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Unter der Meeresoberfläche leben die Wakkas, die Wassergeister. Die Meeresgöttin liebt ihre Kinder und würde alles tun, um sie glücklich zu machen.
So schenkt sie auch Hitode, einem seltenen männlichen Wakka, eine Muschel, die ihm Beine verleiht.
Mia findet am Strand einen bewusstlosen, nackten Jungen und beschließt ihn mitzunehmen. Ihr Mitbewohner Alex, dessen liebstes Hobby das Surfen ist, ist im ersten Moment zwar nicht begeistert, freundet sich aber schnell mit dem Kleinen an. Als sich aber noch seltsame Gefühle und ein großes Verlangen einmischen, muss der lockere Surfer lernen, dass das Leben nicht immer so leicht ist, wie es scheint.
Teil 3 der Insel der Götter.
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Der Wassergeist Hitode will an Land um das Leben der Menschen kennenzulernen. Seine Mutter, die Meeresgöttin, erfüllt ihm diesen Wunsch und schenkt ihm Beine.
Am Strand sammelt die Schülerin Mia ihn auf und nimmt ihn prompt mit zu sich nachhause. Alex, der Surfer, ist im ersten Moment nicht gerade davon begeistert, akzeptiert es aber fürs Erste. Außerdem gefällt ihm dieser aufmerksame Blick des Fremden.
Wird Hitode das Leben an Land meistern? Und was bedeuten all diese seltsamen neuen Gefühle in seinem Inneren?
Wichtige Hinweise:
Dieses Buch enthält homoerotische Szenen und ist nicht für Leser unter 18 Jahren, sowie homophobe Menschen geeignet.
Alle Charaktere sind frei erfunden und eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind purer Zufall und keine Absicht.
Die Welt der Meereswesen hatte sich in den Jahrhunderten kaum verändert. Während an Land die Götter und Dämonen Krieg führten, Schlachten schlugen und sich gegenseitig dezimierten, blieben die Bewohner des Meeres weitestgehend davon unberührt. Die Dämonen mieden die Meere, war deren Herrin doch zu mächtig für sie.
Umi no Megami, die Göttin des Meeres, hatte dafür gesorgt, dass ihre Kinder mit dem Krieg der Oberfläche nichts zu tun hatten. Die Göttin ohne feste Gestalt kümmerte sich um ihre Nachkommen. Sie liebte ihre Kinder und trauerte über jeden Verlust, auch wenn es so viele gab.
Die Wakka waren fröhliche Wesen. Die Wassergeister verbrachten ihre Tage in den Tiefen des Meeres. Manche waren neugierig und schwammen an die Oberfläche.
Götter benutzten sie gerne als Boten. Die Wasserwesen gelangten schnell von einem Ort zu einem andern und konnten innerhalb weniger Stunden ans andere Ende der Welt gelangen.
Ihre Intelligenz war beschränkt, doch sie waren auf eine andere Art schlau. Sie konnten Kontakt zu anderen Lebewesen herstellen und per Telepathie kommunizieren.
Von den Menschen hielten sie sich meistens fern. Dennoch wurden sie immer wieder gesehen. Die Landbewohner gaben ihnen unterschiedliche Namen. Sirenen, Nixen, Meerjungfrauen. Wesen halb Fisch, halb Mensch.
Die Menschen hielten sie größtenteils jedoch nur mehr für Legenden. Viele Mythen rankten sich um sie. Es gab Orte, wo sie sich vermehrt aufhielten.
Sie trieben gerne ihre Spielchen mit denen, die sie beschimpften und für dumm hielten. Wer sie gut behandelte, bekam Geschenke vom Meeresgrund. Wer sie beleidigte, wurde selbst in die Tiefen gezogen.
Hitode war der Liebling der Wassergöttin. Sie behütete ihn und hatte ihn am liebsten in ihrer Nähe. Der junge Wassergeist war einer der wenigen männlichen Wakka. In der Regel hatte die Göttin der Meere nur weibliche Kinder. Die männlichen neigten viel mehr dazu, an die Oberfläche zu schwimmen. Und wenn sie dort oben waren, sahen sie den Krieg, die Schlachten, die Kämpfe. Viele wollten mitmachen. Sie verstanden schließlich nicht, was dort oben los war.
Die Wassergöttin war froh, dass nur wenige männliche Wakka geboren wurden.
Hitode hatte sich bisher jedenfalls nicht so gezeigt. Von klein auf war er bei ihrer Mutter geblieben, hatte sie oft begleitet und seine einzigen Erkundungstouren hatte er am Meeresboden verbracht. Er hatte versunkene Schiffe gefunden und sie erkundet. Manchmal hatte er gesehen, wie etwas von der Oberfläche in die Tiefe gesunken war.
Mit jedem Gezeitenwechsel wuchs auch seine Neugier an. Er wagte sich immer weiter vor, drehte aber dann doch wieder um, sobald ein Landbewohner ihn bemerken könnte. Ein paar seiner Schwestern hatten ihm von der Oberfläche erzählt. Sie kommunizierten auf ihre ganz eigene Art, malten sich gegenseitig Bilder in den Kopf. Sie erzählten von den Pflanzen und Tieren, von den unterschiedlichen Landgöttern und von den Menschen, die sich ganz eigenartig entwickelt hatten.
An manchen Tagen wollte der Wassergeist selbst an die Oberfläche schwimmen. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wovon seine Schwestern ihm berichtet hatten.
Besonders als seine Mutter sich immer wieder zurückzog und für ganze Monate verschwand, wuchs die Sehnsucht in ihm. Sie hatte Streit mit den Göttern gehabt und Probleme. Die Menschen verschmutzten ihr Reich immer mehr. Eine Ölpest im Norden, Müllinseln im Atlantik und chemischer Industrieabfall, der über die Flüsse in die Weltmeere gelangte.
Hitode verbrachte immer mehr Zeit allein. Nur in Gesellschaft seiner Schwestern ward ihm schnell langweilig. Die Meeresgöttin hatte sich viel mit ihm unterhalten. Er hatte die Sprache der Oberfläche gelernt, doch kein Fisch würde ihm weiter beim Üben helfen können. In der Zeit, die er mit seinen Gedanken alleine verbrachte, wuchs der Wunsch, nach oben zu gehen.
Als er sich eines Tages wieder zu sehr langweilte, schwamm er lustlos durch die Gegend, als ein bekannter Fisch zu ihm schwamm und ihn umkreiste. Hitode kannte diesen Meeresbewohner. Oft schwamm der buntgestreifte Fisch ihm hinterher, folgte ihm und zeigte ihm auch schon mal neue Plätze. Auch diesmal schwamm der Fisch voraus. Der Wassermann folgte seinem kleinen Freund in wärmere Gewässer. Sie schwammen lange. Bis sie ein Riff erreichten. Die Korallen blühten und leuchteten regelrecht in den unterschiedlichsten Farben. Hitode betrachtete den schönen Anblick. Das Licht der Sonne brach sich im Wasser. Ein Bild, das es in den Tiefen der Ozeane nicht gab. Hitode mochte diese Gegend. Ihre Mutter hatte sie jedoch gewarnt. Diese Riffe befanden sich weit an der Oberfläche. Dort war die Gefahr groß, dass Menschen sie entdeckten. Sie fingen die Bewohner des Meeres. Aber Hitode war nicht dumm. Er achtete auf seine Umgebung, hielt sich zwischen den Korallen auf und versteckte sich, auch wenn bloß ein Fischschwarm seine Kreise zog.
Alex liebte den Strand und das Meer. Er starrte in den strahlendblauen Himmel, genoss die leichte Brise und betrachtete voll Vorfreude die Wellen, die am Ufer brachen. Diese Bucht war perfekt, ein richtiges Surferparadies. Und seit einer Woche war es auch warm genug, dass man ins Wasser gehen konnte, ohne gleich zu erfrieren. Alex prüfte nochmal seinen Neoprenanzug, schnappte sich sein Surfbrett und eilte in Richtung Wasser. Ohne Zögern stürzte er sich in die Fluten, ging ins Wasser, bis es ihm bis zur Hüfte reichte und legte sich aufs Brett um weiter zu paddeln. Als er weit genug draußen war, hielt er an, drehte sich in Richtung Strand und setzte sich auf. Die leichten Wellen schaukelten ihn. Er wartete ab. Er wollte eine größere Welle. Während er auf die richtige wartete, sah er in Richtung Strand. Er betrachtete die Stadt. Die australische Sonne war ein regelrechter Segen. Besonders im Vergleich zu Londoner Dauernebel. Es war noch früher Morgen. Auf den Gehwegen waren einige Spaziergänger mit Hunden und Morgensportler.
Alex liebte es, vor der Schule noch surfen zu gehen. Am Morgen war er noch meistens allein. Er war der Einzige, der so verrückt war. Zumindest in dieser Stadt. In einer anderen wäre jetzt wohl bereits ein Massenandrang am Strand.
Alex wandte den Kopf in Richtung Meer. Endlich zeigten sich die ersten Anzeichen einer guten Welle. Er machte sich bereit, legte sich aufs Brett und ruderte mit den Armen, um die Welle zu erwischen. Dann sprang er in einer fließenden Bewegung auf, streckte die Arme vom Körper, um die Balance zu halten und kicherte ausgelassen, während er die Welle ritt. Er spürte die Freiheit und wünschte sich, dieser Moment würde nie zu Ende gehen.
Hitode versteckte sich hinter ein paar Felsen, als er die Gestalt in der Bucht beobachtete. Neugier packte den kleinen Wassergeist. Auf einer Welle stand ein Wesen. Fast ganz in schwarz. Der Oberkörper war wie der seine. Doch die Gestalt hatte keine Flosse. Beine hatten seine Schwestern das genannt. Das musste ein Mensch sein. Ein Mensch, der über Wasser ging? Eigentlich sollte sich Hitode von Menschen fernhalten, aber seine Neugier war stärker. Was machte dieser Mensch? Warum war er am Wasser? Wie er so war? Oder war es kein Mensch, sondern ein Gott? Einem Gott konnte sich der Wassergeist nähern. Die würden ihn höchstens für dumm halten. Der Wakka verschränkte die Arme auf dem Felsen, legte seinen Kopf darauf und beobachtete aus der Ferne das zweibeinige Wesen. Das Wasser glitzerte. Hitode wollte so gern näher ran. Er verspürte den Wunsch, mehr über die Menschen zu erfahren. Er wollte wissen, was sie machten. Wie verbrachten sie ihren Tag? Warum stand dieser Mensch dort auf einem Brett am Wasser? Was spielten sie?
Hitode war kurz davor, zu dem Fremden zu schwimmen, als sein Fischfreund ihn an stupste und aus seinen Gedanken riss.
„Was ist los?“, fragte der Wassermann. Aufgeregt schwamm der Fisch herum. Hitode verstand, dass sein Freund ihn warnen wollte. Er seufzte, warf noch einen Blick auf diesen Fremden und tauchte wieder unter Wasser.
Alex sprang von seinem Surfbrett und spürte sofort den nassen Sand unter seinen Füßen. Er hob das Brett auf und wandte sich in Richtung der Felsen. Nachdenklich starrte er auf den nassen Stein, doch er konnte nichts entdecken. Dabei hatte er vorhin noch geglaubt, aus den Augenwinkel jemanden zu sehen, der ihn beobachtete. Vielleicht war das auch nur Einbildung gewesen.
„Alex!“, erklang Mias Stimme und riss ihn aus seinen Gedanken. Er wandte den Kopf und winkte dem Mädchen zu, mit dem er zusammenwohnte. Seine Eltern hatten das Haus gekauft, waren aber die meiste Zeit des Jahres unterwegs. Sie waren Forscher. Ursprünglich hatten sie in London ihren festen Wohnsitz gehabt, doch dann hatte Alex sich für ein Austauschprojekt beworben und war für ein Semester in Australien zur Schule gegangen. In einer kleinen australischen Küstenstadt hatte er das Surfen kennen und lieben gelernt. Bevor das Semester herum gewesen war, hatte er seine Eltern dazu überredet, die Wohnung in London zu verkaufen und stattdessen nach Australien zu ziehen. Da die Erwachsenen ohnehin nie länger als zwei, drei Wochen hintereinander zuhause waren, ließen sie sich schnell überreden. Da das Haus für Alex alleine zu groß war, hatte er Mia bei sich einziehen lassen. Das Mädchen war ein halbes Jahr älter als er, kam aus Amerika und war ebenfalls als Austauschschülerin hierhergekommen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten hatten sich die beiden schnell angefreundet und schließlich auch arrangiert.
„Wenn du weiter so rumträumst, kommst du zu spät in die Schule.“, rief Mia ihm zu. Alex blickte noch einmal sehnsüchtig in Richtung Meer, dann wandte er sich ab. Er hätte später auch noch Zeit zum Surfen, auch wenn es um diese Tageszeit am schönsten war.
Hitode schwamm im tiefen Ozean. Es war kalt, weil kein Lichtstrahl bis in diese Tiefen vordringen konnte. Doch die Dunkelheit machte ihm nichts aus. Seine Sinne waren daran gewöhnt. Auch die Kälte war für ihn kein Problem, da sich seine Körpertemperatur der Umgebung anpasste. Wakkas waren so wandelbar wie ihre Mutter. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Er schwamm zu einem versunkenen Piratenschiff, das bereits seit Jahrhunderten in dieser Tiefe lag. Der Wassergeist öffnete eine Truhe und betrachtete die Münzen darin. Früher hatte er gerne mit diesen Dingen gespielt, doch inzwischen war ihm das langweilig geworden. Seit Tagen dachte er nur mehr an die Oberfläche. Er wollte nach oben. Er wollte mehr vom Land sehen. Er wollte auch mehr von den Menschen erfahren. Auch wenn ihm klar war, dass es für ihn sehr gefährlich werden würde.
Da schwamm ein anderer Wakka unter Deck des versunkenen Schiffes. Sie kreiste um ihn, wollte ihn aufmuntern, doch er schüttelte sie ab, schwamm stattdessen in die Kapitänskajüte, wo am Stuhl das Skelett eines Menschen saß. Seine Schwester folgte ihm und wurde von einem zerbrochenen Spiegel abgelenkt. Sie betrachtete ihr Ebenbild, versuchte hineinzugreifen, doch ihre Finger stießen an das Glas.
Hitode beobachtete seine Schwester und fragte sich, warum er im Vergleich zu ihr und den anderen so viel klüger war. Ob seine Schwestern auch solche Sehnsucht verspürten? Sehnsucht nach oben? Nach dem Land? Oder gar nach einem Menschen? Eine seiner Schwestern hatte ihm mal von einer Geschichte erzählt. Ein Wassergeist hatte sich in einen Menschen verliebt und sich von der Meeresgöttin Beine gewünscht. Wie die Geschichte ausgegangen war, hatte er nie erfahren. Denn da war die Konzentration seiner Schwester ausgegangen. Auch später hatte er nichts mehr aus ihr rausbekommen. Eine andere hatte dann gemeint, die Menschen hätten ganz viele Geschichten dieser Art.
Warum er sich gerade jetzt daran erinnerte, war ihm schleierhaft. Ob diese Geschichte wahr war oder eine Erfindung seiner Schwester, konnte er nicht sagen. Allerdings könnte er zu ihrer Mutter gehen und sie nach Beinen fragen. Fragen kostete ja nichts. Er hatte noch nie um etwas gebeten und hatte sich immer artig verhalten. Die Göttin der Weltmeere war ein gutmütiges Wesen. Zumindest, solange es um ihre Kinder ging.
„Wo ist Mama?“, fragte er seine Schwester auf ihre ganz eigene Art. Sie wandte sich von dem Spiegel ab, sah ihn an, als hätte sie ihn gerade erst bemerkt. Nach einem Augenblick steuerte sie schnell den Ausgang an und Hitode folgte ihr.
„Hast du schon wieder eine Neue am Start?“, fragte Mia, während Alex ein paar Bücher in seinen Spint packte. Er hielt kurz inne und sah seine Freundin an.
„Wie kommst du darauf?“, erwiderte er, blickte kurz zu seinen Mitschülern, wandte sich aber dann wieder ab. Mia lehnte sich mit dem Rücken gegen die Schließfachtüren und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie beobachtete eine Gruppe kichernder Mädchen, die scheinbar über die heißesten Jungs der Schule sprachen.
„Weil Sandy dich mit ihren Blicken auszieht. Außerdem weiß ich, dass du erst heute Morgen nachhause gekommen bist.“, antwortete Mia. Alex seufzte und holte sein Physikbuch heraus.
„Was dagegen? Bist du meine Mutter?“, gab er genervt von sich.
„Ja und nein. Du bekommst noch einen zweifelhaften Ruf. Du hast jede Woche eine andere. Das kommt nicht bei allen gut an.“, erklärte sich seine Freundin.
„Mia, nett, dass du dir Sorgen um meinen Ruf machst, aber das ist unsinnig. Ich treffe mich halt gerne mit Mädchen. Ich zwinge ja niemanden. Und es klappt halt einfach nicht.“, antwortete Alex und warf seine Spindtür zu.
„Nur, weil du denkst, es müsse alles von alleine klappen. In eine Beziehung muss man investieren. Man muss dafür auch arbeiten.“
„Ich weiß, aber wofür soll ich arbeiten, wenn ich gar nicht verliebt bin?“, entgegnete der Surfer und setzte sich in Bewegung.
„Warum bist du dann überhaupt mit jemandem zusammen?“, konterte Mia und lief ihm hinterher.
„Um Spaß zu haben. Mensch, Mia, wir sind jung, gesund und frei. Jetzt ist die Zeit, wo wir unser Leben genießen sollten. Später bleibt immer noch Zeit, sich um eine feste, ernsthafte, langfristige Beziehung zu bemühen.“, gab er locker von sich. Mia seufzte. Diese Art der Diskussion führten sie öfters. Und es endete immer damit, dass sie unterbrochen wurden. In diesem Fall von der Klingel, die die Pause beendete und die Schüler daran erinnerte, dass sie in ihre Klassen gehen mussten.
Hitode schwamm in die Höhle. Seine Schwester hatte vor dem Eingang einfach umgedreht und war einem Fischschwarm hinterher. Der Wassergeist hatte zuerst gezögert. Doch er hatte die Aura seiner Mutter wahrgenommen. Gleichzeitig hatte er die Sehnsucht nach ihr verspürt. Er war gern in der Nähe seiner Mutter. Er fühlte sich immer geborgen bei ihr. Eine Weile schwamm er in der Dunkelheit, dann weitete sich der Tunnel. Lichter schwebten dort und erhellten die kuppelartige Höhle. In der Mitte war eine Blase, in der sich Bilder aus aller Welt zeigten.
Die Göttin des Meeres war ein leuchtendes Wesen. Sie hatte keine feste Gestalt. Ihr Fischschwanz schien aus Wasser geformt und ihre Haut war so hell, dass sie wie ein Geisterwesen schien. Das lange Haar schimmerten in allen möglichen Grün- und Blautönen, die das Wasser annehmen konnte.
Hitode mochte diesen Anblick. Er schwamm auf sie zu, umkreiste sie. Die Göttin strich ihm übers Haar. Er sah in die Blase. Das Bild zeigte gerade die Insel der Götter. Hitode hatte diese Insel schon oft in dieser Blase gesehen.
„Mama!“, brach er schließlich sein Schweigen und sah der Wassergöttin ins ewigjunge und engelsgleiche Gesicht. Sie sah ihn aus tiefblauen Augen an.
„Was ist, mein kleiner Seestern?“, erwiderte sie. Die Stimme in Hitodes Kopf fühlte sich an, als würde sie ihn streicheln. Er war stolz auf seinen Namen, denn er hatte ihn von ihrer Mutter. Seine Schwestern bekamen nur ganz selten eigene Namen. Manche wollten unbedingt einen haben und baten ihre Mutter darum. Aber der Großteil kam gar nicht erst auf die Idee, nach einem zu fragen. Ein paar wenige schenkten ihre Herzen an einen Landbewohner. Meist an einen Gott, der sie lieb behandelte. Von diesem bekamen sie dann einen Namen, damit er sie rufen konnte, wenn er sie brauchte oder einfach nur sehen wollte. Früher war das eigentlich sehr oft der Fall gewesen, doch heutzutage kam es nur mehr selten vor.
Hitode blickte wieder in die Blase und beobachtete die Landtiere, die einen Gott in Menschengestalt gerade ärgerten.
„Ich will nach oben.“, erklärte er. Die Hand auf seinem Kopf hielt inne. Er sah auf und für einen Moment war das schöne Gesicht seiner Mutter versteinert.
„Ich will sehen, was es da oben gibt. Und ich will die Menschen kennenlernen. Hier unten kenne ich schon alles. Mit meinen Schwestern und den Fischen kann ich mich nicht unterhalten. Bitte, lass mich gehen! Ich will auch ganz vorsichtig sein. Wenn es zu gefährlich wird, komm ich sofort zurück.“, redete er auf sie ein und sah sie flehend an. Auf ihren Lippen erschien ein sanftes Lächeln.
„Hitode, ich kann dich wohl nicht mehr umstimmen. Wenn ich dir deine Bitte verweigere, wirst du nur unglücklich werden.“, erwiderte sie, wandte sich um und schwamm zum Boden. Aus dem dunklen Sand holte sie eine kleine, spiralförmige Muschel. Sie blies hinein. Die Muschel leuchtete kurz auf. Die Meeresgöttin wandte sich wieder an ihren Sohn, zauberte eine Kette hervor und hängte ihrem Kind die Muschel um den Hals.
„Sobald du an der Oberfläche bist, bekommst du Beine wie ein Mensch. Pass aber auf! Verlierst du die Kette, bekommst du deine Flosse zurück. An Land kann ich dir dann nicht helfen. In der Muschel ist meine Energie, die in allen Meeren der Welt enthalten ist.“, erklärte sie ihm und küsste ihn auf die Stirn.
„Ich hoffe, du findest da oben dein Glück.“, flüsterte sie ihm noch zu.
Hitode strahlte seine Mutter an. Er bedankte sich überschwänglich, fiel ihr förmlich um den Hals und drückte sich an ihre Gestalt. Dann löste er sich von ihr und schwamm eilig aus der Höhle.
Die Göttin sah ihm hinterher. Wehmut erfüllte sie.
„Mein geliebtes Kind, was da oben wohl alles auf dich wartet? Ich hoffe, du lernst schnell und begegnest einem lieben Menschen, der dir hilft. Bald wirst du lernen, das Glück und Leid nah beieinander liegen. Aber hier unten werde ich immer auf dich warten und dich jederzeit wieder empfangen.“, gab sie von sich und sah dann wieder in die Blase, wo sich gerade ein Mitglied des Ältestenrates mit seiner Menschenfrau in die Wiese setzte und sie sich einander verliebte Blicke zuwarfen.