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Die Regierungszeit des römischen Kaisers Trajanus von 98 bis 117 ist die Zeit der größten Ausdehnung des Reiches. Es dehnt sich von den Säulen des Herakles, Gibraltar, bis zum persischen Golf, von Britannien bis nach Syrien und von Nordafrika bis zum südlichen Kaukasus. Die Eroberung Dakiens, weite Teile des heutigen Rumänien, ist seine größte militärische Aktion. Am Einzelschicksal des Generals Longinus wird erzählt, was der Krieg damals bedeutet. In Gefangenschaft geraten, begeht er Selbstmord, um dem Kaiser die Offensive zu ermöglichen. Interessant sind die Positionen von Dichtern wie Tacitus, Suetonius und Plinius d.J. zur Politik des Kaisers. Es wird spannend und authentisch erzählt. Das ist ein historischer Thriller und zugleich die Antike live.
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Seitenzahl: 469
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ALLES KOMMET UND GEHET NUR, UM SICH ZU ERGÄNZEN.
IN RASCHER FOLGE ERNEUERN SICH
DIE GENERATIONEN IMMER WIEDER
UND SIE REICHEN DIE FACKEL EINER DEM ANDEREN WEITER,
WIE DIE LÄUFER IM FACKELLAUF.
LUKREZ
WAS IST'S, DAS GESCHEHEN IST? EBEN DAS HERNACH GESCHEHEN
WIRD. WAS IST'S, DAS MAN GETAN HAT? EBEN DAS MAN HERNACH TUN
WIRD: DENN ES GESCHIEHT NICHTS NEUES UNTER DER
SONNE. GESCHIEHT AUCH ETWAS, WOVON MAN SAGEN MÖCHTE: SIEHE,
DAS IST NEU? SO IST ES DOCH ZUVOR SCHON GESCHEHEN IN DEN LANGEN
ZEITEN, DIE VOR UNS WAREN. ES IST SO: DA MAN NICHT GEDENKT DERER,
DIE ZUVOR GEWESEN SIND; SO GEDENKT MAN AUCH NICHT DERER, DIE
HERNACH KOMMEN WERDEN.
PREDIGER KAPITEL I
PSALM 90.10
Zum Buch:
Die Regierungszeit der römischen Kaisers Trajanus (98 – 117 n.Chr.) ist die Zeit der größten Ausdehnung des Reiches. Es dehnt sich von den „Säulen des Herakles“ (Gibraltar) bis zum persischen Golf, von Britannien bis nach Syrien und von Nordafrika bis zum südlichen Kaukasus. Die Eroberung Dakiens (weite Teile des heutigen Rumänien) ist seine größte militärische Aktion. Am Einzelschicksal des Generals Longinus wird erzählt, was der Krieg damals bedeutet. In Gefangenschaft geraten, begeht er Selbstmord, um dem Kaiser die Offensive zu ermöglichen. Interessant sind die Positionen von Dichtern wie Tacitus, Suetonius und Plinius d.J. zur Politik des Kaisers. Es wird spannnd und authentisch erzählt. Das ist die Antike live.
Zum Autor:
Klaus Funke, geboren in Dresden, ist ein bekannter Autor zahlreicher Romane und Erzählungen. Zu seinen Bestsellern zählen Romane um berühmte Musiker wie Sergej Rachmaninow oder Niccolo Paganini. Aber er schrieb auch Krimis und zeitgenössische Texte, einen Roman über Karl May und Josef Goebbels u.v.a. erschienen bei bekannten Verlagen und auch bei BoD.
Prolog In Rom
Erstes Kapitel - Optimus Princeps
Zweites Kapitel - Die Scriptori
Drittes Kapitel - Die Milites
Viertes Kapitel - Post Bellum
Epilog In Rom
Man hatte mir geraten, das Flugzeug zu nehmen, ich aber, weil mich schon immer eine untilgbare Angst vor dem Fliegen quält, wählte die Eisenbahn.
Unbeschwert, von einer leisen Vorfreude angenehm berührt, nur mit leichtem Handgepäck stieg ich abends in Dresden in den Zug und hoffte am frühen Morgen am Ziel zu sein. Dann aber, auf der Strecke zwischen Tarquinia und Civitavecchia, wie schon vorher bei der Ausfahrt aus Firenze, gab es einen quälenden, sich dehnenden Aufenthalt von fast einer Stunde - Gerüchte tauchten auf. Man sprach von technischem Schaden, von irgendeinem Eisenbahnerstreik, von einem Mann, der sich vor den Zug geworfen hätte, von Gleisverwerfungen, von einer Geiselnahme, von der Mafia - bis heute weiß ich nicht, warum oder was wirklich passiert war; die Ländergrenzen jenseits und diesseits der Alpen hatten wir indes ohne Zwischenstopp und Schwierigkeiten passiert; und so geschah es, dass ich erst um neun Uhr morgens in der ewigen Stadt eintraf.
Es war der 15. September - ein Donnerstag; der Himmel zeigte sich in einmaligem Blau, ein Lüftchen wehte angenehm und mild. Ich war noch halbwegs frisch und ausgeruht und so beschloss ich, noch nicht in mein Quartier zu fahren, das mir ein Freund auf dem Pincio versorgt hatte, und zwar ganz in der Nähe des Antinous-Obelisken, den ich sogar vom Fenster sehen könne, wie er mir geschrieben hatte. Nein, ich wollte eine kleine Rundfahrt machen.
Vor dem Bahnhof, auf der Piazza dei Cinquecento, standen entlang des Bürgersteiges, friedlich quasi die gute, alte Zeit verkörpernd, neben den wartenden Taxis auch ein paar offene Kutschen. Ganz klar eine Touristenattraktion. Ich schritt auf ein solches Gefährt zu, Pferd und Kutscher dösten in der Morgensonne, es roch nach Pferd, Leder und Wagenschmiere. Wie selbstverständlich warf ich mein leichtes Gepäck auf die roten Ledersitze, sagte auf Deutsch, nachdem ich vorher auf Italienisch gegrüßt hatte, dass ich eine kleine Rundfahrt wünschte. Der Kutscher, ein knochiger, kleiner Italiener in schwarzen Weste namens Vincente, ja er nannte sofort seinen Namen, lächelte, zeigte seine blendend weißen Zähne und die blitzenden Augen und dann, als er begriffen hatte, ein Ausländer, noch dazu ein „Deitscherr“, wünsche seine Dienste, überschüttete er mich mit einem Schwall schnell gesprochener italienischer Worte, aus denen ich entnahm, weil seine Wortflut auch ein wenig Deutsch enthielt, dass das Ganze ungefähr eine Stunde dauern und die für unsere Verhältnisse bescheidene Summe von fünfunddreißig Euro kosten würde. Ich erinnerte mich, in Salzburg hätte das Vergnügen fünfzig Euro gekostet, und in Wien noch zwanzig mehr.
Kaum saß ich auf den rissigen, nach Schweiß und Leder riechenden Ledersitzen, ging es los. Der Kutscher trieb sein zu plötzlichem Leben erwachtes, mageres Pferdchen an – komisch er nannte es „Aggripina“ - und so rollten wir zwischen den neben uns dahinsausenden Autos, im dichtesten Morgenverkehr in munterer Fahrt dahin. Kaum waren wir an einer kleinen Grünanlage vorbeigekommen und über die Piazza delle Terme gefahren, wandte sich der Kutscher zu mir um, lächelte, deutete mit seiner Peitsche auf die Ruinen.
Prego, attanzione!, schrie er, den Verkehrslärm übertönend, in seinem italienisch-deutschem-Kauderwelsch, da Sie sehen´e die Thermen des Diokletian. Vielleicht Signore, erinnern Sie sich, dies war jener römische Kaiser, der es vorgezogen hatte, seine Tage nicht in Rom, sondern in Spoleto zu beschließen. Ein lobenswerter Entschluss. Man müsste es auch so machen´e. Einfach nach Kroatien hinüberfahren und - Come si chiama in tedesco? - alle Fünfe grade sein lassen´e. Aber man ist ja kein Kaiser. Auch kein Politiker. Non é cosi, Seniore?
Ich unterbrach seinen Redeschwall und bat ihn, mich zum Forum Traianum zu fahren. Ich wollte die berühmte Säule jetzt gleich und aus der Nähe sehen. Auf Bildern hatte ich sie schon hunderte Male bestaunt, die Säule des Kaisers Trajanus anlässlich seines Sieges im Dakischen Krieg, ich hatte Abhandlungen darüber gelesen, Filme angeschaut. Ich war ungeduldig und gespannt, wie würde dieses Monument am heutigen Tag in der Vormittagssonne aussehen? Was würde ich bei ihrem Anblick denken, was empfinden?
Naturalmente Signore, sprudelte mein Stadtführer, der kleine quirlige Kutscher, in seinem aufgeregten Italienisch sofort los, lo faremo immediatamente. Una piccola deviazione, niente di più. Tieni i soldi pronti. Guardare il pilastro costa denaro… und er ergänzte: Puoi anche salire nella colonna. C'è anche una ringhiera. Ma questo costa un extra e non ti è permesso fare fotografie.
Ich ließ mir alles übersetzen. Es gelang halbwegs. Nun wusste ich Bescheid, zückte meine Geldbörse. Klar, hier in Rom kostet jede Kleinigkeit.
Wir fuhren los. Der Weg zum Forum und zur Trajanussäule ware ja sozusagen ein ausgetretener Touristenpfad, sogar markiert und für Pferdekutschen eingerichtet. Der Gaul schien zu wissen, wo es hinginge, er trottete mit seinen dünnen Beinchen und wippendem Kopf durch den Straßenverkehr. Es dauerte nicht sehr lange, dann waren wir am Ziel.
Unterwegs repetierte ich mein angelerntes Wissen, blätterte im Bedecker, den ich aus meiner Umhängetasche gezogen hatte.
Ich las: „Das »Foro di Traiano« bildet mit seiner Lage in dem künstlich erweiterten Teilbereich zwischen dem Kapitol und dem Quirinal den westlichen Abschluss der ehemaligen kaiserlichen Foren. Seine architektonische und plastische Gestaltung zieht gewissermaßen die Summe aus den älteren Anlagen und führt so diese Bauaufgabe zu einem letzten beindruckenden Höhepunkt.
Marcus Ulpius Traian ließ das nach ihm benannte Forum in den Jahren 107 bis 113 n. Chr. durch seinen Hofarchitekten, den Syrer Apollodorus von Damaskus, errichten. Wie alle älteren Foren bildete auch das Traiansforum einen in sich geschlossenen baulichen Komplex, dessen Mittelpunkt eine heute leider nur noch auf Münzen überlieferte goldene Reiterstatue des Kaisers symbolisierte. Ein Triumphbogen führte vom angrenzenden Augustusforum auf die symmetrische Anlage, deren von Säulenhallen flankierte Längsseiten in großen Exedren ausschwangen. Der so geschaffene Platz wurde an seiner Westseite durch die querliegende Basilica Ulpia begrenzt, deren Mittelschiff durch 96 Säulen von den umlaufenden Seitenschiffen getrennt war. Die Schmalseiten nehmen noch einmal das Motiv der ausschwingenden Apsiden des Hauptplatzes auf. Im Westen der Basilika schlossen sich zwei einander entsprechende Bibliotheken für griechische und lateinische Literatur an. Die zwischen diesen beiden Bauten errichtete Siegessäule hat sich als einziger Teil der Anlage bis heute vollständig erhalten. Den westlichen Abschluss der Anlage bildete der von Kaiser Hadrian für seinen vergöttlichten Vorgänger und dessen Gemahlin Plotina errichtete Tempel.
Indes, das einzige vollständig erhaltene Monument des heutigen Trajanusforums ist die 113 n. Chr. errichtete sogenannte Trajanussäule. Über einem würfelförmigen Sockel erhebt sich die aus 17 Marmortrommeln zusammengesetzte Siegessäule. Diese ist durch eine Wendeltreppe in ihrem Inneren begehbar. Das 200 m lange, sich in der Form einer antiken Buchrolle emporwindende Reliefband schildert die beiden von Traian gegen die Daker geführten Kriege der Jahre 101/102 und 105/106. Die Darstellungen der beiden erfolgreichen Feldzüge werden durch die Gestalt einer schreibenden Victoria voneinander getrennt. Die Reliefs der insgesamt 38 m hohen Säule gehören in der fein nuancierten Komposition der Figurengruppen und ihrer erzählerischen Dichte zu den Meisterwerken der kaiserzeitlichen römischen Baukunst. Neben ihrem kaum zu überschätzenden künstlerischen Wert bieten ihre ikonographischen Details zugleich auch ein wichtiges Anschauungsmaterial zur Waffen- und Kostümkunde.
Durch die in ihrem Sockel bis in die Spätzeit Roms aufbewahrte goldene Urne, welche die Asche Traians enthielt, erhielt die Säule zugleich die zusätzliche Funktion eines Grabdenkmals. Die Reliefs des mächtigen, sehr stabil wirkenden Postaments zeigen die als Siegestrophäen aufgerichteten Waffen sowie die Legionsadler mit Girlanden aus Eichenlaub. An der der Basilica Ulpia zugewandten Seite befindet sich noch heute die Tafel mit der Weiheinschrift…“ Sie lautet:
“SENATVS·POPVLVSQVE·ROMANVS
IMP·CAESARI·DIVI·NERVAE·F·NERVAE
TRAIANO·AVG·GERM·DACICO·PONTIF
MAXIMO·TRIB·POT·XVII·IMP·VI·COS·VI·P·P
AD·DECLARANDVM·QVANTAE·ALTITVDINIS“
Das heißt:
„SENAT UND VOLK VON ROM WEIHEN DIESES MONUMENT DEM
IMPERATOR CAESAR NERVA TRAJANUS AUGUSTUS, SOHN DES VERGÖTTLICHTEN NERVA, BEZWINGER DER GERMANEN UND DER DAKER, PONTIFEX MAXIMUS, INHABER DER TRIBUNIZISCHEN AMTSGEWALT ZUM 17. MAL, SIEGREICHER FELDHERR ZUM SECHSTEN MAL, CONSUL ZUM SECHSTEN MAL, PATER PATRIAE“
Freilich, heute gibt es die oben erwähnte Urne, die seinerzeit aus purem Gold gefertigt worden war, nicht mehr. Sie wurde in einer feierlichen Prozession nach Rom gebracht und im Sockel der Siegessäule aufbewahrt. Der Kaiser starb im August 117 in Selinus, einer kleinen Stadt in Kilikien. Kilikien war eine antike Landschaft im Südosten Kleinasiens. Sie entspricht heute etwa dem östlichen Teil der türkischen Mittelmeerregion und somit den heutigen türkischen Provinzen Adana, Mersin und Osmaniye, sowie dem größten Teil der Provinz Kahramanmaraş, allerdings ohne die heutige syrischen Provinz Hatay.
Wo die Urne hingekommen ist, weiß niemand. Sie verschwand schon in der Spätzeit Roms, wahrscheinlich wurde sie von den Goten geraubt und später eingeschmolzen.
Wir kamen am Forum an, ich sah die Säule in der goldenen Morgensonne leuchten. Sie ragte auf wie ein erhobener göttlicher Zeigefinger. Ich konnte es nicht hindern, aber mein Herz klopfte und ich fühlte mich erhaben wie sich die zahllosen Millionen von Menschen erhaben und erhoben gefühlt haben mussten, die sie so wie ich in den vergangenen Jahrhunderten in dieser Morgensonne gesehen hatten. Trauben von Touristen stauten sich schon um diese frühe Stunde vor dem Monument und dem mit Säulen umstandenen Forum, alles war sichtbar abgesperrt und von Carabinieri bewacht.
Ich fragte meinen Stadtführer. Wortreich antwortete er mir. Ach, es bestünde akute Einsturzgefahr, zumal es vor zwei Tagen ein leichtes Erdbeben gegeben habe. Niemand dürfe das Forum außerhalb der Absperrungen betreten. Und im Turm von innen nach oben zu steigen sei schon lange nicht mehr möglich. Die Hunderttausende von Touristen hätten mit ihren Schuhen und Füßen alles ausgetreten, zudem habe es immer wieder Menschen gegeben, die beim Aufstieg Mauerreste herausgekratzt hätten, um ein Souvenir mit nach Hause zu nehmen. Wenn man dies weiter zuließe, würde die Säule mit der Zeit sozusagen von innen abgetragen, der Schaden wäre unermesslich. Nur noch Wissenschaftlern und ausgewählten Journalisten wäre der Zutritt heutzutage erlaubt… freilich, ergänzte der kleine Mann gewitzt lächelnd, ihn, den Vincente, kenne man hier ganz genau, er sei schon lange in städtischen Diensten, er wisse die Schliche und er habe schon so manchem seiner Kunden eine Sondererlaubnis verschafft. Im Grunde sei es wie damals zu den Zeiten der Kaiser, auch damals habe nicht jeder in der Säule nach oben klettern können, die Vigilis und die Cohortae Augusti hätten alles überwacht, hätten sich auch dadurch nebenbei so manchen zusätzlichen Sesterz verdient…
Aha, dachte ich, darauf willst du also hinaus, mein lieber kleiner Vincente. Ich lächelte, überlegte ein paar Sekunden, dann bat ich meinen Führer, indem ich ihm meinen Bibliotheksausweis der Universität und einen alten Presseausweis vor die Nase hielt, ob er es nicht schaffen könne, mir den inneren Aufstieg in der Säule zu ermöglichen, dabei öffnete ich meine Geldbörse, zog einen Fünfziger halb heraus… Un piccolo salario fa cenno, sagte ich. Es war beinahe das Einzige, was ich für meinen Alltag in Italien auswendig gelernt hatte.
Vincentes Augen blitzten. Voglio provarlo. Ich will es mal versuchen.
Er rutschte von seinem Kutschbock, vertäute die Zügel, zog die Bremse an und huschte zu den Carabinieri, von denen der eine oder andere bei den Touristen stand und eine Zigarette rauchte. Ich sah meinen Vincente in heftiger Diskussion mit zweien von ihnen, einer schien ein höherer Offizier zu sein, ich sah es an seinen Rangabzeichen, ein paar Mal zeigte Vincente in meine Richtung. Nach ein paar Minuten kam er wieder zurück. Er winkte mir.
Andiamo! Prego! sagte er und rieb Daumen und Zeigefinger. Das kostet. Costa! Der Offizier dort, er zeigte auf den einen, wird Ihnen eine Sondererlaubnis erteilen. Andiamo! Kostet Sie fünfunddreißig Euro! Seniore! Und ich kriege auch nochmal dasselbe!
Aha, dachte ich vergnügt, der Einheitspreis!
Vincente begleitete mich zu dem Carabinieri-Offizier. Es war ein Capitano!
Er machte ein strenges Gesicht. Wahrscheinlich hätten die Vigili im Alten Rom, dachte ich, genauso streng geblickt, wenn sie einen auf den Turm hinauf ließen.
Ich zeigte wieder die Ausweise, dazu noch meinen deutschen Pass, danach ließ ich einen Fünfziger in die halboffene Hand des Offiziers gleiten. Er stutzte, wollte herausgeben, ich schüttelte den Kopf. Da hellte sich sein Gesicht auf und er hätte, wären wir im kaiserlichen Rom gewesen, sogleich einen Tragesessel für mich bestellt. Er rief seinen Kollegen etwas zu, klopfte auf seine Brusttasche, wo er den Fünfziger hineingesteckt hatte, und die Kollegen grinsten fröhlich zurück, einer deutete einen Trunk an. Ich bedankte mich bei Vincente. Er solle warten, rief ich ihm zu, er bekäme sein Geld, wenn ich wieder unten wäre. Dann geleitete mich der Offizier zum Postament der Säule. Ich staunte die Marmorquader mit den Reliefs und den Inschriften an, blieb vor der dunkelgrünen Tür stehen, die an der Querseite des Sockels angebracht war. Sie schien sehr alt, zugleich aber recht stabil zu sein. Der Offizier zog einen Riesenschlüssel und schloss auf. Wir gingen hinein. Es roch herrlich alt und muffig. Mein Herz klopfte. Ein kühler Luftzug wehte. Die Jahrtausende wehen mich an, dachte ich und fröstelte ein wenig. Der Offizier machte Licht. Ja, man hatte hier irgendwann eine Lichtleitung gelegt. Ich bekam ein unglaubliches Gefühl von Größe und Ewigkeit. Der Offizier übergab mir einen gelben Bauhelm. Den müsse ich tragen, sagte er zuerst auf Italienisch, dann auf Englisch, das sei Vorschrift. Er schaute auf seine Armbanduhr. Eine dreiviertel Stunde habe ich Zeit. Keinesfalls dürfe ich Baumaterial beschädigen oder abkratzen. Das sei streng verboten. Ich solle vorsichtig nach oben steigen, die Stufen wären ausgetreten und schief, an der Außenseite gäbe es ein Geländer. In jeder der 17 aufeinander getürmten Marmortrommeln gäbe es zwei Schlitze, durch die man nach draußen auf die Stadt schauen könne. Fotografieren aber sei strengstens verboten. Am besten wäre es, wenn ich den Fotoapparat hier unten ließe. Ich antwortete, ich hätte keinen Fotoapparat dabei. Auch kein Smartphon? Nein, auch kein Smartphon. Das hätte ich in meinem Gepäck in der Kutsche gelassen…
O.k. sagte der Carabinieri-Offizier, es klang komisch, dass er englisch sprach. Dann fröhlich auf Italienisch: Buon divertimento! Er werde unten vor der Tür warten. Wir verglichen die Uhren. Er winkte mir zu. Dann stieg ich hinauf.
Es war nur mäßig hell und ziemlich eng wie auf einer schmalen Wendeltreppe, ich musste an meine Armeezeit denken, wo der Aufstieg auf einen der B-Türme ähnlich unbequem gewesen war.
Es war kühl hier drinnen. Begierig sog ich die Luft ein, irgendwie fielen mir die ägyptischen Pyramiden, in denen es so ähnlich roch ein. Ich stieg langsam höher, wartete auf den ersten Sehschlitz. Wie viele Menschen mochten hier schon nach oben gestiegen sein, dachte ich, Hunderttausende, Millionen vielleicht, natürlich damals nach der Fertigstellung zuerst die römischen Bauleute, Bausklaven und Freigelassene sowie der würdige Architekt Apollodoros von Damaskus. Ich sehe ihn vor mir - seine Büste. Das Haar nach vorn gekämmt wie es sein Kaiser liebte, aber mit einem kräftigen, nicht sehr langen Bart. Sein Brotherr und Kaiser Trajanus trug bekanntlich keinen Bart. Man hätte sein herrisches, entschlossenes Kinn sonst nicht gesehen. Mich schaudert. Visionen gaukeln herbei. Ich sehe den Kaiser mit seinem Gefolge. Es ist der Tag der Eröffnung des Siegesdenkmals. Man schreibt die Iden des Monats Martius im Jahre 113 n. Chr., oder 866 a.u.c. (ad urbe condita – seit der Gründung der Stadt Rom), also den 13. oder 15. März. Die Iden des Martius wurden beziehungsreich gewählt, weil man sich augenblicklich der Ermordung Gajus Julius Caesars erinnern musste…
Sie steigen also nach oben, zuerst Markus Ulpius Trajanus, der Kaiser, dann sein Beraterstab, die Minister, die wichtigsten Senatoren, der Tribun der Frumentarii, der Chef des Militärgeheimdienstes also, ein gewisser Rubius Gallus, und schließlich darf Traians bewährter Prätorianerpräfekt Servius Sulpicius Semilis nicht fehlen. Einer nach dem anderen steigen die Herren hoch. Langsam. Man flüstert nur. Manche husten. Immer nur eine Handvoll Leute darf hinauf, es ist zu eng und beschwerlich. Man muss warten, bis die Aufgestiegenen wieder herunter sind. Dann sind die nächsten dran. Oben gibt es keine Plattform, nur einen kleinen, niedrigen Raum von zweieinhalb Metern Durchmesser. Darüber das Dach und die goldene Statue des Kaisers – heute befindet sich dort oben eine Aussichtsplattform mit Geländer und die vergoldete Apostel-Petrus-Statue. Papst Sixtus V. ließ sie im Jahre 1587 aufstellen. In meinen Augen eine Schändung!
Zwei Senatoren, der ehrenwerte Markus Salienus Piso (nicht verwandt oder verschwägert mit dem bekannten Nero-Verschwörer Gaius Calpurnius Piso) und der ebenfalls ehrenwerte Publius Marullus Narbo aus dem uralten Adelsgeschlecht der Marulli - sie sind nicht mit dem Kaiser aufgestiegen. Sie wollen lieber unten warten, sich unterhalten, diskutieren, jetzt, wo der Traian außer Hörweite ist, besonders über die Kosten und die Sinnhaftigkeit dieser pompösen Säule. Im Senat haben sie sich bei der Abstimmung über die Errichtung dieses Monuments der Stimme enthalten. Ein Glück, bisher ohne Folgen… Ihr Argument, als Trajanus herunterkommt und sie fragt, warum sie nicht mit nach oben gestiegen wären, ihre Ausrede ist ihr enormes Körpergewicht. Nein, das könnten sie nicht leisten, man müsse sie ansonsten nach oben tragen. Der Kaiser lächelt. Die beiden sind tatsächlich außerordentlich fettleibig. Er entgegnet: Wer ihn, den Kaiser, nicht ehren könne, weil er zu fett sei, der müsse eben abgespeckt werden. Er werde dafür Sorge tragen. Ihr, meine ehrenwerten Senatoren, ihr wisst, fährt er fort, die großen Spiele aus Anlass meines Sieges in Dakien stehen in wenigen Wochen an. Ich will sie 100 Tage andauern lassen. Das werden die größten Spiele, die es in Rom je gegeben hat, größer noch als die meines vergöttlichten Vorgängers im Amt, des geheiligten Caesars Verspasian, die er seinerzeit zur Eröffnung des Kolosseums veranstaltet hat. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr, meine werten Herren – er tippte den beiden Dicken mit seinem elfenbeinernen Feldherrnstab vor die Brust – dass ihr, oh welche gute Idee, in der Arena vor meinen Römern ein paar Runden laufen werdet, und ihr könntet es euch aussuchen, ob hinter euch die Löwen oder ein paar germanische Stiere herstürmen sollen. Na, wie wäre das? Sagt selbst, da würdet ihr doch gewiss ein paar Pfunde verlieren? Der Kaiser lacht.
Die beiden Senatoren machen erschrockene Gesichter…
Ich steige höher, lange am ersten Sehschlitz an. Er ist nicht hoch über der Erde und in die erste Marmortrommel gehauen, darunter befindet sich der drei Meter hohe Sockel, das Postament der Siegessäule. Man sieht von hier nicht viel, nur einen schmalen Ausschnitt wie aus einem Panzerturm. Man erkennt Teile des Forums, die halben und abgebrochenen Säulen, Mauerreste der Basilika Ulpia und der Bibliothek, auf dem grünen Rasen herumliegende Marmorquader und Säulenstümpfe, Gruppen von Touristen, die Carabinieri… mir fällt ein wie ich die Mauerreste der Basilika Ulpia sehe, dass es dort zu Zeiten des Kaisers Trajanus jenes berühmte Atrium Libertatis gegeben hat, die Freiheitshalle, wo die Zensorenlisten öffentlich auslagen, auf denen die Freigelassenen feierlich eingetragen wurden…
Ich steige höher. Die Stufen sind tatsächlich schief und ausgetreten, eine gefährliche Angelegenheit, ohne Geländer geht da gar nichts. Der nächste Sehschlitz, ungefähr zwölf oder fünfzehn Meter über dem Erdboden, zeigt die prächtige Kirche der Mariä Namen und die dicht dahinter liegenden gelbroten Häuserblocks mit ihren dunklen Schattenwürfen, fast gleichen sie den altrömischen Insulae, den Hochhausblöcken und Menschensilos der Antike. Vom Alten Rom ringsum ist nicht viel zu sehen. Mit den hohen Häusern der Scalinata di Magnanapoli ist alles überbaut worden und die Pinienreihe auf der anderen Seite verdeckt den Blick nach Süden.
Weiter oben, überlege ich, wird es nicht viel besser sein.
Und so ist es auch. Zwar habe ich einen Stadtplan und meinen Bedecker bei der Hand, aber die nützen mir beide nichts. Ich drehe die Karten hin und her, so als wolle ich sie einnorden, vergleiche, orientiere mich an der Himmelsrichtung. Vergeblich. Wo ist denn nun der Kaiserpalast? frage ich mich verzweifelt, wo könne ich endlich diesen verfluchten Palatin entdecken, das grandiose Domizil der Caesaren, oder besser, was von ihm nach all den Jahrhunderten noch übrig ist? Ich weiß es nicht. Ich gestehe mir ein, ich habe mich schon im Überblick über die ewige Stadt restlos verirrt. Mein pfiffiger Kutscher könne mir sofort helfen, denke ich. Ach, es ist ärgerlich.
Ich steige die nächsten Stufen hoch. Beschließe oben hinaus auf die Plattform zu treten. Dann sehe ich das Schild: „Nessuna entrata! Pericolo di caduta!” - ich wage des trotzdem. Ich hoffe auf einen lohnenden Ausblick.
Die schon ziemlich warme Sonne empfängt mich, sie kitzelt mir das Gesicht. Ich höre den Straßenlärm, Autos hupen, irgendwo erklingt etwas leiser das Notsignal eines Rettungswagens, ich rieche die Stadtluft Roms, aber ich sehe nichts, zumindest so gut wie nichts von den alten, antiken Bauschätzen Roms. Die modernen Gebäude der Christenzeit und der Neuzeit, die Prefettura di Roma, die beiden Kirchen Mariä Namen, die stattlichen Wohn- und Verwaltungsblöcke ringsum, das ganze steinerne Gewirr versperrt mir die Aussicht.
Naiv hatte ich gehofft ganz frei auf die antiken Stätten, den Palatin-Hügel, die Kaiserforen, die Reste des Cirkus Maximus sehen zu können, auf die Ruinen der Kaiserpaläste, auf den Domitianpalast zum Beispiel usw. Eine Illusion. Eine große Enttäuschung. Plötzlich wirkt die Trajanussäule auf mich armselig und verloren, klein und einsam. Selbstbewusst zwar auch heute noch, aber trotzdem irgendwie vergessen. Ich stehe oben auf der Plattform der Säule, über mir riesengroß die Statue des Heiligen Petrus mit seinen beiden Schlüsseln. Es kommt mir schändlich vor. Respektlos. Das moderne christliche Rom hat sich in seiner selbstverständlichen Intoleranz und Ignoranz breitgemacht, unübersehbar, aufdringlich, wuchernd, dominierend…
Trotzdem, ich mag nicht aufgeben, ich versuche nach Süden in Richtung des Palatinhügels zu schauen, versuche mir vorzustellen, ich sähe trotzdem alles, wäre Augenzeuge zu Zeiten des Trajanus, könne hineinblicken in die Kaiserpaläste, hinter die Vorhänge und Fassaden, stelle mir vor wie es gewesen war, damals vor fast zweitausend Jahren…
Also beginnt die Erzählung:
Noch ist es angenehm frisch in der weiten Säulenhalle auf dem höchsten Punkte des Palatin.
Draußen aber glüht schon die Mittagssonne, die italische, die unbarmherzig brennende römische Sonne.
Eine feinnervige, doch kraftvolle Hand streckt sich nach der Früchteschale auf dem Triclinium. Es ist eine gepflegte Hand, befreit von jedem Haar, gesalbt, wohlriechend. Die Hand reißt eine einzelne Beere von der großen dunkle Traube, dann verschwindet sie mit dieser hinter der hohen Lehne des Stuhles. Diese zeigt oben links und rechts kleine vergoldete Adler und auf ihrer Rückseite das große kaiserliche Wappen.
Jetzt vernimmt man eine Stimme, eine wohlklingende Stimme mit tiefem, angenehmen Tempre, eine Stimme, die man kennt in Rom, im Senat, im kaiserlichen Palast, im ganzen bekannten Erdkreis, eine Stimme, die man auch häufig vor der angetretenen Truppe gehört hat, dann aber scharf, metallisch, befehlend, keinen Widerspruch duldend.
Weißt du, mein Licinius, sagt diese Stimme jetzt, und sie füllt die Halle, bemüht sich erst gar nicht, leise und gedämpft zu klingen, sondern dröhnt aus dem Stuhl hervor, als gelte es das Halbrund des Senats zu füllen, als wolle sie die greisen, adligen Schläfer aus ihrem Schlummer holen; weißt du, mein Freund, fährt diese kaiserliche Stimme fort, und sie hört sich plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, weich und gewinnend, ja fast schmeichlerisch an. Wir brauchen das Erz der Daker, mein Licinius, spricht der Kaiser, ja, wir brauchen vor allem ihr Eisen, natürlich auch ihr Gold aus dem Apuseni-Gebirge. Und sie sollen viel von beidem haben… Unverschämt viel! Wir müssen uns fragen: Wieso gehört dies alles ihnen und nicht uns? Wieso haben sie ihre Schätze vor uns versteckt? Unter unserem künftigen Boden, unserem morgigen Eigentum. Was Rom braucht, das muss es haben… das war schon immer so, ist es nicht so, mein Licinius?
Jetzt sieht man auch den anderen, den Angesprochenen, den älteren Freund und Ratgeber des Kaisers, Licinius Sura. Er hockt neben dem hohen Stuhl auf einem Kissen, hockt wie ein gealtertes Hündchen, mit demütig geneigtem Kopf, einem grauen alten Kopf, wuchernden Brauen und dem faltigem Gesicht. Gnäus Licinius Sura, heißt er, der Berater, der Lehrer und Landsmann des Kaisers. Wie dieser stammt er aus der Provinz Baetica im Süden der iberischen Halbinsel.
Neben dem Kaiserstuhl hockt der Licinius auf einem subsellium, einem niedrigen Hocker, der mit gefärbten Lederstreifen bespannt ist, und man hört weiter dem Kaiser zu, der jetzt betont langsam spricht, der genussvoll klangvolle Worte wählt und sie wollüstig artikuliert, sie schmeckt, beinahe als wolle er dem Nachhall der eigenen Sprache lauschen, er, der Herrscher und Gott, Marcus Ulpius Nerva Trajanus Augustus.
Wenn wir aber den Krieg gegen diese Daker beginnen, spricht der Kaiser weiter, und das muss bald sein, mein Licinius, dann soll der Senat und das Volk von Rom und der ganze Erdkreis es hören und erfahren: Wir tun das nur, weil wir eine Bedrohung abzuwehren haben, weil wir unsere Sicherheit und Freiheit auch im fernen Dakien verteidigen und auch weil wir diesen Barbaren endlich die Zivilisation bringen wollen, ja bringen müssen, unsere Zivilisation nämlich, und weil ihr König, dieser Decebalus, ein Schinder und Schlächter seines eigenen Volkes ist, den man im Namen der humanitas bestrafen muss – also, mein Licinius, tun wir dies, weil Rom immer die Zivilisation und den römischen Frieden bringt - seit über Sechshundert Jahren schon, und bis in alle Ewigkeit!
Hast Du meine Worte behalten, mein Licinius?
Ja, das habe ich, mein verehrter Kaiser und Gott Trajanus, antwortet Sura und verneigt sich von seinem Stühlchen bis zur Erde. Und er ergänzt: Die Worte des großen Kaiser sind wie immer voll Weisheit und Weitsicht.
Und der Alte neigt sich noch einmal, soweit es sein steifer und schmerzender Rücken erlaubt.
Weisheit und Weitsicht, wiederholt er ein weiteres Mal leise, legt den Griffel und das Wachstäfelchen zur Seite. Dann schweigt er in Ehrfurcht.
Auch der Kaiser schweigt jetzt. Wieder streckt sich seine Hand nach der Schale, reißt eine einzelne runde, blaue Beere von der Traube.
Draußen inzwischen steht die Sonne im höchsten Zenit, ein Windhauch weht heran, nicht lindernd frisch, wie man es sonst um diese Jahreszeit gewohnt ist, sondern heiß und glühend, und er vertreibt endgültig die Frische, die noch zwischen den Säulen verblieben ist.
Nach einiger Zeit, ein wenig Sand ist im Schauglas der Sanduhr durch die enge Taille gerieselt, kein Wort mehr ist im Säulenrund gefallen, nur das Flüstern des Windes ist zu hören gewesen, da erscheint die kaiserliche Hand wieder, sie winkt, ungeduldig, fordernd, die Finger erhoben – sofort eilen Sklaven herbei. Und mit bunt gefärbten Wedeln aus edlen, seltenen Straußenfedern umstehen sie bald ihren Herrn und fächeln ihm lindernde Kühle zu. Man schreibt den zwanzigsten Tag des achten Monats im Jahre 887 nach der Gründung Roms.
Wieder vergeht eine Zeit, es ist der nächste Tag, und diesmal hat der Stundenausrufer im Palast den Beginn der „Hora septima!“1 verkündet, da befiehlt der Kaiser zwei Männer zu sich, den obersten Rüstmeister und den kaiserlichen Waffenschmied, den ehrenwerten Agnaeus Tertius Omni und den Marcellus Sabinus. Sie erscheinen ein wenig außer Atem und, was den Sabinus betrifft, sogar unfrisiert und in nicht sorgsam gelegter Toga.
Der Gardeoffizier, der sie holte, hatte das Wort „celeriter“ hinzugefügt, was da heißt „ungesäumt, rasch“ oder „es eilt“, und das bedeutet, sie sollten alles stehen und liegen lassen, sollten sofort und „stehenden Fußes“ in den Palast zu ihrem Herrn und Kaiser kommen. Jaa, der Princeps hat es immer eilig. Man weiß das. Verspätungen werden unnachsichtig bestraft, mal mit Stockhieben, und mal, wenn der Kaiser gute Laune hat, mit einer kleinen Strafzahlung von ein paar Hundert oder Tausend Sesterzen, je nach Vermögenslage des zu Bestrafenden. Das Geld kommt dann in das Osteolum jucundorum – des Kaisers „Kaffeekasse“ wie man heute sagen würde, eine kleines kupfernes Gefäß mit dem elfenbeinernen Abbild der dea parsimoniae, der Göttin der Sparsamkeit, auf dem Deckel.
Trajanus ist ein langgedienter Militär. Disziplin gilt ihm zuoberst. Dazu zählt besonders die Pünktlichkeit. Aber er ist auch geizig. Er hasst Verschwendung und Prasserei.
Manchmal streichelt er sein kleines Osteolum – sene Kasse – murmelt Beschwörungen und Zärtlichkeiten, küsst das Göttinnenabbild…
Die kleine Kasse ist stets gut gefüllt. Alle drei Monate muss er sie entleeren und den Inhalt in seinem Panzerschrank im Sacrarium des Jupiter verstauen.
Oh, es gibt viele Sünder und Nachlässigkeiten im Palast, die er bestrafen muss. Seine kleine Kasse wird nie versiegen. Ein kleines Vermögen hat er schon angehäuft. Er will es nicht für sich verwenden, nein er wird es dem Staatshaushalt hinzufügen. Für Notzeiten. So finanzierten, sagt er sich, die Sünde und die Schlamperei den Staat Rom nebenbei mit. Denn Stockhiebe allein machen ihn nicht glücklich. Sein Osteolum aber ist eine schöne Erfindung.
Und so fragt Trajanus den atemlos Eintretenden: Was willst du heute, mein Marcellus? Der Kaiser lächelt, willst du den Stock fühlen oder mein Osteolum füttern?
Wenn Gottheit erlauben, bitte ich, eine Spende abliefern zu dürfen.
Und wie hoch setzt du deine Sünde an? Was bist du dir wert?
Der Waffenmeister steht unentschlossen und ein wenig dümmlich vor seinem Herrn und Kaiser. Na? wiederholt Traian, wie schwer wiegt bei dir die Sünde der Unpünktlichkeit deinem Herrn gegenüber?
Ich weiß nicht, Herr?
Gut, sagen wir, da ich deine Vermögensverhältnisse kenne - Zehntausend Sesterzen. Aureoli, natürlich… Lauernd beobachtet Traian den Sabinus…
Oder, ergänzt er schnell, willst du deinem Kaiser lieber Zwanzigtausend spenden? Dann würde ich dir ein nächstes Zuspätkommen erlassen… du hättest sozusagen Kredit bei mir.
Marcellus Sabinus schweigt, und der andere, der daneben steht, der Rüstmeister Agnaeus Omni, lächelt schadenfroh. Ihn hat es heute nicht erwischt, Jupiter sei Dank.
Gut, mein Herr und Kaiser, es sei, stottert Sabinus.
Was denn nun? fragt Traian streng, zehn- oder zwanzig…
Zwanzig, Majestät.
Gut, mein Marcellus, so soll es sein… dann hast du bei mir einen einmaligen Zuspätkommens-Kredit - doch nun, meine Herren, weswegen ich euch rufen ließ: Ich will mir ein Bild vom Stand unserer Rüstung machen. Es ist Zeit, dass Rom der Welt wieder einmal seine Stärke zeigt. Ich habe mir das so gedacht…
Wieder klatschte der Kaiser in die Hände, ein Diener erschien. Traian machte ihm ein Zeichen. Nach wenigen Augenblicken erschien der Diener wieder, er trug eine lorica pectis2 in der Hand, warf sie, dazu aufgefordert, vor den Kaiser hin. Es gab ein klirrendes Gepolter. Traian bückte sich, hob den Panzer auf, hielt ihn seinen Gästen hin.
Seht her! Es ist eine Schande.
Der Panzer war eingebeult, an ein paar Stellen zeigte sich Rost, an einer Stelle in Brustmitte klaffte ein daumengroßes Loch, weitere kleinere Löcher waren zu sehen.
Die Legierung, vor allem aber ihr Hauptstoff, das Ferrum3, taugt nichts, schimpfte der Kaiser. Es kommt, ich gestehe es zu meiner Schande, aus der Provinz Hispania terraconensis, meiner alten Heimat Spanien, eine kaiserliche Provinz zwar, stets gut verwaltet von den Legaten Augusti, aber ach…
Er machte mit seiner kaiserlichen Hand eine wegwerfemde Bewegung.
Das große Loch hier hat ein einfaches Pilum4 geschlagen. Sogar Geschosse der phrygischen Bogenschützen dringen mühelos hindurch… Seht hier die kleinen Durchschläge… Traian bohrte mit dem Finger in den Löchern...
Quod futuit, non Martis in asinum5 – ein derber militärischer Fluch folgte.
Der Kaiser warf den Panzer vor sich auf den Boden. Es schepperte, polterte und klirrte.
Beim Herkules, wir brauchen besseres Eisen. Und ich weiß auch schon, wo wir es herkriegen können… oder weißt du es etwa auch schon, mein Tertius?
Traian warf dem Rüstmeister einen lauernden Blick zu. Man kannte diesen Blick, er verhieß nichts Gutes.
Der Rüstmeister wurde unsicher, aber er hatte verlässliche Quellen im Palast, es war ihm geflüstert worden, der Kaiser plane eine Expedition nach Dakien. Und so sagte er aufs Gradewohl, wiewohl nicht ganz sicher, ob seine Informationen der Wahrheit entsprächen: Vielleicht sollten wir, mein Kaiser und Herr, wenn die Götter uns gewogen sind, einen Versuch in Dakien machen. Das Eisen dort soll vorzüglich sein. Und es gibt eine Menge davon…
Trajanus schaute den Rüstmeister aus seinen tief liegenden grünen Augen forschend an. Woher weiß der Kerl das? dachte er. Wieso kennt er meine geheimsten Gedanken? Ich sprach darüber noch nicht öffentlich. Nur mein getreuer Licinius weiß davon, doch der würde mich nicht einmal verraten, wenn ich ihm wie dem Mucius die Hand versengen ließe, ja nicht einmal meine Dame Plotina weiß etwas… Oh, beim Jupiter, ärgerte sich der Kaiser, dieser Palast habe mehr lauschende Ohren und flüsternde Münder als es hier Bodenfließen aus Carrera-Marmor gäbe. Ja, verdammt, selbst wenn ich im Schlaf spräche, würde es bekannt werden… aber er wolle, überlegte er weiter, wiewohl der Recht habe, den Tertius noch ein wenig zappeln lassen. Denn der Kaiser liebte es nicht, seinen Untergebenen schon beim ersten Wort zuzustimmen. Sie hatten ihm zuzustimmen. Nicht andersherum. Mehr war nicht erforderlich. Im Grunde, wiewohl er meistens so tat, als benötige er die Vorschläge seiner Leute, hasste er es, wenn sie ihre eigenen Gedanken vorbrachten. Er war durch und durch Militär, er gab die Befehle, und beim Martis, keiner durfte sich widersetzen und keiner sollte Eigenes hervorbringen. Erst wenn der Befehl gegeben war, duldete er so etwas wie Eigeninitiative. Manchmal erbat er sie sogar… doch jetzt, nein der Tertius sollte nicht das Gefühl haben, eine Idee geäußert zu haben, welche seinen, des Kaisers Intensionen, entspräche. Und falls dieser Kerl doch irgendwelche Informationen habe, Informationen, die vielleicht irgendein Sklavenohr erlauscht hätte, so müsse er ihn dennoch glauben machen, sie seien falsch, seine Quelle wäre nicht verlässlich…
Doch, bevor er also zur Sache kommt, und der Trajanus ist ein listiger Kaiser, will er einen kleinen Umweg machen, will er die beiden Beamten etwas verwirren, sie ablenken, sie packen bei ihrer Neugier, um dann umso überraschender, wie ein Falke, der sich auf die Taube stürzt, mit seinen kaiserlichen Ideen und den anschließenden Befehlen zu kommen.
Trajanus benutzte damals also eine Technik der Gesprächsführung - und wir merken daran, es gibt nichts Neues, was nicht schon einmal verwendet wurde - welche heutzutage in unserer modernen Welt die Kriminalbeamten gebrauchen, wenn sie dem zum Verhör Geladenen ein Geständnis entlocken wollen, dass dieser um keinen Preis der Welt herausrücken will - Trajanus also legte ein paar Schlingen, er führte die beiden, speziell den Tertius, in Gedanken weg vom Thema, wiegte sie in Sicherheit, lullte sie in Harmlosigkeit, kitzelte ihre Neugier, bediente die Klatsch- und Tratschsucht, um dann plötzlich das Eigentliche wie einen Blitz herniederfahren zu lassen und auf diesem Wege vielleicht sogar zu erfahren, was sein Rüstmeister ihm ganz und gar verschweigen wollte, nämlich wer es gewesen wäre, der in diesem Falle ihm im Palast des Kaisers Pläne verraten habe…
Freilich könne er den Tertius auch direkt befragen, überlegte Traian, ihn einschüchtern, ihm drohen und der Tertius sei ein ausgemachter Feigling, der würde alles ausplaudern… aber nein, so sei es ihm lieber, sagte sich der Kaiser, so entspreche es ganz seiner Vorliebe nach elegantia und ad bonum vetus via, den guten, alten Umgangsformen.
Trajanus also lächelt unter seinen dichten Brauen den Tertius leutselig, ja sogar freundlich an, fragt ihn, ob er überhaupt wisse, dass gerade als er, sein lieber und hochgeschätzter Kaiser, vor ein paar Tagen in Laurentum gewesen wäre, ihn dort eine überaus überraschende Nachricht eingeholt habe, nämlich dass… hier macht der Kaiser eine Pause, hielt die Luft an, beobachtet seine beiden Beamten.
Und tatsächlich, der Marcellus Sabinus, der Waffenmeister, kann sich nicht beherrschen, die Neugier schüttelt ihn. Er ist der Sohn eines Freigelassenen, eines armen Waffenschmiedes aus der Subura, dieser zwischen den Hügeln liegenden Region Roms, der vierten nach der Stadteinteilung des Kaisers und Gottes Augustus also. Ja, er, Marcellus Sabinus, gehört zur Plebs. Und als Plebejer übt man selbstverständlich selten Beherrschung. Man lebt und gibt sich wie es einem in den Sinn kommt. Und man ist hemmungslos neugierig. Der Klatsch und Tratsch sind das tägliche Elixier in den Gassen Roms. Das bildet einen von Kleinauf. Es ersetzt die heutigen Medien, die Boulevardpresse. Denn Bedeutendes, Wahlaufrufe, Politikerschelte, genauso wie einfache Schmähungen, Beschimpfungen und Beleidigungen werden einfach an die Häuserwände geschmiert. Das Maul des Volkes hält keinen Tag still, ebenso wenig wie sein Ohr verschlossen ist. Diese Schwatzhaftigkeit, die Neugier, die Sucht nach Sensationen, welche den tristen und häufig rohen Alltag bunt und abwechslungsreich machen, die spontane Verdammung wie die Lobpreisung von Männern und Frauen der Öffentlichkeit sind das Salz in der täglichen Suppe des Volkes von Rom. Und all diese Eigenschaften seiner Klasse haben den Marcellus Sabinus nicht verlassen, auch nicht, nachdem er Regierungsbeamter geworden ist, sich in langen, mühevollen Jahren empor gearbeitet hat, mit viel Fleiß, Geschick und Rücksichtslosigkeit. Nein, die vornehme Zurückhaltung des Adels hat er nicht im Blut. Wie es heißt: Cum plebes – plebes est semper. Einmal Plebs – immer Plebs. Und wie an allen Volkssprüchen, ist auch an diesem eine Menge Wahrheit.
Und so, unbeherrscht und von der Tratschsucht seines Herkommens durchglüht, stößt Marcellus Sabinus hervor: Oh, Gottheit, was war das für eine Nachricht? Bei den Göttern, lass uns nicht in Unwissenheit sterben.
Trajanus lächelt. Oh, beim Merkur, mein Marcellus, immer gleich sterben wollen, noch immer die schnelle Art der Plebs, he? fragt der Kaiser und lächelt ironisch. Weißt du nicht, fährt er fort, dass man seinen Herrn nicht unterbricht, dass man seine Neugier bezähmen soll? Ich müsste dich dafür zahlen lassen. Ein paar Tausend Sesterzen in mein Osteolum würden dir künftig mehr Zurückhaltung auferlegen… oder? Er greift nach seiner ledernen Peitsche, die er immer im Griffnähe liegen hat… oder soll ich dich mit dieser hier nach Soldatenart ein wenig streicheln?
Ach bitte nein, Gottheit, bitte nicht, schrickt Sabinus zurück, ich war nur von deiner Ankündigung so erregt, dass ich dich, wie ich zugebe, vorschnell unterbrach… verzeih deinem armen Diener, Herr…
Nun gut, bei der Göttin Juno, arm bist du wohl nicht, mein Marcellus, aber es sei, ich will euch die Geschichte erzählen, bevor ich wieder zum Kern meiner Gedanken zurückkehre… also, ich weilte in Laurentum und wurde dort, als ich den einstigen Landeplatz von Aenaeas, dem Helden eines unserer ältesten Sagen, besuchen wollte, von jener Nachricht überrascht, dass der ehemalige Consul und Litteratus Titus Catius Asconius Silius Italicus im zarten 75. Lebensjahr (hier lächelte der Kaiser) eines freiwilligen Hungertodes gestorben sei. Wirklich, es ist schade um ihn. Immerhin war er der letzte Consul, den Divinus Nero Caesar ernannt hat. Immerhin, noch während des Consulats des Titus Silius kam jener durch den berühmten, wiewohl befohlenen Dolchstich seines Freigelassenen Epaphroditos um. Heute redet kaum noch einer von Silius. Dabei war er ein begabter Dichter, wenn auch kein begnadeter Consul oder gar Redner… Aber seine Geschichte des Punischen Krieges wird ihn wohl überleben. Es ist ein überragendes Werk. Ich habe es gelesen. Lese noch heute manchmal darin. Freilich hat es nicht die Kraft der Commentarii eines Gaius Julius Caesar, aber zumindest gleicht es nicht der trockenen Gelehrsamkeit unseres alten Livius.
Silius also hungerte sich zu Tode, nachdem ihm sein griechischer Leibarzt die Mitteilung gemacht hatte, er leide an einer unheilbaren Geschwulst des Darmes. Zuerst habe er noch allerlei Mittel und Methoden probiert wie sie zum Beispiel auch der Onkel meines lieben Freundes Plinius, Caius Sekundus, in seiner Naturgeschichte beschrieben hat und wie sie allgemein angewendet werden. Aber, es half alles nichts. Trotzdem probierte er unverdrossen weiter. So ließ er sich zum Beispiel mit Honig abgeriebenen Seehasen auflegen. Auch die Leber der Wasserschlange sowie der Seeschlange nahm er ein, in einem Trunk von halb Wasser, halb syrischen Weines. Er nahm die Asche vom Kopfe des Maena oder Silurus, auch die der eingesalzenen Köpfe der Percae ein, ließ sich die Asche eines mit Blei verbrannten Seekrebses in den Wein mischen, aß mit Honig und Alaun vermischte Flusskrebse, Froschgalle träufelte er sich auf das Fladenbrot, er quälte sich weiter und weiter. Indes, sein innerer Krebs wuchs in seinem Bauche weiter und soll zum Schluss die Hälfte des ganzen Bauches eingenommen sowie diesen sogar durchbrochen haben.
Kurz und gut, da beschloss der arme Silius, jede Nahrungsaufnahme einzustellen. Nach einer Woche wog er nur noch die Hälfte, nach einer weiteren fiel er ins Delirium. In den Iden des Quintilis6 ist er dann gestorben. Ich erzähle dies so ausführlich, weil mich sein Tod nachdenklich und betroffen gemacht hat, vielleicht auch, weil ich ihn persönlich gekannt habe…
Allerdings, wiewohl man Toten nichts Schlechtes nachsagen soll, hatte der alte Silius einen sehr schlechten Ruf. Er galt als böser Angeber, als ein Ostentator der schlimmsten Sorte, der sich einst durch Verrätereien und üble Nachreden die Gunst des Divinus Nero Caesar erschlichen haben soll. Nach dessen Tod ist er indes, so schnell und lautlos es irgend ging, zu Vitellius übergelaufen. Dafür wurde er rasch belohnt, bekam die Provinz Asia, die er zunächst als Proconsul verwaltete. Und weil er dies ehrenvoll und zum Wohle Roms tat, so vergaß man schnell seine alten Sünden und Vergehen, so wie es immer geht, dass demjenigen, der für sein Vaterland Gutes tut, rasch und umfassend verziehen wird.
Seine Toga war also wieder blütenweiß geworden, ebenso wie die Tunika darunter. Und, da er ein Virtuose im Nutzen der Gunst der Stunde war, wurde er auch wohlhabend und reich. Er erwarb in der Nähe von Neapolis eine prächtige Villa, die einstmals dem Cicero gehört hatte. Ihm gutzurechnen ist allerdings auch, dass er das Grab des Vergil, welches sich ganz in der Nähe befand, mit Sorgfalt pflegte. Er bezahlte die Ausgaben dafür aus eigener Tasche, sodass die öffentlichen Kassen geschont wurden. Das verdient ausdrückliches Lob. Immer schon habe ich diejenigen Leute besonders gern gesehen, die zuerst das eigene Vermögen verwenden, bevor sie anfangen den Staat oder gar die kaiserlichen Kassen zu plündern… Ja, er beging den Geburtstag des Vergil feierlicher als seinen eigenen. Er ließ zwei Ochsen und ein Dutzend Pfauen opfern, brachte Brandopfer dar und sorgte dafür, dass ein öffentliches Gedenken im Tempel des Jupiter abgehalten wurde…
Als früherer Consul hätte er freilich zu meiner Begrüßung und den Thronfeiern nach Rom kommen sollen, indes er ließ sich entschuldigen. Ich gewährte ihm die Entschuldigung. Ganz offensichtlich fühlte er sich schon damals nicht wohl. Mein Geheimsekretär Junius Aproniacus hatte mich vom Unwohlsein des Titus Silius Asconius zwar informiert, leider aber vergaß ich die ganze Angelegenheit und wurde erst jetzt in Laurentium wieder, als ich die Nachricht von seinem Ableben erhielt, daran erinnert.
Ja, eine traurige Sache. Unser Silius starb umgeben von seiner Familie, den Freunden und Clienten, die sich in seinem Hause im Atrium und auf dem Triclinum versammelt hatte, und – wie angenehm für uns Nachlebende, wenn wir vom Tode auf diese Weise sprechen können – er war bis zuletzt heiter und ausgeglichenen Sinnes. Ja, so war es, ich unterhielt mich in Laurentium mit einem alten Freund des Onkels meines lieben Freundes Caius Plinius Cecilius, mit dem mich, wie jeder weiß, ein herzlicher Briefwechsel verbindet seit er in Bithynien und Pontus7 Statthalter ist, ich unterhielt mich also mit jenem Antonius Toris Principiae, einem Mann, der den älteren Plinius ganz gut gekannt hat und ihm beim Verfassen seiner kolossalen Naturgeschichte geholfen hat.
Antonius sagte, als ich ihm in Laurentium von Asconius Ende berichtete, dass einen der Tod immer mit Gram und Mitleid erfülle, dass das Leben, selbst, wenn es lang dauere, 80 Jahre oder mehr, stets daran erinnere, wie kurz es im Grunde sei. So sei es ihm Neros Tod noch lebendig im Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen, und doch sei jetzt erst mit dem Todes des Silius keiner mehr da, der noch unter Divinus Nero Caesar das Consulat innehatte. So enge Grenzen seien dem menschlichen Leben gezogen, dass man den Ausspruch des Perserkönigs Ahashver nachvollziehen könne, der, wie uns Herodot berichtet, beim Anblick seiner Heerscharen, die gerade den Hellespont überschritten hatten, in Tränen ausbrach und ausrief: „In hundert Jahren wird keiner meiner Kämpfer mehr am Leben sein und niemand von ihren Eltern und Kindern, noch von ihren Frauen und Leibeigenen. Und nur die Geschichtsschreiber werden von ihnen schreiben, aber das wird nicht die Wahrheit sein. Wir Menschen vergehen, egal, was wir tun, seien wir nun groß oder gewöhnlich. Und keine Spur bleibt von uns wie unsere Tritte im Sand am Meer…“
So also sprach der Antonius Toris Prinzipeae zu mir. Ich dankte ihm und antwortete:
Da unser Leben kurz ist, mein Antonius, wollen wir die vergänglichen Augenblicke durch unsere Taten verlängern – um der Nachwelt Beweise zu hinterlassen, dass wir gelebt haben.
Eifrig schrieb der Antonius meine Worte sogleich auf sein Wachstäfelchen.
Ich verabschiedete also den Antonius und zog mich mit meinen Ratgebern und Freunden zurück, um, weswegen ich im Grunde nach Laurentium, das Angenehme, nämlich die Ehrung des Aenaeas, mit dem Nützlichen verbindend, gegangen war, eine größere Sache vorzubereiten, diese zu besprechen und zu planen... Und jene Sache ist nun die, von der du, mein Tertius behauptest, dass du sie kenntest. Nun sprich also, was hat man dir geflüstert, was weißt du, vor allem aber – von wem weißt du davon? Woher kennst du den Wert des Eisens aus Dakien? Was weißt du von Dakien? Sprich, mein Tertius!
Agnaeius Tertius wird blass.
Er weiß, er muss jetzt herauskommen mit seinem Wissen, wenn er die Gunst des Kaisers behalten will, ja er muss dieses Wissen wie die Steine ausspielen, wie beim Tabula, dem Brettspiel, das er früher zu seiner Soldatenzeit in der Legio XIII Gemina8 bis zum Überdruss gespielt hat, damals, als er die Würfel schüttelte und auf den Tisch rollen ließ und den billigen Soldatenwein getrunken hat, damals als er noch als Decurio, dann als Centurio und schließlich als Tribun in Gallia Narbonensis9 und auch in Germania superior10 stationiert war. Etiam damnata11, er muss seinen Informanten nennen, er muss ihn verraten. Er weiß, er hat nur die Wahl zwischen diesem „Verrat“ und seiner hohen Stellung. Und die will er behalten, um jeden Preis, denn er will bei den künftigen Aktionen des Kaisers ganz vorn dabei sein. Noch gehört er nicht zum engeren Beraterzirkel des Herrschers, aber es drängt ihn der Ehrgeiz und ein unbändiger Wille dazuzugehören. Ein gehöriges Stück hat er schon geschafft, vom langgedienten Centurio über verschiedene Stufen bis zum Legionstribun, vom untersten zum obersten Rüstmeister. Oh, er kennt sich aus in allem Militärischen, von der einfachen Rüstung und dem Kurzschwert bis zu den Belagerungsmaschinen, jedes Detail kennt er; ja, er will wenigstens in den Ritterstand erhoben werden, ordinarius equestris, so soll man ihn künftig anreden müssen. Das hat er seiner Frau Domitilla vor dem Standbilde des Hausheiligen versprechen müssen. Hoch und heilig. Und er wird es schaffen… er schafft es! Der dakische Krieg wird eine große Sache, bei der auch viel Geld zu verdienen ist. Und dieser Krieg wird nicht nur einen Sommer dauern, nein, er wird Rom die nächsten Jahre beschäftigen. Und schließlich, quid est magnus paciscor12, sein Informant ist schließlich nur ein kleiner Kämmerer. Weiter nichts als ein Kämmerer. Ein Freigelassener noch dazu. Seine Vorfahren waren kilikische Sklaven. Freilich wird er, Agneius Tertius, diesen Informanten nun verlieren, und damit auch den Einblick, das Auge und Ohr – et eodem oculo et aure13 - einbüßen in bestimmte Interna am kaiserlichen Hof, aber was tut das schon. Er muss dem Kaiser gefällig sein. Er muss… non est alius!14
Jedoch, einen Augenblick lang bedauert der Rüstmeister seine Schwatzhaftigkeit, seinen Übereifer und die Voreiligkeit. Ohne die säße er jetzt nicht in diesem Schlamassel. Und alles könne schön so weitergehen wie bisher. Aber, es geht nicht anders, gesagt ist gesagt - abyssus abyssum invocat! Ein Fehler ziehe den anderen nach sich. Die Götter strafen ihn zu Recht, nun müsse er gehorchen…
Und so strafft sich der Tertius und sagt: Gottheit! Ich weiß es von Fulvio.
Was?! Von meinem Kämmerer?
Ja, Herr.
Trajanus macht ein böses Gesicht. Fulvio also, dieser kleine miese Lump. Na ja, ein Kilikier. Was soll man da erwarten. Man soll eben keine Ausländer in seine Nähe lassen. Aber, beim Jupiter, was könne er im Einzelnen gehört haben? Mit wem habe er, Trajanus, in letzter Zeit außer mit seinem Licinius und außer der Handvoll Leute in Laurentium, noch über diese Sache gesprochen? Und zwar müsse es ja immer dann gewesen sein, wenn dieser Fulvio es ebenfalls habe hören können, wenn seine Dienste gefragt gewesen wären?
Ach verflixt, ihm fällt es nicht ein… außerdem, man werde es sowieso gleich wissen. Si quatiunt et loquar15
Der Kaiser klatscht in die Hände, er lässt den Hauptmann der Prätorianer rufen. Der erscheint in Windeseile. Stürzt herein. Keucht: Gottheit?!
Poponius, mein Bester!
Ja Herr?
Bring mir mal den Fulvio. Egal, wo er sich gerade aufhält und sei es im Bett mit einem Knaben…
Zu Befehl, Herr…
Der Hauptmann geht ab. Die beiden Herren, Tertius und Sabinus, der Rüstmeister und der Waffenmeister, haben sich die ganze Zeit nicht gesetzt. Sie stehen verlegen und abwartend vor dem breiten, mit goldenen Löwenfüßen gezierten Schreibtisch des Kaisers.
Die Wachen schleppen nach einiger Zeit - im Stundenglas ist nicht viel Sand verronnen - den Fulvio herbei. Er wehrt sich nicht, er hängt zwischen den Wachsoldaten wie ein schlaffer Sack, die hellbraune Tunika sieht fleckig und unrein aus. Die Wachsoldaten bleiben stehen, Poponius, der Centurio, der mit ihnen zurückgekommen ist, wirft dem Kaiser einen fragenden Blick zu.
Traian macht eine Geste. Die Soldaten lassen den Kämmerer Fulvio los. Der rutscht wie leblos auf die Marmorfließen, bleibt liegen. Er atmet schwer, schluchzt. Im Gesicht und an den Armen sieht man dunkelrote Flecken. Offenbar hat er sich bei seiner Verhaftung gewehrt. Die Soldaten, von Natur rohe Burschen, groß, rotblond, aus Germania superior stammend, haben nicht viel Federlesens gemacht. Sie haben große Fäuste, verstehen nur ein paar Brocken Latein. Man kann sich denken, dass, wo sie zupacken, Verletzungen nicht ausbleiben. Wahrscheinlich hat Poponius ihm auch mit seinem centurionis pavimentum16 ein paar Schläge versetzt.
Der Kaiser geht auf den Liegenden zu, bleibt vor ihm stehen, berührt ihn mit der Spitze seines rotbraunen, genagelten Lederstiefels. Fulvio zuckt und stöhnt.
Steh auf, Fulvio!, sagt Trajanus, dein Kaiser steht vor dir.
Der Angesprochene rührt sich nicht, er wimmert nur.
Der Kaiser gibt den Wachen den Befehl, ihn aufzurichten und gerade vor ihn hinzustellen. Scharf blickt Trajanus auf das zerschundene Gesicht seines Kämmerers. Hast du nichts zu sagen?
Schweigen, nur Wimmern.
Gut, sagt der Kaiser, du weißt selbst, dass du ein Verbrechen begangen hast. Du hast deinen Kaiser verraten. Darauf steht der Tod wie du weißt. Aber ich will dir eine Chance geben, ein Gottesurteil sozusagen an dir ausüben…
Der Kämmerer hebt den Kopf, wirft dem Kaiser aus seinen verschwollenen Augen einen schiefen, fragenden Blick zu.
Trajanus aber wendet sich ab, geht zwei Schritte auf seine wartenden Beamten zu.
Er spricht sie an: Ich will euch, meine Herren, ein Experiment vorführen. Ihr sollt Zeugen sein, welcher Unterschied zwischen dem Brustpanzer unserer alten Bauart und denen aus dem, dakischen Ferrum besteht. Kommt mit in den unteren Palasthof, dort habe ich alles aufbauen und herrichten lassen.
Trajanus geht auf den Ausgang zu, wendet sich an der Tür noch einmal dem Centurio der Palastwachen zu.
Mein Poponius!
Ja Herr? antwortet der Centurio, er strafft sich, zieht den Helmriemen fest.
Den da sagt der Kaiser – und er zeigt auf den Fulvio – den bringt mit nach unten. Ganz so wie er ist, aber sieh zu, dass er auf eigenen Beinen stehen kann.
Ja Herr.
Kommt, meine Herren.
Man geht hinunter in den sogenannten kleinen Palasthof, in parvis vestibulo carceris17. Dieser ist ein von korinthischen Säulen umgebenes Rechteck, hinter den Säulen befinden sich überdachte Wandelgänge, deren Wände mit allerlei allegorischen Malereien geschmückt sind. Zwischen jeder dritten Säule steht jeweils eine Plastik, bunt bemalt, mit Gold und Silberplättchen beklebt. Sie sollen regionale Götterfiguren aus allen Regionen des Reiches darstellen. Der Platz ist etwa so groß wie die heutige moderne Spielfläche für Feldhandballspiele, in der Mitte des Rechtecks prunkt eine vergoldete Reiterstatue des Kaisers. Darum herum gelagert Kränze und Blumengebinde, die täglich erneuert werden. Manchmal kommen Pilger und beten vor den Figuren oder auch zu dem Reiterstandbild. In ein kleines hellblaues Marmorbecken, das täglich mit frischem Wasser gefüllt wird, werden Münzen geworfen. Diese Besucher, die aus allen Ländern und Provinzen des Reiches kommen, werden von den Wachen namentlich registriert, kontrolliert, gezählt und wieder verabschiedet, alles ganz und gar geordnet und diszipliniert. Viele Worte werden nicht gemacht.
Ansonsten dient der Platz den Prätorianern als Übungs- und Trainungsfeld und auch als Fläche für kleinere Militärparaden und Inspektionen. Er ist mit rotem Zierkies bestreut.
Der Kaiser bleibt stehen und nickt zufrieden.
Beide, der Waffen- und der Rüstmeister, sind überrascht, sie machen große Augen. Licinius, der kaiserliche Berater, der urplötzlich ebenfalls erschienen ist, lächelt wissend und siegessicher.
An der schmalen Seite des Vierecks sind mannshohe Holzpfähle in den Boden gerammt. Insgesamt sechzehn Stück. In der Mitte ist eine Standarte aufgerichtet. Es ist eine Standarte der XIII. Legio Gemina, neben der Legio X. Fretensis und der Legio II. Traiana fortis, die Lieblingslegionen des Kaisers. Darauf ist ziemlich weit oben eine vergoldete Bronzemaske des Trajanus befestigt. Ein ganz neues Stück, in Originalgröße dem menschlichen Kopf nachgebildet, von dem kaiserlichen Hofschmiedemeister Gaius Como Senestris Vulcanus erst kürzlich geliefert. Zweihunderttausend Sesterzen soll sie gekostet haben. Nach der Waffenübung hier auf dem Palatin, ihrer ersten öffentlichen Vorstellung, soll die Maske an die Front nach Dakien geschickt werden. Bei den Kämpfen und dem zu erwartenden Sieg gegen die Daker soll sie der Truppe den kaiserlichen Segen und Schutz spenden. Trajanus liebt diese Maske über alles. Er hat sie, nachdem sie von den Priestern geweiht worden war, stundenlang betrachtet, sie sich vor das Gesicht gehalten, soll damit sogar herumgelaufen sein, hat seine Umgebung, die Diener und Ordonanzen, Sura, sogar die Kaiserin andauernd gefragt, ob sie ihm passe, wie sie ihm stünde. Ein Centurio wurde extra abgestellt, der sie täglich zu putzen hat.
Vor jedem dieser Pfähle auf jener schmalen Seite stehen Sklaven, Militärgefangene, Gefängnisinsassen. Man kann nicht genau ausmachen, um welche Kategorie es sich im Einzelnen handelt. Ein Pfahl scheint noch unbesetzt…
Eine halbe Kohorte der Garde steht voll bewaffnet an der rechten Seite bereit. Sie warten auf Befehle. Gegenüber den Pfählen steht eine fahrbare Ballista, gefechtsbreit. Die Maschine ist ein bewährtes Artilleriegerät, das sich in allen neueren Kriegseinsätzen bewährt hat. Sie ist klein, handlich und kann in schneller Folge Kugelpfeile und armbrustähnliche Bolzen abschießen.
Um die Maschine herum stehen die Bedienmannschaften, ungefähr zehn Soldaten und ein Decurio. Alles bewährte Kämpfer der Legio XIII Gemina.
Trajanus erklärt: An die ersten acht Pfähle von links werden Gefangene in den Brustpanzern aus unserer eigenen herkömmlichen Produktion gebunden, an die nächsten acht solche in den schwarzen Schuppenbrustpanzern aus dakischem Ferrum. Dann treten unsere Schützen an. Sie verwenden für je zwei Harnische phrygische Bögen, wie sie unsere Sagitarii und die Hilfstruppen verwenden, geeignet für den parthischen Schuss; dann nehmen wir die kleine Ballista, die dort drüben steht, und