Bernadette K. - Ute-Marion Wilkesmann - E-Book

Bernadette K. E-Book

Ute-Marion Wilkesmann

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Beschreibung

Komik, Tristesse und das Grauen liegen bei Wilkesmann stets dicht beeinander. In diesem vielfältigen Band aber fährt sie den Humor zurück. Wichtiger sind ihr in den besten Passagen unpräzise Beschreibungen von Erfolgsmenschen, Influencern und Vergissmeinnicht, über die sie sich stets erhebt. Diamant.

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Band 1 der Reihe „Textcollagen“

Inhaltsverzeichnis

Bernadette K.

Bettina K.

Erster Tag in der JVA

Produktion

Gefängnisaufstand in Hückeswagen

Untertauchen

Anti-Gewalt-Seminar

Elgar

Unzurechnungsfähig

Schlusswort

Architekturstudium

Reiche Männer

Bernadette und der reiche Mann

Heirat

Die Hochzeit

Flitterwochen

Schwangerschaft

Kind und Beruf

Die ersten Preise

Treue zu Elgar

Elgars Seitensprung

Scheidung

Der tragische Unfall

Autopsie, Obduktion oder Sektion

Beerdigung

Erbschaft

Marienerscheinungen

Psychogramm

Der Orden der Heiligen Bernadette

Bruder Anselm

Forensische Psychiatrie

Ein Zeichen für die Ewigkeit

Nachwort

Endnoten

Meine Bücher bisher

Bernadette K.

Bernadette, älteste von drei Kindern, war Tochter von Franz König und seiner Frau Luise, geborene Castagnette, der Tochter eines Papierfabrikanten. Als Franz und Luise heirateten, übernahm er auch die Papierfabrik des Schwiegervaters. Zehn Jahre nach Bernadettes Geburt konnte die Familie die Angestellten nicht mehr bezahlen, weil die Konkurrenz sie überrannt hatte, und wohl auch wegen der Alkoholabhängigkeit des Vaters. Bernadette liebte in der Schule vor allem den katholischen Religionsunterricht, später musste sie eine Weile als Kellnerin in einer billigen Kneipe arbeiten. Sie freundete sich mit Anselm Mackowitsch, dem Ortspfarrer der Nachbargemeinde, an.1 Dieser war begeistert von ihren Marienerscheinungen, die sie allerdings erfunden hatte.

Vor zwanzig Jahren war Bernadette König eine unbekannte Architektin. Der Liebe wegen zog sie noch vor dem Studium von Gummersbach nach Düsseldorf und lebte fortan mit ihrem Mann Elgar und ihrer Tochter Babette in einer Villa, die von Brombeerbüschen umgeben war. Die harmonischen Zeiten sind mittlerweile aber vorbei. Nun ist sie vor allem bekannt dafür, dass sie alles hasst, allen voran ihr Leben und ihre Umwelt. Nachdem sie sich viele Jahre lang um ihre Familie gekümmert hat, ist sie zu einer exzentrischen Frau geworden, der die Meinung anderer egal ist. Sie macht ihr eigenes Ding. Ein Streit mit dem Nachbarn um eine Himbeerhecke eskalierte schließlich so sehr, dass Bernadette eine Weile verschwand. Sie begann ein großes Abenteuer, um ihre alte kreative Leidenschaft wieder zu entfachen.2

Schon in jungen Jahren ahnte Bernadette, dass sie einst die Protagonistin eines Buches werde. Daher verärgerte es sie immens, dass ihre Eltern die jüngste Tochter Bettina nennen wollten. „Bernadette und Bettina – wie sollen die Leser die beiden Figuren unterscheiden können? Nennt sie doch Jacqueline oder Carla, ich flehe euch an!“ Die Eltern zeigten sich uneinsichtig. Schließlich verstummte Bernadette. Sie hatte einen Plan.

Bettina K.

Luise K. hat einen schrecklichen Schicksalsschlag erlitten. Sie hat an einem Tag zwei ihrer drei Kinder verloren: ihre kleine Tochter Bettina, die erstochen wurde. Von ihrer Tochter Bernadette. Als Grund nannte Bernadette eine „namensbedingt abgrundtiefe Abneigung“ gegen ihre Schwester. Wie geht die Mutter damit um, wie kann sie mit dem Grauen leben?

Tapfer berichtet Luise, was sich abgespielt hat. Wie sie ahnungslos nach Hause kam. Ihr kleines Mädchen in seinem Bett fand, zugedeckt. Sie wollte nach ihm sehen, wunderte sich, dass es nicht reagierte. „Ich sah überall rote Farbe. Zuerst dachte ich, es sei wirk lich nur Farbe gewesen, bis ich dann bemerkte, dass es Blut war.“

Sie zeigt die Wand, an der Bernadette ihre fürchterliche Botschaft hinterlassen hat – geschrieben mit dem Blut der kleinen Schwester: „Ich habe das gemacht, weil ich sie hasse, weil sie mir die Hauptrolle in meinem Buch wegnehmen will.“ Ein Schock für Luise, der nachwirkt, als sei es erst gestern passiert. Sie weine viel, sagt sie. „Ich werde mich in meinem ganzen Leben nicht mehr davon erholen.“

Jeden Tag frage sie sich: „Warum?“ Eine Antwort hat sie auf diese Frage nicht, vermutlich gibt es auch keine. „Bernadette war das älteste Kind. Mit der Zeit fühlte sie sich von mir vernachlässigt, aber sie hatte all das bekommen, was sie wollte, außer der Namensänderung für ihre jüngste Schwester. Ich weiß bis heute nicht, warum sie das Ganze getan hat“, sagt sie leise. „Ich weiß nur, das Bernadette viel geweint hat und sie in der Schule gemobbt wurde.“

Eine Erklärung für die Bluttat sieht sie darin nicht. „Ich kann nicht verstehen, dass sie so etwas tun konnte und dass sie so neidisch auf ihre jüngste Schwester Bettina ist. Ich habe ihr niemals Gewalt oder Aggressivität beigebracht.“ Bettina habe ihre Schwester zwar oft genervt. Aber: „Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sie klein ist und Zeit braucht. Ich wusste nicht, dass sie ihr gegenüber so viel Hass entwickelt hat.“

Sie habe zu allen Töchtern eine ganz normale Beziehung gehabt. Mit ganz alltäglichen Problemen, die alle Eltern kennen: „Bernadette war oft stur. Sie wollte nie ihr Zimmer aufräumen, war oft schlecht gelaunt.“ Dennoch habe es nie größere Probleme gegeben. Bis zu jenem Tag, der ihr Leben für immer veränderte.

Seit dem Tattag hat sie Bernadette nicht mehr gesehen. Sie haben sich nur Briefe geschrieben. In zwei Wochen hat sie einen Besuchstermin in der Anstalt, in der ihre Tochter einsitzt. „Ich warte jetzt auf das Treffen mit meiner Tochter. Ich habe Angst, wie das alles wird. Ich würde ihr gerne zur Seite stehen und sie umarmen.“ Denn eines hat die Tat nicht töten können: Luises Mutterliebe.3

Erster Tag in der JVA

Bernadette beschrieb ihren Eintritt in die JVA in einem Brief an ihre Mutter:

Acht Uhr morgens. Haftantritt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hückeswagen. Ich stehe vor dem großen grauen Stahltor. Die Tür rechts daneben ist klein, unbedeutend und leicht zu übersehen. Sie öffnet sich, ich trete ein.

Das Frauengefängnis sticht einem nicht sofort ins Auge. Es ist ein wenig versetzt hinter dem Amtsgericht zu finden. Die Haftanstalt in Hückeswagen feierte in diesem Sommer ihr hundertjähriges Bestehen. Sie wurde seit jeher als Gefängnis genutzt. Früher für Hexen, heute für Frauen mit Freiheitsstrafen bis zu sechs Jahren sowie Untersuchungshaft.

Martina Meiers, eine zierliche Frau mit akkurat geschnittenem schwarzen Bob, nimmt mich am Eingang in Empfang. Sie ist seit fünfunddreißig Jahren für die Aufnahme jeder Insassin verantwortlich. Im Untergeschoss drückt sie mir einen sogenannten Zugangskorb in die Hand. Darin befinden sich Bettwäsche, Plastikgeschirr, Handtücher sowie Waschzeug. Danach bekomme ich Gefängnis-Kleidung ausgehändigt. Die Jeans mit Gummizug im Bund sind mir zu kurz, der Pulli ein wenig zu weit. Aber er hält warm. „Schuhgröße?“, fragt mich Meiers. Sie sucht Hausschuhe für mich heraus.

Offiziell ist die JVA für 28 Insassen ausgelegt. Aktuell sind 38 Frauen dort untergebracht. Zu viele also. Die Altersspanne liegt zwischen 15 und 63 Jahren. „Obwohl die Frauen einen Anspruch auf Einzelunterbringung haben, müssen wir sie in mindestens Zweierzellen unterbringen“, erläutert Elsbeth Löwenkranz, Leiterin der JVA Hückeswagen. Und das dauerhaft. Eine Überbelegung gehört für Löwenkranz und ihr Team zum Tagesgeschäft. Von der Kleiderkammer geht’s zur Sanitäterin: Franzi Meierling arbeitet seit dreißig Jahren im Vollzugsdienst, zehn davon in Hückeswagen. Sie stellt mich auf die Waage, misst meinen Blutdruck („hervorragend“) und geht mit mir die Fragen des Aufnahmebogens durch. „Fragen nach Drogen- und Medikamentenkonsum gehören hier dazu“, klärt sie mich auf. Ist sie bei einer neuen Insassin nicht sicher, ob diese bezüglich ihres Konsums ehrlich geantwortet hat, ist auch mal eine Urinkontrolle mit Screening fällig.

Viele Frauen, die in das Gefängnis kommen, kämpfen laut der Psychologin Lisa Herbert mit psychischen Problemen. Die Zahl diesbezüglicher Erkrankungen hätte gesellschaftsübergreifend in den vergangenen Jahren zugenommen – das merke man auch im Gefängnis: „Die psychische Verfassung einiger Insassen ist recht schwierig, und die Mitarbeiterinnen im Vollzugsdienst sind für solche Fälle nicht geschult. Das überfordert.“ Aus den Gesprächen weiß sie, dass die Frauen dramatische Dinge erlebt haben, die sie haben straffällig werden lassen.

Ich glaube nicht, dass Lisa Herbert meine Beweggründe verstehen wird.

Auf dem Weg in die Zelle treffe ich auf Melanie P. Die junge Frau kommt mit geröteten Wangen vom Arbeitseinsatz im Garten. Sie sitzt gerade in Hückeswagen ihre viermonatige Reststrafe ab. „Meine Bewährung wurde widerrufen“, sagt die Einunddreißigjährige schuldbewusst. Melanie hat eine bewegte Vergangenheit mit Drogen und einjähriger Haft wegen Diebstahls hinter sich. „Ich habe meine Bewährungsauflagen verletzt.“ Denn Melanie P. meldete sich weder bei ihrer Bewährungshelferin noch besuchte sie wie vereinbart die Drogenberatung. Na ja, so blöde werde ich nicht sein.

Arbeiten gehört für uns Gefängnis-Insassinnen zum Alltag. „Nur so kommen Sie aus der Zelle“, sagt Elsbeth Löwenkranz. „Sie werden hier Auftragsarbeiten großer Firmen erledigen“, erläutert sie mir. Aktuell werden Mappen gefaltet und Schnellhefter zusammengebaut. Der werktägliche Arbeitseinsatz geht von 7 bis 12.15 Uhr und von 12.45 bis 14.15 Uhr. Das hatte ich mir straffer vorgestellt.

Alles ist eng. Sanna Zügli, Auszubildende zur Vollzugsbeamtin im ersten Jahr, nimmt mich auf dem Stockwerk in Empfang. Links und rechts des Gangs sind Zellen – eine für vier Häftlinge, zwei in Einzel- und viele in Doppel- und Dreifachbelegung. Die Türen der Zellen sind recht niedrig und schmal. Zügli schließt eine Tür auf – mit jedem Klicken des Schlüssels intensivieren sich meine Gänsehaut und der Unwillen einzutreten. Die Zelle ist klein. Schmal. Durch den verengten Zugang wirkt sie jedoch noch kleiner und enger. Ich trete ein.

Mein Magen zieht sich zusammen, während Zügli die Tür hinter mir schließt. Der Schlüssel dreht sich. Abgeschlossen. Eingeschlossen. Beklemmung macht sich breit. Ich versuche, sie herunterzuschlucken. Setze mich hin. Mit wenigen Schritten – vier in der Länge und zwei in der Breite – vermesse ich mein neues Zuhause. Das beklemmende Gefühl in meinem Bauch breitet sich aus.

Dann höre ich etwas. Ganz leise. Stimmen. Draußen. Worüber sie reden? Ich weiß es nicht. Aber ich merke, wie die Anspannung ein wenig nachlässt. Nur kurz. Dann hat sie mich wieder eingefangen. Jetzt komme ich mir noch einsamer vor. Die Zeit dehnt sich wie in Zeitlupe. Wie lange ich schon in der Zelle drin bin? Das ist schwer einzuschätzen.

Irgendwann drücke ich den roten Knopf. Es dauert. Nach einer Weile fragt mich eine gesichtslose Stimme: „Ja bitte?“ Ich möchte rausgelassen werden. Die Stimme antwortet mit einem Lachen. „Das geht nicht so einfach.“ Später geht die Tür auf, meine Zellennachbarin tritt ein. „Ich bin Elke“, sagt sie und danach spricht sie kaum noch ein Wort.4

Produktion

Briefblockmappe rot – Lehrstück

Dezent und stilsicher: Die Briefblockmappe aus hochwertigem Wollfilz bietet Platz für Blöcke, Unterlagen und Notizen im DIN-A4-Format. Die Mappe besteht aus 100 % mittelfeiner Schafswolle. Das im Schaffell enthaltene Lanolin wird bei der Verarbeitung erhalten, was dem Wollfilz pflegeleichte, selbstreinigende und schmutzabweisende Eigenschaften verleiht.

Pflegehinweis: Wollfilz ist von Natur aus wasserabweisend und verhindert, dass sich Flüssigkeiten dauerhaft festsetzen. Leichte Verschmutzungen können mit Seifenlauge leicht entfernt werden. Die Briefblockmappe keinesfalls in der Maschine waschen, sondern bei Bedarf chemisch reinigen lassen.

Hinweis: Die Gefangenen wurden eingelernt, um diese Briefblockmappen nähen zu können. So kann man die erste Produktion der Mappen als sogenannte Lehrstücke bezeichnen und wegen minimaler Normabweichungen zu einem niedrigeren Preis erwerben.5

Fortgeschrittene Gefangene der JVA Hückeswagen produzieren aus den ausgedienten Bannern und Flaggen vom Tag der Deutschen Einheit: Schultertaschen, Stiftemäppchen und Schreibtischunterlagen. Die nordwestfälische Justizministerin Beatrice Kubenko-Liewertiz stellte die Kollektion Vereint in Vielfalt aus Hückeswagen heute vor.

„Die Staatskanzlei wollte die Planen vom Tag der Deutschen Einheit nicht einfach wegwerfen und kam auf die Idee, sie der Schneiderei der JVA für Frauen zur Verfügung zu stellen. Die inhaftierten Frauen haben daraus mit Hilfe der hier tätigen Schneiderinnen und dem Design von Bernadette K. eine großartige Kollektion entwickelt. Schick, praktisch und nachhaltig. Ich bin restlos begeistert“, so die Justizministerin.

„Bei der Entwicklung haben wir von Anfang an Wert darauf gelegt, die Frauen in der Schneiderei mit ihren kreativen und handwerklichen Fähigkeiten einzubeziehen. Es wurde viel ausprobiert, zugeschnitten, genäht, verworfen und weiterentwickelt – bis wir schließlich zufrieden waren. Das Projekt hat uns allen, den Inhaftierten und den Bediensteten, riesig Spaß gemacht“, erzählt Peter Hugendubel, stellvertretender Anstaltsleiter.6

Bernadette legt die Zeitung zur Seite. „Unglaublich, wie die lügen.“ Elke nickt: „Wo ich da Spaß gehabt hätte, wüsste ich gern. Aber nun zurück zu unserem Plan.“

Gefängnisaufstand in Hückeswagen

In Hückeswagen im Bergischen Land sind bei einem Gefängnisaufstand mindestens fünfzehn Menschen getötet worden. Das Frauengefängnis ist nicht zum ersten Mal Schauplatz von Gewalt.

Bei dem Gefängnisaufstand sind neben den mindestens fünfzehn getöteten Häftlingen einundzwanzig weitere Frauen verletzt worden. Die Gewalt brach nach Behördenangaben am Montag aus. Das Gefängnis ist mit rund achtunddreißig Insassinnen eine der kleinsten Strafanstalten von Nordrhein-Westfalen und war seit Anfang 2021 mit sieben Massakern immer wieder Schauplatz von Gewalt.

Laut der Gefängnisbehörde würden taktische Einheiten der Polizei und Armee ihren Einsatz fortsetzen, um die Kontrolle über die Strafanstalt wiederzuerlangen. Zuvor hatte die Behörde mitgeteilt, Rettungskräfte hätten fünf verletzte Frauen versorgt und eine weitere in ein Krankenhaus gebracht. Angaben zu den Verletzungen machte die Behörde nicht.

In dem chronisch überfüllten Frauengefängnis kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen. Seit Anfang 2021 wurden bei solchen Kämpfen fast vierzig Häftlinge getötet.7

Im Zuge des letzten Aufstands konnten zwei Frauen fliehen: Bernadette K. und Elke M., die wegen brutaler Morde verurteilt wurde, haben auf bislang ungeklärte Weise während eines Aufstands ihre Zellen verlassen, zwei Wärterinnen überwältigt, sich an Bettlaken abgeseilt und verschwanden spurlos.8

Untertauchen