Aus verschiedenen Welten - Fritz Peter Heßberger - E-Book

Aus verschiedenen Welten E-Book

Fritz Peter Heßberger

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Beschreibung

Ist das Phantastische Traum oder Realität ? Zahlreiche Menschen müssen sich damit auseinandersetzen. Eine ungewöhnliche aber nicht unrealistische Liebschaft auf einer Südsee-Insel zwischen Marlene und Markus. Ein Flugzeugabsturz führt Nelly und Peter schließlich auf einen Planeten, auf dem die Frauen herrschen. Auf der Flucht von einer 'Söldnerinsel' retten Carina und Karl eine Gruppe Außerirdischer, sie schließen Freundschaft, reisen mit ihnen zu ihrem Heimatplaneten. Eine Verwechslung während eines Urlaubs in den Bergen verschlägt Karl und Ulrike für einige Wochen auf den Planeten Nirbiriala. Eine sonntägliche Wanderung im Spessart führt Hans zu einer Begegnung mit Hexen und endet schließlich mit einem Besuch in der Hölle.

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Personen und Handlung der Erzählungen sind frei erfunden. Irgendwelche Übereinstimmung der Namen der handelnden Personen mit lebenden oder verstorbenen Personen oder geschichtlichen Ereignissen wären rein zufällig.

Der Autor:

Fritz Peter Heßberger, Jahrgang 1952, geboren in Großwelzheim, heute Karlstein am Main, studierte Physik an der Technischen Hochschule Darmstadt; 1985 Promotion zum Dr. rer. nat.; von 1979 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2018 als wissenschaftlicher Angestellter in einer Großforschungsanlage tätig.

Inhalt

1. Die Biologin

2. Der Planet der Frauen

3. Scaranacan

Die Flucht

Die Insel

Der Entschluß

4. Urlaub in den Bergen

Das Mini-Apartment

Die geheimnisvollen Höhlen

Auf Nirbiriala

Rückkehr

5. Die Hexen

Die Biologin

Markus Ellenberg lebte nun bereits seit sechs Monaten auf der kleinen Insel in der Südsee, deren Fläche etwa einhundertfünfzig Quadratkilometer betrug. Sie beherbergte das von einer internationalen Gemeinschaft getragene 'Zentrum zur Erforschung des südlichen Pazifiks'. Markus trug in der Position eines Abteilungsleiters die Verantwortung für das Projekt 'Kartographierung des Südpazifiks hinsichtlich radioaktiver Belastung als Spätfolge von Kernwaffenversuchen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts'.

Er hatte sich ein Jahr zuvor auf die ausgeschriebene Stelle beworben, nicht zuletzt deswegen, da ihm das Leben in Deutschland zunehmend Überdruß bereitete. Ihn störte die immer mehr um sich greifende geistige Enge, der Druck, sich stets politisch korrekt in der sogenannten Gendersprache auszudrücken müssen, die er abfällig als 'Deppensprache' bezeichnete, die unermüdliche Propagierung einer offenen, vielfältigen und bunten Gesellschaft und die bis zur Kriminalisierung reichende Verteufelung jeglicher Kritik an der auf Multikulturalität und sexueller Diversität ausgerichteten Staatsideologie und dem sich immer weiter ausbreitenden Genderwahn. Er war eben ein Mensch, der eigenständig dachte, nicht bereit war, schwammige und dümmliche Thesen zu akzeptieren, welche keine wissenschaftlichen Grundlagen besaßen und die auch nicht durch Fakten untermauert werden konnten. Daher lehnte er auch die Lehre von der Geschlechtervielfalt ab. Der Hang, sich eigene Ansichten zuzulegen, sie gegen andere Meinungen zu verteidigen solange sie nicht widerlegt werden konnten und nicht blindlings den als geniale Ideen propagierten ungeistigen Ergüssen anderer zu folgen, wenn er sie als unsinnig einstufte, hatten ihn in dem Forschungsinstitut, in dem er arbeitete, ins Abseits geführt. Die Forschungsziele und die Wege, wie sie erreicht werden sollten, bestimmten die 'leitenden' Wissenschaftler, allesamt aus ihm unbekannten Gründen in der Forschungswelt hochangesehene Professoren. Diese legten auch die Qualität der Ergebnisse fest, bestimmten, was ein 'highlight' war und was nur ein eher unbedeutendes Resultat. Seltsamerweise gehörten zur ersten Gruppe stets deren eigene Arbeiten oder die ihrer Speichellecker. Laborphysiker mit eigenen Ideen paßten nicht in diese Welt. Darum sah er auch für sich keinerlei berufliche Aufstiegschancen. Und da er keinen Freundeskreis besaß, auch kaum Bekannte hatte, mit denen man sich sachlich über politisch heikle Themen unterhalten konnte und er auch keine sonstigen persönlichen Bindungen unterhielt, nahm er die Stelle ohne zu zögern an als sie ihm angeboten wurde. Er war sich natürlich darüber im Klaren, daß er nicht ins berufliche Paradies gelangen werde, doch stellte er bald fest, daß er hier wesentlich mehr Freiheiten besaß als in jenem Forschungsinstitut in Deutschland. Er war auch oft auf dem Meer unterwegs um das Einsammeln von Proben zu überwachen. Markus konnte also zufrieden sein.

Er lebte in einer Zweizimmerwohnung in einem Bungalow in der Junggesellenanlage, wie man die Ansammlung der kleinen Häuser scherzhaft nannte. Er besuchte kulturelle Veranstaltungen, wenn welche gelegentlich angeboten wurden, las sehr viel in seiner Freizeit, erkundete die Insel. Nähere Freundschaften schloß er nicht.

An einem warmen Sonntag morgen entschied er sich, ohne sichtlichen Grund, in der etwa zweihundert Meter entfernten Institutscafeteria zu frühstücken. Kurz nach ihm betrat eine recht große, einigermaßen schlanke, hübsche, dunkelhäutige Frau den Verkaufsraum. Sie mochte unwesentlich jünger sein als er. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Vor gut zwei Wochen hatte er sie zum ersten Mal wahrgenommen. Nach einer längeren Besprechung beim Direktor lief er damals in Richtung Labor, als eine kleine Gruppe, drei Männer und eine Frau, das Gebäude verließ. Sie hatten offenbar das Labor besichtigt. Die Frau gefiel ihm auf Anhieb. Er fragte seinen Stellvertreter, wer diese Personen waren und der antwortete, es seien Mitarbeiter aus dem Institut für Meeresbiologie. Der Besuch sei kurzfristig angekündigt worden und er habe sie geführt, da er, Markus, sich in einer Besprechung befand. Mehr wisse er nicht. Er habe auch nicht nachgefragt, da er annahm, Markus wisse bezüglich des Grundes für den Besuch Bescheid und er den Eindruck vermeiden wollte, er sei dumm und uninformiert. Markus wußte allerdings auch nicht, was dies zu bedeuten hatte. Der Direktor erklärte ihm lediglich zwei Tage später, eine Gruppe aus dem 'Institut für Meeresbiologie' sei an einer Zusammenarbeit mit ihm interessiert. Weitere Details nannte er allerdings nicht.

Angesichts der Erfahrungen aus Deutschland sagte sich Markus, was immer dahinter stecke, er werde es wohl bei Gelegenheit erfahren, brauche sich deswegen keine Gedanken zu machen. Entscheidungen wurden auch hier an höherer Stelle getroffen und es blieb nichts anderes übrig als sie zu akzeptieren. Bedeutsamer für ihn war diese Frau, welche ihm auf Anhieb gefallen hatte. Wer war sie? Bei längerem Nachdenken erschien ihm diese Frage aber weniger wichtig als die, ob sie noch 'zu haben sei'. Er begann Ausschau nach ihr zu halten, erblickte sie auch öfters in der Cafeteria. Sie war aber stets in Begleitung von Personen, welche offenbar Kollegen waren, und daher scheute er sich sie anzusprechen. Nun war sie alleine. Er ließ sich Zeit, beobachtete sie, richtete es so ein, daß er sich schließlich hinter ihr an der Kasse anstellte. Sie beachtete ihn aber nicht, zahlte, ging dann nach draußen.

„Die Gelegenheit ist günstig“, dachte Markus, „wenn ich mich nicht allzu tölpelhaft anstelle, kann ich sie heute kennenlernen.“

Er folgte ihr nach draußen. Sie saß alleine an einem Tisch für vier Personen. Er fragte, ob er sich zu ihr setzen dürfe. Sie lächelte süffisant.

„Ich habe im Prinzip nichts dagegen. Aber sagen Sie, warum wollen Sie sich unbedingt zu mir setzen? Es sind doch noch genügend Tische frei.“

Die unerwartete etwas freche, burschikose Art der Frau verwirrte ihn. Er fand aber schnell seine Fassung wieder, beschloß, ihr mit gleicher Münze zu antworten.

„Ja, schon. Aber Ihr Tisch steht im Schatten, die anderen jedoch in der Sonne. Und ich vertrage die pralle Sonne nicht. Und Sie brauchen auch keine Angst vor mir zu haben. Ich beabsichtige nicht Sie zu belästigen.“

Sie grinste.

„Das kan jeder sagen. Aber man muß es auch tun.“

„Haben Sie keine Angst. Ich belüge Sie gewiß nicht.“

„Das kann man glauben oder auch nicht. Ich habe den Eindruck, Sie beobachten mich bereits seit zwei Wochen.“

Ihre Stimme wirkte etwas frech. Markus sagte sich aber, er dürfe sich nicht einschüchtern lassen.

„Das ist durchaus wahr“, entgegnete er daher, „ich darf mich aber erst einmal vorstellen. Ich heiße Markus Ellenberg. Ich leite das Projekt 'Kartographierung des Südpazifiks hinsichtlich radioaktiver Belastung als Spätfolge von Kernwaffenversuchen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts'. Sie waren vor drei Wochen mit einigen Herren in unserem Institut zu Besuch. Ich habe Sie beim Verlassen des Gebäudes kurz gesehen. Mein Stellvertreter, der Sie auch durch unsere Labore führte, sagte mir hinterher, Sie gehörten dem Institut für Meeresbiologie an. Und mein Direktor erzählte mir zwei Tage später, Ihr Institut habe Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns, nannte aber keine Details. Das hat mich neugierig gemacht. Ist es daher ungewöhnlich, daß ich wissen möchte, wer Sie sind? Halten Sie das jetzt bitte nicht für Stalkerei. Denken Sie bitte nicht, ich laufe Ihnen nach, weil Sie hübsch und gut aussehend sind, obwohl das natürlich auch ein Grund wäre.“

Die Frau lachte.

„So ist das also, oder auch nicht. Aber für meine männlichen Kollegen zeigen Sie offenbar kein solches Interesse. Aber lassen wir das.“

Die Frau sprach akzentfreies Deutsch.

„Und ich sollte mich jetzt auch vorstellen. Mein Name ist Marlene Faller. Ich habe in Deutschland studiert, war auch ein paar Jahre mit einem deutschen Mann verheiratet und lebe nun seit vier Jahren auf der Insel, arbeite im Institut für Meeresbiologie. Wir diskutieren im Moment in der Tat ein Projekt über die Auswirkung radioaktiver Strahlung auf die Tierund Pflanzenwelt im Südpazifik. Es kursieren dahingehend ja etliche Horrorszenarien über die Entstehung von Monstern. Sie haben vermutlich davon gehört. Und auf die Verbreitung von Sensationen ausgerichtete Zeitungen und Zeitschriften berichten regelmäßig darüber. Dabei ist nichts Sicheres bekannt.“

Sie lächelte.

„Es ist eben so. Je trüber das Wasser, desto besser läßt sich darin fischen. Und da Ihr Institut sicherlich den besten Überblick über Stärke und Qualität der radioaktiven Kontamination im südpazifischen Raum hat, bietet sich eine Zusammenarbeit an. Von den Amerikanern und Franzosen sind ja keine Informationen zu erhalten. Endgültig entschieden ist die Sache allerdings noch nicht.“

Sie grinste.

„Falls aber eine positive Entscheidung fällt, wird mir die Leitung des Projektes übertragen. Aber sagen Sie jetzt bloß nicht, daß Sie das vermutet haben.“

„Was heißt, vermutet haben? Aber geschieht es nicht öfters einmal, daß man einen Menschen trifft, vielleicht auch nur flüchtig, und dennoch das unerklärliche Gefühl hat, daß dieser Mensch im weiteren Leben eine gewisse Rolle spielen wird.“

„Gehen Sie da nicht etwas zu weit mit Ihren dumpfen Ahnungen.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wissen Sie, das ist so eine Art Spur, der man folgen muß. Sie kann natürlich ins Nichts führen. Aber es wäre ein Fehler ihr nicht zu folgen.“

Sie schaute ihn etwas skeptisch an.

„Nun ja“, fuhr Markus jetzt fort, „es ist doch so: führt die Spur in ein Sackgasse, dann hatte man eben Pech. Folgt man ihr aber nicht, so erfährt man nie, ob sie in eine Sackgasse führt oder zu einem Ziel. Ist letzteres der Fall, dann hat man einen schweren Fehler begangen.“

Marlene lachte.

„Man hat schon vieles über mich gesagt, aber eine Spur hat mich noch keiner genannt. Übrigens, haben Sie schon Pläne für den heutigen Tag?“

Markus schaute sie groß an. Sie lächelte verschmitzt.

„Viele Unterhaltungsmöglichkeiten gibt es hier ja nicht. Wie wäre es mit einem Kurs im Spurenlesen?“

„Ach, da gehe ich lieber schwimmen.“

„Doch nicht etwa an den allgemeinen Badestrand?“

„Nein, nein, da ist es mir zu laut und es riecht auch zu sehr nach Sonnenöl und verschmortem Fett. Es gibt im Norden aber einige Strandabschnitte, die kaum aufgesucht werden. Dort ist es ruhig, das Wasser ist auch kühl und klar. Allerdings ist es etwas felsig und der Boden ist steinig. Man braucht Badesschuhe und sollte sich auch auf eine Luftmatratze legen. Haben Sie Lust mitzukommen?“

Marlene überlegte kurz.

„Wie kommt man dort hin? Ist es weit?“

„Nein, nicht sehr weit, etwa sechs Kilometer. Die Gegend ist flach und man kann mit dem Fahrrad hinfahren. Sie haben doch ein Fahrrad?“

Marlene nickte.

„In der Nähe befindet sich eine Wetterstation. Bis dahin ist der Weg auch gut ausgebaut. Dann schiebt man das Fahrrad besser. Aber es sind nur etwa fünfhundert Meter bis zum Strand.“

„Das hört sich gut an. Ich komme mit. Und wann wollen Sie aufbrechen?“ „Ich habe mich noch nicht festgelegt, kann mich ganz nach Ihnen richten.“ Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

„Es ist jetzt elf. Wäre ein Uhr in Ordnung?“

Recht gut gelaunt ging Markus zu seiner Wohnung zurück.

„Eine überaus nette Maus“, sagte er zu sich selbst, „hoffentlich ist sie auch im Beruf so. Dann ergibt sich eine gute Zusammenarbeit, vielleicht auch noch mehr, denn liiert scheint sie nicht zu sein.“

Sie trafen sich zur verabredeten Zeit, fuhren zum Strand, legten sich erst einmal in die Sonne. Marlene trug eine gelben Bikini.

„Hübsch sieht sie aus, direkt zum anbeißen“, dachte Markus.

Aber er hielt sich zurück, gewann allerdings den Eindruck, daß auch er Marlene gefiel, obwohl er nicht gerade ein blendend aussehender Mann war. Sie begaben sich dann ins Wasser, schwammen einige Zeit umher, legten sich anschließend wieder auf ihre Luftmatratzen. Markus begab sich allerdings in den Schatten eines Felsens.

„Du rückst von mir ab“, rief ihm Marlene lachend zu, „stört dich meine Nähe?“

Markus stutze. Sie hatte ihn einfach mit 'du' angeredet. Aber das paßte zu ihrer unkomplizierten Art, die sie bisher ihm gegenüber gezeigt hatte.

„Nein, nein, ganz im Gegenteil“, antwortete er, „mich stört die pralle Sonne. Ich will keinen Sonnenbrand bekommen. Du kannst dich gerne zu mir legen, wenn du magst. Und hier ist es genau so schön wie dort drüben.“ Sie ließ sich das nicht zweimal sagen, rückte heran. Markus zog eine kleine Kühltasche aus seinem Rucksack hervor, entnahm ihr eine Flasche Wasser, öffnete sie.

„Hast du Durst?“

Sie nickte. Er reichte ihr die Flasche. Sie trank, gab ihm dann die Flasche zurück. Er setzte sie an den Mund, trank ebenfalls, hatte dabei das Gefühl, daß Marlene ihn etwas erstaunt anschaute. Er grinste.

„Ich gehe nicht davon aus, daß du giftig bist.“

Sie lachte.

„Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen in die Südsee zu gehen?“ fragte sie nach kurzen Schweigen.

„Ach, mein Leben ist bisher ganz gewöhnlich, ganz mittelmäßig verlaufen. Ich wuchs in einem mittelgroßen Dorf auf, besuchte das Gymnasum in der Nachbarstadt, studierte nach Ableistung meines Wehrdienstes Physik. Nach der Promotion wechselte ich dann in ein Forschungsinstitut, hatte dort aber auch nur eine mittelmäßige Stelle. Zwischendurch war ich ein paar Jahre verheiratet, habe aber keine Kinder.“

„Die Frau war sicherlich auch nur mittelmäßig“, unterbrach ihn Marlene grinsend.

Markus lachte.

„Was soll ich sagen? Ich war eben nur eine mittelmäßige Existenz. Und eines Tages sagte ich mir: 'Das kann es doch nicht gewesen sein.' Und dann las ich die Stellenanzeige des Instituts hier. Ich bewarb mich, wurde auch genommen, was mich, ehrlich gesagt, überraschte. Da ich keine festen Bindungen hatte, auch keinen Freundeskreis, gab es keinen Grund zum Bleiben, zumal auch das geistige Klima in Deutschland immer dumpfer wird. Ich sagte dann ohne lange zu überlegen zu. Bisher habe ich den Schritt auch nicht bereut. Meine Arbeit gefällt mir, ich habe ein hübsches Appartement, lebe entspannt in angenehmer Umgebung. Was will ich denn mehr?“

„Aber du bist allein.“

„In Deutschland war ich auch allein. Aber das kann sich ändern. Ich bin ja erst ein halbes Jahr auf der Insel. Und wenn nicht, dann ist das auch keine Katastrophe.“

Marlene blickte ihn lächelnd an.

„Was heißt schon mittelmäßig. Nur wenige verändern die Welt und das überwiegend zum Schlechten. Doch die meisten sind nicht einmal mittelmäßig, sondern arm dran. Wichtig ist doch ein ausgefülltes Leben. Ich meine damit ein Leben, in dem man seine Vorlieben und Interessen mit dem Beruf und den Kontakten zu anderen Menschen in Einklang bringen kann. Dann hat man die Chance glücklich zu werden. Ich meine einen Beruf, der einen wirklich ausfüllt, eine Tätigkeit mit der man dem Tag einen Sinn abgewinnen und abends zufrieden nach Hause gehen kann, keinen Job, den man morgens mit dem Wunsch antritt es wäre bereits Feierabend. Und ich denke, ich habe das hier gefunden.“

„Und wie bist du hierher gekommen?“

„Auf Umwegen. Geboren wurde ich auf einer kleinen Insel namens Buka. Dort bin ich auch aufgewachsen.“

„Buka? Nie gehört. Wo liegt das?“

Marlene blickte ihn streng an.

„Das weißt du nicht? Buka gehört zur Inselgruppe der Salomonen, aber zum Staat Papua-Neuguinea. Sie war früher einmal deutsche Kolonie oder Schutzgebiet, wie es offiziell hieß. Mein Urgroßvater diente als Soldat in der Schutztruppe, wurde sogar Unteroffizier und kam auch einmal nach Deutschland. Ich war ein aufgewecktes Kind, konnte die höhere Schule besuchen, erhielt dann aufgrund meiner guten Leistungen ein Stipendium einer Stiftung für ein Studium in Deutschland. Ich lernte auf der Universität meinen Mann kennen. Er war ja ganz nett, aber eben so ein vielfältig - multikulturell eingestellter Kerl. Er studierte Politologie. Wir heirateten, aber irgendwann ging mir sein Gehabe auf die Nerven. Weißt du, ich bin eine Frau, ich suchte Liebe, wollte nie das Vorzeigeobjekt für seine weltoffene, tolerante, multikulturelle und antirassistische Gutmenscheneinstellung sein. Für ihn war ich nichts weiter als ein exotisches Geschöpf, mit dem er seine edle Gesinnung ausleben konnte. Es dauerte allerdings eine Weile bis ich das verstand. Um ehrlich zu sein, ich fühlte mich mißbraucht. Daher habe ich ihn verlassen. Nach der Scheidung hatte ich keine große Lust auf Dauer in Deutschland zu bleiben, blieb aber noch bis zum Abschluß meiner Promotion fünf Jahre an der Universität. Dann traf es sich günstig, daß ich hier eine Stelle bekommen konnte.“

„Du hast wohl ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich, nur eben von einer anderen Seite aus.“

„Ja, ja, was sie da an den Tag legten, das war die reine Unterwürfigkeit. Da war kein Gespräch möglich, ohne ein Schuldbekenntnis zu den Kolonialverbrechen abzulegen und zu versichern, man würde alles tun um diese historische Schuld zu sühnen. Das mag zwar niederträchtigen Existenzen, die dadurch zu Einfluß, Ansehen und Geld gelangen, angenehm sein, da sie ihren Interessen entgegenkommen, für einen Menschen mit Selbstachtung und Ehrgefühl ist diese Arschkriecherei aber abstoßend. Fuchsschwänzer – Typen widern mich an.“

Sie lachte.

„Am schönsten war es immer, wenn ich in seinem Freundeskreis Unserdeutsch sprach und ihnen erzählte, daß ich das in meiner Heimat gelernt hatte. Sie verstanden das natürlich nicht so richtig, dachten dann, man hätte uns das in der Schule beigebracht, weil sie uns für zu dumm hielten ordentliches Deutsch zu lernen.“

Markus blickte sie fragend an.

„Unserdeutsch? Was ist das?“

„Unserdeutsch entstand, soweit ich das weiß, um 1900 im Umfeld einer deutschen Missionsschule auf Neu-Guinea. Die Schüler dort mußten alle Hochdeutsch sprechen, durften ihre eigene Sprache, das Tok Pisin, nicht benutzen. Aus Protest darüber entwickelten sie ein, ich möchte es so bezeichnen, ein verstümmeltes Deutsch, nicht unähnlich dem heute auf dem Kiez gesprochenen Türkendeutsch. Es verbreitete sich dann ein bißchen, wird heutzutage nur noch von wenigen Menschen gesprochen. Ich bin während meiner Schulzeit damit in Berührung gekommen, habe mich damit beschäftigt. Du mußt verstehen, diese Sprache ist entstanden, nicht weil die Schüler zu dumm waren ordentliches Deutsch zu lernen, sondern weil sie gezwungen wurden, nur dieses zu verwenden und ihre eigene Sprache nicht zu verwenden.“

„Das ist mir völlig klar, das war wohl so eine Art Partisanensprache.“

„Partisanensprache?“

Markus grinste,

„Ich habe in Deutschland in einem Teilchenbeschleunigerinstitut gearbeitet. Da mußte die Nutzung des Beschleunigers für Experimente durch ein Gremium genehmigt werden. Ich habe es allerdings verstanden, mir für Experimente sogenannte 'Beschleunigerstrahlzeit' zukommen zu lassen ohne solche Genehmigungen, meist auch unter Vertuschung meiner wirklichen experimentellen Absichten. Ich nannte das dann immer 'Partisanenexperimente'. Du verstehst, was ich meine?“

„Natürlich, das ist doch sehr leicht zu verstehen. In diesen Gremien hocken doch auch nur Bürokraten. Sie kennen nur das, was offiziell als vernünftig gilt, nicht das, was wirklich vernünftig ist. Solche Leute gibt es hier zwar auch, aber die haben sich bisher nicht störend bemerkbar gemacht. Ich liebe meine Arbeit und kümmere mich nicht um die Wichtigtuerei dieser Typen. Weißt du, man muß mit sich selbst im Reinen sein, nicht nach Dingen greifen, die im Grunde genommen gar nicht wichtig sind. Manche berauschen sich eben an Ruhm, Macht und Geld. Mir ist das alles fremd. Und ich fühle mich hier wohl. Die Insel bietet zwar nicht viele Abwechslungen, aber sie ist eigentlich ein Paradies. Ich habe mich eingerichtet und mir gefällt es hier, auch wenn es ein bißchen einsam ist. Nein, einen Freund habe ich nicht, hatte ich hier nie. Ich lernte im Laufe der Zeit zwar einige nett wirkende Herren kennen, aber sie waren nicht das, was ich mir unter einem Lebenspartner vorstellte. Nach der gescheiterten Ehe hatte ich eine bestimmte Vorstellung von einem Lebenspartner, aber keiner von ihnen hat diese erfüllt. Und ich hatte auch mit keinem von ihnen eine intime Beziehung. So weit kam es gar nicht.“

Sie pausierte kurz.

„Du schaust mich seltsam an, weil ich das alles so offen sage. Doch einige Kerle waren natürlich neidisch, verärgert, weil sie bei mir nicht landen konnten, haben daher einige Gerüchte über mich verbreitet. Aber daran ist nichts wahr. Ich bin keine Schlampe, kein Flittchen, das mit jedem gleich ins Bett geht.“

„Das ist im Moment auch unwichtig. Ich beurteile dich danach, wie du dich mir gegenüber verhältst, nicht danach, was andere über dich reden. Und ich habe den Eindruck, daß wir uns verstehen.“

„Und was meinst du damit?“

„Nun, wenn es wirklich zu einer Kollaboration zwischen unseren Gruppen kommt, dann wird unsere Zusammenarbeit wohl problemlos verlaufen, weil du anscheinend ein Mensch bist, der die Dinge offen und klar anspricht. Und ich denke, wir werden nicht aneinander vorbei reden, was meist zu Mißverständnissen und auch oft zu Streit führt.“

„Und an mehr denkst du nicht?“

Markus lächelte.

„Nun ja, vielleicht werden wir uns persönlich näher kennenlernen und vielleicht auch näherkommen. Was dann langfristig daraus wird, das kann ich im Moment noch nicht sagen. Das hat auch alles Zeit, da muß man nichts überstürzen.“

„Aber mit mir schlafen möchtest du schon. Das hast du doch sicher im Hinterkopf? Sei jetzt nicht eingeschnappt. Du wärst der erste Mann, der nicht so denkt. Mit meinem Ex-Mann war das doch auch so. Der hat mich doch nur genommen, weil er scharf auf mich war. Sein gesamtes multikulturelles und antirassistische Gehabe war nur äußerlich, zum einen wollte er damit von seinen wirklichen Absichten mir gegenüber nur ablenken, zum anderen war er der Meinung, daß ein anständiger Mensch solche Ansichten vertreten muß. Als Mensch habe ich ihm vermutlich nicht allzu viel bedeutet. Er hat sich nie für das Volk, dem ich entstammte und unsere Kultur interessiert. Aber wenn ich ihm gesagt hätte, in unserem Volk sei alles besser als in Deutschland, dann hätte er das so an seine Freunde und Bekannten weitergegeben. Aber wir sollten den Nachmittag nicht damit verschwenden um über solche Dinge zu reden. Ich wollte nur einiges gleich klarstellen. Es gibt nämlich einige Männer, die schlecht über mich reden, weil sie bei mir nicht landen konnten.“

„Na, ich denke, dieses Problem ist, falls es überhaupt für uns eines ist, nun geklärt, zumindest für den Umgang miteinander. Und du hast recht, wir sollten den Nachmittag nicht mit nutzlosem Gerede und politischen Diskussion verschwenden. Gehen wir lieber wieder ins Wasser.“

„Du sagtest, daß du in deiner Freizeit sehr viel liest. Was liest du da eigentlich? Weißt du, ich lese auch gerne, meist ältere Literatur in englischer oder deutscher Übersetzung, auch Werke über Philosophie und Religion“, begann Marlene als sie wieder auf ihren Luftmatratzen lagen.

„Bei mir sieht es ähnlich aus, hauptsächlich klassische Literatur, aber auch geschichtliche Werke, auch für die Mythen der Völker interessiere ich mich. Aber ich lese nicht nur, ich schreibe auch.“

„Und über was schreibst du so?“

„Eben Geschichten über Dinge, die mich bewegen, auch über unsere gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, oft in satirischer Form, meist aber verfremdet.“

Marlene lachte.

„Verfremdet! Das ist ein herrlicher Ausdruck. Du schreibst wohl über reale Dinge, baust sie aber in eine Handlung ein, welche in einem anderen Land und einer anderen Zeit spielt.“

„Das hast du richtig erraten. Oder auch auf einem anderen Planeten.“

Marlene grinste nun über das ganze Gesicht.

„Kleine grüne Weibchen, die über große braune Männchen herziehen.“

„Das wäre aber jetzt sehr politisch, würde selbst der Dümmste verstehen.“

„Und was machst du mit den Geschichten? Veröffentlichst du sie?“

„Ja, ich habe einen Verlag gefunden, bei dem man sie für wenig Geld publizieren kann.“

Markus lachte nun.

„Aber die Verkaufszahlen sind niedrig. Wenn ich davon leben müßte, wäre ich schon längst verhungert. Aber ich kann dir eines der Bücher einmal zum Lesen geben, falls es dich interessiert.“

„Auf jeden Fall. Das interessiert mich schon. Und ich habe auch genügend Zeit zum Lesen und denke auch, ich werde dich dadurch auch ein bißchen besser kennenlernen.“

Als die Sonne zu sinken begann, fuhren sie zum Campus zurück.

„Vielen Dank für den schönen Nachmittag“, sagte Marlene als sie angekommen waren.

„Auch ich habe zu danken, auch du hast mir einen schönen Nachmittag bereitet“, erwiderte Markus.

„Einem schönen Nachmittag sollte ein schöner Abend folgen. Wollen mir zusammen Essen gehen.“

„Gerne.“

Sie erhob den Zeigefinger.

„Aber ich möchte eines klarstellen, damit es hinterher keinen Streit gibt.

Ich lade dich ein.“

Es ging bereits auf Mitternacht zu als sie sich an der Haustür von Marlenes Bungalow mit dem Versprechen sich wiederzusehen verabschiedeten.

„Schreib mir einfach eine email“, sagte sie bevor sie im Haus verschwand.

Als sie nun so etwa zweihundert Meter voneinander entfernt in ihren Betten lagen, umkreisten beide ähnliche Gedanken. Die heutige Begegnung erschien ihnen eine Änderung der Richtung ihres Lebenweges, den sie bisher gegangen waren, einzuleiten. Noch konnten sie sich keine rechte Vorstellung davon machen, wie sich ihre Bekanntschaft in der nächsten Zeit entwickeln würde, hin zu einem gemeinsamen Lebensweg oder würden sich ihre Wege bald wieder trennen. Zweifelsohne hatten sie sich ineinander verliebt, aber es war ihnen unklar, sie waren auch alt und intelligent genug sich keine falschen Vorstellungen zu machen, ob aus dieser Verliebtheit eine Lebensgemeinschaft erwachsen oder sie bald wieder erkalten würde und nichts blieb als eine vorübergehende Romanze.

Am nächsten Morgen wunderte sich Markus über eine seltsame email.

„Vielen Dank für den schönen Tag. Besonders freute ich mich darüber, daß du nicht fragtest ob du noch mit in die Wohnung kommen dürftest als wir uns verabschiedeten. Alles Liebe, Marlene.“

Das war nun etwas verklausuliert ausgedrückt, doch Markus verstand was gemeint war.

Die Bekanntschaft mit Marlene bewegte Markus aber auch noch in anderer Hinsicht. Er suchte daher am Dienstag den Institutsdirektor auf.

„Nun, was gibt es denn, Herr Ellenberg?“ begrüßte er ihn, „es ist doch bisher noch nicht vorgekommen, daß Sie um einen außerordentlichen Gesprächstermin gebeten haben.“

„Nein, es gibt nichts sonderlich Wichtiges, auch keine Probleme in meiner Abteilung, es ist lediglich die Neugier, die mich veranlaßt hat um ein Gespräch zu bitten. Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel.“

Der Direktor lachte.

„Neugier ist doch bekanntlich die Mutter der Wissenschaft. Was gibt es denn?“

„Es geht um den Besuch der Kollegen aus dem Institut für Meeresbiologie vor knapp vier Wochen. Sie sagten mir zwei Tage später, es bestehe Interesse an eine Zusammenarbeit mit uns. Ich habe bisher allerdings nichts mehr in der Richtung vernommen. Ist die Sache noch aktuell oder hat sich das mittlerweile zerschlagen?“

Das war natürlich leicht geheuchelt. Die Unterhaltung mit Marlene am Sonntag vormittag erwähnte er bewußt nicht.

„Ach, das meinen Sie. Zerschlagen hat sich das nicht. Im Gegenteil, sie ist sogar hochaktuell. Von mir aus könnte sie auch morgen schon beginnen. Aber Sie wissen ja, wie das so ist. Wir gehören dem Bereich 'Physik' und die anderen dem Bereich 'Biologie' an. Da kann man nicht einfach bei einem Kaffee eine Kollaboration vereinbaren. Da müssen die Aufgaben gegeneinander abgegrenzt werden. Da ist eine detaillierte Regelung notwendig. Außerdem geht es auch um finanzielle Fragen, zum Beispiel der Kostenbeteiligung an den Forschungsfahrten zur Einholung der Proben. Da muß ein Kooperationsvertrag ausgearbeitet werden. Und den muß zunächst der Forschungsrat genehmigen. Und dann muß er nicht nur von den zuständigen Bereichsdirektoren der 'Physik' und 'Biologie', sondern auch noch vom Administrativen Geschäftsführer und dem Wissenschaftlichen Geschäftsführer abgesegnet und unterschrieben werden.“

Markus grinste.

„Das hört sich alles ziemlich kompliziert an. Kann man die Aufgabenabgrenzung denn nicht einfach den beteiligten Wissenschaftlern überlassen. Die wissen doch am besten, wer für welche Arbeiten am besten geeignet ist. Und wozu braucht man bezüglich der Kosten für die Forschungsfahrten eine spezielle Regelung. Das Schiff wird doch ohnehin vom Zentrum bezahlt.“

„Das sagen Sie. Die Leute aus der Verwaltung sehen das anders. Die Kosten für das Schiff werden je nach Nutzung auf die einzelnen Bereiche umgelegt. Und was die Aufgabenabgrenzung betrifft, da hätten Sie vermutlich auch recht, wenn man es mit vernünftigen Leuten zu tun hätte.“

„Sind die Biologen etwa keine vernünftigen Leute?“

„Nein, das habe ich jetzt nicht so gemeint. Ich kenne ja keinen von ihnen näher. Ich oder wir müssen aber von den ganz allgemeinen Erfahrungen ausgehen. Sie wissen doch selbst, wie Wissenschaftler sind. Wenn sie erst einmal promoviert und zwei Jahre Postdoc-Zeit hinter sich haben, dann wollen sich viele nicht mehr die Hände schmutzig machen, nur noch die Arbeit verteilen und sie selbst wollen nur noch in irgendwelchen Kollaborationstreffen diskutieren, große Sprüche klopfen.“

Markus lachte.

„Ich kenne das. Ich hatte in Deutschland auch einmal so einen Kollegen, der sagte, seine Stärke liege im Delegieren.“

„Das ist aber auch nicht so einfach. Wer ordentlich delegieren will, der muß daß gesamte Projekt überblicken. Aber das tun die meisten nicht.“

„Ja, der war so ein Typ.“

„Ja, aber in Wirklichkeit tun sie nichts wirklich Nützliches, wollen aber am Ende die Lorbeeren ernten. Das führt letztlich nur zu Streitereien. Das darf nicht passieren. Deswegen muß man alles im Detail regeln – und zwar schriftlich. Denn auf mündliche Absprachen kann man sich heutzutage auch nicht mehr verlassen.“

„Das heißt, es wird ein Kooperationsvertrag ausgearbeitet. Werde ich da überhaupt mit einbezogen?“

„Vermutlich nicht, das ist nicht vorgesehen. Sie können da ohnehin nicht viel beitragen.“

Markus verzog leicht das Gesicht.

„Sie sind für die praktische Arbeit im Labor zuständig. Das wird im Vertrag nur ganz allgemein geregelt. Das heißt, Sie müssen die Durchführung irgendwelcher Messungen unterstützen, welche für die Biologen wichtig sind und nur in Ihrem Labor durchgeführt werden können, falls das erforderlich ist. Und Sie müssen die von den Biologen gewünschten Unterlagen zur Verfügung stellen. Und bei den Forschungsfahrten zur Probeneinholung hat jede Gruppe ihre Aufgaben, da darf keiner dem anderen reinreden. Und was die Reihenfolge der Probeneinholung betrifft, das bestimmt ohnehin der Kapitän, der den Kurs festlegt. Aber wenn es Sie beruhigt, ich werde Ihnen den Entwurf des Kooperationsvertrages zum Lesen geben bevor er an den Forschungsrat geht. Es ist zwar kein vertrauliches Papier, aber hängen Sie es trotzdem nicht an die große Glocke.“

„Danke, das heißt also, wenn das Papier erstellt ist, dann geht es zunächst an den Forschungsrat und wenn er es genehmigt hat, an die Bereichsdirektoren 'Physik' und 'Biologie' zur Unterschrift und dann an den Administrativen und den Wissenschaftlichen Geschäftsführer. Sehe ich das richtig?“

„Ja, so wird es ablaufen.“

„Und wie lange wird das dauern?“

„Das ist schwer zu sagen, der Kooperationsvertrag liegt ja nicht einmal im Entwurf vor. Und es werden natürlich mehrere Durchläufe notwendig sein. Der Forschungsrat wird sicherlich irgendwelche Änderungsvorschläge haben, die beiden Bereichsleiter ebenso und möglicherweise auch die beiden Geschäftsführer. Also mehrere Monate wird sich das sicherlich noch hinziehen.“

„Das ist sehr lange hin. Und wenn prinzipiell beschlossen ist, daß wir mit den Biologen kooperieren, könnte man da nicht schon jetzt auf unterer Ebene mit der Zusammenarbeit beginnen. Ich spreche jetzt nicht von einer“, Markus konnte das Lachen nicht unterdrücken, „'Partisanenkollaboration', sondern eher von informellen Absprachen darüber, was wir gegenseitig voneinander erwarten, so daß wir bereits Vorbereitungen treffen können. Also, als eine Kollaboration würde ich das noch nicht bezeichnen, eher als Treffen zur gegenseitigen Information. Es schadet natürlich auch nicht, wenn wir unsere zukünftigen Kollaborationspartnerinnen und Kollaborationspartner jetzt bereits kennenlernen.“

Der Institutsdirektor dachte kurz nach.

„Also wenn das so auf unterer Ebene auf Sparflamme läuft, dann habe ich im Prinzip nichts dagegen. Das wäre ja dann nur Informationsaustausch und keine offizielle Kollaboration. Aber es muß eben im kleinen Kreis bleiben. Also, ich werde mit dem Kollegen von der Meeresbiologie darüber sprechen. Und wenn er keine Einwände hat, dann könnt ihr bald loslegen. Ich muß wohl nicht extra betonen, daß von unserer Seite aus Sie verantwortlich sind“, er grinste nun, „wer Ihr biologisches Gegenstück sein wird, das weiß ich natürlich nicht, aber ich gehe einmal davon aus, daß sie schon jemanden ausgesucht haben.“

Markus grinste.

„Wenn er wüßte, daß er mit dem 'biologischen Gegenstück' ins Fettnäpfchen getreten ist, dann würde er sicher rot anlaufen“, dachte er.

„Nun ja“, meinte dann der Institutsdirektor, „dann scheint ja vorerst alles geklärt zu sein oder haben Sie noch Fragen?“

Markus schüttelte den Kopf.

„Gut, dann werde ich Sie informieren.“

Markus verabschiedete sich.

„Eine Frage hätte ich noch gehabt“, dachte er als er zu seinem Büro zurück lief, „aber die wäre wohl unpassend gewesen. So wie ich die Sache verstanden habe, wird sich die Kollaboration im wesentlichen zwischen Marlene und mir abspielen. Wozu braucht man da eigentlich einen Kooperationsvertrag. Da wollen sich doch wieder einmal einige Großkopferte wichtig machen.“

Zwei Tage später, am Donnerstag nachmittag bestellte der Institutsdirektor Markus zu sich.

„Machen wir es kurz“, begann der, „ich habe mit dem Meeresbiologen gesprochen. Er ist einverstanden.“

Er begann dann zu lachen.

„Mit dem 'biologischen Gegenstück' bin ich ja ganz schön ins Fettnäpfchen getreten. Sie haben eine Frau als Kollaborationspartnerin. Sie spricht sogar perfekt Deutsch, heißt Marlene Faller.“

„Eine Deutsche?“

„Nein, sie hat die Staatsbürgerschaft von Papua-Neuguinea. Woher sie den deutschen Namen hat, das weiß ich nicht. Ich habe auch nicht danach gefragt. Das überlasse ich Ihnen.“ Markus grinste.

„Das war einmal deutsches Schutzgebiet vor dem Ersten Weltkrieg. Vielleicht stammt sie von einem deutschen Kolonialbeamten ab. So etwas soll ja vorgekommen sein.“

„Mag sein, wie dem auch sei. Sie können nun mit ihr Kontakt aufnehmen.

Überübereilen Sie nichts. Warten Sie bis Montag. Ich weiß ja nicht, wie schnell ihr Chef sie informiert. Und es wäre doch peinlich, wenn sie von noch nichts weiß.“

Trotz der positiven Signale hinsichtlich eines weiteren Treffens, so empfand es jedenfalls Markus, zögerte er zunächst Marlene um ein abendliches Treffen zu bitten. Er fürchtete, sie könne sich belästigt fühlen, wenn er sich gleich wieder mit solch einem Vorschlag meldete und verärgert reagieren. So nahm er sich vor, bis zum Wochenende zu warten. Doch es gelang ihm nicht. Mittwochs hielt er es nicht mehr aus, schrieb ihr eine kurze Nachricht, fragte, ob sie Lust habe sich mit ihm am Donnerstag zum Abendessen zu treffen. Diesmal wolle er sie einladen um sich zu revanchieren. Zu seiner Überraschung reagierte sie prompt.

„Hat sie nicht allzu viel zu arbeiten, weil sie mir gleich antworten konnte oder hat sie auf meine Nachricht gewartet?“ fragte er sich.

Sie trafen sich dann am Donnerstag abend auf der Terrasse des Institutsrestaurants.

„Weißt du“, begann sie das Gespräch, „es gibt hier nicht allzu viele Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Dienstzeit, einige sportliche Betätigungen, auch Schwimmen, ab und zu Theateraufführungen oder Konzerte. Wochenendreisen zu anderen Inseln lohnen wegen der langen Fahrzeiten nicht. Es gibt auch nur wenige Fährverbindungen und die anderen Inseln bieten auch keine nennenswerten Sehenswürdigkeiten und Vergnügungen. Eher gibt es das dort noch weniger. So bleiben im wesentlichen Lesen und Fernsehen. Aber das führt zu Vereinsamung, insbesondere bei Alleinstehenden und Menschen, welche die einzigen aus ihrem Land sind; diese finden kaum Anschluß. Um diese Tristesse zu überwinden haben wir eine Gruppe gegründet. Zum Großteil sind es Frauen aus dem 'Institut für Meeresbiologie', da die Idee hierzu in Gesprächen zwischen Kolleginnen geboren wurde. Das ist aber keine Beschränkung. Ich habe das am Sonntag nicht gleich angesprochen, weil ich mir hinsichtlich deiner Interessen noch unsicher war. Ich habe aber unterdessen nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen, daß dir das auch gefallen könnte. Es sind alle willkommen, die unsere Vorstellungen teilen.“

„Und welche sind das?“

„Wir wollen einander kennen und verstehen lernen. Wir wollen nicht urteilen, auch niemandem das Denken vorschreiben. Wir wollen auch keine bestimmte Denkrichtung vorgeben. Wir akzeptieren jeden wie er ist, wollen ihn nicht ändern, aber jeder einzelne muß auch alle anderen akzeptieren so wie sie sind, darf niemandem Vorschriften machen, versuchen ihm eine bestimmte Denkrichtung aufzuzwingen. Wer gegen diese Regel verstößt ist in unseren Reihen nicht willkommen.“

„Besteht da nicht die Gefahr, daß wenn jemand entsprechend forsch auftritt und eloquent ist, eine bestimmte Lehre propagiert, andere geneigt sind ihm zu folgen.“

„Ich verstehe was du meinst. Wir vertreten keine Religion, keine politische Ideologie. Es geht uns nur darum einander verstehen zu lernen. Dennoch kann unsere Gruppe natürlich unterwandert werden. Ich sehe da allerdings keine allzu große Gefahr, weil die Gruppe zu inhomogen ist. Aber wenn solche Leute Erfolg haben, dann führt das dazu, daß die Gruppe innerhalb kürzester Zeit zu einer politischen Bewegung mutiert, zu einer Sekte, welche die Denkrichtung vorgibt. Es sind in der Tat auch bereits einige Männer und Frauen aufgetreten, die solches versuchten, aber wir konnten ihnen klarmachen, daß solche Bestrebungen bei uns keinen Platz haben. Auf Dauer kann man natürlich nicht ausschließen, daß solche Kräfte einige aus der Gruppe auf ihre Seite ziehen. Dann wird es eben zur Trennung kommen. Faule Kompromisse werde jedenfalls ich nicht mittragen.“

Sie schwieg kurz, trank einen Schluck Wein.

„Wir treffen uns gelegentlich abends zu Diskussionrunden, etwa einmal im Monat. Wir wollen ja nicht nur lose herplappern, sondern uns vernünftig unterhalten. Es gibt daher auch eine Art geplanten Ablauf. Und das sieht in der Regel so aus: wir vereinbaren die Lektüre eines Werkes, eine Erzählung, ein kleiner Roman, ein Theaterstück, eine philosophische oder religiöse Abhandlung. Es darf natürlich nicht zu umfangreich sein, es soll ja im Laufe eines Monats intensiv gelesen werden und natürlich auch darüber nachgedacht werden können. Zu Beginn der Runde stellt dann jeweils einer aus dem Kulturkreis, innerhalb dessen das Werk entstand, die politischen, gesellschaftliche und religösen Zustände dar, die zur Zeit der Entstehung des Werkes herrschten. Wie du sicher weißt, spiegelt ja jedes Werk die Denkweise des Autors wider, und die ist natürlich durch die Zeitumstände geprägt. Das muß man berücksichtigen um das Werk zu verstehen. Leider sind heutzutage viele nicht mehr dazu bereit. Die stören sich an bestimmten Begriffen, die sie als rassistisch, sexistisch, kolonialistisch und so weiter anprangern, was sie aber nicht durch wirklich vernünftige Argumente begründen können. Sie folgen daher nur ohne zu denken gewissen geistigen, man sollte sie besser ungeistig nennen, Strömungen. Sie fordern daher, die Werke umzuschreiben oder gleich ganz zu verbieten.“

„Ja, aber die Prägung ist unterschiedlich bei unterschiedlichen Autoren“, warf jetzt Markus ein, „manche schwimmen auf dem Zeitgeist, manche geißeln ihn, manche vertreten eine ganz andere, eigene Denkrichtung. Das war früher auch bereits der Fall.“

„Genau so ist es. Aber das muß der Vortragende eben berücksichtigen. Denn was weiß zum Beispiel ein Europäer über die gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse in Thailand oder auf Java im achtzehnten Jahrhundert? Und aus dieser Perspektive versuchen wir dann das Werk zu verstehen und auch herauszufinden, ob es für unser heutiges Denken und Leben eine Relevanz hat oder es nur als eine Geschichte aus ferner Zeit aus einem fernen Land zu sehen ist.“

„Ich verstehe schon. Aber letztlich bleibt das Werk doch ein Spiegelbild jener Zeit, in der es entstanden ist. Da aber gesellschaftliche, politische und relgiöse Entwicklungen meist, allerdings nicht immer, einer gewissen Kontinuität unterliegen, findet man Reste dieses Denkens auch noch im Denken der heutigen Menschen in jenem Kulturkreis.“

Markus trank nun auch einen Schluck Wein, fuhr dann fort.

„Die Wirkung auf die einzelnen wird dann aber sehr unterschiedlich sein, jenachdem ob sie dem Kulturkreis entstammen, in welchem das Werk entstanden ist oder nicht.“

„Ja, genau so ist es. Und das ist auch der Punkt um den es uns geht. Es soll ja niemandem eine Meinung aufgedrängt werden. Das Ziel ist es ja, das Werk zu verstehen, nicht die Handlungen der Personen oder die Ansicht welche der Autor vertritt zu akzeptieren. In der Tat, manche Werke bleiben den meisten fremd, manchen gefallen sie auch nicht. Aber alle verstehen, daß Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich denken und unterschiedlich handeln, weil dies aus unterschiedlichen Wurzeln gewachsen ist. Und unsere Diskussionsrunden sollen dazu helfen Verständnis füreinander aufzubringen. Auf keinen Fall sollen bestimmte Denkweisen als gut, andere als schlecht befunden werden. Wertungen führen wir nicht durch.“

Mittlerweile war das Essen serviert worden. Sie stellten die Unterhaltung daher ein.

„Wir diskutieren aber nicht nur“, begann Marlene, nachdem sie das Mahl beendet hatten, „sondern gestalten auch einen Teil unserer Freizeit, unternehmen einiges zusammen. Aber das ist auch so ein Punkt, wie du dir leicht vorstellen kannst. Für einige verstoßen gewisse Dinge gegen ihre gesellschaftlichen Regeln. Wir machen da aber auch keine faulen Kompromisse. Es zwingt sie ja niemand daran teilzunehmen. Wir sind ja keine festgefügte Gruppe, sondern eher ein Verbund verschiedener Interessensgemeinschaften. Ich spreche hier bewußt im Plural. Gemeinsame Diskussionen und Vorträge sind eine Sache, gemeinsame Freizeitgestaltung eine andere. Wir sind ja keine Partei, keine Organisation mit fester Struktur, sondern eben ein loser Verbund von Interessengemeinschaften. Mehr wollen wir auch gar nicht sein.“

„Bedeutet das aber nicht Ausgrenzung einzelner.“

„Eigentlich nicht. Es gibt ja auch nur weniges, was für manche ein wirkliches 'no go' ist. Wenn wir zum Beispiel ein gemeinsames Essen veranstalten, so kann man ja die Zubreitung der Speisen so organisieren, daß eventuellen Speisevorschriften eines jeden Rechnung getragen wird. Und mittlerweile sieht es auch niemand mehr als Sünde an, anderen beim Essen ihm verbotener Speisen zuzuschauen.“

„Ja, Toleranz, bedeutet ja schließlich, Dinge hinzunehmen, die den eigenen Ansichten, Sitten und Gebräuchen widersprechen. Das bedeutet allerdings nicht, daß sie man sie gutheißen muß. Und es hat auch niemand das Recht andere zu provozieren, indem man bewußt ihre Gefühle verletzt und sie zwingt, diese Gefühlsverletzungen ohne Murren hinzunehmen.“

„Ja, du hast recht, Toleranz bedeutet nicht die Unterwerfung unter den Willen und die Ansichten der anderen. Das wird aber heute vielfach so gesehen, in Deutschland von diesen grün-linken Gruppen. Wer ihnen widerspricht, der ist intolerant, ein Feind der Gesellschaft, hat kein Recht auf fairen Umgang, sondern darf mit allen Mitteln bekämpft werden.“

„Du mußt dich jetzt nicht darüber ereifern“, beschwichtigte Markus, „hier haben wit Gott sei Dank solche Zustände nicht.“

Er trank einen Schluck Wein.

„Ich habe noch einen anderen Punkt, der für uns in nächster Zeit bedeutsamer ist.“

„Meinst du etwa die Kollaboration?“

„Weißt du die Neuigkeit?“

„Ja, mein Chef hat es mir am Nachmittag mitgeteilt. Das ist doch eine hervorragende Nachricht. Mögen sie doch in ihren Kollaborationsvertrag reinschreiben was sie wollen. Wir sollten das so handhaben, wie es uns am besten paßt und wie es für unsere Arbeit am aussichtsreichsten ist. Wenn ich mich nicht in dir getäuscht habe, dann werden wir keine Probleme miteinander haben.“

„Wenn du das so sagst, dann glaube ich, daß wir auf einer Wellenlänge schwingen, wie man so schön sagt. Wir sollten uns möglichst bald zusammensetzen und unsere Vorstellungen austauschen. Das heißt, vornehmlich möchte ich deine Vorstellungen kennenlernen.“

Marlene lachte.

„Möglichst bald ja, aber nicht heute abend. So bald muß es ja auch nicht sein. Reden wir über schöne Dinge. Erzähle in bißchen aus deinem Leben. Du wirst doch sicher ein paar schöne Erlebnisse gehabt haben, auch Vorlieben oder Abneigungen haben. Und fang nicht damit an, daß du nur eine mittelmäßige Existenz bist. Das glaube ich dir nicht. Warum bist du eigentlich Physiker geworden?“

Sie pausierte kurz.

„Ach, bevor du damit anfängst, da habe ich noch etwas anderes. Ich hatte erwartet, daß du mich auf meine email vom Montag ansprichst.“

„Daß du dich besonders darüber gefreut hast, daß ich dich nicht fragte, ob ich noch mit in deine Wohnung kommen dürfe? Da hast du dich doch geschickt aber ganz klar ausgedrückt. Wir waren fast den gesamten Tag zusammen, sind zusammen geschwommen, haben uns unterhalten, zusammen gegessen und getrunken. Aus welchem Grund hätte ich dann spätabends noch mit in deine Wohnung kommen wollen? Doch nur um Dinge zu tun, die man üblicherweise in der Öffentlichkeit nicht tut.“

Marlene lachte.

„Jetzt hast du dich geschickt und ganz klar ausgedrückt. Du hast verstanden, worum es mir ging.“

„Natürlich. Und ich will es jetzt auch ganz offen ansprechen. Je eher wir offen und ohne Scheu darüber reden desto besser. Um es kurz zu machen: du gefällst mir auch als Frau. Und ich habe auch männliche Gefühle. Ich lege aber gewisse Erwartungen auch hinsichtlich meines weiteren Lebensweges in unsere Bekanntschaft, du doch sicher auch. Oder täusche ich mich.“

„Im Prinzip täuschst du dich nicht. Aber das ist alles so noch neu für mich. Ich bin mir noch nicht so richtig über meine Gefühle im Klaren, darüber, wie es weitergehen wird. Und es ist auch noch ein bißchen Unwohlsein dabei.“

„Das betrifft uns beide. Es mag jetzt ein bißchen schwülstig klingen. Aber wir müssen erst noch mit den Gefühlen füreinander ins Reine kommen.

Und da ist im Moment noch kein Platz für sexuelle Kontakte.“

„Ja, ich sehe das auch so. Die würden im Moment nur stören, uns auf eine Bahn lenken, die nicht zu dem Ziel führt, das wir anstreben.“

„Lassen wir uns also Zeit. Es drängt uns ja niemand zu etwas.“

„Wir sollten uns nur beide darüber im Klaren sein und offen über alles reden. Denn sonst wird unser Verhältnis zueinander verkrampft und entwickelt sich eine Richtung, die wir nicht wollen.“

Sie schwiegen einen Augenblick, tranken Wein.

„Kompliziert?“ fragte dann Marlene.

„Nein, wieso. Und wenn es soweit ist, dann werden wir das gleichzeitig spüren.“

Marlene und Markus saßen am darauffolgenden Samstag morgen beim Frühstück in der Cafeteria als eine schwarzhaarige, noch schlanke Frau mit recht hellem Teint, ein Tablett mit Kaffee und Gebäck in den Händen, herantrat, grüßte und fragte, ob sie Platz nehmen dürfe. Trotz der Hitze trug sie ein langärmeliges Kleid, das fast bis zum Boden reichte und ein Kopftuch. Sie setzte sich als Marlene ihr bedeutete es sei ihr recht. Sie wandte sich dann Markus zu.

„Ich heiße Bita“, sagte sie auf Deutsch, „stamme aus dem Iran. Ich habe meine Heimat wegen der dortigen politischen Verhältnisse schon vor vielen Jahren verlassen, lebte lange in Dänemark. Jetzt bin ich hier auf der Insel. Ich arbeite auch im Institut für Meeresbiologie, allerdings in einer Gruppe, die sich mit der allgemeinen Fauna auf den Inseln im Südpazifik beschäftigt, also nicht in Marlenes Abteilung. Ich gehöre aber zum Zirkel der 'Philoanagnosen' wie man uns hier scherzhaft nennt.“

„Philoanagnosen? Was heißt denn das?“

„Da hat wohl einer in der Schule ein paar Brocken griechisch gelernt und sich wieder an einige Worte erinnert“, lachte Marlene, „vielleicht hat er auch die Worte aus dem Internet zusammengesucht, es soll jedenfalls 'Freunde des Lesens' bedeuten.“

„Da wollte einer sicher zeigen, daß er gebildet ist. Bei uns sagte man immer, weil er viel soff, nannte man ihn Philosoph.“

Markus grinste.

„Seit der letzten Rechtschreibereform schreibt man zwar 'Fotograf' aber nicht 'Vilosof'. Vermutlich deswegen.“

„Und bei uns sagte man, weil er viel log, nannte man ihn Philolog“, meinte dann Marlene.

Es erhob sich nun ein allgemeines Gelächter.

Markus wandte sich nun Bita zu.

„Entschuldigen Sie, bei all diesen Rumblödeleien habe ich ganz vergessen mich vorstellen. Ich heiße Markus Ellenberg, bin Physiker.“

„Und Sie sind Deutscher. Schämen Sie sich deswegen, weil Sie es verschweigen.“

„Nein, ich ging davon aus, daß Sie es bereits wissen. Warum sonst hätten Sie uns dann auf Deutsch anreden sollen?“

„Ich habe gestern abend bei unserem Treffen ein bißchen geplaudert, dich erwähnt und auch gesagt, daß wir beide demnächst etwas näher zusammenarbeiten werden“, gestand nun Marlene ein.

Bila lächelte

„Und jetzt sitzt ihr bereits zusammen und unterhaltet euch über gemeinsame Zukunftspläne.“

Marlene schaute Bita leicht grantig an.

„Über berufliche natürlich.“

Bita lächelte.

„Etwas anderes habe ich auch gar nicht gemeint.“, sagte sie leicht spitz, „ich will auch nicht stören. Ich wollte nur wissen, ob du mit zum Schwimmen kommst.“

„Ja, wir haben vor schwimmen zu gehen.“

„Und wohin?“

„An den Nordstrand. Du kannst mit uns kommen, wenn du magst.“

„Nein, so habe ich das nicht gemeint. Wir hatten uns doch gestern abend zum Schwimmen verabredet.“

„Nein, nicht wirklich verabredet. Es wurde jedem überlassen, ob er mitkommen will.“

Bita lächelte.

„Also gut, wenn du nicht magst. Ich will nicht zusammen mit Markus und dir gehen, sondern mit der Gruppe.“

Bita verabschiedete sich, ging.

Markus schaute verduzt Marlene an.

„Was war das jetzt? Schämt sie sich etwa vor mir wenn ich sie im Bikini sehe? Oder fürchtet sie, daß ich anzügliche Bemerkungen mache? Das ist nicht meine Art. Außerdem müßte ich mich dann vor dir schämen.“

Marlene blickte ersnst.

„Das kann ein Grund gewesen sein abzulehnen. Aber wesentlich war, sie wollte als dritte Person nicht stören. Und vermutlich hat sie da gestern abend etwas falsch verstanden, glaubte, ich wolle mit der Gruppe zum Schwimmen gehen und war jetzt enttäuscht. Aber ich muß dich in einer Sache auch enttäuschen. Bita trägt keinen Bikini, sondern das, war ihr in Deutschland als Burkini bezeichnet.“

„Das wundert mich aber jetzt ein bißchen. Da hat sie wegen der politischen Verhältnisse ihr Land verlassen, hält sich aber an die islamischen Kleidungsvorschriften. Darf sie denn überhaupt mit Männern zusammen baden.“

Marlene blickte ihn streng an.

„Das meinst doch jetzt nicht im Ernst was du da sagst? Sie befolgt die Regeln ihrer Religion soweit sie diese für vernünftig hält. Das ist doch bei den Christen auch nicht anders. Das heißt aber nicht, daß sie in einem Staat leben will, in dem die Wächter der Religion im Namen der Religion jedes Lebensdetail vorschreiben. Schau dir doch einmal die dortige Stellung der Frauen in der Gesellschaft an. Wie sah es denn bei euch in Europa im Mittelalter aus? Da hat doch die Kirche auch über das Leben jedes Einzelnen bestimmt. Und das habt ihr mit gutem Grund abgeschafft.“

Sie nahm einen tüchtigen Schluck Kaffee.

„Jetzt sind wir aber ziemlich abgeschweift. Aber Bita ist im unrechten Augenblick aufgetaucht. Ich hatte schon vor, mit der Gruppe zusammen zum Schwimmen zu gehen, wollte dich fragen, ob du Lust hast mitzukommen. Deswegen habe ich dich bei unserem Treffen gestern abend auch erwähnt, auch gesagt, daß du Interesse hast bei uns mitzuwirken. Aber wegen Bita bin ich da nicht dazu gekommen.“

„Ja, bin ich da überhaupt willkommen? Nach Bitas Auftritt bin ich mir da nicht so sicher.“

„Ach, laß dich deswegen nicht abstoßen. Bita ist nicht die Gruppe. Und du bist ein Fremder, aber nicht der einzige Mann. Sei freundlich zu ihr, gib ihr aber nicht das Gefühl, daß du sie anstarrst oder anmachen willst. Anders ausgedrückt, gib ihr das Gefühl, daß du sie nicht anders ansiehst und behandelst wie die anderen Männer.“

„Ja, es wäre mir schon lieb, wenn ich mitkommen könnte. Ich sagte dir ja bereits, die Gruppe interessiert mich und ein bißchen Gesellschaft wäre mir schon lieb. Und bei dieser Gelegenheit kann ich sicher einige von euch kennenlernen. Und wenn mir die Gruppe zusagt, dann würde ich auch gerne einmal an euren Gesprächsrunden teilnehmen, wenn ihr mich zulaßt.“