Ashes - Drucie Anne Taylor - E-Book

Ashes E-Book

Drucie Anne Taylor

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Beschreibung

Er hat keine Vergangenheit. Sie hat keine Zukunft. Als Ashes eines Morgens zufällig auf Lynn stößt, ist es sofort um ihn geschehen. Als die junge Frau aus dem Diner fliegt, in dem er und sein bester Freund Phoenix frühstücken wollen, folgt er ihr kurzerhand, um sie kennenzulernen. Allerdings stellt sich heraus, dass Lynn eingeschüchtert, krank und obdachlos ist. Die beiden nehmen sie mit in ihre Wohnung, um ihr zu helfen, doch Lynn ist mit der Hilfe der beiden Hünen überfordert und läuft bei nächster Gelegenheit weg. Ashes verzweifelt auf der Suche nach ihr, denn sie ist die erste Frau, die sein steinernes Herz erweichen konnte, als er sie findet, stellt sich jedoch heraus, dass Lynn nicht nur gegen die kalten Winternächte New Yorks, sondern auch gegen eine Armee von Dämonen kämpft, die sie erbarmungslos verfolgen. Wird er sich dem Kampf stellen oder wird sein Herz erneut zu Stein? *** Die Mysterious Saints erzählen die Liebesgeschichten einer Clique in New York. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann getrennt von den anderen gelesen werden. Die Charaktere tauchen jedoch immer wieder in nachfolgenden Büchern auf. Es handelt sich um fiktive Orte, die, so wie beschrieben, bloß in meiner Fantasie existieren. Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit Ashes’ und Lynns Geschichte.

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Ashes

MYSTERIOUS SAINTS

BUCH ZWEI

DRUCIE ANNE TAYLOR

Copyright © 2020 Drucie Anne Taylor

Korrektorat: S. B. Zimmer

Satz und Layout: Julia Dahl

Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art

Auflage: 01 / 2023

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Dieses Buch

Er hat keine Vergangenheit.

Sie hat keine Zukunft.

Als Ashes eines Morgens zufällig auf Lynn stößt, ist es sofort um ihn geschehen. Als die junge Frau aus dem Diner fliegt, in dem er und sein bester Freund Phoenix frühstücken wollen, folgt er ihr kurzerhand, um sie kennenzulernen. Allerdings stellt sich heraus, dass Lynn eingeschüchtert, krank und obdachlos ist. Die beiden nehmen sie mit in ihre Wohnung, um ihr zu helfen, doch Lynn ist mit der Hilfe der beiden Hünen überfordert und läuft bei nächster Gelegenheit weg.

Ashes verzweifelt auf der Suche nach ihr, denn sie ist die erste Frau, die sein steinernes Herz erweichen konnte, als er sie findet, stellt sich jedoch heraus, dass Lynn nicht nur gegen die kalten Winternächte New Yorks, sondern auch gegen eine Armee von Dämonen kämpft, die sie erbarmungslos verfolgen.

Wird er sich dem Kampf stellen oder wird sein Herz erneut zu Stein?

Die Mysterious Saints

Die Mysterious Saints erzählen die Liebesgeschichten einer Clique in New York. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann getrennt von den anderen gelesen werden. Die Charaktere tauchen jedoch immer wieder in nachfolgenden Büchern auf.

Es handelt sich um fiktive Orte, die, so wie beschrieben, bloß in meiner Fantasie existieren.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit Ashes’ und Lynns Geschichte.

* * *

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Es gibt Bücher, die uns nachdenklich stimmen, wütend machen und auch aus der Fassung bringen. Lynn hat in ihrem Leben sehr viele schreckliche Dinge erlebt, die sie immer noch prägen. Auch gibt es explizite Szenen, die ihre Vergangenheit behandeln. In diesem Buch geht es um Missbrauch, Gewalt und die Angst, die ein Opfer auch danach noch empfindet. Wenn du mit diesem Thema nicht umgehen kannst, bitte ich dich, von dieser Geschichte Abstand zu nehmen.

Dieses Buch ist reine Fiktion, nichts, was darin geschieht, beruht auf wahren Begebenheiten, sondern ich habe es mir ausgedacht. Bestimmt gibt es Fälle, die nah an diesen hier herankommen, da ich mich von einigen Fällen habe inspirieren lassen. In Deutschland wird etwa jede dritte Frau Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt, 25% dieser Frauen erleben dies in ihrer Partnerschaft, zwei von drei Frauen erleben sexuelle Belästigung, nur 20% der Frauen, die Gewalt erfahren, nutzen die bestehenden Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen und nur 10% der Frauen bringen diese Vorfälle zur Anzeige.

Denk immer daran: Niemand hat das Recht, dich gegen deinen Willen zu berühren. Ein Nein ist ein Nein, darüber darf sich niemand hinwegsetzen.

Wenn du Opfer sexuellen Missbrauchs geworden bist oder jemanden kennst, der deshalb Hilfe sucht, kannst du dich an das Hilfetelefon »Sexueller Missbrauch« unter der 0800 22 55 530 wenden oder die Website: www.hilfeportal-missbrauch.de besuchen. Außerdem gibt es auch das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen«, dieses erreichst du unter der 08000 116 016 oder du wendest dich unter der Website: www.hilfetelefon.de an die Mitarbeiter.

Dort wird man dir kostenlos und anonym weiterhelfen und dich beraten können.

Herzliche Grüße

Drucie Anne Taylor

Inhalt

1. Ashes

2. Lynn

3. Ashes

4. Lynn

5. Ashes

6. Lynn

7. Ashes

8. Lynn

9. Ashes

10. Lynn

11. Ashes

12. Lynn

13. Ashes

14. Lynn

15. Ashes

16. Lynn

17. Ashes

18. Cash

19. Ashes

20. Lynn

21. Ashes

Danksagung

Playlist zum Buch

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Rechtliches und Uninteressantes

Ashes

»Feierabend«, sagt Phoenix, als er am Club vorbei kommt, in dem ich arbeite, seit wir aus Hutchs Circle rausgekommen sind.

Ich hebe eine Augenbraue. »Du wohl früher als ich.«

»Kommst du mit? Burn hat mir seine Karre überlassen, weil ich die Nachtschicht habe«, sagt er gut gelaunt. »Lil hat ihn abgeholt.«

»Wohin soll ich mitkommen?«, möchte ich wissen.

»In diesen Diner, glaub mir, da bekommt man das beste Frühstück, das es gibt.«

»Ist das so ein heruntergekommener Laden wie der letzte, in den du mich geschleppt hast?«, möchte ich wissen.

»Geht, ist zwar auch kein Sternelokal, aber dafür fehlt uns sowieso das nötige Kleingeld«, hält er dagegen. »Also?«

»Ich bin gleich so weit«, erwidere ich.

»Ist das ein Ja?«

Ich nicke ihm zu. »Auf jeden Fall, ich könnte ein gutes Frühstück vertragen.«

»Na super, dann warte ich hier.«

»Geht klar.«

Eine Viertelstunde später sitzen wir im Auto meines Bruders. Er hat eine Anstellung als Boxtrainer bekommen, seine Schulung gemacht und arbeitet jetzt in einer Boxhalle in Manhattan. Lil hat ihr Studium wiederaufgenommen, während ich als Security in einem Nachtclub arbeite. Phoenix arbeitet im Gebäudeschutz und sitzt nachts meistens am Empfang eines Firmengebäudes, um Bildschirme im Auge zu behalten. Es ist nicht ganz das Leben, das wir drei uns vorgestellt haben, aber wenigstens sind wir frei. Und dafür haben wir mächtig lange gearbeitet.

»Wo ist dieser Diner?«, möchte ich wissen.

»In der Nähe der Brooklyn Bridge. Also, wir sind nicht ewig unterwegs, um nach Hause zu kommen.«

»Wenigstens hat Burn dir die Karre geliehen. Muss er morgen gar nicht arbeiten?«

»Erst nachmittags und ich bringe ihm das Auto zur Boxhalle«, lässt er mich wissen.

»Alles klar«, erwidere ich und sehe aus dem Fenster. Die Sonne geht erst in ein paar Stunden auf, da Winter ist, und ich frage mich jeden Abend, wie Frauen es aushalten, in diesen verboten kurzen Röcken herumzulaufen. Manchmal tragen sie überhaupt keine Jacken, was mich aus Solidarität mitfrösteln lässt und mir das Gefühl gibt, das mir fast die Eier abfallen.

* * *

Eine weitere halbe Stunde später parkt Phoenix in der Nähe des Diners, an dem wir vorbeigefahren sind. Ich wäre auf dem Weg nach Hause gar nicht daran vorbeigekommen, da ich mit der U-Bahn fahren muss. Irgendwann sollte ich mir auch ein Auto kaufen, damit ich mobiler bin, denn es stinkt mir gewaltig, immer die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen zu müssen.

»Komm schon, ich hab echt Bock auf deren Rührei«, sagt Phoenix, als ich keine Anstalten mache, aus dem Auto zu steigen.

»Ich komme ja schon«, entgegne ich genervt und verlasse den Wagen. Burn hat sich einen Jeep gekauft, der mir echt gut gefällt, aber im Gegensatz zu mir hat er auch die Kohle dafür, da er zeitweise in einem illegalen Circle gekämpft hat, um an Geld zu kommen. Lil hätte sich deshalb beinahe von ihm getrennt. Glücklicherweise konnte er sie davon überzeugen, dass er sie wirklich liebt, sonst wäre die Sache zwischen ihnen unschön geendet.

Gemeinsam betreten wir den Diner und ich schaue mich um. Rote Lederbänke, altmodische Einrichtung. Das Ding ist bestimmt ein Überbleibsel aus den Fünfzigerjahren.

»Setzen wir uns an die Theke?«, fragt Phoenix.

»Na ja, die Bänke sind alle besetzt, also ja.« Wir erreichen den Tresen und nehmen auf durchgesessenen Hockern Platz.

»Was darf ich euch bringen, Jungs?«, erkundigt die Bedienung sich freundlich. Sie ist eine Frau, die ihre besten Tage hinter sich hat, vermutlich arbeitet sie schon ewig in diesem Lokal.

»Ich nehme einen Kaffee und eine Portion Rühreier mit Toastbrötchen und Bacon«, erwidert Phoenix.

Sie sieht mich an.

»Dasselbe«, sage ich ruhig.

»Bekommt ihr, meine Süßen.«

Ich sehe sie skeptisch an, schüttle dann aber den Kopf und schaue zu Phoenix. »Hat die uns gerade echt süß genannt?«

Er nickt knapp, grinst aber amüsiert.

Wir bekommen die Tassen, sie schenkt Kaffee ein und mir ein warmes Lächeln, außerdem zwinkert sie mir zu.

Ich weiche ihrem Blick aus, drehe mich ein wenig zur Seite und lasse meinen noch einmal schweifen. In der Ecke scheint jemand zu schlafen. Die Kapuze hängt der Person weit ins Gesicht, aber so schlank wie sie ist, gehe ich fest davon aus, dass es eine Frau ist. Außerdem sehe ich eine Strähne der langen Haare.

»Hey, Kleines«, sagt die andere Bedienung auf einmal und schüttelt sie ein wenig.

Das Mädchen reagiert nicht.

»Hey!« Die Kellnerin scheint ungeduldig zu sein.

»W-was?«, fragt sie leise, zieht die Kapuze von ihrem Kopf und um mich ist es geschehen.

Ich habe noch nie so eine wahnsinnig schöne Frau gesehen. Ich betrachte sie, sehe ihre Unsicherheit, als die Serviererin leise auf sie einredet.

Sie greift in ihre Jackentasche, ich erkenne das Kleingeld, das sie zutage fördert. »Das ist alles, was ich habe.«

»Der Kaffee kostet zwei Dollar, Kleines, das sind gerade mal drei Quarter, die du da hast.«

Sie greift noch mal in ihre Taschen und fördert schließlich eine Ein-Dollar-Note hervor. »Es tut mir leid, mehr habe ich nicht. Ich komme später wieder und bezahle den Kaffee, ich schwöre es.«

Die Kellnerin schnaubt. »Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Sie schüttelt den Kopf. »Geh einfach und mach den Tisch für jemanden frei, der für seinen Kaffee bezahlen kann.«

»Bitte, draußen ist es kalt.«

»Das hat der Winter so an sich.«

Das Mädchen beißt die Zähne zusammen. »Darf ich noch fünf Minuten bleiben und die Tasse austrinken.«

»Nein, du kannst nicht bezahlen und gehst jetzt. Am besten kommst du auch gar nicht mehr hierher.«

»Es tut mir wirklich leid. Ich bezahle den Kaffee auf jeden Fall noch.« Daraufhin legt sie ihr Geld auf den Tisch, rutscht zur Kante der Bank und steht auf. Sie ist kleiner als Lil, das sehe ich sofort, auch wesentlich schlanker, dabei hielt ich die Freundin meines Bruders schon für zu dünn. Die Kleine greift nach ihrem Rucksack, danach setzt sie ihn auf und entschuldigt sich noch einmal kleinlaut bei der Kellnerin. Anschließend geht sie zur Tür. Ihr Blick streift meinen, doch senkt sie ihn sofort und wird schneller. Kaum hat sie den Diner verlassen, wendet sie sich nach rechts.

»Hast du das Mädchen gesehen?«, wende ich mich an Phoenix.

»Die Kleine, die nicht bezahlen konnte?«

»Genau die.«

»Ja, die war gestern schon hier und hat es sich mit der anderen Kellnerin verscherzt. Ich weiß nicht, warum sie immer wieder herkommt, wenn sie keine Kohle hat.«

Ich schnaube. »Sie sah krank aus.«

»Vielleicht ist sie das.«

»Hast du nicht gesehen, wie dünn sie war?«

»Doch, das habe ich, aber was willst du jetzt machen? Das Mädchen füttern?«, hakt Phoenix mit einer gehobenen Augenbraue nach.

»Nein, aber sehen, ob ich ihr helfen kann«, entgegne ich und rutsche vom Hocker. Ich hole zehn Dollar aus meiner Hosentasche und lege sie auf den Tresen, danach trinke ich meinen Kaffee aus, verbrenne mir die Zunge daran und verlasse den Diner.

»Ash, warte«, ruft Phoenix mir hinterher, als ich den Weg einschlage, den die Kleine eingeschlagen hat.

Ich glaube, ich sehe sie, da ein paar Meter weiter eine junge Frau mit einer grauen Jacke geht. Sie wirkt viel zu luftig, um damit im Winter herumzulaufen.

»Ashes!«

Ich bleibe nicht stehen, sondern folge weiter der Kleinen. Scheiße, ich komme mir wie ein Irrer vor, aber irgendwas sagt mir, dass sie Hilfe braucht. Normalerweise kümmere ich mich einen Dreck um andere, bloß Burn und Phoenix sind mir wichtig, Lil inzwischen auch, aber um Fremde schere ich mich nicht.

Sie verschwindet in eine Gasse. Vielleicht ist das meine Chance, mit ihr zu sprechen.

* * *

Lynn

Ich fühle mich verfolgt, aber wann immer ich hinter mich sehe, erkenne ich niemanden, der mir bedrohlich erscheint. Nun bin ich auf meinem Schleichweg zur Brooklyn Bridge, dort steht eine geschützte Bank, auf der ich die meisten Winternächte verbringe, wenn sie nicht gerade besetzt ist. Gestern Abend war sie es, weshalb ich durch die Stadt gelaufen bin. Hoffentlich ist der Kerl jetzt wieder weg, damit ich ein wenig schlafen kann.

»Kleine?«, ruft jemand.

Mein Herzschlag beschleunigt sich, meine Schritte werden ebenfalls schneller. Wenn ich nur etwas gegessen hätte, hätte ich nicht das Gefühl, jeden Moment umzukippen. Aber das ist unmöglich. Ich habe kein Geld, verdiene auch nichts, weil ich keinen Job habe. Und da ich von Zuhause abgehauen bin, weiß ich nicht, wie ich an welches kommen soll. Aber ich will keinesfalls zurück zu meiner Mutter.

Niemals.

Eher würde ich sterben.

»Kleine, warte mal.«

Ich schaue über meine Schulter und hebe die Taschenlampe, die ich aus meinem Rucksack geholt habe. Der Lichtkegel fällt auf die beiden Männer, die vorhin in dem Diner waren. Ich schlucke. »Wa-was wollt ihr von mir?« Instinktiv weiche ich zurück, denn sie jagen mir furchtbare Angst ein.

»Können wir dir helfen? Hast du vielleicht Hunger?«

Bevor ich etwas sagen kann, knurrt mein Magen, aber der Straßenlärm übertönt ihn. Ich schüttle den Kopf.

»Hast du einen Ort, an den du gehen kannst?«

»Ha-habe ich«, stammle ich und weiche weiter zurück.

»Wir wollen dir nichts tun«, sagt der, der mich vorhin im Diner angesehen hat.

»Das glaube ich nicht«, erwidere ich verängstigt. »Bitte lasst mich in Ruhe.«

Er schüttelt den Kopf. »Ich möchte doch nur wissen, ob es dir gut geht.« Er betrachtet mich. »Dir ist doch sicher kalt.«

Meine Unterlippe zittert. »Schon, aber das ist mein Problem.« Dann wende ich mich ab und lasse die beiden stehen. Ich renne, wie vom Teufel verfolgt los, damit sie mir nichts tun. Ich habe einfach wahnsinnige Angst.

»Hey, warte doch!«

Warum verfolgen sie mich? Ich will doch nur in Ruhe gelassen werden. Oder war mein Wegrennen eine Herausforderung, mir doch etwas anzutun? Ich kann Männer nicht einschätzen. Mom ließ mich nicht zur Schule gehen, mein Zimmer war im Keller und ich durfte nicht mal raus auf die Straße oder in den Garten. Ich kenne keine anderen Menschen, außer denen, die zu meiner Familie gehören – also nur Mom.

Plötzlich packt eine Hand zu und zieht mich so kraftvoll zurück, dass ich im nächsten Moment gegen eine Mauer aus Muskeln pralle. Mir fällt die Taschenlampe herunter, weshalb ich zu Boden starre. Wir stehen in der Dunkelheit dieser Gasse und ich bekomme es mit noch größerer Angst zu tun, als ich sowieso schon empfunden habe.

»Ich möchte doch nur mit dir reden«, sagt er ruhig.

Sprachlos schaue ich zu ihm hoch. Der Kerl ist sicher zwei Meter oder noch größer und ich habe nicht mal die einmeterfünfundsechzig erreicht. Ich atme schwer, weil der Lauf so anstrengend war. Das Herz schlägt mir nicht mehr nur bis zum Hals, ich habe das Gefühl, dass es meinem Kehlkopf dessen Platz streitig gemacht hat.

»Und jetzt noch mal: Hast du Hunger oder einen Ort, an dem du schlafen kannst?«

Ich schüttle den Kopf.

»Weder noch?«

Mein Magen knurrt ein weiteres Mal.

»Also, ich denke, dass sie zumindest Hunger hat«, sagt sein Freund, der mich ebenfalls betrachtet.

Er neigt den Kopf. »Wie ist dein Name?«

»Lynn«, antworte ich leise.

»Bist du hungrig, Lynn?«

Daraufhin nicke ich.

»Hast du einen Ort, an dem du schlafen kannst?«

»Ja«, sage ich knapp.

»Warum hast du dann eben den Kopf geschüttelt?«

»Weiß … ich nicht.« Ich versuche, mich von ihm zu lösen, aber gegen seinen Griff komme ich nicht an. »Lass mich bitte los.«

»In den Diner können wir mit ihr nicht gehen. Sie wurde rausgeschmissen«, meint sein Freund.

»Dann gehen wir eben mit ihr bei McDonald’s frühstücken.«

»Na gut«, erwidert sein Kumpel.

Der andere, der mich immer noch festhält, sieht mich wieder an. »Wir gehen mit dir frühstücken und bringen dich dann nach Hause, okay?«

Wieder kann ich bloß den Kopf schütteln. »Lass mich gehen.«

»Kleine, du hast Hunger und wenn man dem Knurren deines Magens glaubt, nicht zu knapp. Komm schon, wir bringen dich doch gleich nach Hause.«

Ich schlucke. »Okay.« Ich kann mich immer noch absetzen und vor ihnen abhauen. Dann sage ich ihnen einfach, dass ich zur Toilette muss, um den Laden verlassen zu können. Aber etwas zu essen, klingt wirklich nicht schlecht. Ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen, seit dreien um genau zu sein.

»Dann komm.« Er gibt mich frei und die beiden nehmen mich zwischen sich. Allerdings gehe ich nicht weiter, sondern schaue auf den Boden, um die Taschenlampe zu finden. »Was suchst du?«, möchte er wissen.

»Meine Taschenlampe ist heruntergefallen.«

Daraufhin seufzt er, einen Moment später geht ein Licht an. »Die hier?«, fragt er, nachdem er in die Hocke gegangen ist und etwas aufgehoben hat.

Ich nicke hektisch, anschließend nehme ich sie ihm aus der Hand. »Danke.«

»Gut, dann können wir ja jetzt gehen.« Wieder nehmen sie mich zwischen sich und führen mich zurück zur Hauptstraße.

* * *

Wir sind zu Fuß zu einem McDonald’s gegangen. Ich weiß gar nicht, was es hier gibt, da ich nie etwas Anderes, als den Garten und das Haus meiner Mutter gekannt habe. Als ich weggelaufen bin, wusste ich nicht einmal, wie ich zum nächsten Busbahnhof komme. Aber ich habe mich irgendwie durchgeschlagen und bin bis nach New York gekommen, weil ich die Stadt mal in einem Film gesehen habe. Am Anfang hatte ich noch ein wenig Geld, da ich die Kaffeedose mit dem Haushaltsgeld geplündert hatte, aber hier wurde ich kurz nach meiner Ankunft beklaut. Dann war das Geld weg.

»Was möchtest du essen?«, fragt mich der Riese mit den schwarzen Haaren.

Ich zucke mit den Schultern.

»Das Ham and Eggs kann man essen«, mischt sein Freund sich ein, er hat helles Haar. »Ist zwar nicht mit den Rühreiern im Diner zu vergleichen, aber es schmeckt.«

»Dann das«, wende ich mich an den Fragesteller. Ich sollte sie gleich nach ihren Namen fragen, damit ich weiß, wer mir ein Essen ausgegeben hat. Hoffentlich erwarten sie keine Gegenleistung, denn ich habe nichts, was ich ihnen geben könnte.

»Was möchtest du trinken?«, erkundigt er sich.

»Kakao, wenn es geht, oder Kaffee.«

»Klein, mittel, groß?«

»Groß, wenn ich darf«, antworte ich beschämt, weil mich die Leute anstarren, die um uns herum in den Schlangen stehen. Aber was kann ich denn dafür, dass ich so aussehe, wie ich aussehe? Ich weiß, dass ich nicht besonders gut rieche, auch dass ich nicht sonderlich gepflegt bin. Bloß meine Haare kämme ich täglich, weil ich zumindest eine Bürste habe, auch wenn die schon bessere Tage gesehen hat. Vorletzte Nacht konnte ich im Obdachlosenasyl meine Haare waschen, aber mehr war nicht drin, weil ich keinen Schlafplatz bekommen hatte. Mein Körper stinkt zwar nicht, meine Kleidung dafür umso mehr.

Der Mann bestellt das Essen für mich, auch weitere für sich und seinen Freund. Danach bezahlt er und erhält eine Nummer. »Suchen wir uns einen Platz«, entscheidet er und deutet mit dem Kopf zu den Tischen.

Ich folge den beiden zu einem großen Tisch, der mehreren Personen Platz bietet, und setze mich auf eine Bank. Der Riese setzt sich neben mich, die Plastiknummer stellt er auf den Tisch.

»Lynn?«

Ich sehe ihn an.

»Wo wohnst du?«

»In der Nähe der Brooklyn Bridge.«

»Wo genau?«

»In der Nähe eben«, erwidere ich leise und wende den Blick auf meine Hände. Meine Fingernägel sind abgebrochen, die Nagelbetten die reine Katastrophe und teilweise sehr stark entzündet.

»Sie will nicht darüber reden«, sagt sein Freund. »Du solltest sie nicht ausquetschen.«

Stille.

Sie ist erdrückend, obwohl um uns herum verdammt viele Leute plappern. Da ich das Gefühl habe, angestarrt zu werden, setze ich meine Kapuze auf. Ich bin müde und muss unbedingt schlafen, aber im Moment habe ich keinen warmen Ort, an den ich gehen kann. Diese geschützte Bank bietet zwar auch keinen warmen Schlafplatz, aber dort bekomme ich den Wind nicht ab. Mir tut der Hals weh, meine Fingerspitzen sind teilweise unnatürlich heiß und pochen im Takt meines Herzens. »Wie sind eure Namen?«, frage ich leise und hebe den Blick wieder.

»Ashes«, sagt der neben mir.

»Phoenix«, antwortet sein Freund, der ihm gegenüber sitzt.

»Hi.« Allerdings bin ich davon überzeugt, dass das ihre Spitznamen sind, denn niemand nennt seine Kinder so, oder vielleicht doch?

Als zwei Tabletts scheppernd auf den Tisch gestellt werden, zucke ich zusammen. Ich fange an zu zittern. Es hörte sich genauso an, wie wenn Mom die Plastikschale mit meinem Essen auf den kleinen Tisch im Keller geknallt hat.

»Alles okay?«, erkundigt Ashes sich leise.

»Ja … ja, geht schon«, keuche ich und schließe die Lider, um einen Moment durchzuatmen.

»Sicher?«

»Ja«, wiederhole ich diesmal ruhiger und schlage die Augen wieder auf.

»Das hier ist deins«, sagt er und stellt eine Pappschale mit Rühreiern und Schinken sowie Toastbrötchen vor mich.

»Und ich empfehle, es zu pfeffern und zu salzen.« Er legt zwei Gewürztütchen daneben, ebenso einen kleinen Block Butter. Auch den Kaffee stellt er vor mich.

»Danke.« Verhalten greife ich zum Plastikbesteck und fange an, ein wenig zu essen. Es überreizt sofort meinen Magen, der sich krampfend zusammenzieht. Aber ich halte nicht inne, sondern esse weiter, weil ich einfach viel zu lange nichts zu essen mehr bekommen habe. Gestern war ich schon so verzweifelt, dass ich in Mülleimer geguckt habe, allerdings fand ich nichts, was ich mir hätte reinzwingen können.

Ich hasse das Leben auf der Straße, aber ich kann mir keine Wohnung leisten, weil ich kein Geld verdiene.

Das Leben ist hart, das habe ich nicht nur hier draußen gelernt, sondern von klein auf.

* * *

»Wohin sollen wir dich bringen?«, fragt Ashes interessiert, nachdem wir gegessen haben. Die beiden haben nicht nur eine Portion Rühreier gegessen, sondern auch Toastbrötchen, in denen ein dickes Spiegelei lag. Ich war zuvor nie bei McDonald’s, deshalb weiß ich nicht, wie es heißt.

»Ich gehe lieber zu Fuß.«

Daraufhin schüttelt er den Kopf. »Wir bringen dich nach Hause. Also, woher kommst du?«

Ich hole tief Luft. »Aus Florida.«

Seine Miene entgleist. »Florida?«

»Ja, aber ich will nicht dorthin zurück.«

»Und wo wohnst du jetzt?«

»Mal hier, mal da«, weiche ich aus.

»Hast du keine Wohnung?«

»Nein«, gebe ich zu und weiche seinem durchdringenden Blick aus. »Ich schlafe dort, wo es warm ist.«

»Deshalb bist du vorhin im Diner eingeschlafen?«, hakt Ashes nach.

»Ja, weil ich nicht wusste, wohin ich gehen soll«, entgegne ich aufrichtig.

Er schnaubt, dann spüre ich nicht länger seinen Blick auf mir.

»Willst du sie wirklich mitnehmen?«, höre ich seinen Freund fragen, weshalb ich beide irritiert ansehe.

»Ja, sie hat ja augenscheinlich kein Zuhause und draußen ist es scheißkalt«, hält Ashes dagegen und schaut mich wieder an. »Willst du bei uns übernachten? Du hättest ein warmes Bett.«

»Nein, will ich nicht«, antworte ich eingeschüchtert.

»Komm schon.« Er legt seine Hand auf meine und drückt zu, was mich das Gesicht verziehen lässt. »Was ist los?«

»Meine Hand«, keuche ich und entziehe sie ihm, doch Ashes greift danach und sieht sich meine Finger an. »Deine Fingerkuppen sind allesamt geschwollen.«

»Ich weiß.«

Er legt die kühlen Fingerkuppen von Zeige- und Mittelfinger daran. »Sie sind heiß und pochen.«

»Dann sind sie entzündet«, mischt Phoenix sich ein, anschließend räuspert er sich. »Hör zu, Kleine, wir werden dir nichts tun, aber wir sollten dich später zu einem Arzt bringen, bevor die Entzündungen richtig böse werden.«

Meine Unterlippe zittert. »Aber …«

»Wir nehmen dich mit, du kannst bei uns schlafen und später bringen wir dich zu einem Arzt, okay? Dir wird nichts passieren, meinetwegen gebe ich dir sogar einen Baseballschläger, damit du etwas hast, womit du dich verteidigen kannst, falls du Angst bekommst«, schlägt Phoenix vor. »Was hältst du davon?«

Beide sehen mich ernst an und ich weiß nicht, wie ich von ihnen wegkommen soll. Sie würden mich wahrscheinlich gar nicht lassen. »Ich bin nicht krankenversichert«, lasse ich sie wissen.

»Dann machen wir die Entzündungen auf. Wir besorgen dir Antibiotika, eine Salbe und Verbände. Wir können dir helfen, da wir uns ganz gut mit Verletzungen auskennen«, mischt Ashes sich ein. Sein Blick ist finster, überhaupt nicht freundlich und er erinnert mich an jene Augen, die ich so oft gesehen habe, wenn sie mir Dinge antaten, die man niemandem antun darf.

»Nein.« Hektisch schüttle ich den Kopf und am liebsten würde ich weglaufen, aber Ashes‘ muskulöser Körper ist mir im Weg.

»Gut, trotzdem solltest du mit zu uns kommen«, sagt er entschieden und deshalb sehe ich in seinem Blick, dass er keinen Widerspruch duldet.

»Okay.« Ich muss unbedingt einen Weg finden, von den beiden Männern wegzukommen. Sie werden mir sicher etwas antun und ich habe Angst vor ihnen.

Höllische Angst.

* * *

Ashes

Wir sind auf dem Weg zum Auto, als Phoenix mich antippt. »Was ist?«

»Alter, ich hab nicht aufgepasst, weil ich auf mein Handy konzentriert war, aber die Kleine ist weg.«

»Was?«, stoße ich aus und drehe mich um, vielleicht finde ich sie zwischen den Leuten, die schon oder noch unterwegs sind. »Fuck.«

»Was ist denn in dich gefahren, dass du die Kleine unbedingt zu uns mitnehmen willst?«

»Hast du nicht gemerkt, wie ängstlich sie war? Außerdem hat sie Entzündungen an ihren Nagelbetten und ich weiß aus Erfahrung, wie schmerzhaft sie sind.«

»Und?«, hakt er nach.

»Wenn die Entzündungen nach innen aufgehen und der Eiter in die Blutbahn gerät, könnte sie an einer Blutvergiftung verrecken«, gebe ich zu bedenken.

Lynn sagte, dass sie in der Nähe der Brooklyn Bridge leben würde. Vermutlich schläft sie dort auf einer Parkbank. Ich muss sie unbedingt finden. Sie braucht Hilfe und von mir kann Lynn sie bekommen. Ich weiß, wie es ist, wenn andere sich einen Scheiß für jemanden interessieren, immerhin haben Phoenix, Burn und ich in einem Haus gelebt, in dem wir allen egal waren. Wir mussten funktionieren, wurden wir krank, war es den anderen nicht wichtig. Hamilton und seine Schergen gaben uns selten Medikamente und wenn doch, wurden uns Wucherpreise auf die Schulden unserer Väter aufgeschlagen. So kostete eine Packung Aspirin mal eben dreihundert Dollar. Lils Ibuprofen, die Burn damals wollte, wurden ihm sogar mit tausend Dollar berechnet. Es waren furchtbare Jahre, aber ich bin froh, sie überlebt zu haben. Noch glücklicher bin ich darüber, dass wir nun in Freiheit sind, auch wenn das Leben so seine Tücken hat. Da mein Bruder und ich nie in der Schule waren, hatten wir nicht allzu viel Auswahl bei den Jobs, die wir hätten bekommen können. So wurde ich Türsteher, denn dafür braucht man kein Hirn, und Burn wurde Boxtrainer. Irgendwann will ich den Schulabschluss machen und Lil hat mir dafür all ihre alten Schulbücher überlassen, die ihre Mom ihr aus Washington schickte. Manches bekomme ich gar nicht in den Kopf, aber ich gebe mir Mühe. Manchmal lerne ich gemeinsam mit Phoenix und vielleicht können wir irgendwann sagen, dass wir bereit für den Schulabschluss sind. Aber bisher zweifle ich daran. Burn macht ihn derzeit in der Abendschule und mein Bruder ist wirklich nicht auf den Kopf gefallen, aber ich komme mir so unsagbar dumm vor, weil ich so viele Dinge googeln muss, mit denen ich konfrontiert werde. Gut, dafür weiß ich mir aber auch sonst zu helfen, immerhin habe ich in der härtesten Schule gelernt, die es gibt: Vom Leben selbst.

Auch wenn es eines in Gefangenschaft war. Aber Lynn hatte es womöglich besser, jedenfalls wirkt sie klug, auch wenn sie verängstigt ist. Sie muss es ja irgendwie von Florida hierher geschafft haben und sie scheint auf der Straße zu leben, was heißt, dass sie sich irgendwie behaupten kann, obwohl sie so eingeschüchtert ist.

»Ash, du kannst sie nicht zwingen, dich zu uns zu begleiten«, hält Phoenix dagegen. »Ich würde sie ja auch einfach gegen ihren Willen mitnehmen, aber bist du scharf darauf, dass sie zu den Cops rennt und uns anzeigt, sobald wir ihr geholfen haben.«

Ich schnaube. »Ich möchte ihr helfen, Phoenix, ich weiß nicht, was sie an sich hat, aber ich weiß, dass es das Richtige ist, sie mitzunehmen.«

»Wenn sie nicht will, kannst du sie nicht zwingen«, gibt er zu bedenken.

»Ich weiß, deshalb wollte ich sie ja überreden.«

»Hm«, brummt er. »Ich bin mir sicher, dass wir sie nicht mehr finden werden, Ash. Wenn jemand nicht gefunden werden will, ist New York der richtige Ort, um zu verschwinden.«

»Ich weiß«, seufze ich, lasse aber noch einmal meinen Blick schweifen. Und dann erkenne ich sie. Sie torkelt regelrecht. »Da hinten ist sie.« Im nächsten Moment renne ich los. Ich weiß, ich verhalte mich wie ein Wahnsinniger, aber sie braucht Hilfe und ich will sie ihr geben.

»Gott, dieser Kerl treibt mich in den Wahnsinn«, höre ich Phoenix fluchen, aber auch seine schweren Schritte, die mir folgen.

»Hey, Lynn«, sage ich, als ich sie erreicht habe, und lege meine Hand auf ihre Schulter, unter deren Gewicht gibt sie sofort ein wenig nach. Aber ich merke auch, dass ihr ganzer Körper verkrampft. »Kleine.«

Ihre Hände haltend dreht sie sich zu mir um. »Warum folgt ihr mir?« Ihre Stimme klingt auf einmal so schwach.

Ich senke den Blick auf ihre Hände und ich sehe, dass sie die Entzündungen selbst geöffnet haben muss. Eiter fließt über ihre Fingerkuppen. »Großer Gott«, stoße ich aus und schaue in ihre mausgrauen Augen. »Weil wir dir helfen wollen.« Ich lege meine behandschuhten Hände um ihre. »Und deine Finger müssen versorgt werden. Vertrau uns einfach, wir werden dir nichts tun, okay?«

Sie atmet schwer. »Mir wird schwarz vor Augen.« Schon einen Atemzug später kippt sie mir entgegen.

»Fuck«, fluche ich, fange sie auf und hebe sie auf meine Arme. »Lass uns nach Hause fahren.«

»Wir sollten noch bei einer Apotheke vorbei.«

Ich nicke ihm zu.

* * *

Als wir zu Hause sind, habe ich Lynn die Schuhe ausgezogen. Ihre Socken sind löchrig und ich habe die erfrorenen Stellen an ihren Füßen gesehen. Scheiße Mann, diese Frau muss ständig auf der Straße schlafen und dann trägt sie bloß ein paar lächerliche Sommerschuhe, die sie überhaupt nicht warmhalten. »Kannst du warmes Wasser holen?«, wende ich mich an Phoenix, der in der Tür zu meinem Schlafzimmer steht.

»Sicher.«

Vorsichtig nehme ich Lynn die abgeschnittenen Handschuhe ab. Von den Wundsekreten sind sie total versaut und ich werde sie wegwerfen, sie bekommt einfach ein neues Paar.

Bevor ich die übrigen Entzündungen öffnen kann, muss ich ihre Hände erst mal saubermachen. Diese Nagelbetten und Fingernägel sind aber auch eine absolute Katastrophe.

»Hier, ich hab dir eine Schale vollgemacht. Wir sollten Lil allerdings nicht sagen, dass wir die teure Salatschüssel benutzt haben, die sie uns geschenkt hat«, sagt Phoenix und stellt die Schüssel auf den Nachttisch.

»Sieh dir das an. Entweder ist sie schmerzpervers, oder sie hat sich nicht getraut, zu so einem Arzt zu gehen, der keine Kosten berechnet.«

»Du meinst so einen pro bono Typ?«

»Ja, wie auch immer die heißen«, winke ich ab.

»Jayden Priest bietet einmal die Woche Behandlungen an, für die er nichts berechnet.«

»Dann bringen wir sie zu ihm«, entgegne ich.

Phoenix hilft mir beim Säubern ihrer Hände, die durch den ganzen Dreck eher schwarz als hautfarben sind. Ich sehe zahlreiche Narben auf ihrer Haut. Je mehr Dreck schwindet, desto schlimmer wird der Anblick. »Das Mädchen muss eine Menge durchgemacht haben.« Ich habe mich getäuscht, sie hatte es bestimmt nicht besser als wir.

»Vielleicht ist sie an einen falschen Kerl geraten.«

»Du meinst, sie wurde von ihrem Kerl gequält?«, hakt er nach.

»Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass sie so ängstlich auf uns reagiert hat«, antworte ich aufrichtig.

»Kann gut sein, aber so jung, wie sie aussieht, wird sie sicher keine ewig lange Beziehung geführt haben.«

»Es muss nicht mal eine Beziehung gewesen sein, du weißt selbst, was für Arschlöcher da draußen rumlaufen.«

»Sie stammt aus Florida.«

»Meinst du, da gibt es keine Arschlöcher?«, ist es nun an mir nachzuhaken.

»Nein, davon gehe ich nicht aus, immerhin stammen wir drei ebenfalls aus Florida«, kontert er und grinst mich an.

»Wir sollten uns um ihre Hände kümmern, bevor sie wach wird, dann kreischt sie wenigstens nicht herum«, sage ich und ziehe mir diese Einmalhandschuhe an, die Phoenix gekauft hat. Ich habe meine Probleme damit, sie über meine großen Hände zu bekommen, aber es muss sein. Als ich es endlich geschafft habe, nehme ich ihre Hand vorsichtig in meine und sprühe sie mit dem Desinfektionsmittel ein.

* * *

Eine halbe Stunde später habe ich diese wirklich abartige Aufgabe erledigt und Lynns Hände verbunden, damit ihre Finger sich nicht noch einmal entzünden. Ich weiß, dass es ihr kaum möglich sein wird, die Wunden zu reinigen, weshalb ich ihr anbieten werde, ein paar Tage bei uns zu bleiben. Zumindest bis ich sie zu einem Arzt gebracht habe, denn sie braucht zweifellos ein Antibiotikum. Ich betrachte sie. Ihr Gesicht ist ebenfalls ziemlich dreckig, weshalb ich zu Phoenix sehe. »Wir sollten auch ihr Gesicht saubermachen.«

Er schüttelt den Kopf und deutet auf sie. Ich richte meinen Blick auf Lynn. »Sie wird wach«, stellt er fest.

Ich konzentriere mich auf ihren Anblick. Zwischen ihren Augenbrauen erscheint eine kleine Falte, weil sie die Augen zukneift. Schließlich schlägt sie die Lider auf. Irritiert zucken ihre Augäpfel hin und her, bis sie ihre Aufmerksamkeit auf uns lenkt. »Wo bin ich?«

»In meinem Schlafzimmer«, antworte ich. »Du bist mir entgegengekippt und ich habe deine eiternden Hände versorgt. Ich bringe dich später zum Arzt, damit du ein Antibiotikum bekommst.«

»Das kann ich nicht bezahlen«, gibt sie zu bedenken.

»Es muss sein und ich kenne jemanden, der dir nichts berechnen wird«, sage ich ruhig. »Wenn du möchtest, kannst du in meinem Bett schlafen.«

»Darf ich mich waschen?«, fragt sie vorsichtig.

Ich nicke ihr zu. »Allerdings wird das mit den verbundenen Händen etwas schwer.«

Sie schaut ihre Finger an. »Das sind nur Pflaster.«

»Und eine antiseptische Salbe ist darauf«, halte ich dagegen.

Sie sieht mich bittend an. »Können wir sie nicht gleich erneuern?«

»Ich lasse euch allein«, verkündet Phoenix, im nächsten Moment hat er schon mein Zimmer verlassen.

Ich erhebe mich von der Bettkante. »Sicher, können wir, oder du versuchst, mit denen an den Fingern zu duschen. Ich werde sie dann gleich wechseln.«

»Das wäre nett.«

»Soll ich dir ein Shirt geben oder vielleicht deine Sachen in die Waschmaschine werfen?«, erkundige ich mich mit ruhiger Stimme. Es ist wohl besser, völlig gelassen zu wirken, damit sie keine Angst bekommt.

»Was möchtest du für deine Hilfe? Ich kann nicht … Ich bin nicht … Ich habe kein Geld«, stammelt sie.

Ich hebe eine Augenbraue. »Ich möchte keine Gegenleistung, Lynn.«

»Wirklich nicht? Weil ich nicht weiß, wie ich dich für die Mühe entlohnen soll«, hakt sie verunsichert nach.

»Lynn, ich habe nicht vor, dich ins Bett zu zerren, damit du mir für meine Hilfe dankst. Ich bin nicht so ein Scheißkerl, der das erwartet«, halte ich entschiedener dagegen und könnte mich treten, weil ich so aus der Haut gefahren bin.

---ENDE DER LESEPROBE---