Musikalische Liebesgeschichten - Rüdiger Schneider - E-Book

Musikalische Liebesgeschichten E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Zehn schon in die Jahre gekommene Männer treffen sich regelmäßig zu einem Herrenabend. Dieses Mal ist es auch zugleich der Geburtstag des Gastgebers. Und der hat einen besonderen Wunsch. Jeder soll einen Song mitbringen, der ihn an ein vergangenes Liebesabenteuer erinnert, und eine Geschichte dazu erzählen. Dabei ist es jedem wegen der Freiheit der Literatur anheim gestellt, ob er das im Stil eines Henry Miller oder im zarten Ton der Minnesänger vorträgt. Zum Schluss kommt es zu einem verwegenen Plan.

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Seitenzahl: 62

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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.

Inhalt

Die Einladung

Die Gäste

Die Begrüßung

More than this

Das Model

Urgent

Johnny B.

Lolita

Halbzeit

Smalltown Boy

Despacito

Down Under

Irresistible

The year of the cat

Die Einladung

Er schrieb einen langen Brief:

Liebe Freunde, zu unserem nächsten Herrenabend lade ich euch herzlich ein. Dieses Mal fällt dieser Tag auf meinen Geburtstag (es ist der 80.), und deshalb habe ich einen besonderen Wunsch. Nein, nein, nichts Materielles! Es soll ein besonders vergnüglicher Abend werden. Ein Abend der Erinnerungen. Wir sind alle so ziemlich in die Jahre gekommen, haben viel erlebt und einige von euch sind sozusagen rund um die Welt gereist. Erlebt haben wir vor allem viel mit Frauen. Weniger mit dem Besuch von Museen. Jetzt sind wir bis auf einen unbeweibt und dürfen uns den Erinnerungen hingeben. Wahrscheinlich kommt da, altersbedingt, nichts Neues mehr. Wir sind jetzt auch mehr auf Ruhe eingestellt, auf den langsamen Lauf der Dinge. So ist ja auch unser Gang geworden. Wir flitzen nicht mehr, wir gehen eher gemütlich. Noch ohne Rollator oder andere Gehhilfen. Wir sind seit langem in Rente, arbeiten nicht mehr, haben nur noch Freizeit. Aber die Vergänglichkeit schreitet fort. Der Tod ist uns mehr und mehr auf den Fersen. Das ist eine Tatsache. Sie soll uns nicht betrüben. Es ist so, und wir können das so wenig ändern wie das Wetter oder den Lauf der Weltgeschichte.

Aber wir können uns an den Erinnerungen erfreuen, dürfen uns amüsieren. Deshalb bitte ich euch: Jeder sucht sich einen Song aus, der ihn an eine vergangene Liebe erinnert, ein Liebesabenteuer oder meinetwegen an eine heiße Affäre. Ich nenne diesen Abend `Musikalische Liebesgeschichten´. Es könnte auch heißen: `Erinnerungen durch Musik´. Sind und waren für uns die Frauen nicht die Musik des Lebens? Wir sind alle Kinder der Beatles- und Stones-Generation. Deshalb sucht euch rockige Songs aus. Ich will keine Wagner-Arien hören. Auch keine Volkslieder, `Am Brunnen vor dem Tore´. Es darf ruhig flott zugehen. So wie hoffentlich auch eure Geschichten zu dem Song sind.

Bei diesen Geschichten habt ihr die freie Wahl zwischen dem zart romantischen Ton der mittelalterlichen Minnedichtung und dem frechen Stil eines Henry Miller. Ich will das an einem Beispiel erläutern. So manch einer wird seufzen: “Ach, könnte ich noch der Minne pflegen!” Ein Arzt würde technisch nüchtern fragen: “Haben Sie noch Verkehr?” Ein Miller aber würde eher formulieren: “Wenn du in deinem Alter noch ohne Viagra ficken kannst, hat dich der liebe Gott gesegnet.”

Also, die Literatur ist frei. Ihr müsst nicht unbedingt gnadenlos ins Detail gehen, so wie das etwa ein Michel Houellebecq macht oder ein Klaus Kinski. Auch Goethe hat das in seinen `Venezianischen Epigrammen´ gewagt. Was uns in den Schulen übrigens immer verschwiegen wurde.

Natürlich halten wir uns auch wie immer an die Regel, dass das unselige Gendern verboten ist. Ebenso dürfen wir das Wort `Weib´ benutzen, weil es ein Elementarbegriff ist wie Sonne, Mond und Sterne.

Ich würde euch gerne etwas bieten, wie es der Japaner Kawabata in seinem Roman `Die schlafenden Schönen´ beschreibt. Da legen sich alte Männer in einem ganz besonderen Bordell neben schlafende, junge Mädchen, betrachten sie, rühren sie nicht an, verfallen in Melancholie wegen unwiderruflich vergangener Tage. Ähnlich ist es in dem Roman des von mir verehrten Gabriel García Márquez. `Erinnerung an meine traurigen Huren´. Auch da legen sich die alten Männer neben junge, Schönheiten, die die Bordellmutter mit einem Schlaftrunk betäubt hat, betrachten sie wehmütig.

Wir aber wollen nicht in Melancholie verfallen, sondern uns an Erinnerungen erfreuen. An der Musik, den Songs und den Geschichten dazu. Ladet den Song auf euer Handy. Die Lyrics dazu sind ebenso leicht zu finden, und im Internet gibt es Übersetzungshilfen, falls sich jemand von euch chinesische Katzenmusik ausgesucht hat.

Ich werde natürlich auch einen Song und eine Geschichte beisteuern. Wie ihr wisst, liebe ich, beruflich bedingt, besonders die zarten Töne der mittelalterlichen Minnedichtung. Ich war ja lange genug auf dem Feld der Mediävistik tätig, habe jahrelang über `Tristan und Isolde´ und den `Parzival´ doziert und noch über einige andere mittelhochdeutsche Werke. Aber bei meinem Song und der Geschichte dazu ist der Minneton nicht möglich. Auch nicht die vornehme Zurückhaltung der Weimarer Klassik.

Natürlich werdet ihr wie immer bei unseren Abenden von mir mit bestem Whisky und Wein bewirtet. Es wird auch Cannabis geben. Also, wer Lust hat, bringt sein Pfeifchen mit.

Wir werden unseren vergangenen Abenteuern huldigen, Gott danken, dass es Frauen gibt, auch wenn sie uns nicht immer ins Paradies geführt haben. Leid und Verzweiflung, wie wir das manchmal gewiss auch erlebt haben, sind verflogen, geblieben ist eher das verständnisvolle Lächeln eines Buddha.

Ich freue mich auf einen vergnüglichen Abend und grüße euch recht herzlich.

Euer Johannes (Jo) Weingarten

Weingarten druckte den Text neunmal aus, beschriftete neun Kuverts mit den Adressen der Freunde, faltete das Blatt, schob es in den Umschlag, fuhr mit der Zunge über die Falz, verschloss den Brief, fügte die eigene Adresse als Absender hinzu. Dann zündete er ein Teelicht an, nahm ein Stück roten Siegellack, gab ihn in einen Messinglöffel, hielt ihn über die Flamme, bis der Lack geschmolzen war, goss die Schmelze hinten auf die Spitze der Falz, drückte seinen Stempel darauf. Eine Harfe mit den Initialen `JW´. So hatte er es immer gemacht, auch im Zeitalter der Mails. Noch am selben Tag ging er in Andernach zur Post.

Die Gäste

Die Herren wohnen alle zwischen Koblenz und Andernach, also am schönen Mittelrhein. Sie kennen sich aus drei Vereinen. Dem Schachverein `Rochade Weißenthurm´, dem Tennisclub `Rotweiß Koblenz´ und dem Tennisclub `Grünweiß Andernach´. Jo Weingarten, der Gastgeber des Abends, ist in allen drei Vereinen. Im Laufe der Jahre sind Freundschaften entstanden, bis es dann zu den regelmäßigen Treffen der Herrenabende kam, die einmal im Monat stattfinden. Allen gemeinsam ist, dass sie sich die Worte des chilenischen Dichters Pablo Neruda zu Herzen genommen haben. Der hatte gesagt: “Wer nicht reist, nicht liest, nicht Musik hört, nicht die Frauen liebt, stirbt langsam.” Dieses langsame Sterben oder auch den Untergang in der Langeweile haben sie bislang vermieden. Im Folgenden seien sie kurz vorgestellt, mit Alter und ehemaligem Beruf, der bei allen schon längst vorbei ist.

Kaspar Wermuth, Erbe einer Koblenzer Schnapsdynastie, 82 Jahre, hat nur kurz gearbeitet, die Familie hat ihn, damit er in Koblenz keinen Schaden anrichtet, mit einer großzügigen Apanage nach Thailand geschickt. Trotz seines hohen Alters kommt er zu den Treffen immer auf seiner Harley.

Paul Wagner, Pianist, ein Urenkel Richard Wagners, behauptet er jedenfalls, 78 Jahre.

Kurt Becker, Studienrat an verschiedenen Gymnasien, hat wegen der Frauenquote auf die Karriere verzichtet, dafür aber regelmäßig Beurlaubungen vom Schuldienst genommen, 78 Jahre.

Fritz von Ameln, Diplomat im Dienst der Bundesrepublik, zuletzt aber als Konsul abgeschoben auf einen unbedeutenden Außenposten in Kolumbien, genannt auch `der Konsul´, 81 Jahre.

Hans Kirchner, Apotheker, auch Cannabis-Hans genannt, weil er die Freunde regelmäßig mit Cannabis versorgt, 79 Jahre.

Klaus Vogel, Lufthansakapitän, sagt: “Lass dich nie mit einer Stewardess ein!” 75 Jahre.

Willi Winter, Lokomotivführer, früh in Rente geschickt, weil er einmal zwischen Koblenz und Andernach einen Zug einfach hat stehen lassen, 81 Jahre.

Franz Müller, LKW-Fahrer, ist, nachdem ihm die Frau mit einem Griechen laufenging, auf Weltreise gegangen, 78 Jahre.

Peter Bieberich, Theaterregisseur, das Küken in der Truppe, berichtet vom Wunder von Köln, 74 Jahre.

Die Begrüßung