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AUFSTÄNDE IN DEUTSCHLAND VON 1918 – 1923 Nach dem verlorenen Weltkrieg kam es in Deutschland zur Gründung der sogenannten Weimarer Republik. Von Anfang an war die junge Demokratie den Angriffen der extremen Rechten und Linken ausgesetzt, die immer auch gewaltsam ausgeführt wurden. „Am Anfang war Gewalt“ nennt der irische Historiker Mark Jones seine Studie über die Anfangsjahre der Republik. Die Linke warf den Sozialdemokraten wegen ihres Zusammengehens mit den alten Eliten Verrat an den Idealen der Arbeiterbewegung vor; die Rechte machte die Anhänger der Republik für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich, verunglimpfte sie als „Novemberverbrecher“ und unterstellte ihnen, sie hätten das im Felde unbesiegte deutsche Heer mit der Revolution von hinten erdolcht. Dieses Buch schildert diese turbulenten Anfangsjahre der Weimarer Republik. Dieses Werk ist durch viele zeitgenössische Bilder illustriert.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Aufstände in Deutschland von 1918 bis 1923
IMPRESSUM
Rainer Smolcic
Blumenstraße 13
93142 Maxhütte
Hannah Arendt unterscheidet zwischen einer Rebellion und einer Revolution strikt: „Das Ziel einer Rebellion ist nur die Befreiung, während das Ziel der Revolution die Gründung der Freiheit ist“.
Friedrich Engels definiert den Aufstand als eine Kunst, die genau „wie der Krieg oder irgendeine andere Kunst gewissen Regeln unterworfen“ ist. Die Regeln sind „logische Schlußfolgerungen aus dem Wesen der Parteien und der Verhältnisse, mit denen man in einem solchen Falle zu tun hat. Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht fest entschlossen ist, alle Konsequenzen des Spiels auf sich zu nehmen. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Werte sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands… Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite…; zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können; um mit den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik, zu sprechen: de l’audace, de l’audace, encore de l’audace!“ (Kühnheit, Kühnheit, und abermals Kühnheit!) 1895 äußerte sich Engels zu den veränderten Bedingungen eines Aufstands, insbesondere aufgrund des modernen bürgerlichen Heeres, dessen politische Zersetzung als eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Aufstand definiert wird. Ebenfalls geht er auf die defensiven Aspekte des Aufstands (Barrikadenkampf) ein und definiert die Bedeutung des Straßenkampfes als mehr „moralisch“ denn „materiell“.
Lenin orientiert sich stark an Engels Überlegungen, wobei er sich insbesondere für den Aspekt des „Offensiven“ und der Verbindung zwischen Revolutionsarmee und Revolutionsregierung interessierte. Kurz vor der Oktoberrevolution schreibt Lenin, dass sich erfolgreiche Aufstände erstens „nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Partei stützen“, sondern auf „die fortgeschrittenste Klasse“. Zweitens müsse sich ein Aufstand ebenso „auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützen“. Drittens müsse sich ein Aufstand „auf einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution stützen, wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am größten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten sind.
“Aufstand in Berlin im Januar 1919 wegen der Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten
Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs, Bürgerkrieg in Deutschland. Spartakisten ergreifen die Macht in Wesel und Umgebung. Loyale Truppen (Kavallerie) marschierten als Verstärkung auf der Straße von Münster nach Wesel, um die Festung Wesel zu entlasten. Wesel, Deutschland, 1920.
Revolutionspostkarte, anonym, 1918
Der Kieler Matrosenaufstand (auch Kieler Matrosen- und Arbeiteraufstand) begann am 3. November 1918. Er löste die Novemberrevolution aus, die zum Sturz der Monarchie und zur Ausrufung der Republik in Deutschland führte.
Dem Aufstand gingen Ende Oktober ausgedehnte Befehlsverweigerungen der Besatzungen der vor Wilhelmshaven zusammengezogenen deutschen Hochseeflotte voraus. Diese richteten sich gegen den für den 30. Oktober geplanten Flottenvorstoß. Die Seekriegsleitung (SKL) hatte, obwohl die Oberste Heeresleitung (OHL) ultimativ eine sofortige Beendigung des Ersten Weltkriegs verlangt hatte, eigenmächtig einen Vorstoß auf Streitkräfte und Verkehr in der Themsemündung und an der Küste Flanderns geplant, von dem weder der Reichsregierung noch dem Kaiser etwas bekannt war. Damit sollte die weit überlegene britische Grand Fleet zu einer Entscheidungsschlacht herausgelockt werden. Abgesehen von ihrer sinnlosen Opferung wollten die Besatzungen mit ihren Aktionen verhindern, dass die deutsche Bitte um Waffenstillstand abgewiesen würde und dass das Ansehen der neuen, parlamentarisch legitimierten Regierung Max von Badens beschädigt würde. Das Flottenkommando musste den Plan aufgeben, beorderte das III.Geschwader nach Kiel zurück und ließ auf der Rückfahrt 48 Besatzungsmitglieder verhaften. Dagegen kam es in Kiel zu Protestaktionen, denen sich die Arbeiterschaft der Stadt anschloss. Die Arbeiter hatten seit einiger Zeit einen großen Streik geplant, um der Forderung nach einem schnellen Friedensabschluss Nachdruck zu verleihen. Alle Versuche, den Aufstand zu unterdrücken, schlugen fehl. Bald solidarisierten sich auch Teile des Heeres. Viele Matrosen verließen Kiel und trugen den Aufstand in alle Landesteile. Innerhalb weniger Tage standen alle größeren Städte des Deutschen Reichs unter der Kontrolle revolutionärer Arbeiter- und Soldatenräte.
Die 14 Kieler Punkte .Die Forderungen des Soldatenrats – Befehle für jede Militärperson.Das Breuste-Denkmal „WIK – Feuer aus den Kesseln“ im Kieler Ratsdienergarten.
Von I, VollwertBIT, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2345080
Sozialökonomische Faktoren
Während des Weltkriegs litten insbesondere die Mittel- und Unterschichten unter mangelhafter Versorgung und sinkenden Realeinkommen. Darüber hinaus schöpfte der Staat die Ersparnisse der Bevölkerung durch die später wertlosen Kriegsanleihen ab. Die Nahrungsmittelverteilung fand weitgehend unter der Kontrolle des Militärs statt, dessen rückständige Organisation die Lage erheblich verschärfte. Dagegen machte die Rüstungsindustrie große Gewinne, deren wirkungsvolle Besteuerung von einflussreichen Politikern, darunter Karl Helfferich verhindert wurde. Dies und ein ausufernder Schwarzmarkt führten dazu, dass Begüterte und höhere Offiziere nur wenig Einschränkungen erfuhren, während viele Arbeiter und die meisten einfachen Soldaten an Mangel litten.
Zum 50. Jahrestag der Novemberrevolutuion in Deutschland Revolutionäre Kieler Matrosen: Machtvolle Demonstration revolutionärer Matrosen in Kiel im November 1918. Ihre revolutionären Erfolge wurden zum Sturmzeichen für
Millionenfache Menschenverluste, Hungerwinter, Missernten und Niederlagen ließen die zu Kriegsbeginn kaum öffentlich wahrnehmbare Opposition gegen den Krieg allmählich wachsen. Zwar hielt sich die SPD für die ganze Kriegsdauer an den so genannten Burgfrieden und schloss jene Abgeordneten, die gegen die Kriegskredite votierten, aus ihrer Reichstagsfraktion aus. Die Kriegsgegner bildeten aber im April 1917 die USPD, die einen sofortigen Verständigungsfrieden forderte. Trotz Unterdrückungsmaßnahmen, wie etwa die Versetzung an die Front, kam es zunehmend zu Streiks gegen die mangelhafte Versorgung. Dabei wurde immer häufiger auch die Forderung nach einem raschen Kriegsende erhoben. Das im Dezember 1916 verabschiedete Hilfsdienstgesetz schränkte die Freizügigkeit der Arbeiter ein, führte andererseits aber wieder zu einem Erstarken der gewerkschaftlichen Arbeit in den Betrieben, weil Funktionäre von der Front „reklamiert“ werden konnten.
Das deutsche Schlachtschiff SMS Prinzregent Luitpold. Aufgrund des Zustands des Schiffes könnte das Foto während der Internierung in Scapa Flow, Schottland (UK), im Jahr 1919 aufgenommen worden sein.
Situation in der Marine
Anfangs wurde von einer kurzen Kriegsdauer ausgegangen. Schnell zeigte sich jedoch die Ausgeglichenheit der Kräfte, die zu der langen Dauer führte. Im Laufe der Zeit machten sich dann die größeren Ressourcen der Entente, besonders auch durch den Kriegseintritt der USA bemerkbar. Die seit August 1914 bestehende britische Fernblockade bewirkte Versorgungsengpässe, Materialknappheit und Unterernährung in Deutschland. Die Kaiserliche Marine war trotz warnender Stimmen von einer entscheidenden Seeschlacht gleich zu Beginn des Krieges ausgegangen. Die Basen des Gegners lagen jedoch außerhalb der Reichweite ihrer Schlachtflotte und ein Angriff war mit einem zu hohen Risiko verbunden, so dass es nur zufällig und meist unbeabsichtigt zu einzelnen Zusammenstößen der Flotten kam. In der großen Skagerrakschlacht Mitte 1916 erlitten beide Seiten schwere Verluste, wobei die deutsche der britischen Marine die schwereren Verluste zufügte. Aber die Seekriegsführung musste erkennen, dass selbst ein deutscher Sieg die strategische Lage nicht würde ändern können. Der Kaiser untersagte ihr jetzt ein zu riskantes Vorgehen. Die Seeoffiziere hegten zwar die Hoffnung auf eine Entscheidungsschlacht gegen die Royal Navy am Ende des Krieges, doch die Flotte, deren Bau wesentlich zur Verschlechterung der deutsch-britischen Beziehungen beigetragen hatte, lag jetzt meist tatenlos vor Anker. Seit 1915 war Deutschland zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg übergegangen, einer
eher zufällig entwickelten und strategisch wenig durchdachten Alternative. Bis zur Entwicklung des Konvoi-Systems brachte sie zwar die Versorgung Großbritanniens in ernsthafte Schwierigkeiten, andererseits forderte sie zunehmend zivile, auch amerikanische Opfer und machte damit einen Kriegseintritt der USA auf Seiten der Entente-Mächte immer wahrscheinlicher. Dieser erfolgte dann tatsächlich nach dem Zimmermann-Telegramm im April 1917.
Zimmermann-Depesche
Die Zimmermann-Depesche (auch: Zimmermann-Telegramm) war ein verschlüsseltes Telegramm, das Arthur Zimmermann, der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen Amts, am 19. Januar 1917 (andere Quellen sprechen vom 13. oder dem 16. Januar) über die deutsche Botschaft in Washington, D.C. an den deutschen Gesandten in Mexiko schickte.
Ziel war ein Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und Mexiko für den Fall, dass die Vereinigten Staaten im Ersten Weltkrieg ihre Neutralität aufgeben sollten. Der Regierung von Mexiko wurde in diesem Falle Unterstützung in Aussicht gestellt für die Rückgewinnung von Teilen des 1848 an die Vereinigten Staaten verlorengegangenen Territoriums; im Vertrag von Guadalupe Hidalgo hatte Mexiko über 40 Prozent seines Territoriums (Kalifornien, Nevada, Arizona, New Mexico, Utah sowie Teile von Colorado und Wyoming) abtreten müssen. Auch von einem Bündnis mit Japan war die Rede, das Teile der amerikanischen Westküste erhalten könnte.
Das Telegramm wurde vom britischen Marinegeheimdienst abgefangen und entziffert. Dessen Chef, Captain R.N. William Reginald Hall, veranlasste die Regierung der Vereinigten Staaten unter Präsident Woodrow Wilson, ihre Neutralitätspolitik zu überdenken, und trug entscheidend dazu bei, die US-amerikanische Öffentlichkeit für den Kriegseintritt einzustimmen. Dabei hatte auch die Erinnerung an die Unternehmung Napoleons III. 1861–1867 in Mexiko eine Rolle gespielt, der den Erzherzog Maximilian, einen Bruder Kaiser Franz Josephs von Österreich, 1864 zum Kaiser von Mexiko gemacht hatte (1864–1867), um auf dem amerikanischen Kontinent dem monarchischen Prinzip gegenüber der republikanischen Idee zum Durchbruch zu verhelfen.
In Frankreich kam es im April 1917 zu offenen Meutereien in 45 Divisionen, weil die Soldaten mit der Kriegführung des Generalstabs, die zu ungeheuren nutzlosen Verlusten führte, nicht einverstanden waren. Mit der Ernennung Generals Pétain zum Oberkommandierenden änderte sich dies. Im deutschen Heer kamen Befehlsverweigerungen erst nach der Frühjahrsoffensive 1918 in größerem und stark ansteigendem Umfang vor, als der versprochene „letzte Hieb“, der den endgültigen Sieg bringen sollte, gescheitert war. Der Zusammenhalt zwischen Soldaten und Frontoffizieren für das gemeinsame Überleben in den Schützengräben begann sich aufzulösen. In vielen Marinegliederungen gab es dagegen nur selten direkte Kriegseinsätze. Es waren oft qualifizierte Industriearbeiter, die sich, vielfach aus Abenteuerlust, freiwillig zum angesehenen Marinedienst gemeldet hatten. Auch bei vielen von ihnen herrschte anfangs eine große Kriegsbegeisterung. Die Marineoffiziere waren meist Bürgerliche, denen die vom Kaiser geförderte Waffengattung bessere Aufstiegschancen bot als das weiterhin vom Adel dominierte Heer. Außerdem war der Adel nicht in der Lage, der Marine die benötigten Offiziere zu stellen. Die Seeoffiziere sahen in der Marine das Symbol der nationalen Einheit. Sie fühlten sich als „Speerspitze“, die berufen sei, Deutschland „Weltgeltung“ zu verschaffen. Der bürgerliche Seeoffiziernachwuchs war bestrebt, Umgangsformen, Haltung, und auch die Arroganz des preußischen Offizierkorps anzunehmen. Sie traten „plutokratisch provozierend“ auf und kompensierten ihren Frust über die Untätigkeit der großen Kriegsschiffe mit Schikanen und Demütigungen der ihnen ausgelieferten Untergebenen.
Kiel, Novemberrevolution, Matrosenaufstand Zentralbild Die Revolution in Deutschland 1918 Am 4. November 1918 kam es zu Befehlsverweigerungen innerhalb der deutschen Flotte. Kundgebungen zur Beseitigung des Krieges schlossen sich an. In dieser, für die Regierung kritischen Situation, waren der Rechtssozialist Noske nach Kiel geschickt um die Revolution im Keime zu ersticken. UBz.: Blick auf eine Friedenskundgebung der Matrosen in Kiel.
Von Bundesarchiv, Bild 183-R72520 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5368529
Unruhen in der Flotte im Sommer 1917
Auch die sich verschlechternden Lebensbedingungen an Bord führten angesichts der bedeutend besseren Verpflegung der Seeoffiziere zu großem Unmut der Besatzungen. Zudem führte der ausbleibende Einsatz der Hochseeflotte, nachdem die Flottenpropaganda jahrelang hohe Erwartungen geschürt hatte, zu Desillusionierung und Frustration. Bereits Ende 1916 kam es deshalb zu kleineren Protesten. Im Sommer 1917 kam es zu größeren Unruhen in der Flotte. Zwischen Juni und August wurde auf acht größeren Schiffen gegen die schlechte Verpflegung sowie gegen die menschenverachtende Behandlung der Mannschaften protestiert. U.a. verließen etwa 400 Matrosen und Heizer unerlaubt die SMS Prinzregent Luitpold, hielten eine Versammlung ab, und kehrten anschließend freiwillig an Bord zurück.
Der Matrose Max Reichpietsch hatte sich Anfang Juni auf seinem Heimaturlaub in Berlin an die USPD und an die SPD gewandt, um die Beschwerden dort vorzubringen und um sich nach den die Verpflegung auf den Schiffen beaufsichtigenden Menagekommissionen zu erkundigen. Danach gelang es den Besatzungen, diese ihnen bisher illegalerweise verwehrte Möglichkeit der Beschwerde auf den Schiffen durchzusetzen. Für den besseren Kontakt zu den Kameraden wurden dazu ergänzend Vertrauensleutestrukturen aufgebaut. Vor dem Hintergrund der damaligen öffentlichen Diskussionen gewannen die Auseinandersetzungen an Schärfe: Viele Besatzungsmitglieder sympathisierten mit den aufkommenden Bestrebungen, einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen abzuschließen. Andererseits stellten für die meist alldeutsch gesinnten Offiziere derartige Ansichten Vaterlandsverrat dar. Die Propaganda des Alldeutschen Verbands und der im Juli 1917 von ihm mitgegründeten Vaterlandspartei für radikal expansionistische Kriegsziele wurde über dienstliche Kanäle in den Einheiten vertrieben und propagiert.
Versammlung auf dem Wilhelmplatz. Im Hintergrund Wilhelmplatz, Ecke Weißenburgstraße.
Von Meyer, Ernst (1885-1960) - Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138299450
Teilweise wurde in Zusammenkünften der Besatzungen auch darüber diskutiert, einen Streik in der Flotte zur Durchsetzung des Friedens zu organisieren. Für den Rechtsexperten Wolfgang Semmroth ist jedoch der daran geknüpfte Vorwurf der Meuterei „mehr als zweifelhaft“. Die Marineführung stellte nun die Aktionen als Bestrebungen einer Geheimorganisation dar, die Schlagkraft der Flotte zu unterminieren. Fünf Matrosen und Heizer wurden noch im August 1917 wegen „kriegsverräterischer Aufstandserregung“ zum Tode verurteilt. Das Militärgericht setzte jedoch den Versuch eines Aufstands juristisch unhaltbar mit dem vollendeten Aufstand gleich. Die Urteile an Max Reichpietsch und Albin Köbis wurden kurz darauf vollstreckt, die anderen Todesurteile in Zuchthausstrafen umgewandelt. Außerdem wurde eine ganze Reihe zum Teil schwerer Strafen verhängt.
Demonstration des Verbands aktiver Unteroffiziere der Reichsmarine vor dem Gouvernement in der Adolfstraße 22 (Ecke Lornsenstraße) gegen den Beschluss des Reichskongresses der Arbeiter- und Soldatenräte betreffend das Ablegen von Orden, Ehren- und Rangabzeichen. Nach der Kieler Zeitung 20.000 Teilnehmer, nach der Volkszeitung 8.000-9.000 Teilnehmer, darunter auch zahlreiche Matrosen und Heizer. Zu den Demonstranten kann Gustav Noske sprechen, der zusagt, die Forderungen an die Regierung weiterzuleiten und den Beschluss des Reichskongresses in Kiel vorerst nicht umzusetzen. Während Noske von den Demonstranten bejubelt wird, scheitert Karl Artelt mit dem Versuch, als Vertreter des Obersten Soldatenrats zu den Demonstranten zu sprechen, weil die Demonstranten ihn auspfeifen.
Von Meyer, Ernst (1885-1960) - Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138300377
In einer Reichstagsdebatte im Oktober 1917 kamen die Urteile zur Sprache. Ledebour und Dittmann von der USPD wurde indirekt Landesverrat vorgeworfen. Die Regierung stellte sich jedoch selbst bloß, da sie sich offensichtlich auf gefälschte Aussagen stützte. Auch ein von der Marineführung gegen USPD-Abgeordnete angestrengtes Untersuchungsverfahren des Reichsgerichts ergab nichts Belastendes.
Bei den Besatzungen aber wirkte die Verbitterung über die erfahrene Ungerechtigkeit fort. Dies spielte eine wichtige Rolle bei den Ereignissen Ende 1918 in Wilhelmshaven und Kiel.
Arbeiterschaft in Kiel
Lothar Popp wurde während des Januarstreiks 1918 in Kiel zum Vorsitzenden des ersten Arbeiterrats in Deutschland gewählt.
Im Jahr 1865 verlegte Preußen seine „Marinestation der Ostsee“ von Danzig nach Kiel; 1871 wurde die Stadt zum Reichskriegshafen erklärt. Kiel wuchs schneller als jede andere Stadt des Reichs. Bedingt durch das Wachstum der Werften und der Rüstungsbetriebe strömten viele Arbeiter in die Stadt, die jedoch für die organisierte Arbeiterbewegung schwerer zugänglich waren und sich der Burgfriedenspolitik weniger verpflichtet fühlten. Schon im Januarstreik 1918 nahmen die Kieler Arbeiter eine reichsweite Vorreiterrolle ein. Nach einer großen Streikwelle in Österreich-Ungarn folgte ebenfalls eine große Streikwelle in Deutschland. Die Arbeiterschaft protestierte gegen die maßlosen Forderungen der OHL an Russland, das nach dem Sturz des Zaren im März 1917 und der folgenden Oktoberrevolution Frieden angeboten hatte. Doch die Forderungen der Militärs u. a. nach weitreichenden Gebietsabtretungen gefährdeten einen Friedensschluss. Trotz der Proteste setzte die OHL ihre Vorstellungen in dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk durch. Damit war nun für breite Teile der Bevölkerung die offizielle Version vom deutschen „Verteidigungskrieg“ nicht mehr glaubwürdig.
Kriegsniederlage und Waffenstillstandsgesuch
Bereits nachdem der Sieg im Osten absehbar wurde, verlegte die OHL die freigewordenen Truppen an die Westfront. Doch die folgende deutsche Frühjahrsoffensive 1918 scheiterte, verbrauchte sämtliche Reserven, und hinterließ ein demoralisiertes Heer. Die Ententemächte und die USA begannen umfassende Gegenoffensiven, die Deutschland zum fortgesetzten Rückzug zwangen. Erich Ludendorff, Generalquartiermeister und „starker Mann“ der OHL musste am 29. September 1918 gegenüber Kaiser und Reichstag eingestehen, dass der Krieg verloren sei und dass innerhalb von 48 Stunden um Waffenstillstand nachgesucht werden müsse. Er forderte, dieses Gesuch sei durch eine auf parlamentarischer Mehrheit basierende Regierung zu stellen. Er hoffte damit günstigere Friedensbedingungen zu erhalten und wollte den demokratisch gesinnten Politikern die Verantwortung für die Kriegsniederlage zuschieben. Kaiser Wilhelm II. stimmte zu, und am 3. Oktober bildete der neu ernannte Reichskanzler Prinz Max von Baden eine Regierung unter Einschluss von Zentrums-, SPD- und liberalen Politikern. Das Kaiserreich wandelte sich mit den Oktoberreformen in eine parlamentarische Monarchie. Die neue Regierung richtete nach einigem Zögern ein Gesuch an Woodrow Wilson, den Präsidenten der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln.