Das Neandertaler-Experiment - Klaus Funke - E-Book

Das Neandertaler-Experiment E-Book

Klaus Funke

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Beschreibung

Eine tolle Geschichte. Geheimnisvolle Dinge geschehen. In Europa. In China. In den USA. In Australien. Weltweit. Unbekannte Flugobjekte tauchen auf und verschwinden wieder. Wer sich mit ihnen einlässt, verliert sein Leben. Plötzlich findet man in der Tundra, vom tauenden Permafrost freigegeben, eine Mumie. Einen Neandertaler. Später macht sich in Sibirien eine Forschergruppe auf die Suche nach unseren Vorfahren. Zwei Forscher, eine Schwedin und ein Norweger, finden das Knochenfragment eines Neandertalers. Doch die Isotopenanalyse zeigt, dieser Fund ist erst wenige Jahre alt. Mitten im unwirtlichen Sibirien finden die Forscher einen Stamm von Neandertalern. Es scheint, dass es sich um geklonte Exemplare des vor Jahren im Norden Russlands gefundenen Eiszeitneandertalers handelt. Wer klonte sie? Und zu welchen Zweck? Die Expedition hin zu den Hominoidae ist gefährlich. Nur zwei Teilnehmer überleben. Unter widrigsten Umstanden arbeiten und forschen sie weiter. Sie brechen die Expedition ab, kehren nach Europa zurück. Wenige Wochen später zeigt sich, die schwedische Teilnehmerin ist schwanger geworden. Wie geschah das? Was für ein Kind wird sie gebären? Einen Neandertalermischling? Anderes, Merkwürdiges ereignet sich: So verschwindet ein ganzer nordamerikanischer Indianerstamm, der mit der seltsamen KI aus dem Weltall Kontakt gehabt hat. Auch ein australischer Stamm von Aborigines hat sich plötzlich aufgelöst. Wo sind diese Völker hin? Was ist mit ihnen geschehen? Hängt dies mit den extraterrestrischen Objekten zusammen, die Jahre vorher, die Erde besucht hatten? Viele Rätsel ergeben sich. Nicht alle können gelöst werden. Das Buch ist eine einmalige Mischung von Wissenschaft und Phantastik. Es hält die atemlose Spannung bis zuletzt.

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„ALS ABER DER HERR SAH, DASS DER MENSCHEN BOSHEIT GROß WAR AUF ERDEN UND ALLES DICHTEN UND TRACHTEN IHRES HERZENS NUR BÖSE WAR IMMERDAR, DA REUTE ES IHN, DASS ER DIE MENSCHEN GEMACHT HATTE AUF ERDEN, UND ES BEKÜMMERTE IHN IN SEINEM HERZEN. UND ER SPRACH: ICH WILL DIE MENSCHEN, DIE ICH GESCHAFFEN HABE, VERTILGEN VON DER ERDE, VOM MENSCHEN AN BIS HIN ZUM VIEH UND BIS ZUM GEWÜRM UND BIS ZU DEN VÖGELN UNTER DEM HIMMEL; DENN ES REUT MICH, DASS ICH SIE GEMACHT HABE…“

1. BUCH MOSES, KAPITEL 6/5

Zum Buch:

Eine tolle Geschichte. Geheimnisvolle Dinge geschehen. In Europa. In China. In den USA. In Australien. Weltweit. Unbekannte Flugobjekte tauchen auf und verschwinden wieder. Wer sich mit ihnen einlässt, verliert sein Leben. Plötzlich findet man in der Tundra, vom tauenden Permafrost freigegeben, eine Mumie. Einen Neandertaler. Später macht sich in Sibirien eine Forschergruppe auf die Suche nach unseren Vorfahren. Zwei Forscher, eine Schwedin und ein Norweger, finden das Knochenfragment eines Neandertalers. Doch die Isotopenanalyse zeigt, dieser Fund ist erst wenige Jahre alt. Mitten im unwirtlichen Sibirien finden die Forscher einen Stamm von Neandertalern. Es scheint, dass es sich um geklonte Exemplare des vor Jahren im Norden Russlands gefundenen Eiszeitneandertalers handelt. Wer klonte sie? Und zu welchen Zweck? Die Expedition hin zu den Hominoidae ist gefährlich. Nur zwei Teilnehmer überleben. Unter widrigsten Umstanden arbeiten und forschen sie weiter. Sie brechen die Expedition ab, kehren nach Europa zurück. Wenige Wochen später zeigt sich, die schwedische Teilnehmerin ist schwanger geworden. Wie geschah das? Was für ein Kind wird sie gebären? Einen Neandertalermischling? Anderes, Merkwürdiges ereignet sich: So verschwindet ein ganzer nordamerikanischer Indianerstamm, der mit der seltsamen KI aus dem Weltall Kontakt gehabt hat. Auch ein australischer Stamm von Aborigines hat sich plötzlich aufgelöst. Wo sind diese Völker hin? Was ist mit ihnen geschehen? Hängt dies mit den extraterrestrischen Objekten zusammen, die Jahre vorher, die Erde besucht hatten? Viele Rätsel ergeben sich. Nicht alle können gelöst werden. Das Buch ist eine einmalige Mischung von Wissenschaft und Phantastik. Es hält die atemlose Spannung bis zuletzt.

Zum Autor:

Klaus Funke, in Dresden geboren, hat in den letzten Jahren zahlreiche Romane und Erzählungen der unterschiedlichsten literarischen Genres bei verschiedenen Verlagen vorgelegt. Einige davon sind sehr bekannt geworden und Bestseller bis heute.

PROFESSOR STEPHEN HAWKING WARNT VOR EINER BESIEDLUNG DER ERDE DURCH ALIENS

DER BRITISCHE WISSENSCHAFTLER PROFESSOR STEPHEN HAWKING HAT JETZT DIE MENSCHHEIT VOR EINER DÜSTEREN ZUKUNFT GEWARNT. STEPHEN HAWKING IST DER MEINUNG, DASS AUßERIRDISCHE INTELLIGENZEN, DIE FORTSCHRITTLICHER SIND ALS DIE MENSCHHEIT, UNSEREN PLANETEN KOLONISIEREN UND BESIEDELN KÖNNTEN. HAWKING SAGTE IN EINEM INTERVIEW: "WENN AUßERIRDISCHE UNS BESUCHEN, KÖNNTE DAS ERGEBNIS SO SEIN, WIE NACH DER LANDUNG COLUMBUS IN AMERIKA, WAS AUCH NICHT GUT WAR FÜR DIE UREINWOHNER AMERIKAS."

„…DENN ALLES, WAS ENTSTEHT, IST WERT, DASS ES ZUGRUNDE GEHT“

(GOETHE, FAUST)

Inhaltsverzeichnis

STAFFEL 1: DIE ANFÄNGE

Bundesrepublik Deutschland - Kirchheim/Nähe Heidelberg am 07. September 2017 gegen 01.43 Uhr

Frankreich - Paris, Rue des Saussaies, am 08. September 2017 gegen 11.14 Uhr

Volksrepublik China - Zeche Luoshan, Jiuguo Provinz Guizhou. am 08. September 2017 um 10.05 Uhr Ortszeit

Virginia, USA - 11. September 2017 um 18.14 Uhr Ortszeit

Port Augusta, Commonwealth of Australia

12. September 2017 um 7.31 Uhr Ortszeit

STAFFEL 2: DIE MUMIE

AUTONOMES GEBIET DER NENZEN – NORDWESTRUSSLAND

14. APRIL 2017 – 04.20 UHR

Moskau

26. April 2017 gegen 14.05 Uhr - Ortszeit

Russische Föderation

Kotum-Nar. Autonomes Gebiet der Nenzen 29. April gegen 15.39 Uhr Ortszeit

Dienstag, am 30. April, abends 21.45 Uhr

Zweiter Bericht notiert von Grigorij Palin,

Freitag, am 3.Mai, vormittags 10.45 Uhr

Private Tagebuchnotizen

Dienstag, am 30. April, abends 22.15 Uhr

Samstag, am 04. Mai, abends 23.45 Uhr

STAFFEL 3 :DER SCHÄDEL

STAFFEL 4: Im Reich der Hominoidae

Tagebuch von Britta Linda Bortholm - Mittwoch, den 24.Juni gegen 10 Uhr:

Freitag, 26. Juni

Tagebuchaufzeichnungen von Britta Linda Bortholm (Fortsetzung)

Donnerstag, 23. August

Samstag, 25. August

Tagebuchaufzeichnungen von Britta Linda Bortholm: (Fortsetzung)

Freitag, 14. September

Donnerstag, 28. September

Montag, 17. Oktober

Donnerstag, 28. Oktober

STAFFEL 5: EXODUS UND AUFERSTEHUNG

KÖNIGREICH SCHWEDEN STOCKHOLM

United States of America Hampton, State of Virginia

KÖNIGREICH SCHWEDEN STOCKHOLM

Australien – Bundesstaat South Australia

Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara – Umuwa, Hauptsitz des lokalen Verwaltungsgebietes der Aboriginal Community Im Nordwesten von South Australia etwa 1200 Kilometer nordwestlich von Adelaide Am 23. September – 10.35 Uhr Ortszeit

Königreich Schweden – Stockholm

171 64 Solna/Uppland 24. September - 14.45 Uhr Ortszeit

Ein Epilog

STAFFEL 1

DIE ANFÄNGE

Bundesrepublik Deutschland - Kirchheim/Nähe Heidelberg am 07. September 2017 gegen 01.43 Uhr

Professor Gert Sommerbruck war auf der Heimfahrt.

Die Beratung hatte länger gedauert. Bis eine halbe Stunde nach Mitternacht. Anschließend hatten sie noch im kleinen Kreis beisammen gesessen. Nein, er hatte den Wein abgelehnt, wiewohl man ihm zuredete, ihn gutmütig auslachte: „Mensch Professor, ein Gläschen in Ehren…“, aber er trank nun einmal nicht, trank überhaupt nur selten Alkohol und wenn er Autofahren musste, verzichtete er ganz. „Wenn ihr mir unbedingt etwas Gutes tun wollt, dann bringt mir ein Kännchen Kaffee…“ Den Kaffee hatte er getrunken, aber munterer war er davon nicht geworden, im Gegenteil. Außerdem: Seit Tagen hatte er im Hinterkopf so ein eigentümliches Ziehen. Ob es vom schlechten Schlafen käme? Die Fahrt jetzt durch die Nacht war anstrengend genug. Das Ziehen in seinem Hinterkopf verstärkte sich. Zudem war Nebel aufgekommen, es nieselte. In den Kurven wurde es glatt. Zweimal hatte schon der Schlupf-Assistent geblinkt und einen Ton abgegeben. Sommerbruck schaute auf die Uhr im Armaturenbrett. Schon eine Viertelstunde nach eins. Verflixt. Verdammt spät. Er sah sein Bett vor sich und freute sich darauf, stellte sich die wohlige Wärme vor, sah seine Frau neben sich, hörte sie atmen. Bis nach Bogenstedt, wo er wohnte, wo er seit Jahren ein kleineres Häuschen besaß, ein Grundstück am Wald, waren es ungefähr noch 25 Kilometer. Sommerbruck war müde und abgespannt. Das Spähen in die Nacht ermüdete ihn noch mehr, schon hatte er die Scheinwerferstrahlen doppelt gesehen, er schloss die Augen und öffnete sie gleich wieder, er umkrampfte das Lenkrad, er blinzelte ein paar Mal. Als er dann, ungefähr 10 Kilometer vor seinem Heimatort, ein Waldstück durchfahren musste, drosselte er die Geschwindigkeit bis auf 30 km pro Stunde. Der Nebel hatte sich verdichtet, der Blick reichte nur noch 50 Meter weit. Sommerbruck fluchte leise. In Gedanken rekapitulierte er die nächtliche Sitzung, die er verlassen hatte, holte sich die Gesichter seiner Kollegen und ihre Argumente ins Gedächtnis. Was hatte sein Kollege, der Doktor Wahrboldt, gleich gesagt? Es war ein drastischer Ausdruck gewesen, er fiel ihm nicht sofort ein… er musste nachdenken.

Plötzlich sah er vor sich etwas Aufblitzen. Zuerst dachte er an einen Sprung Rehe, der die Straße überquerte. Ihre Augen leuchteten so ähnlich auf wie bei allen Waldtieren, wie bei Hirschen, Wildscheinen, Füchsen, wenn sie im Dunkeln das Scheinwerferlicht eines Fahrzeuges kreuzen. Doch seltsam, er sah wohl das Aufblitzen dieser vermeintlichen Rehaugen, aber keinen Sprung Rehe. Nicht mal ein einzelnes Reh. Das gibt´s doch nicht! Unglaublich. Augen, die über eine Straße wechseln, Augen ohne Körper. Ach Quatsch. Sommerbruch rieb sich seine Augen. Nein, er werde weiter nichts als übermüdet sein, dachte er, vielleicht hätte er so spät doch lieber keinen Kaffee trinken sollen.

Indes, die Erscheinung verschwand. Still, nächtlich, neblig und feucht lag die Straße. Trotzdem, der Professor, hielt an. Das wollte er genauer wissen. Der Drang nach dem Erforschen einer Sache regte sich. Er nahm eine starke Taschenlampe und suchte den Straßenrand und das Gras im Graben nach Spuren ab. Natürlich fand er nichts. Kopfschüttelnd ging er zum Wagen zurück. Wieso ist das Auto so dunkel und so still? Komisch, er hatte doch den Motor laufen lassen. Jetzt war der aus. Auch die Scheinwerfer hatte er brennen lassen, jetzt waren sie ausgeschaltet. Dunkel und schweigend stand der Wagen. Seltsam. Ein kleines Unbehagen, sogar Angst überkam ihn. Sommerbruck stieg ein und versuchte zu starten. Es ging nicht. Der Wagen sprang nicht an. Nichts rührte sich. Nicht einmal die Ladekontrolllampe leuchtete auf. Was ist denn nun wieder? fluchte er. So ein Scheißabend. Ratlos und verärgert stieg der Professor aus, umrundete, als ob dies etwas helfen würde, das Auto. Etwa ein Batterieschaden? dachte er. Die Elektroanlage? Er hatte keine Ahnung davon. Verdammt, um diese Zeit! Es ist zum… Er tastete nach dem Funktelefon. Aber, zum Teufel, auch das ging nicht. Es blieb dunkel und gab keinen Ton von sich.

Was nun? Sommerbruck spürte – und er war hellwach – wie die Panik nach ihm griff. Er sah sich um, ein wenig gehetzt, ärgerlich. Oh, was war das?? Denn auf einmal sah er wieder die blitzenden, leuchtenden Rehaugen. Sie kamen aus dem Wald auf ihn zu. Ein Paar Augen nach dem anderen, sie umkreisten ihn, lautlos, alle auf gleicher Höhe. Sie waren nicht groß, tatsächlich nur von der Größe von Tieraugen. Etwa acht oder zehn Paar schwebende, fluoreszierende, leuchtende Augen.

Jetzt bin ich tatsächlich verrückt geworden, sagte sich der Professor resigniert und stützte sich auf die Motorhaube seines Wagens. So schnell geht das also? So schnell verliert man den Verstand.

Auf einmal, er wusste nicht warum, richtete er sich auf, fuchtelte mit den Armen, als ob der die Schwebaugen verscheuchen wollte, schrie verzweifelt:

Wer seid ihr? Was wollt ihr? Ihr seht doch, ich bin verrückt geworden. Schert euch weg! Und Sommerbruck begann zu schluchzen wie ein kleines Kind.

Die Leuchtaugen umtanzten ihn noch ein paar Sekunden, dann schwebten sie, wieder eine lange Reihe bildend, zurück in den Wald.

Im gleichen Augenblick flammten die Scheinwerfer seines Wagens wieder auf, der Motor lief, sogar die Scheibenwischer strichen im Takt über die Frontscheibe.

Vollkommen perplex und in dem Bewusstsein soeben etwas Außergewöhnliches erlebt zu haben, stieg der Professor wieder in seinen Wagen. Er lehnte die Stirn an den Lenkradbogen, seine Hände zitterten noch, er seufzte und einen Moment lang dachte er, soeben eine halluzinatorische Vision gehabt zu haben, oder vielleicht wäre es doch einen Anfall von Wahnvorstellungen. Er hatte mal etwas darüber gelesen. Gleich morgen… er korrigierte sich, gleich heute Vormittag werde er seinen Kollegen, den Spezialisten für psychiatrische Erkrankungen Professor Niedermayer, konsultieren. Ja, er müsse sich wieder mal richtig durchchecken lassen. Vielleicht brauche er sogar eine Kur…

Eine knappe halbe Stunde später langte er vor seinem Waldgrundstück an. Mit der Fernbedienung öffnete er das Garagentor, fuhr den Wagen hinein, stieg aus und ging durch den Keller und die Abstellräume hinauf in die Wohnräume.

Alles ist still. Sie schläft sicher schon, denkt der Professor und meint seine Frau. Im Wohnzimmer, das im Obergeschoss liegt, schaltet er die Beleuchtung ein. Er schaut sich um, überzeugt sich, dass alles an seinem Platz liegt. Warum er das tut, weiß er nicht. Es ist ihm spontan eingefallen. Indes, alles scheint in Ordnung und wie immer. Aber Sommerbruck hat auf dem Kaminsims einen halbrunden Gegenstand übersehen, der aussieht wie der obere Teil eines menschlichen Schädels, angedeutet und noch vorstellbar das charakteristische Stirnbein, die beiden seitlichen Schläfenbeine, die Scheitelbeine, das Schädeldach… aber eben nur angedeutet und bezogen auf das, was wir kennen. Er schimmert elfenbeinfarben, der Gegenstand, und er besteht aus einem unbekannten Material, nicht aus Metall, nicht aus Holz, nicht aus Kunststoff, auch nicht aus etwas, das dem menschlichen Knochen ähnelt. Wie gesagt, Sommerbruck übersieht den Gegenstand, und er übersieht auch, dass an dessen flacher Seite ein kleines rotes Lämpchen pulst. Warum er diesen Gegenstand und das Signal übersehen hat, einen Gegenstand, der oder dessen vervielfachte Anzahl in unserer Geschichte noch eine große Rolle spielen wird? Wir wissen es nicht. Sah er ihn wirklich nicht oder konnte dieses Ding sich etwa dem menschlichen Auge entziehen, sich unsichtbar machen? Vertrösten wir den Leser auf später…

Der Professor jedenfalls zieht sich aus, löscht das Licht, geht in Galoschen, in Strümpfen und nur mit dunkelblauen Shorts bekleidet ins Badezimmer, wo er sich vor dem Spiegel postiert. Er beäugt sich misstrauisch, zeigt sich selbst die Zunge, zieht mit zwei Fingern erst beim linken, dann beim rechten Auge das Lid herunter. Schließlich macht er zu seinem Spiegelbild eine wegwerfende Handbewegung, ruft sich selber leise zu: Du spinnst ja! Dann zieht er sich weiter aus, duscht sich, schleicht auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer. Dort sucht er nach seinem Pyjama, tastet auf dem Bett herum, findet den Pyjama, zieht ihn über und kriecht ins Bett.

Plötzlich hört er die Stimme seiner Frau:

Was musst du immer so spät kommen, Gert? Es ist immer dasselbe mit dir!

Der Wecker steht auf 1.43 Uhr. Es ist Montag, der siebente September 2017.

Der Professor antwortet seiner Frau nicht, er stellt sich todmüde und beginnt hörbar gleichmäßig zu atmen.

Sommerbruck ist dreiundsechzig Jahre alt und für sein Alter fit und gesund. Er ist Inhaber des Lehrstuhles für Evolutions - und Humangenetik an der Universität Heidelberg…

Frankreich - Paris, Rue des Saussaies, am 08. September 2017 gegen 11.14 Uhr

Über fünfhundert Kilometer entfernt, sitzt am späten Vormittag des nächsten Tages der französische Minister des Innern, Monsieur Claude Armand Lefevre im neuen Justizpalast von Paris, dem Cité judiciaire de Paris. Es ist ein noch im Bau befindliches Projekt, um den alten, bestehenden Justizpalast, der im Stadtzentrum steht, zu ersetzen. Architekt ist der bewährte Signore Renzo Piano aus Florenz.

Er hatte 1977, also vor 40 Jahren als ganz junger Absolvent, bereits das Centre Georges-Pompidou entworfen. Ein kompetenter, äußerst talentierter Mann, und er hat dafür den Ordre National du Merite, den staatlichen Verdienstorden, erhalten.

Das neue Gebäude wird komplett im Stadtteil Quartier des Batignolles im 17. Arrondissement nahe der Vorortgemeinde Saint-Denis entstehen. Die wichtigsten Räume sind schon bezogen und funktionsfähig. Trotzdem, der Baulärm, besonders beim Innenausbau, nervt. Aber der Minister hat sich vor Ort begeben, er hat hier Diensträume für einen Besuch in der Woche bezogen, meistens mittwochs, um anzuzeigen, er stellt sich den Veränderungen, er scheut keine Unbequemlichkeiten - er ist volksnah. Natürlich sehnt er sich in seinen früheren Palast, das „alte“ Ministerium, zurück. Keine Frage. Traditionen gehen ihm über alles. Ihm fehlt das würdige Gittertor des Haupteinganges mit den patrollierenden Posten und ihm fehlt die prächtige Toreinfahrt in der Rue des Saussaies. Das alte Ministerium hatte seinen Sitz im Hôtel de Beauvau im 8. Pariser Arrondissement, gleich neben dem Élysée-Palast. Hier im neuen Justizpalast dagegen, sei er auch modern und super und vom Feinsten, hier fühlt sich der Minister nicht wohl. Er weiß, es ist seine Pflicht, ein symbolischer Aufenthalt…

Ach was, er wird zurückfahren. Was soll er hier? Den Helden spielen?

Er bestellt Wagen und Begleitschutz, eilt hinaus, hastet zum Wagen. Fährt mit verhängten Scheiben zurück in seinen alten Palast.

Im vertrauten Amtszimmer angekommen, jagt er alle hinaus. Nein, er unterschreibt jetzt nichts. Er will allein sein. Allein mit seinem Brüten.

So sitzt er in seinem grünen gesteppten Ledersessel hinter dem riesigen Schreibtisch aus attrakivem Wurzelholzsdekor. Lefevre spielt mit einer kleinen Bronzeplastik, dem Bildnis des grandiosen Joseph Fouches. Wirft ihn um, den alten Fouches, richtet ihn wieder auf. Lauscht auf das Poltern der Plastik. Lächelt böse.

Der Minister ist in Gedanken. Er starrt zum Fenster hinaus.

Düstere Gedanken ziehen ihm durch den Kopf. Mechanisch schaut er in den besonnten Innenhof, schaut auf das schmiedeeiserne Portal mit dem Wappen der Republik, sieht durch die Gitter den dahinter liegenden Place Beauvau, wo in der Mitte ein Polizist mit weißen Handschuhen routiniert den Verkehr regelt. Es herrscht wie immer quirliger, ewig pulsierender Autoverkehr, der ihn aus dem Faubourg St. Honoré und der Avenue de Marigny zu umspülen scheint.

Der Minister seufzt. Oh wie gut haben es die Leute da draußen. Am liebsten wäre er jetzt auch bloß ein Verkehrspolizist mit weißer Mütze und weißen Handschuhen.

Der Weißbemützte da draußen vor dem Tor auf dem Platz meistert die Ströme des Verkehrs derweil so wie ein Artist wilde Tiere zähmt.

Aus der Rue Miromesnil und der Rue des Saussaies, zwei weiteren einmündenden Straßen schießen, quellen, quirlen auf sein Zeichen weitere Automassen hervor. Doch kein Unglück geschieht, der Dompteur meistert die blechernen Ströme virtuos. Er ist der letzte seines Fachs, wo auf einer vielbefahrenen Kreuzung der Verkehr ohne Ampeln zirkuliert, er steht auf seinem weißen Podest, ganz genau wie im Zirkus, und die Touristen kommen in Scharen, namentlich die aus Japan, und fotografierten wie die Wilden. Ja, der Mann ist eine Attraktion, sein Name stadtbekannt, nur dem Minister will er im Moment nicht einfallen.

Oh wie schön, denkt er, wäre es, er könne an seiner Stelle sein.

Der Minister hört Papier rascheln und wendet sich auf seinem ledernen Drehsessel wieder seinem Schreibtisch zu. Jemand ist eingetreten. Der Minister hat, so sehr war er in Gedanken, das Anklopfen und Stimme seines Bürovorstehers überhört. Durch die breite hölzerne Barriere, die seine Wurzelholzdekor-Schreibtischplatte bildet, getrennt, schließt der Mann, der dem Minister jetzt gegenüber steht, mit einem Klicken seine Mappe und legt seinem Vorgesetzten ein mehrseitiges Papier hin.

Die beiden Männer blicken sich ein paar Sekunden stumm an. In der Stille ist nur das Ticken der prächtigen Wanduhr – ein goldschimmerndes Stück aus der Sammlung des sechszehnten Ludwig - und hinter der Fensterscheibe das leise Rauschen des fernen Stadtverkehrs zu hören. Der Minister überfliegt das Schreiben, liest unkonzentriert, begreift nicht…

Nun, was halten Sie davon?

Kriminalkommissar Guy du Duprés, der Chef der seit 5 Jahren gebildeten Anti-Terror-Einheit im Sicherheitsstab des Ministers, ist einer der erfahrensten und ausgesuchtesten Experten Frankreichs in allen Fragen der inneren Sicherheit.

Alle Terroranschläge der letzten Zeit hat er und sein Team aufgeklärt und die Täter mit gnadenloser Strenge verfolgt. Er bedauert, dass Frankreich die Todesstrafe abgeschafft hat. Wenn wir unser „Le rasoir“, das Rasiermesser, noch hätten, sagt er oft und spielt damit auf eine sarkastische Bezeichnung der Guillotine zur Revolutionszeit am Ende des 18. Jahrhundert an, dann könnten wir den großmäuligen Herrschaften vorführen, was es heißt ordentlich geköpft zu werden, nicht dieses barbarische Kopfabschneiden wie es die Muselmänner heutzutage tun. Es ist eine Schande…

Unser Analyst Frederic hat leider recht, fährt er, da der Minister ihm nicht antwortet, fort und tippt mit dem Finger auf das vorliegende Dossier, wenn seine Vermutungen zuträfen, stellten diese Vorkommnisse in Nancy eine ganz neue Form des Terrors dar, noch dazu eine technische perfekte Variante, für die wir bis heute noch kein Gegenmittel gefunden haben…

Gut, Monsieur, antwortet nun der Minister, würden Sie mir die Tatumstände noch einmal erläutern, Monsieur le Commissaire?

Gestehen wir es offen: Der Minister wollte den langatmigen Bericht jetzt nicht lesen müssen. Ihm genügt eine kurze mündlicher Zusammenfassung. Wenn er in einer halben Stunde zum Präsidenten gerufen würde, müsse er indes genau Bescheid wissen und durch klare Faktenkenntnis glänzen.

Gern, Monsieur Le Ministre de l´Intérieur, antwortet der Beamte beflissen und verbeugt sich leicht.

Ich höre… aber bitte, setzen Sie sich doch, bitte… und er forderte Guy du Duprés zum Sitzen auf.

Der Beamte setzt sich, zieht ein weiteres Blatt aus seiner Mappe. Er schaut auf und blickt dem Minister direkt ins Gesicht:

Monsieur le Ministre, die erste Meldung erhielten wir vorgestern, also am 06. Septembre, abends um exakt 21.56 Uhr, und zwar aus dem Departement Meurthe-et-Moselle, direkt vom Arrondissement Nancy, vom Leiter des Gemeindeverbandes Métropole du Grand Nancy, Monsieur Pierre Goddard, persönlich. Folgendes war passiert:

In einem Laboratorium der Université de Lorraine in Nancy, 25 Rue Baron Louis, 54000 Nancy, hatte es gegen 19.52 Uhr eine Explosion gegeben. Einer Gruppe Studenten – Namen alle bekannt - waren als sie das Laboratorium gerade verlassen wollten, ein Gegenstand aufgefallen, von dem sie sich nicht erklären konnten, wie er in ihre Universität und in die streng gesicherten Laborräume gekommen wäre… Sie wissen, Herr Minister, in Nancy betreiben wir hochbrisante Forschungen mit bedeutsamer internationaler Vernetzung nach Deutschland und in die USA sowie nach Canada.

Ich darf Ihnen vorlesen: „Forests and their Environment - Wälder und deren Umwelt“. Diese Forschungsrichtung bietet eine breite Perspektive und eine intensive Ausbildung in der Organisation, der Funktionsweise und der Dynamik der europäischen Baumbestände, indem sie Grundlagenkenntnisse vermittelt, um Herausforderungen zu begegnen, die ihren Ursprung in den umweltbedingten Zwängen wie der zunehmenden Versäuerung und Austrocknung der Böden und in der intensivierten menschlichen Nutzung der Wälder haben.“ Das klingt alles sehr allgemein und wissenschaftlich, Herr Minister, bitte verzeihen Sie, das Ganze ist aber für die Weiterexistenz unserer Ökosysteme in Europa und in Übersee von eminenter, ja von existenzieller Bedeutung für die Menschheit…

Ich verstehe, sagt der Minister und wiegt den Kopf hin und her.

Natürlich hat er nichts verstanden, aber er will nicht nachfragen, sich keine Blöße geben, außerdem drängt die Zeit. In nunmehr einer knappen halben Stunde wird er zum Präsidenten der Republik gerufen – er macht eine galante Geste: Bitte fahren Sie fort. Berichten Sie mir bitte aber nur die Tatsachen, bitte nur die Tatsachen, Monsieur le Commissaire… ich bitte Sie, und er blickte zum zweiten Mal innerhalb von drei Minuten ungeduldig auf seine prächtige Schweizer Armbanduhr.

Sehr wohl, Herr Minister. Also: Der bewusste Gegenstand soll von eigentümlicher und unüblicher Konstruktion gewesen sein. Flach, halbrund, einem menschlichem Schädeldach ähnlich, auch von ähnlicher Farbe, elfenbeinfarben, dabei leicht und handlich. Offenbar aus einem unüblichen Material, nicht aus Holz, nicht aus Plastik, nicht aus Metall.

Nun ereignete sich Folgendes: Einer der Studenten, ein gewisser Ronny Ümkir, wiewohl kein geborener Deutscher, aber ein Austauschstudent aus dem Saarland, lief zurück, um den Gegenstand zu untersuchen und ihn zu entfernen, seine Kommilitonen warteten derweil am Ausgang des Labors.

Was? Ein Deutscher? Wirklich? Wie war sein Name? Ümkir? Aus dem Saarland? Haben Sie das überprüft? Ist er auch wirklich Deutscher und nicht irgendeiner mit einem doppelten Pass und aus einem dieser Länder… Sie wissen schon. Und jetzt haben wir da irgend so eine Laus im Pelz. Sie wissen schon, Monsieur du Duprés… und der Minister drohte mit dem Finger. Wir können nicht vorsichtig genug sein. Besonders bei solchen sensiblen Forschungsthemen…

Nein, Herr Minister, alles in Ordnung, außerdem dieser Saarländer ist sowieso…

Was ist er?

Tot, Herr Minister. Er ist tot. Ein Unfall.

Wie ist das geschehen? Bitte…

Wenn sie mich berichten lassen würden, Herr Minister…

Jaaa, gut. Fahren Sie fort.

Gut, also, dieser Student, namens Ümkir, machte sich an dem Gegenstand zu schaffen. Er hatte ihn in die Hände genommen, hin und her gedreht. Dabei rief er aus: Mensch, ist das Ding warm… wartet, ich dreh es nochmal um, hier unten kann man es wahrscheinlich öffnen… und er nahm sich eine Laborzange zu Hilfe…

Zwar riefen ein paar seiner Kommilitonen, er solle vorsichtig sein, man wisse ja nicht, was das für ein Teil wäre, woher es käme und es könne schließlich auch…

Ja, ja, antwortete der Student, ich hab es gleich… Oh, was ist das? rief er gleich darauf und betrachtete den Inhalt der Halbschale, es sieht aus wie ein lebender Organismus, wie eine Muschel, ein Stück Hirn, darüber eine Art durchsichtiger Folie… seht wie es pulsiert! Und er hielt seinen Kameraden den Gegenstand hin.

Sie kamen langsam näher. Wie eine Herde neugieriger Lämmer. In diesem Moment, so berichteten sie später, fuhr aus der Halbschale ein Blitz oder eine Art Feuerstrahl dem Studenten Ümkir mitten ins Gesicht. Darauf ein Donnerschlag, eine Explosion. Der Student Ümkir wurde gegen eine Wand geschleudert, sein Gesicht verunstaltet, verbrannt, es glich einem blutigen Klumpen. Die Explosion war indes so kräftig, dass die Studenten allesamt aus dem Raum geschleudert und zum Teil schwer verletzt wurden, das Laboratorium glich einem Bombentrichter. Alles verwüstet. Panik brach aus. Alarm wurde gegeben. Die Feuerwehr und Polizeikräfte kamen…

Hat noch einer Schaden genommen? Ist wer gestorben? fragt der Minister, sichtlich verstört.

Nein, Gottseidank nicht. Drei von den Verletzten befinden sich noch in ärztlicher Behandlung.

Gut. Gibt es ein Bekennerschreiben? Das sieht ja ganz nach einem gezielten Attentat aus?

Nein, Herr Minister, nichts dergleichen. Kein Bekennerschreiben. Vielleicht kommt es noch. Gab es ja schon oft, dass die Verbrecher erst Tage später von sich hören ließen. Warten wir ab, Herr Minister. Die Einzelheiten und die Ermittlungsergebnisse stehen alle in dem Bericht, der Ihnen vorliegt.

Warten! Warten, Menschenskind Duprés das ist keine Empfehlung… aber na gut, Duprés. Danke. Mmh, mmh, eine schlimme Sache. Als ob wir nicht schon so genug Sorgen hätten. Und Ihre persönlichen Schlussfolgerungen, Herr Commissaire?

Wie Sie schon selbst andeuteten, Herr Minister. Eine neue Art von Anschlägen scheint uns da bevorzustehen. Raffiniert ausgeklügelt, technisch auf höchstem Niveau…

Konnten Sie diese, wie Sie sagen, Halbschale, wenigstens untersuchen? Was war das für ein Material, wie der Zündmechanismus?

Leider nichts, Herr Minister, die Spurensuche hat nichts ergeben. Der Gegenstand scheint sich in Nichts aufgelöst zu haben, hat sich offenbar vollkommen zerlegt. Es gibt allerdings noch eine kleine Hoffnung…

Ja? Und die wäre?

Die Ermittler haben Spuren einer chemischen Substanz gefunden, welche mit der Explosion im Zusammenhang stehen könnte…

Ja und? Was ist das für Zeug?

Der Minister wirkt unruhig, wieder schielt er nach seiner Armbanduhr…

Bis jetzt haben sie für die Substanz keine Entsprechung gefunden, nichts, was wir kennen, nichts was hier auf der Erde vorkommt. Einer, der sich auskennt, vermutet einen kosmischen Ursprung. Sowas soll bei Sonneneruptionen ins All geschleudert werden…

Das gibt es doch nicht, Duprés, Menschenskind, das sind doch Phantastereien. Sind Ihre Leute noch normal? Sonneneruptionen!? Denken Sie sich was anderes aus. Etwas, das man glauben kann… oder setzen Sie noch ein paar Spezialisten dran.

Wie der Herr Minister befehlen…

Ich will Ergebnisse, Duprés! Ergebnisse! Was soll ich dem Präsidenten sagen? Dass es Außerirdische waren? Das glauben Sie doch wohl selber nicht… also Mann, vorwärts, an die Arbeit. Es wird sich doch in unserem Frankreich noch eine Gruppe oder ein Terrorist finden, dessen Name bekannt ist und dem man zutraut, unseren nationalen Forschungsvorhaben schaden zu wollen. Sowas muss es doch geben, Duprés. Ich brauche Namen! Namen und Fakten, Mann, und keine Hirngespinste. Haben Sie das verstanden, Monsieur l´Commissaire du Duprés?

Zu Befehl, Herr Minister!

Also dann…

Der Kommissar salutiert, ergreift seine Mappe wie einen festen, rettenden Gegenstand, und verlässt, eilenden Fußes, wie man sagt, den Raum.

Der Minister Lefevre sieht ihm kopfschüttelnd nach. Er seufzt tief und schwer. Was wird er nun dem Präsidenten sagen? Oh, merde, eine seltsame, eine höchst seltsame Affäre...

Volksrepublik China - Zeche Luoshan, Jiuguo Provinz Guizhou. am 08. September 2017 um 10.05 Uhr Ortszeit

Zur gleichen Zeit, wenn auch um den halben Erdball verschoben, trug sich in der chinesischen Kreisstadt Jiuguo ein ebenso merkwürdiges Ereignis zu.

Jiuguo gehört zur Provinz Guizhou mit der Provinzhauptstadt Guijang. Die Provinz hat eine Fläche von 176.505 km2. 34.746.468 Einwohner sind hier registriert. In der Provinzhauptstadt leben 834.750 Chinesen, sie gehören, wie die in der ganzen Provinz, fast ausnahmslos zur Volksgruppe der Bouyei.

Der Sonderermittler Phuong Gou, von den meisten seiner Untergebenen wie auch von den Vorgesetzten „Mister Phu“ genannt, „Mister“ deshalb, weil er ein wenig Englisch spricht, klettert eben in einen Lastwagen der Marke „Großer Sieg“.

Phu ist von der Staatsanwaltschaft in Guijang entsandt worden, um gewisse Vorgänge in der Zeche Luoshan vor Ort zu untersuchen. In der Zeche wird Uran-Pechblende abgebaut, und zwar von besonderer Güte und sie ist aus diesem Grunde fast zu 100% für den Export bestimmt. Der Export ist eine hohe, staatliche Angelegenheit und deshalb auch für die Partei von enormer Wichtigkeit. Es gilt einen besonderen Fall aufzuklären. Einen Fall, dessen Lösung man den örtlichen Behörden nicht zutraut und für den sie auch weder den Verstand noch die Kompetenz besitzen.

Mister Phu schwitzt, es ist im Fahrerhaus des Lastwagens eng und stickig.

Er nimmt seine dunkelblaue Schirmmütze ab. Das Schweißband der Mütze ist feucht und fleckig. Er hält die Mütze unter die Nase. Sie riecht scharf und unangenehm. Mister Phu ekelt sich vor seinem eigenen Schweißgeruch. Hinzu kommt, dass auch von dem Fahrer ein unangenehmer Geruch, ja geradezu ein Gestank ausgeht. Ist der Kerl etwa inkontinent? Phuong hat kürzlich etwas darüber gelesen, Lastwagenfahrer seien überdurchschnittlich oft von Inkontinenz und auch von Prostataleiden betroffen. Am liebsten würde Mister Phu aussteigen. Oder sich auf die Ladefläche setzen. Aber das geht natürlich nicht. Also versucht er sich mit der Mütze Luft zuzufächeln.

Er denkt über den Fall nach, der ihn in der Zeche erwartet.

Viel weiß er nicht darüber. Es hätte eine Explosion gegeben, war gesagt worden, Teile der Schachtanlage seien eingestürzt, vorher hätten die Arbeiter tanzende Lichter gesehen, die in die Grube eingedrungen wären. Ein paar Arbeiter hätte zwei helle, elfenbeinfarbene halbrunde Schachteln zu öffnen versucht, von denen eine am Eingang, eine anderer tiefer im Schacht gelegen hätte.

Dabei sei das Unglück passiert. Die Arbeiter in der Nähe der Schachteln seien ums Leben gekommen. Ein Feuerstrahl sei ihnen ins Gesicht gefahren, danach habe es einen Donnerschlag gegeben.

Das Parteikomitee hätte sofort einen Anschlag vermutet. Wahrscheinlich steckten die Japaner oder die verfluchten Amerikaner dahinter. Das gilt es nun aufzuklären. Wie gesagt, viel Material ist das nicht. Man hat Mister Phu zugesichert, er könne so viele Kräfte aus der Provinzhauptstadt bekommen, wie er benötige, aber er hat abgewunken:

Lasst mich nur erst einmal vor Ort sein, Genossen, hat er dem Provinzparteisekretär erklärt, bei dem er, ehe er losgefahren war, zum Rapport bestellt gewesen ist…

Die Straße wird immer schlechter. Der Lastwagen schaukelt wie ein Wüstenkamel, eine mehrere hundert Meter lange Staubfahne hinter sich herziehend. Als dann auch noch größere Steine im Weg liegen, nimmt der Fahrer den Fuß vom Gaspedal, hält an, zieht den Zündschlüssel ab. Mit der Faust schlägt er auf das Holzlenkrad, dass es erzittert.

Verdammte Scheiße! flucht er. Das sei nun die Strafe, weil er die Abkürzung habe nehmen wollen. Er müsse erst einmal ein paar Meter vorausgehen und die Lage erkunden.

Der Fahrer steigt aus.

Im Fahrerhaus, in der Mitte zwischen dem Fahrer und Mister Phu, gibt es einen weiteren Fahrgast, es ist eine junge Frau. Sie trägt ein Kopftuch und einfache Kleidung. Wahrscheinlich eine Arbeiterin.

Mister Phu hat noch kein Wort mit ihr gewechselt. Jetzt wendet er ihr den Kopf zu, sagt: So ein Mist. Ich werde zu spät kommen.

Die Frau flucht etwas zwischen den Zähnen.

Bloß gut, zischt sie, dass ich keinen Balg im Wanst habe. Den wäre ich hier vielleicht losgeworden…

Haben Sie Kinder? fragt sie den Sonderermittler unvermittelt. Mister Phu schüttelt den Kopf. Nein, er habe keine Familie, er lebe allein. Aha? fragt die Frau, sowas gibt es noch? In Ihrer Position? Da können Sie sich doch Familie leisten?

Ja, antwortet der Ermittler, ein wenig angewidert, früher habe er mal eine Frau und das vorgeschriebene eine Kind gehabt, aber die seien ihm davon gelaufen. Er wäre ja nie zu Hause, immerzu auf Achse. Das halte eben eine Frau nicht aus.

Ja, ja, sie kenne das, antwortet die Frau und sie beginnt eine lange Geschichte zu erzählen.

Mister Phu hört nicht hin. Mit den Augen sucht er in der gelbroten Staubwolke nach dem Fahrer, der vorausgegangen war und den Straßenzustand erkunden wollte.

Er kann ihn nur schwer entdecken.

Plötzlich macht sich die Frau an ihn heran. Sie überfällt ihn geradezu.

Lassen Sie das, stöhnt Mister Phu, was soll das?

Wenn du allein lebst und so eine gute Arbeit hast, bist du doch eine gute Partie, keucht die Frau. Sie fummelt an ihm herum, hat sich auf seinen Schoß gezwängt und die Arbeitshosen herunter gezogen.

Los! Los! keucht sie. Der Fahrer wird gleich zurückkommen, da müssen wir fertig sein…

Mister Phu riecht die Frau. Ihm steigt Übelkeit auf. Sie riecht sauer und ungewaschen. Er will aufstehen oder wenigstens zur Seite rutschen, aber das gelingt ihm nicht. Sie hat ihn regelrecht eingeklemmt.

Er muss versuchen, sie zur Vernunft zu bringen.

Sie sitzen im Fahrerhaus und schnappen beide nach Luft. Der Ermittler versucht sich zu befreien, er zieht eine Visitenkarte aus seiner Jacke und gibt sie der Frau.

Wenn der Fahrer nicht bald zurückkommt, muss ich mich auf den Weg machen, japst er, es ist zu Fuß ja nicht mehr weit, höchstens eine halbe Stunde. Auf der Karte steht alles. Du kannst mich besuchen kommen. Aber vorher anmelden. Und nichts verraten, ich bin quasi in geheimer Mission.

Mister Phu zwängt sich unter der Frau hervor ins Freie.

Die Frau, sie war sicherlich erst knapp über die Dreißig, sah ihm verständnislos nach, studierte dann die Karte. Dabei nahm ihr Gesicht einen angestrengten Ausdruck an, wie ihn Polizisten haben, wenn sie Ausweispapiere kontrollieren.

Mister Phu stapft entschlossen vorwärts.

Bald sah er, auf der völlig verwahrlosten Straße standen noch weitere Fahrzeuge still: Lastwagen, Traktoren, Pferdegespanne, Ochsenkarren, sogar Motorräder und ein Motorkran. Fahrzeuge aller Art. Ein paar hatten den Motor abgestellt, andere ließen ihn laufen und stießen blaugraue Abgaswolken in den nebligen gelbroten Himmel. Es schien ihnen egal, sie unterhielten sich, rauchten, tranken Schnaps aus alten Milchflaschen, alle warteten und hatten keine Eile.

Ein paar Frauen hatten sich der schlechten Luft wegen bunte Tücher vor die Nase gebunden. Auch sie rauchten und tranken, schoben ab und zu ihre Tücher beiseite.

Offenbar war nicht der Zustand der Straße oder ein Verkehrsunfall die Ursache für das allgemeine Warten. Die Ursache der Verstopfung war: Die Behörden hatten wegen des Unglücks in der Zeche die Straße abgesperrt, und zwar schon zwei oder drei Kilometer vor dem Unglücksort. Kein Fahrzeug wurde durchgelassen. Wenn ein paar maulten, zeigten die Polizisten zum Himmel und sagten: Befehl von oben!

Mister Phu gelangte bis an die Sperre und zeigte seinen Ausweis. Der Posten nahm Haltung an, salutierte und ließ ihn durch.

Der runde Platz vor dem Zechentor war gesäumt von zurechtgestutzten Buchsbäumen, irgendwo halb verdeckt stand noch eine Statue von Mao-Tse-Dong, lebensgroß zwar, aber der große Führer war ja ein kleiner, dicker Mensch gewesen. Man sah die Statue kaum, zwischen den Blättern der Buchsbäume lugten ein paar Augen und sein Glatzkopf hindurch.

Lastwagen standen dicht an dicht. Sie warteten auf ihre Ladung. Die Uran-Pech-Blende, die hier gewonnen wurde, transportierte man offen ohne Plane ab. Sie sah aus wie Schiefer oder wie die Reste einer Asphaltdecke. Sie fuhren damit in den nächsten Ort zur Lagerung und Weiterverarbeitung. Beim Beladen waren Handschuhe vorgeschrieben. Weitere Sicherheitsmaßnahmen gab es nicht.

An einen der Buchsbäume hatte man einen Maulesel gebunden. Er knabberte an dem Grün, hatte schon ein paar Äste kahl gefressen. Eigentlich waren die Blätter des Buchsbäume ja giftig, den Muli aber schien das nicht zu stören, sie schmeckten ihm, er vertrug sie gut.

Mister Phu hatte sich bis zum geschlossenen Gittertor der Zeche vorgekämpft. Er rüttelte daran, fand keine Klingel, fragte einen Arbeiter, der rauchend herumstand, wo denn der Leiter der Grube wäre, er sei der Sonderermittler wegen des Vorkommnisses hier und er käme aus der Provinzhauptstadt.

Der Arbeiter zuckte mit den Achseln, er trat seine Kippe aus und zeigte auf ein kleines hölzernes Nebengebäude, an dessen Frontseite ein rotes Spruchband hing: „Ehre dem Kampftag der Arbeiterklasse, dem 1. Mai!“ – Dort finden Sie die Sicherheitsabteilung des Parteikomitees, die wissen, wo der Chef zu finden ist, wahrscheinlich drüben im Hauptgebäude am Telefon, immerzu telefoniere er, er sei mit dem Telefon verheiratet. Der Arbeiter spuckte aus, lachte und ging zu einer Gruppe anderer Arbeiter.

Mister Phu schritt auf den Holzanbau zu.

Es erwies sich, dass dort das Büro der Sicherheitsabteilung des Parteikommitees der Zeche untergebracht war. Mister Phu trat ein, ohne anzuklopfen. Ein junger Mann mit einer ziemlich langen Mähne empfing ihn, er lächelte und entblößte eine Reihe gelber vorstehender Zähne.

Sein Name sei Kuo Pheng und er fungiere hier als Sekretär, als Mädchen für alles fügte er lachend an. Seine Zähne blinkten gefährlich. Mister Phu zeigte seinen Ausweis und das Ermächtigungsschreiben. Kuo Pheng lächelte wieder und schritt entschlossen auf einen grauen Metallaktenschrank zu. Mister Phu sah dort ganz vorn neben den Aktenreihen zwei, drei Flaschen Schnaps und einen Stapel Porzellanschälchen stehen. Genosse Pheng füllte zwei Schälchen und reichte eines dem Ermittler.

Ich trinke nicht, sagte Mister Phu.

Das tut nichts, entgegnete der Sekretär, das gehört hier zum Reglement. Den müssen sie trinken. Das ist wie eine Eintrittskarte.

Mister Phu überwand sich und stürzte den Schnaps hinunter.

Er schmeckte ölig und süß. Der Sekretär füllte das Schälchen sofort nach und gab es lächelnd seinem Gast. Auf einem Bein könne man nicht stehen!

Mister Phu überwand sich auch diesmal. Das Zeug schmeckte beim zweiten Mal nicht mehr ganz so eklig. Er straffte sich und sagte, als er sah, wie der Genosse Pheng ihm ein weiteres Mal einschenken wollte: Bitte, für mich nichts mehr. Führen Sie mich zum Zechendirektor und zum Parteisekretär.

Warum solche Eile, Chef? lächelte der Sekretär, Sie kommen noch früh genug dorthin. Trinken Sie nur noch einen, dann machen wir uns auf den Weg.

Mister Phu schüttelte den Kopf: Nein, bitte, für mich nichts mehr.

Er spürte wie ihm übel wurde, vielleicht lag es auch an dem überheizten Raum, in dem ein kleines Kohleöfchen eine Bullenhitze erzeugte. Er öffnete seine Jacke, knöpfte den Kragen auf.

Doch, Sie müssen trinken, lächelte der Sekretär mit seinen vorstehenden Zähnen. Das ist eine eiserne Regel bei uns auf der Zeche: Aller guten Dinge sind drei!

Mister Phu wehrte sich so gut es ging. Nein, bitte nicht. Es reicht. Ich will zum Direktor und zum Parteisekretär.

Da trat der Genosse Pheng ganz nahe an ihn heran, hielt ihm das Schälchen unter die Nase: Bitte. Sie müssen. Oder wollen Sie mich unglücklich machen.

Mister Phu wurde weich, beinahe wären ihm die Tränen gekommen. Er nahm das Schälchen und trank. Jetzt schmeckte man die ekelhafte Süße und das Ölige fast nicht mehr.

Vielen Dank, vielen Dank, echote der Sekretär. Und nun noch einmal drei?

Nein, zum Teufel, keinen Tropfen mehr. Zum Direktor will ich und zum Parteisekretär und zwar flott.

Der langhaarige Sekretär blickte auf seine Armbanduhr.

Ein bisschen zu früh, um sie zu besuchen.

Da zog Mister Phu noch einmal seinen Ausweis und sagte mit einer Stimme, die streng sein sollte, aber wegen der drei Schnäpse doch ein wenig verwaschen klang: Ich bin in einer wichtigen Angelegenheit hier! Es geht um die Vorkommnisse in Grube 2. Das muss untersucht werden. Wissen Sie davon?

Ach, Herr Ermittler, lachte der Genosse Pheng, wissen und nicht wissen, was tut das. Da wird wieder wiedermal aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Freilich weiß ich davon, war ja selber kurz danach vor Ort. Aber wissen Sie, Genosse Sonderermittler, das ist eine verworrene Sache. Ein paar Arbeiter, die dabei waren, sind tot, andere haben wir ins Krankenhaus gebracht, der Rest hat alles und nichts gesehen. Wie das so ist, mit den Arbeitern. Viel erfährt man von ihnen nicht…

Und wie war es nun? wollte Mister Phu wissen, der auf einmal neugierig geworden war und möglichst schon ein paar Informationen einsammeln wollte, ehe er beim Direktor und dem Parteisekretär vorstellig wurde.

Na los, wie war das? Erzählen Sie.

Der Sekretär strich sich sein langes Haar noch hinten, lächelte wieder auf seine Weise, wobei er seine hässlichen Zähne entblößte, ich weiß nicht, stammelte er, ohne dass der Genosse Direktor und unser Parteisekretär… ich weiß nicht…

Sie wissen, ich bin Sonderermittler, mein Lieber, ich kann Sie auch nach Guijang vorladen. Dann werden Sie mit einem Militärauto abgeholt. Wenn Ihnen das lieber ist? Und Mister Phu nestelte aus seiner Brusttasche wieder den Ausweis hervor…

Nein, nein, Genosse, schon gut. Ich weiß schon, wer Sie sind und welche Macht Sie haben… ich dachte nur, dass der Genosse Direktor und der Parteisekretär ärgerlich werden könnten, wenn einer vor ihnen schon etwas ausgesagt hat…

Trinken Sie meinetwegen noch einen Schnaps… aber dann heraus mit den Tatsachen. Sie sagten ja, es sei noch zu früh, um beim Direktor und dem Parteisekretär vorzusprechen, nutzen wir die Zeit.

Gut. Danke… und der Sekretär ging zum Aktenschrank und goss sich noch ein Schälchen ein.

Setzen Sie sich hier zu mir an den Tisch, sagte Mister Phu, kommen Sie…

Und er schlug mit der flachen Hand auffordernd auf die schmutzige, verklebte Tischplatte. Kommen Sie…

Folgsam trat der langhaarige Sekretär zum Ermittler an den Tisch, setzte sich und rückte das Schnapsschälchen vor sich hin.

Ich höre, sagte Mister Phu und machte ein strenges, ein amtliches Ermittlergesicht.

Also, das war so, begann der Genosse Kuo Pheng, ich hatte gerade den Tee für mich und die Sekretärin zubereitet (Pardon. Sie ist heute nicht da, ihre Mutter ist erkrankt), da hörten wir die Alarmtröte losgehen. Das ist so ein auf- und abschwellender Ton. Wir kennen ihn alle.

Der Sekretär legte die Hände an den Mund, formte einen Trichter und heulte los: Hua-Hu-Huahuahu-Hua… Schon gut, unterbrach ihn der Ermittler, ich weiß Bescheid, es genügt.

Also, ich eilte hinaus zum Eingang der Grube 2, fuhr er fort. Von dort war der Alarm gekommen. Frau Tsi Gjong, die Sekretärin, ließ ich zurück. Einer muss ja immer im Büro bleiben. Schon wegen des Telefons.

Vor dem Grubeneingang war Gerenne, Gejammer und Wirrwarr. Ganz so, als wenn ein Bär seine Pranke in einen Bienenstock gesteckt und die Bienen aufgeschreckt und in Panik versetzt hätte. Sanitäter eilten mit Tragen in die Grube. Arbeiter kamen herauf, wie benommen, torkelten sie ins Freie. Ihre Kollegen empfingen sie, versorgten sie. Krankenschwestern und Ärzte waren noch nicht eingetroffen. Der Sekretär für das Betriebsgesundheitswesen nahm derweil Protokolle auf. Ein paar Arbeiter saßen und standen vor dem Eingang und unterhielten sich. In ihren Augen sah ich Angst und Aufregung. Ich nahm mir einen beiseite und befragte ihn. Er erzählte mir folgende Geschichte:

Zuerst seien die schwebenden Lichter gekommen.

Was für Lichter? fragte der Mister Phu

Schwebende Lichter eben, wie die Kinder bei einem Lampionumzug, wo man im Dunkeln auch nur die Lichter sehe, nur wären sie nicht rot und nicht so groß, sondern viel kleiner und heller gewesen. Eine lange Kette schwebender Lichter. Sie seien über den Vorplatz der Grube geschwebt und auf den Grubeneingang zu. Wo sie hergekommen seien, hätte keiner gesehen. Vor dem Eingang hätten sie sich zu seinem Kreis versammelt, ganz so, als ob sie etwas zu beraten hätten. Dann wären sie in die Grube eingedrungen. Und wie sie aber ins Innere der Grube gekommen wären, so hätte es gleich einen totalen Stromausfall gegeben. Alle Lichter wären ausgefallen, die Förderkörbe und die Grubenbahn wären zum Stillstand gekommen. Auch alle Pumpen wären ausgefallen, was für die Bergleute gefährlich ist, weil sie dann keinen Sauerstoff mehr bekommen und die Abluft nicht mehr abgesaugt wird. Auch sämtliche Alarmanlagen seien mit einem Schlag funktionslos geworden. Glücklicherweise hätte dieser Energieausfall nicht lange gedauert. Etwa eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten, solange bis die schwebenden Lichter wieder aus der Grube ausgefahren wären. Glücklicherweise hätten die Menschen keinen Schaden erlitten, nur fürchterliche Angst sei ausgebrochen. Die schwebenden Lichter hätten die Grube, alle Schächte und Stollen, in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit durchquert. Man hätte sie nur wie eine leuchtende Linie wahrgenommen. Nach ihrem Verschwinden hätten die schwebenden Lichter, das habe man aber erst später entdeckt, seltsame elfenbeinfarbene Halbkugeln an mehreren Stellen in der Grube hinterlassen. Und bei einer dieser Halbkugeln sei es dann geschehen…

Was sei geschehen? fragte Mister Phu

Die Explosion. Eine fürchterliche Explosion. Nur eine einzige zwar, aber die sei schlimm genug gewesen.

Wie denn das habe geschehen können? wollte der Sonderermittler wissen.

Einer der Bergleute, der Vorarbeiter Xio Jo Lan, habe, als der Strom wieder funktionierte, eine dieser Halbkugeln in die Hand genommen. Er wollte sie untersuchen. Seinen Arbeitern, die in ein paar Metern Entfernung stehen geblieben wären, habe der Genosse Xio noch zugerufen, sie sollten nicht näher kommen, sicher sei das hier eine Spionageeinrichtung der Japaner oder der US-Amerikaner und man wisse nicht, ob die gefährlich wäre. Dabei habe er die Halbkugel in die Höhe gehalten. Dann habe er diese Halbkugel genauer untersucht, sie umgedreht und, weil er keine Öffnung oder einen Einund Ausschalter gefunden habe, mit seinem Bergmannshammer aufbrechen und unbrauchbar machen wollen.

Dabei sei es passiert.

Als er mit dem Hammer ausholte, sei ein Blitz aus der Halbkugel in sein Gesicht gefahren und kurz danach habe es einen gewaltigen Donnerschlag gegeben. Natürlich hätte es den Genossen Xio erwischt, auch zwei oder drei seiner Kollegen, die in der Nähe waren. Aber der Rest sei mit dem Leben davon gekommen…

Sehen Sie, sprach der Sekretär und zeigte auf eine Gruppe Bergleute, die vor der Grube herumsaßen, dort sind ein paar von ihnen, die können Ihnen alles noch authentischer erzählen…

Mister Phu schüttelte mit dem Kopf. Nein, sein Bericht genüge ihm vorerst. Den Rest und die Maßnahmen zur gründlichen Untersuchung wolle er mit dem Direktor und dem Parteisekretär der Grube besprechen, zu denen er nun schnellstens geführt werden wolle.

Der Sekretär zuckte enttäuscht mit den Schultern.

So seien sie also, die Sonderermittler, dachte er, alles nur mit den Oberen besprechen, wollten sie, möglichst im Geheimen und ohne Aufsehen.

Gut, dann kommen Sie, Genosse, sprach er zu Mister Phu und er führte ihn weg vom Ort des Ereignisses, hin in die Stuben der Verwaltung und Bürokratie.

Die anschließende Untersuchung ergab im Übrigen nichts, was der Sonderermittler nicht schon vor Ort gesehen und erfahren hatte. Das Unglück in der Grube blieb ein Rätsel. Man fand auch keine Spuren. Die verbliebenen Halbkugeln im Schacht waren, als die Untersuchungskommission sich vor Ort sehen ließ, allesamt verschwunden. Irgendwelche chemischen Reste der Explosion wurden weder festgestellt oder gesichert noch überhaupt gefunden.

Aber die technischen Möglichkeiten waren zu dieser Zeit in der chinesischen Provinz noch äußerst begrenzt. Die ganze Sache wurde schließlich niedergeschlagen.

Vielleicht, mutmaßen ein paar Leute, wären es doch die Japaner gewesen. Oder die US-Amerikaner. Immerhin sei ihre Zeche ja eine der wichtigen für die Urangewinnung des Landes. Aber einen Beweis, dass die Japaner oder die US-Amerikaner dahinter steckten, fand man nicht. Und so schwieg man lieber in altbewährter, stiller, chinesischer Weisheit. Kein Wort verlor man, nicht mal ein Zeitungsbericht wurde über die Sache veröffentlicht.

Nur ein paar von den Leuten, die dabei gewesen waren, erinnerten sich noch.

Virginia, USA - 11. September 2017 um 18.14 Uhr Ortszeit

US-Bundesstaat Virginia. US-Route 23. Am 11. September 2017 um 18.14 Uhr Ortszeit. Durchfahrt in Scott County, Richtung Jacksonville. Im Hintergrund ragen die Cliff Mountains. Links der Straße, hinter der Fahrbahnmarkierung ein paar zum Teil kahle Laubbäume, rechts ein steiler Hang, mit kleineren Bäumen, niedrigen Sträuchern und Gras bewachsen. Das Gras ist braun und halb verdorrt. Es hat wochenlang nicht geregnet. Viele Bäume mit weißen Stämmen sind zu sehen, wahrscheinlich Birken.

Der Verkehr kriecht einen Anstieg rauf… kriecht… und kriecht weiter, oben irgendein Abzweig.

Auf einmal Stillstand. Das war´s. Nichts bewegt sich mehr auf dieser beschissenen US-Route 23. Nirgendwohin. In keine Richtung.

Fahrer, Beifahrer, Fahrgäste, Alte und Junge, Teens und Kinder klettern aus ihren Fahrzeugen. Aus Cabrios, aus Spidern, aus verdammten Jeeps, aus wuchtigen Explorern, aus Caravans, aus billigen Sportcoupés, aus Lieferwagen, Wohnmobilen, Kombis, aus Chevys und anderen alten Schleudern, aus Hondas und BMW´s, aus deutschen Volkswagen und aus amerikanischen Luxuslimousinen, aus Abschleppwagen und Kleinbussen - aus wer weiß was für Blechkarren klettern sie, wie Holzkäfer hinter der Borke eines gefällten Baumes kommen sie zum Vorschein. Sie starren nach vorn, diskutieren, laufen hin und her, steigen wieder ein. Und wieder aus. Trinken Cola. Essen irgendeinen Snack. Beschauen ihr Auto und die anderen als wären sie von der Straßenwacht. Rauchen, Fotografieren, lachen, schimpfen… ein paar stehen am Straßenrand und urinieren ganz ungeniert ins trockene Gras. Da wird´s wenigstens wieder grün! lacht ein Spaßvogel und zieht den Reißverschluss seiner Hose hoch.

Die da getrunken und die da gegessen haben, werfen die Verpackungen achtlos in den Straßengraben. Wenn sich der Stau aufgelöst hat, später, in einer oder zwei Stunden vielleicht, dann werden Berge von Cola- und Bierdosen, Tetrapacks, Verpackungen aller Art, Papier und Plastiktüten, sogar Babytücher und Damenbinden, aller möglicher Abfall dieses Stück Strecke der US-Route 23 in sorgloser und fröhlich bunter Vielfalt säumen. Manchmal bleibt der Dreck wochenlang liegen, ehe er von der Straßenwacht oder auch von Privatleuten weggeräumt wird. Am frühen Morgen oder am Abend, jedenfalls in der Dämmerung stöbern Waschbären, Coyoten, verwilderte Hunde, Krähen und Möwen darin herum, meist finden sie noch irgendwas Fressbares, und sie zerwühlen und verstreuen alles noch mehr.

Jacob Tyson Sparr – oder JTS – wie ihn seine Freunde, Kollegen oder auch ein paar College-Girls nennen, blickt verdutzt durch die Windschutzscheibe seines Toyota-GTS. Er kann weiter nichts sehen, außer Wagen an Wagen, sowohl in seiner Doppelspur als auch in der entgegenkommenden, Wagen an Wagen, Blech an Blech steht da rum, bis zum Horizont. Verdammt, das kann dauern. Auf einmal wird er abgelenkt. Aus dem Seitenfenster eines grasgrünen Volkswagens Variant schräg vor ihm zwängt sich zuerst ein Fuß, nackt bis auf eine kleine goldene Sandalette, dann ein Bein, natürlich ein Mädchenbein - zu der goldenen Sandalette kann nur ein Weib gehören - schließlich das zweite Bein, dann der Hintern, von einer strammen Blue-Jeans überspannt, schließlich der komplette Mädchenkörper wie in einer Limbo-Show, wenn die Latte ganz unten liegt. Das Girl springt auf die Füße, ächzte befreit, bewegt die Arme in die Höhe.

Warum sie die Tür nur einen Spalt offenlässt?

Jacob Tyson Sparr hatte gebannt zugesehen. Denkt die etwa, sagt er sich, die Scheiß-Türe wäre hier in der engen Stauschlange nicht aufgegangen? Quatsch. Klar wäre die aufgegangen. Will nur eine Show machen, this damn dirty Girl.

Inzwischen haben sich noch drei weitere Mädchen zu der ersten hinzugesellt. Aus dem grünen VW erklingt es „Umba-umba-wrstewrste-umba-umba-wrste-wrste“ ohrenbetäubend laut. Technoklänge. Ganz schnell, so dumpf und schrill – wie man sie hier gar nicht aufschreiben kann. Die Mädchen heben die Arme, kreischen auf und fangen an zu tanzen, dabei singen sie irgendeinen unverständlichen Text, der wie: „Good´n love it… good´n love it… it…it…it…“ klingt…

JTS schaut auf seine handtellergroße Armbanduhr. Er ist ganz stolz auf dieses Teil und zeigt es gern herum, es ist Smartphone, Radio, TV und wer weiß was noch, alles in einem. Oh damn´d, oh shit! zischt er, es ist schon 18.50 Uhr, und um 19.35 Uhr müsste er in der Good-Conditions-Road Number 127 in diesem Scheiß-Nest da vorn irgendwo vor ihm – wie heißt es doch gleich? Verdammt, er weiß es nicht mehr – sein. Er ist noch nie dagewesen.

Damn, was jetzt? Fuck. Oh damn´d fuck!

Und die tanzen hier blöde rum! Damn´d! Oh my god! Scheint denen egal. Als ob die Welt stehen geblieben wäre.

Auf einmal von hinten kommend auf- und abschwellende Alarmtöne. Sie werden immer lauter. Es sind zwei oder drei blausilberne Wagen der State-Police. Sie jagen heran, hupen, blinken, machen Licht-Hupe. Die im Stau Stehenden sollen eine Gasse frei machen. Das ist nicht so einfach. Alles steht dicht an dicht.

JTS versucht an den Straßenrand zu steuern. Es gelingt mehr schlecht als recht. Sein Heck ragt noch spitz in die freie Gasse. Er flucht, schwitzt.

Die State-Police jagt vorbei. JTS hält das Lenkrad fest. Sein Toyota zittert und wackelt vom Fahrtwind, als die Polizei nur Zentimeter an ihm vorbeiprescht.

Teufel, was ist da vorne los? ruft einer aus einem Abschleppwagen neben ihm. Er gestikuliert wie wild. Will er nach vorn? Will er das Geschäft machen?

Verpiss dich! Bleib hinten! wird ihm zugebrüllt. Auch JTS macht ein wütendes Gesicht. Er zeigt dem Abschleppwagen den Stinkefinger.

Ich lass dich nicht vorbei. Fuck!

Und er fährt wieder rückwärts in die Schlange, ordnet sich ein.

Jacob Tyson Sparr, wieder eingezwängt zwischen den anderen Fahrzeugen, verfällt in Panik. Verdammt, er muss den Termin unbedingt einhalten. Er darf ihn nicht versäumen oder zu spät kommen. Er kann sich das nicht erlauben! Um keinen Preis.

Er erinnert sich wie er einmal, es muss ungefähr fünf Wochen oder so her sein, in einem Konferenzraum, das war oben in Esserville, mit einer Gruppe leitender Angestellter und Anwälten herumgestanden hat und sie hatten auf Jos Andrews gewartet. Er kannte Jos. Es war ein städtisches Projekt, ein Kongresscenter, und Jos vertrat die Stadt. Er, Jacob, hatte am Fenster gestanden und die Anwälte und die höheren Chargen des Bauunternehmers unterhielten sich. Halblaut nur, aber er hatte alles verstanden.

Wann kommt denn dieser Scheißtyp von Jos Andrews bloß? hatte einer gefragt, wir haben unsere Zeit nicht in der Lotterie gewonnen… und ein anderer sagte:

Wer glaubt er, wer er ist? Und ein Dritter schlug lachend vor: Da müssen wir an den Preisen noch was machen, wenn die Stadt sich bitten lässt…

Verdammt, denkt Jacob Tyson jetzt verzweifelt, was mach ich nur? Ich bin noch nie irgendwo zu spät gekommen… Pünktlichkeit sei die Höflichkeit der Könige, habe sein Großvater immer gesagt… und Recht hat er, der alte Knochen.

JTS spürt wie seine Handflächen nass werden.

Ob er rechts auf den Standstreifen ausweichen kann? Ob der weiche Kies ihn trägt? Und wenn er einsinkt und steckenbleibt? Der Toyota hat keinen Allradantrieb. Ach was, er wird es probieren. Er muss. Er muss es einfach tun. Und dann vorbei an der ganzen Scheißkolonne.

Er lenkt nach rechts, muss nochmal zurück und dann schiebt er sich auf den Standstreifen. Der ist nicht durchgängig betoniert, hat sandige, weiche Stellen.

Trotzdem, es geht. Ein paar fluchen, zeigen ihm die Faust oder den Finger. So ein Schweinehund, schleicht sich auf dem Standstreifen an ihnen vorbei. JTS grüßt mit dem Finger zurück, lacht… The early bird catches the worm.

So fährt er ein paar hundert Meter, die Steigung kommt. Er schafft es. Noch zwei, drei Kilometer bis zur Ausfahrt. Da sieht er vorn, den Grund für die Stockung. Ein Berg von zerbeulten, halb ausgebrannten, übereinander geschobenen Autos. Ein grandioser Haufen Schrott. Ein Schrottplatz mitten auf der US-Route 23. Kräne zerren einzelne heraus. Wracks werden auf Transporter geladen. Daneben stehen Feuerwehrautos. Bis vor ein paar Minuten haben sie mit großen Schläuchen gespritzt. Jetzt qualmt es nur noch. An einer anderen Stelle beseitigen die Feuerwehrleute den ausgelaufenen Kraftstoff, Benzin oder Diesel, große Pfützen haben sich gebildet.

Die Polizei läuft herum, dirigiert, versucht den Verkehrsfluss irgendwie wiederherzustellen. Es klappt nicht. Fluchen. Frust.

Plötzlich taucht vor JTS ein Uniformierter auf, ein Seconde-Sergeant von der State-Police. Er hält ihm die rotweiße Kelle entgegen, macht ein entschlossenes Gesicht, kreischt heiser:

Stopp! No Way here!

Wer weiß, wie oft er das schon gebrüllt hat, heute. Deswegen ist er heiser wie ein Stadionsprecher.

JTS steigt aus seinem GTS, flucht. Glotzt ein paar Mal auf seine Monsteruhr. Scheiße, er müsse unbedingt weiter, schimpft er, mindestens bis zur Ausfahrt. Please Sergeant. Please! Oh, what a fuck.

No! Nein, unmöglich. Der Polizist hält ihm die Kelle vors Gesicht.

Verdammt, JTS läuft rot an. What a fuck! sagt er noch einmal. Was ist denn überhaupt los hier? Wie kommt der Blechberg auf die Route? Kann mir das mal einer erklären? Na? Was steht ihr so blöd herum? Macht mal das Maul auf!

Ein kleiner Kreis hat sich um ihn und um den Sergeant gebildet. Neugierige, steckengebliebene Autofahrer, Betroffene, deren Auto jetzt ein Haufen Schrott ist. Alle sind sie ziemlich aufgebracht, ziemlich ratlos, ziemlich fertig. Alle schimpfen, aber keiner sagt warum…

Auf einmal kommen von der Seite ein Kameramann und zwei zu ihm gehörende Leute, offenbar Reporter, auf der Kamera ein Schild „Free-Hampton-TV“, auch die beiden Reporter haben an ihren Schirmmützen die Aufschrift „Free-Hampton-TV“.

Der eine drängt sich zwischen die Leute in der Runde, hält dem einen sein mit rotem Schaumgummi umhülltes Mikrophon unter die Nase. Sagen Sie was, sie sind live drauf…

Ein Alter mit einer runden Brille und einem Haarschopf wie Einstein hat eben JTS am Arm gepackt, er wendet sich dem Mikrophon zu, sagt: Das muss sowieso das FBI überprüfen… ich warte hier auf die Beamten. Sie werden bald kommen. Das ist garantiert ein Attentat gewesen. Wahrscheinlich irgendwelche Islamisten… oder die Scheißmexikaner, verdammte Bande.

Das ist also Ihre Meinung? fragt der Reporter, und was sagen Sie dazu fragt er den daneben:

Nein, ich denke, antwortet der kleine Mann mit einer Baseballkappe, dass es diesmal wirklich Außerirdische gewesen sind.

Außerirdische? Du spinnst! rufen welche dazwischen.

Die Kamera schwenkt wieder auf den Alten.

Nein, ich spinne nicht, sagt der. Es waren Außerirdische. Ich hab die Sache von Anfang an gesehen. Und außerdem, ich hab Erfahrung, als kleiner Junge hab ich, im Jahre 52 in Nebraska war das, da hab ich zusammen mit meinem Onkel Jimmy die ersten Untertassen gesehen. Jaaa, glaubt mir nur. Die erste Untertasse. Sie stand am Himmel wie eine Brisby-Scheibe, dann schoss sie davon… später hat die Army irgendwelche Überreste gefunden.

Die Kamera fährt herum, das Mikrophon kreist von Mund zu Mund.

Jetzt geht die Leier wieder los, sagt einer. Das war doch Unfug, weiß doch heute jeder.

Ein anderer echot: Oh, der Kleine. Wie die Alten sungen, so zwitschern jetzt die Jungen.

Ha, ha, ha, der war gut… die Runde lacht.

Der Reporter hat JTS erspäht, hält ihm das Mikro hin

JTS ist neugierig geworden. Er sieht gut aus, ist gut angezogen. Ein Blickfang. Kein Wunder, dass der Reporter ihn ausgewählt hat. Lässig ergreift JTS das rote Mikrophon. Stellt sich vor die Kamera.

Nein, sagt er, ich glaube nicht an Außerirdische. Das ist alles Quatsch. Nonsens. Die gibt es nicht, höchstens in Science-Fiktion-Romanen oder in Filmen von Steven Spielberg. Hab kürzlich erst gelesen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass außerirdische Intelligenzen jemals auf der Erde landen, gegen Null geht. Sind alle, wenn es tatsächlich welche geben sollte, viel zu weit weg. Die können gar nicht herkommen, selbst, wenn sie wollten. Nein nein, verdammt. Hier wollte ich jetzt wenigstens hören, was und wie er sich zugetragen hat, dieser Big Crash. Wie er entstanden ist, der Schrottberg.

Ja? Was du nicht sagst? fällt ihm der Kleine ins Wort.

Na los, animiert er den kleinen Wichtigtuer, er benimmt sich sogleich wie ein Reporter, er weiß, das kommt an im TV, erzähl mal.

Ich komm von hinten – und er zeigt mit dem Daumen nach unten, den Abhang hinab – wir haben nichts gesehen, nichts gehört, nur, dass alle plötzlich zum Stehen gekommen sind. Und nun gammeln wir schon eine Stunde im Stau. Also Mister, ich bin gespannt. Let´s go.

Die Kamera fährt wieder rundum. Wonderfull, alles live, ruft der Reporter seinen Kollegen zu. Halt drauf! animiert er den Kameramann, los, mitten hinein. Tu so, als ob wir gar nicht da sind. Das kommt am besten…

In der Runde ist Bewegung. Ein paar, die die Story offenbar schon gehört oder die Sache selber gesehen haben, ziehen die Brauen hoch. Eine junge Frau mit übergroßer Sonnenbrille und einem Silbermedaillon im weiten Ausschnitt mault: Ach, jetzt kriegen wir den Shit zum dritten Mal zu hören… ich frag mal einen Police-Man, ob er mich heim fährt, meine Karre steckt dort in dem Haufen, hab Glück gehabt…

Sie wendet sich ab und geht davon. JTS sieht ihr nach. Mensch, wie die ihren Steiß dreht, das ist überirdisch. Ein anderer, der den Blick von JTS gesehen hat, feixt: Toll, was? A very good hot ass! Selten so ein Fahrgestell gesehen, was, Kumpel?

Die Kamera ist seinem Blick gefolgt. Die Reporter feixen, stoßen sich gegenseitig an.

JTS, der sich wie ein Moderator fühlt, nickt, packt den Kleinen mit der Baseballkappe an der Schulter: Na los nun, lass hören, ich hab´s eilig. Lass dich nicht beirren. Ich glaub dir…

Der Kleine grient selbstgefällig: Ja, es waren Außerirdische, das wette ich. Das war genauso wie damals mit meinem Onkel in Nebraska, nur waren es diesmal keine Untertassen.

Was war es dann?

Es ist gegen 18 Uhr gewesen. Oder ein paar Minuten drüber. Ich freute mich, weil der Verkehr, trotz der Dichte so flott lief. Dann sah ich auf einmal diese Lichter…

Was für Lichter?

Na Lichter eben. Wie eine Lampionkette, nur irgendwie kleiner und heller. Sie flogen erst über die Route 23 drüber, drehten dann ein, und flogen parallel mit uns mit.

Wie viele waren es denn? Und wie hoch flogen sie?

Ach, nicht hoch, so zehn Meter über dem Boden ungefähr… Und es waren vielleicht zwanzig oder auch dreißig. Ich hab sie nicht gezählt.

Und was machten die Lichter?

Nichts. Sie flogen nur, hielten sich tapfer in einer Reihe und in gleicher Höhe, wie ein Vogelschwarm, aber eben nicht in einem Keil oder in geballter Formation wie die Vögel, sondern in einer Linie, hintereinander also, oder nebeneinander in Reihe, je nachdem…

Und dabei leuchteten sie?

Ja. Wie große Glühwürmchen.

Wie groß waren sie?

Na, so genau kann man das nicht sagen, aber ich denke mindestens wie eine große Grapefruit. Ja, so ungefähr… er zeigte es mit den Händen, spreizte Daumen und Mittelfinger.

Was geschah dann?

Nichts. Sie flogen friedlich über uns und neben uns her. Dann tauchten aber fliegende Halbkugeln auf, von der Größe eines halbierten Volleyballs. Auch etwa dreißig oder mehr. Die flogen ein wenig höher.