Ein einsames Haus - Klaus Funke - E-Book

Ein einsames Haus E-Book

Klaus Funke

4,8

Beschreibung

Ein Mann namens Dührkamp hat sich jahrelang versteckt. Er ist auf der Flucht vor seinen Kumpanen, mit denen er vor Jahren einen Geldtransporter ausgeraubt hat. Jetzt braucht er eine neue sichere Bleibe. In einem kleinen sächsischen Dörfchen wohnt die Witwe Heinz. Sie nimmt ihn bei sich auf. Er hilft ihr auf ihrem kleinen Anwesen, teilt mit ihr Tisch und bald auch das Bett. Aber er ist über zwanzig Jahre jünger. Alles könnte gut werden, denn Dührkamp besitzt den geraubten Schatz aus dem Geldtransporter. Da tauchen plötzlich die alten Kumpane auf. Sie sind aus dem Knast entlassen worden. Aber auch die hübsche Enkelin eines Nachbarn der Witwe interessiert sich für Dührkamp. Weiß sie etwas von seiner Vergangenheit und seinem Geld? Kann die Witwe den Mann und das Geld halten? Gibt es für sie endlich einmal ein Happyend? Man verschlingt dieses Büchlein und genießt es zugleich. Es gibt frappante Analogien zu Camus - Der Fremde - und zu Simenons - Die Witwe Couderc -. Aber es sind nur schemenhafte Ähnlichkeiten. So wie einem manchmal ein Duft oder der Wolkenhimmel vertraut erscheint. 165 Seiten, bildhafte Sprache, flüssig zu lesen, ein literarisches Schmankerl ersten Ranges.

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Seitenzahl: 260

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Zum Autor: Klaus Funke, geboren in Dresden, ist ein bekannter Autor erfolgreicher Romane wie „Zeit für Unsterblichkeit“ – „Der Teufel in Dresden“ „Die Geistesbrüder“ – „Heimgang“ u.a. Mit dem kleinen Roman „Ein einsames Haus“ legt er ein Buch aus seiner Krimireihe vor, zu der z.B. noch „Franzi“, „Jacek Boehlich und die blonde Tote“, „Jacek Boehlich und das Gold der Toten“ u.a. gehören.

Eine Busverbindung nach Mielschdorf bestand schon seit Jahren nur eingeschränkt.

Vom Stadtrand fuhr jeden Tag, außer sonntags, ein Bus zweimal. Um zehn Uhr zehn und um fünfzehn Uhr zwanzig kam der Bus bei der früheren Schule in Mielschdorf an. Er fuhr dann noch eine Runde durch die umliegenden Dörfer des sogenannten Friedberger Hochlandes, sechs oder acht Dörfer, je nachdem, ob man die in den letzten Jahren zusammengelegten Ortschaften mitzählte oder nicht, und kehrte dann zum Stadtrand zurück. Meist war es ein ausrangiertes älteres MAN-Modell. Aber noch ganz gut fahrtüchtig. Früher fuhren baufällige Klapperkästen der Marke IFA, verrostet und in hässlich hellem Gelb lackiert. Doch das war lange her. Fast fünfundzwanzig Jahre.

Die Insassen des Busses waren meistens Rentner oder solche, die kein eigenes Auto besaßen. Die meisten Bewohner des Hochlandes fuhren mit dem eigenen PKW in die Stadt zum Einkaufen oder zum Arzt oder um irgendwelche Besorgungen machen oder abends sogar mal ins Kino oder ins Theater. Früher war das anders. Da war der Bus rappelvoll gewesen, kaum ein Plätzchen konnte man bekommen.

Jetzt kannte der Fahrer seine Fahrgäste. Manche sogar mit Namen. Er half den alten Leuten beim Ein- und Aussteigen, trug ihnen die schweren oder sperrigen Gegenstände.

In Mielschdorf machte er, wenn es sein Fahrplan erlaubte, eine kleinere Pause, aß seine Brote, einen Apfel oder eine Tomate, trank Kaffee aus einer Thermoskanne, machte manchmal einen Schwatz mit den Fahrgästen.

Heute, an einem Tag im Spätsommer, hatte er diese Zeit. Er schaute auf die Uhr, brummte zufrieden, blickte in den Innenrückspiegel. Eine Handvoll Fahrgäste wartete auf die Weiterfahrt. Eine ältere Dame war, als er abbremste, aufgestanden und kam von ganz hinten nach vorn. Sie hatte in jeder Hand eine schwere Einkaufstasche und auf dem Rücken einen kleinen Lederrucksack. Er kannte die Alte. Es war die Witwe Heinz. Hildrut Heinz. Ungefähr Anfang Sechzig. Ein wenig füllig, doch nicht zu sehr. Einer im Bus hatte mal zu ihr gesagt: Hildy, du mit deiner Rubensfigur… Er hatte sich das gemerkt, weil er zuerst nicht wusste, was damit gemeint war. Rubensfigur!? Später hatte er erfahren, da waren fleischige, ein wenig füllige Frauen gemeint, noch nicht zu alt, Frauen, in deren Körper noch Saft und Kraft steckte.

Die Hildy kam also nach vorn und der Fahrer, der eben seine Brote auspacken wollte, sprang auf.

Kommen Sie, Hildy! - er lachte verschmitzt - ich helfe Ihnen.

Er nahm ihr die Taschen ab, öffnete die vordere Tür mit einem „Zisch!“ und geleitete die alte Frau ins Freie. Draußen angekommen, gab er ihr die Einkaufstaschen zurück, lachte noch einmal kurz auf und stieg wieder in seinen Bus. Rubensfigur, dachte er, als er sich hinter das Lenkrad zwängte. Warum die wohl keinen neuen Mann kriegt? Sieht doch noch ganz gut aus, die Hildy. Er wusste, vor zwei Jahren war ihr Mann, der in der Großstadt einen kleinen Verlag besessen hatte, an Prostata-Krebs gestorben. Kurz vorher waren die Beiden, die Hildy und ihr Mann, hierher nach Mielschdorf gezogen, in ein kleines unscheinbares Häuschen. Es sollte ihr Sommersitz werden. In der Stadt besaßen sie noch eine große Eigentumswohnung. Doch die Hildy hatte nach dem Tod ihres Mannes die Eigentumswohnung verkauft. Es gefiel ihr in Mielschdorf, in der dörflichen Einsamkeit, vielleicht auch der Trauer wegen. Nun wohnte sie in dem Häuschen, hatte es wie eine Puppenstube eingerichtet. Freilich mit der Zeit war es ihr zu still geworden. Doch, was sie für Pläne hatte, wusste keiner. Die Leute reden, aber wie das immer so ist: Genaues wusste keiner.

Frau Heinz lief den schmalen Wirtschaftsweg hinauf. Er stieg ein wenig an, ein paar scheinbar herrenlose Hühner gackerten und pickten am Wegesrand, eine Katze streunte kreuz und quer und sprang schließlich auf eine Mauer, unbewirtschaftete Bauerngehöfte säumten den Weg, man sah grasbewachsene Höfe, eingefallene Zäune, dann wieder drei kleine Mehrfamilienhäuser vom Anfang des alten Jahrhunderts, eines davon sogar mit einer Art Portal, die anderen mit Steintreppen. Grauer Putz. Alte Ziegeldächer. Schmutzige Gardinen an den Fenstern. Die Witwe Heinz wohnte noch nicht lange genug in Mielschdorf, um die Bewohner alle zu kennen. Ein paar Namen wusste sie. Im Grunde war es ihr auch egal, sie war noch nie sehr neugierig gewesen. Sie dachte an nichts Bestimmtes. Sie hatte ein schönes Stück Fleisch vom Einkauf mitgebracht. Da würde eine gute Suppe daraus. Flüchtig sagte sie sich, einen richtigen Esser könnte sie schon gebrauchen oder einen, der mal das Gras im Gärtchen mähte und ein paar kleine Reparaturen im Hause machte. Der Wasserhahn gleich hinterm Haus war schon lange undicht, das Schloss vom Schuppen war gar nicht mehr zu gebrauchen und die Gartenpforte, jeden Tag ärgerte sie sich darüber... und immer den Reuschkat betteln. Das passte ihr nicht. Wegen jeder Kleinigkeit zum Nachbarn gehen…

Ah, da ist das Spritzenhaus. Es stand neben einem nicht sehr großen Löschteich. Auf dem Löschteich ein paar Enten. Sie wusste, das waren die Enten vom Spahn, Willi, einem Kleinbauern, der sein Höfchen gleich daneben hatte. „Freiwillige Feuerwehr Mielschdorf“ stand auf einem rotweißen Plakat zu lesen, das, inzwischen halb zerrissen, an den grauen Holzlatten vom Spritzenhaus angebraucht war.

Von hier, vom Spritzenhaus bis zu ihrem Häuschen, das von einer großen Linde halb verdeckt, kaum zu sehen war, waren es, wenn man über die kleine platzähnliche Erweiterung, die der Weg bildete, ging, nur noch ein paar Schritte.

Als sie an der Gartenpforte anlangte, sieht sie plötzlich einen unbekannten jungen Mann neben sich auftauchen. Komisch, sie sieht ihn ohne Verwunderung an und sie ist auch kein bisschen erschrocken. Er ist dunkelhaarig und zwei Köpfe größer als sie, gut aussehend, sogar ein bisschen so, als habe er Bildung.

Sie setzt ihre Taschen ab, sucht ihren Hausschlüssel. Findet ihn. Dann überlegt sie, murmelt wie zu sich: Eigentlich wollte ich den Reukschat fragen, ob er die Gartenpforte… sehen Sie… und sie rüttelte an dem morschen Holz. Da ist nicht mehr viel los…

Haben Sie so einen kleinen Rothaarigen gesehen?

Ich weiß nicht, sagte der junge Mann, wer soll das sein?

Na, das ist der Reukschat. Seit einer Woche bettle ich ihn schon… die Gartenpforte soll er mal reparieren. Ist doch keine Heldentat, oder?

Der junge Mann sagt nichts.

Die Frau schaut sich um, ruft erst nach links, dann nach rechts: Herr Reukschat! Herr Reukschat! Sie seufzt: Er hört nicht. Ist wiedermal auf und davon, der Kerl…

Wenn ich Ihnen derweil die Einkaufstaschen…?

Reintragen, meinen Sie?

Die Witwe hat zuerst nichts gesagt, sie ist stumm geblieben, so als ob sie es erwartet habe, dann, als der junge Mann sie mit hoch gezogenen Augenbrauen anblickt und den Mund spitzt, als ob er seine Frage wiederholen will, nickt sie:

Ja, ja reintragen. Das wäre nett… vielen Dank.

Der junge Mann ergreift die Taschen, die Witwe beeilt sich ihm voraus zu gehen, sie muss die Haustür öffnen. Er folgt ihr auf dem halb zugewachsenen mit Schieferplatten belegten Weg, links säumt ihn ein nicht sehr hoher Nussbaum, rechts ein paar Koniferen. Es ist warm und es riecht nach faulem Obst. Wespen und Fliegen schwirren. Dem jungen Mann treten Schweißtropfen auf die nackte gebräunte Haut. Am Hals schimmert ein Goldkettchen.

An der Haustür angekommen, stochert die Witwe im Schlüsselloch.

Sehen Sie, auch dieses Schloss funktioniert nicht richtig. Moment, ich hab´s gleich. Ist ein Ersatzschlüssel… hat der Reukschat zurechtgefeilt. Sie seufzt.

Der Mann setzt die Taschen ab, holt ein Taschentuch hervor, wischt sich Stirn und Hals. Schließlich geht die Tür mit einem Knarren auf. Die Witwe beschaut sich den jungen Mann von der Seite, als er an ihr vorbei geht. Sie scheint nicht unzufrieden, lächelt…

Vorsicht! ruft sie, die Schwelle ist niedrig und gleich hinter der Tür hängt eine Lampe.

Der Mann zieht den Kopf ein und tritt in das Halbdunkel des Vorraumes.

Sie sind neu in Mielschdorf? Suchen Sie Arbeit? Hier gibt es keine.

Sie war schnell hinter ihm in den halbdunklen Flur getreten, fast ein wenig zu schnell, ganz so, als ob sie fürchte, er könne etwas an sich nehmen oder eine unerwünschte Entdeckung machen.

Er antwortete nicht. Sein Hemd klebte ihm am Leibe. Unschlüssig stand er, wo er die Taschen absetzen solle.

Warten Sie, ich mache die Tür auf.

Sie öffnete die grau gestrichene Holztür, auf der sich innen zwei schwarzlackierte, handgeschmiedete Beschläge zeigten. Man sah in eine geräumige, mit schwarzen und weißen Fliesen ausgelegte Küche. Durch einen halb geschlossenen Laden drang seitwärts das Tageslicht ein.

Stellen Sie das hier ab. Sie zeigte auf einen groben Bauerntisch. Ich werde…

Eine graubraun gefleckte Katze rieb sich an ihren nackten Waden. Die Witwe trat an die Taschen heran, nahm den Rucksack ab und öffnete eine zweite Tür. Die Sonne drang in den Raum. Die Frau begann ihre Taschen auszupacken, ging in der Küche hin und her. Der junge Mann roch den Geruch ihrer Achseln.

Setzen Sie sich dort auf den Schemel. Ich gebe Ihnen gleich ein großes Glas von einem einheimischen Weißburgunder. Habe die Flasche erst gestern geöffnet.

Plötzlich stutzte sie. Sie hob die Nase, fuhr mit einem Finger über die Tischplatte. Man sah eine Fettspur. Jetzt entdeckte sie einen halb ausgewickelten Schinken auf der Anrichte des Küchenschrankes, daneben ein Küchenmesser.

Dieser Schweinehund! zischte die Witwe. Faul, aber meinen Schinken klauen…

Draußen, hinter der zum Garten geöffneten zweiten Tür, hörte man plötzlich sich entfernende Schritte.

So ein Lumpenkerl! rief die Frau und jagte hinaus in den Garten.

Der junge Mann folgte ihr mit den Augen. Sie lief schnell und ganz und gar zielgerichtet. Plötzlich sah er, dass eine unbekannte Person vor der alten Frau weglief - ein kleiner, grauhaariger, nicht mehr junger Mann in blauer Latzhose und rotschwarz kariertem Hemd. Der kleine Mann hetzte auf den Zaun zu, der das Anwesen vom Nachbargrundstück trennte. Aber die Witwe war schneller. Das Hausrecht verlieh ihr Flügel. Sie holte den Kleinen ein, hielt ihn fest und man sah sie miteinander sprechen, wiewohl man kein Wort deutlich verstehen konnte. Die Witwe war voller Zorn und Wut.

Mit der einen Hand wehrte der Mann den Griff der Witwe ab, sie andere war in der Brusttasche der Latzhose versteckt.

Diese zweite Hand zog jetzt die Witwe hervor und entriss ihr ein kleines Päckchen in der Größe eines Stückes Butter, das in eine kleine Plastiktüte eingewickelt war.

Der Mann in der Küche sah wie sie den kleinen Kerl losließ, wie der durch eine lose Latte im Zaun davon schoss. Sie rief ihm irgendetwas nach. Man konnte es nicht richtig verstehen. Es klang wie ein grobes Schimpfwort. Dann ging sie zum Zaun, untersuchte die lose Latte und kam mit dem kleinen Päckchen in der Hand ins Haus zurück.

Dieser kleine Mistkerl, sagte sie, als sie wieder in der Küche stand, für Reparaturen hat er keine Zeit, aber bei mir eindringen und ein Stück Schinken stibitzen. Na warte mein Lieber… sie drohte noch einmal mit der Faust in die Richtung des Entflohenen… dieses alte Vieh, fuhr sie empört fort, hat im Leben nie richtig gearbeitet, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Es schade für jede Münze, die ich ihm, gegeben habe… aber so ist das hier auf dem Dorf, erklärte sie nach einer kleinen Pause, in der sie einen blau gestrichenen Wandschrank geöffnet und zwei Keramikbecher herausgeholt hatte, man ist gezwungen Vertrauen zu haben, weil man aufeinander angewiesen ist, aber dann wird man hinters Licht geführt… in der Stadt holt man sich einen Handwerker, der kriegt sein Geld, zieht wieder ab und gut ist es, hier aber… sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Wenn man ihn, den Kleinen, bestraft, bringt es nichts, er jault auf wie ein Hund und eine Minute später kommt er wieder an, macht treue Hundeaugen und bietet einem irgendeine Nachbarschaftshilfe an… so ist er der Schlawiner, dieser Reukschat… und ich blödes altes Weib, die Hildy, verzeihe ihm.

Sie schaut sich den jungen Mann von oben bis unten an, macht dann eine halbe Wendung, ergreift eine Weinflasche, die irgendwo gestanden hat und gießt die Tonbecher voll.

Ja, Hildy werde ich genannt, sagt sie zu dem Mann und ein fröhliches Leuchten gleitet ihr über ihr Gesicht. Sie reicht ihm den einen Becher, nimmt selber den anderen in die Hand:

Na dann Prost! Der junge Mann hebt den Becher. Prost! sagt er und nippt an dem Wein.

Ja, ob Sie es glauben, „Hildy“ rufen die Leute, immer nur „Hildy“, schon seit ewigen Zeiten, dabei heiße ich eigentlich Hildrut. Das klingt ein wenig streng. Ein nordischer Name, wissen sie…

Ohne Übergang, schwadroniert sie weiter: Ich wette, Sie sind Ausländer!? Sie sehen so südländisch aus. Es gibt ja jetzt so viele Ausländer. Kommen alle hierher und denken, sie seien im Paradies…

Nein, nein, ich bin Deutscher, sagt der Mann und lächelt.

Nein, sowas, wie man sich täuschen kann, ich dachte weiß Gott Sie wäre Italiener, Grieche oder wenigstens Franzose.

Glauben Sie mir, ich bin an der Nordsee geboren.

Was Sie nicht sagen? Da hört man ja kein bisschen Norddeutsch durch?

Gut, vielleicht haben Sie ein bisschen recht mit dem Südländer. Meine Mutter hat kroatische Wurzeln. Ihre Eltern sind damals im Dritten Reich als Ustascha-Unterstützer nach Deutschland gekommen…

Ha! Wusste ich es doch! ruft die Witwe triumphierend aus, irgendwas Südliches steckt in Ihnen. Das hab ich gleich gesehen…

Oben am Dorfende, die Beckers, das ist eine Bauernwirtschaft. Die haben Mitte der Neunziger mal einen Jugo gehabt. Duncic hieß der. Miroslav mit Vornamen. Der hat bei denen die erste Zeit im Stall geschlafen. Weil der hatte solche Angst. War vor dem Krieg da unten geflohen. Aber dann hat er bei den Beckers mitgearbeitet. Der konnte alles… jetzt ist wieder zurück in seine Heimat.

So! Aha. antwortet der Mann

Und wie heißen Sie?

Arne!

Arne? Und wie weiter?

Der Mann zögert ein wenig, dann sagt er, und es klingt erleichtert: Dührkamp.

Na, das ist ja mal ein Name. Die Witwe lacht.

Währenddessen holte sie verschieden Gegenstände aus den Einkaufstaschen, räumte sie in den Wandschrank und in verschiedene Fächer ihrer Küchenkommode: In Folie verpackte Handtücher, zwei im Doppelpack; ein Paket Nudeln, drei Büchsen Gulasch, drei Päckchen eingeschweißte Wurst, eine Flasche Tomatensaft, eine Portion Hartkäse, eine Plastikflasche Aufwaschmittel, einen Ring sogenannter Einweckgummis und eine Stange Zigaretten, Stuyvesant…

Sie kam zurück, die Weinflasche in der Hand.

Bleiben Sie nur sitzen… die (sie hielt die Flasche hoch) können wir durch eine neue ersetzen. Wein hab ich genug, ist auch Selbstgekelterter dabei… vom Nachbarn (sie zeigte irgendwohin), der hat einen kleinen Weinberg, wissen Sie. Wir sind ja hier so gut wie das nördlichste Weinanbaugebiet Deutschlands… wollten Sie nach Friedberg?

Das ist nicht so wichtig…

Arbeit gibt es dort genauso wenig wie hier bei uns. Auf dem Lande gibt es nix. Und in der Großstadt ist es heutzutage auch nicht besser… da haben Sie sich die falsche Gegend ausgesucht. Hätten nach Bayern gehen sollen.

Sie hantierte am Herd, hatte einen Topf mit Wasser daraufgestellt, verschiedene Knöpfe gedrückt, eine kleine rote Leuchte flammte auf.

Ist ein neuer Elektroherd, wissen Sie. Was das Stromnetz hier so hergibt. Wenn ich aber zur gleichen Zeit das Bügeleisen auf die höchste Stufe stelle, verabschiedet sich die Sicherung.

Aha, der Mann tat interessiert, nahm einen Schluck aus seinem Becher, sagte: Der Wein ist gar nicht schlecht…

Ob Sie bitte mal…?

Was soll ich? Sagen Sie´s nur.

Ob Sie mal das Gartenschloss… oder das von der Haustür? Die Werkzeugkiste steht im Flur neben dem Schuhschränkchen. Das wär wirklich richtig nett…

Ich werde erst mal hinterm Haus meine Tiere füttern… machen Sie einstweilen nur, wir werden uns schon einig…

Was für Tiere? Große? Etwa einen Hund? Ich habe Angst vor Hunden.

Nein, nein, es sind nur ein kleine Tiere, Kaninchen… und drei Enten. Wissen Sie hier auf dem Lande muss man einfach Tiere haben, schon wegen der Abfälle und dem vielen Gras… mein Mann und ich, wir haben… sie brach ab, nahm einen kleine Sack mit Quetschhafer aus einer Holzkiste, die unter dem Fenster stand. Ging hinaus. Von draußen rief sie während sie sie sich gerade die Gartenschuhe anzog: In der Werkzeugkiste sind noch zwei komplett neue Schlösser. Der Reukschat sollte sie… wieder sprach sie den Satz nicht zu Ende. Es folgte ein Schimpfwort. Man hörte die Haustür zuschlagen.

Der Mann, der sich Dührkamp genannt hatte, trank seinen Becher aus, goss sich noch etwas nach, schaute sich in der Küche um. Es war eine einfache, aber adrett eingerichtete Bauernküche, vielleicht ein bisschen zu adrett und auf Bauernstil getrimmt. Nein, die Frau war keine Bäuerin, dazu wirkte sie zu städtisch. Und die Möbel waren handbemalt, die Farben aufeinander abgestimmt. Sie war sicher eine entschlossene Frau, die wusste, was sie wollte. Und sie schien auch ihre Wirkung zu kalkulieren. Der Mann hatte gesehen, wie sie ein paar Mal ihr volles dunkles Haar, das sie hochgebunden und zu einem sogenannten Flechtkranz gesteckt hatte, mit den Fingern ordnete, wie sie den Sitz ihres Büstenhalters kontrollierte und wie sie den Gürtel versuchte enger zu schnallen.

Vielleicht ist sie die Richtige, dachte er und stand auf.

Er schnappte sich die Werkzeugkiste und trat ins Freie. Die Sonne blendete ihn. Vorm Haus stellte er die Kiste ab, ging leise, darauf bedacht, wenig Geräusch zu machen, ums Haus.

Er sah die Hildy im Halbschatten unter Apfel- und Quittenbäumen stehen. Sie hatte ihr nacktes Bein auf die Deichsel eines alten Handwagens gestützt. Um sie herum mindestens fünfzehn Hühner, ebenso viele Enten, drei Gänse, im Hintergrund ein Schaf an einer langen Kette… das waren also ihre „paar“ Tiere.

„Koommt, koommt, koommt…“

Sie warf das Getreide wie beim Säen im Halbkreis händeweise um sich. Das Federvieh rückte näher heran und pickte, gackerte und schnatterte durcheinander. Zu dem Schaf sagte sie beinahe zärtlich:

Warte nur, Gundolf, du kommst auch noch dran.

Sie bückte sich, um etwas aufzuheben und der Mann sah ihre weißen drallen Schenkel.

Sie sprach eine ganze Weile mit ihren Tieren. Er hätte wetten können, dass sie ihn bemerkt hatte, er stand ja kaum zehn Meter weg von ihr an der Hausecke, aber sie ließ sich nichts anmerken. Dann sagte sie einen bemerkenswerten Satz: Ja, wer mit mir auskommen will, der muss auch mit euch auskommen. Stimmts? „Koommt, koommt, koommt…“

Dührkamp ging zum Eingang zurück, er schaute in die Werkzeugkiste. Es sah schlimm und unordentlich darin aus, aber die zwei Schlösser waren vorhanden. Er nahm die Werkzeugkiste und ging an die Arbeit.

Nach einer Stunde war er fertig. Er hatte die beiden Schlösser gewechselt.

Als er in die Küche trat, stand die Witwe am Herd und kehrte ihm den Rücken zu.

Setzen Sie sich an den Tisch, sagte sie. Sie werden mit und essen. Samstags machen wir keine großen Umstände. Wir kriegen noch einen Tischgast. Der Bauer von gegenüber, der Willi, isst jeden Samstag bei mir. Er ist auch Witwer und damit er mal keine Büchse aufmachen muss, geb ich ihm was ab. Er ist ein ruhiger, bescheidener Mensch… er wird gleich kommen.

Sie deckte den Tisch. Dunkelblaue, weißgeblümte Fayence, dicke Gläser ohne Fuß, allerdings echtes Silberbesteck. Sie sah seinen Blick.

Ach, das ist noch von meiner Mutter, war mal vierteilig und für zwölf Leute. Jetzt fehlen drei große Löffel, zwei Kaffeelöffel, drei Messer und eine Gabel… es gibt nichts Besonderes, Kartoffeln und Schweinskopfsülze mit sauren Gurken und ein Kirschkompott hinterher…

Mögen Sie ein Omelette mit Pilzen drin, echte Wiesenchampignons, heute früh noch geschnitten, bevor ich in die Stadt gefahren bin, von der Wiese da oben… sie zeigte irgendwohin…

Ja. Gern.

Sie lächelte in sich hinein, sie hätte gedacht, er würde aus Höflichkeit und, weil er doch neu war, ablehnen und „nein, danke!“ sagen.

Es klopfte und der Bauer von gegenüber trat ein. Es war ein vom Alter krumm gezogener, verhärmter Mann von sicherlich schon siebzig Jahren. Er trug eine speckige Ledermütze, einen verwaschenen Blaumann und hatte eine Lederschürze umgebunden. Als er den Fremden sah, grüßte er scheu, nahm die Mütze ab.

Die Witwe sah kurz auf. Ah, Willi… die Schürze nimmst du aber ab. Mit so einer Schweinerei setzt du dich nicht zu uns an den Tisch… - sie zeigte auf den jungen Mann, sagte:

Das ist Herr Dührkamp aus… aus… ach, ich weiß nicht, hab´s vergessen. Der junge Mann gab dem Bauern die Hand, nickte, ich bin der Arne Dührkamp.

Willi Spahn, antwortete der Alte. Er band die Schürze ab, wollte sich setzen

Das Dreckding häng mal raus in den Flur... oder tu es gleich vors Haus… so eine Schweinerei, Willi, du solltest dich was schämen, verstänkerst das ganze Haus.

Der Alte gehorchte. Er ging hinaus. Man hörte die Haustür. Als er wieder hereinkam, wirkte er erleichtert und froh: Hildy, was gibt es denn heute?

Wirst du schon sehen, setz dich… hast du dir deine Saupfoten gewaschen?

Joa.

Die Witwe trug auf. Den Bauern hatte sie nicht nach einem Omelette gefragt und der wunderte sich auch nicht, als der Fremde ein Omelett bekam und er nicht.

Der Alte, als er den Teller mit dem Sülzfleisch und den Kartoffel vor sich sah, zog kurzerhand ein Klappmesser aus der Hosentasche und begann Fleisch und Kartoffeln zu zerteilen.

Die Witwe sagte nichts, wünschte Guten Appetit und setzte sich an den Tisch. Das Omelette schmeckte dem jungen Mann ausgezeichnet und beinahe hätte er noch ein zweites erbeten. Man sah ihm an, dass er ein wenig ausgehungert war.

Die Katze war ihm auf den Schoß gesprungen und schnurrte gleich los. Er wusste nicht, ob er sie streicheln, füttern oder verjagen sollte. Katzen störten ihn im Allgemeinen nicht, wenn sie sich manierlich verhielten, allerdings vertrug er keine Anschmiegsamkeit oder Schmiererei, solche Zärtlichkeit war ihm zuwider.

Werfen Sie sie runter, wenn sie Sie stört… also, Sie sind wahrhaftig Deutscher und haben kroatische Wurzeln? Gut, ich frage Sie nicht, wo Sie herkommen.

Nun, von kroatischen Wurzeln würde ich nicht sprechen. Es waren schließlich nur die Vorfahren meiner Mutter…

Na immerhin… sie folgte seinem Blick, der zu einem Wandregal gewandert war, wo ein paar ältere Fotografien standen, darunter die eines jungen Mannes in Polizeiuniform.

Das ist Wolfram, mein Bruder, sagte sie, er war in den fünfziger- und sechziger Jahren Polizeioffizier in Leipzig. Er ist im letzten Jahr gestorben. Er war im Strafvollzug eingesetzt, wissen Sie, und hat das oft bedauert. Eine trostlose Arbeit, hat er manchmal geklagt, ohne viel Freude.

Dührkamp sah die Witwe an, und auf einmal war in diesem Blick auf beiden Seiten ein jähes Verstehen. Die Frau senkte den Kopf und stocherte in ihrem Essen… sie hob den Kopf:

Schmeckt Ihnen das Omelette?

Oh ja, es ist ausgezeichnet, auch die Pilze.

Das freut mich.

Sie aßen. Der Bauer hatte noch nicht ein Wort gesagt, sein Teller war fast leer.

Willst du noch? fragte die Witwe.

Nee, ich nehm dos Kompotte. Danke schön, Hildy.

Der junge Mann musste lächeln. Oh, das Bäuerlein versucht, dachte er, sicherlich ganz gegen seine Gewohnheit, höflich zu sein und Manieren zu zeigen. Das wirkt komisch.

Die Witwe hatte dieses Lächeln verstanden. Ja, sagte sie, unser Willi, ist heute besonders brav. Erst schafft er die Schürze raus und dann bedankt er sich, als hätte er den Knigge studiert.

Der über den sie sprach, hatte nichts verstanden. Wos sull ´ch gelesen habn? fragte er.

Ach nichts, lachte die Witwe und der junge Mann lachte mit. Sie sahen sich wieder in die Augen. Und auf einmal war da ein unausgesprochenes Einverständnis.

Ich mach Ihnen noch ein Omelette. Wollen sie?

Sie weiß im Voraus, dass er „Ja, bitte!“ sagen werde, und so springt sie fast ein wenig jugendlich auf und geht zum Herd.

Der Alte besieht sich den jungen Mann von der Seite. Von wuher komm´n Se glei?

Dührkamp denkt an den alten Western „Die glorreichen Sieben“ , den er als Junge mal gesehen hat und deutet mit dem Daumen hinter sich…

Un wohin wull´n Se? fragt prompt das Bäuerlein

Dührkamp deutet mit dem Zeigefinger nach vorn.

Der Alte begreift nicht. Nu weeß´ ch aber nischte mehr, sagt er.

Die Witwe am Herd hat die Unterhaltung verfolgt. Sie muss wieder lachen.

Hinter der verglasten Tür der alten Wanduhr pendelt die Messingscheibe hin und her. Und mit diesem Hin und Her blitzt jedes Mal ein kleiner Sonnenstrahl auf. Es riecht nach dem Omelette in der Pfanne. Die Katze beobachtet ihre Herrin. Ihr Schwanz zuckt.

Mögen Sie es das Omelette ein wenig durchgebacken?

Ja, bitte, es kann schon ein wenig schärfer gebraten sein.

Gut. Wie der Herr wünschen…

Wie der Herr wünschen, häh, häh – das Bäuerlein amüsiert sich, äfft die Witwe nach. Mensch! er stößt den jungen Mann an, de Hildy schmeißt sich aber ran. Ham Se ihr etwa de Schlösser gwechselt?

Dührkamp antwortet nicht. Er beschaut sich die Rückfront der Witwe. Die ist noch gut in Saft und Kraft, denkt er, die wird im Bett nicht gleich schlappmachen und auch sonst was vertragen. Und sie kann schweigen, sie verrät einen nicht. Das ist das Wichtigste. Und er denkt daran, wie die Witwe zu dem Bäuerlein gesagt hat, sie wüsste nicht, wo er herkäme, der Fremde, sie habe es vergessen… dabei muss es ihr doch komisch vorgekommen sein, dass er, der sich Dührkamp nennt, ihr nicht verraten habe, wo er herkomme… wer etwas zu verbergen hat, wird seine Gründe haben, wird sie gedacht und sich gesagt haben: Da bin ich still. Den verrat ich nicht. Der will nicht sagen, wo er herkommt… aber, er wird es mir schon noch sagen, hat sie gedacht, ich erfahre es. Recht hat sie, er wird es ihr sagen, sie wird es erfahren. Später, wenn die Zeit gekommen ist und er sie wirklich geprüft haben wird…

Mögen Sie keine Schweinskopfsülze? … und Sie kommen von weit her? Die Witwe versucht es wieder. Sie legt ein Stück Fleisch auf den Teller, dazu Gurke und Zwiebel.

Ja, es ist schon ein Stück entfernt.

Und Geld haben Sie auch keines mehr?

Der Mann stülpt seine Hosentaschen um. Ein Geldstück fällt heraus. Es ist eine 1-Pfennig-Münze. Der Mann bückt sich, hebt die Münze auf, hält sie hoch, legt sie auf den Tisch.

Eine Anzahlung für Ihre Bewirtung.

Wir werden sehen, sagt die Witwe, vielleicht schauen Sie sich erst einmal den Wasserhahn hinterm Haus an. Den krieg ich nicht mehr dicht. Und das Wasser, das da rausläuft hab ich später auf der Rechnung. Ersatzteile und Werkzeuge liegen im Schuppen. Das Schloss vom Schuppen funktioniert auch nicht mehr. Wenn Sie noch etwas brauchen, der Reukschat nebenan hat ein halbes Materiallager. Ich wette, er lauert, dass Sie bei ihm anklopfen. Den bringt die Neugierde um. Ach und dann… im Schuppen steht ein Benzinrasenmäher. Es wär super, wenn Sie den auch…

Der junge Mann seufzt, aber er sagt nichts.

Hildy ist inzwischen aufgestanden, den Kaffee zu holen. Sie stellt Dührkamp und dem Bäuerlein eine Tasse hin, gießt sich selber ein. Trinkt in kleinen Schlucken. Über den Tassenrand mustert sie ihren Gast.

Die Leute werden sagen, jetzt hat sie endlich einen Dummen gefunden, der bei ihr alles in Ordnung bringt… und wie werden sie erst tratschen, wenn der Kerl morgen früh immer noch da ist… sie wirft Dührkamp einen schnellen Blick zu. Doch der reagiert nicht, tut, als ob er nichts gehört habe. Dabei ist dieser Blick alles andere als ein bloßer Prüfblick gewesen. Es war ein Blick, der den Mann von oben bis unten in Besitz nahm.

Aber es war noch mehr, er sollte ihr zeigen: Ich habe keine Angst vor Dir. Wenn ich auch einsam bin, hier in diesem Haus, ich habe keine Angst. Im Gegenteil, Du kommst mir gerade recht. Ich kann dich brauchen…

Sie brachte eine kleine Flasche Schnaps.

Ein Gläschen voll? Dem Alten geb ich nichts. Der verliert den letzten Rest Verstand.

Sie goss ihm einen Fingerbreit ein. Er trank.

Schauen wir uns mal den Mäher an, sagte er und stand auf.

Wo? Im Schuppen?

Ja, ich komm gleich nach, will nur hier ein wenig aufräumen… Komm, Willi, geh nach Hause. Der Alte war im Sitzen eingeschlafen. Sie rüttelte ihn. Komm, nimm deine Stinkschürze und geh… Zittrig stand das Bäuerlein auf, rieb sich die Augen und strebte ins Freie.

Im Schuppen, der nur von dünnen Lichtstrahlen, beleuchteten Staubfäden, schwach beleuchtet wurde, sah der Mann eine heillose Unordnung. Es roch nach Staub, trockenem Holz und Mäusedreck. Staub über Staub, Spinnweben überall, Ersatzteile aller Art, Reifen, eine verrostete Sense, ein altes Fahrrad, verschiedene Fässer, alle leer.

Das passt ja prima, murmelte Dührkamp. Hier kann ich alles unterbringen, die Fässer sind ideal geeignet, ein bisschen alten Teer oben drauf, kein Mensch käme auf die Idee… er zuckte zusammen, plötzlich stand die Witwe in der Tür…

Da wollen wir mal versuchen, das Monstrum in Gang zu bringen, was? Er stieß mit dem Fuß an den Rasenmäher. Es gab einen trockenen Laut. Die rote Abdeckung polterte dumpf auf den Kehricht, das Stroh am Boden fing das Geräusch ab. Irgendwo huschte eine Maus.

Wir müssen ihn erst einmal raus ins Helle bringen, im Schuppen ist kein Licht, schlug die Witwe vor.

Ja gut, das stimmt, packen Sie mal mit an.

Sie wuchteten mit vereinten Kräften den staubigen, verdreckten Mäher ins Freie.

Wer hat denn den zuletzt in den Händen gehabt?

Na, wer wohl? Der Reukschat, der Lumpenkerl. Die Witwe schickte noch ein paar Beschimpfungen hinterher

Warten Sie, sagte der junge Mann, hier hinten ist eine Art Bedienungsanleitung und ein Montagebild aufgeklebt. Kaum noch zu lesen, ich versuch´s mal zu entziffern.

Vor dem Start Vergaser entlüften – Luftfilter überprüfen und reinigen – Mähwerk von Ästen und angetrocknetem Material befreien – Schnitthöhe an den seitlichen Stellschrauben einstellen – Vorsicht. Nicht in das laufende Mähwerk greifen – Mähmesser jährlich oder nach längerem Gebrauch schärfen – nur für Normalbenzin – Motorenwerke Hainichen GmbH – Ident-Nr. 33-67-456

Versuchen wir mal einen Start

Quatsch, der geht sowieso nicht.

Egal. Der junge Mann tippte am Vergaser, zog ein paar Mal am Startergriff. Der Mäher sprang nicht an. Er gab nur ein „Tuck-Tuck“ von sich.

Ist überhaupt Benzin im Tank?

Ich glaube ja.

Gut, dann das ganze Programm… Ich fang mal mit dem Luftfilter an. Dann kommt der Vergaser dran.

Aber da muss wohl die Abdeckung komplett abgenommen werden. Da kommt man besser ran. Hier sind die Schrauben.

Beide hockten vor der Maschine. Die Nachmittagssonne brannte. Es roch nach Benzin und altem Gras. Der Schweiß trat ihnen aus allen Poren. Der junge Mann hatte sein Hemd ausgezogen und auf einen Ast gehängt.

Am alten Schulhaus hielt der Nachmittagsbus. Der Fahrer war nach dem letzten Fahrgast ausgestiegen und hatte es sich im Schatten bequem gemacht. Er aß ein Stück Kuchen, trank aus seiner Thermoskanne. In zehn Minuten würde er wieder zurückfahren. Gottseidank, nächste Woche fuhr er eine andere Linie. Urlaubsvertretung. Da wäre es nicht so langweilig.

Es war Ende August. Überall standen Äpfel-, Birnenbäume und alles andere in voller Reife. Die hohe Zeit von Wespen und Fruchtfliegen. Auf den Feldern ringsum war das Getreide gemäht. Der Wind pfiff über die Stoppelfelder. Die schönste Zeit des Jahres war vorbei.

Sie waren fast fertig mit der Rasenmäherinspektion.

Wir sollten einen kleinen Schluck Benzin über den Vergaser gießen, das mögen Vergaser, die lange nicht in Betrieb waren. Die werden trocken wie…