Willi - der Held von Lich - Stefan Koenig - E-Book

Willi - der Held von Lich E-Book

Stefan Koenig

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ich habe Willi, den LKW, in Elon Musks Tesla-Werk in Grünheide kennen und schätzen gelernt. Er ist nicht nur irgendein Brummi. Willi ist dank Künstlicher Intelligenz ein kluger, selbstfahrender 1.020 PS-Gigant. Ich habe ihm damals von dem Logistikmonster in unserer heimeligen Kleinstadt erzählt: Vom Kampf der Bürger gegen die Zerstörung von Natur und städtischer Kultur. Von unserem Protest gegen die undemokratische Arroganz der Stadtväter, gegen die unsägliche Ignoranz der Entscheidungsträger. Willi hat mich verstanden. Er sicherte mir seinen Beistand zu, und seine LKW-Freunde halfen mit. So nahm alles seinen Lauf. Und wie es so ist: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Also musste die Tanke als erstes dran glauben. Doch zu guter Letzt siegte die Natur.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 199

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Stefan Koenig

Willi - der Held von Lich

Ein KI-gesteuerter, selbst fahrender LKW besiegt ein Logistikmonster

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Willi - der Held von Lich

Ich halt‘ die Luft an

Prolog

Empörung

Vorsorge & Angriff

Veruntreuung & Hoffnung

Eskapaden & Tiraden

Hupen & Tanken

Elon & Mike Musk

Mike Musk, der Roboter

Das Ende naht

Ablösung an der Zapfsäule

Gespräch mit Willy

Mike Musk und der Prozess

Elon Musk muckt noch immer

Klassentreffen mit Willi

Dank

Statt eines Nachwortes

Verlagspublikationen zu Lich und KI

»3033«

Anhang *

P. S.

Impressum neobooks

Willi - der Held von Lich

Stefan Koenig

Willi

Der Held von Lich

Eine fantastischer

selbstfahrender LKW,

der ein Logistikmonster besiegt

Thriller

© 2025 by Stefan Koenig

Wie Sie vielleicht wissen:

Die Geschichte zählt,

nicht der Erzähler.

Und dennoch völlig im Ernst:

Bitte vergessen Sie nicht,

dass es sich bei dem vorliegenden Werk

um eine frei erfundene Story handelt.

Keine Angst also!

Personen-, Unternehmens- und Straßen-Namen,

die Ihnen vielleicht

durchaus bekannt vorkommen mögen,

gehören nicht

zu real existierenden Personen, Firmen oder Orten.

Jedenfalls gibt es sie so nicht, nicht so!

Orte, Ereignisse und Romanfiguren

sind allesamt Erfindungen.

Nackte Illusionen.

Faktische Fiktionen.

Fiktive Fakten.

Lich und Langweilsdorf …

… gibt es diese Orte überhaupt?

Die FarAway Company,

die Wüst Immobilien AG und Bürgermeister,

die den Bürgern zu Diensten sein wollen –

so etwas kann es einfach nicht geben.

Ich bin mir in nichts mehr sicher.

Vielleicht aber wissen Sie ja mehr.

Ich halt‘ die Luft an

Irgendwo in Kanada

Macht ein Schmetterling nur ein‘ Flügelschlag

Ein paar Stunden später dann

Jagt mich hier bei uns ein Sturmtief durch den Tag

Früher war scheinbar alles leichter

Sonderbar, wenn ei‘m die große weite Welt

Plötzlich auf die Füße fällt

Ich halt‘ die Luft an, bis alles wieder stimmt

Die Wolken sich verziehen, ‘ne gute Zeit beginnt

Ich halt‘ die Luft an, bis alles wieder geht

Die Welt, wie ich sie kenn‘, sich einfach weiterdreht

Oh-oh-oh-oh

Ich halt' die Luft an, bis ich nicht mehr kann

Jemand twittert irgendwas

Und am nächsten Tag ist alles nichts mehr wert

Einer sprengt was in die Luft

Weil ihn meine Art zu leben so sehr stört

Grenzenlos fluten mich die Bilder übergroß

Ganz egal, was auch passiert

Passiert ab jetzt auch immer hier

Ich halt‘ die Luft an, bis alles wieder stimmt

Die Wolken sich verziehen, ‘ne gute Zeit beginnt

Ich halt‘ die Luft an, bis alles wieder geht

Die Welt, wie ich sie kenn‘, sich einfach weiterdreht

Oh-oh-oh-oh, oh-oh-oh-oh

Ich halt‘ die Luft an, bis ich nicht mehr kann

(Ina Müller)

Auf ewig widme ich das Buch

all jenen Licher Bürgern,

die sich niemals damit abfinden können,

dass damals über ihre Interessen hinweg

rigoros entschieden wurde.

Und die heute immer noch dreist

von feigen Politikern belogen werden,

indem behauptet wird,

es seien jetzt, nach dem Untergang

des fürchterlichen Logistikalbtraums,

„leider 200 Arbeitsplätze verloren gegangen.“

In Wahrheit waren es

nach Auskunft der Buchhaltung

niemals mehr als zwischen

30 und 50 Billiglohn-Stellen.

Und natürlich widme ich dieses Büchlein

meinen treuen Leserinnen und Lesern,

immer in der Hoffnung,

dass sie noch gut schlafen können.

Prolog

Das Jahr 2025

Der Mann hieß Arturo Groß und war der Ex-Bürgermeister meiner Kleinstadt, und ich sah, dass er im Begriff war, etwas Verrücktes zu tun. Seine Augen waren hinter der braun eingefassten Brille ganz groß geworden, und man sah viel Weißes, wie bei einem angriffslustigen Pit Bull. Die beiden jungen Leute, die mit ihrem klapprigen Seat noch rechtzeitig auf den Parkplatz der Tankstelle geschlingert waren, redeten auf ihn ein, aber er hielt den Kopf schräg, als hörte er fremde Stimmen. Nach seinem Bürgermeisteramt und dem einträglichen Deal mit der Wüst-Immobilien-AG und der FarAway Company, FAC, einem US-Konzern, der Möbel vertrieb, war er die Karriereleiter hochgefallen.

Jetzt war er Vorstand und CEO eines Seniorenstifts mit dreifach höherem Gehalt und begegnete in seinen Räumen den vielen Alten mit schräggestellten, nach fremden Stimmen lauschenden Köpfen. Sein praller Bauch steckte in einem teuren grauen Anzug, der am Hosenboden schon ein wenig glänzte. Arturo Groß und die beiden jungen Leute starrten durch das Fenster der Tankstelle hinaus auf den Parkplatz. Er lag genau zwischen der FAC und Blau’s Tanke & Imbiss.

Am Tresen der Imbiss-Tanke saß ein Lastwagenfahrer, und Bernd, der Mann hinter dem Tresen, schob ihm eine Flasche Bier zu. »Bernd Blau« stand auf seiner Jacke, und er war der clevere Juniorchef der kleinen Raststätte. Die PKW und LKW-Tanke gehörte dem CDU-Politiker Arnold Blau, der sich seit drei Jahren bei seinen Landkreis-Kollegen um eine Genehmigung bemüht hatte. Er hatte Profit gewittert – bei all den prognostizierten Lastern. Letztes Jahr, 2024, hatte seine Tanke endlich eröffnet. Und nun das – all diese unerklärlichen Phänomene.

„Versuchen Sie es noch mal mit dem Radio“, sagte der Lastwagenfahrer. Blau junior zuckte mit den Schultern und drehte augenrollend am Einstellknopf, aber er bekam nur statisches Rauschen.

„Sie drehen zu schnell“, protestierte der Fahrer. „Auf Mittelwelle muss man langsam suchen, sonst überspringt man vielleicht was.“

„Mittelwelle ist seit 2016 abgeschaltet. Ich kann nur auf UKW empfangen.“

„Mist!“ Der LKW-Fahrer umklammerte sein Bier und rutschte unruhig auf dem Hocker herum.

„Verdammt“, sagte Berni Blau, wie ihn seine Freunde mit Vornamen nannten. Er war etwa Mitte dreißig und trug einen silberglänzenden Nasenring am linken Nasenflügel. Er schaute an dem Fahrer vorbei durch das große Panoramafenster auf den Parkplatz und den dahinter liegenden Kreisel hinaus. Hinter dem Kreisel ragten die großen farbigen Letter des Logistikunternehmens, FAC, in die Höhe.

Acht schwere Lastwagen standen draußen mit laufenden Motoren. Ihr Dröhnen im Leerlauf hörte sich an wie das Schnurren von Raubkatzen. Es waren ein paar Volvos und Renaults, ein MAN und zwei nagelneue Tesla-LKW. Alle mit Anhän-gern. Alles absolut typische Logistik-LKW für den Schwerverkehr.

Der Seat der jungen Leute lag umgestürzt am Ende einer langen Rutschspur im losen Kies des Parkplatzes. Er war total zerfetzt. In der Nähe der Abfahrt vom Kreisel zum Parkplatz stand ein völlig plattgemachter Mercedes. Sein Besitzer starrte wie ein ausgenommener Fisch durch die gesprungene Windschutzscheibe. An einem Ohr hing noch seine Sonnenbrille.

Am Rand des Kreisels lag die Leiche eines Schuljungen im Sportdress. Wahrscheinlich hatte ihn sein Vater gerade vom Fußball abgeholt. Als der Junge sah, dass es krachen würde, war er aus dem Daimler gesprungen und weggerannt, aber er hatte keine Chance gehabt. Er sah am schlimmsten aus, wenngleich er mit dem Gesicht nach unten lag. Obwohl es erst eine Stunde her war, umschwirrte ihn eine Wolke von Schmeißfliegen.

Ich schüttelte mich und versuchte, mich abzulenken. „Was hat hier eigentlich der Ex-Bürgermeister zu suchen?“, fragte ich den Mann am Tresen.

„Einmal im Monat kommt er her, schaut lange hinüber, trinkt ein Bier, isst ‘ne Pizza, geht dann rüber, um dem FAC-CEO Hallo zu sagen, kommt wieder, bestellt noch ein Bier und brüstet sich, dass das sein Projekt ist. Ohne ihn wäre hier nichts los. Alles wäre sein Werk. Ohne ihn wäre Lich tot. Aber keiner würde es ihm danken. Wie könne man nur sein wundervolles Werk, seine ganze Lebensleistung, so verkennen. Undank sei der Welten Lohn.“

Ich drehte mich um und sah wieder nach draußen. Auf dem etwas erhöht gelegenen Kreisel lag ein nagelneuer BMW auf seinem zerbeulten Dach wie ein hilfloser Käfer aus einem verrückten Kafka-Roman.

Ich musste unwillkürlich an die TV-Sendung »Hot oder Schrott« denken.

Wir warteten jetzt schon seit fast zwei Stunden auf Hilfe, doch niemand war gekommen. Die stadteinwärts führende Straße konnte man vom Fenster aus nicht einsehen, und Festnetz wie Handys waren so tot wie das Radio.

„Sie drehen wirklich viel zu schnell“, wiederholte der Fahrer seinen Protest. „Machen Sie verdammt nochmal …“

In diesem Moment rannte Arturo der Große los. Er stieß den Tisch um, als er aufsprang. Die Gläser zerschellten auf dem Boden und der Zuckerstreuer spritzte in hohem Bogen. Er rollte wild mit den Augen, und seine Lippen hingen schlaff herab. „Es ist aus. Wir müssen hier raus“, brabbelte er. „Wir müssen hier raus, wir müssen hier raus …“

Der junge Mann schrie, und seine Freundin kreischte.

Groß stürzte zur Tür und rannte über den Asphalt, dann über den Kies hinüber in Richtung des Abflussgrabens, der das 40.000 Quadratmeter-Gelände der FarAway Company wie bei einer mittelalterlichen Ritterburg umgab. Zwei der dieselbetriebenen Lastkraftwagen rasten auf ihn zu, während die beiden Tesla-LKW und die anderen vier Wagen abwartend auf ihren Plätzen standen und lauerten.

Die auf ihn zurasenden Wagen stießen dunklen Dieselqualm in den sommerlichen Abendhimmel, und die riesigen Hinterräder ließen den Kies weg spritzen, als würde aus Kalaschnikows geschossen.

Groß war höchstens noch zwanzig Meter vom rettenden Abflussgraben entfernt, als er sich umdrehte. In seinem Bürokratengesicht stand nackte Angst. Er stolperte über seine eigenen Beine und wäre fast gestürzt. Er fing sich wieder, aber es war zu spät. Einer der LKW machte Platz, und der andere, ein Volvo, beschleunigte. Sein riesiger Kühlergrill funkelte bösartig im Schein der untergehenden Sonne. Der Ex-Bürgermeister, dem das Logistikmonster und die Monster-LKW ihr Dasein verdankten, stieß einen hohen dünnen Schrei aus, der im dumpfen Brüllen der Dieselmotoren fast unterging.

Der LKW überfuhr ihn nicht. Wie sich später herausstellen sollte, wäre es für ihn besser gewesen. Er stieß ihn vielmehr weg, wie Donald Trump einen Golfball wegschlägt. Ganz kurz zeichnete sich seine Silhouette wie eine verbogene Vogelscheuche oder wie ein aufgeflogener Strohmann vor dem Abendhimmel ab, und dann verschwand er im Abflussgraben.

Die Bremsen des großen Lastkraftwagens zischten wie der Atem eines feuerspeienden Scheusals, und die Vorderräder blockierten und zogen tiefe Spuren durch den grauen Kies. Nur wenige Zentimeter vor dem Graben kam er zum Stehen. Dieser Drecksack.

Das junge Mädel stand neben ihrem Freund in der Nische vor der Glasfront und kreischte wieder hysterisch. Ihre Finger krallten sich in ihre roten Wangen, und ich hatte den Eindruck, dass entweder ihr Blutdruck den Kopf zum Platzen bringen oder sie ihre Wangen aufreißen würde.

Hinter mir hörte ich das Splittern von Glas. Als ich mich umdrehte, sah ich den Lastwagenfahrer mit blutender Hand, vor sich auf dem Tresen die zerbrochenen Scherben seines Bierglases. Ohne ein Anzeichen von Schmerzbewusstsein starrte er mit offenem Mund nach draußen.

Der Juniorchef des Ladens stand wie angewurzelt hinter dem Tresen neben seinem hilflos rauschenden Radio, ein Küchentuch in der erhobenen Hand. Er wirkte total entgeistert. Sein Nasenring funkelte. Für einen kleinen Moment hörte man nur das Ticken der IKEA-Wanduhr und dann wieder das Dröhnen des Motors, als der Volvo zu seinen Kollegen zurückfuhr. Mich wunderte, dass sich die geräuschlosen Tesla-LKW nicht in das Geschehen einmischten. Aber ich hatte bereits einen Verdacht.

Dann fing das Mädel an zu weinen, und das war gar nicht mal so schlecht – jedenfalls mussten die Emotionen raus.

Mein eigener Wagen, ein 2014er Ford stand an der Nebenseite der Tanke und war nur noch Schrott. Ich hatte keine Vollkasko. Wovon soll sich ein Schriftsteller eine Vollkasko leisten? Ich musste ihn noch abzahlen, doch ich glaube, das tat jetzt nichts mehr zur Sache. In Schreckmomenten kann das, was eben noch äußerst wichtig war, plötzlich total irrelevant sein.

In den Lastwagen saß niemand.

Die untergehende Sonne spiegelte sich in leeren Fahrerhäusern. Die Räder drehten sich von selbst. Man durfte darüber nicht viel nachdenken, aber es bestätigte meinen Verdacht. Hätte mich Elon Musk damals in Grünheide, im Tesla-Werk, nicht als PR-Chef eingestellt, wäre ich niemals Willi begegnet. Ohne diese Erfahrung wäre ich jetzt wahrscheinlich verrückt geworden. Wie Arturo Groß.

Drei weitere Stunden vergingen. Die Sonne war untergegangen, aber der Abendhimmel war noch blutrot. Draußen patrouillierten die LKW in langsamen Kreisen und Achterschleifen. Ihre grellen, riesigen Spotlights und Parklichter waren nun eingeschaltet. Ich musste meine Beine vertreten, sie waren fast eingeschlafen. Ich war total nervös, denn auf einige der Umstände konnte ich mir wahrlich keinen Reim machen. Nun patrouillierte auch ich rund um die Tische vor dem Panoramafenster. Ich zog meine eigenen Kreise und Achterschleifen und sah dabei nachdenklich nach draußen.

Die »Blau-Raststätte – Ihre sympathische Tankstelle mit gutem Essen«, wie es in einer Werbeanzeige im Licher Blättchen hieß, war eine ganz normale Tanke gegenüber der FarAway Company. Hier konnte man Strom, Benzin und Diesel tanken, und die FAC-Fahrer tranken hier Energy-Drinks oder Kaffee oder aßen eine Kleinigkeit.

„Hallo?“ Die Stimme klang hilfesuchend.

Ich sah mich um. Es waren die beiden jungen Leute mit dem Seat. Der junge Mann war höchstens Mitte Zwanzig. Er hatte einen Drei-Tage-Bart und Stoppelhaare. Sein blondes Mädel wirkte jünger.

„Was gibt’s?“

„Ist Ihnen auch etwas passiert?“

Ich musste, dankbar für die Frage, unwillkürlich lächeln, und dann erzählte ich ihnen, was ich vor vier Stunden erlebt hatte, aber noch nicht hatte einordnen können.

„Ich fuhr von Berlin kommend auf der A 5 Richtung Frankfurt. Etwa zehn Kilometer vor der Abfahrt nach Lich sah ich im Rückspiegel den Lastwagen. Er war noch weit entfernt, doch ich bemerkte, wie er Vollgas gab. Er überholte einen Audi. Der Anhänger schleuderte, und er fegte den Audi einfach von der Fahrbahn, weit über den Seitenstreifen hinaus, wie ein Schüler eine Papierkugel gegen den Rücken eines Paukers schnippt.“

Ich machte eine kurze Pause, denn beide sahen mich mit entsetzten Augen an.

„Und dann?“, fragte das Mädchen.

„Ich dachte schon, der Laster würde auch von der Autobahn abkommen. Kein Fahrer hätte ihn halten können, wenn der Anhänger so schleudert. Aber er blieb auf der Spur. Wahrscheinlich KI-gelenkt. Der Audi überschlug sich mehrere Male und explodierte in einem dermaßen großen Feuerball, dass man automatisch an ein gerade vollgetanktes Auto denken musste. Den nächsten erwischte der Laster auf die gleiche fiese Weise. Er kam mir immer näher, und was meinen Sie, wie schnell ich die nächste Ausfahrt nahm.“

Ich lachte, aber ich spürte, wie gekünstelt mein Lachen klang. „Und dann fuhr ich über die Käffer in mein Städtchen und wollte mich hier bei einem Bier erst einmal vom Schreck erholen. Nun ja, so kann’s gehen – vom Regen in die Traufe.“

Die Blondine schluckte, dann sagte sie: „Wir sahen einen FlixBus, der uns auf der Gegenseite der A 45 in Richtung Hanau entgegenkam. Er hinterließ eine Trümmerlandschaft an Autos. Er war … wie kann man es beschreiben? … regelrecht durch die Wagen hindurchgepflügt. Wir fuhren an die Seite und sahen ihm nach. Er explodierte einige hundert Meter weiter und brannte aus, aber auf der Gegenfahrbahn … ein Blutbad.“

Ein FlixBus. Das hätte ich nicht gedacht. Das war mehr als abscheulich.

In diesem Augenblick ging draußen bei allen Fahrzeugen gleichzeitig das Fernlicht an und tauchte alles in einen unheimlichen Glanz. Knurrend fuhren die Brummis hin und her. Die Scheinwerfer schienen ihre Augen zu sein, und in der zunehmenden Dämmerung sahen die Anhängeraufbauten aus wie die krummen breiten Rücken prähistorischer Mammuts.

Der Juniorchef am Tresen sagte: „Ist es ein Risiko, wenn ich das Licht einschalte?“

„Versuchen Sie es doch einfach“, sagte ich. „Dann werden wir ja sehen, was passiert.“

Er betätigte an seinem Elektrik-Kasten den Schalter, und an der Decke leuchteten die LED-Lampen auf. Gleichzeitig ging draußen eine bunte Neonreklame an: »Blau. Die Tankstelle mit Pfiff«.

Nichts geschah. Die Wagen draußen drehten weiter ihre Runden.

„Was soll dieser verdammte Zirkus!“, rief der Fahrer erbost aus. Er war von seinem Hocker gestiegen und tigerte hin und her. Sein Halstuch hatte er um die Hand gewickelt, es war blutdurchtränkt. „Ich hatte nie Probleme mit meinem Brummi. Ein zuverlässiger alter Junge, aber jetzt! Ich bin hier reingefahren, weil ich meinen Job bei FAC erledigen und vorher einen Hamburger essen wollte, und nicht, weil mir die Hölle so gut gefällt!“

Er zeigte nach draußen, und das blutige Halstuch flatterte an seiner Hand. „Mein Brummi steht da draußen. Ich nenne ihn »Bert, mein Brot«. Hoffentlich geschieht ihm nichts. Es ist der mit dem schwachen rechten Hecklicht. Ich fahre ihn schon seit sieben Jahren. Aber wenn ich jetzt zu ihm gehen würde …“

„Er fährt gerade an“, sagte Bernd Blau. Sein hellwacher Blick schweifte vom Fahrer zu Bert, dem Brot, und dann zum Radio. „Schlimm, dass wir keinen Empfang haben. Schauen Sie nur: Bert fährt gerade an, sehen Sie das?“

Der Fahrer und das Mädel waren leichenblass geworden. Bei mir stieg der Blutdruck, doch ich beruhigte mich, indem ich die Ruhe verbalisierte, und ich sagte zu dem Mann am Tresen: „Abwarten! Wahrscheinlich will er nur Ausschau nach seinem Fahrer halten.“

„Mir wäre es lieber, er stellt sich wieder dorthin, wo ich ihn geparkt habe, um auf mich zu warten.“, sagte Berts Fahrer. „Die Lage wird sich hoffentlich noch entspannen.“

„Wie kann es sein, dass sich die LKW einfach so danebenbenehmen?“, fragte der Mittzwanziger und strich sich besorgt über seinen Drei-Tage-Bart.

„Sie benehmen sich nicht nur daneben. Sie sind aggressiv!“, berichtigte ihn seine Freundin.

„Komisch, absolut komisch“, sagte der Fahrer. „Vielleicht wegen dem Sonnensturm.“

Der Juniorchef der Tanke hakte ein und erzählte uns etwas über elektrische Entladungen in der Atmosphäre und tat sich wichtig, indem er mit physikalischen Begriffen um sich schmiss. Aber im Grunde hatte er Schiss. Wie wir alle.

„Vielleicht kleine Atom-Bömbchen auf dem ukrainischen Kriegstestgelände“, warf der Fahrer ein und grinste irre.

„Vielleicht sind sie ganz einfach verrückt geworden“, sagte ich, obwohl ich es besser wusste. Jedenfalls beschlich mich eine Ahnung. Sie waren nicht wegen uns hier. Sie waren wegen der verschissenen FarAway Company hier.

In diesem Augenblick fuhr einer der Tesla-Lastwagen auf die Fensterfront zu, und wir wichen automatisch zurück.

»WERNER« stand groß auf dem Nummernschild hinter seiner menschenleeren Frontscheibe.

Und jetzt ging mir ein Licht auf.

Blitzartig wurde mir vieles klar, denn Werner war aus der gleichen selbstfahrenden LKW-Serie wie Willi – und beide hatte ich in Elon Musks Tesla-Fabrik in Grünheide kennen gelernt. Nur hatte ich mich damals nicht mit ihm, sondern mit Willi unterhalten.

Meine Gedanken schweiften ab. Diese wunderbare Zeit in Grünheide! Ich werde sie niemals vergessen. Eine neue Erfahrung hatte sich an die andere gereiht. Elon Musk, seine Zwillinge Griffin und Xavier, sein robotischer Adoptivsohn Mike, seine extravagante Frau Grimes – diese schräge Sängerin und Musikproduzentin, meine Güte, welch ein Bündel neurotischer Erfahrungen.

Nicht zu vergessen, mein Einblick in die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz, mein Blick hinter die Kulissen all der Produktionsprozesse …

Aber jetzt war ich wieder zu Hause. Zurück in meinem guten alten Leben, in jenem kleinen Städtchen mit der Eisdiele, die noch lebte. Mein Schuhlädchen »Scarpe Diem« mit seiner immer freundlichen Angela hatte geschlossen. Scheißinternethandel. Ich war todtraurig.

Kann man Jeff Bezos nicht enteignen? Und sein Eigentum zehn Millionen Einzelhändlern übertragen? Wie die Amis Russland zerstückeln und in zehn Staaten umwandeln wollen? Damit sie leichteres Spiel haben.

Empörung

[Rückblende, 2020]

Natürlich wollen Sie jetzt wissen, wie es mich damals aus Lich, meiner lieblichen Kleinstadt, nach Brandenburg in Elon Musks kalten Musterbetrieb verschlagen hatte. Es ist ihr gutes Recht. Schließlich haben Sie 12 Euro bezahlt. Lich liegt übrigens am Rande von Latzdorf * und am Rande der FarAway Company * und ihrem Logistikmonster. **

Zuvor aber sollten Sie sich im Schnelldurchgang erinnern, wie es überhaupt kam, dass die FarAway Company sich in meinem Heimatstädtchen einnisten konnte – und wie die kritischen Bürger voraussahen, dass alles, egal wie man es drehte und wendete, im Chaos versinken würde. Entweder, so sagten die Kritiker, würde unser Landstrich von hunderten Lastwagen pro Tag geflutet und es käme rundum zu Dauerstau und Umweltverpestung. Oder es würde ein riesengroßer Flop werden – zumindest hinsichtlich all der von FAC beteuerten vielen Arbeitsstellen und Steuerzuflüsse für unsere Stadt und ihre Bürger.

* Eventuell ist es auch umgekehrt …Außerdem nennen es manche Ignoranten Langweilsdorf oder Länglichhausen, meines Erachtens völlig unerheblich, denn es könnte auch Langsdorf heißen – oder so ähnlich.

** Vgl. Lageplan in »Freie Republik Lich – 2023«, s.hier S. 236.

Klar, die Zeit verwischt Spuren, und wir Menschen sind eben sehr vergesslich. Aber vielleicht erinnern Sie sich doch noch an die Leserbrief-Schlachten im Licher Blättchen? Damals machte eine couragierte Dame den Anfang und schrieb:

Wer braucht so ein Monster?

Ein derart gigantisches Logistikzentrum am Ostrand unserer Stadt passt einfach nicht zu unserem kulturellen Selbstverständnis. Die Aufgabe unserer Stadtpolitik sollte es sein, ein 20 Meter hohes Monstrum zu verhindern und damit die Qualität einer historischen Kleinstadt zu sichern und weiter auszubauen. »Binnen-Tourismus« könnte das Schlagwort der Zukunft lauten. Mitten in unserer Naturidylle ist ein Logistikmonster ein No Go!

Wir verschandeln unser schönes Stadtbild, wir verpesten unsere Luft und werden eine CO2-Supermacht, eine Dreckschleuder. Was haben wir davon? Nichts außer einer Menge Schäden und Probleme! Wir machen die Natur platt, und wenn der Mieter, angeblich ein mit Hauptsitz im Ausland angesiedeltes amerikanisches Unternehmen, irgendwann vielleicht pleitegeht, sitzen wir ratlos im Rathaus und können nur raten, wie das Fiasko enden wird. Wer soll dann das Riesenareal renaturieren? Zum Vergleich: Das Brauerei-Areal umfasst 30 000 qm. Das geplante Monster aber verschlingt das Dreifache. Denkt nach, Stadtverord-nete, und lasst euch nicht einwickeln! Und eine große Bitte: Verschaukelt uns nicht!

Edith Neuer-Süß, Lich

Ich las es meiner Freundin Stella vor und sagte: „Die Frau ist irgendwie zu bewundern. Obwohl sie schon in Erfahrung gebracht hat, wer der Investor ist und was er so treibt, erwähnt sie ihn namentlich mit keinem Wort. Denn es ist ein Immobilienhai, der den größten Reibach bei der Sache macht.“

„Vielleicht ist sie einfach nur feige.“

„Glaube ich nicht. Sie will das Pferd nur nicht von hinten aufzäumen. Im Moment hat die Stadt ja noch nichts über den Immobilien-Wucherer und seinen Namen verlauten lassen. Würde der von außerhalb ins Gespräch gebracht, würde es von der Hauptsache ablenken, und die Diskussion würde darauf gelenkt, wer hier durchgestochen hat, woher man das weiß, wo die undichte Stelle sitzt, und wie schrecklich unehrlich es sei, mit »nicht gesicherten« Auskünften zu hantieren und dergleichen mehr. Ist schon klug von ihr, dass sie den Hai namentlich nicht erwähnt.“

„Magst recht haben, Herr Superanalytiker“, sagte Stella und gab mir einen Kuss.

Ich drückte sie fest an mich. Dann nahm ich einen Schluck aus meiner Kaffeetasse, setzte den analytischen Superblick auf und sagte: „Es wäre ungewöhnlich, wenn sich jetzt nicht eine trotzige Gegenstimme hierzu äußern würde.“

„Wer will sich schon als Kaputtmacher outen? Ich bezweifele, dass sich auch nur ein einziger Monster-Befürworter öffentlich äußern wird. Die bleiben im Hintergrund, diese Wühlmäuse. Und sie bleiben gewiss schön still.“

Stella täuschte sich.

Die Wühlmäuse trauten sich aus ihren blau-braunen Höhlen mit den Stars and Stripes Flaggen heraus.

Eine Zeit lang blieb der Leserbrief der Frau Neuer-Süß zwar unbeantwortet, und in der Zwischenzeit hatten sich auch andere Leser gegen den Bau-Koloss ausgesprochen. Aber dann wagte sich die Gegenstimme doch hervor. Sie kam. Und sie schlug ein wie eine Briefbombe:

Zum Leserbrief »Wer braucht so ein Monster?«

Kurze Antwort: Wir in Lich! Warum? Darum: Es gibt einen soliden Großinvestor, der sämtliche Nebenkosten bezahlt, der sogar bereit ist, für einen teuren Verkehrskreisel am geplanten Logistikzentrum und dessen jährlichen Pflegeunterhalt aufzukommen. Diese Chance muss unbedingt jetzt genutzt werden, sie kommt nicht alle Tage. Es ist ein Geschenk Gottes an uns. Wir müssen nur zugreifen und es dankbar annehmen.

Wollen wir verarmen? Keiner will von seinem Lebensstandard runter! Am wenigsten alle die, die grün angehaucht sind. Wer nutzt denn das Internet und die Handys und lässt sich die Pakete bis vor die Haustür liefern?

Das „Monster“-Vorhaben wird unsere Stadt nicht nur nichts kosten, sondern sehr viel bringen: Steuer-Mehreinnahmen in ungeahnter Höhe, neue Bürger, neue Arbeitsplätze – mindestens 500 – damit flutet eine enorme Kaufkraftwelle unsere Stadt usw. Dieses Logistik-Objekt müssen wir markt- und zukunftsorientiert betrachten, und wir sollten nicht den rein optisch begründeten Gefühlsaus-brüchen der Ewiggestrigen unterliegen. Grüne Phantastereien sind jetzt völlig deplatziert. Im Leserbrief vom 2. Mai 2019 suggeriert uns die Schreiberin 20 Meter hohe Lagerhallen. Davon kann absolut keine Rede sein. Es geht um eine Gesamthöhe von höchstens 12 Metern für die Lagerhallen.

Das vielleicht etwas erhöhte Verkehrsaufkommen (es ist alles noch völlig offen!) wird unsere Innenstadt sowieso nicht tangieren. Ja, alle Veränderungen und Erfindungen in der Vergangenheit haben etwas Neues geschaffen und wurden anfangs skeptisch aufgenommen oder sogar abgelehnt, um nach einiger Zeit von Akzeptanz und Erfolg belohnt zu werden. Man denke nur an den Protest vor hundert Jahren gegen die Eisen-bahn – und was hat uns die Bahngeschichte gebracht? Wohlstand!

Ja, Lich braucht diesen Investor!