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Einst wurden Märchen zum Beispiel in Spinnstuben oder an Lagerfeuern von Erwachsenen für Erwachsene erzählt. Mehr oder weniger symbolisch verschlüsselt, handeln sie fast immer von allgemeingültigen Problemen, die das Leben in irgendeiner Weise beeinflussen. Sie schenken Trost und sind weise. Wer sich auf Märchen einlässt und tiefer blickt, findet in ihnen Antworten auf Lebensfragen, Konfliktlösungen und Kraft zum Gelingen des Lebens. Durch die intensive Beschäftigung mit Märchen, deren Deutung und Entschlüsselung der enthaltenen Botschaften, ist es möglich, sich schrittweise den eigenen Problemen und ihrer Bewältigung zu nähern. In ‚Angst überwinden und stark sein‘ lernt der Leser anhand von Märchen die verschiedenen Facetten der Angst kennen. Die Helden der Märchen, die Angeline Bauer im vorliegenden Buch tiefenpsychologisch deutet, nehmen den Leser an der Hand, erleben und erleiden für ihn und mit ihm allerhand Geschicke. So werden sie zu Lehrstücken und geben Hilfestellung zur Angstbewältigung. Ein interessantes und lehrreiches Buch zum Umgang mit der Angst von Erwachsenen und Kindern.
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Seitenzahl: 157
Angeline Bauer
Die Angst überwinden
und stark sein –
Märchen zum Gelingen des Lebens
Impressum
Copyright © Januar 2015 by arp
Januar 2023
Originalausgabe Gütersloher Verlagshau 2002
Herausgeber by arp / Ledererstraße 12 / 83224,Grassau / Deutschland
Alle Rechte vorbehalten
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt und darf auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Herausgebers wiedergegeben werden.
Covergestaltung by arp
Coverfoto Angeline Bauer
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Ein Wort vorab:
Einst wurden Märchen zum Beispiel in Spinnstuben oder an Lagerfeuern von Erwachsenen für Erwachsene erzählt. Mehr oder weniger symbolisch verschlüsselt, handeln sie fast immer von allgemeingültigen Problemen, die das Leben in irgendeiner Weise beeinflussen. Sie schenken Trost und sind weise. Wer sich auf Märchen einlässt und tiefer blickt, findet in ihnen Antworten auf Lebensfragen, Konfliktlösungen und Kraft zum Gelingen des Lebens. Durch die intensive Beschäftigung mit Märchen, deren Deutung und Entschlüsselung der enthaltenen Botschaften, ist es möglich, sich schrittweise den eigenen Problemen und ihrer Bewältigung zu nähern.
In ‚Angst überwinden und stark sein‘ lernt der Leser anhand von Märchen die verschiedenen Facetten der Angst kennen. Die Helden der Märchen, die Angeline Bauer im vorliegenden Buch tiefenpsychologisch deutet, nehmen den Leser an der Hand, erleben und erleiden für ihn und mit ihm allerhand Geschicke. So werden sie zu Lehrstücken und geben Hilfestellung zur Angstbewältigung.
Ein interessantes und lehrreiches Buch zum Umgang mit der Angst von Erwachsenen und Kindern.
Inhaltsverzeichnis:
EINFÜHRUNG
Über die Angst
Angst, Furcht, Panik, Phobie - Was ist der Unterschied?
Körperliche Symptome der Angst
Woher rührt die Angst?
Vom Umgang mit der Angst
Kinder und Angst
Kinder und das Gespenst unterm Bett
Das Spiel mit der Angst
Heilende Kräfte im Märchen
Kinder und der kreative Umgang mit Märchen
Märchen kontra Kindergeschichten
Es war einmal - mein Lieblingsmärchen
Märchengestalten und ihre symbolische Bedeutung
Märchen von der Angst und ihre besondere Bedeutung für ein gelingendes Leben
Peter-ohne-Furcht
Häschenbraut
Märchen von der Unke
Die Ratte, die sich in die Fledermaus verwandelte
Die Abenteuer des Schusters
Die fünf Gespenster
Joschinaris Kampf gegen die Angst
Die ewige Angst der Frauen
Percht
Der Neid und die Macht der Angst
Die Hirtenflöte
Die kluge Else
Verzweifelte Angst in einer lebensbedrohlichen Situation
Die Geschichte des Gefangenen, den Gott befreite
Der Rabbi, der auf Gottes Hilfe wartete
Nachwort
Anhang
Weitere Märchen zum Thema
Quellen
Literatur
Erst wenn du weißt,
wovor ich Angst habe
kennst du mich
(Angeline Bauer)
Angst ist ein elementares Gefühl, und jeder Mensch, jedes Lebewesen kennt sie. Sie begleitet uns von unserer Geburt bis zu unserem Tod, und auch wenn sie uns nicht immer bewusst ist, so ist sie doch da, kann durch einen Schrecken jederzeit ausgelöst werden und ihre Wirkung tun.
Angst hat verschiedene und oft auch ganz gegensätzliche Seiten. Sie ist gekoppelt an den Überlebensinstinkt, der überhaupt nur funktioniert durch die Angst. Somit warnt sie vor Gefahren, schützt vor Unbedachtheiten und lässt uns achtsam und vorsichtig sein. Angst macht uns »klein«, wenn wir feige sind und behindert uns, wenn wir sie nicht überwinden, sie kann uns aber auch Intensität geben. Sie fördert die Kreativität, weil sie uns zwingt, einen Ausweg zu suchen. Sie lähmt, macht unfähig zu reagieren. An anderer Stelle gibt sie einem vielleicht aber die Kraft, über sich hinauszuwachsen. Angst macht krank, zerstört, führt in die Isolation, verbindet aber auch, überwindet Grenzen und gibt den Impuls zur Fortentwicklung. Doch es gibt auch einen lustvollen Aspekt der Angst - wir kennen ihn als »Nervenkitzel« - der manchen von uns dazu verleitet, Gefahrenmomente bewusst herbeizuführen.
Angst tritt immer dann auf, wenn wir in eine Situation geraten, die uns überfordert, der wir uns (noch) nicht gewachsen fühlen. Lassen wir uns trotzdem auf diese Situation ein und geben uns so die Möglichkeit zu erfahren, dass wir die Kraft haben, sie zu meistern, nehmen wir die Angst also an und setzen uns mit ihr auseinander, können wir uns weiterentwickeln und werden an ihr ein Stück reifen. Versuchen wir aber der Angst auszuweichen oder sie zu unterdrücken, werden wir in unserer Entwicklung stehen bleiben und in Abhängigkeiten verharren.
Unser ganzes Leben ist von Angstschwellen gepflastert, die überwunden werden müssen. Jedem Reifungsschritt ging Angst voraus, denn alles was wir noch nicht kennen oder können überfordert uns ein Stück weit. Schaffen wir es nicht, die Angst mit Mut anzupacken, bleiben wir auf der Strecke.
Ein ganz einfaches Beispiel geben drei Geschwister, die schwimmen lernen wollen. Zwei vertrauen sich trotz ihrer Angst einem Lehrer an, überwinden sie und haben bald Spaß daran, miteinander im Wasser herumzutollen oder vom Brett zu springen und malen sich aus, wie schön es sein könnte, nun auch noch Segeln oder Wasserski fahren zu lernen. Das Dritte verharrt aber in seiner Angst vor dem Wasser und verweigert das Schwimmenlernen. Darum kann es nicht an den Spielen der Geschwister teilnehmen, wird als Hasenfuß verlacht und zum Außenseiter. Aber nicht genug damit, unter Umständen kann das Nicht-schwimmen-lernen-Wollen sogar den Tod mit sich bringen, nämlich dann, wenn das Kind ins Wasser fällt und niemand da ist, der es retten könnte.
Dieses Bild vom Schwimmenlernen ist eine Metapher, die wir auf unser ganzes Leben übertragen können. Nicht die Angst schadet uns, sondern das Verharren in ihr.
Unser Wort Angst stammt vom lateinischen Wort angustus ab, was so viel bedeutet wie eng, schmal. Die Psychologen verstehen unter Angst einen starken, unlustgetönten Affekt, der entweder bei drohender tatsächlicher oder vermeintlicher Gefahr anfallartig über uns hereinbricht oder als quälender, grundloser Dauerzustand ohne bestimmtes Objekt auftritt.
Auch das Gefühl der Furcht bezieht sich auf tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung, im Gegensatz zur Angst ist sie aber objektbezogen und verbunden mit der Tendenz zu Flucht oder Abwehr.
Genau genommen haben wir also Angst zu versagen, aber wir fürchten uns vor großen schwarzen Hunden. Im Sprachgebrauch werden diese beiden Begriffe jedoch nicht so genau getrennt, darum werde ich in meinen weiteren Ausführungen durchgehend den Begriff Angst verwenden.
Steigert sich die Furcht oder Angst zur Neurose, spricht man von Phobie. Das Wort Phobie kommt aus dem Griechischen und kann mit Angst oder Scheu übersetzt werden. Benutzen wir es im Sinne von Abneigung oder Ablehnung, sprechen wir zum Beispiel von einer Anglophobie und meinen damit die Ablehnung alles typisch Englischen. Mit dem Wort Phobie bezeichnen wir aber auch eine neurotische Fehlhaltung, die durch bestimmte Lebewesen, Orte, Objekte oder Situationen ausgelöst wird. Dann sprechen wir zum Beispiel von Klaustrophobie oder einer Spinnenphobie und meinen damit eine von Panik bestimmte Angst, die in engen Räumen auftritt oder die durch eine Spinne oder auch nur durch das Betrachten eines Fotos von ihr ausgelöst werden kann.
Von Bakterien über Gewitter bis hin zu Katzen - es gibt kaum etwas, das nicht zum Objekt einer Phobie werden kann.
Angstobjekte sind aber meist nur vorgeschoben, um der Angst einen Gegenstand zu geben und sie damit erträglicher zu machen. So könnte zum Beispiel die phobische Angst vor Schlangen in Wahrheit eine Angst vor Sexualität sein.
Die Psychoanalyse führt alle Angst auf die Angst vor Verlust der geliebten Person zurück und verbindet das mit dem Geburtstrauma, also der Trennung von der Einheit mit der Mutter. Angst gilt außerdem als Konfliktsignal und ist Kennzeichen aller Neurosen.
Angst ist das Grundgefühl der endogenen Depression. Beim Grundgefühl von Psychosen ist die Angst aber nicht klar von der Furcht zu trennen.
Die Steigerung von Angst hin zur Panik findet, wie übrigens alle Angst, hauptsächlich im Denken statt. Dabei handelt es sich meist um Angst vor der Angst, die sich langsam entwickelt hat. Aber auch eine plötzlich auftretende übersteigerte Angst, kann zur Panik werden.
Panik führt oft zu unüberlegten Fluchtreaktionen. Wo Massenpanik eine Katastrophe ausgelöst hat, beklagen wir die meisten Toten im Allgemeinen durch solche Fluchtreaktionen und nicht durch das auslösende Ereignis selbst.
Hat ein Mensch Angst, stellen sich unspezifische körperliche Affektsymptome ein. Die Pupillen weiten sich, Herzfrequenz und Atmung beschleunigen sich, es treibt uns den Schweiß in die Poren, der Mund wird trocken, wir zittern, werden blass, unruhig, bekommen unter Umständen Durchfall oder können den Urin nicht mehr halten. Des Weiteren kann es durch Angst zu Flucht- und Abwehrtendenzen kommen, sie kann aber auch im Gegenteil zu Lähmungen (Totstellreflex) führen.
Aber nicht nur in körperlichen sondern auch in geistigen Leistungssituationen kann starke Angst eine Art Lähmung bewirken, die zur Abnahme der Leistung führt - man denke nur an die Prüfungsangst, die (wie auch die Angst vor sexuellem Versagen) zu den sogenannten »Erwartungsängsten« gezählt wird.
Was bei dem Gefühl der Angst in unserem Körper genau abläuft, ist Folgendes:
1. Wir nehmen etwas wahr (z. B. über die Augen oder die Haut), das wir als gefährlich einstufen und das Angst auslöst.
2. Die Nachricht Gefahr wird sofort ans Gehirn (Großhirnrinde, Hypophyse, Thalamus) und von da aus an andere Körperteile weitergeleitet.
3. Durch einen Adrenalinstoß werden Atmung, Kreislauf und Muskeltätigkeit angeregt, der Körper gleichsam in Höchstalarm versetzt. Das Herz pumpt nun verstärkt Blut in die Muskeln, wodurch die Haut geringer durchblutet wird, was uns blass werden lässt.
4. Die Leber setzt Zuckerreserven frei, und die Bauchspeicheldrüse vermindert die Insulinproduktion, wodurch sich der Blutzuckerspiegel erhöht.
All das passiert, um die Energie bereitzustellen, die wir benötigen, um die tatsächliche oder auch nur angenommene Gefahr zu bewältigen.
Angst ist zum Teil in den Genen verankert, zum größeren Teil aber haben wir sie im Verlauf unseres Lebens »erworben«. Es gibt praktisch nichts, wovor wir nicht Angst entwickeln könnten. Schon ein kleiner, harmloser Käfer kann manchen in Panik versetzen, andere wiederum haben Angst vor Pferden, dunklen Räumen, einer bestimmten Krankheit oder vor Menschenansammlungen.
Vor allem Vorbilder wie Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer usw. übertragen Ängste auf Kinder. Oft geht das sehr subtil.
Beispiel: Ein Erwachsener führt sein zweijähriges Kind auf der Straße an der Hand. Plötzlich kommt ein Hund aus einer Einfahrt. Der Erwachsene reißt das Kind auf seinen Arm und bleibt wie erstarrt stehen. Er sagt zum Kind: »Das ist ein braver Hund!«, aber das Kind spürt ganz genau die Angst des Erwachsenen. In Zukunft wird das Kind wahrscheinlich ebenfalls Angst vor Hunden haben und die Aussage »das ist ein braver Hund« im Umkehrsinn verstehen - nämlich »Hund ist böse«. So lernen wir Angst zu haben vor Dingen oder Situationen, die wir tatsächlich nie als gefährlich erlebten, und trotzdem sind wir im Innersten von ihrer Gefahr überzeugt.
Wir lernen aber auch durch eigene Erfahrungen. Ein Kind, das sich an einer heißen Herdplatte verbrannte, wird in Zukunft vorsichtig mit Herdplatten sein - und es wird seine Ängste vermutlich nun seinerseits weitergeben. Vielleicht sagt es: »Heiß!«, wenn die Mutter am Herd hantiert und ist ängstlich besorgt, dass sie sich verletzen könnte.
Spinnen wir die Geschichte von der heißen Herdplatte weiter, um aufzuzeigen, wie weitgreifend so eine negative Erfahrung unser Leben bestimmen kann:
Das Kind ist noch zu klein, um den Unterschied zwischen einer heißen (gefährlichen) und einer kalten (ungefährlichen) Herdplatte zu erkennen. Nun hat es grundsätzlich vor allen Herdplatten Angst und zusätzlich auch noch vor allem, was rund, flach und schwarz ist und darum einer Herdplatte gleicht.
Damit aus dieser an sich sinnvollen Angst vor einer heißen Herdplatte keine neurotische Angst wird, muss der Erwachsene dem Kind den Unterschied zwischen heiß und kalt erklären, ihm zeigen, dass man die kalte Platte durchaus anfassen kann, wie man gefahrlos herausfinden kann, ob eine Herdplatte heiß ist und wie man sehen kann, ob der Herd ausgeschaltet ist. Das heißt, der Erwachsene beschäftigt sich mit dem Kind und redet mit ihm über die Gefahr, so dass das Kind sie einschätzen und mit ihr umgehen lernt.
Eine andere mögliche Reaktion des Erwachsenen wäre, das Kind laut zurechtzuweisen: »Siehst du, das kommt, weil du nie folgst!« und dem Kind zu verbieten, sich in Zukunft dem Herd zu nähern. Der Herd würde für das Kind »gefährlich« bleiben, es würde nicht lernen, mit der Gefahr umzugehen und es würde Kausalverbindungen zwischen Herd, Gefahr und Strafe herstellen. Ein paar Jahre später hätte das Kind dann auf der intellektuellen Ebene zwar verstanden, dass der Herd nicht gefährlich ist und wir ihn zum Kochen unbedingt brauchen, doch im Innersten würde die Angst weiterbestehen. Sie würde sich dann aber vielleicht gar nicht mehr als Angst vor einem Herd äußern, sondern wäre auf ein Ersatzobjekt verschoben, mit dem das Kind nicht täglich und unausweichlich konfrontiert sein würde. Es könnte zum Beispiel eine »unerklärliche« Furcht vor offenem Kaminfeuer haben und sich sträuben, ein Haus zu betreten, in dem so ein Feuer brennt.
Sicher, das Beispiel von der Herdplatte hinkt ein wenig, weil es gar so simpel ist. Andererseits ist gerade darum leichter zu verstehen, was gemeint ist.
Stellen wir uns einen diffizileren Fall vor. Ein zehnjähriges Mädchen - nennen wir es Karin - wurde missbraucht. Weil sie das Erlebnis nicht verarbeiten konnte, musste Karin es verdrängen. Jahre später hat sie dann »vergessen« (verdrängt), was passiert ist, aber gleichzeitig zeigt sie eine »unerklärliche« Angst vor Schlangen. Schon ein Foto versetzt sie in heftige Panik. Niemand versteht das, weil Karin doch nie ein negatives Erlebnis mit einer Schlange gehabt hatte und es auch keinen anderen in der Familie gibt, der Angst vor Schlangen hat.
Der »Trick« mit der Objektverschiebung hilft Karin, zu überleben. Sie hat ihre nicht verarbeitete Angst an ein vergleichsweise harmloses Ersatzobjekt geheftet. Harmlos, da es leicht vermeidbar ist. Die Gefahr in einer deutschen Stadt auf eine Schlange zu treffen, ist für Karin äußerst gering, mit Männern hingegen muss sie leben.
So sehr die Angst zu unserem Leben gehört, so vielfältig sind auch die Methoden, sie zu bewältigen, zu verdrängen oder zu vermeiden. Magie, Religion, Philosophie, Psychologie und Wissenschaft - sie alle haben sich bemüht, ihren Teil zur Angstbewältigung beizutragen und immer wieder neue »Rezepte« erfunden, die helfen sollen, Angst zu überwinden.
Zum Teil ist das auch gelungen. Ein Mensch, der sich in seinem Glauben geborgen fühlt, wird besser mit seiner Angst umgehen können, als einer, dem jegliches Vertrauen in eine höhere Macht fehlt. Ein Mensch, der psychologische Zusammenhänge erkennt und sie für sich nutzen kann, wird so manche »Angstfalle« durchschauen und ihr nicht mehr ausgeliefert sein. Ein Wissenschaftler, der genau erklären kann, warum eine Sonnenfinsternis stattfindet, wird dabei nicht an einen Weltuntergang denken. Aber ganz angstfrei wird niemand leben können, und wenn jemand behauptet, Menschen zu einem angstfreien Leben verhelfen zu können, sollte man dem mit äußerster Vorsicht begegnen.
Angst ist ein Urinstinkt. Sie gehört zu unserem Dasein wie Liebe, Freude oder Trauer, und hätten wir sie nicht, wären wir nicht ganz und würden uns in ständiger Lebensgefahr befinden. Nur wenn die Angst unnatürliche, auffallende Ausmaße annimmt, sollten wir uns Gedanken machen und etwas dagegen unternehmen.
Weil Angst Angst macht, haben wir die Neigung, sie zu vermeiden und die verschiedensten »Tricks« entwickelt, sie zu überspielen oder zu verdrängen. Wir verleugnen oder bagatellisieren sie, verschieben sie auf andere Objekte, die keine wirkliche Gefahr für uns darstellen, verändern unser Leben, um ihr nicht begegnen zu müssen, geben Verantwortung und Zukunftspläne auf, lenken uns ab oder nehmen gar Medikamente gegen sie ein, die unser Bewusstsein trüben. Vor allem in England und Amerika schlucken Millionen Menschen Tabletten gegen Schüchternheit, die ja ebenfalls eine Form der Angst ist. Doch gewonnen ist damit nichts, im Gegenteil, die Angst will und muss gesehen werden, und wird sich darum desto heftiger gegen uns wenden je mehr wir sie negieren.
Die Folgen ihres Verdrängens können sein:
Die konstruktivste und »gesündeste« Art, mit der Angst umzugehen, ist die Auseinandersetzung mit ihr, so wie ich das bereits im Beispiel mit der heißen Herdplatte aufgezeigt habe. Sie annehmen, sich wahrnehmen in der Angst, ist die Voraussetzung dafür, sie bewältigen zu können.
Nicht immer können wir das ohne fremde Hilfe, eben weil wir ständig wieder in den Mechanismus verfallen, die Angst zu verdrängen und nicht hinzusehen, wenn wir glauben, jetzt wird eine Erinnerung (bzw. das Gefühl, das diese Erinnerung auslöst) zu bedrohlich für uns. Wenn das der Fall ist, wenn wir merken, dass die Angst uns im Griff hat und nicht umgekehrt, sollten wir uns fachlichen Rat holen, uns einem Therapeuten anvertrauen, der uns an der Hand nimmt und uns hilft, Ursprünge aufzudecken und Zusammenhänge zu erkennen.
Die Angst gehört zum Kindsein. Nur indem Kinder Angst haben, können sie lernen, sie zu überwinden. Umso wichtiger ist es, dass Erwachsene ihnen in ihrer Angst beistehen und ein Vorbild sind. Vorbild sein heißt aber nicht, nie Angst zu haben sondern vorzuleben, dass Angst zum Menschsein gehört, dass man sie immer wieder neu überwinden muss und das auch kann, wenn man sich ihr stellt.
Gewisse Ängste gehören zum jeweiligen Entwicklungsstadium eines Kindes und sind deshalb ganz natürlich. Sie tauchen auf und gehen wieder, und es zeigt sich, dass das Kind danach, ähnlich wie nach einer durchgestandenen Kinderkrankheit, stärker und reifer geworden ist. Durch die Selbsterfahrung und die Selbstreflexion im Umgang mit der Angst, konnte es Position beziehen und sich als stark, vital und aktiv erleben.
Anhaltendes sozial unsicheres Verhalten, das von Ängstlichkeiten bestimmt ist, wirkt sich hingegen negativ auf die Entwicklung eines Kindes aus. Es verhindert, dass das Kind reift, Sicherheit und Kompetenz erwirbt. Kinder, die in ihren Ängstlichkeiten verhaftet bleiben, werden auch als Erwachsene unselbstständig und abhängig sein.
Bei ängstlichen Kindern ist deshalb eine Erziehung ganz besonders wichtig, die sie anhält, sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Kinder (wie Erwachsene) neigen dazu zu vermeiden, was ihnen Angst macht. Deshalb ziehen sich schüchterne, ängstliche Kinder zurück, stehen am Rande und sehen zu, wie andere spielen und gehen neuen Kontakten und unbekannten Situationen aus dem Weg. Eltern sollten dieses Verhalten nicht unterstützen, sondern liebevoll, aber beharrlich dafür sorgen, dass ihr Kind sich nicht von altersgemäßen Aktivitäten zurückzieht.
Wichtig ist dabei, darauf zu achten, dass es sich weder über- noch unterfordert. Wagt es nichts, gewinnt es nichts. Vermeidet es Herausforderungen, bedeutet das, es gibt seiner Angst nach.
Bei ständiger Überforderung hingegen, würde es kein Erfolgserlebnis mehr haben, und das verstärkt wiederum die Angst.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der beachtet werden sollte; Kinder bis etwa zum siebten Lebensjahr können nicht klar zwischen Realität und Gedankenwelt unterscheiden. Wenn sie ein Gespenst sehen, ist das Wirklichkeit für sie. Es wäre fatal, ihnen ausreden zu wollen, dass da ein Gespenst ist. Sie würden sich unverstanden und nicht ernst genommen fühlen und den Erwachsenen als »Lügner« wahrnehmen. Besser wäre es, das Kind anzuregen, über das, was ihm Angst macht, zu reden, es zu malen, ihm ein Gesicht zu geben. So verliert das Bedrohliche nach einiger Zeit von ganz allein seinen Schrecken und wird auf spielerische Art in die Welt des Kindes integriert.
Es geht also nicht darum, Kindern die Angst irgendwie »wegzuzaubern«, sondern es geht darum, sie zu lehren, die Angst anzunehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.