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Saburo hat sich nicht an den Straftaten seines Bruders Hongo beteiligt, ist aber wegen einiger Prügeleien zu Sozialdienst verurteilt worden. Das gefällt ihm anfangs gar nicht, doch er merkt schnell, dass es schlimmer hätte kommen können.
Sein einziger Klient ist Yuki, der kaum älter ist als er und aus einer ganz anderen Welt kommt.
Saburo wächst Yuki schnell ans Herz und er will den Kleinen bald nicht mehr in seinem Leben missen. Doch empfindet Saburo ebenso?
Teil 9 der Forever-Reihe
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Saburo, Hongos kleiner Bruder, ist ein Hitzkopf, der seine Probleme am liebsten mit den Fäusten löst, sich letztendlich dadurch aber nur noch mehr Probleme damit macht. Nachdem Hongo wegen seiner Verbrechen im Gefängnis landet, muss auch Saburo für einige Prügeleien Verantwortung übernehmen, auch wenn er sich nie wirklich an Hongos Verbrechen beteiligt hatte. Letztendlich muss Saburo Sozialdienst leisten und kümmert sich um Yuki, der ihm bald eine ganz andere Welt zeigt. Schnell stellen die beiden fest, dass sie einander brauchen, doch dann merkt Yuki, dass seine Gefühle für Saburo über Freundschaft hinausgehen. Kann Saburo diese akzeptieren oder werden sich ihre Wege trennen?
Wichtige Hinweise
Dieses Buch enthält homoerotiche Szenen und ist nicht für Leser unter 18 Jahren bzw. homophobe Menschen geeignet.
Sämtliche Personen sind frei erfunden und eventuelle Ähnlichkeiten mit richtigen Menschen somit reiner Zufall.
Saburo kickte eine Dose vor sich her und seufzte unwillig auf. Der Tag hätte echt besser laufen können, auch wenn er doch noch mit dem blauen Auge davongekommen war. Sozialstunden sollte er leisten. Richtig sauer war er eigentlich nur auf seinen Bruder. Warum war Hongo so ein verkorkster Kerl? Warum konnte er seinen Frust nicht einfach an einem Boxsack oder so auslassen anstatt an seinem Lover? Was wollte er überhaupt von dem Kerlchen? So verliebt war Hongo ja nicht gewesen, sonst hätte er ihn nicht an seine Freunde verkauft.
Saburo war ab und zu auch bei diesen Abenden anwesend gewesen, hatte sich aber an diesen „Aktivitäten“ nicht beteiligt. Und bloß, weil er dort gewesen war und nichts gegen seinen Bruder und dessen Freunde unternommen hatte, hatte er vor Gericht erscheinen müssen. Zumindest hatte Hongo einen Freund gehabt, dessen Hirn nicht größer als eine Erbse war. Der hatte frei heraus alles zugegeben und wenig Reue gezeigt. Außerdem hatte er betont, dass die „Memme“ Saburo sich geweigert hatte mitzumachen.
Ohne die Prügelei, an der er sich beteiligt hatte, wäre er vermutlich straffrei ausgegangen. So musste er aber nächste Woche seinen Dienst antreten.
„Ah, vergiss den Scheiß!“, gab er von sich. Dass die Passanten neben ihm ihn mit schiefen Blicken ansahen, interessierte ihn nicht. Stattdessen dachte er darüber nach, wo er hingehen sollte. In seine Stammbars wollte er nicht gehen. Hongo hatte noch mehr Freunde. Nicht jeder war bei diesen Partys anwesend gewesen und hatte sich irgendwie strafbar gemacht. Andere wiederum waren mit Bewährung oder wie er mit Sozialstunden davongekommen. Er betrat das Vergnügungsviertel und blickte sich um. Irgendwohin, wo er ungestört trinken konnte.
Er blickte sich um, musterte die Neonschilder und entdeckte schließlich eine unscheinbare Fassade. Forever. Saburo betrat die Bar, in der Hoffnung, dass sie so gut wie leer sein würde, wurde allerdings sofort enttäuscht. Jeder Tisch war besetzt. Kurz überlegte er, ob er wieder gehen und sein Glück in einer anderen Bar versuchen sollte, doch er mochte die Atmosphäre hier und als er sah, dass ein Hocker frei wurde, beschloss er, dass er bleiben würde. Er setzte sich auf den freigewordenen Hocker, machte den Barkeeper auf sich aufmerksam und bestellte einen Drink.
Sein Getränk wurde sofort serviert. Er ließ sich auf keine Unterhaltung ein. Weder mit dem Barkeeper, noch mit seinem angetrunkenen Sitznachbarn.
Saburo verbrachte seinen Abend schweigend, während er trank und die anderen Gäste beobachtete. Plötzlich erregten bekannte Züge seine Aufmerksamkeit. Er sah auf, lugte an den Gästen vorbei und musterte den Mann, den er entdeckt hatte. Im selben Moment sah Seiji auf und ihre Blicke trafen sich. Saburo kam es eine halbe Ewigkeit vor, aber es war in Wirklichkeit wohl nur der Bruchteil einer Sekunde. Seiji wandte sich ab und andere Gäste versperrten die Sicht. Saburo wandte sich wieder seinem Drink zu. Hatte er sich auch nicht vertan? Nein, ganz bestimmt nicht. Aber ob Seiji ihn erkannt hatte? Sie hatten nie viel miteinander zu tun gehabt und er bezweifelte, dass der Ex-Lover seines Bruders ihn je richtig angesehen hatte. Und selbst wenn, dann war er jetzt wohl gegangen.
Saburo hatte diesen kuren Moment schon wieder vergessen und beschäftigte sich stattdessen mit den Alkoholflaschen auf den Regalen und der Frage, welchen Drink er als nächstes bestellen sollte. Doch da tippte ihm jemand auf die Schulter und musterte den Mann, der auf ihn herabblickte. Die eigentlich freundlichen, grünen Augen wirkten finster. Saburo verspannte sich instinktiv, überlegte, was er angestellt hatte, war sich aber schnell sicher, dass er diesen Mann nie gesehen hatte. Der Fremde wirkte, als wolle er ihn jeden Moment verprügeln. Normalerweise war Saburo nicht zimperlich, aber er hatte gerade seine erste Gerichtsverhandlung hinter sich gebracht und sollte vorerst Ärger vermeiden, wenn er nicht auch mal Gefängnisluft schnuppern wollte.
„Tadashi, nicht!“, erklang eine kleinlaute Stimme. Seiji tauchte neben seinem Freund auf und hielt ihn am Arm zurück.
„Glaubst du, ich kann ihn unbehelligt abziehen lassen?“, erwiderte Tadashi. Saburo hatte nun Klarheit darüber, dass Seiji ihn erkannt hatte. Außerdem war der Fremde mit ziemlicher Sicherheit sein neuer Lover. Er erinnerte sich, dass Hongo sich mal über einen alten Freund von Seiji ausgelassen hatte.
„Er hat nichts getan. Nicht viel jedenfalls.“, erwiderte Seiji kleinlaut.
„Das ist genauso schlimm. Er hätte helfen sollen.“, entgegnete Tadashi, war aber etwas ruhiger, als er Seijis flehenden Blick sah.
Saburo beobachtete die beiden. Er fühlte sich unwohl. Wenn er Seiji jetzt so sah, kam in ihm doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen hoch.
„Sorry, Mann! Ich…“, brach Saburo sein Schweigen.
„Ist das alles? Mehr hast du nicht zu sagen? Und dann noch nicht mal richtig!“, fuhr Tadashi ihn an. Seiji hielt ihn zurück, versuchte ihn zu beschwichtigen und meinte, dass Saburo immer so sprechen würde. Nach einer Weile hatte er seinen Freund wieder beruhigt.
„Wenn du nicht so bist wie dieser Kerl, warum hängst du dann mit so einem Typen ab?“, meinte Tadashi unwillig zu Saburo. Dieser seufzte leise und lehnte sich an die Theke.
„Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Hongo ist mein großer Bruder. Früher war er mehr ein Vorbild, aber, naja, das ist auch schon einige Zeit her.“, gab Saburo von sich.
„Zum Glück hat der Mistkerl endlich verdient, was er bekommen hat.“, entgegnete Tadashi. Saburo spürte es in sich kochen. Er fand es selbst nicht richtig, wie sich sein Bruder verhalten hatte, aber er wollte ihn doch verteidigen.
„Klappe! Das ist doch nur deine Schuld. Hättest du dich gewehrt oder wärst gegangen, als dir die Beziehung nicht gereicht hat, wäre alles super gewesen!“, sagte er in herablassendem Ton zu Seiji gewandt, der erschrocken zurückwich, als er jetzt selbst attackiert wurde, während er doch nur versucht hatte zu schlichten. Die Worte trafen ihn tief, denn der Teil in seinem Inneren, der früher diesen Anschuldigungen immer zugestimmt hatte, war noch nicht verschwunden. Für Tadashi war das jedoch schlimmer, als wenn er selbst angegriffen worden wäre.
„Du entschuldigst dich jetzt gefälligst aufrichtig bei Seiji, sonst-“, begann er, doch seine Drohung wurde harsch abgeschnitten.
„Hey! Prügeln könnt ihr euch gefälligst draußen, aber nicht in meiner Bar!“, erklang die Stimme des Barbesitzers. Seiji sah seinen Chef erleichtert an. Dieser wandte sich an Saburo und musterte ihn knapp.
„Gäste, die meinen Angestellten Ärger verursachen, werden rausgeworfen und bekommen Hausverbot erteilt.“, erklärte er mit kühler Stimme. Saburo fand den Mann vor sich nicht gerade bedrohlich, aber etwas in dessen Blick ließ ihn erschauern. Takai wandte sich an Tadashi.
„Auch wenn du nicht irgendjemand bist, zählst du in meinen Augen nur als Gast. Wenn Seiji sich von ihm belästigt fühlt, werfen wir ihn raus. Andere Gäste haben sich da nicht einzumischen.“, wies er ihn zurecht. Tadashi ließ die Schultern sinken.
„Ich weiß, aber… bei Hongo und seinen Freunden kann ich nicht einfach nur zugucken.“, entgegnete er. Takai schien mit dieser Antwort nicht zufrieden. Seiji zog seinen Freund leicht am Arm.
„Mach Takai nicht wütend. Und Saburo hat mir nichts getan. Ehrlich.“, sagte er leise. Tadashis Wut schien verraucht. Normalerweise war er ausgeglichener. Nur wenn es um Seijis Wohl ging, konnten schon mal die Pferde mit ihm durchgehen.
„Schon gut.“, sagte er, warf Saburo noch einen finsteren Blick zu und verschwand dann mit Seiji in die hinteren Räume. Saburo sah ihm kurz nach, bemerkte aber dann, dass der Barbesitzer noch bei ihm stand und ihn abwartend betrachtete. Er hätte ihm versichern können, dass er nichts anstellen würde, aber nach der Szene wollte er nur mehr weg. Er zog seine Geldtasche aus der Hose, legte genügend Geld für seine Drinks auf den Tresen und rutschte vom Hocker, während er immer wieder zu Takai sah, der sich nicht gerührt hatte. Er wollte noch einen bissigen Kommentar ablassen, als er aber den Mund öffnete, hob Takai leicht die Augenbrauen, als erwartete er einen Grund, dass er ihn noch rauswerfen konnte. Saburo wusste nicht, was es war, aber sein Verstand sagte ihm, er solle schnell gehen, ohne den Kerl noch unnötig zu verärgern. Deshalb murmelte er nur einen kurzen Abschied und verließ fast fluchtartig die Bar.
Saburo folgte dem Mitarbeiter der mobilen Pflegeeinrichtung. Er hatte sich heute Morgen eine halbe Stunde zu spät im Büro eingefunden und hatte erst einen Vortrag über Pünktlichkeit über sich ergehen lassen müssen, ehe er eine Art Bewerbungsgespräch gehabt hatte, bei dem der Verantwortliche eine passende Arbeit für ihn ausgesucht hatte. Nach allem Organisatorischen war er einem Mitarbeiter vorgestellt worden, der ihn zu seinem Arbeitsplatz bringen sollte und ihn auch kontrollieren würde. Sie waren in ein Viertel mit vielen Appartementhäusern gekommen. Saburo sah sich aufmerksam um. Er wusste nichts über seinen Klienten. Er wusste auch nicht viel über die Einrichtung. Nur, dass sie vor allem ältere Leute betreuten, die gewisse Dinge nicht mehr selbst tun konnten. Saburo erwartete also einen alten Mann, dem er jeden kleinen Handgriff abnehmen musste. Keine Aufgabe, auf die er sich freute. Dennoch begleitete er ohne zu murren den anderen Mann, folgte ihm in das Gebäude und bestieg den Fahrstuhl. Es ging in den vierten Stock, wo sie ausstiegen und endlich vor einer Tür stehen blieben. Der Mitarbeiter drückte den Klingelknopf.
„Herr Ongaku, wir sind vom Pflegedienst Bisho. Ich bringe ihren neuen Betreuer.“, rief er, während er aus der Tasche einen Schlüssel zog und die Tür öffnete. Saburo folgte ihm ins Innere. Sie kamen durch einen kurzen Flur, der direkt in ein Wohnzimmer führte. Die Einrichtung war modern und stilvoll. In einer Ecke entdeckte Saburo ein Klavier stehen. Der ganze Raum war jedenfalls anders, als er erwartet hatte. Keine Wohnung, die zu einem alten Knacker passte. Tatsächlich erwartete sie auch kein Senior, sondern ein junger Mann, der vielleicht ein paar Jahre älter als Saburo war.
Der Bewohner saß auf der Couch, hatte eine Tasse Tee in der Hand und sah sie nicht an.
„Herr Ongaku, das ist Herr Nise. Er wird in Zukunft ihre Betreuung übernehmen.“, sprach der Mitarbeiter. Der Mann nickte.
„Vielen Dank! Ich denke, den Rest übernehme ich selbst.“, erwiderte Herr Ongaku ruhig. Der Mitarbeiter drückte Saburo den Schlüssel in die Hand und verabschiedete sich. Dann ließ er die beiden alleine. Saburo sah ihm kurz nach, wandte sich aber dann an den Bewohner, der ihn immer noch nicht angesehen hatte. Saburo konnte ihn nicht leiden. Wie eingebildet war dieser Kerl eigentlich? Dabei wusste er doch nicht, dass Saburo gezwungenermaßen hier war. Das hatte ihm sein Vorgesetzter versprochen.
„Herr Nise, wie wäre es, wenn wir uns duzen? Das ‚Sie‘ ist mir doch zu unpersönlich.“, sprach der Sitzende ihn zum ersten Mal an. Saburo zögerte, dachte darüber nach, fand aber schließlich, dass es ihm ebenso lieber war.
„Saburo.“, stellte er sich deshalb knapp mit Vornamen vor.
„Freut mich dich kennenzulernen. Ich heiße Yuki. Willst du dich nicht setzen? Im Stehen redet es sich doch schlecht.“, erwiderte daraufhin der Bewohner. Saburo zögerte noch einen Moment, dann setzte er sich auf den Couchsessel und musterte sein Gegenüber. Yuki sah ihm noch immer nicht in die Augen. Stattdessen griff er nach der Teekanne, die vor ihm stand, goss etwas davon in eine Tasse und schob diese dann ungefragt vor Saburo hin.
„Also, wir sollten erstmal deine Aufgaben und Regeln besprechen. Wichtig ist vor allem, dass du eins beachtest: Alles gehört wieder an seinen Platz.“, sprach Yuki mit seiner sanften, melodischen Stimme. Saburo fand sein Gegenüber immer unsympathischer. Und er verstand immer weniger, was er hier sollte.
„Ja, ja, ich bin weder ein Bediensteter, noch deine Putzfrau. Schaff dir einen Butler an, wenn du dich bedienen lassen willst, aber keinen Pflegedienst.“, platzte es aus ihm heraus. Im Moment war es ihm egal, wenn der Kerl sich bei seinem Vorgesetzten beschwerte.
Yuki reagierte aber völlig anders als erwartet. Anstatt sich aufzuregen fing er an zu kichern.
„Ich schätze, das sollte ich wohl als Kompliment nehmen.“, meinte er. Saburo verstand ihn noch weniger. Und er fand es wirklich unhöflich, dass er ihn nicht ansah.
„Ich habe den Pflegedienst nicht engagiert, weil ich einen Bediensteten haben will, sondern weil ich jemanden brauche, der mir bei den Dingen hilft, die ich nicht selbst bewältigen kann. Deinem Verhalten nach zu urteilen ist es dir nicht aufgefallen, aber ich bin blind. Ich habe bei einem Unfall vor Jahren mein Augenlicht verloren.“, klärte Yuki ihn auf. Saburo fühlte mit einem Mal einen Kloß in seinem Hals. Warum war ihm das nicht aufgefallen? Er hatte doch gemerkt, dass Yukis Bewegungen etwas Eigenartiges an sich hatten. Er beugte sich etwas vor und wedelte mit einer Hand vor dem Gesichtsfeld des Blinden herum, der scheinbar mit leeren Augen auf sein T-Shirt starrte.
„Bist du jetzt überzeugt? Nur, um das klar zu stellen, ich strebe ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben an. Ich kenne in dieser Wohnung jeden Winkel genau und solange du nichts ohne mein Wissen umräumst, kann ich mich hier frei bewegen und alles selbst machen.“, fuhr Yuki fort und schmunzelte leicht. Saburo ließ die Hand peinlich berührt wieder sinken.
„Und was ist dann meine Aufgabe hier?“, fragte er, während er versuchte, seine Beschämung möglichst zu verbergen.
„Du musst dich um meine Post kümmern und mir die Zeitung vorlesen. Außerdem musst du mich ins Krankenhaus begleiten und einmal die Woche mit mir einkaufen gehen.“, erklärte Yuki.
„Einkaufen kann ich doch auch allein.“, murmelte Saburo, als er sich vorstellte, wie er den blinden Yuki durch den Supermarkt führen würde. Auf dessen Lippen erschien ein leicht trauriges Lächeln.
„Das schon, allerdings komm ich nur sehr selten raus. Auch ein Blinder braucht mal eine Luftveränderung.“, erwiderte er. Saburo ließ seinen Blick durch die Wohnung schweifen. Es war alles ordentlich aufgeräumt. Allerdings fiel ihm bald auf, dass es keinerlei Fotos gab. Andererseits konnte ein Blinder damit wohl auch nicht viel anfallen. Dennoch fühlte Saburo sich hier unbehaglich. Er wollte hier weg und nie wieder herkommen. Auch, wenn die Situation eigentlich besser war, als er sie sich vorgestellt hatte. Er hatte schon befürchtet, er müsste bei einem inkontinenten, alten Kerl aushelfen, der ihn ständig anschrie, weil er selbst schon fast taub war, und jeder zweite Satz irgendeine abfällige Bemerkung über die „Jugend von heute“ enthielt.
Aber Yuki war das komplette Gegenteil davon. Sein Name passte gut zu ihm, denn seine Haut hatte einen hellen Teint wie Schnee. Sein Gesicht hatte feine Züge. Das schwarze Haar wirkte wie glatte Seide und die silbergrauen Augen wirkten ausdrucksstark, obwohl sie nutzlos waren. Saburo musterte die langgliedrigen, schlanken Finger, die die Teetasse hielten. Yukis Bewegungen waren elegant. Überhaupt besaß er eine Ausstrahlung, die Saburo deutlich zeigte, dass der Ältere in einer anderen Welt als er aufgewachsen war.
„Saburo, erzähl mir doch etwas über dich!“, forderte Yuki plötzlich und riss so sein Gegenüber aus seinen Gedanken.
„Äh, über mich? Ähm, da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich hatte ein normales Leben.“, antwortete der Angesprochene ausweichend und sah sich um, ob er etwas entdeckte, mit dem er ein Gesprächsthema anfangen konnte. Da entdeckte er den schwarzen Flügel, der in der Ecke stand.
„Du spielst Klavier?... Oh, Entschuldigung.“, fragte Saburo, nur um sofort wieder zu murmeln. Yuki kicherte leise.
„Es gibt keinen Grund für eine Entschuldigung. Ich bin vielleicht blind, habe aber auch normale Hobbys. Schon vor meiner Erblindung habe ich Klavierspielen gelernt. Ich kann zwar keine Noten mehr lesen, aber immer noch spielen. Ein neues Stück muss mir allerdings jemand erst vorspielen, um es zu lernen.“, erzählte er und stellte die Tasse auf die Untertasse. Dann erhob er sich und ging sicheren Schrittes auf das Klavier zu. Mit einer Hand auf dem schwarzen Deckel umrundete er es, setzte sich auf die Bank und legte seine Finger auf die Tasten. Saburo hatte eigentlich wenig Lust darauf, jetzt irgendwelche Musik zu hören. Zumal er sich sicher war, dass ihr Geschmack nicht zusammenpasste. Aber er verbiss sich jeden Kommentar, der ihm auf der Zunge lag und seine nicht ganz so gute Erziehung verraten würde, da er nicht wollte, dass Yuki ihn wieder ausfragte. Er wollte einfach nur seine Stunden hinter sich bringen und dann abhauen. Danach konnte der Ältere ruhig die ganze Wahrheit erfahren. Yuki schloss die Augen und schlug die ersten Tasten an. Geübt und ohne einen einzigen Fehler spielte er eine schöne, aber auch traurige Melodie. Sofort vergaß Saburo seine Einwände und lauschte nur mehr aufmerksam den Tönen. Es war nicht diese pompöse klassische Musik, die er früher gehört und vor der er regelrecht geflüchtet war. Die Melodie schien eine Geschichte zu erzählen. Saburo schloss die Augen. In seinem Geiste tauchten Bilder auf. Plätze, die er früher gerne besucht hatte, Orte, die er nur von Bildern oder aus dem Fernsehen kannte. Er verlor sich ganz in einer anderen Welt und brauchte eine Weile, ehe er merkte, dass Yuki bereits geendet hatte und den Deckel sanft und geräuschlos geschlossen hatte.
„Und? Wie fandst du es?“, fragte Yuki. Saburo merkte, dass auch seine Stimme einen melodischen Klang hatte, den man nur schwer hassen konnte. Sie war sanft und ruhig, schien, als ob der Besitzer noch nie in seinem Leben geschrien hatte oder es überhaupt konnte.
Nach einem Moment merkte Saburo, dass er etwas gefragt worden war. Er hatte ganz stillgesessen. Yuki hatte den Kopf etwas gedreht. Auf seiner Stirn hatten sich leichte Falten abgezeichnet. Er schien zu lauschen, ob sein Besucher überhaupt noch anwesend war. Saburo fiel auf, dass er es ziemlich schnell ausgenutzt hatte, dass der andere ihn nicht sehen konnte. Einen Augenblick lang kam ihm die Idee auf seine Reaktion zu warten, wenn Saburo seine Anwesenheit nicht bemerkbar machte, doch dann schallte er sich selbst für diesen kindischen Gedanken. Er räusperte sich hörbar und überlegte, wie er antworten sollte. Möglichst unverfänglich, denn er wollte nicht zugeben, dass es ihm gefallen hatte.
„Du spielst wirklich gut.“, sagte er deshalb. Das fand er als passende Antwort. So würden sie bestimmt nicht über ihren Musikgeschmack diskutieren.
Yuki lächelte leicht und bedankte sich für das Kompliment. Dann ging er auf seinen Platz zurück und setzte sich wieder. Saburo musterte den anderen. Lächelte dieser immer so viel oder mochte er seine Anwesenheit wirklich?
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er ein Piepsen hörte.
„Das ist die Uhr.“, erklärte Yuki ohne gefragt worden zu sein. Einen Moment lauschten sie, zählten die kurzen Sequenzen.
„Dein Vorgänger ist um diese Zeit immer gegangen. Ich glaube, er hatte oft eine Verabredung mit seiner Freundin.“, fügte der Blinde hinzu. Saburo fasste das als Erlaubnis auf zu gehen, stand auf, zögerte aber dann etwas.
„Ich schätze… also, wenn du mich heute nicht mehr brauchst, werde ich wohl auch… gehen. Ich habe sowieso noch was vor.“, sagte er langsam.
„Ich komme dann morgen wieder.“, fügte er schnell hinzu und eilte in Richtung Haustür.
„Du musst nicht so…“, rief Yuki ihm noch hinterher, doch schon war er aus der Wohnung draußen.
„… früh kommen.“, beendete Yuki murmelnd seinen Satz für sich und stieß einen tiefen Seufzer aus. Er ließ das Treffen Revue passieren. Er konnte seinen neuen Betreuer ganz gut leiden, auch wenn er kaum dazu in der Lage gewesen war, das Eis zu brechen. Yuki fasste sich ans Herz. Er war richtig nervös gewesen. Er war immer nervös, wenn er neue Leute kennenlernen sollte. Oder neue Orte. Saburo schien sich bei ihm noch nicht sonderlich wohl zu fühlen, doch das wollte Yuki ändern. Er wünschte sich nichts Sehnlicher als einen Freund. Vom Pflegedienst wusste er, dass Saburo gerade erst 21 Jahre alt war. Zwar war er sieben Jahre älter, aber er hatte ansonsten ohnehin nur Kontakt zu sehr viel älteren Personen, wenn überhaupt. Er musste nur etwas finden, das Saburo ebenso mochte wie er, dann würde das schon alles klappen.
Am nächsten Morgen hatte Saburo ohne Murren seinen Dienst angetreten. Er war sogar fast pünktlich erschienen. Yuki hatte ihm ein Frühstück angeboten und nach etwas Zögern hatte er angenommen, weil er kaum etwas gegessen hatte. Währenddessen hatte er seine erste Aufgabe erfüllt und hatte die Post geöffnet. Er hatte kein sonderlich gutes Gefühl dabei gehabt, fremde Briefe zu lesen, aber er hatte es schnell bekämpft und hatte ohne über den Inhalt nachzudenken alles vorgelesen. Das Meiste war Werbung gewesen, ein paar Rechnungen und eine kurze, eher neutral formulierte Postkarte von einem Ehepaar.
„Entfernte Verwandte, die sich verpflichtet sehen, im Urlaub jedem zu schreiben, der irgendwie mit ihnen zu tun hat. Auch wenn als Erklärung herauskommt, dass man der Neffe einer Großtante eines Cousins zweiten Grades ist.“, hatte Yuki erklärt. Saburo hatte das zwar komisch gefunden, aber nicht weiter nachgehakt.
Nach der Post war die Zeitung dran gewesen. Saburo hatte zuerst die Titel eines Artikels vorgelesen und den Rest erst, als Yuki mehr davon hören wollte. Anfangs hatte der Ältere immer wieder eine Diskussion angefangen, aber da Saburo sich einsilblig gezeigt hatte und immer nur zugestimmt hatte, ohne selbst etwas beizutragen, war jedes Gespräch schnell wieder versiegt. Nach der halben Zeitung war Yuki nur noch in Gedanken und überlegte, wie er sich mit dem jungen Mann anfreunden konnte. Saburo merkte zwar, dass der Ältere nicht mehr richtig aufpasste, aber er hörte trotzdem nicht mit der Tätigkeit auf. Stattdessen las er von sich aus ganze Artikel vor. Alles in der Hoffnung so etwas Zeit totzuschlagen. Aber schließlich war er an der letzten Seite angelangt.