Cafezinho - Rüdiger Schneider - E-Book

Cafezinho E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Es ist ein schicksalhafter Moment, als Maximilian Ende vor dem Kölner Hauptbahnhof im Winkel einer kleinen Kneipe sitzt. Aus dem Eingang des Bahnhofs kommt eine Frau in einem türkisfarbenen Sommerkleid, setzt sich an seinen Tisch, bestellt einen Cafezinho und krempelt sein ganzes Leben um.

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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

1

Es ist ein schöner, angenehm warmer Sommertag Anfang August. Gegen Mittag. Wir schreiben das Jahr 2022. Wie immer sitzt Maximilian Ende nach der Schule vor dem Kölner Hauptbahnhof, es ist die Domseite, an einem der Tische einer kleinen Eckkneipe und genießt sein Entspannungskölsch. So nennt er es. Unterrichten ist anstrengend. Nach dem dritten, manchmal auch vierten Bier wird er in die Straßenbahn steigen und nach Rodenkirchen fahren, wo er mit seiner Frau in einem Einfamilienhaus wohnt. Er kann sich nicht beklagen. Er hat Arbeit, ein Dach über dem Kopf, muss keinen Hunger leiden, könnte trinken, soviel er wollte, liebt seine Frau, muss sich jedoch eingestehen, dass die Leidenschaft und die Lust des Anfangs nach fünfzehn Jahren Ehe einer ereignislosen Gewohnheit gewichen ist.

Statt nach dem Unterricht ein paar Meter nach rechts zur Haltestelle der Straßenbahn an der Severinsbrücke zu gehen, zögert er die Heimkehr hinaus und wandert von einem altehrwürdigen Gymnasium, bei dem wir allerdings Zweifel haben, ob es unter dem Druck neuer Richtlinien und staatlicher Vorschriften seinen humanistisch-liberalen Charakter behalten hat, lieber nach links anderthalb Kilometer zum Hauptbahnhof, überlässt sich dem Getümmel der Hohe Straße und dem Treiben auf der Domplatte, bewundert dabei jedes Mal noch den Willen und die Baukunst des Mittelalters. Wer denn würde in der neuen, modernen Zeit noch einen Dom oder eine Kathedrale bauen?

Jetzt saß er da vor der Kneipe an jenem Freitag des 12. August. Die Sommerferien waren gerade seit drei Tagen zu Ende. Ein paar Wochen hatte er mit Mathilde an der Nordsee verbracht, den Rest im heimischen Garten. Er bestellte sich ein zweites Kölsch, beobachtete, wie die Menschen aus dem Bahnhof strömten oder hineinliefen. Manchmal war eine Frau dabei, die ein Kleid trug. Er fand das ansprechend und reizvoll feminin. Meistens aber waren bei den Frauen Hosen angesagt. Bei seinen Kolleginnen an der Schule gab es nicht eine einzige, die er jemals in einem Kleid gesehen hatte.

Die Kneipentür zu den Tischen nach draußen hin war offen, so dass er den Radiosender hören konnte, der eine Reihe von Oldies spielte. Als ‚I can’t get no satisfaction‘ kam von den Rolling Stones, überlegte er, wann er das letzte Mal mit Mathilde geschlafen hatte. Waren es zwei, drei oder sogar vier Jahre? Er wusste es nicht mehr. So alt waren sie doch gar nicht, als dass der Sex keine Rolle mehr gespielt hätte. Er war 48, sie 45. Ob der Lehrerberuf einem die Lust raubte? Sie ging ja demselben Beruf nach. Gott sei Dank an einer anderen Schule. ‚I can’t get no satisfaction‘. Er musste sich eingestehen, dass es nicht nur den Sex betraf. Das Leben, sein Leben überhaupt. Was hatte er von der Welt gesehen? Das Übliche. Urlaube auf Mallorca, Kreta, an Nord- und Ostsee, ein paar Mal Spanien. Nach der Pension würden wahrscheinlich Kreuzfahrten kommen oder Wanderungen durch die Eifel. Vielleicht auch gar nichts mehr, weil einen der Schulberuf verschlissen hatte und man froh war, noch auf dem heimischen Balkon oder der Terrasse sitzen zu können. Wohin würde das führen? Zu einer späten Trauer um das nicht gelebte Leben?

Er liebte die fetzigen Songs der Stones, die dreckige Stimme von Mick Jagger. ‚Paint it black‘ zum Beispiel. Er kannte sogar die Lyrics.

“I see a red door and I want it painted black. I see the girls walk by dressed in their summer clothes. I have to turn my head until my darkness goes.”

2

Er saß allein an seinem Tisch. Die anderen Tische waren voll belegt. Da sah er eine Frau, die aus dem Eingang des Hauptbahnhofs kam, stehen blieb, sich suchend umsah. Sie trug ein langes türkisfarbenes Kleid. Jetzt ging sie über den Bahnhofsplatz zu der Reihe der wartenden Taxis. „Sie wird jetzt in das vordere einsteigen und irgendwohin fahren“, dachte Maximilian Ende. Aber sie ging an den Taxis vorbei, steuerte geradewegs auf die kleine Kneipe zu, blieb davor stehen, zögerte einen Moment, kam dann zu seinem Tisch, fragte: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ – „Aber ja doch!“ antwortete er.

Sie setzte sich. Mit einem Lächeln, das Verlegenheit ausdrücken mochte, aber da war er sich nicht sicher, sagte sie: „Ich brauche jetzt einen Kaffee.“ Die Kellnerin kam. „Einen Kaffee bitte!“ Als die Bedienung gegangen war, bemerkte sie zu ihm gewandt: „Bei uns würde ich jetzt sagen: „Um cafezinho, por favor!“

„Spanien?“ fragte er.

„Nein, Brasilien. ‚Cafezinho‘ sagen wir, wenn es ein besonderer sein soll. Der erste heute nach einem anstrengenden Sight-seeing.“

Er wunderte sich über die Selbstverständlichkeit, mit der sie ein Gespräch in Gang setzte. Diese Unbefangenheit, in Kontakt zu kommen! Das war er gar nicht gewohnt. Sie hatte anscheinend nicht diese Zurückhaltung und Distanz, wie sie in Deutschland meist üblich war. Die Frau mochte im gleichen Alter sein wie er. Aber eher jünger. Anfang vierzig vielleicht. Er bemerkte, wie sein Herz ein paar Takte schneller schlug. Was für ein Freitag! Dass sich ausgerechnet eine Brasilianerin zu ihm setzte! Sie war schön. Eine schöne, reife Frau. Aber wie sollte man Schönheit beschreiben? Mit dem kastanienbraunen Haar, das bis auf die Schulter fiel? Mit dem Lächeln der Augen, wenn sie sprach? Mit den Lippen, die, wenn sie sich öffneten, eine Reihe makellos