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In einer Weinstube, in der es auch einen singenden Wirt gibt, tragen sich die merkwürdigsten Geschichten zu. Von der Attacke einer Amazone bis hin zu einer Esoterikerin, die an Zwerge glaubt, die Gegenstände verschwinden lassen. Und worum drehen sich die meisten Geschichten? Natürlich um die Liebe.
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Seitenzahl: 60
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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.
Bienenstich
Ballonfahrt
Die Urne
Fliegender Teppich
Crickentenjagd
Gigolo
Mann ohne Knast
Eingemauert
Der Zauberer
Immer donnerstags
Casa Mamma
Schneewittchen
Eingeklemmt
Pastorales Gespräch
Ein geschlagener Mann
Theresa
Merkwürdiger Bestattungswunsch
Analoge Zeiten
Esoterikerinnen
Die Schweine-Rutsche
Maja
Andere sammeln Briefmarken. Ich sammle Geschichten. Glücklich verlaufende und unglückliche. Der Ort, an dem ich sammle, ist eine Weinstube in Bad Breisig. Die kleine Straße dort heißt ‚Biergasse‘. Nur fünfzig Meter entfernt fließt der Rhein. Der Wirt singt ab und zu, setzt sich eine Perücke auf mit langen, blonden Haaren und schmettert das Lied von der Loreley, also jener Jungfrau, die auf einem Felsen sitzt und mit ihrem Gesang die vorbeifahrenden Schiffer verzaubert, so dass sie nicht mehr auf die Passage achten und verunglücken. Sie hätten sich, wie damals der Odysseus, lieber festbinden lassen und den mitfahrenden Matrosen die Ohren verstopfen sollen. Haben sie aber nicht. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.“
Andere Lieder sind echte Gassenhauer. „Du zuckersüßes Mädchen, komm sei mein Schokolädchen!“ Die ganze Weinstube singt dann aus vollem Hals mit.
Und auch bei „Amore, Amore, Signora, Signore.“
Seit zwanzig Jahren besuche ich diese Weinstube. Da hört man so einiges. Vor allem, wenn Wein und Bier die Zunge gelockert haben. Tratsch und Klatsch. Geschichten und Gerüchte schießen hoch wie Pilze nach einer warmen Regennacht, manche harmlos, andere giftig und halluzinatorisch wie der Fliegenpilz. Wer mit wem? Wer wieder ohne wen? Ein Kaleidoskop des bunten Lebens.
Ich bin ein emsiger Sammler und Zuhörer. Die erste Geschichte, die mir zu Ohren kam, hat mir Max erzählt. An dem Tisch draußen am Eingang, wo man eine Zigarette rauchen kann. Max sitzt im Rollstuhl. Ich hatte ihn nach draußen geschoben, und er fing an zu erzählen. Max ist siebzig, seit fünf Jahren querschnittgelähmt. Aber eigentlich ist er fröhlich. „Solange ich noch Wein trinken kann“, sagt er, „geht es mir gut. Laufen will ich sowieso nicht mehr. Wohin auch? Ich lass mich lieber schieben.“
Ich frage ihn: „Was ist eigentlich passiert? Ein Unfall?“
„Kann man so nennen oder auch nicht. Ist wie gesagt fünf Jahre her. Meistens, siehst du ja selbst, ist das Publikum in der Weinstube schon in die Jahre gekommen. Aber an diesem Abend, es war Altweiberfastnacht, kam ein junges, verdammt hübsches Weib. Sie mochte dreißig oder fünfunddreißig Jahre alt sein. Ich frage Frauen nicht nach dem Alter. Ich guck sie mir nur an. Den Namen weiß ich aber. Karla. So jedenfalls hat sie sich genannt. Sie hatte lange, schwarze Haare, die bis auf die Brüste fielen, und trug ein gelbschwarzes Bienenkostüm. Strümpfe ringelten sich an schönen Beinen bis hoch an die Knie. Ein knapp sitzendes Röckchen, das beim Tanzen emporwippte, ließ einen mit Spitzen besetzten roten Slip sehen. Mit dem Kostüm hätte sie in der Frauenmannschaft von Borussia Dortmund spielen können. Natürlich nicht mit den hochhackigen Stöckelschuhen, die sie anhatte. Nun, dachte ich, an Altweiberfastnacht sind die Frauen besonders zugänglich, ja recht locker. Junge, versuch dein Glück. Ich habe sie zum Tanzen aufgefordert. Bei einem flotten, recht lasziven Karnevalsschlager. ‚Tippi, Tippi, Topp, macht das Schwänzlein plopp.‘
Sie lacht, erzählt mir, sie sei Heilpraktikerin, Spezialgebiet Akupunktur. Sie sieht mich schelmisch und herausfordernd an, sagt: ‚Ich habe eine Entdeckung gemacht, einen besonderen Punkt neben LWS 5, Lendenwirbelsäule. Steckt man dort ein Nädelchen rein, steigert das die Libido ungemein. Ich habe es allerdings noch nie ausprobiert.‘
Oh, meinte ich – da hatte ich schon fünf Gläser Wein getrunken – das glaube ich nicht. Das wäre ja ein Riesengeschäft. Statt teures Viagra ein kleiner Pieks mit einer Nadel. Aber bitte, wollen Sie mich nicht überzeugen, dass es stimmt, die Lust steigert? Die ist allerdings bei einer so schönen Frau, wie Sie es sind, schon groß genug. Noch ein bisschen mehr wäre aber nicht schlecht. Darf ich Ihr Versuchskaninchen sein?“
‚Aber nur heute‘, antwortet sie. ‚Und unter streng wissenschaftlichem Aspekt. Danach kennen wir uns nicht mehr.‘
Ich hatte schon vom Tanzen einen Riesenständer und sagte sofort ‚Ja!‘
‚Dann trinken wir jetzt noch ein Glas Wein‘, meinte sie ‚und gehen danach. Ich habe hier gegenüber der Weinstube ein Zimmer im Hotel ‚Rheinischer Hof‘. Das sind nur ein paar Meter.
Ich habe mein Glas in einem Zug geleert, voller Ungeduld, während sie sich etwas mehr Zeit ließ. Dann sind wir zum Nachteingang des Hotels gegangen. Es war schon 22 Uhr. Sie schließt die Türe auf, es geht eine Treppe hoch, Zimmer Sieben im ersten Stock. Sie zieht sich rasch das Kostüm aus und den Slip. Auf dem Nachttisch stand ein hölzernes Kästchen mit einem eingeritzten, chinesischen Drachen auf dem Deckel. Ach, sagte ich, da ist das Wunderwerkzeug drin?“
‚Ja, das ist mein Besteck. Alle Nadeln sind vergoldet. Sie brauchen keine Angst zu haben, falls Sie gegen Nickel allergisch sind.‘
Ich konnte es kaum erwarten. Sie legt sich im Bett auf den Rücken, ich mich auf sie, während sie sich mit der rechten Hand an dem Kästchen zu schaffen macht. Schließlich musste sie die gesuchte Nadel gefunden haben, tastete mir mit der linken den Rücken entlang, landete etwas oberhalb der Hüfthöhe. Dabei zählte sie die Wirbel ab, drückte mit dem Zeigefinger schließlich auf eine bestimmte Stelle, sagte: ‚Da ist er. Das ist der Punkt.‘ Zack, stieß sie mir die Nadel hinein. Ich habe vor Schmerz laut aufgeschrien und dachte, mein Körper fliegt an die Decke. Sie zieht die Nadel heraus, der irre Schmerz blieb und war nicht auszuhalten. Meine Lust war gänzlich zum Teufel gegangen. Ich stöhnte und heulte nur noch.
‚Oh‘, meinte sie, ‚da habe ich mich wohl um ein paar Millimeter vertan. Tut mir leid. Ich bringe Ihnen eine Schmerztablette und ein Glas Wasser.‘
Sie schiebt mich von sich, zieht sich an, verschwindet, kommt aber nicht wieder. Ich versuche aufzustehen, merke aber, dass mir meine Beine nicht gehorchen. Ich konnte sie nicht bewegen, blieb regungslos auf dem Bett liegen. Die Dame mit dem Bienenkostüm kam nicht mehr, blieb verschwunden. Schließlich gelang es mir, zur Bettkante zu robben, nach dem Telefon zu greifen. Ich alarmierte die Rezeption. ‚Ich brauche Hilfe‘, sagte ich. Die Hotelbesitzerin kam. Eine peinliche Situation. Ich nackt auf dem Bett, mich vor Schmerzen windend. ‚Ich kann meine Beine nicht mehr bewegen‘, stöhnte ich. ‚Bitte rufen Sie den Notarzt!‘ Als der mit einem Sanitäter kam, war es wieder peinlich. Wie sollte ich meine Lage erklären? Ich habe mich akupunktieren lassen, um die Lust zu steigern? Konnte ich nicht sagen. In Bad Neuenahr, in der Klinik, haben sie erst ein CT gemacht, weil sie auf einen Schlaganfall tippten. Dann haben sie den Rücken untersucht und festgestellt, dass da ein tiefer Einstich war. Der Nerv war unwiderruflich zerstört. Da ließ sich nichts mehr reparieren. ‚Wer hat Sie denn da gestochen?‘ fragte der Arzt. ‚Muss ja eine Stricknadel gewesen sein.‘ Da musste ich die Geschichte gestehen. So, jetzt wissen Sie, warum ich im Rollstuhl sitze.“
„Und die Frau im Bienenkostüm?“ wollte ich wissen. „Sie haben sie wiedergetroffen, vielleicht sogar angezeigt?“