Blutige Leoparden - Angelika Friedemann - E-Book

Blutige Leoparden E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Ein Roman über Freundschaft, Liebe und Vergebung unter der Sonne Tansanias. Martinas Chef beordert sie zu einer Konferenz nach Dar es Salaam. Spontan beantragt sie zwei Wochen Urlaub und begibt sich auf die Suche nach ihrem Erzeuger, nicht ahnend, dass sich dadurch ihr gesamtes Leben verändern wird. Sonne, Palmen und Strand, so hatte Martina sich ihren Aufenthalt dort vorgestellt. Stattdessen landet sie mitten in der Wildnis von Tansania, wo ihr komplettes Weltbild auf den Kopf gestellt wird. Am liebsten würde sie sofort zurückfliegen. Doch dann trifft sie auf den Tierarzt Brian. Der unnahbare Mann kann mit Martina nichts anfangen, aber trotzdem er übt eine große Faszination auf sie aus. Um ihn eifersüchtig zu machen, lässt sie sich mit jedem Mann ein. Interessiert ihn nicht, was sie auf Rache sinnen läßt. Sie erzählt ihrem Stiefbruder und Schwager, wo sie Leoparden und Nashörner umsiedeln. Sie bekommt ihre Rache und dazu viel Geld. Bei der Aktion sterben viele Ranger und alle nimmt man schnell fest, steckt sie ins Gefängnis. Auch Martina. Erst ein Ranger einer Wildlife Division und kleine Leopardenkinder verursachen einen Wandel bei ihr.

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Worterklärungen

Angelika Friedemann

Blutige Leoparden

Iyiolo eninjuaa kake miyiolo enilo.

Wir wissen, woher wir kommen,

aber wir wissen nicht, wohin wir gehen.

1

Martina Fischer stürmte in das Haus ihrer Eltern. „Mama, Papa, wo seid ihr?“, rief sie laut, bevor sie die Haustür schloss.

„Was ist passiert?“, kam ihre Mutter in den Flur gelaufen, während ihr Vater langsamer, noch kauend folgte.

„Ach, stellt euch vor, ich fliege nächste Woche nach Dar es Salaam zur Konferenz“, jubelte sie, gab den Eltern einen Kuss auf die Wange. „Ich habe es heute erfahren, dass es am Montagmorgen losgeht. Ach, es ist toll. Die tansanische Hauptstadt soll ja sogar etwas westlich sein.“

„Deswegen wird unser Essen kalt?“, brummte ihr Vater, ging zurück in das Esszimmer. „Ich denke, du fliegst nach Dar es Salaam?“

Sie blickte ihren Vater nicht verstehend an.

„Es heißt Republic of Tanzania und die Hauptstadt ist Dodoma, nicht Dar es Salaam. Was für eine Konferenz?“

„Brummbär“, lachte Martina, folgte den Eltern. „Klimaschutzkonferenz.“

„Möchtest du mitessen?“, erkundigte sich Helene.

„Nein, ich fahre gleich wieder, da Ralf um acht Uhr kommt. Er hatte heute mal wieder länger Dienst“, seufzte sie. Für sie ein ständiges Ärgernis, da er als Arzt permanent länger im Krankenhaus beschäftigt war. Von dem Streit, den sie am Wochenende hatten, sagte sie nichts. Sie würde ihn, so wie immer, schon wieder rum bekommen.

„Kochst du nicht?“

„Och Mama, er kann ja tagsüber dort etwas essen. Abends zu kochen, dazu habe ich nun wirklich keine Lust. Stellt euch vor, ich fliege auf Kosten der Redaktion nach Dar es Salaam“, lenkte sie rasch ab. Kochen? Welche emanzipierte, berufstätige Frau kochte, erledigte all den anderen Kram? Ihre Eltern lebten in der Beziehung noch im Mittelalter und Diskussionen mit ihnen ging sie generell geschickt aus dem Weg.

„Was ist daran so Besonderes?“

„Papa, Tansania live und in Farbe zu sehen, die Serengeti, Maasai Mara, die Victoriafälle und all die Tiere“, sprudelte sie euphorisch heraus. „Gigantisch!“

„Kennst du von Südafrika. Elefanten sehen überall gleich aus.“ Er tupfte den Mund ab, bevor er zu dem Weinglas griff, trank. „Die Maasai Mara liegt übrigens in Kenia, nicht, dass du die dort suchst“, stellte er das Glas zurück. „Zu den Victoriafällen hingegen musst du nach Zimbabwe reisen. Ich denke, du wohnst einer Konferenz bei?“

Sie überhörte seine Nörgelei. „Es ist für mich ein Sprung nach vorn, da man mich auserwählt hat, über diese Konferenz zu berichten.“

„Wie kann man so eine Berichterstattung jemanden übergeben, der keinerlei Interesse am Klima- oder Umweltschutz hat, der nicht einmal weiß, wie die Hauptstadt von Tansania heißt, wo die Victoriafälle oder die Maasai Mara liegen?“, fragte Reinhard seine Tochter.

„Ich soll darüber berichten, nicht mich engagieren. Es zeigt, wie gut ich bin.“

„Einbildung ist auch eine Bildung. Das niederschreiben, was andere Leute äußern, kann jedes 12-jährige Kind.“

„Papa, du bist gemein“, empörte sie sich, regte die Stupsnase ein wenig höher.

„Ich sage die Wahrheit, hole dich auf den Boden der Tatsachen zurück. Du träumst dir einmal mehr etwas zurecht. Bist du zurück, kommst du heulend angerannt, weil du noch die gleiche unbedeutende Journalistin wie vorher bist. Irgendwann müsstest selbst du einsehen, begreifen, dass du für die große Karriere ungeeignet bist.“

Sie stand auf. „Du verdirbst mir heute nicht meine gute Laune.“

„Möchte ich auch nicht, sondern nur, dass du nicht kontinuierlich in jeden Menschen, jede Situation, etwas hineininterpretierst, wie es dir in den Kram passt. Die Wahrheit verdrängst du ständig, magst sie nie hören. Trotzdem viel Spaß in Tansania.“

„Ich komme am Wochenende kurz vorbei.“ Dass sie Geld benötigte, sagte sie heute besser nicht.

„Deine Mutter und ich fliegen am Freitagnachmittag für eine Woche zu deinem Bruder nach New York, bevor mein neues Projekt beginnt.“

„Ihr habt es gut. Ich habe erst im Sommer wieder Urlaub.“

„Deswegen ja Afrika. Soviel ich weiß, fand die Klimaschutzkonferenz im November in Warschau statt.“

„Na ja, so etwas Ähnliches eben. Och Papa, du bist immer so penibel. Ich muss. Viel Spaß in New York und grüßt Lutz.“

„Seine Frau nicht?“

„Meinetwegen“, erwiderte sie mit herabgezogenen Mundwinkeln. Sie konnte diese blöde Kuh nicht leiden. Rasch gab sie ihnen ein Küsschen und fuhr nach Hause. Sie wollte sich für Ralf hübsch machen und ihren Aufstieg mit fiel Schampus und Sex feiern.

Sie fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben, sah, kaum dass sie diesen verlassen hatte, einen Karton, mehrere Plastiktüten, ihre zwei Reisetaschen vor der Tür stehen. „Verdammt, was soll das?“, meckerte sie lautstark, steckte den Schlüssel ins Schloss, nur der passte nicht. Erst nach einigen Versuchen begriff sie, Ralf hatte das Schloss zu seiner Wohnung ausgetauscht. Das konnte der doch nicht machen?

Sie klingelte Sturm. In ihr wütete es.

Ralf öffnete. „Spinnst du“, tobte sie sofort los, wollte ihn beiseite schubsen. „Was …“

„Verschwinde und belästige mich nicht. Ich habe dir drei Wochen Zeit gegeben, deinen Mist zu packen, aber wie immer, warst du zu faul dazu. Habe ich bis Montag nicht mein Geld, zeige ich dich wegen Diebstahl und Datenmissbrauch an. Tschüss!“, knallte er die Tür zu.

Sie klingelte, hämmerte gegen die Tür, wütete im Flur herum, bis eine Nachbarin die Tür öffnete. „Frau Fischer, geht es nicht etwas leiser? Wir haben Gäste und möchten uns in Ruhe unterhalten. Räumen Sie lieber Ihre Sachen aus dem Treppenhaus“, schloss diese die Tür.

„Blöde Kuh!“, tobte sie. „Ralf, mach auf und wir reden“, versuchte sie nochmals ihr Glück. Vergebens!

Und jetzt? Sie stellte die Kisten und Taschen in den Aufzug, danach schaffte sie alles zu ihrem Wagen, fluchte dabei. Wenigstens einladen hätte er ihr helfen können.

Sie fuhr zu ihrem Bruder. Der musste sie bis zum Wochenende aufnehmen.

Malte Fischer öffnete. „Was willst du? Ich habe kein Geld und keine Zeit“, kanzelte er sie ab.

„Malte, ich muss für einige Tage bei dir wohnen. Ralf hat mich rausgeworfen, weil der spinnt.“

„Fahr zu den Eltern oder sonst wo hin. Bei mir geht es nicht.“

„Komm, stell dich nicht so an. Ich wohne bis zum Wochenende hier und basta“, wollte sie sich an ihm vorbei drängeln. „Du kannst meine Sachen hochholen.“

„Verschwinde, du eingebildete Kuh! Meine Freundin und ich wollen unsere Ruhe und nicht dein blödes Gelaber hören. Ich bekomme noch 2 000 Euro von dir. Hast du die dabei?“

„Mensch, du kriegst das Geld schon. Komm, lass mich rein. Bei dir riecht es gut.“

„Karin ist auch nicht zu faul zum Kochen, so wie du. Tschüss!“, flog auch hier die Tür zu.

„Mist! Mist! Mist!“, stampfte sie mit dem Fuß auf. Nun kullerten die Tränen. Sie eilte die Treppe hinunter. Jetzt musste sie doch zu den Eltern. Das Gemecker hörte sie jetzt schon.

Sie irrte, da es nur wenige klare Ansagen von den Eltern gab, da sie einen ruhigen Abend genießen wollten. Als sie nach Essen fragte, äußerte ihre Mutter nur, darum müsse sie sich allein kümmern. Bei ihnen gebe es nichts. Nicht einmal Schampus bekam sie, zur Feier des Tages. Nichts und die Sachen musste sie auch allein nach oben, in ihr altes Jugendzimmer, schleppen.

2

Am Flughafen schimpfte sie vor sich hin, als sie die Rechnung für ihr Mehrgepäck vorgelegt bekam. Nur wegen einiger Klamotten forderte man gleich eine horrende Summe. Egal, was sie vortrug, die Frau blieb dabei: Entweder Geld oder zwei ihrer Koffer mussten hierbleiben. Dazu hatte sie noch 1.500 Euro dazu zahlen müssen, weil ihr Arbeitgeber nur einen Flug in der Economy Klasse bezahlte. Ihr Konto war wieder einmal bis zur Dispo-Grenze überzogen und vor ihr lagen zwei Wochen Urlaub, die sie kurzfristig beantragt hatte. Ihre Eltern mussten, sobald sie zurückkamen, sofort Geld darauf überweisen, sonst bekam sie unterwegs Ärger. Es wurde wirklich Zeit, dass man sie beförderte, damit sie mehr Geld verdiente. Sie durfte gar nicht daran denken, dass sie demnächst Miete für eine eigene Wohnung zahlen musste. Nur bei den Eltern auf Dauer wohnen, hatte ihr Vater gleich kategorisch abgelehnt. Maximal vier Wochen, danach sei Schluss. Sie seien kein Hotel Mama. Sie müsse endlich lernen, auf eigenen Füßen zu stehen und nicht nur das Geld für Klamotten zum Fenster hinauszuwerfen. Wie immer die übliche Leier. Er begriff nicht, dass sie stets adrett, perfekt gestylt erscheinen musste. Ihre Mutter hatte ihr sogar gesagt, sie wasche nicht ihre Wäsche, da sie auch so genug Arbeit hätte. Dabei hatte ihre Praxis mittags geschlossen und nachmittags nur an drei Tagen in der Woche auf. Sie hingegen hatte einen 9-stündigen Arbeitstag, der mehr als stressig war.

Erst als sie in Amsterdam in dem Flieger nach Dar es Salaam saß, holte sie das Tagebuch ihrer Mutter hervor. Sie hoffte, ihre Mutter würde den Diebstahl nicht bemerkten, auch nicht, dass sie einige Schmuckstücke ausgeliehen hatte, neben dem Geld aus der Praxis, welches da immer für Notfälle lagerte.

Sie schnallte sich ab, bestellte ein Glas Sekt und begann zu lesen. Die ersten Seiten eher langweilig, da sie nur von der Uni und dem beginnenden Studium handelten.

Martina hasste alles, was mit Medizin zu tun hatte. Es stank, man hatte nur mit Kranken, Alten zu tun, die jammerten und wehklagten. Fürchterlich. Für sie unbegreiflich, wie jemand Arzt werden konnte. Selbst ihre beiden Brüder eiferten da der Mutter nach. Lutz war Chirurg, der wegen dieser Kuh in New York geblieben war. Malte studierte noch, wollte Hautarzt wie ihre Mutter werden, daneben die Doktorwürde, wie sie und der ältere Bruder erwerben. Das alles dauerte Jahre, in denen sie kaum Geld verdienten. Sie schüttelte unbewusst den Kopf. Unverständlich für sie. Wenigstens ihr jüngster Bruder, Philip entschied sich für Architektur. Er würde nächstes Jahr in das Büro ihres Vaters einsteigen, es später übernehmen.

Schließlich las sie das, was sie real interessierte: Ihr leiblicher Vater tauchte im Leben ihrer Mutter auf. Georg. Er war damals 29 Jahre alt, Student, Biologie. Sie rechnete - 62 heute. Nach Liebe auf den ersten Blick hörte sich das allerdings nicht an, stellte sie enttäuscht fest. In ihrer Vorstellung war es immer so passiert: Ihre Mutter hatte den Vater gesehen und der Blitz schlug bei beiden sofort ein. Aus dieser großen Liebe war sie entstanden.

Nun las sie, wie dusselig und dekadent ihre Mutter den Mann fand. Sie schrieb: “Ich möchte mal wissen, auf was sich dieser eingebildete Döskopp etwas einbildet? Er sieht weder gut aus, noch hat er sonst etwas an sich, was irgendwie interessant wirkte. Selbst im Studium hängt er sechs Semester hinterher. Bräsiger Fischkopp!!!!!“ Wirklich mit fünf Ausrufezeichen.

Sie blickte aus dem Fenster, sah ihren leiblichen Vater vor sich, so wie sie sich ihn immer vorgestellt hatte: Groß, sonnengebräunt, schlank, muskulös mit Waschbrettbauch. Er hatte ihre blauen Augen, ihre braunen Haare, ihr gutes Aussehen, dazu war er sehr intelligent, redegewandt, besaß Charme, natürlich Sex-Appeal. Eben ein weißer Afrikaner. Die waren alle stinkreich, oftmals stammten sie aus alten Adelsfamilien. Sie hatten Deutschland verlassen, um in Afrika den Menschen etwas beizubringen, Aufklärungsarbeit zu leisten. Dort waren sie zu noch mehr Reichtum gekommen. Sie bestellte noch ein Glas Sekt.

Seitenlang erwähnte ihre Mutter ihn gar nicht, schrieb über das Studium, ihre zig Freundinnen, die Eltern, Großeltern. Langweilig! Alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Erst ein halbes Jahr danach erwähnte sie ihren Vater erneut. Sie hatte ihn auf einer Fete zufällig mit einer Freundin getroffen. “Wie kann sich Vera mit so einem drögen, dumpen Dösbaddel einlassen? Mit diesem dusseligen Fischkopp habe ich kein Wort gewechselt“, dafür schilderte sie Reinhard, hob ihn förmlich in den Himmel. Ihr Vater war vorher mit Vera, ausgerechnet diesem Karriereweib, liiert gewesen?

Tage danach schrieb sie: “Reinhard hat mich heute gefragt, ob wir nicht mal einen Kaffee zusammen trinken gehen. Er ist der tollste Mann, den ich jemals getroffen habe. Er ist ein Traummann. Charmant, intelligent, rücksichtsvoll, kein Aufschneider, sondern fällt durch seine ruhige Art auf. Er sieht dazu einfach süß aus, obwohl er ein bisschen zu groß für mich ist. Helene - du träumst!!!“

Merkwürdig, wieso dann doch Georg? Die Antwort fand sie viele Seiten hinterher und sie war entsetzt. Nein, das konnte nicht sein, dachte sie dabei. Sie benötigte noch ein Glas Sekt.

“Ich hätte nie zu dieser Geburtstagsfeier von Vera gehen sollen. Warum nur ließ ich mich von Erika dazu überreden? Hätte ich nicht solche Angst vor der Polizei und den Vernehmungen, würde ich diesen Mistkerl anzeigen. Er hat mir das genommen, was ich für meinen Mann aufheben wollte. Es war so grausam, brutal, ekelhaft, aber mein Flehen, meine Tränen interessierten diesen Perversen nicht. Der lachte nur darüber. Als ich schrie, hielt er mir den Mund zu.“

Zwei Tage nachfolgend schrieb sie: “Ich darf Reinhard nicht mehr sehen. Ich schäme mich so. Mein ganzes Leben ist verpfuscht, durch diesen Kerl. Ich hasse ihn!!!!!!“

Wochen später. “Heute erzählte ich alles Mama und Papa. Ich konnte nicht anders. Ihnen war aufgefallen, wie anders ich seit dieser Vergewaltigung bin. Papa nahm mich in den Arm, sagte nichts und das hat mir mehr geholfen, als alles andere. Kein Mitleid - keine Vorwürfe. Nur ihre Liebe war spürbar. Sie verstanden beide, warum ich nicht zur Polizei gegangen bin.“

Abermals Wochen darauf: “Ich bin schwanger. Nicht nur, dass ein Kerl mich vergewaltigte, nein, nun bekomme ich von dem auch noch ein Kind. Das Kind eines Vergewaltigers, eines widerlichen Verbrechers, der sich einbildet, er darf alles. Ich habe es ihm nachmittags gesagt, ihm zweimal ins Gesicht geschlagen und vor ihm ausgespuckt. Alle schauten mich perplex an. Dieser bornierte, hässliche Affe hat mich vergewaltigt, habe ich geschrien. Ein Kerl, der so beweisen musste, er ist ein Mann. Danach bin ich hinausgelaufen.“

Eine Woche später: “Ich ahnte nicht, dass Rainer an dem Tag in der Uni war und das hörte. Er und drei weitere Kommilitonen verpassten diesem Verbrecher eine richtige Abreibung, wie mir Vera heulend erzählte. Der Winter verschwand ganz fix nach Tansania, da sie ihn sonst eingesperrt hätten. Ich hoffe, ich sehe ihn niiiee wieder!!!!!!“

Noch ein Glas Sekt.

“Er ist weg, hat Vera sitzen gelassen. Sie ist ebenfalls von dem Kerl schwanger. Sie lässt jetzt das Studium sausen. Ich nicht!!! Mama versprach mir, sie wird sich um das Lütte kümmern. Es könnte ja nichts dafür. Ich kann mich kein bisschen mit dem Gedanken anfreunden, das Kind dieses Verbrechers ständig zu sehen. Vielleicht habe ich eine Fehlgeburt, hoffe ich permanent. Deswegen renne ich viel, springe über alles, was ich finde. Ich möchte Ärztin werden, einen Mann heiraten, den ich liebe und von ihm zwei Kinder bekommen. Allein der Gedanke, es ständig zu sehen, daran erinnert zu werden, und mir wird schlecht. Vielleicht hat es sogar die Gene seines Vaters: Arrogant, dekadent, ein Angeber, Lügner, ein hässlicher, dumper Vergewaltiger, der Geld benötigt, um wer zu sein. Ich will dieses Kind nicht!!!“

Martina stiegen Tränen in die Augen. Sie war also nur das ungeliebte Kind. Sie klappte das Buch zu, legte es in die Handtasche zurück, schloss die Augen und dachte über das Gelesene nach.

Wollte sie diesen Mann wirklich kennenlernen? JA! Ihre Mutter hatte sich das alles nur eingeredet, weil sie so die Affäre vertuschen wollte. So war es, wusste sie plötzlich. Reinhard, spießig, wollte eine unberührte Frau, keine die durch alle Betten gehüpft war. Nur deswegen so ein Mist. Hatte sie vermutlich Angst, sie kriegte keinen Kerl mehr ab. Wer war mit 21 noch Jungfrau?

Sie dachte an ihre Eltern. Waren sie deswegen so streng, teilweise gemein zu ihr, weil sie nie jemand wollte? Kritisierte man deswegen alles an ihr? Wurden deswegen ihre Brüder, nein, sie waren nur ihre Halbbrüder so anders wie sie behandelt? Sie hatte man gewollt, geliebt. Das erklärte aber, warum Philip, Lutz und Malte so völlig anders als sie waren, und zwar in jeglicher Situation. Die Brüder hatten generell in allen Dingen mehr Glück als sie. Lutz war bereit ein angesehener Chirurg, hatte die reiche Kuh geheiratet, die ebenfalls Ärztin war. Sie besaßen eine Penthouse-Wohnung in New York, konnten sich vermutlich alles leisten, was sie sahen und wollten.

Malte war ebenfalls auf dem Weg, Arzt zu werden. Er würde in wenigen Jahren die Praxis ihrer Mutter übernehmen, bekam alles, auf dem Silbertablett serviert. Seine blöde Ziege, mit der er seit 2 Jahren zusammenwohnte, verdiente als Innenarchitektin gewiss reichlich Geld. Die fuhr sogar ein nagelneues Auto.

Philip, der Jüngste, würde bald in das Architektenbüro seines Vaters einsteigen. Auch er war bereits seit über einem Jahr fest liiert. Sie studierte ebenfalls Architektur. Eine dusselige Ziege, die sich einbildete, alles zu können. Wie sie immer angab, wenn sie nach Hamburg kamen.

Sie besaß dagegen nichts, nicht einmal eine eigene Wohnung. Sie musste jeden Cent dreimal umdrehen, damit sie einigermaßen über die Runde kam, fuhr nur eine alte Karre. Ralf, der gemeine Typ, besaß noch die Frechheit, sie kurzerhand aus der Wohnung zu werfen. Der blöde Kerl hatte eine Putze, eine Köchin gesucht, und als sie das nicht erledigte, machte der Trottel Schluss. Dass sie ebenfalls viel arbeitete, wollte der nie wahrhaben. Was war so schlimm, wenn er was in der Kantine aß? Warum also Geld für Kochen zum Fenster rauswerfen? Der meckerte sogar, nur weil sie sich zuweilen an seinem Geld bediente, weil sie pleite war. Der verdiente doch viel mehr als sie und in einer Partnerschaft half man eben dem Partner, teilte alles. Es war sooo ungerecht. Sie war stets die Benachteiligte, aber nun wusste sie, warum. Man wollte sie nie. Nun trank sie einen doppelten Cognac, empört, aber besonders - erschüttert. Nicht einmal der hohe Preis und der Hinweis, es gebe für sie keinen weiteren Alkohol, regte sie auf.

Der Airport von Dar es Salaam kam in Sicht. Sie schaute hinaus, sah die Metropole kurz unter sich. Das sah ja alles moderner aus, als sie es sich vorgestellt hatte. Hier gab es sogar Bäume, wunderte sie sich. Sie erkannte das Mafuta House, den Mkapa Pension Tower und wie sie alle hießen. Die meistens Namen hatte sie schon wieder vergessen. Die Skyline war toll. Na ja, jedenfalls für ein primitives Entwicklungsland.

Beim Verlassen des Flugzeuges empfing sie die warme und feuchte Luft der tansanischen Großstadt. Sie fühlte, wie sich ihre leicht schmerzenden Glieder entspannten. Sie dehnte sich etwas. Der lange Flug hatte doch seine Spuren bei ihr hinterlassen. Bei der ersten Passkontrolle stand sie wartend in einer langen Schlange. Nur ein einziger Beamter saß am Schalter und dieser sah nun wirklich nicht gestresst aus. Kein Wunder, so gemächlich, wie der arbeitete. Er studiert die Einreiseformulare, blätterte in den Reisepässen, als hätte er noch nie so schöne Exemplare gesehen. Dann drückt er sorgfältig einen Stempel hinein, schenkt jedem Touristen ein erstes afrikanisches Lächeln und rollt seine großen runden Augen. Verdammt, warum dauerte das so lange? Hatten die nicht mehr Leute? Ob der Schwarze überhaupt lesen konnte oder warum dauerte das ewig, wütete es in ihr. Die Füße in den hochhackigen neuen Pumps brannten. Der Rock des Kostümes kniff in der Taille und die Bluse unter der Jacke schien durchnässt zu sein. Das lag nur daran, dass sie keine Klimaanlagen wie in Hamburg kannten, wo es generell wesentlich kühler war. Während sie wartete, musterte sie die Menschen. Viele Schwarze: Wenige Männer im Anzug, die meisten mit kurzärmeligem Hemd aber Krawatte. Frauen in bunten Sommerkleidern. Einige Araber, dazu Touristen. Auch sie nur in sommerlicher, leichter Kleidung. Niemand trug einen Wintermantel über den Arm, so wie sie. Erst jetzt fiel ihr in der Halle das große Begrüßungsschild auf: Jambo Jamhuri ya Muungano wa Tanzania. Nicht mal Englisch konnten sie.

Endlich war sie an der Reihe. Der Mann lächelte breit, dass man seine weißen Zähne sah, begrüßte sie mit „Hallo!“ Martina reichte ihm das Gewünschte, schaute ihn dabei nur herablassend an. „Das dauerte ja hier Stunden“, murmelte sie auf Deutsch. Es dauerte nochmals stundenlang, wie sie sich mehrfach empörte, bis er ihren Pass, die Papiere studiert hatte und sie den Stempel in den Pass bekam, den sie ihm fast förmlich aus der Hand riss und nun nach Orientierung suchend, die Schilder musterte. Sie hörte eine Frau lästern: „Diese Deutsche ist nicht nur dekadent auch strohdumm. Peinlich solche Proleten.“ Einige Leute lachten, starrten sie an. Sie ignorierte das, hatte andere Sorgen. Hoffentlich hatten die hier nicht ihre Koffer verschlampt? Sie fand die Koffer und stand nun damit herum, da sie vergessen hatte, einen Wagen zu holen. Sie ging nochmals weg, holte das fahrbare Gefährt, hievte die drei Koffer darauf und passierte den Zoll. Sofort wurde sie aufgehalten. Erst der Pass, die Papiere, danach Kontrolle der Koffer. Der Mann und eine Frau unterhielten sich dabei in einer Sprache, die sie nicht verstand. Sie musste den ersten Koffer öffnen und er wühlte darin herum, während die Schwarze in ihre Handtasche schaute. Es folgten Koffer zwei, drei. Der Nigger schüttelte immer wieder den Kopf und die Frau erklärte ihr, es herrschten derzeit Temperaturen über 30 Grad. Arrogant blickte sie weg. Musste sie sich von einer Schwarzen dumm anreden lassen?

Nach fast einer Stunde durfte sie gehen. Diese Schwarze wünschte ihr sogar noch einen schönen Aufenthalt in Tansania. Sie ersparte sich eine harsche Erwiderung. Sie schob den Wagen durch die Halle, da es anscheinend keine Gepäckträger oder so gab. Die Läden ignorierte sie, da sie hier gewiss nur diesen Touristenkitsch an den Mann bringen wollten.

Die Luft, die ihr draußen entgegen strömte, konnte fremdartiger gar nicht sein: Es roch süßlich, nach exotischen Pflanzen. Einen Moment war sie überwältigt, fühlte den Duft fast zu penetrant, dann jedoch roch sie Kerosin, Autoabgase. Na, von einem Zauber von Afrika war man hier aber weit entfernt. Es war nur heiß, stickig. Dar es Salaam International Airport sah ja ganz nett aus, aber eben auch etwas dürftig, mit diesem komischen weißen Dach oder was das sein sollte. Simpel, wie anscheinend alles hier.

Sie ging zu einem Taxi, das sehr gut erhalten aussah. Der Fahrer, der mit einem anderen Mann gesprochen hatte, schlenderte gemächlich näher. „Jambo to Tanzania“, lächelte er freundlich.

„Laden Sie mein Gepäck ein. Ich will endlich in mein Hotel“, erwiderte sie unfreundlich, riss die Tür auf und setzte sich hinein. Auch das schien ewig zu dauern, weil die Kerle quatschten, lachten.

Endlich stieg er ein und sie nannte ihm die Adresse. Sie schloss die Augen, war müde. Sie wollte nur ein langes Bad, ein schönes Essen und dazu ein Glas Wein. Danach schlafen. Sie musste morgen fit sein. Man hätte ihr auch ruhig den Flug einen Tag früher buchen können, aber da waren sie sparsam. Hin, zwei Tage Arbeit, sofort zurück. Es gab nur ein begrenztes Budget, aber sie hatte ja Geld und daher war ihr das egal. Die endgültige Abrechnung würde sie nach ihrem Urlaub abgeben müssen. Die paar Euro, welche man ihr vorher zur Verfügung gestellt hatte, waren bereits in Hamburg für Kosmetika sowie ein Businesskostüm weg gewesen. Die vierspurige Straße war verstopft und die Fahrt dauerte eine weitere Ewigkeit. Sie warf nur selten einen kurzen Blick hinaus. Diese vielen scheußlichen Autos, alten Karren stanken. Man sah eben, wo man war. Ein Entwicklungsland – arm und erbärmlich.

Die nächste eher unangenehme Überraschung erlebte sie, als der Mann hielt, ihr die Rechnung präsentierte. 10.000 Shilingi forderte der Betrüger. Sie tobte, wütete, beschimpfte den Mann, bis eine Frau aus dem kleinen Hotel kam, fragte, was los sei.

„Der schwarze Affe will mich bescheißen“, keifte sie auf Deutsch.

„Warum? Was verlangt er?“, erkundigte sie sich ruhig in Deutsch, aber das war für Martina selbstverständlich, dass jemand Deutsch sprach.

„8 500 von dem komischen Geld für eine kleine Fahrt vom Flughafen bis hier her. Rufen Sie die Polizei, damit man den Verbrecher festnimmt.“

„Das sind umgerechnet knapp vier Euro. Ein guter Preis für die lange Strecke“, erwiderte sie leicht lächelnd. „Wenn Ihnen das zu viel Geld ist, hätten Sie mit einem Daladala, diesen privaten Kleinbussen fahren müssen. Die bieten eine gute und günstige Möglichkeit, um ans Ziel zu kommen.“

Martina starrte die Frau sekundenlang perplex an. Sie gab ihm das Geld, wartete. Nur er blieb im Wagen sitzen, rauchte gemütlich eine Zigarette. „Ihr Gepäck müssen Sie allein herausholen“, klärte die Frau sie auf, als sie trampelnd hin und her lief.

„Haben Sie keinen Boy?“

„Hapana, haben wir nicht. Die eine Tasche für zwei Nächte wird nun nicht so schwer sein. Auch hier beleidigt man nicht wahllos Menschen“, drehte sie sich um und ging in das kleine weiße Haus zurück.

„Dämliche Ziege“, murmelte Martina, hievte die Gepäckstücke heraus und er fuhr weg. Sie nahm zwei Koffer, zog sie schwitzend zum Eingang, stellte sie an der Seite ab, legte den dicken Wollmantel darüber, holte den anderen, den sie tragen musste, da es noch ein älteres Modell von ihren Eltern war. Sie blickte sich schwer atmend kurz in dem Eingangsbereich um. Helle Fliesen zierten den Boden. Zig große Palmen standen herum, dazu erblickte sie drei gemütliche Sitzecken. Etwas entfernter der Holztresen der Rezeption, wie sie vermutete.

Die Frau musterte die Koffer. „Sie bekommen Zimmer Nummer drei“, reichte sie ihr den Schlüssel. „Die Zimmer sind alle im ersten Stock. Dort die Treppe hinauf, dann rechts. Ein wenig viel Gepäck“, stellte sie fest. „Morgens ab 7.00 Uhr gibt es hier links Frühstück. Einen angenehmen Aufenthalt“, wünschte sie und ging davon.

„Blöde Kuh!“ Kurz blickte sie sich um. Es sah alles irgendwie primitiv aus. Gab es hier keine anständigen Hotels?

Sie nahm zwei Koffer und nun ging es die Treppe hinauf. Keuchend musste sie einen Moment innehalten, bevor sie Nummer drei suchte. Sie schloss auf und guckte entsetzt in den Raum. Ein Bett, Schrank, eine Sitzecke, eine Kommode mit Fernseher, Telefon. Das war alles. Nein, das war kein Hotelzimmer, sondern eine Folterkammer, passend für Mike, den Loser. Den 29-jährigen Mann konnte sie nicht leiden, da er immer alle interessanten Reportagen bekam, sogar schon mehrmals im Fernsehen war. Nun ging er weg, wechselte ganz zu einem Nachrichtensender, durfte überall in der Welt herumreisen. Dass der krank geworden war, hatte sie so richtig gefreut.

Sie drehte sich um, nun Koffer wieder hinunter und nichts wie raus. Neben ihren Koffern stehend, wartete sie auf ein Taxi. Sie war inzwischen den Tränen nahe.

„Kann ich Ihnen helfen?“, sprach sie zehn Minuten später ein Mann an.

„Ich warte auf ein Taxi“, radebrechte sie in Englisch.

„Da stehen Sie in fünf Stunden noch hier“, grinste der Kerl dümmlich. „Warum bestellten Sie keins drinnen?“

„Weil da niemand war“, erwiderte sie patzig.

„Ich gehe zu Miss Snash und lasse Ihnen eins rufen.“

„Hi, Peter! Du warst so schnell verschwunden? Die Würdenträger sind eingetroffen“, rief ein weiterer Mann in Deutsch.

„Ich weiß! Habe einige Fotos geschossen. Sie sind nicht in Plauderlaune, vertrösten einen auf morgen“, antwortete nun auch er in Deutsch.

„Haben wir Zeit. Gehen wir was trinken?“

„Erst ein Taxi rufen. Sie wartet, dass hier eins vorbeikommt.“

„Lass sie warten. Siedelt sie um?“, deutete er auf die vielen Gepäckstücke.

„Keine Ahnung! Sieht so aus, als wenn es zum Nordpol gehe. Dicker Wintermantel. Ich gehe schnell zu Helga, damit sie hier wegkommt. Sie versperrt mit dem Gerümpel den ganzen Gehweg.“

„Das ist kein Gerümpel“, empörte sie sich.

„Oh, noch eine Deutsche. Scheint irgendwo ein Nest zu sein“, eilte der Mann davon.

„Ziehen Sie um? Ist Ihnen in East Aafrica wohl zu warm? Und, wohin geht es?“, fragte nun der andere.

„Ich suche ein richtiges Hotel, keine Absteige.“

„Oh, oh! Informiert man sich, bevor man bucht. Sie haben auch die falsche Kleidung dabei“, deutete er auf den Wollmantel.

„Das hat meine Sekretärin erledigt.“

„Sicher, die Sekretärin!“, höhnte er. „Das ist keine Absteige, sondern ein sehr gutes, sauberes Drei-Sterne-Hotel.“

„Das Zimmer habe ich eben gesehen. Da ist ja mein Bad größer.“

„Man hält sich nur zum Schlafen dort auf und die Bäder sind in Ordnung. Alles eine Frage des Preises.“

„Richtige ordentliche Hotels gibt es aber, oder?“

„Sicher doch. Das Double Tree by Hilton Hotel Dar es Salaam - Oyster Bay zum Beispiel.“

„Gibt es da richtige Zimmer?“

„Haben Hotels so an sich.“

Der andere Mann kam heraus. „Kommt gleich. Sie sind also Journalistin vom Brunsbüttler Anzeiger? Für zwei Tage etwas viel Gepäck, oder? Sie hätten Miss Snash wenigstens Bescheid sagen können, dass Sie gehen. Nennt man Höflichkeit und gutes Benehmen.“

„Oh Mann, lass uns bloß gehen. Eine Spinnerin! Hat ihre Sekretärin erledigt“, höhnte der andere Mann lachend, schüttelte dabei mit dem Kopf.

„Die mbuzi regte sich über die vier Euro fürs Taxi auf, keifte herum. Angeberin!“

Sie gingen weg und wutschnaubend schaute sie ihnen nach. Das war wirklich nicht ihr Montag. Sie hasste den Tag generell, da es schon immer ein Pechtag war. Deswegen plante sie nie etwas für den Tag, blieb am liebsten daheim.

Endlich kam das Taxi. Der Mann stellte das Gepäck hinein und sie nannte ihm das Hotel. Abermals saß sie fast eine Stunde in dem Taxi, hielt die Augen geschlossen. Jetzt bekam sie auch noch Kopfschmerzen.

Anstandslos zahlte sie die 16 000 Shilingi, stieg aus, nickte dem Hotelboy kurz zu, der ihr Gepäck aus dem Wagen auslud. Sie eilte zur Rezeption. Ja, man hatte Zimmer frei, sogar welche mit Meerblick. Sie buchte für vorerst vier Nächte, dazu gleich einen großen Wagen für zwei Wochen. Sie seufzte, als sie die Koffer schnell auspackte. Die Arbeit ließ sie auch nie los. Alles musste sie allein erledigen.

Eine Stunde später schob sie die Koffer an die Seite, ließ sich auf die Couch fallen. Es reichte für heute. Sie bestellte sich ein voluminöses Essen, eine Flasche Wein und eine Flasche Schampus. Jetzt wollte sie nur noch entspannen. Sie setzte sich hinaus, genoss den Blick auf das Meer. Es sah wirklich hübsch aus, wenn man auch da überall sah, wo man war: in einem heruntergekommenen Entwicklungsland.

3

Am Mittwochmorgen frühstückte sie in Ruhe im Zimmer, das fantastisch war. Gestern hatte sie sich von den Strapazen bei zwei Flaschen Schampus ausgeruht, auf jegliche Interviews verzichtet. Heute nun begann der Stress. Um 14.00 Uhr gab es dort die Pressekonferenz, an der sie teilnehmen musste. Danach noch Interviews mit den Teilnehmern.

Sie suchte mehr Informationen zu dieser Tagung: Afrikanisch-Deutschen Kooperationsprojekten in der Infektiologie. Sie besaß null Ahnung, um was es sich wirklich dabei drehte. Außerdem musste sie die bekannten Persönlichkeiten herausfinden, die sie dazu befragen wollte.

Der Kampf gegen tödliche Infektionskrankheiten fordert die Forschung, las sie im Internet. Noch sind viele Fragen rund um Bakterien, Viren und Parasiten offen - und wirksame Medikamente fehlen. In der Afrika-Initiative der DFG gehen Teams aus afrikanischen und deutschen Wissenschaftlern diese Fragen an. Der DFG sind bei der Initiative die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den betroffenen Ländern und die Unterstützung beim Aufbau einheimischer Forschungskapazitäten ein zentrales Anliegen. Doch auch in anderen Kontexten fördert die DFG die Zusammenarbeit mit Afrika.

„Ach du Schande!“, stöhnte sie laut. Krankheiten? Davon hatte sie keine Ahnung. Verdammt! Warum hatte sie sich dafür sofort freiwillig gemeldet, behauptet, das hätte sie schon immer interessiert, sie verfolge die Fortschritte seit Jahren? Jetzt musste sie da durch, sonst war sie den Job los, da ihr Chef bereits im Vorfeld mit Kündigung gedroht hatte, weil sie nie brauchbare Artikel abliefere, das Wort Recherche nicht kannte. Dieser blöde Angeber wollte sich nur aufspielen, da sie stets sehr genau recherchierte. Selbst an einem Bericht, den sie aus dem Internet abgeschrieben hatte, mäkelte der herum, weil er ihn als unbrauchbar bezeichnete, da das alles veraltet sei, was sie dupliziert habe. Sie musste einen perfekten Artikel liefern. Vielleicht fand sie ja etwas zu den anderen Treffen, da konnte sie das abschreiben. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Sie wollte auch endlich ins Fernsehen, berühmt und reich werden. Nur alle legten ihr permanent, Steine in den Weg.

Kurz vor 14.00 Uhr verließ sie das Hotel. Das Essen hatte länger gedauert, als geplant, aber dafür war es köstlich gewesen. Sie stellte das Navigationsgerät ein, machte sich mit allem vertraut und fuhr los. Es war schon ungewöhnlich, dass dieser SUV das Lenkrad auf der falschen Seite hatte. Wenigstens musste sie nicht schalten, da es ein Automatikwagen war.

Das erste Desaster begann, da sie erst jetzt bemerkte, dass die Autos auf der falschen Seite, wie sie es nannte, fuhren. Sie fluchte vor sich hin. Die größere Hürde kam allerdings erst: Die nicht enden wollende Rushhour: Die Straßen waren alle überfüllt, verstopft. Eine rote Ampel schien niemand zu sehen oder die Schwarzen wussten nicht, was die bedeutete. Neben der Hupe schienen das Gebrüll und die rechte Hand, die aus dem Fenstern ragten, Gang und gebe zu sein. Waren hier anscheinend so etwas wie Verkehrszeichen. Genau mit diesen spezifischen Besonderheiten kam sie nicht klar, da es völlig ungewohnt für sie war. Sie tobte, war teilweise den Tränen nahe. Dazu kam dieser Lärm, der Gestank, der durch die Klimaanlage ins Innere drang. Immer wieder sah sie neben sich Männer in ihren teilweise verrotteten Karren toben, Gesten machen. Sie wusste nicht, was die Kerle von ihr wollten. Wenn die sie anbaggern wollten, würden die sich wundern. Überhaupt was hier für komische Karren unterwegs waren – eine Frechheit. Da fuhren Gefährte auf drei Reifen. Dass man diese Bajaj nannte und die eine Art Taxi mit ein bisschen mehr Power waren, wusste sie nicht. Auch die Bodaboda, die Motorradtaxi erhielten ihre Aufmerksamkeit, da sie an ihr vorbeirauschten, sie nicht im Stau stehen mussten. Man erreicht sein Ziel trotz Stau weitaus schneller als mit den übrigen Fortbewegungsmitteln. Die alten, stinkenden Lastwagen sollte man alle verbieten, fand sie.

Es war eine nervige Fahrt, da sie auch noch falsch abbog, nun eine Gelegenheit suchte, umzulenken. Dieses blöde Navigationsgerät zeigte aber auch alles verkehrt an, wusste sie.

Erst gegen 16.00 Uhr traf sie dort ein. Sie war von dem Verkehr völlig genervt. Noch ein Blick in den Innenspiegel, Lippenstift erneuern, bevor sie die Handtasche ergriff, langsam zu dem Gebäude tippelte, dabei darauf achtete, dass sie mit den spitzen Absätzen nicht in einer der Rillen der Platten hängen blieb. Männer und Frauen kamen heraus, unterhielten sich, lachten. Sie wollte gerade die Tür öffnen, als die beiden Kerle vom Vortag, gefolgt von drei weiteren Personen, heraustraten.

„Ach du Schande. Die Spinnerin von gestern“, äußerte der Mann.

„Ihre Sekretärin hat ihr einen falschen Termin genannt“, lästerte der andere Typ. „Ist nämlich alles beendet.“

„Eine Journalistin?“, fragte ein anderer Mann.

„Möchte sie sein, aber ihre Sekretärin macht alles falsch. Sie arbeitet beim Brunsbüttler Anzeiger.“

„Wo? Kenne ich nicht.“

„Silvia, eine kleine Zeitung für die Region. Nur sie hat eine Sekretärin, wir nicht. Gehen wir.“

„Dafür ist sie gekleidet, als wenn sie zum Empfang der Queen wollte“, lästerte ein Schwarzer.

„Nur drin latschen kann sie nicht. Mke mit High Heels haben normalerweise einen geilen Gang. Bei ihr sieht es nur lachhaft aus. Die absolute Comedy-Nummer.“

Lachend gingen die fünf Leute weiter und sie hastete hinein. Sie traf noch einige Leute an, fragte sich durch, aber die Veranstaltung war beendet. Ein älterer schwarzer Mann sagte ihr lächelnd: „Sie sind zu spät. Es sind bereits alle Teilnehmer gegangen.“

„Scheiße. Ist keiner der Leute mehr anwesend?“

„Nein, wie ich sagte. Die Podiumsdiskussion ist beendet. Verlassen Sie jetzt bitte das Gebäude.“

„Blöder schwarzer Affe, ich gehe selber nachsehen“, wollte sie weitergehen, da stellten sich ihr zwei Schwarze in den Weg.

„Schafft sie hinaus“, gab er grob Anweisung. „Von welcher Zeitung sind Sie, Miss?“

„Als wenn du die kennen würdest?“, blaffte sie den Mann an. „Dazu muss man schon lesen können.“

„Sehen wir nach, Professor Doktor Kebwe.“

„Tafadhali  na asante!“

Sie protestierte heftig. Nur als man ihr mitteilte, man könne sie auch in Polizeigewahrsam nehmen, gab sie klein bei, zeigte den Presseausweis.

„Ich werde persönlich Ihren Chef informieren, da hiermit Ihre Akkreditierung hinfällig ist. Sie können gehen, Miss Fischer.“

Vor Wut kochend eilte sie hinaus, setzte sich in den Wagen. Würde dieser schwarze Affe das wirklich machen? Wer war der? Sie fuhr ins Hotel zurück, wo sie zuerst ein Wellnessprogramm buchte. Sie musste entspannen.

Abends setzte sie sich an ihren Laptop, suchte mehrere Artikel über die Afrikanisch-Deutschen-

Kooperationsprojekte in der Infektiologie. Nun begann sie den Artikel zu verfassen. Diese Treffen hatten schon mehrmals an anderen Orten stattgefunden, daher fand sie da genug Stoff. Anschließend tippte sie zwei Interviews, die sie angeblich mit zwei führenden Professoren geführt hatte. Ob dieser schwarze Affe dabei war, wusste sie nicht, da die alle gleich aussahen, und den Namen hatte sie bereits vergessen. Alles schickte sie in die Redaktion.

Nun genoss sie den Abend mit einer Flasche Wein und einem üppigen Abendessen. Es war heute alles so anstrengend gewesen, aber sie hatte einmal mehr gezeigt, welch exzellente Arbeit sie leistete, es schaffte, auch aus miesen Situationen Informatives zu zaubern.

4

Morgens um kurz vor sieben Uhr weckte sie ihr Handy. Ihr Chef teilte ihr mit, sie sei fristlos entlassen. Sie würden nicht länger für ihren dortigen Aufenthalt zahlen, da man ihren Rückflug für heute bereits umgebucht hätte. Ihre angeblichen Befragungen, dazu der Artikel wären eine Unverschämtheit und könne als Betrug gewertet werden, tobte der Mann. Wie sie mit einem Toten sprechen konnte, fragte der sie noch breesig. Ihren persönlichen Kram, habe man bereits zu ihrer Adresse geschickt, die allerdings auch nur eine Lüge war. Die Zeitung habe sie bereits wegen vorsätzlichen Betruges zum Erschleichen von zusätzlichen Geldern angezeigt, daneben würde man sie auf Schadenersatz verklagen. Er legte auf, eher sie sich rechtfertigen konnte.

Das war ein Schock. Blödsinn! Sie würde ihm zeigen, wie gut sie war. Ohne Frühstück verließ sie eine Stunde später das Hotel, fuhr zum Tagungsgebäude. Dort jedoch ließ man sie nicht passieren. Sie wütete, tobte, aber vergebens.

Und nun? Verdammt, sie brauchte die Interviews, Fotos, etwas Großes, sonst war sie arbeitslos. In zwei Tagen kehrten ihre Eltern zurück. Erfuhren die davon, würde gerade ihr Vater sie auf die Straße setzen. Sie benötigte ihr Gehalt, eine feste Arbeitsstelle, sonst bekam sie keine Wohnung. Geld hatte sie auch keins mehr und ob die jetzt ihr Gehalt pünktlich überweisen würden, war fraglich. Von was sollte sie das alles Bezahlen? Sie hatte damit gerechnet, dass morgen ihr Gehalt auf dem Konto war.

Sie fuhr in das Hotel zurück, bestellte ein Frühstück auf ihr Zimmer. Sie hatte Hunger, konnte daher nicht richtig überlegen. Das Theater nur wegen so eines schwarzen Affen am Vortag.

Mittags versuchte sie nochmals ihr Glück, wurde jedoch abermals abgewiesen. Nun war sie wirklich deprimiert, setzte sich in den Wagen und weinte. Dieser blöde Schwarze hatte sie gestern überall streichen lassen.

Sie wartete, bis sich dort die Türen öffneten, holte schnell einige Bilder hervor, verglich die Männer mit den Fotos. Erkennen konnte sie niemand, dafür sah sie diese zwei unverschämten Kerle kommen. Sie rutschte schnell tiefer hinunter, damit man sie nicht sah. Erst nach einer Stunde fuhr sie zurück. Nun kam der Trotz. Na und? Sollte man sie entlassen. Sie würde schnell etwas Neues finden. Hatte sie eben einen Tag länger Urlaub. An der Rezeption bat sie, dass man ihr die Adresse und Telefonnummer von Georg Winter heraussuchte.

Den Freitag genoss sie mit Faulenzen, bei gutem reichhaltigem Essen und Wein. Am Samstag sagte sie Bescheid, dass sie morgen abreisen würde. Sie fuhr vormittags los, da sie einige Souvenirs kaufen wollte. Im Mwenge Craft Market bot man Schnitzerei an. Angeblich war das die typische Kunst der Eingeborenen, hatte sie im Internet gelesen. Allerdings verfuhr sie sich mehrmals und so ließ sie es sein. Auch die anderen Sehenswürdigkeiten, wie das Village Museum, das National Museum, das Tingatinga Center, die viele Deutschen Bauwerke verfehlte sie, da anscheinend das Navi defekt war. Am Strand waren ihr zu viele Menschen, daher fuhr sie genervt zum Hotel zurück.