Hagen von Alzay - Fritz Peter Heßberger - E-Book

Hagen von Alzay E-Book

Fritz Peter Heßberger

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Beschreibung

Hagen von Alzay, ein Ritter von zweifelhaftem Ruf, rettet den zum Tode verurteilten Schmiedegesellen Jork vor dem Galgen. Hagen verläßt das Deutsche Reich, beschließt ins märchenhafte China zu reisen. Jork begleitet ihn. Nach einem Aufenthalt in Konstantinopel reiten sie entlang der Küste des Schwarzen Meeres nach Osten. In der kasachischen Steppe treffen sie den Chasaren Tartur, der sie überredet mit ihm nach Chartonistan zu ziehen und sich als Söldner des Königs Gurdulan zum Kampf gegen rebellische Fürsten anwerben zu lassen. Beim Sturm auf die Burg des verbrecherischen Grafen Harbanolis besiegt Hagen dessen Heerführer Tantaloris, wird aber selbst schwer verwundet. Nach seiner Genesung zieht Hagen alleine weiter, Jork und Tartur bleiben in Chartonistan zurück. In der Stadt Tahoreban trifft Hagen den Schmied Soothi, einen indischen Krieger aus der Kaste der Ksatriyas. Er zieht mit ihm über die 'südlichen Gebirge' nach dessen Heimatstadt Erinpur, die sie nach zahlreichen Abenteuern erreichen. Bei seiner weiteren Reise durch Indien rettet Hagen die Tempeltänzerin Sunaya vor einem Tiger, befreit sie später aus der Gewalt des Sultans Babur. Er gewinnt ihre Liebe. Sie beschließen von Mylapore aus mit einem Schiff nach China zu reisen. Bei einem Überfall von Piraten rettet Hagen den Fürsten von Hangzhou, gewinnt dessen Gunst. Nach einem längeren Aufenthalt in China reisen Sunaya und Hagen durch die Steppen Asiens nach Konstantinopel zurück. Während eines Ausritts rettet Hagen dem Herzog Berthold von Meranien, der von Räubern überfallen wurde, das Leben. Er gewinnt dessen Freundschaft, reist mit ihm ins Deutsche Reich zurück, erhält die Grafschaft Kronach zum Lehen.

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Personen, sofern nicht im Anhang als 'historische Personen' aufgeführt und Handlung des Romans sind frei erfunden.

Irgendwelche darüber hinausgehenden Übereinstimmungen von Namen handelnder Personen mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Der Autor:

Fritz Peter Heßberger, Jahrgang 1952, geboren in Großwelzheim, heute Karlstein am Main, studierte Physik an der Technischen Hochschule Darmstadt; 1985 Promotion zum Dr. rer. nat.; von 1979 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2018 als wissenschaftlicher Angestellter in einer Großforschungsanlage tätig.

Inhalt

Die Flucht

Reiseziel Konstantinopel

In Chartonistan

Die 'eiserne' Jungfrau

Soothi der Schmied

In Indien

Die Piraten

Aufenthalt in China

In den Steppen Asiens

Wiedersehen in Chartonistan

Der Herzog von Meranien

Rückkehr ins Deutsche Reich

1. Die Flucht

Am Tag nach der Sommersonnenwende erreichte der Ritter Dietmar von Ackelbach gegen Abend mit seinem Gefolge das Städtchen Frankenbach und nahm Quartier im besten Gasthaus des Ortes. Er und seine Mannen beherrschten bald die Schankstube, orderten was Küche und Keller zu bieten hatten und begannen unmäßig zu trinken. Die anderen Gäste verließen rasch den Raum, denn Dietmar und seine Getreuen galten als streitsüchtig und gewalttätig. Die Blicke des Ritters hefteten sich bald auf das Schankmädchen Anna, einer jungen, hübschen und wohlgestalteten Jungfrau. Seine Begierde nach ihr steigerte sich immer mehr. Schließlich packte er sie und zerrte sie in Richtung seines Gemachs, welches in einem im Hinterhof stehenden Gebäude, abseits vom Lärm der Straße, lag um sie dort zu mißbrauchen. Anna schrie laut um Hilfe. Jork, der Geselle des Stadtschmiedes, dessen Werkstatt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gasthof lag, hörte dies und eilte herbei. Kurzerhand schlug der kräftige, junge Mann den Wüstling nieder und ermöglichte Anna die Flucht. Dietmar rappelte sich auf, rief seine Mannen. Diese umringten Jork, ergriffen ihn.

„Dieser elende Bursche hat die Hand gegen mich, einen Ritter, erhoben!“ schrie Dietmar laut, „nach den Gesetzen des Reiches hat er damit sein Leben verwirkt. Erhängt ihn auf dem Marktplatz, so daß jeder sehen kann, wie es denen ergeht, die sich an einem Edelmann vergreifen.“

Die Männer schleppten ihn weg, begannen dann an Ort und Stelle sofort einen provisorischen Galgen zu errichten. Jorks Schicksal schien besiegelt.

Doch Dietmar war nicht der einzige hohe Gast in der Stadt. Am frühen Nachmittag war Graf Kuno von Steinbach, der Landesherr eingetroffen und hatte das 'Adelshaus' bezogen, ein für hochwohl geborene Gäste errichtetes Gebäude. Aufgrund des Lärms begab er sich zum Marktplatz.

„Was hat dies zu bedeuten, Ritter?“ fragte er Dietmar.

„Dieser Schmiedebursche hat mich, einen Ritter, niedergeschlagen. Nach dem Gesetz hat er damit den Tod verdient. Wir werden die Hinrichtung vollstrecken.“

Der Graf blickte den Ritter scharf an.

„Den Tod hat er freilich verdient falls die Anschuldigung wahr ist. Hat ein Richter das Urteil gesprochen? Zeigt mir die Urkunde.“

„Ein Urteil gibt es nicht. Der Fall liegt doch klar, Graf.“

„Nein, Ritter Ackelbach, dem kann ich nicht zustimmen. Niemand im Reich darf ohne richterliches Urteil hingerichtet werden. Wohin sollte es denn führen solches zuzulassen? Doch nur zur Willkür! Außerdem ist es bereits Abend und es ist nicht üblich Todesurteile nach Sonnenuntergang zu vollstrecken.“

Das Gesicht des Ritters verfinsterte sich, Zorn stieg in ihm auf, doch wagte er nicht dem Landesherren zu widersprechen.

Kuno erkannte das, versuchte Dietmar zu beruhigen.

„Wenn der Fall wirklich so klar liegt wie Ihr sagt, dann wird die Gerichtsverhandlung sehr kurz sein und er wird noch vor dem Mittagsläuten baumeln. Ihr müßt lediglich Eure Ungeduld etwas zügeln.“

Inzwischen war auch der Bürgermeister mit einigen Bütteln hinzugekommen.

„Sperrt den Kerl in den Kerker und benachrichtigt den Stadtrichter“, ordnete der Graf an.

Die Büttel führten Jork weg.

Straftaten waren in Frankenbach selten und so gab es auch keinen festen Kerker in der Stadt. Als Gefängnis diente vielmehr ein ehemaliger Stall dessen Fenster vergittert waren.

Es war aber an diesen Tag noch ein weiterer Fremder in der Stadt eingetroffen – Hagen von Alzay, ein Mann von etwa dreißig Jahren, dessen Name im Reich wohlbekannt und auch gefürchtet war. Seine Herkunft lag im Dunkeln. Es hieß, er sei als Findelkind am Hofe des Fürsten Friedrich von Hohenberg aufgewachsen, habe in den Knabenjahren zunächst als Küchenjunge, später als Stallbursche gedient. Eines Tages sei jedoch dem Fürsten der aufgeweckte Knabe aufgefallen und er habe ihm eine gute Erziehung zukommen und ihn auch im Gebrauch von Waffen unterrichten lassen, da er der Ansicht war, er sei zu etwas besserem zu gebrauchen als zu einem Pferdeknecht. Und Hagen enttäuschte den Fürsten nicht. Er lernte rasch, war stets offen und ehrlich, treu und verschwiegen. Und so plante der Fürst ihn zu seinem Geheimschreiber zu machen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Als Hagen etwa achtzehn Jahre alt war, begleitete er einmal den Fürsten auf einer Fahrt von Hohenberg zur Reichsstadt Frankfurt. Im Odenwald wurden sie von Männern des Erzbischofs von Mainz, der mit dem Fürsten in Fehde lag, überfallen. Hagen erwies sich als tapferer Kämpfer und unter seiner Führung gelang es der fürstlichen Eskorte die erzbischöflichen Schergen in die Flucht zu schlagen. Er tötete in dem Gefecht acht der Angreifer. Aus Dankbarkeit schlug der Fürst ihn am Tage nach der Ankunft in Frankfurt zum Ritter, verlieh ihm den Namen Hagen von Alzay, da er einst nahe dieser Stadt aufgefunden worden war. Doch unglücklicherweise hatte der Fürst bei dem Gefecht eine schwere Verwundung erlitten, von der er sich nicht mehr erholte. Er starb bald nach der Rückkehr nach Hohenberg. Adolf von Hagenfels, der Vetter und Nachfolger des alten Fürsten, mochte jedoch Hagen nicht leiden und so verließ jener den Fürstenhof und zog nun bereits seit etwa zehn Jahren durch das Reich. Er war als tapferer aber wenig geachteter Mann bekannt, denn es hieß, er ließe sich nicht nur als Söldnerführer, sondern auch als Schwertkämpfer anwerben. Und gerade letzteres brachte ihm einen üblen Ruf ein. Es hieß, er verkaufe sich an Adelige, die einem Zweikampf aus dem Wege gehen wollten, indem er den Gegner aufsuchte und ihn tödllich beleidigte, so daß dieser ihn zu einem sofortigen Zweikampf auffordern mußte um nicht seine Ehre zu verlieren. Und Hagen siegte bisher stets.

Auch er war an diesem Tag in Frankenbach eingetroffen, hatte sich im Gasthof eingemietet, saß nun unbehelligt vom Lärm in der Schankstube an einem Tisch vor dem Haus. Die Schergen Ackelbachs ließen ihn in Ruhe, sie wollten ihm keine Gelegenheit geben, einen von ihnen zum Schwertkampf zu fordern. Hagen unterhielt sich mir dem Stadtschmied. Er pflegte Verkehr mit Menschen jeglichen Standes, weil er als unstet Umherziehender über alle Geschehnisse im Reich unterrichtet sein und natürlich auch wissen wollte, wie man in den verschiedenen Gauen über ihn dachte. Den Schmied kannte er von einem früheren Aufenthalt in der Stadt recht gut und so hatte dieser ohne Scheu am Tisch Platz genommen als er Hagen erblickte.

„Man sagt, ich sei ein käuflicher Schwertkämpfer“, belehrte er gerade den Schmied, „der für Gold feige Herren vor ihnen unangenehmen Zweikämpfen bewahrt, hält mich deshalb für einen unehrenhaften Mann, im Grunde nicht würdig ein Ritter zu sein. Viele behaupten sogar, ich sei ein Mann, der sich als Mörder dingen läßt. Das ist nicht so ganz richtig. Es gibt in unserem Reich viele Adelige wie dieser Ackelbach, die selbst nicht würdig sind, Ritter oder Grafen genannt zu werden. Sie sind habgierig, grausam, verschlagen, plündern ihre Untertanen aus und versuchen den Besitz ihrer Nachbarn an sich zu reißen. Und sie kennen ihre Opfer. Wissen diese Unedlen, daß sie eine bessere Klinge führen als ihre Gegner, so fordern sie diese unter einem Vorwand zum Schwertkampf um sie zu töten und sich als Entschädigung für die ihnen angeblich zugefügte Beleidigung deren Besitz anzueignen. Und ich kämpfe für die Schwachen. Bevor ich einen Auftrag überneme schaue ich mir beide Parteien genau an. Ich kämpfe niemals für eine mir ungerecht erscheinende Sache, möge der Lohn auch noch so hoch sein. Ich kann natürlich nicht ausschließen, daß ich mich gelegentlich irre und mich dem Unrechten verdinge.“

In diesem Augenblick wurde Jork aus dem Gasthaus herausgeführt und in Richtung Marktplatz gezerrt.

„Mein Gehilfe“, bemerkte der Schmied, „was mag er wohl verbrochen haben? Ich werde den Wirt fragen.“

Er erhob sich; kurze Zeit später kam er zurück.

„Er hat Dietmar von Ackelbach niedergeschlagen“, berichtete er, „und nach den Gesetzen des Reiches ist dies ein todeswürdiges Verbrechen. Niemand kann ihn mehr vor dem Galgen retten.“

„Aber aus welchem Grund tat er das?“ fragte Hagen.

„Der Wirt sagte, Ackelbach habe das Schankmädchen Anna auf seine Kammer zerren wollen um sie dort zu mißbrauchen. Und Jork hat sie vor der Schändung bewahrt.“

Hagen runzelte die Stirn.

„Dann liegt ja der Fall etwas anders. Aber es wird ihm nicht helfen. Ein Schankmädchen zählt nicht viel. Und es vor dem Mutwillen eines Adeligen zu bewahren rechtfertigt nicht den Angriff eines Gemeinen auf einen Edelmann. Wäre Jork ein Ritter, dann sähe die Sache natürlich anders aus.“

„Er ist ein guter und anständiger Mensch, mehr wert als dieser ruchlose Ackelbach“, stieß der Schmied hervor, „ihn hinzurichten ist Mord.“

Hagen lächelte.

„Es entspricht aber der göttlichen Ordnung. Und dafür ist schließlich Jesus am Kreuz gestorben.“

„Versündigt Euch nicht durch solche ketzerischen Reden.“

Der Schmied erhob sich und ging. Hagen blieb zurück. Was hier begangen werden würde, erschien ihm in der Tat als Mord. Aber gegen die Meute konnte er allein nichts unternehmen. Auch konnte er die Geschehnisse auf dem Marktplatz nun in der Dämmerung nicht so recht verfolgen. Doch bald sah er, daß Jork abgeführt und in einem Gebäude eingeschlossen wurde. Kurz danach kam der Schmied heran. Hagen winkte ihm zu.

„Was bedeutet das?“

„Graf von Steinbach hat von Ackelbach verboten Jork ohne Urteil hinzurichten“, antwortete der Schmied, „der Prozeß soll morgen früh stattfinden. Aber es wird ihm nicht helfen, sein Leben nur um ein paar Stunden verlängern.“

„In ein paar Stunden kann vieles geschehen“, entgegnete Hagen, „gibt es einen sicheren Ort außerhalb der Stadt, an der er sich verstecken kann? Aber er darf nicht zu weit entfernt sein.“

„Ihr wollt ...?“

„Kein Worte! Gibt es einen solchen´Ort?“

Der Schmied überlegte.

„Es gibt da einen Brunnen auf einer kleinen Lichtung unweit des Waldrandes. Er ist jetzt ausgetrocknet. Auf seinem Grund befindet sich eine Höhlung, in die man von oben nicht einblicken kann. Jork kennt diesen Platz.“

„Gut, dann besorge ein Pferd für ihn, das andere werde ich erledigen.“

Hagen schlenderte noch kurz umher, besah sich die Örtlichkeit. Der Plan schien ihm nicht allzu gefährlich. Der Kerker ließ sich leicht aufbrechen. Die Stadtmauer war nicht sehr hoch, ließ sich leicht erklettern. Ihre Türme waren nicht besetzt, nur der Nachtwächter drehte seine Runden. Hagen wartete bis nach Mitternacht. Er befreite rasch Jork, teilte ihm mit, wo er sich verstecken solle, er werde ihn dann aufsuchen und ihm die Losung 'Donar kommt' zurufen. Er selbst müsse die Stadt verlassen ohne Verdacht zu erregen und auch sicherstellen, daß sie nicht verfolgt werden, so daß er wohl erst am Nachmittag zu ihm kommen werde.

Jork überwand die Mauer, verschwand dann in der Dunkelheit, Hagen kehrte zum Gasthof zurück. Niemand hatte etwas bemerkt.

Als man am nächsten Morgen feststellte, daß der Gefangene entflohen war, fiel der Verdacht sofort auf den Schmied. Doch der konnte bezeugen, daß er während der gesamten Nacht das Haus nicht verlassen hatte. Dietmar forderte zwar ihn einem hochnotpeinlichen Verhör zu unterziehen, doch der Bürgermeister stimmte dem nicht zu, da der Schmied ein ehrbarer Bürger der Stadt sei, dessen Worten man unbedingten Glauben schenken müsse.

Dietmar kam auch der Gedanke, Hagen, der gestern angekommene Ritter von zweifelhaften Ruf, könne etwas mit der Flucht des Schmiedegesellen zu tun haben, doch fürchtete er, von diesen zum Zweikampf gefordert zu werden, falls er ihn ohne Beweie beschuldigte. Und es würde auch schwerfallen, seinen Verdacht dem Grafen und dem Bürgermeister gegenüber zu begründen, da Hagen an den Ereignissen des Vorabends keinen Anteil genommen hatte. Er beließ es daher mit dem Beschluß ihn beobachten zu lassen.

Hagen ließ sich am Morgen Zeit, da er argwöhnte Eile könne ihn mit der Flucht Jorks in Verbindung bringen. Der Schmied hatte ein Pferd besorgt. Der Sattel wurde in einem großen Sack verstaut und das Tier wurde so beladen, daß man es für ein Packpferd halten mußte. Kurz vor Mittag verließ er dann die Stadt. Zwei Schergen Dietmars folgten ihm. Hagen hatte das in Betracht gezogen, entfernte sich von der Stadt, führte die Verfolger in dem hügeligen Gelände der Umgebung in die Irre, konnte sie schließlich abschütteln. Erst am späten Nachmittag suchte er den Brunnen auf und holte Jork aus dem Loch. Der bedankte sich überschwenglich für die Rettung, denn in der Nacht war hierfür keine Zeit gewesen. Doch Hagen wiegelte ab.

„Es ist doch selbstverständlich einem tapferen Mann zu helfen, der einer Frau gegenüber einem Wüstling beistand.“

Er bewog Jork nicht weiter zu reden, denn noch befanden sie sich nicht in Sicherheit, waren noch zu nahe der Stadt. Die von Dietmar von Ackelbach beauftragten Verfolger hatte er zwar abschütteln können, aber sicherlich hatten auch der Bürgermeister und der Graf Leute ausgesandt um Jork zu suchen. Er war zwar niemandem begegnet, aber das erschien ihm kein Grund zur Beruhigung.

„Weit werden wir heute aber nicht kommen, denn es wird bald dunkel. Wir werden uns im Wald verirren. Offenenes Gelände müssen wir aber meiden, da man uns dort leicht entdecken wird“, meinte Hagen.

„Keine Sorge, Herr“, entgegnete Jork, „ich kenne den Wald. Mein Vater war Köhler. Ich werde Euch führen.“

Nach Mitternacht erreichten sie eine kleine Lichtung, an deren Rand sie übernachteten.

„Was wirst du nun tun?“ fragte Hagen am nächsten Morgen als sie frühstückten, „du bist jetzt vogelfrei. Hier kannst du nicht bleiben.“

„Ich weiß“, antwortete der, „ich werde weit fortgehen, in den Osten, nach Böhmen oder nach Schlesien. Ich denke, ein tüchtiger Schmied wird überall sein Auskommen finden. Und was habt Ihr vor?“

„Ich ziehe seit zehn Jahren durch das Reich. Mein Leumund ist schlecht. Man wird zwar keine Beweise vorbringen können, daß ich etwas mit deiner Flucht zu tun habe, aber man sagt mir soviel nach, daß man auch davor nicht zurückschrecken wird. Was kümmert es mich? Vor einigen Jahren erzählte mir einmal ein Mönch, er nannte sich Vater Morgana, der von einer Pilgerreise ins Heilige Land zurückkehrte, weit im Osten, liege ein Land, das man China nennt. Dort soll es prächtige Städte geben, viel größer und reicher als die Städte hier. Die Häuser sollen dort goldene Dächer haben und die Menschen Kleider aus einem feinen und glänzenden Gewebe tragen, das man Seide nennt. Bei uns ist Seide sehr teuer und nur reiche Fürsten können sich Gewänder daraus leisten. Dort aber ist dieser Stoff so billig wie bei uns Linnen und jedermann kann sich Kleidung daraus leisten. Und ich erfuhr noch viel mehr wunderbare Dinge. All das möchte ich einmal mit eigenen Augen sehen. Lange habe ich gezögert, doch nun habe mich entschlossen dorthin zu reisen. Hier im Reich habe ich nichts mehr verloren.“

Jorks Augen begannen zu strahlen.

„Das alles möchte ich auch einmal sehen. Ich komme mit, wenn Ihr mich mitnehmt.“

Hagen schüttelte den Kopf.

„Die Reise ist gefährlich. China liegt zweihundert Tagesreisen von hier entfernt, sagte Vater Morgana. Man muß tiefe Wälder, unendlich weite Graslandschaften und Wüsten, das sind Gebiete wo kein Grashalm wächst, man nur Sand und Geröll findet, durchqueren. Wasserstellen liegen dort oft tageweit von einander entfernt. Man muß auch hohe Gebirge überqueren. Und man stößt nicht nur auf wilde Tiere; es leben in den weiten Steppen räuberische und kriegerische Völker, deren Gebiete man auf dem Weg nach China durchqueren muß. Vielleicht werde ich mein Ziel nie erreichen, vorher sterben. Deshalb kann ich dir nicht raten mitzukommen.“

Jork lachte.

„Ich bin gerade dem Galgen entronnen, jeder weitere Tag meines Lebens ist mir geschenkt. Ich bin vogelfrei, heimatlos, was habe ich noch zu verlieren. Nein, ich habe mich entschlossen, ich komme mit, wenn Ihr mich mitnehmt.“

„Du bist ein freier Mann und es ist deine Entscheidung. Ich willige ein, aber verfluche mich nicht, wenn das Unglück über dich kommt. Du hast es so gewollt. Ich habe es dir nicht befohlen.“

Hagen pausierte kurz, fuhr dann fort.

„Ich weiß aber wenig über China und den Weg dorthin. Die Berichte Vater Morganas waren sehr ungenau, vielfach auch verworren. Ich werde daher zunächst nach Konstantinopel ziehen. Das ist eine große Stadt, in der Menschen aus allen Weltteilen leben. Dort werden wir sicherlich erfahren, welche Wege wir nehmen müssen um an unser Ziel zu gelangen.“

2. Reiseziel Konstantinopel

Sie ritten nach Südosten, zeigten keine große Eile, hatten nach sechs Wochen das Reich der Magyaren fast durchquert ohne nennenswerte Abenteuer zu erleben.

Eines Nachmittags bot sich ihnen ein seltsamer Anblick. Ein Reisewagen stand am Wegrand, ein älterer, kostbar gekleideter Mann saß im Staub, das Gesicht mit den Händen bedeckt. Er jammerte. Um ihn herum standen in gebührendem Abstand einige Männer, als warteten sie auf Befehle, schienen aber nicht zu wagen, ihn, der offenbar ihr Herr war, anzusprechen. Mehrere von ihnen waren verwundet, einige Tote lagen neben dem Weg.

„Was ist geschehen?“ fragte Hagen in griechischer Sprache.

Der kostbar Gekleidete antwortete nicht, statt dessen trat ein kräftiger Mann zu Hagen heran und antwortete.

„Ein großes Unglück ist geschehen. Fürst Dracul hat uns überfallen. Wir haben gekämpft wie die Löwen, glaubt es mir, aber konnten nicht verhindern, daß die Tochter unseres Herrn geraubt wurde.“

„Er wird sicher ein Lösegeld fordern.“

Der Mann schüttelt den Kopf.

„Nein, das glaube ich nicht. Er wird sie zu seiner Frau machen wollen.“

„Wie kommst du darauf?“

„Fürst Dracul hielt um Elenas Hand an. Doch unser Herr wies ihn ab. Der Fürst ist nichts weiter als ein Räuber.“

„Und warum läßt ihn der König gewähren?“

Der Mann schwieg kurz.

„Der Magyarenkönig führt ständig Kriege im Norden und Osten. Um die Angelegenheiten hier im Süden seines Reiches kümmert er sich nicht. Und so kann Fürst Dracul seinen Untaten ungestraft nachgehen.“

„Und wer ist dein Herr?“

„Es ist der Kaufmann Boreslaw aus Plowdew. Und ich heiße Michail, bin der Anführer seiner Leibwache. Helft uns die Tochter zu retten und mein Herr wird Euch großzügig belohnen.“

„Wie kann ich das tun? Ich bin allein. Was kann ich gegen eine Räuberbande ausrichten?“

„Ihr seid ein Held, das sehe ich Euch an. Und ich werde mit Euch ziehen.“

„Wann geschah die Tat?“

„Vor etwa zwei Stunden.“

„Dann sind Fürst Dracul und seine Mannen doch bereits über alle Berge.

Und wenn er seine Burg erreicht, dann können wir nichts ausrichten.“

„Er wird seine Burg nicht vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Er wird lagern, dessen bin ich mir gewiß. Denn er fühlt sich sicher.“

Hagen überlegte kurz.

„Gut, ich werde euch helfen. Aber ich kann nicht versprechen, daß ich etwas ausrichten kann. Brechen wir also auf, es ist keine Zeit zu verlieren.“

„Warte noch einen Moment.“

Michail gab den Männern einige Anweisungen, sprach kurz mit dem Kaufmann. Dann ritten sie in die Richtung, in welche die Räuber verschwunden waren. Michail führte ein zusätzliches Pferd am Halfter. Jork blieb zurück.

Nach etwa vier Stunden, es war bereits finster, nur der halbe Mond spendete etwas Licht, gewahrten sie in der Ferne einen Feuerschein am Rande eines Hains.

„Das wird wohl ihr Lager sein“, raunte Hagen Michail zu, „pirschen wir uns vorsichtig heran.

Knapp zwei Dutzend Gestalten lagerten um ein Feuer. Einige Schritte entfernt stand ein Zelt.

„Vermutlich wird Elena im Zelt gefangen gehalten“, flüsterte Michail,

„Wachen haben sie nicht aufgestellt. Sie scheinen sich wirklich sicher zu fühlen.“

„Das ist gut für uns, schleichen wir uns heran.“

„Warte hier“, sagte Hagen leise als sie noch einige Schritte vom Zelt entfernt waren, „ich werde versuchen Elena zu befreien. Hoffentlich ist sie alleine. Halte dich bereit mir zu Hilfe zu kommen, falls es notwendig ist.“

Hagen schnitt vorsichtig einen Ritz in die Zeltwand, lugte hindurch in das Innere. Im schwachen Schein eines Feuers sah er eine Gestalt liegen.

„Hoffentlich ist sie es. Ich muß es wagen.“

Er schnitt die Zeltwand soweit auf, daß er bequem hindurchschlüpfen konnte. Er kroch zu der Gestalt hin. Sie war gefesselt.

„Bist du Elena?“ flüsterte er leise in der Hoffnung, daß sie ihn verstand.

„Ja“, antwortete sie.

„Ich werde dich befreien.“

Er schnitt ihre Fesseln durch, sie krochen zum Schlitz in der Zeltwand hin.

In diesem Augenblick wurde die Matte, welche den Ausgang verschloß, zurückgeschlagen. Eine Gestalt trat herein. In aller Eile schob Hagen Elena ins Freie.

„Schnell weg“, raunte er Michail zu, „kümmert euch nicht um mich.“

Hagen drehte sich um, erblickte einen kräftigen, kostbar gekleideten Mann, der sein Schwert erhob und 'du Hund' brüllte. Hagen zögerte keinen Augenblick, zog seinen Dolch aus dem Gürtel, das Schwert hatte er bei dem Pferd zurückgelassen, da es beim Anschleichen hinderlich war, stürzte sich auf den Gegner, rammte ihm das Messer in die Brust. Der stieß einen Schrei auf, sackte zusammen. Hagen kümmerte sich nicht darum, kroch aus dem Zelt, rannte einige Schritte weg, blieb kurz hinter einem Baum stehen.

Die Männer, welche am Feuer lagerten, waren durch den Schrei aufgeschreckt worden, liefen zum Zelt.

„Fürst Dracul“, stieß einer hervor.

„Da habe ich wohl der Richtigen erwischt“, dachte Hagen und rannte davon.

Elena und Michail hatten bereits die Pferde bestiegen, waren zurück geritten. Hagen folgte ihnen, holte sie nach kurzer Zeit ein. Ein fahles Mondlicht wies ihnen den Weg.

Als sie den Ort des Überfalls erreichten, sie hatten unterwegs kein Gespräch geführt, stand der Reisewagen bereits zur Abfahrt bereit. Die Knechte schwangen sich in ihre Sättel, man brach auf.

Hagen berichtete Michail nun kurz von dem Kampf.

„Eurer Beschreibung nach habt Ihr Fürst Dracul niedergestoßen. Hoffentlich ist der tot oder wenigstens schwer verwundet. Ohne ihn werden uns seine Räuber nicht verfolgen.“

In der Morgendämmerung erreichten sie einen breiten Fluß.

„Die Donau“, lächelte Michail, „sie bildet die Grenze. Auf der anderen

Seite beginnt das Reich der Bulgaren, das Gebiet des Fürsten Nenaw. Er ist ein guter Freund des Kaufmanns. Dracul wird nicht wagen es zu betreten, selbst wenn er noch leben sollte. Wir sind in Sicherheit.“

„Noch nicht“, gab Hagen zu bedenken, „wir müssen erst den Fluß überqueren.“

„Keine Sorge“, gab Michail zur Antwort.

Erst jetzt gewahrte Hagen die am Ufer liegende Fähre. Einer der Knechte hatte bereits den Fährmann aus dem Schlaf geholt. Man setzte über, zunächst den Reisewagen mit dem Kaufmann und seiner Tochter, sowie Hagen und Jork, dann folgte Michail mit den Knechten.

„Wie kann ich euch bloß danken?“ sprach Boreslaw während sie am Ufer warteten.

„Es ist die Pflicht eines Ritter Unrecht zu bekämpfen“, antwortete Hagen.

„Kommt mit nach Plowdew, Seid unser Gast, solange es Euch beliebt.“ Hagen schüttelte den Kopf.

„Vielen Dank für Eure Einladung, welche eine große Ehre für mich ist, aber ich muß weiterziehen, wir wollen nach Konstantinopel und von dort aus nach China.“

„Wie Ihr wollt, ich kann Euch keine Befehle erteilen. Wartet.“

Er bestieg den Reisewagen, kam kurze Zeit später mit einem Beutel zurück, überreichte ihn Hagen.

„Hier ist Eure bescheidene Belohnung. Es sind nur etwa einhundert

Goldstücke. Ihr hättet weit mehr verdient. Aber viel mehr führe ich nicht mit mir. Und das ist alles, was ich entbehren kann.“ Hagen und Jork bedankten und verabschiedeten sich.

„Wir hätten die Einladung des Kaufmanns annehmen sollen. Ihr sagt doch immer, wir wären nicht in Eile, niemand dränge uns. Was hätten da ein paar Tage ausgemacht, ein paar angenehme Tage, ein weiches Bett, köstliches Essen, einen hervoragenden Wein“, meinte Jork, nachdem sie eine Weile geritten waren.

Er war sichtlich enttäuscht.

„Es ist besser so“, entgegnete Hagen lachend, „hast du nicht Elenas Blicke gesehen? Sie hätte sicher alles getan um uns zum Bleiben zu bewegen. Glaubst du etwa, ich will als Gehilfe eines bulgarischen Kaufmanns enden?“

Acht Tage später erreichten sie Konstantinopel. Sie quartierten sich in einem einfachen Gasthof ein. Hagen durchstreifte die Stadt, bestaunte ihre Pracht, ihre Paläste, ihre Kirchen, insbesondere die Hagia Sophia, das religiöse Zentrum der Ostkirche. Jork sah er nur abends, er trieb sich tagsüber auch herum, erzählte aber nicht, was er so erlebt hatte.

Hagen versuchte auch Näheres über China und die Reisewege dorthin zu erfahren, doch die meisten gingen ihm aus dem Weg und die wenigen, mit denen er ins Gespräch kam, konnten ihm keine nennenswerte Auskunft geben.

Sie hielten sich bereits etwa drei Wochen in der Stadt auf. Hagen saß vor einer Schenke bei einem Becher Wein. Ein Mann trat heran, fragte, ob er Platz nehmen dürfe. Hagen überlegte kurz, fragte sich, was er wohl von ihm wolle. Vielleicht war er ein Händler, vielleicht einer jener Männer, die Huren anboten. Er sah keine Gefahr in einem Gespräch mit ihm, bat ihn Platz zu nehmen.

„Ich heiße Alexos“, stellte sich der Mann vor, „ich bin ein Gelehrter, möchte alles über die Völker des Nordens wissen. Du bist doch ein Nordmann?“

„Wie kommst du darauf?“

„Dein Bart und deine Haare sind hell und von leicht rötlicher Farbe.“

„Nun ja, ein wirklicher Nordmann bin ich nicht, sondern ein deutscher Ritter. Ich mußte mein Land verlassen, will nun die Welt kennenlernen.“

„Und wo willst du hin? Ins Heilige Land?“

„Nein, nein, ich habe von einem märchenhaften Reich weit im Osten, das

China genannt wird, gehört. Dahin möchte ich reisen.“

„Das is weit, sehr weit.“

„Ich weiß, aber ich habe kein Heim, habe Zeit, niemand drängt mich.“

„Nun, wie du willst. Es steht mir auch nicht an dir Vorschriften zu machen.

Aber wenn du wirklich nach Osten ziehen willst, dann höre meine Ratschläge. Du bist ein deutscher Ritter, meide daher Asien. Die Seldschuken haben die Schmach der Niederlage in der Schlacht von Ikonion, welche ihnen euer Kaiser zugefügt hat, nicht vergessen. Sie sinnen auf Rache. Wenn du ihnen in die Hände fällst, dann bist du verloren. Wenn du Glück hast, dann töten sie dich gleich, wenn nicht, dann landest du in der Sklaverei, dann erwartet dich ein elendes Leben. Wähle daher den Weg nördlich des Meeres. Aber auch dann mußt du ein wildes Land durchqueren. Die Macht der Fürsten von Kiew reicht nicht weit. Es gibt dort keine Herrscher, sondern nur Clans, die sich gegenseitig bekämpfen. Es gibt kein allgemein gültiges Recht, jeder Clan hat seine eigenen Gesetze. Und ihre Gesetze sind höchst unterschiedlich. Und wegen der ständigen Kriege der Clans untereinander werden Fremde mißtrauisch betrachtet, gelten zunächst einmal als Spione. Meist werden sie getötet, bevor sie ihre Unschuld beweisen können.“

„Kann man da überhaupt reisen? Es erscheint doch unmöglich wochenlang durch das Land zu ziehen ohne einen Menschen anzutreffen“, wollte nun Hagen wissen.

„Es gibt Handelsstraßen, deren Unverletzlichkeit von den Clans respektiert wird, auf denen sie keine Reisenden attackieren. Aber sicher sind die auch nicht. Dort ist man nicht sicher vor Räubern.“

„Räubern?“

„Die Regeln der Clans sind sehr streng und wer gegen sie verstößt, wird ausgestoßen. Das ist die mildeste Form der Bestrafung. Und ein Ausgestoßener wird von keinem Clan mehr aufgenommen. Und man wird ihn auch nicht in einer Stadt entlang einer Handelsstraße dulden. Es bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten: entweder er schließt sich mit anderen zu einer Räuberbande zusammen oder er verdingt sich bei einem fremden Herrscher als Soldat. Auch wir haben eine Legion solcher Fremden. Sie heißt Chasaren – Legion, obwohl ein nur Teil der Männer Chasaren sind. Viele Ausgestoßene ziehen auch ins Reich Chartonistan. Dennoch, eine Reise nördlich um das Meer ist für dich weniger gefährlich als eine Reise durch das Land der Seldschuken.“

„Vielen Dank, ich werde deinen Rat beherzigen. Ich habe ohnehin noch keinen Reiseweg gewählt.“

„Und noch etwas anders; du solltest den Steppendialekt lernen.“

„Den Steppendialekt? Was ist das?“

„Es ist eine Sprache, die von allen Völkern zwischen dem Atil – Strom und dem Land der Mongolen verstanden wird.“

„Und wo soll ich diese Sprache lernen?“

„Ich kenne eine alten Mann aus dem Volk der Usbeken, der kann sie dich lehren. Sie ist nicht schwer zu erlernen, kennt keine komplizierte Grammatik wie Griechisch oder Latein. Du wirst aber keine großen philosophischen Dispute führen können. Aber das ist auch nicht notwendig, die Steppenvölker kennen ohnehin keine Philosophie. Es ist nur wichtig, daß du dich verständigen kannst.“

Er pausierte kurz.

„Du sprichst unsere Sprache, verstehst du auch die griechische Schrift zu lesen?“

„Ja, das verstehe ich.“

„Dann habe ich etwas für dich. Es kostet nur drei Hyperpyra.“

Er zog ein Büchlein aus seiner Umhängetasche hervor.

„Es enthält die wichtigsten Worte des Steppendialektes und ihre griechische Bedeutung.“

„Drei Hyperpyra sind viel.“

„Bedenke, welchen Nutzen dir das Buch bringen wird. Und ich gebe dir auch die Adresse des Usbeken.“

Hagen überlegte nicht lange. Der Grieche wollte Geld verdienen, ihm die Ratschläge nicht kostenlos geben. Und vielleicht waren sie wertvoll. Er willigte ein.

Hagen blieb vier weitere Monate in Konstantinopel, lernte fleißig den Steppendialekt. Der Usbeke war nicht nur ein hervorragender Sprachlehrer, er berichtete ihm auch über die Gegenden, welche er auf dem Weg nach China durchqueren werde, aber auch über die Handelsstädte entlang der Handelsstraßen, über die Völker, die dort lebten, über ihre Lebenweise, ihre Sitten. Hagen erfuhr auch, bei welchen Stämme er großzügige Gastfreundschaften geniesen könne und welche Stämme er besser meiden solle.

3. In Chartonistan

„Wir ziehen weiter“, sagte Hagen eines Abends zu Jork, „du kannst hierbleiben, wenn du magst.“

„Nein, ich ziehe mit.“

Sie hielten sich zunächst nach Norden, überquerten die Donau, reisten dann entlang der Küste. Sie fanden gastliche Aufnahme, Ablehnung, aber keine wirkliche Feindseligkeit, blieben von Überfällen verschont. Sie waren mittlerweile mehrere Wochen unterwegs, hatten bereits den Atil überquert. Eines Nachmittags kamen ihnen etwa ein Dutzend Reiter entgegen, die sie unvermittelt attackierten.

Die beiden wehrten sich tapfer, wären aber aber der Übermacht der Räuber erlegen, wenn sie nicht unerwartete Hilfe erhalten hätten. Ein Reiter sprengte heran, fuhr unter die Räuber als sei er der Teufel in Person. Nachdem er innerhalb weniger Augenblicke fünf Räuber niedergesteckt hatte, verloren diese den Mut, flohen.

„Vielen Dank für deine Hilfe, Fremder“, rief ihm Hagen zu, hielt ihm die Hand hin.

Der Reiter nahm sie entgegen, lächelte abei.

„Ihr gehört einem Volk des Westens an, bei uns ist es nicht Sitte, die Hand zum Gruß zu reichen.“

„Ja“, antwortete Hagen, „ich bin ein Ritter aus dem Deutschen Reich. Dort leben mehrere Stämme unter der Herrschaft eines Kaisers. Mein Name ist Hagen von Alzay. Ich gehöre dem Stamme der Franken an.“

„Ich habe von eurem Kaiser gehört. Er ist ein tapferer Mann. Er hat die Seldschuken in der Schlacht bei Ikonion besiegt nachdem der verräterische Sultan sein Versprechen brach und das Heer heimtückisch überfiel.“

„Der Kaiser starb kurze Zeit später. Nun regiert sein Sohn.“

„Nahmst du auch an dem Feldzug teil?“

„Nein, das liegt schon einige Jahre zurück. Wir beide mußten aus der Heimat fliehen, ziehen nun durch die Welt.“

„Und wo wollt ihr hin?“

„Ich weiß es nicht genau, vielleicht nach China.“

„Das ist weit. Kommt mit mir.“

„Wer bist du? Und wo willst du hin?“

„Verzeih, ich habe ja meinen Namen noch nicht genannt. Ich heiße Tartur, gehöre dem Volk der Chasaren an. Früher hatten wir einmal ein mächtiges Reich, doch es ist untergegangen und nun leben wir verstreut in der Steppe.“

„Und wo willst du hin?“

„Ich bin ein Ausgestoßener.“

„Ein Ausgestoßener?“

„Ja, der Sohn unseres Clanhäuptlings hatte es auf ein Mädchen abgesehen, das allerdings nichts von ihm wissen wollte. Doch der bedrängte sie. Einmal, als er ihr Gewalt antun wollte, eilte ich ihr zu Hilfe, schlug den Kerl nieder. Dies galt als eine schwere Beleidigung. Die Sache kam vor den Rat der Ältesten. Der entschied auf einen Zweikampf. Ich siegte, doch der Vater sann auf Vergeltung, erreichte, daß ich ausgestoßen wurde. Ich will nicht Räuber werden, bin daher auf der Reise nach Chartonistan. Ich will König Gurdulan meine Dienste anbieten. Er braucht Männer im Kampf gegen verräterische Fürsten, die ihn vom Thron stoßen wollen. Kommt mir mir, er bezahlt gut, wie ich hörte. Laßt euch aber nicht als einfache Soldaten anwerben. Da habt ihr ein elendes Leben. Das mindeste ist Scharführer, sehr gut wäre natürlich Führer einer Hundertschaft, aber die Aussichten als Fremder eine solche Stellung zu erhalten sind gering, sage ich euch.“

Hagen überlegte kurz.

„Du sagtest er bezahlt gut. Nun, wir sind arme Reisende, besitzen nicht viel mehr als unsere Pferde. Und es wäre nicht schlecht, den Beutel für die Weiterreise zu füllen. Was meinst du, Jork?“

„Was fragt Ihr mich? Ihr seid der Herr, Ihr entscheidet.“