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Alles fängt wie immer harmlos an. Einem älteren Mann ist die Partnerin davongelaufen. Er beauftragt einen Privatdetektiv. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Es gibt Tote. Ermittlungen in der Szene von Transsexuellen. Die entlaufene Partnerin entstammt dieser Szene. Es gibt einen weiteren Toten und einen Anschlag auf den Privatdetektiv. Die Polizei ermittelt. Bald stellt sich heraus, es geht auch um Drogen und um verschwundenes Geld aus einem zurückliegenden Bankraub. Der Privatermittler gerät immer tiefer hinein und auch persönlich in größere Gefahr. Dennoch findet er die Verschwundene. Sie lebt bei einem schwerreichen Amerikaner, hat wieder einmal ihre Identität gewechselt. Doch, da geschehen neue Morde. Ist es ein Rachefeldzug wegen der verschwundenen Beute? Der Privatermittler ist der Polizei fast immer einen Schritt voraus. Aber damit auch der Gefahr näher. Der Schluss? Er wird nicht verraten, er ist wie im Leben eine Überraschung und auch wieder keine.
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Seitenzahl: 498
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Zum Buch
Alles fängt wie immer harmlos an: Einem älteren Mann ist die Partnerin davongelaufen. Er beauftragt einen Privatdetektiv. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Es gibt Tote. Ermittlungen im Transsexuellenmillieu. Die entlaufene Partnerin entstammt dieser Szene. Es gibt einen weiteren Toten und einen Anschlag auf den Privatdetektiv. Die Polizei ermittelt. Bald stellt sich heraus, es geht auch um Drogen und um verschwundenes Geld aus einem zurückliegenden Bankraub. Der Privatermittler gerät immer tiefer hinein und auch persönlich in größere Gefahr. Dennoch findet er die Verschwundene. Sie lebt bei einem schwerreichen Amerikaner, hat wieder einmal ihre Identität gewechselt. Doch, da geschehen neue Morde. Ist es ein Rachfeldzug wegen der verschwundenen Beute? Der Privatermittler ist der Polizei fast immer einen Schritt voraus. Aber damit auch der Gefahr näher. Der Schluss? Er wird nicht verraten, er ist wie im Leben eine Überraschung und auch wieder keine…
Zum Autor
Klaus Funke, geboren in Dresden, ist ein bekannter Autor zahlreicher belletristischer Genres: Musikerromane – historische Romane – Romane zur politischen Gegenwart – Krimis – Kabarettistisches. Einige sind bei BoD erschienen, andere bei größeren Verlagen
back to black
He left no time to regret
Kept his dick wet
With his same old safe bet
Me and my head high
And my tears dry
Get on without my guy
You went back to what you knew
So far removed
From all that we went through
And I tread a troubled track
My odds are stacked
I'll go back to black
We only said goodbye with words
I died a hundred times
You go back to her
And I go back to
I go back to us
I love you much
It's not enough
You love blow and I love puff
And life is like a pipe
And I'm a tiny penny
Rolling up the walls inside
We only said goodbye with words
I died a hundred times
You go back to her
And I go back to
We only said goodbye with words
I died a hundred times
You go back to her
And I go back to
Black, black
Black, black
Black, black
Black
I go back to
I go back to
We only said goodbye with words
I died a hundred times
You go back to her
And I go back to
We only said goodbye with words
I died a hundred times
You go back to her
And I go back to black
(Songtext von Amy Winehouse) )
In diesem Frühjahr merkte ich das erste Mal, dass ich alt wurde.
Ich konnte beim Pinkeln nicht mehr den Strahl sehen und er war ab und zu unterbrochen wie bei einem abgeknickten Gartenschlauch. Auch vergaß ich immer häufiger Namen, wo ich mich früher fast als ein wandelndes Adressbuch hätte ausgeben können. Plötzlich war er weg, der Name, und später, manchmal gleich, manchmal viel später tauchte er zu den unpassendsten Gelegenheiten wieder auf. Komisch, nicht wahr? Gut. Nicht, dass mich das alles besonders gestört hätte und ich machte mir auch keine Gedanken weiter. Ich spürte nur, irgendetwas war anders als sonst, ich war nicht mehr der alte, mich schien das „Früher-war-alles-besser-Syndrom“ ergriffen zu haben.
Auch in meinem sonstigen Leben war in diesem Frühjahr vieles anders geworden. Ich hatte mein Jurastudium im 5. Semester abgebrochen. Irgendein alter Bekannter hatte mir vor einiger Zeit geraten: Studier doch noch was, egal was, auch wenn du schon über Vierzig bist, am besten Jura, das kannst´e immer brauchen. Und, da ich sowieso dabei war, alles umzukrempeln, nahm ich seinen Vorschlag an. Das war vor zwei Jahren gewesen: meine Frau war mir gerade davon gelaufen. Richtige Gründe hatte sie nicht angegeben. Kinder hatten wir nicht und wir waren ungefähr zehn Jahre zusammen gewesen, wenn man die Kennenlernphase mitrechnet. Eines Tages war sie weg, abgehauen mit einem zwanzig Jahre jüngeren Studenten. Seinen Namen weiß ich nicht. Vielleicht konnte er es besser als ich, auf alle Fälle länger. Scheiß drauf, ich würde ihr nicht nachtrauern oder gar hinterher rennen. Meine Schreiberei – richtige Schriftstellerei war es ja sowieso nie gewesen – hatte ich auch an den berühmten Nagel gehängt. Nicht viel war dabei herausgekommen und ich fand auch keinen richtigen Verlag. Gerademal 3 Bücher in 5 Jahren, mit Kleinauflagen von ein paar Hundert. Hatte alles nur viel Geld gekostet und noch mehr Nerven und Zeit. Nicht mal die Eitelkeit konnte ich richtig befriedigen. Nein, das war vorbei. Und so schien mir das Studieren gerade recht. Und es gefiel mir am Anfang auch ganz gut. Eine riesige Faulenzerei war das. Den ganzen Tag nur rumsitzen und zuhören, mal ein Seminar, eine Belegarbeit – na und? Dafür Studentenleben bis zum Abwinken - herrlich. Ich glaube, ich habe in den 5 Semestern alle Kneipen der Stadt kennengelernt. Und ein bisschen Geld aus einer Erbschaft hatte ich auch, bekam sogar Bafög…
Doch nun gefiel mir das Studieren nicht mehr, alles öde und zum Einschlafen langweilig, ringsum nur so farblose Bürschchen, dafür jede Menge schönbunte Girls, aber ich kriegte nichts ab. Nicht eine einzige. Nicht mal die hässlichste interessierte sich für mich. Ich war einfach zu alt. Ein alter Knochen eben! Manche sagten „Oldie“ zu mir, das waren noch die freundlichsten, andere riefen: „Na Opi? Schon die Rente beantragt?“
Wisst ihr wie das frustet, wenn dir einer die Rente zutraut und du bist gerademal 42?
Also hatte ich das Jurastudium aufgegeben. Doch irgendetwas muss man ja machen, irgendwie ein Pfund Kohle verdienen.
Da kam wieder der alte Bekannte, von dem ich schon erzählt habe, und er hatte wieder eine Bombenidee: Mensch, du hast jetzt ein paar Semester Jura studiert, früher hast du Bücher geschrieben, du kennst ein Haufen Leute bei der Polizei – das war natürlich Blödsinn und heillos übertrieben, denn genaugenommen kannte ich nur einen von der Polizei, nämlich Herrn Persicke, Paul Persicke, einen pensionierten Hauptkommissar von der Kripo, der wohnte bei uns im Erdgeschoss.
Also mach doch eine private Detektei auf, schlug mein Bekannter vor, ein paar Liebhaber aufspüren, irgendetwas Verlorenes wiederfinden, eine Perlenkette, einen entlaufenen Terrier oder sonst was, vielleicht als Krümelfresser bei einem oder mehreren Scheidungsanwälten. Irgend sowas, verstehst du? Los, melde ein Gewerbe an. Mach schon. Komm aus dem Arsch. Ich helfe dir auch am Anfang, mach für dich ein paar Botengänge oder knipse diesen oder jenen Ehebrecher mit der Polaroid oder mit ´nem Teleobjektiv, höre in der Kneipe die Gespräche der Verdächtigen mit dem Recorder ab.
So quatschte mein alter Bekannter – wahrscheinlich hatte er zu viel über Philip Marlowe gelesen - aber ihr glaubt es nicht, ich meldete tatsächlich ein Gewerbe an. Als Privatermittler, Privatdetektiv. Private Ermittlungen, Observationen, diskret, preiswert und schnell. Sogar staatliche Fördermittel würde ich kriegen, sagte die vom Arbeitsamt. Eine üppige Blondine mit einem Ausschnitt so groß wie eine Tunneleinfahrt. Die Jurastudien würden mir als Fachkenntnisse angerechnet. Sie servierte mir einen Kaffee, rückte mir auf den Pelz, sie roch nach Lavendelblüten und sie hatte verschiedenfarbig lackierte Fingernägel. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte mich gleich in ihrem Dienstzimmer auf dem Schreibtisch vernascht, und ich stellte mir vor, mit dem nackten Hintern auf ihren Akten zu sitzen, während auf ihrem PC der Bildschirmschoner mit dem Logo vom Arbeitsamt vor sich hin trudelte. Ich verabschiedete mich schnell, hastig, überstürzt und raus war ich. Gottseidank.
Also, ihr glaubt es nicht, es ging wirklich los mit der Detektei. Ich hatte mir Visitenkarten und Flyer machen lassen und die dann überall, in einschlägigen Anwaltskanzleien und in den Fluren vom Amtsgericht ausgelegt, auch hatte ich annonciert, zweispaltig und exklusiv. Verdammt, das alles kostete mich einen Haufen Geld. Aber, ihr wisst ja: Ohne Speck – keine Mäuse.
Plötzlich eines Tages, ich glaube, es war mein dritter Tag als Privatdetektiv Franz Aufdegger, da klingelte mein Telefon. Aufdegger! Blöd, was? Ja, lacht nur, aber so heiß ich nun einmal, hat mir schon viel Spott eingebracht, der Scheißname. Wenigstens mit doppeltem „g“, sonst mit „ck“ wäre es noch blöder gewesen. Aber, sollte ich mir für viel Geld einen neuen Namen zulegen? Nein, natürlich nicht. Das Telefon war ein uraltes, mattschwarz, noch mit einer 5-Meter-Schnur und einer Wählerscheibe – so mit Löchern für die Finger, ich sag das nur für die, welche nie ein solches Telefon gesehen haben. Klar, es hatte weder Speicher noch Wahlwiederholung. Dafür echt Retro. Ich dachte, so was macht Eindruck, fast wie bei Columbo. Und es war auch tatsächlich das Eindrucksvollste in meinem Büro. Wenn ich mal von einem rotweißen Cadillac-Modell im Maßstab 1 : 18 absehe, der auf meinem wurmstichigen Schreibtisch absprungbereit wie ein Tiger stand. Ich hatte ihn aus einer Haushaltauflösung gerettet. War schon in der Sperrmüllpresse gelandet. Und natürlich, eindrucksvoll war auch die Mattglasscheibe in der Tür mit dem verschnörkelten Sütterlin-Logo „FA – Investigations* – so viel International*, will sagen so viel English*“ muss sein.
(* bitte beim Lesen englisch aussprechen!)
Also mein Retro-Telefon klingelte - rring, rring - und es klingelte so den Nerv tötend schrill – rring, rring - richtig ins Unterbewusste dringend wie die alten Telefone früher geklungen haben – rring, rring - so ein Klingelton weckt Tote auf – rring, rring - erinnert ihr euch noch an die Eingangsszene von „Es war einmal in Amerika“? Genauso klingelte es. Rring, rring. So durchdringend, so vibrierend. Und ich genoss diesen Klingelton, ich ließ es rasseln, vielleicht eine ganze Minute lang. Wisst ihr wie lang eine Minute Telefongeklingel sein kann?
Also, ich nahm den alten Retro-Hörer in die Hand, er fühlte sich kalt an und er roch auch so herrlich antik. Der jahrzehntelange Tabakgeruch – es hatte vor 40 oder 50 Jahren mal einem entfernten Verwandten und veritablen Zigarrenraucher gehört - war bis ins Gehäuse gekrochen und hatte sich dort niedergelassen.
Ja, hier Aufdegger!
Erst hörte ich gar nichts, nur so ein Lispeln. Am anderen Ende war ein Flüsterer. Offenbar ein vollkommen schüchterner und ängstlicher Typ. Angst vor dem eigenen Entschluss – so einer. Er sprach hastig wie ein Schnellsprecher von der Arzneimittelwerbung im Fernsehen, wenn es um die Nebenwirkungen geht, und er sprach furchtbar leise und er lispelte nur so ins Telefon. Ich verstand bloß die Hälfte. Auf alle Fälle wollte er mich treffen, und zwar heute noch und in einem Gartenlokal an der Elbe. Das hieß Rosengarten. Ich kannte dieses Lokal, war aber schon länger nicht mehr dagewesen. Dort also wollte er mir alles erklären und mir einen Auftrag erteilen. Seinen Namen hatte ich nur halb verstanden: Irgendetwas mit Schollenau, Schlomau oder Schlottau oder so ähnlich. Er hatte auch seinen Beruf genannt. Er wäre Buchhändler, hatte er geflüstert und er redete so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte, zumal es just in diesem Moment unter meinem Fenster lärmte, weil ein 40-Tonner mit loser, scheppernder Ladung vorbeigepoltert war. Egal, die Uhrzeit verstand ich noch. Um sieben Uhr am frühen Abend sollte es sein. Klick! Das Gespräch war zu Ende.
Mensch, mein erster Auftrag!
Ich überlegte, ob ich so ganz normal zu dem Treff gehen sollte oder ob ich mich wie Sherlock Holmes verkleiden sollte. Ich entschied mich für den Alltagslook.
Wie immer kam ich zu spät. Ein altes Prinzip von mir, zu spät zu kommen, um von einem möglichst unauffälligen Beobachtungspunkt erst einmal zu schauen, wie nervös der andere ist, weil er glaubt, der Termin würde platzen. So war es auch hier. Ich sah den Buchhändler sofort, unabhängig davon, dass wir ein Erkennungszeichen, das auffällige Schwenken der Speisekarte nämlich, vereinbart hatten. Er wedelte nervös mit der Karte herum, blickte sich wie ein gehetztes Wild um, wirkte verstört und genervt. Der Buchhändler war ein auffallend dünner und zierlicher Mann, etwa im gleichen Alter wie ich, klein, zart, aber mit einem markanten Gesicht, das viele weibliche Züge aufwies, mit einer ziemlich großen, leicht gebogenen Nase, hervorstehenden Wangenknochen und einem schmallippigen, seltsam verkniffenen Mund. Alles in allem keine männliche Schönheit, eher wirkte er wie ein vertrockneter Archivar. Wie ein gealterter Junggeselle. Das Gesicht war unter den Augen stark gerötet, wie bei einem, der unter hohem Blutdruck leidet und kurz vor einem Herzanfall steht. So gesehen hätte das Wedeln mit der Speisekarte auch der Versuch gewesen sein können, sich Kühlung und frische Luft zuzufächeln…
Ich trat an den Tisch, deutete eine Verbeugung an, sagte:
Da bin ich. Sie sind Herr Schlottau?
Herr Aufdegger?
Der Buchhändler fuhr auf, sprang von seinem Stuhl hoch, reichte mir über die weiße Tischdecke hinweg seine kleine, trockene Hand. Sie fühlte sich an wie die einer Frau.
Oh guten Tag. Ja, ich bin der Buchhändler Schlottau. Hans-Jörg Schlottau.
Ich setzte mich. Auch mein Gegenüber nahm wieder Platz. Offenbar wusste er nicht, wie er beginnen noch was er sagen sollte und so stotterte er: Wollen wir etwas…? Er deutete auf die Speisekarte.
Trinken, meinen Sie? fragte ich zurück. Schlottau nickte heftig, scheinbar erleichtert.
Gut, trinken wir was.
Der Kellner kam. Ich sagte: Bringen Sie mir ein Kännchen Kaffee, schwarz ohne Zucker und einen großen Armagnac, gut gekühlt.
Und Sie? Der Kellner starrte vorgereckten Kopfes den Buchhändler an.
Ich? Ich nehme ein Glas Tee, grünen bitte, wenn´s geht.
Und, da ich erstaunt aufschaute, entschuldigte er sich: Nein bitte, keinen Alkohol.
Der Kellner ging ab.
Ohne Umschweife eröffnete ich das Gespräch, denn ich spürte sofort, dass ich dies tun müsste. Vielleicht hätten wir uns sonst lange Minuten schweigend gegenüber gesessen. Also sagte ich das Banalste, was mir einfiel:
Wissen Sie, ich bin hier schon Jahre nicht mehr gewesen…
Wirklich extrem banal, dachte ich, beinahe albern und ich ergänzte rasch: Das letzte Mal, warten Sie, ja das ist bestimmt vor sechs oder sieben Jahren gewesen, da war ich noch verheiratet. Ja, ich war mit Jenny hier – Jenny so heißt meine Geschiedene.
Intuitiv hatte ich gespürt, dass ich das Thema auf das weibliche Geschlecht, auf die Ehe, auf eine Frau leiten müsste. Irgend sowas, ein Frauenproblem, ein Eheproblem, sowas hätte diesen Schlottau in meinen Köcher gebracht, dachte ich. Ich wusste es nicht, wirklich nicht, aber ich fühlte, ich roch es geradezu… und siehe da! Peng! Ich hatte ins Schwarze getroffen… eine glatte Zwölf.
Der Buchhändler wurde rot übers ganze Gesicht, bis hinter die Ohren und bis in den Hals hinein zog sich die Röte – er sah wie ein rötlicher Pfirsich aus, natürlich nicht wie ein frischer, eher wie einer, der schon ein paar Tage überlagert ist. Oder ein anderes Bild: er öffnete seinen schmallippigen Mund und er wirkte wie ein an Land gezogener untermaßiger Karpfen, der nach Luft schnappt – und er blieb stumm wie ein Fisch, das Maul halb geöffnet - die Worte wollten einfach nicht heraus aus ihm. Sie steckten fest. Marke Kloß im Hals. Um im Bild mit dem Fisch zu bleiben: Er hatte den Köder mitsamt dem Haken verschluckt, verdrehte die Augen und hielt sein Maul offen... o.k. Schluss mit den Bildern. Es reicht.
Ich half ihm, ich fragte direkt, fragte brutal: Es geht um eine Frau? Ihre Frau?
Der Buchhändler klappte seinen Mund zu, schluckte, man sah seinen Adamsapfel wie einen Paternoster auf- und niederfahren, dann kam ein trockenes „Ja“ von seinen Lippen. Am liebsten hätte er zur Seite geblickt. Aber das ging irgendwie nicht. Ich fragte schnell und hart nach:
Was ist passiert?
Sie ist weg, seit 3 Monaten.
Wie, sie ist weg?
Ja, sie hat mich verlassen, ist einfach verschwunden, von einem Tag auf den anderen.
Apropos „anderen“, fragte ich hundsgemein nach. Hat sie ´n „andern“?
Nn… nein, um Gotteswillen. Ich glaub nicht. Nein, ich weiß es nicht.
Wo ist sie denn hin? Gewöhnlich fliehen Ehepartnerinnern zu ihren Müttern… oder zu irgendwelchen nahen Verwandten, zu Schwestern, Tanten, Nichten oder zu Töchtern, wenn sie schon älter sind und welche haben.
Nein. Ihre Mutter lebt nicht mehr… und nahe Verwandte? Ich weiß nicht…nein.
Der Buchhändler senkte den Kopf, er schien zu zittern. Dann ballte er seine kleinen Fäuste und eine dicke Träne rollte seine welke Pfirsichwange hinab.
Verdammt, ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts, stieß er hervor.
Also, Sie wissen nicht, wohin Ihre Partnerin verduftet sein könnte? Sie haben keine Ahnung? Gibt es wirklich keine Spur, keinen Verdacht, wo sie sein könnte?
Nein.
Dann fiel mir etwas ein und ich fragte: Hat sie ein Lieblingslokal? Manchmal wissen die was. Vielleicht hat sie sich beim Chef, beim Barkeeper oder einem Kellner ausgeheult?
Wieder wurde der Buchhändler feuerrot. Dann stotterte er: Ich… ich glaube i… im „Drag-Queen“ ist sie manchmal gewesen.
Was?? In diesem Schuppen? So, so. Im „Drag-Queen“, hm, entgegnete ich.
Das „Drag-Queen“ war eine im Stadtteil Neustadt bekannte Schwulenkneipe, ein übles Lokal, bekannt als Treffpunkt von Schwulen, Transen und allerlei Gelichter, sogar in der Drogenszene eine frequentierte Adresse, auch Kriminelle und Halbweltdamen sollen da zu finden sein.
Und dort, in diesem Etablissement, haben Sie da nicht mal nachgefragt?
Um Gotteswillen, Herr Aufdegger, wehrte Schlottau ab, in so ein Lokal gehe ich nicht… mein Ruf…nein, niemals immerhin, wissen Sie, ich führe eine respektable Buchhandlung, habe Auszeichnungen bekommen, ich stehe in der Öffentlichkeit, habe viele ehrenwerte Stammkunden, das gute Bürgertum der halben Stadt verkehrt bei mir…
Klar, ich verstehe… aber zur Polizei hätten Sie gehen können? Warum tun Sie das nicht?
Ich? Zur Polizei? Wegen meiner Chanel? Dass das dann aktenkundig wird? Nein.
Ach, Ihre Frau heißt Chanel? Natürlich Schlottau, Chanel Schlottau?
Nein, nein, wir sind nicht verheiratet. Sie heißt Chanel Santini…
Oh, Santini, das klingt aber verdammt nach Künstlername? Und ein bisschen Französisch? Ist sie Italienerin… Kanadierin, Amerikanerin, Französin?
Um Gotteswillen, nein. Chanel, Chanel Santini, ist tatsächlich ihr, sagen wir mal Künstlername. Steht sogar in ihrem Ausweis. Mit bürgerlichem Namen heißt sie Beierle. Geboren in Plauen vor dreißig Jahren. Sie ist letzte Woche Dreißig geworden… oh, nicht mal ihren Geburtstag haben wir… wieder seufzte der Buchhändler, wieder rollte eine Träne.
Der arme Kerl tat mir leid. Ich wollte ihn aufmuntern, fragte: Sie ist wohl Künstlerin, Ihre Partnerin? Ich meine wegen des Namens…
Hm, ja gewissermaßen ist sie das - eine Künstlerin. Sie hat ein bisschen gemodelt, wollte zum Film, es gab sogar schon so eine Art Vorvertrag, auch Probeaufnahmen… aber dann ist daraus nichts geworden…
Sie bekam wohl ein Kind? fragte ich roh und rücksichtslos wie einer vom Finanzamt.
Nein, um Gotteswillen, Kinder, nein, niemals… das war es nicht.
Was war es dann?
Ach, das hängt wohl mit ihrem spontanen Charakter zusammen. Nein, plötzlich wollte sie nicht mehr. Sie wollte lieber singen… in einer Band… und sie hat auch wirklich eine schöne Stimme, so einen vollen, rauchigen Alt, wenn Sie wissen, was ich meine…
Ich nickte, o.k. kann es mir vorstellen
Ja und sie hatte da ein paar Typen, alles Musiker, wohl auch im „Drag-Queen“ kennengelernt. Die wollten ein Demo-Tab aufnehmen… Pardon, so richtig weiß ich nicht Bescheid. Ich hab ihr viel Freiheit gelassen. Sie sollte sich selbst finden, ausprobieren, wenn Sie wissen, was ich meine….. sie hat ja generell eine künstlerische Ader, schon ein bisschen auch ein exhibitionistisches Talent, wenn Sie wissen, was ich meine…
Wieder nickte ich. Klar, kann ich mir vorstellen… haben Sie ein Foto von ihr?
Ja, hab ich, antwortete der Buchhändler und er sah plötzlich stolz aus, als er mir die Fotographie über den Tisch schob…er blühte regelrecht auf, beschaute mich mit einem Lauerblick.
Es war eine Hochglanzfotografie, schon ein bisschen abgegriffen, Postkartenformat, ein typisches Bewerbungsfoto. Die junge Frau darauf, mittelgroß, sehr attraktiv, dunkle Haare, hinten zu einem Knoten geknüpft, asiatischer Typ mit mandelförmigen dunklen Augen, wenig geschminkt, sinnlicher Mund, die Figur schlank, nicht sehr viel Brust, unten schmal gebaut, insgesamt ein tolles Weib. Solche sind gefragt, dachte ich. Die machte was her, ohne Zweifel, auf so eine kann man stolz sein, wenn man sie im eigenen Besitz hat… trotzdem irgendwie, ich beschaute mir die Fotografie genauer, drehte sie hin und her, trotzdem, irgendetwas stimmte nicht mit der Dame. Da war etwas, ich konnte es mir nicht erklären, nicht enträtseln, da war etwas Falsches, Unechtes, ordinär Präsentables…mein Instinkt sagte mir: O.k., das wird ein richtiger Fall, hier werde ich mich festbeißen.
Ich fragte: Herr Schlottau, darf ich die Fotografie behalten? Nur zu Recherchezwecken, verstehen Sie. Sie kriegen sie dann unbeschadet wieder… ich lächelte.
Gewiss, sagte der Buchhändler, behalten sie die nur… ich hab ja noch ein paar mehr.
Oh Pardon, da wär noch was! Ich machte die berühmte Bewegung zwischen Daumen und Zeigefinger. Für den Anfang bin ich mit einem Pauschalhonorar einverstanden. Sagen wir Fünfhundert fürs erste. Wenn dann noch zusätzliche Ausgaben hinzukommen, werden wir sehen…
Gewiss, mein Herr, das versteht sich. In Ordnung Fünfhundert. Ich habe hier eine Art Vertrag aufgesetzt. Muss ja alles seine Ordnung haben. Der Betrag müsste noch eingetragen werden. Er zog ein paar Blätter aus seiner Jacke, reichte sie mir über den Tisch.
O.k. sagte ich, ich schau mir das durch – ich schwenkte die Blätter - und schicke Ihnen die unterschriebenen Kopien zu. Einverstanden? Oder wir treffen uns. Ganz wie Sie wollen.
Zuschicken wäre gut. Treffen können wir uns ja, wenn Bedarf besteht…
Wir gaben uns die Hände. Seine kleine schmale Frauenhand lag in meiner Pranke.
Auf Wiedersehen. Ja, machen Sie´s gut.
Ich hatte meinen alten Bekannten angerufen, ich wollte ihn dabei haben, wenn ich ins „Drag-Queen“ ging. Das würde mich beruhigen. Mein alter Bekannter – er hieß übrigens, was heißt „hieß“, er heißt heute noch immer Willi Nagelschmied – also, der war im früheren Leben mal Wrestling-Kämpfer gewesen, auch Ringer, Boxer, alles sowas, ein Kraftmensch. Inzwischen natürlich älter geworden, älter als ich, schon über die Fünfzig. Er arbeitete ab und zu bei einer Security-Firma, ansonsten liebte er das Motoradfahren, besaß eine japanische Rennmaschine, ein prächtiges Teil in Schwarzrot, eine „Ninja“ mit über 120 PS. Nein, ich bin nie mitgefahren, der Willi fährt, wie man hier sagt, wie eine gesengte Sau, bin doch nichts lebensmüde und einen Organspendenausweis hab ich auch nicht.
Also Willi sollte mich in das Lokal begleiten. Es war schon nach 20 Uhr. Die Sonne war eben untergegangen, in den Straßen hatten sie die ersten Lampen angezündet. Ein paar Fenster wurden hell. Es roch nach Sommerabend und irgendwoher auch nach glimmender Holzkohle und Gegrilltem. Man hörte entfernt Lachen und Musik. Irgendeinen uralten Rock´n Roll von Fats Domino. Autos hupten. Paare flanierten. Willi und ich, wir hatten uns ein paar Straßen entfernt vom „Drag-Queen“ getroffen, wir wollten zu Fuß hingehen. Mit den Parkplätzen war es dort sowieso schlecht. Ich berichtete Willi kurz von meinem Gespräch mit dem Buchhändler. Ach, so einer, rief er und lachte, ich wette, mit diesem Weib stimmt was nicht, da stinkt was ganz gehörig, glaub mir, ich hab das im Urin. Meine Blase drückt schon wieder…
Wir gingen ein paar Minuten, dann tauchte das Portal des „Drag-Queen“ auf, links und rechts die beleuchteten Werbetafeln mit den Angeboten an Getränken, Speisen und Unterhaltung. Ja, es gab mittwochs, freitags und samstags kleine Showeinlagen, Gesang, Tanz, Striptease, Akrobatik, Zauberkunst – all sowas. Im Ganzen nichts Besonderes, eher billiger Provinzkram. Oben über dem Eingang ein vorstehendes Dach mit kleinen, verschieden farbigen Lämpchen, darüber Neonreklame, eine stilisierte Drag-Queen und eine Banane in Gelb und Rot. Drei Stufen führten hinauf zum Eingang, dann kam eine doppelte Schwingtür, die Treppe war mit einem abgetretenen, grünen Kunststoffteppich belegt, wisst ihr, so eine Matte wie sie Skispringer beim Sommerspringen benutzen.
Früher, kurz nach dem Krieg, das Viertel war von Bomben verschont worden, war dieses Lokal eine wahre Proletenkneipe gewesen, zuerst noch in Privatbesitz, so mit Samstagstanz, wo eine Drei-Mann-Combo „Die drei Colandos“, Klavier, Bass Schlagzeug, aufspielten, manchmal auch zusätzlich mit Saxophon. Später kam das Lokal in Staatsbesitz, nannte sich HO-Gaststätte „Hotel Königshof“, Hotel deshalb, weil obendrüber noch ein Flur mit sechs oder acht Zimmern dazugehörte. Es gab samstags Tanz und ganz bürgerlich zum Sonntagnachmittag Tanztee. Es spielten abwechselnd verschiedene Combos oder ,wie sie sich später nannten, Bands, mit Show- und Gesangseinlagen, sogar ein paar DDR-Stars hatten hier ihre Auftritte gehabt, Sänger wie der Schöbel oder der Holm, auch die Fischer sind ein paar Mal aufgetreten. Nichts Großes, nur so Gelegenheitsmucken. Trotzdem, typisch DDR, der „Königshof“ wurde als Geheimtipp gehandelt. Zum Ende der DDR umso mehr, weil hier Verpönte, Verbotene, auch mal ein kleiner, noch unbekannter Weststar, aufgetreten sind. Sogar das „Neue Forum“ hat hier mal eine Versammlung abgehalten. Ehrengast soll „Rio Reiser“ gewesen sein. Alles natürlich streng geheim. Einladung nur per Flüsterpropaganda. Ob die berüchtigte Stasi im „Königshof“ einen Dauergast platziert hatte, weiß ich nicht. Angeblich soll der Wirt ein IM gewesen sein…
Dann kam die Wende. Mensch! Dreißig Jahre ist das nun schon her. Der „Königshof“ wurde abgewickelt, stand zwei oder drei Jahre leer. Dann kaufte ein Westdeutscher, ein wohlhabender Pfälzer, den Laden und machte ein Szenelokal daraus. Das „Drag-Queens“. Treffpunkt für Transsexuelle, Crossdresser, Schwule und Lesben. Was für eine Sensation Mitte der Neunziger. Das Geschäft boomte wie irre. Das Lokal wurde blitzschnell stadt - und landesbekannt. Dann aber kam die Rutsche, die schiefe Bahn. Dreimal wechselten die Geschäftsführer. Es half nichts, der Ruf sank zusehends, zu viele Kriminelle, vor allem Drogen und Prostitution, Gewalt, zu viele Polizeieinsätze, auch im Internet eine zunehmend übel beleumundete Adresse. Ich kannte den Laden nur aus den Anfangsjahren, also aus den Neunzigern, war selbst hier in der Straße, weil Einbahnstraße, Sackgasse, kaum Parkplätze und so, schon ein paar Jahre nicht mehr gewesen…
Wir gingen langsam über die Straße, dann auf dem Bürgersteig auf das Lokal zu, ich hatte schon die Hand am Geländer, als plötzlich oben vor uns die Schwingtüren mit einem mächtigen Ruck aufgingen Es segelte etwas die Treppen herunter, rutschte noch zwei Meter auf dem Bürgersteig und landete schließlich zwischen zwei parkenden Autos im Rinnstein. Es landete auf Händen und Knien und gab einen hohen, singenden Ton von sich, wie eine in die Enge getriebene Ratte. Langsam erhob es sich, angelte nach einer Schirmmütze und trat zurück auf den Bürgersteig. Es war ein dünner, ziemlich abgerissener Jüngling in einem abgeschabten, lilafarbenen Anzug, mit einer rosa Schleife im Knopfloch. Er hatte glattgestrichenes, geöltes schwarzes Haar. Er stand da mit offenem Mund und stieß einen Jammerlaut aus. Ein paar Straßenpassanten waren stehen geblieben, glotzten ihn gleichgültig an, gingen dann kopfschüttelnd weiter. Der junge Kerl setzte sich seine Schirmmütze auf, drückte sich an die Wand, schob sich, mit den Händen Halt suchend, ein paar Schritte weiter, dann voll aufgerichtet ging er, seinen Lauf beschleunigend, ohne ein weiteres Wort davon. Oben in den Schwingtüren erschien ein großer, kräftiger Mensch, ein Möbelwagen von einem Mann, in schwarzer Uniform mit Aufnähern wie ein New-Yorker Cop, offenbar der Rausschmeißer, er schaute dem davonlaufenden Kerl nach, machte dann eine wegwerfende Handbewegung, brummte irgendwas. Er sah mich an und erklärte: Weißt ´e, so´n kleiner Stinker, wollte sich aufspielen, hab ihn rausgeschmissen. Haste gesehen wie er geflogen ist - wie ein Vögelchen?
Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Er hatte meinen Bekannten Willi entdeckt und als alten Bekannten erkannt, er rief: Mensch Willi, was willst´n du hier?
Mein Freund erwiderte den Gruß: Hallo Timo! Wohl Dienst heute, was?
Ja, Scheiße. Ist bloß so´n Gelegenheitsjob. Aushilfe, weißt du. Einer von denen hier ist krank geworden. Hat ´ne Schlägerei letzte Woche nicht vertragen. So muss ich jetzt die ganze Woche schieben. Scheiße, eh…
Sie gaben sich die Hand, schlugen sich kameradschaftlich auf die Schultern. Sau, eh…
Die Schwingtüren schwangen auf, Willi hatte nur ganz leicht mit dem Daumen dagegen gedrückt. Wir traten ein.
Es war halbdunkel drin. Viel rotes Licht. Viel Samt. Plastikpflanzen im Kübel. Gipsfiguren, mannshoch. Antike nackte Jünglinge. Und es war ziemlich still. Von weiter hinten kamen vage Geräusche. Ich sah ein paar Spieltische, ein Billard, einen Musikautomaten.
Der Wachmann Timo starrte mich an, begutachtete mich. Dann sagte er wie zu sich selbst: Scheißstinker! Da hat die Schicht gleich Scheiße angefangen. Aber geflogen ist er schön, richtig elegant… er hatte mich, während sprach, an der Schulter angefasst. Meine Schulter tat sofort weh. Einen Griff wie ein Eisenbieger. Er murmelte: Weißt du, wenn die Schicht so beginnt, möchte ich keinem raten, mich blöde anzuquatschen…
Ich ließ ihn stehen, machte meinem Willi ein Zeichen. Wir gingen weiter. Es waren noch wenige Leute hier, kaum halbvoll der Laden. Ich steuerte auf die Bar zu, Willi folgte mir. Ein paar Leute, die dort gestanden hatten, gingen weg, verwandelten sich in stille Schatten. Ich wusste nicht, warum. Flohen sie vor uns? Flößten wie ihnen Angst ein? Es waren lauter so bunte Typen, mit lila Haaren und Piercings, manche tuntig angezogen, kaum ein alter Knacker wie Willi und ich, auffallend wenig Frauen und Mädchen. Es roch nach Gras und ein wenig süßlich nach Sandelholz, vielleicht war es auch Opium…ja, es roch wie es in manchen China-Kneipen riecht. Der Musikautomat dudelte leise irgendwas. Heute gab es keine Live-Musik oder irgendwelche Einlagen.
Am Ende der langen Theke lehnte ein langer, schlanker Rotkopf, den Nacken hoch ausrasiert, er trug ein gelbes Sweatshirt, die Ärmel fehlten, sodass die nackten Schultern, übersät mit Sommersprossen, daraus hervorragten wie bei einem Masseur, natürlich viel magerer und dünner. Es war der Barkeeper, ein Bursche lange noch keine Vierzig, vielleicht sogar noch nicht mal Dreißig. Er war überall mit silbernen Piercings gespickt, an den unmöglichsten Stellen, wahrscheinlich auch an seinem Schniedel oder an den Hoden, er sah aus wie ein blinkender Robot-man. Dazu war er wie eine Nutte geschminkt, die Augenbrauen und Wimpern blauschwarz getuscht, die Lippen lila.
Willi, schon immer resoluter als ich, winkte dem Barmann. Klar, seine Größe forderte Achtung und Demut.
Eh, gib uns mal zwei Manhattan!
Der Barmann machte ein komisches Gesicht. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte gefragt: Manhattan? Was is´n das? Er bewegte sich in Zeitlupe… schien unentschlossen.
Willi rief ihm zu: Eh, Mann, komm aus´ m Arsch! Weißt du nicht, was ein Manhattan ist? Nimm einfach 4 cl Bourbon Whiskey, dazu 4 cl süßen Wermut, Maraschino-Kirsch-Wasser und 1 Spritzer Bitter-Orange. Klar? Oder soll ich´s selber machen und Willi setzte zu einer Bewegung an, als wolle er über die Theke springen. Der Barmann machte ängstliche Augen.
N… nein, ich weiß schon.
Komisch, irgendwie erwartete ich, dass er noch ein „Süßer“ dranhängt. Aber er sagte nichts weiter. Und auf einmal beeilte er sich, stellte uns flink die Drinks vor die Nase, dazu einen Spießer mit einem blau schimmernden Fähnchen. Bitte sehr, die Herren…
Wir schlürften unsere Drinks.
Ich fixierte den Barkeeper, sah wie er, als ich den Mund öffnete, zusammenzuckte.
Sagen Sie mal, fragte ich, Sie kennen doch die Chanel Santini?
Willi neben mir verstärkte meine Frage, er reckte sich hoch, der Barmann schrumpfte so wie sich der Willi hochreckte, auf Puppengröße: Hast du gehört, Mann, mein Kumpel will wissen, ob du die Chanel Santini kennst?
Chanel Santini, sagen Se? nuschelte der Barmann, die hab ich ni mehr gesehen inner letzten Zeit, nee mein Herr, schon lange ni mehr.
Ich wiederholte, ganz ruhig und langsam: Wir haben gefragt, ob du die Dame kennst, nicht ob du sie wann gesehen hast. Klar?
Ich? Ob ich die Chanel Santini kenne?
Genau.
Also, eichentlich kenne ich die nich. Nur so vom Sehen, nee mehr eichentlich nich, nur so flüchtig. Versteh´n Se… den Rest verschluckte er. Seine Augen rollten pikiert.
Und wie lange panschst du hier schon die Cocktails? fragte Willi
Mein Freund meint, wie lange du hier schon angestellt bist? präzisierte ich.
Der Barmann schien zu überlegen, wieder rollte er seine großen, hellblauen Augen rollte sie zwischen den getuschten Wimpern. Muss´sch mal nachdenken, er nahm sein Wischtuch, wischte damit verlegen über die silbernen Armaturen, den Ausguss, legte es dann beiseite und begann an den Fingern abzuzählen.
So ungefähr zwanz´ch Monate, schätz ich, knappe zwee Jahre, so ungefähr…
Mann! Willi runzelte drohend die Stirn, willst du uns verarschen?
Ich sagte: Bitte mal etwas genauer!
Der Barmann verdrehte wieder seine Glasmurmelaugen, er schluckt ein paar Mal, sodass sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte wie eine Maus, die sich in seine Kehle verirrt hat, auf seiner Stirn helle Perlen. Es glänzte blanker Schweiß.
Gut. Dann neunzehn Monate! Um es genau zu sagen, kam es ein bisschen trotzig von ihm.
Noch ´n Manhattan für uns! rief Willi, und schüttle mal die Flöhe aus deiner Hosen. Los n bissel plötzlich! Wir haben nich ewig Zeit.
Die Augen verdrehend machte sich der Keeper zu schaffen. Nur kurze Zeit und er stellte die Drinks vor uns ab.
Also nochmal, begann ich wieder. Kennst du die Chanel Santini? Wann war die das letzte Mal hier? Aber bitte genau, mit Uhrzeit wenn ´s geht.
Der Barmann schlotterte, denn Willi hatte sich zu voller Größe aufgerichtet.
Ich erklärte ihm: Mein Lieber, ich würde dir raten, jetzt zu antworten. Mein Kollege – ich deutete mit dem Glas auf Willi – wird sonst ungeduldig. Ihm kribbelt es schon in den Fingern. Und bitte keine Witze. Wir verstehen heute extrem wenig Spaß.
So isses, ergänzte Willi, und er schnappte nach dem blassen Keeper-Händchen, drückte es in seiner mächtigen Faust zusammen, und wie im Märchen, wo der Riese Wasser aus dem Stein presst, so standen jetzt dem Barmann die Schweißperlen wie klares Wasser auf der Stirn. Je mehr Willis große Faust drückte, desto mehr Schweiß quoll dem armen Kerl ins Gesicht. Sein Kopf war wie eine abgestellte, aber undichte Brause! Der Barmann verdrehte seine blauen Glasmurmelaugen, stöhnte wie ein Delinquent unter der Folter, stammelte, bitte, bitte aufhören…
Na dann mach´s Maul auf, Burschi.
Oh, oh mh, machte der Barmann, Willi hatte ihn losgelassen, ich gloobe vor drei Tagen isse das letzte Mal hier gewesen, die Chanel Santini. Am besten isses, Mister, Sie fragen unsren Chef, den Herrn Lehmann, Herrn Carsten Lehmann. Der kennt die Chanel näher, wenn ich mal so sagen darf… und ein kleines Lächeln huschte dem Keeper übers schweißnasse Gesicht. Er schien sich zu freuen, dass ihm das mit dem Chef noch rechtzeitig eingefallen war.
Gut, und wo isser, dein Chef?
Der Barmann, offenbar ein bisschen zu früh froh, lachte, sagte: Auf Schmetterlingsjagd!
Kerl! brummte Willi, gib mir deine Hand nochmal.
Und mit einem Satz hatte sich mein Freund über die Theke geschwungen und das Kerlchen in den Schwitzkasten genommen.
Die Situation drohte zu eskalieren. Wir hatten zu viel Aufsehen erregt. Ein paar Gäste waren aufmerksam geworden, sie standen auf, kamen langsam näher.
Verflixt. Ich wollte keinen Skandal.
Mensch Willi! zischte ich, lass ihn los. Mach keinen Ärger, den Chef kriegen wir schon noch. Denk endlich mal Weiß, nicht wie ein verdammter Brooklyn-Nigger. Weißt wohl wiedermal nicht wohin mit deiner Kraft? Protz!
Willi machte den Mund spitz, pfiff verächtlich. Du mit deinen blöden Vergleichen. Er ließ den Barmann los. Oder besser, er lockerte seinen Griff.
Plötzlich geschah eine Überraschung.
Denn tatsächlich, wahrscheinlich hatte der etwas gehört oder man hatte ihn gerufen, jedenfalls der Chef des Lokals „Drag-Queens“, der ehrenwerte Herr Lehmann, stand plötzlich wie aus dem Nichts neben mir an der Bar.
Was´n hier los!? Was soll das? Was machen Sie hier?
Ich zuckte die Achseln. Nix is los, Meister. Wir machen hier nur unsren Job.
Willi wollte den Chef gleich mit „hopp“ nehmen, doch ich wehrte das ab.
Herr Lehmann herrschte mich an. Auf seiner Stirn eine geschwollene Ader, dick wie ein fetter, roter Regenwurm.
Gehen Sie! schrie er. Augenblicklich verlassen Sie mein Lokal. Sonst rufe ich die Polizei!
Die ist schon da! rief ich geistesgegenwärtig.
Was? Er starrte mich ungläubig an. Wer sind Sie?
Ja, wir sind sowas Ähnliches wie die Polizei. Und Sie sind Herr Lehmann, der Leiter dieses Etablissements? Richtig?
Etablissement?! Was soll das heißen, mein Herr? Ja, ich bin hier der Chef. Und Moment mal?
Er schien jetzt erst zu begreifen, sein Ton wurde noch lauter und zwingender:
Wieso sind Sie nicht angemeldet, wenn Sie hier meine Mitarbeiter befragen? Es ist üblich, sich zuerst beim Vorgesetzten anzumelden. Was sind das für Methoden?
Ich sah meinen Willi an, er sah mich an und wurde verlegen. Ich fragte: Sag mal, du solltest uns doch anmelden? Beim Geschäftsführer?
Ja, ja. Ha.. ha.. hab´ ich vergessen.
Was?? Bist du nicht bei Trost? Es ist doch üblich, dass man sich zuerst bei den Vorgesetzten anmeldet, wieso weißt du das nicht??
An meinem Ton merkte Willi, wie „ernst“ ich das Ganze nahm. Sofort spielte er den Betroffenen, machte ein belämmertes Gesicht.
Ich….. ich… ich wollte dir das auch eben noch sagen, aber d… d … dann…
Schon gut Kollege, darüber reden wir noch.
Ich drehte mich abrupt weg und wieder dem Chef, Herrn Lehmann, zu.
Dieser hatte sich vor mir aufgebaut. Seine gebuckelte Nasenspitze berührte beinahe die meinige, die eben und glatt war. Zwei Zentimeter dazwischen. Zwei Nasen wie zwei Schnäbel. Kampfhähne! Die Haare aufgerichtet. Ich konnte seinen Atem riechen. Und der roch ekelhaft süßlich und ein bisschen auch nach Alkohol. Lehmann rot vor Zorn. Sein Puls ging schnell. Er schien erregt wie selten in seinem Leben. Lehmann war ein Mann von ungefähr fünfzig, nicht sehr groß, aber breit wie eine Anbauwand, graumeliert mit Stirnglatze und einer dunklen Hornbrille, ganz wie ein Apotheker oder wie einer vom höheren Dienst im Finanzamt oder wie die Typen aus der Stadtverwaltung.
O.k., sagte ich, da holen wir das jetzt nach. Ich muss Sie dringend sprechen, Herr Lehmann. Mein Name ist Aufdegger, Franz Aufdegger. Es geht um eine Person, die in Ihrem Hause verkehrt und die gesucht wird. Ich bin Privatdetektiv.
Ach, so einer?
Er maß mich von oben bis unten, kniff die Augen ein wenig zu, biss sich auf die Unterlippe.
Um welche „Person“ geht es?
Er hatte das Wort „Person“ betont, wollte mir offenbar seine Nichtachtung zeigen, was in der Bemerkung „ach, so einer!“ gipfelte.
Ich sagte: Die Sache ist kein Spaß und auch kein Hobby von mir. Ich schlag hier nicht meine Freizeit tot. Die Gesuchte heiß Chanel Santini Santini.
Ich sah wie Herr Lehmann unmerklich zusammenzuckte. Sein linkes Augenlid war hängengeblieben, es zitterte und verharrte auf halber Augapfelhöhe, seine Mundwinkel zogen sich nach unten, auch war er ein bisschen blasser geworden. Oh, Treffer! dachte ich.
Können wir irgendwo ungestört reden?
Der Chef Lehmann nickte. Können wir.
In diesem Moment hörte man ein fernes Telefonklingeln. Es klang fast wie mein altes, antikes Telefon, nur ein bisschen leiser. Gut, es war ja auch weiter weg, aber durchdringend klingelte es wie bei mir …
Herr Lehmann fuhr hoch. Er erschrak. Seine Ohren schienen voll auf Empfang.
Oh Pardon, entschuldigte er sich, ein Telefongespräch in meinem Büro, ich kann es von hier hören. Es ist enorm wichtig, ich erwarte den Anruf schon seit drei Stunden. Warten Sie bitte ein paar Minuten, bin gleich wieder für Sie da.
Ich fragte: Können wir nicht gleich mitgehen, Herr Lehmann, mit in Ihr Büro. Wir warten auch vor der Tür, wenn Ihr Telefonat nicht für fremde Ohren bestimmt ist. Dann sind wir gleich vor Ort und können unser Gespräch…
Willi nickte zustimmend. O.k. sagte er so freundlich, dass ich erstaunt war, wir warten vor ihrer Bürotür und wir legen unsere Ohren auch nicht ans Holz. Versprochen.
Nein, nein, meine Herren, entschuldigen Sie, ich bin sofort wieder bei Ihnen. Unser Gespräch führen wir hinter der Bar. Nicht in meinem Büro. Da ist ein kleiner abgeschiedener Raum. Da ist es besser. Bis gleich.
Er verschwand eiligen Schrittes. Ich schaute ihm nachdenklich hinterher. Mit war sein unruhiger, unsicherer Gang aufgefallen. Er öffnete die Tür, die hinauf zu seinem Büro führte, schloss sie vorsichtig hinter sich. Man hörte ihn eine Treppe hochsteigen. Seine Schritte wurden leiser. Eine Tür schlug zu. Nicht sehr laut. Dann war es still.
Ich sah den Barmann an, der Barmann sah mich an. Willi unterhielt sich mit seinem Security-Kumpel. Der Barmann polierte seine Theke, obwohl es dort nichts zu polieren gab. Auf einmal langte er mit dem rechten Arm unter die Theke. Ich hatte eine Eingebung. Rasch packte ich seinen Arm. Es war ein dünner, magerer Arm. Ich sah den Kerl fest an.
Was hast du denn da unten, he?
Nichts! Er rollte wieder seine Augen. Sein glänzendes, gecremtes Gesicht wurde fahl.
Mein Freund - ich kippte meinen Kopf in Richtung Willi - ist ein knalliger Typ, er hat alle Kampfsportarten durchprobiert, nichts war ihm hart genug. Wir suchen Chanel Santini. Du kennst das Mädchen. Du hast zwar gesagt, dein Chef kennt sie besser, aber wir glauben dir nicht.
Der Barmann rollte die Augen, die Augenbrauen hatte er in beängstigende Höhe gezogen.
Wir denken, fuhr ich fort, du weißt was, hältst aber das Maul. Warum? Was gibt es bei diesem Mädchen zu verschweigen? Und dann, mein Freund: Was hast du unter deiner Theke?
Eine Erziehungshilfe!
Was? Quatsch keinen Blödsinn.
Einen kleinen Revolver, ´ne Röhm. Nichts Großes, ist zugelassen, hab den Schein.
Sonst noch was?
Liegt in ´ner Zigarrenkiste. Ganz friedlich. Aber irgendwie hab heute ich so´n Gefühl…
Was für ein Gefühl? Los!
Er verstummte, verdrehte die Augen, sein Kopf fuhr herum.
Von irgendwo nicht weit weg, vielleicht hinter der Tür, durch die Herr Lehmann verschwunden war, kam ein dumpfer Knall. Es klang wie ´ne zugeschlagene Tür. Hätte der Wind sein können.
Der Barmann erstarrte zur Steinsäule, dann tastete er nach seiner Zigarrenkiste.
Ich zischte ihm zu: Lass das! Rühr dich nicht vom Fleck.
Willi, komm! rief ich, ich glaube, es ist was aus dem Ruder gelaufen.
Wir liefen an der Theke lang. Dort hinten! Ich zeigte auf die Tür zum Obergeschoss.
Krachend flog die Tür auf. Heraus kam mit einem federnden Satz ein mir unbekannter Typ. Schwarzhaarig, finstere Visage, 2 m hoch, 1 m breit, in einem hellen Mantel mit Schiebermütze, Schottenmuster a la Sherlock Holmes, so eine mit Schirm vorn und Schirm hinten. Der Kerl grinste, halb verlegen, halb siegesgewiss und zufrieden. Ich sah wie er einen 45´iger amerikanischen Armeecolt in der linken Manteltasche verstaute. Er handhabte das relativ schwere Ding als wäre es eine Wasserpistole. Hatte Pfoten, groß wie Kindernachttopfdeckel. Er sah sich kurz um, rief mir und Willi und den anderen entsetzten Gästen mit Donnerstimme zu:
Eh, keine Zicken! Pfoten zur Decke! Keiner rührt sich. Der erste, der wackelt, hat ein Loch im Kopf. Klar? Eh, duu daa, dröhnte er mit seinem Schaljapin-Bass und er meinte den Barmann, der trotz aller Schminke weiß wie eine Kalkwand geworden war. Heb schön deine beiden Flossen hoch, nicht nur eine Pfote. Verstanden? Wenn ich das nochmal erlebe, hast du nur noch ein Auge. Keine Angst, ich komm nicht näher, ich treff deine Birne auch von hier. Klar?
Er wollte weitergehen, auf einmal aber blieb er stehen, fasste mich ins Auge. Sprach mich an, als ob er mir, nur mir allein, etwas erklären müsse. Weiß der Teufel warum? Keine Ahnung. Ich kannte ihn nicht, er kannte mich nicht. Oder wusste er doch, wer ich war? Ich kriegte ein mulmiges Gefühl. Ein bisschen wackelten meine Knie. Scheiße. Verdammt, ich wurde tatsächlich alt. Dann rief der Kerl mir zu:
Eh duu! Der Scheißkerl hat wirklich nichts gewusst. Tut mir leid. Adios!
Er drehte sich weg. Nochmal musterte er prüfend das Lokal, lachte in sich hinein, ging schließlich seelenruhig zum Ausgang. Er wirkte wie einer, der ganz lässig und nebenbei, so nach dem Essen als Nachtisch eine Bank ausgeraubt hätte. Er schritt weit aus, der Mantel wehte.
Die Schwingtüren quietschten leise, schwangen aus, schlossen sich. Aus! Der Spuk war vorbei.
Erst herrschte im „Drag-Queen“ noch ein paar Minuten lähmendes Entsetzen. Alle sahen sich mit großen Augen an. Manche hielten sich an den Händen. Hatte man das vielleicht alles nur geträumt? War das real? Dann, als ob der Sand in der Uhr abgelaufen wäre, quakte alles durcheinander. Wildes Gekreisch, Gebrüll. Handys piepten. Das übliche Chaos.
Ich ging, gefolgt von Willi, durch die offenstehende Tür. Weiter kam uns niemand nach. Angst lähmte die Leute. Wir stiegen die paar Stufen hinauf. Oben wieder eine offene Tür, eine mit Mattglasscheibe wie vor meinem Büro. Eine schwarze Glasinschrift „Büro – Herr Lehmann“.
Wir sahen einen umgestürzten Stuhl, einen zerwühlten Schreibtisch, einen offenen Rollschrank, zersplitterte Bilderahmen, aus einem Rahmen fehlte das Foto ganz. Sonst hielt sich das Chaos in Grenzen. Auf einem Drehsessel mit hoher Lehne hockte zusammengesunken Herr Lehmann. Sein Kopf hing schlaff zur Seite, die Arme noch angewinkelt, ein Bein wie ausgerenkt, als ob er in letzter Sekunde noch hätte aufspringen wollen. Ich sah nur einen Einschuss. Auf der linken Seite der Brust. Drumherum viel Blut. Auch auf dem Fußboden massenhaft Blut. Zwei riesige Pfützen. So viel Blut von einem einzelnen Mann. Am Schreibtisch war rechts ein Schub halb herausgezogen. Darin eine Pappkiste mit öligem Papier, ein Putzläppchen, ein Kistchen mit Patronen. Dort hatte Herr Lehmann wohl seine Pistole aufbewahrt. Zur eigenen Sicherheit wie er dachte. Sicher hat er einen Waffenschein. Es hatte ja einige Überfälle und Randale gegeben, alles aktenkundig und polizeibekannt, ich erinnerte mich.
Diese Waffe nun, nachdem er sich niedergesetzt hatte, vor seinem Besucher herauszuholen, welcher ihn, irgendwo im Büro verborgen, wahrscheinlich schon erwartet hatte und der den Ahnungslosen sicherlich auch mit einem Handyanruf hier herauf gelockt hatte, musste Lehmann wohl für eine glänzende Idee gehalten haben. Es war seine letzte…
Natürlich, klar, die Pistole war weg, ich fand sie nirgends, auch nicht unter dem Schreibtisch, hatte wohl der große Kerl, sein Mörder, mitgenommen.
Ich nahm den Telefonhörer in die Hand, er lag wie verlassen, wie eine stumme Mahnung auf dem Schreibtisch. Ich rief die Polizei an. Willi, sagte ich, bleib bitte noch hier, wir warten, bis die Jungs kommen.
Ein Hauptkommissar namens Günter Kalthagen hatte den Fall übernommen.
Als die Jungens vom Polizeirevier Nord sich hierher auf den Weg gemacht, aus ihrem Streifenwagen heraus gequält und die Treppe hochgepoltert waren, hatten sich der Rausschmeißer, der Barmann, der Küchenchef und ein Kellner längst verpisst.
Ein Glück, ein paar Gäste konnten wir als Zeugen feststellen, sie sollten später vernommen werden, sonst waren der Willi und ich mit den Beamten erst mal allein…
Kalthagen, ein missmutiger, fünfzigjähriger Typ, schien ständig verärgert oder eingeschnappt zu sein, gelbgallig sein Gesicht mit mächtigen, blauvioletten Tränensäcken, dazu ganz im Gegensatz hatte er fast weibisch gepflegte, rosafarbene Hände, die er beinahe die ganze Zeit, die wir im Revier miteinander sprachen, auf der grünen Schreibtischunterlage gefaltet hielt, wiewohl er mit zwei Fingern seiner rechten unentwegt an einem kapitalen, goldfarbenen Siegelring drehte, den er an seiner linken Hand trug. Ich glaube es war der Mittelfinger, an dem er drehte, wie ein Zauberer, der einen geheimen Wunsch hatte. Komisch, ein Ring am Mittelfinger? Mich irritierte das. Er war erst seit kurzem Leiter von einer der vier städtischen Mordkommissionen, hatte aber seinen Sitz nicht in der Zentrale auf der Schießgasse, sondern hier mitten in der Neustadt im Revier Nord auf der Friedensstraße. Also nicht weit vom „Drag-Queen“ weg. Früher war Kalthagen Zivilfahnder gewesen oder was weiß ich nicht noch alles - er hatte eine ziemlich bunte Polizeikarriere hingelegt, mit einigen Abstürzen und ein paar kleineren Erfolgen. Er war verheiratet und hatte 6 Kinder. Später erfuhr ich, dass dies nicht alles eigene Kinder waren, sondern auch sogenannte Pflegekinder dabei waren. Seine Frau betreute ein diesbezügliches Projekt.
Unsere erste Unterhaltung fand in seinen Diensträumen statt, ich weiß nicht, ob es sein eigenes Zimmer war. Glaube aber nicht. Eher ein abgetakelter, wenig genutzter Verhörraum. Jedenfalls war es ein fast kahler Raum ohne Bilder oder Schmuck, in dem ein paar Stühle und zwei Tische, in einer Ecke ein winzig kleiner, fast könnte man sagen, ein Reiseschreibtisch stand. Der Bodenbelag bestand aus abgetretenem, schmutzig braunen Linoleum, in der Luft hing ein Geruch von kaltem Zigarrenstümpfen, Bohnerwachs, Aktenstaub und eingeschlafenen Füßen. Ich sah auch bald warum, denn Kalthagen hatte offenbar die schlechte Angewohnheit sich während der Gespräche seine Schuhe, alte schiefgetretene Latschen unbestimmter Herkunft, von den Füßen zu ziehen. Man sah seine filzigen Wollsocken mit gegitterten Durchbruchsstellen an den Fersen.
Mein Respekt sank wie die Temperatur nach einem plötzlichen Kälteeinbruch. Dieser Mann machte insgesamt nicht den Eindruck, als ob er mit einem Burschen wie dem Lehmann-Mörder vom „Drag-Queen“ fertig werden könnte.
Er zündete sich eine neue Zigarre an und warf das Streichholz auf den Fußboden, wo es sich zu zahllosen anderen gesellte. Voller Bitterkeit und Enttäuschung sagte er:
Scheiße! Wieder bloß so ´n Milieumord…
Und da ich ihn erstaunt anstarrte, ergänzte er:
Was soll´s sonst sein? Nach fast 5 Jahren in diesem Revier hab ich ´n ganz guten Riecher dafür. Interessiert im Grunde keine Sau. Wird kaum eine Notiz in der Zeitung bringen, auch im Rundfunk nichts und im Lokalfernsehen sowieso nichts als Schweigen. Die Bevölkerung soll nicht beunruhigt werden. Iss wie früher! Die DDR hatte deswegen ja auch die beste Kriminalstatistik in Mitteleuropa.
Was sollte ich dazu sagen? Ich hielt den Mund. Willi sagte natürlich auch nichts…
Kalthagen nahm meine Karte vom Tisch, warf sie wieder hin. Sie rutschte wie ein Jeton noch ein paar Zentimeter, drehte sich um sich selbst, blieb liegen.
FRANZ AUFDEGGER, PRIVATE ERMITTLUNGEN! So einer also. Und ha, ha, ha – da haben Sie sich aber einen tollen Namen gewählt: AUFDEGGER! Außerdem falsch geschrieben! Müsste „Aufdecker“ heißen, mit „ck“.
Ich entgegnete leicht verärgert: Pardon, Herr Hauptkommissar, ich heiße so. Kann nichts dafür. Darüber haben sich schon ganz andere das Maul zerrissen… und ich wollte noch ergänzen: als Sie kaltes Würstchen – ließ es aber.
Kalthagens Miene hatte sich zu einer Lachfratze verzogen. Ich musste an Victor Hugo´s „Der lachende Mann“ denken. Er sah lustig und zugleich schrecklich aus. Aber er konnte sich offenbar noch nicht beruhigen. Aufdegger! Aufdegger! Ha ha ha! Das ist, wie wenn ein Pathologe „Aufschneider“ heißt. Ha, ha, ha. Oder ein Friseur „Mäher, Schnitter oder Kahlkopf“ oder sich ein Frauenarzt „Höhlenforscher“ nennt. Ha, ha, ha…
Ha-ha-ha! Ich ahmte sein Lachen nach. Uralte Witze. Darüber hat schon meine Großmutter nicht mehr gelacht… ich machte eine empörte Miene. Auch, Willi ganz solidarisch, zeigt ein böses Gesicht.
Kalthagen fragte: Sagen Sie mal, Sie Privatermittler, Sie waren doch sozusagen vor Ort?
Ich nickte und zündete mir eine Zigarette an, allerdings mit ´nem Feuerzeug. Streichhölzer besaß ich gar nicht.
Ich meine, fuhr der Hauptkommissar fort, was haben Sie denn gemacht, als der Kerl den Geschäftsführer abknallte?
Gar nichts. Wir hörten nur einen Knall. Nicht sehr laut und es hätte auch ein Türen-Knallen sein können. Außerdem, das war doch nicht im Lokal, sondern oben im Geschäftsführerzimmer. Aber, das wissen Sie doch alles schon, Herr Hauptkommissar. Wir, mein Kollege und ich, wir haben im Lokal unten derweil eine Befragung durchgeführt.
Eine Befragung? Klingt ziemlich vornehm und professionell.
Ja. Klingt es das?
Los jetzt! Spucken Sie´s aus. Was haben Sie gefragt und vor allem wen haben Sie in die Mangel genommen? Soll ja, wie ich hörte, dabei ziemlich handfest zugegangen sein?
Handfest? Wie meinen Sie das?
Mann, hören Sie auf mit Ihren Spitzfindigkeiten. Was wollten Sie von den Leuten wissen? Das will ich jetzt wissen.
Wir suchen eine Dame.
Eine Dame? So?
Ja, die Frau eines Buchhändlers, Chanel Santini heißt sie. Die ist, wie es im Polizeijargon heißt, seit ein paar Wochen abgängig.
Die Frau eines Buchhändlers? Wirklich? Was für eine tolle Aufgabe!
Tja, was ein Privatermittler eben so macht. Kleinvieh, Herr Hauptkommissar. Kleinvieh!
Aber, wie sagt man, fragte der Kalthagen und feixte, Kleinvieh macht doch auch Mist. Was kriegt man denn als Privatermittler so dafür? Wie viel gibt es da Honorar? Was spendiert so einer. Ein Buchhändler - oha! Sollen ja alle Millionäre sein. Na los, sagen Sie mal. Bloß, dass ich ´ne Vorstellung kriege. Vielleicht, wenn ich hier rausfliege, mach ich auch ´ne Agentur auf und suche Buchhändlersgattinnen. Na los, machen Sie sich nackig, wie viel isses denn?
Berufsgeheimnis, Herr Hauptkommissar. Berufsgeheimnis! Ich frag Sie doch auch nicht, was Sie heute wieder für Spesen abrechnen werden, mit Datum und Tagestemperatur…
Werden Sie hier nicht pampig, Mann… also weiter.
Ein Beamter war hereingekommen, hatte dem Kalthagen ein Aktenblatt vorgelegt. Er wartete auf die Unterschrift für ein zweites Blatt, verschwand wieder.
Also Aufdegger, Kalthagen nahm das Blatt, das er eben bekommen hatte, setzte seine Lesebrille auf, die ihm an einem Lederbändchen um den Hals hing, setzte sie ziemlich weit vorn auf die Nase, fast auf die Nasenspitze, und las dann in dem Blatt. Dazu lächelte er, indes, je mehr er las, je mehr seine Augen lesend hin und her und nach unten schwangen, desto breiter wurde sein Lächeln, ging schließlich in befriedigendes Grinsen über.
Sehen Sie, Herr Privatermittler, so geht Polizeiarbeit!
Kalthagen schnippte mit dem Finger auf das Blatt, es knisterte, gab einen kleinen trockenen Knall ab. Sehen Sie, mein Lieber, fuhr er fort, wir wissen jetzt, wer unser neuer Kunde im „Drag-Queen“ gewesen ist, wir wissen wie er heißt und so weiter, das heißt auf gut Deutsch: Der Mann ist kein neuer, er ist ein alter Kunde. Ein guter alter Bekannter von mir, sogar! Ich persönlich hatte schon zwei- oder dreimal das Vergnügen mit ihm. Das letzte Mal vor acht Jahren…
Sie machen uns neugierig, Herr Hauptkommissar. Können Sie uns nicht an Ihrem Wissen teilhaben lassen so wie die Bienchen an einer großen Blüte… wir saugen so gerne fremden Honig?
Mensch, hören Sie mit dem komischen Gequatsche auf, Ihrem süßlichen Gesäusel. Hören Sie auf damit, Mann. Schluss!
Also, ich setze mich artig zurecht, mache ein Gesicht wie ein gemaßregelter Schüler, der seinem Lehrer gefallen will.
O.k., is ja gut, brummt Kalthagen, offenbar von meinem Verhalten beruhigt oder entzückt, je nachdem. Ziemlich stolz sagt er: Der Mann heißt Friedrich Killgries, natürlich keine Sau von seinen Kumpels nennt ihn so, da heißt er nur der „Freddy“, manchmal auch „Kill-Freddy“. Warum „Kill-Freddy“? Das sag ich noch. Jedenfalls, er ist zweiundvierzig Jahre alt, hier irgendwo in der Nähe geboren, in Pirna glaube ich, ja in Pirna – Kalthagen stippt mit seinem gelbbraunen Zigarrenfinger auf eine Stelle seines Papiers - hat aber von seinen zweiundvierzig Jahren fast sechzehn gesessen. Fünfzehn dreiviertel, um genau zu sein. Er hat auch mal zweieinhalb Jahre in den Staaten „studiert“, zuerst in Brooklyn, dann in Chicago, hat dort gleich zu Beginn ein Ding gedreht, nichts Großes, nein, nur so ´nen kleinen unbedeutenden Bankraub, wo es um zwanzig Riesen gegangen ist, nicht mehr. Klar, er musste einsitzen, dann haben sie ihn rausgeschmissen und in den Flieger nach Europa gepackt. Warum sollten die so einen durchfüttern? Ich verstehe das. Obwohl, da kann der Freddy stolz sein, das machen die Amis nämlich ganz selten: Überstellung an die deutsche Justiz. Gut. Jedenfalls dort im Amiknast, im berühmten Sing Sing in Ossining, etwa 50 km südlich weg von New York, da hat er seinen letzten Schliff gekriegt, der Freddy. Den Feinschliff sozusagen. Ein bissel schwul soll er auch sein…
Das sind die doch alle, unterbrach ich den Hauptkommissar.
Ich musste lachen und ergänzte: Wenn die ein paar Jahre „drin“ gewesen sind, werden sie sozusagen „rumgedreht“. Hineingegangen als ganz Normaler und herausgekommen als „Hinterlader“. Ha, ha, ha… Manche sollen sogar richtige Bräute dort haben, so mit Heirat, natürlich ohne Standesamt oder Pastor, aber mit Hochzeitsnacht, mit Ringen und Eifersucht, dem ganzen Schnickschnack und all sowas… bei einigen soll es sogar über die Haftzeit hinaus anhalten, die leben dann später zusammen… bei den Weibern läuft das übrigens ganz genauso…
Ja, ja kenn ich, wehrte der Polizist ab, weiß ich alles, verehrter Herr Schlauberger und Privatermittler. Wir haben ja laufend mit solchen Leuten zu tun… Mindestens „bi“ bleibt immer übrig. Lieber „bi“ als nie, ha, ha, ha…. Kalthagen lachte, kratzte sich an der Nase.
Mann, hat der ´ne dreckige Lache, dachte ich.
Aber der Kommissar wurde schnell wieder ernst, er scharrte unter dem Tisch mit seinen gestopften Socken und sagte: Ok. Ich muss da nochmal was nachrecherchieren. Mmh, denke, denke, irgendwie hockt mir da was im Gedächtnis – ich glaub, einer von Freddys Knastbrüdern hat mir mal was gesteckt, damals, als ich den das letzte Mal geschnappt hatte – ja, der Killgries hätte, so sagte mir sein Zellenkumpel, der hätte so eine „falsche Braut“ im Bau gehabt, aber die, oder besser: „der“ wäre ein paar Monate vor ihm entlassen worden und dann irgendwo abgetaucht. Natürlich weiß ich weder Namen noch Näheres, der Kumpel hatte keinen Namen genannt oder ich hab ihn vergessen… außerdem sind das im Knast sowieso immer nur „Spitznamen“. Scheiße! Aber irgendwas is hängengeblieben… könnte ja sein, dass der Freddy seine Verflossene, sprich: seinen Verflossenen noch immer sucht und dass… oder?
Kalthagen kniff ein Auge zu, er fixierte mich und er machte den Eindruck, als ob ihm plötzlich eine Bombenidee durch den Kopf geschossen wäre, er fragte mich: Sagen Sie mal, wie war das mit der Dame, nach der Sie suchen? Wie hieß die gleich?
Chanel Santini… so hat sie der Buchhändler genannt… aber, Hauptkommissar, Moment… vergessen Sie ´s, ich denke, da irren Sie gewaltig, es gibt keinen einzigen Hinweis, dass diese Dame Chanel Santini, so eine vermeintliche „Braut“ aus dem Knast oder dem früheren Leben Ihres Freddy wäre. Schließlich hat sie – eindeutig eine „sie“, ich habe das Bild gesehen - bis jetzt als Partnerin mit einem sehr ehrenwerten Menschen, nämlich diesem Buchhändler Schlottau, zusammengelebt. Mann Kalthagen, die hat in seinem Laden bedient, bei Lesungen assistiert… ihm die Abrechnungen aufgearbeitet, die Steuererklärungen vorbereitet, hat ihn kutschiert, die Korrespondenz erledigt. Nein, dieser Buchhändler machte mir weiß Gott nicht den Eindruck, als ob es sich bei seiner „Partnerin“ um eine Transe gehandelt hätte. Nee, Herr Hauptkommissar, da sage ich nur: Holzweg! Herr Hauptkommissar, Holzweg!
Na gut, meinetwegen, fahren Sie sich runter, was regen Sie sich so auf, mein Bester. War ja bloß ´ne Idee von mir. Sie wissen als Ermittler doch, man soll keine Spur verachten und sei sie noch so abwegig.
Binsenweisheiten, Herr Hauptkommissar. Bloße Theorie.
Ich winkte ab. sagte. O.k. Hauptkommissar, Sie stehen unter Druck, das verstehe ich. Und Sie haben Ihren Fisch an der Angel, denjenigen – ich lachte – der Ihnen immer wieder am Köder lutscht. Aber bitte, reden Sie weiter…
Na gut, Aufdegger, antwortete Kalthagen nun wieder ganz gemütlich. Er zündete sich ´ne neue Zigarre an, warf wieder das Streichholz auf den Fußboden.
Gut also zurück zu meinem alten Bekannten. O.k. der Freddy ist also ein sogenannter Schwerer Junge, aber einer mit einem Maß an Beschränktheit, das ihn mir beinahe schon wieder sympathisch erscheinen lässt. Ein richtiger Tollpatsch im Sinne des Strafrechts, wenn Sie wissen, was ich meine. Der kriegt nichts wirklich hin. Tappt immer wieder in was rein. Glaubt aber von sich selber, er wäre der Schlaueste. Die Nachteile: Der Bursche ist blitzschnell und er ist absolut skrupellos, hat weder Hemmungen, noch vor irgendwas Angst. Und der Kerl ist bärenstark, hat Kräfte wie ein Auerochse. Dennoch, so einen, Sie sagten es eben ganz treffend, so einen fängst du immer wieder - wie der Angler, der in seinem Lieblingsteich immer wieder denselben Karpfen fängt, ihn vom Haken löst, ihn wieder reinsetzt und in ein paar Tage später wieder rausholt...
Also, Kollege…
Oha, „Kollege“? Da muss ich mir aber ´nen Knoten ins Ohr machen. Ich – Ihr Kollege!? Boah!
Kalthagen saugt an seiner Zigarre, pafft ein paar Ringe in die Luft:
Bleiben Sie doch mal cool, Aufdegger. Mein Freddy ist jetzt gerademal vierzehn Tag draußen. Und schon geht´s wieder los. Die alte Scheiße. Es ist immer das Gleiche mit dem Kerl. Sonst waren es Kleinigkeiten. Mal ´ne Tankstelle oder ein Spielcasino. Oder er hat einen Türsteher niedergeschlagen, einen Wagen geklaut. Nun hat er gleich mit einem Mord wieder angefangen. Das kotzt mich an. Ich muss ihn zur Fahndung ausschreiben.
Kalthagen beugte sich zur Seite, spuckte in seinen Papierkorb und fragte. Also wie war das nun? Bitte nochmal von vorn: Was haben Sie gemacht die ganze Zeit?
Was ´n für ´ne ganze Zeit?
Na, die ganze Zeit, wo der Killgries dem Geschäftsführer Lehmann ins Jenseits befördert hat.
Mensch, wie viele Male muss ich das noch sagen?
Ich drehte mich zu Willi um und der nickte bestätigend.
Das war, fuhr ich fort, doch nicht eigentlich im Lokal, das war doch oben im Zimmer des Geschäftsführers. Ihr schwerer Junge Freddy wird sich dort oben versteckt haben und auf den Lehmann gewartet haben, als der wegen dem Lärm, den der Barmann unten bei uns gemacht hat, runter gekommen ist.
Lärm? Unten bei Ihnen? Ich denke, Sie haben nur ´ne Befragung gemacht?
War auch so. Nur der Barmann, den wir in der Mangel hatten, wollte nicht so wie wir und da hat mein Partner Willi – ich neigte den Kopf in seine Richtung - ihn überredet. Das ging eben nicht im Flüsterton. Sie kennen das ja.
Gut, Kalthagen wippte mit seinem Stuhl, der Lehmann kam also aus seinem Geschäftsführerzimmer herunter zu Ihnen, weil es ihm zu laut geworden war…
So ähnlich.
Und dann?
Dann hat er uns ermahnt und ist wieder nach oben gestiefelt.
Ermahnt?
Na ja, so ähnlich. Was ein Geschäftsführer ebenso sagt, in so ´ner Situation. Es waren ja auch Gäste im Lokal. Die sind schon unruhig geworden.
Gut, gut. Und wie lange hat das gedauert, ich meine seine Ermahnung?
Nicht sehr lange. Vielleicht ein paar Minuten…
Geht das auch genauer!
Ja, also so ungefähr fünf oder acht Minuten.
Gut. Und dann?