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Ryoichi unterrichtet an der Uni über die Legenden der Götter und nimmt sich ein Jahr Auszeit, um in einem Dorf ein paar Nachforschungen anzustellen. Obwohl Okkultismus sein Fachgebiet ist, glaubt er nicht an die Existenz der übernatürlichen Wesen. Auch wenn der Kellner in dem Café, in das er sich verirrt, eine unglaubliche Faszination auf ihn ausübt. Nur, dass er nicht damit rechnet, dass das Interesse auch erwidert werden könnte.
Enbu, der einst ruhelos umherwandernde Donnergott, mag seine Arbeit im Café, doch er erträgt die Langeweile kaum. Deshalb ist der menschliche Gast eine willkommene Abwechslung, nichts ahnend, dass nicht der Zufall sie zusammengebracht hat.
Seine Vergangenheit holt ihn ein. Ob am Ende Glück auf ihn wartet? Oder lässt er eine Chance verstreichen?
Der 4. Teil der Insel der Götter
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Im vierten Teil kommt der Okkultismus-Wissenschaftler Ryoichi in das ruhige und abgelegene Dorf und landet im 'Café einer anderen Welt'. Der Forscher glaubt nicht an Götter, weshalb er auch keine Ahnung hat, wo er gelandet ist. Aber der freundliche Café-Besitzer Enbu fasziniert ihn und Ryoichi schwärmt ab dem ersten Moment für ihn, auch wenn er sich keinerlei Hoffnungen macht, dass dieser perfekte Gott sich für ihn interessieren könnte.
Enbu, der Gott des Donners, nimmt den Fremden gerne bei sich auf. Und erfüllt ihm seine kühnsten Träume. Ryoichi lernt bald, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Aber wie wird es nach seinem Jahr Auszeit weitergehen? Zurück in sein altes Leben oder doch im Café neu beginnen?
Wichtige Hinweise:
Dieses Buch enthält homoerotische Szenen und ist nicht für Leser unter 18 Jahren, sowie homophobe Menschen geeignet.
Alle Charaktere sind frei erfunden und eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind purer Zufall und keine Absicht.
Basis dieser Geschichte ist der japanische Shintoismus. Jedoch nur Inspiration, weshalb kein Vorwissen notwendig ist, um die Handlung zu verstehen.
Das ‚Café einer anderen Welt‘ befand sich im Zentrum eines kleinen Dorfes, das direkt am Meer lag. Es war von einem Bannzauber umgeben. Nur Götter oder Wesen, die etwas Göttlichkeit besaßen, konnten das Geschäft finden und besuchen. Die Kundschaft bestand überwiegend aus Göttern und Halbgöttern in Menschengestalt. Das Café wurde rund um die Uhr besucht und hielt alles bereit, was das Herz begehrte. Es war neben der Insel der Götter ein weiterer wichtiger Treffpunkt für die himmlischen Wesen. Hier konnten sie entspannen und mussten sich nicht verstecken.
Besitzer dieses Ortes war Enbu, der Gott des Handels und des Donners. Sein Leben zählte bereits über 1 000 Jahre, was man seinem Äußeren nicht ansehen konnte, steckte er immer noch im Körper eines Anfang-Dreißigjährigen. Als der Krieg zwischen Göttern und Dämonen noch in vollem Gange gewesen war, hatte Enbu eine hohe Position im göttlichen Heer inne. Als General kämpfte er in vorderster Front mit und war für seine Schwertkünste in weiten Teilen des Landes berühmt und berüchtigt gewesen. Auch heute noch konnte er das Schwert schwingen wie kein anderer. Vor 20 Jahren hatte er sein Talent ebenso unter Beweis gestellt. Als damals die Dämonen angegriffen hatten, hatte er viele dieser Schattenwesen ins Jenseits befördert und das mit einer Eleganz, die kaum ein zweiter besaß.
Doch der ehemalige große Krieger hatte auch vieles erlebt. Kaum jemandem war bekannt, warum er sich dazu entschlossen hatte, ein Café für Götter in diesem kleinen Dorf zu eröffnen. Der einstmals ruhelose Wanderer hatte sich in diesem verschlafenen Ort niedergelassen. Seit Jahrzehnten servierte er nun schon seinen Götterkollegen und dessen Nachkommen Kaffee und seine hausgemachten Spezialitäten, während die unterschiedlichsten und haarsträubendsten Gerüchte darüber in Umlauf waren, welche Gründe hinter diesem Lebenswandel steckten.
Trotz seiner eher niederen und einfachen Tätigkeit war er immer noch ein guter Ratgeber und die Ältesten nahmen seine Dienste mehr als einmal in Anspruch. Auch wenn sich immer mehr zeigte, dass er längst nicht mehr mit den Entscheidungsträgern seiner Art einer Meinung war.
Enbu griff nach der leeren Tasse und räumte sie ab. Er machte hinter dem Tresen etwas sauber, während sein Blick durch den Gästebereich wanderte und die anwesenden Kunden beobachtete. An einem Tisch saßen drei Halbgötter. Zwei aus dem Katzenclan und eines von zahlreichen Kindern eines Ratsmitgliedes. Sie ließen sich gerade über ein paar Menschen aus und über ihre Arroganz konnte der Café-Besitzer nur den Kopf schütteln. Diese Halbblutwesen zeigten selten den nötigen Respekt und schlugen schnell über die Strenge. Dabei besaßen sie eigentlich nicht mal das Recht, über die Menschen so herablassend zu sprechen. Die meisten hatten nämlich nicht die Fähigkeiten ihrer göttlichen Eltern geerbt und konnten somit auch nie in die Fußstapfen dieser treten. Zwar hatten sich die Götter weitestgehend zurückgezogen, doch ganz verschwunden waren sie noch nicht. Besonders in den letzten Jahren hatten sie wieder mehr Präsenz gezeigt, um den Dämonen Einhalt zu gebieten.
Enbu wandte sich ab und schob auch derlei Gedanken beiseite. Es würde wieder ein langweiliger Tag werden. Manchmal fragte er sich sogar selbst, warum er sich freiwillig dieses Betätigungsfeld ausgesucht hatte. Meistens waren Halbgötter seine Gäste, doch mit diesen verstand er sich nicht wirklich. Er konnte diese Wesen nicht leiden, die große Sprüche klopften, letztendlich aber kaum etwas konnten. Da war ihm sogar der weiße Fuchs noch lieber gewesen. Dieser hatte zwar ziemlich viel Unsinn im Kopf gehabt, aber seine Fähigkeiten hatten ihm auch das Recht dazu gegeben. Auch den Halbgott Arita, auf den Enbu eine Weile hatte achtgeben müssen, hatte er gut leiden können. Dieser hatte zu dem Zeitpunkt wohl auch bereits kapiert, wie groß sein Mangel eigentlich war, und hatte Einsicht gezeigt. Als Enbu auf ihn aufgepasst hatte, oder eigentlich ihn hatte überwachen sollen, war Arita schon ruhig und reif gewesen. Enbu hatte gewusst, dass diese geistige Reife vor allem an der unglücklichen Liebe zu einem Dämon gelegen hatte. Er wusste gar nicht, wie die Geschichte ausgegangen war. Der Vater des Halbgottes hatte ihn offiziell verstoßen, weshalb Arita nicht mehr zu ihrer Gemeinschaft zählte. Enbu hatte mitbekommen, dass der Älteste eine Menschenfrau mitgenommen hatte. Die Mutter seines Kindes. Mit dieser hatte er einen weiteren Nachkommen gezeugt und dem Verhalten des Ratsmitgliedes nach zu schließen, würde er diesmal bei der Erziehung einiges anders machen. Der Gott des Handels konnte sich schon denken, was passiert war.
Die Tür öffnete sich und ein großgewachsener Mann mit wildem braunen Haar trat herein.
„Guten Morgen, brauner Wolf!“, grüßte der Café-Besitzer den neuen Gast, welcher sich auf einen Hocker an der Bar niederließ.
„Guten Morgen, Donnergott!“, erwiderte dieser. Bis auf den braunen Wolf nannten ihn alle Enbu. Nur sein alter Freund hatte sich die Angewohnheit, sein Gegenüber nach seinem Clan zu benennen, nicht aufgegeben. Vermutlich weil der Gast sich Namen ohnehin nicht gut merken konnte und hinzu kam, dass die meisten Götter ihre Rufnamen alle paar Jahre änderten, wenn sie unter den Menschen lebten.
„Dasselbe wie immer?“, fragte Enbu mit seinem freundlichen Geschäftslächeln. Er blieb stets professionell. Auch bei denen, die er am liebsten sofort wieder vor die Tür setzen würde. Was nicht hieß, dass er es sich gefallen lassen würde, wenn ihm jemand auf der Nase herumtanzen wollte. Sein legendärer Ruf reichte allerdings aus, dass niemand es überhaupt wagte, ihn sauer zu machen. Niemand wollte den Zorn des Donnergottes auf sich ziehen.
„Ja, sehr gern.“, antwortete der Wolf. Enbu wandte sich sofort um, griff nach einer Tasse und machte sich an die Kaffeezubereitung. Außerdem bereitete er noch das Frühstück zu und stellte alles vor seinem jahrhundertealten Freund ab.
„Du bist heute später dran als sonst.“, stellte der Café-Besitzer fest. Der Wolf deutete mit dem Kopf in Richtung Halbgötter und hob vielsagend die Augenbrauen. Enbu verstand sofort. In den letzten Jahren war der braune Wolf überwiegend für die Ausbildung der Halbgötter zuständig gewesen. Ein jeder sollte sich notfalls gegen Dämonen verteidigen können. Aber je jünger die Halbblütigen, desto ungezügelter schienen sie. Enbu wollte nicht mit seinem Freund tauschen. Da war es ihm schon genug, wenn diese Wesen nach ihrem Training bei ihm aufschlugen und Radau machten.
„An manchen Tagen bin ich echt froh, keine Kinder zu haben. Ich würde mich nur schämen, würde sich mein eigenes Fleisch und Blut so aufführen.“, gab der Wolf von sich, während er sein Frühstück genoss. Die Halbgötter achteten nicht auf sie. Der Wolf hatte auch keine Sorge, dass sie Streit mit ihm anfangen könnten, auch wenn viele von ihnen heißblütig waren. Sie nutzten ihre Fähigkeiten ohnehin nicht. Die Katzen hätten ihn locker hören können.
„Ich verstehe, was du meinst.“, erklärte Enbu und stimmte voll und ganz zu.
„Ah, aber glücklicherweise sind nur Halbgötter so schlimm. Warum hast du eigentlich keine Kinder? Ich kenne einige Göttinnen, die dich liebend gerne mit Nachkommen versorgen würden. Hast du nicht eine Liaison mit der jüngsten Schwester der Luftgöttinnen?“, erkundigte sich der Wolf und nippte an seiner Tasse.
„Diese Liaison war das letzte Mal vor etwa 30 Jahren aktuell. Du bist nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Und ich will keine Kinder. Du kennst doch den Berggott noch. Ein großer, legendärer Krieger. Ich durfte vor seinem Ableben mal mit ihm Seite an Seite gegen dieses Dämonenpack kämpfen. Die Gerüchte über seine Kampfkünste untertreiben eigentlich fast noch. Für seine Nachfahren aber nur Druck, weil jeder erwartet hat, dass sie ebenso gut sind. Legenden sollten keine Kinder haben.“, erklärte Enbu und beschäftigte sich wieder etwas mit Aufräumen.
„Legenden, also. Du zählst dich dazu?“, neckte der Wolf ihn.
„Ich würde mich nicht so nennen, aber du kennst ja wohl die Geschichten, die man über mich erzählt.“, entgegnete Enbu. Beide Männer lachten leise, als sie an die maßlos übertriebenen Erzählungen dachten. Selbst Götter waren vor aufgebauschten Gerüchten nicht gefeit.
Die Tür zum Café ging auf und ein junger Mann mit schwerem Rucksack erschien. Er sah sich interessiert um und registrierte die angenehme Atmosphäre.
Ryoichi hatte einen langen Weg hinter sich und war eine Weile ziellos durch das Dorf geirrt, ehe er dieses Café gefunden hatte. Er war ein Wissenschaftler. Sein Spezialgebiet war Okkultismus und die alten Legenden über Götter und Dämonen. Er war extra in dieses Dorf gekommen, weil es hier die meisten Geschichten gab. Laut Gerüchten sollten sich hier die Götter versammeln, was es zu einem heiligen Ort machte. Ryoichi selbst glaubte allerdings nicht an die Legenden. Er versuchte vielmehr herauszufinden, welche physikalischen Phänomene Ursprung dieser Geschichten waren. Er hatte sich schon ewig auf diese Reise vorbereitet. Ein Jahr lang würde er sich hier in der Gegend aufhalten. Er wollte sich zuerst umhören, ob es neue Geschichten gab, die er noch nicht kannte. Dann würde er den anderen Legenden auf die Spur gehen. Doch bei all seinen Plänen hatte er nicht daran gedacht, sich nach einem Schlafplatz zu erkundigen. Ein Hotel gab es hier nicht. Dafür war das Dorf zu klein. Aber solche Orte hatten Wirtshäuser oder Gaststätten mit Schlafmöglichkeiten. Er hatte genügend Geld. Und notfalls musste er sich durchfragen, ob er nicht bei einer Privatperson unterkommen konnte. Die Leute hier waren alle sehr gastfreundlich. Da würde sich bestimmt jemand finden. Er steuerte die Bar an und setzte sich auf einen der Hocker. Das Gepäck ließ er neben sich auf den Boden gleiten. Er suchte nach einer Karte oder einem Schild, wo das Angebot samt Preisen verzeichnet war, fand aber nichts.
Als der Kellner zu ihm kam, musterte er erst sein Gegenüber und ihm stockte förmlich der Atem. Was für ein Bild von einem Mann! Ryoichi war schwul, zeigte das aber nicht so offen. An der Universität, an der er unterrichtete, hatte die Sexualität keinen Platz und er wollte immer Ärger vermeiden. Auch im Privatleben konnte er nicht immer so offen sein, wie er es gerne wollte. Bisher war er auch noch nie einem Mann begegnet, bei dem er sich gewünscht hatte, er könne ihn offiziell als seinen Partner präsentieren. Bei seinem Gegenüber jedoch wäre er stolz gewesen. Wenn dieser Mann nicht so offensichtlich überhaupt nicht seiner Liga entsprach.
Der Kellner war 185 cm groß, hatte kastanienbraune Haare und warme, ockerfarbene Augen, die Ryoichi sofort in ihren Bann zogen. Er hatte helle, reine Haut, war schlank und elegant. Der Mann besaß eine schier unglaubliche Ausstrahlung, die jeden sofort in Ehrfurcht erzittern ließ.
Ryoichis Herz klopfte heftig in seiner Brust und er musste an sich halten, um nicht seltsame Geräusche von sich zu geben.
Enbu musterte den Fremden und stellte ziemlich erstaunt fest, dass ein Mensch gerade sein Café betreten hatte. Das war keine Unmöglichkeit, aber ausgesprochen selten. In der Regel kamen höchstens Menschen hierher, die in ihrer Blutlinie eine Gottheit hatten. Meist Nachfahren von Halbgöttern, die von ihrem himmlischen Erbe nichts wussten oder nicht viel gehalten hatten. Oder eines Gottes, der nach Kriegsende seine Göttlichkeit aufgegeben hatte. Eine ganz menschliche Seele hatten diese Wesen nie, auch wenn sie ein Leben als Mensch führten.
Der Café-Besitzer tippte mit seiner Aura die der anwesenden Gäste an, um sie darauf hinzuweisen, dass ein Mensch anwesend war. Manche wussten von der Existenz der Götter und kamen bewusst hierher, aber dieser schien eher zufällig im Café gelandet zu sein. Bevor Enbu nicht wusste, was dieser wollte, sollten sich die anderen auch bedeckt halten. Zwar beherrschte er die Kunst der Gedächtnismanipulation, wenn auch nicht so meisterhaft wie ein Fuchs, aber Menschen mit einem gewissen Maß an Göttlichkeit besaßen häufig einen gewissen Grad an Immunität. Und Enbu fand, man fuhr besser mit der Devise: Vorsicht ist besser als Nachsicht.
Der braune Wolf erhob sich, verabschiedete sich kurz mit der Entschuldigung, er müsse wieder arbeiten, und verschwand dann. Enbu sah ihm schnell hinterher, dann widmete er sich ganz dem neuen Gast, der ein bisschen fehl am Platz wirkte.
„Guten Morgen, Fremder! Ich habe dich noch nie hier gesehen. Neu im Ort?“, grüßte der Donnergott mit seiner Samtstimme und musterte ihn. Dunkles Haar und grüne Augen, die an Smaragde erinnerten. Die Aura war frei von dämonischen Einflüssen, aber nicht so strahlend. Er hatte Geheimnisse und war ein Skeptiker. So viel stellte der Café-Besitzer bereits nach einem Blick fest.
„Ja, ich bin erst vorhin angekommen.“, antwortete Ryoichi. Er fühlte sich irgendwie etwas unbehaglich, weil der andere Mann ihn einfach geduzt hatte.
„Was kann ich für dich tun, Kleiner?“, fragte Enbu. Der Kosename passte nur bedingt, denn schließlich war sein Gegenüber nicht mal eine Handbreit kleiner.
Ryoichi konnte nicht verhindern, dass er den Kellner anstarrte. Seine Frage hatte irgendwie nach einem Flirt geklungen. Aber der Universitätsprofessor konnte sich nicht vorstellen, dass der attraktive Kellner mit ihm flirten würde. Dieser bekam vermutlich jede ab, die er wollte. Und er sah im Moment nicht gerade so gut aus wie er könnte. Er war verschwitzt und fühlte sich schmutzig.
Enbu hob fragend die Augenbrauen, was Ryoichi ins Hier und Jetzt zurückholte.
„Ähm, Frühstück… wäre schön.“, antwortete er und senkte peinlich berührt den Blick. Er verhielt sich wie ein verliebter Teenager, dabei war er bereits 31.
Enbu grinste über dieses Verhalten. Menschen hatten doch ihren Reiz. Besonders, wenn sie sich nicht bewusst waren, wo sie sich befanden. Der Kellner griff unter die Theke und holte die Karte hervor. Er hatte nur eine, denn in der Regel kamen nur Stammgäste oder welche, die genau wussten, was sie wollten. Wobei er im Grunde alles machen konnte, was seine Kunden wünschten. Er brauchte sie also nur für Menschen, die sich spontan nicht so schnell entscheiden konnten. Er reichte die Karte mit einem professionellen Lächeln an den Gast weiter.
„Kaffee oder Tee?“, fragte er.
„Äh, Kaffee, bitte!“, kam die zögerliche Antwort. Ryoichi steckte die Nase in die Karte, konnte seinen Blick aber kaum von dem Kellner abwenden, der sich umgedreht hatte, um das gewünschte Getränk mittels einer Maschine zuzubereiten, die ein richtiges Ungetüm war. Als er sich wieder umdrehte und sich danach erkundigte, ob sich der Gast bereits entschieden hätte, wählte Ryoichi zufällig irgendein Gericht aus und gab die Karte zurück. Er sah in die Tasse, die vor ihm stand. Der Kaffeeduft stieg ihm in die Nase und hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Der Kellner verschwand durch die Tür in den hinteren Bereich. Vermutlich die Küche. Ryoichi nahm einen Schluck von der braunen Brühe und seufzte zufrieden. Noch nie hatte er so guten Kaffee getrunken.
Nach einem ausgiebigen Frühstück schob Ryoichi die leeren Teller von sich und griff nach seiner zweiten Tasse Kaffee. Dieses Café war fabelhaft! Warum hatte keiner der Dorfbewohner ihm davon erzählt? Er hatte sich nach einem Ort umgehört, wo er frühstücken konnte. Jeder hatte ihn woanders hingeschickt und das Dorf hatte wie ein Labyrinth gewirkt. Doch jetzt war er froh für dieses Herumgeirre. Wo bekam man schon so ein herrliches Frühstück inklusive attraktiver Bedienung?
„Darf’s sonst noch was sein?“, fragte der Kellner und riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ähm, nein, danke.“, wehrte der Wissenschaftler ab und wünschte sich mal wieder, er wäre offener, was seine Sexualität betraf. Dann würde er jetzt flirten und vielleicht ja doch sein Glück versuchen. Schließlich konnte der heiße Kellner ja doch das Interesse erwidern oder sich zumindest auf ein kleines Techtelmechtel mit ihm einlassen.
Als der Mann hinter dem Tresen sich umdrehte, rief er ihn aber nochmal zurück.
„Doch! Eine Sache gibt es. Ich brauche einen Platz zum Schlafen.“, erklärte er schnell. Bisher hatte niemand ihm Auskunft über freie Betten gegeben, deshalb wollte er hier sein Glück noch versuchen.
Enbu dachte darüber nach. Es war kein Problem, dass ein Mensch mal hier aß, aber es könnte zu Schwierigkeiten kommen, wenn man länger mit einem Kontakt hatte. Dennoch entschied der Donnergott ihm zu helfen. Es war ihm in letzter Zeit ohnehin ziemlich langweilig hier geworden. Vielleicht würde der Gast etwas Abwechslung bringen. Und diese Regel des Ältestenrates, sich von Menschen fernzuhalten, war sowieso unsinnig. Er hielt nicht viel davon.
„Über dem Café gibt es Zimmer. Sehr spartanisch eingerichtet, aber sauber.“, antwortete er.
Ryoichi brauchte nicht lange überlegen. Ein Zimmer, wo er jeden Tag hier essen könnte? Das würde er sofort nehmen. Auch wenn er nicht wusste, wie lange er sich bei dem attraktiven Kellner zurückhalten konnte, bevor dieser merkte, dass er am eigenen Ufer fischte.
„Ich würde es gerne nehmen. Wie lange könnte ich hier wohnen?“, wollte der Professor wissen.
„Solange du willst. Hier gibt es nur selten Gäste.“, antwortete der Kellner und stützte die Ellbogen an der Bar ab.
„Was treibt dich überhaupt in dieses verschlafene Dorf? Hier kommen in der Regel nur Außenstehende her, wenn sie Verwandte hier haben. Ansonsten gibt es nur Durchreisende.“, hakte er nach.
„Ich bin Professor an einer Uni in Kyoto. Ich lehre über Okkultismus und erforsche die alten Geschichten über Götter und andere übernatürliche Wesen. Besonders die Legende der Insel der Götter interessiert mich. Dieses Jahr habe ich mir Auszeit genommen, um selbst einigen Forschungen nachzugehen. In diesem Dorf gibt es unzählige Geschichten und hier entstehen auch heute noch neue. Ich will diesen Legenden auf den Grund gehen. Die physikalischen Phänomene erkunden, die hinter diesen Mythen stecken.“, erzählte Ryoichi und war sichtlich in seinem Element.
„Interessant. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du diese Legenden zerschlagen und die Wahrheit aufdecken. Glaubst du nicht an Götter?“, antwortete Enbu und sah ihn fragend an.
Ryoichi winkte ab und versuchte sich nicht allzu sehr von den wundervollen Augen ablenken zu lassen. Der Kellner sah wirklich verboten gut aus.
„Nein, das sind alles nur Überbleibsel. Die Menschen konnten sich früher normale physikalische Vorgänge nicht erklären und haben sie eben übernatürlichen Wesen zugeschrieben, die sie anbeten konnten.“, erklärte er fest überzeugt.
„Du glaubst nicht an Götter, hast sie aber gleichzeitig als Lehrstoff? Seltsame Kombination.“, kicherte der Café-Besitzer. Er kannte genügend solcher Skeptiker und er fand es immer wieder amüsant, mit ihnen zu reden. Ryoichi zuckte mit den Schultern.
„Ich bin mit diesen Geschichten aufgewachsen. Meine Mutter hat mich regelrecht verrückt damit gemacht. Aber sie haben mich schon interessiert. Ich wollte einfach immer wissen, wie solche Geschichten entstanden sind.“, antwortete er.
Enbu grinste, als er das hörte. Wie würde sein Gast wohl reagieren, wenn er wüsste, dass er gerade mit einem dieser legendären Wesen sprach, von denen er felsenfest behauptete, sie würden gar nicht existieren? Ein Jahr war eine lange Zeit. Vielleicht würde er den Kleinen mal einweihen?
„Ich heiße übrigens Enbu und mir gehört das Café.“, wechselte der Kellner das Thema und musterte sein Gegenüber, der sich sofort gerader hinsetzte.
„Ich bin Ryoichi.“, antwortete auch der Uni-Professor. Enbu richtete sich auf und blickte durch den Raum. Ein paar Gäste waren noch da. Die meisten Götter tranken nur Kaffee oder Tee. Der Donnergott hatte einen geschulten Blick. Er konnte seine Gäste gut einschätzen und wusste schon früh, wer Ärger machen würde und wer nicht. Im Moment waren nur ältere Götterwesen anwesend, die lieber die Ruhe genossen als Stress zu machen.
Er wandte sich wieder dem Menschen zu.
„Wenn du willst, zeig ich dir dein Zimmer. Dann kannst du deine Sachen ablegen und dich einrichten.“, schlug er vor. Ryoichi nickte, trank den letzten Schluck seines Kaffees und griff dann nach seiner Tasche, die immer noch neben seinem Hocker am Boden gelegen hatte. Er schulterte den Rucksack und ging zum Ende der Bar. Dort gab es zwei Türen. Die eine führte in Waschräume, die andere in ein Treppenhaus. Enbu ging voran und stieg die Stufen hoch. Vor der ersten Tür blieb er stehen, holte aus seiner Westentasche einen Schlüssel hervor und sperrte auf. Er ließ seinen Gast zuerst eintreten.
Ryoichi betrat den Raum und sah sich um. Die Einrichtung war spartanisch, wie der Kellner es angekündigt hatte, doch der Raum hatte eine angenehme Atmosphäre. Der Uni-Professor wusste, dass er sich hier auf jeden Fall wohlfühlen würde. Es gab ein großes Bett, das locker für zwei reichen würde. Ein Kleiderschrank an der einen Wand, die anderen hatten große Fenster, die viel Licht hereinließen. Er ging zum Bett und legte seinen Rucksack darauf ab.
„Gibt es Waschmöglichkeiten?“, erkundigte er sich, wobei er möglichst unauffällig zu dem Mann im Türrahmen linste. Jetzt, wo er Enbu von oben bis unten betrachten konnte, wirkte der schlanke, elegante Kellner in Uniform noch attraktiver. Die Kleidung war schlicht. Eine enge, dunkle Hose, ein weißes Hemd und eine violette, ärmellose Weste. Alles saß perfekt und hatte Klasse.
„Wenn du was zu waschen hast, kannst du es mir geben. Ich werde neben der Tür einen Korb stehen lassen, wo du deine Schmutzwäsche abladen kannst.“, antwortete Enbu gelassen. Ryoichi setzte zu einem Protest an. Er war durchaus in der Lage, seine Sachen selbst zu waschen. Auch wollte er nicht so abhängig sein. Er lebte seit seinem 18. Lebensjahr alleine und seine Wohnung war noch nie im Chaos versunken.
Doch Enbu ließ ihn kein Wort sprechen.
„Das Bad ist dort drüben. Solltest du etwas brauchen, kannst du mir jederzeit Bescheid geben. Du findest mich in der Regel hinter der Bar. Wenn ich mal weg bin, werde ich es dich vorher wissen lassen.“, erklärte er weiter und deutete auf eine Tür.
Ryoichi wunderte sich für einen Moment, dass er die Tür nicht eher bemerkt hatte, doch im nächsten Augenblick verwarf er diesen Gedanken. Was interessierte ihn eine Tür, wenn in einer anderen ein echter Traummann stand?
„Richte dich erst mal ein! Wenn du irgendwas brauchst, weißt du ja, wo du mich findest. Und bezüglich Essen brauchst du dir keine Sorgen machen. Du kannst kommen, wenn du willst und bekommst auch zu jeder Zeit alles.“, fuhr der Donnergott fort.
Ryoichi nickte und fragte sich, ob sein Gegenüber Gedanken lesen konnte. Der Café-Besitzer hatte alle seine Fragen beantwortet, ehe er sich stellen konnte. Er war fast schon enttäuscht, als der Kellner mit einem kleinen Abschiedsgruß die Tür schloss und ihn alleine ließ. Der Professor ließ sich aufs Bett fallen und gab ein frustriertes Stöhnen von sich. Er war hier um zu forschen, damit sein Unterricht etwas an Aktualität gewinnen würde. Nicht um sich in den erstbesten Mann zu verlieben, der ihm über den Weg lief. Auch wenn sein Gastgeber schien als wäre er nicht von dieser Welt.
Bevor er noch lange darüber nachgrübeln konnte, wie hoffnungslos seine noch kleine Schwärmerei doch war, beschloss er das Bad zu inspizieren und endlich zu duschen.