädchen verliebt waren. Es gab keine Zeugen und das Ganze wäre wohl nie geklärt worden, wenn der junge Mann nicht irgendwann zusammengebrochen wäre. Seinem Vater gegenüber gestand er, dass er die Bilder seines sterbenden Freundes nicht aus dem Kopf bekäme.“
„Und der Vater hat ihn dann Tucker ausgeliefert?“
„Ja.“
„Erstaunlich.“
Sie sah ihm fest in die Augen. „Geht es dir nicht auch so?“
„Ich war im Krieg“, sagte er nach einer kurzen Pause. „Und dort habe ich viele Menschen sterben sehen. Freunde, Feinde, wenn sie vor dir im Dreck liegen, machts eigentlich keinen Unterschied mehr. Ich weiß nicht, was jeder von ihnen auf dem Kerbholz hatte. Damals bin ich davon ausgegangen, dass jeder so sein könnte wie ich. Keiner hatte es verdient zu sterben. Und wenn man es so betrachtet, ist es furchtbar, so viele Tote und Sterbende zu sehen. Wenn ich etwas nicht mehr aus dem Kopf bekomme, dann sind es diese Bilder. All die Kerle, die danach kamen, hatten es verdient. Die waren mir egal.“
Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter, schwieg und dachte über seine Worte nach. Jake hatte das Gefühl, noch etwas sagen, noch etwas erklären zu müssen. Aber er wusste nicht, was.
Irgendwann fielen ihm die Augen zu, doch kurz bevor er wirklich in einen tiefen Schlaf fiel, hörte er Rufe von draußen.
„Jake?“, fragte Sophie. „Ich glaube, da ruft jemand nach dir.“
„Ich höre es“, sagte er, schlug die Bettdecke beiseite und fror. Er zündete eine Öllampe an, griff nach seinen Sachen, die auf einem Stuhl neben dem Bett lagen, und zog sich hastig an, während eine Stimme von draußen seinen Namen rief. Als Letztes schnallte er seinen Coltgürtel um, küsste Sophies Stirn, die ihn fragend ansah, und eilte ohne weitere Worte aus dem Zimmer.
Als er die Haustür öffnete, erkannte er vor der Veranda Steve, den Gehilfen von Mike, der sich schnell eine Jacke übergeworfen und beide Hände unter die warmen Achseln geklemmt hatte. Er sprang von einem Bein aufs andere. Der frostige Wind peitschte ihm dicke Schneeflocken ins Gesicht.
„Was gibts denn?“, fragte Jake.
„Sie müssen schnell ins Empire kommen, Mister Jake. Jemand wurde erschossen.“
Mit einem unbestimmbaren Fluch auf den Lippen eilte Jake voran in die Stadt. Er betrat den Empire Saloon durch die Hintertür und nahm sofort das laute Gemurmel wahr. Der Geruch von Tabak und Whiskey stieg ihm in die Nase und unterschied sich auf widerliche Art und Weise von dem Lavendel in Sophies Haus.
Als er den großen Raum betrat, machte die Menschenmenge ihm ehrfurchtsvoll Platz und gab den Blick auf einen Toten frei, der zusammengesackt vor der Bar lag. Eine dicke Blutlache hatte sich vor den Resten seines Kopfes ausgebreitet. Hirnmasse, Knochensplitter und Glasscherben verteilten sich über die halbe Bar. Jake erkannte mehrere Männer, deren Gesichter immer noch mit der Körperflüssigkeit der Leiche verschmiert waren.
Eine zweite Menschengruppe scharte sich um einen Tisch, auf dem ein schreiender Mann lag. Jake erkannte den Doktor, der sich über ihn beugte. Seine offene Ledertasche lag neben ihm auf einem Stuhl. Blut rann über das Ende des Tisches.
Er beschloss, dass es besser wäre, dem Arzt nicht in sein Handwerk zu pfuschen und sich zunächst einmal um den Toten zu kümmern. Vorsichtig ging er auf die Leiche zu und betrachtete sich das Massaker noch einmal genau.
„In Ordnung. Was ist hier passiert?“, fragte er, obwohl er bereits eine ziemlich genaue Vorstellung vom Gang der Ereignisse besaß.
Sofort wollte ein Dutzend Männer zum Sprechen ansetzen, doch Jake hob als Gebot des Schweigens die Hand und zeigte schließlich auf einen dicklichen, älteren Herrn, der am stärksten mit Blut verschmiert war und dem Opfer vermutlich am nächsten gestanden hatte.
„Mister Williamson. Sprechen Sie.“
Mister Williamson straffte sich, hob stolz das Kinn, wobei seine Weste über den üppigen Bauch rutschte. Doch dann, als er bemerkte, dass er eigentlich fast gar nichts wusste, fiel er wieder in sich zusammen.
„Nun ja, eigentlich kann ich ihnen dazu gar nicht viel sagen, Mister Gutterson. Ich hörte nur, wie ein Fremder den Namen des Toten rief.“
„Wer ist das eigentlich?“, fragte Jake.
„Nun ja ... Ich weiß nicht“, sagte Williamson.
Jake sah zu Mike herüber, der hinter seiner Bar stand. „Der Mann hieß Fred Morgan“, sagte Mike. „War seit ein paar Tagen in der Stadt.“
Jake nickte. „Okay. Dazu kommen wir gleich. Weiter, Mister Williamson.“
„Also, dieser Fremde rief seinen Namen und dann hörte ich nur noch, wie er rief: Da hast du’s, du mieser Bastard! Ja und dann hat er ihm schon den Schädel weggepustet.“
„So wars doch gar nicht“, sagte der Mann direkt hinter Mister Williamson, dessen rechte Gesichtshälfte auch noch immer mit Blut verschmiert war. „Er hat ihn einen verfluchten Dieb genannt.“
„Einen Dieb?“, fragte Jake.
„Ja, einen Dieb.“