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Am Strand von Florianópolis, Brasilien, begegnet der Erzähler bei einem Spaziergang einem Gaucho, der auf einem Pferd dort entlang jagt. Abends trifft er ihn zufällig in einer Churrascaria, hört sich seine Geschichte an und wird mit einer seltsamen Mission in die Provinz Rio Grande do Sul geschickt.
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Seitenzahl: 61
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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Ich erzähle diese Geschichte in der ersten Person, obgleich ich selbst nur eine Nebenrolle darin spiele. Diese Erzählform liegt mir als Schriftsteller mehr als das sogenannte auktoriale, allwissende Erzählen, bei dem der Autor zum Gedankenleser der Personen wird. Ich war nach Brasilien ausgewandert, hatte mich im gesegnetem Alter von 70 Jahren noch einmal mit einer temperamentvollen, jüngeren Gaucha in den Hafen der Ehe gewagt und es nicht bereut. Unter Heimweh litt ich nicht, freute mich indes, ab und zu die Freunde in Deutschland zu besuchen. Natürlich im Sommer, wenn das Wetter angenehm war. Wir wohnten in Rio Grande do Sul, der südlichsten Provinz Brasiliens, und dort am ländlichen Rand der Stadt Santa Cruz. Die Flitterwochen verbrachten wir an einem der Strände von Florianópolis. Florianópolis liegt 600 Kilometer in nordöstlicher Richtung auf einer der Küste vorgelagerten, langgestreckten Insel im Atlantik. Zahlreiche kleinere Inseln bilden größere, schützende Buchten, so dass das Wasser nicht die kühle atlantische Temperatur hat, sondern eher eine karibische. Der Sand der Strände ist weiß und fein kristallin.
Wir hatten nur hundert Meter von einem der Strände ein Appartement gemietet. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, frühmorgens mit der Sonne aufzustehen und mit einer ersten Tasse Kaffee auf dem Balkon zu sitzen. In nur wenigen Metern Entfernung blickte ich auf riesige Bananenstauden, in denen Äffchen, kleine Makakinhos, herumturnten. Nicht weit davon überragte die gewaltige runde Krone eines Ipé Amarelo, was schlicht nur gelber Baum heißt, die Stauden. Ging nun im Osten die Sonne auf, so leuchtete der Blütenkranz der Baumkrone in einem strahlenden Gelb, so dass man meinen konnte, eine riesige Sonne sei nun im Westen aufgegangen. Im Licht der ersten Morgenstunde ging ich nach dem Kaffee zum Strand, überquerte zunächst auf einem hölzernen Steg ein Stück Mangrovenwald, um dann nah am Wasser auf dem festen, feuchten Sand ein Stück den Strand entlang zu gehen. Hierbei wiederholte sich jeden Morgen ein seltsames Schauspiel. Ein Reiter auf einem Apfelschimmel kam mir entgegen gejagt. Ich musste ein paar Meter auf den lockeren Sandboden hin ausweichen, und dann preschte er in einem Tempo an mir vorbei, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er warf mir immer nur einen kurzen Blick zu, der einen Morgengruß zu bedeuten schien. Die Hände ließ er dabei nicht vom Zügel, wendete nur ein wenig den Kopf. Das scharf geschnittene Gesicht war von Wind und Wetter leicht gebräunt. Ein schwarzer Schnäuzer und ein kurzgetrimmter Chin Strap Bart milderten die markante Kontur. Unter einem fliederfarbenen Barett schauten schwarze Haare hervor. Eigentümlich war die Kleidung. Unter einem tiefblauen Poncho trug er ein schwarzes, seidig schimmerndes Hemd, dessen Kragen von einem schwarzroten Halstuch bedeckt wurde. An den Ärmeln steckten bis zu den Handgelenken rote Stulpen; die schwarze im Wind flatternde Hose war eine für die Gauchos typische Bombacha, die an eine türkische Pluderhose erinnerte. An den Füßen steckten dunkelbraune Stiefel mit silberhellen Sporen.
Ich wunderte mich, in Florianópolis, das zur Provinz Santa Catarina gehört, einem Gaucho zu begegnen. Eine Gaucho-Gegend war eher Rio Grande do Sul, wo man die Tradition der Gauchos mit Hingabe noch feierte und pflegte, wozu insbesondere das in ganz Brasilien bekannte Churrasco gehört, das Grillen riesiger Rindfleischstücke am Spieß. Die darauf spezialisierten Restaurants, die sogenannten Churrascarias, gab es in nahezu jeder brasilianischen Provinz. Manche dieser Restaurants hatten auch eine Bühne, auf der die Gäste mit traditionellen Gauchotänzen unterhalten wurden.
Eines Abends nun wanderten meine Frau und ich ein Stück den Strand entlang und trafen auf solch eine Churrascaria. Wir kehrten ein, obwohl ich, im Gegensatz zu meiner Gaucha, nicht unbedingt ein Freund des gegrillten Rindfleisches bin, das jedoch für mich mit einem Schluck Cachaça, dem brasilianischen Zuckerrohrschnaps, schmackhafter wird. Wir saßen draußen, damit ich unbehelligt meine Pfeife rauchen konnte. Ein Blick in das Restaurant hinein und auf die Bühne war aber möglich. Wie erstaunte ich, als ich dort meinen Gaucho einen argentinischen Malambo tanzen sah, jenen vom Trommelwirbel begleiteten Tanz, der mit seiner Energie an den spanischen Flamenco erinnert, mit seiner Leidenschaft an den Tango und der rasenden Geschwindigkeit an einen irischen Stepptanz oder auch bayrischen Schuhplattler. Ein Spektakel, das aus der südlichen Pampa Argentiniens stammt und wirkt, als würden wild gewordene Pferde durch den Staub galoppieren. Dazu ließ der Gaucho in rasendem Rhythmus Boleadoras kreisen, Kugeln, die an einem Seil befestigt waren und im Stakkato den Boden touchierten. Mit einer Perkussion, die dem Drummer der Stones alle Ehre bereitet hätte. Beendet wurde die Aufführung mit einem Urschrei, den man wahrscheinlich noch in Rio hörte.
Jetzt war mein Interesse erst recht geweckt und ich überlegte, wie ich mit dem Mann ins Gespräch kommen könnte. Als Schriftsteller bin ich neugierig auf Lebensgeschichten.
An diesem Abend sind wir lange in der Churrascaria geblieben. Fast alle Gäste waren schon gegangen. Wie verwunderte ich mich, dass der Gaucho, der vor kurzer Zeit noch so leidenschaftlich und ekstatisch getanzt hatte, grüblerisch an der Theke saß. Als bewege ihn irgendein Kummer, der so gar nicht zu seinem forschen Ritt am Morgen und dem Tanz am Abend passte. Seltsam auch, dass er, den man durchaus als attraktiv bezeichnen konnte – er war gewiss nicht viel älter als vierzig Jahre – ohne weibliche Begleitung alleine da hockte, vor einem Glas, das ihm der Wirt mit wahrscheinlich Cachaça ab und zu nachfüllte.
Mit Giovanna, meiner Gaucha, unterhielt ich mich auf Portugiesisch, das ich inzwischen recht gut beherrschte. Manchmal auch auf Deutsch. Giovannas Mutter war eine Indigene, eine Indianerin aus Argentinien, aus der Gegend des Rio Paraná. Die Vorfahren des brasilianischen Vaters stammten aus Deutschland. Daher wurde im Elternhaus auch Deutsch gesprochen, bis es von der brasilianischen Regierung verboten worden war, weil ein irrer deutscher U-Boot-Kommandant einen brasilianischen Frachter versenkt und Brasilien in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen hatte.
Von Giovanna wusste ich einiges über die Gauchos, die freien Reiter der weiten Ebenen. So war es jedenfalls damals. Jetzt wird aus dem Gaucho eher ein sesshafter Landmann geworden sein, ein Rinder- und Pferdehirt. Wieweit dieser frühere Vagabunden- und Freiheitsdrang im Blut geblieben ist, darüber kann ich nur spekulieren. Ganz verschwunden wird er nicht sein. Der Gaucho liebte die Einfachheit, die Ungebundenheit, schlief lieber unter freiem Himmel als von vier Wänden eingeschlossen zu sein. Auch sagte man ihm ein feines Gefühl für Gerechtigkeit nach, was leicht, fühlte er sich ungerecht behandelt, zur Rebellion führte. So hatte noch einer der Vorfahren Giovannas, obgleich Argentinier, bei der brasilianischen Farrapen-Revolution mitgemacht, bei dem Guerra dos Farrapos. Farropos bedeutete die `Zerlumpten´. Aber das waren die kämpfenden Gauchos beileibe nicht. Das war nur eine herabsetzende Bezeichnung der Gegenseite. Die Farrapen-Revolution, wie Giovanna mir erklärte, war ein Krieg zwischen den Aufständischen der Provinz Rio Grande do Sul und dem zentralistisch denkenden Kaiserreich Brasilien. Die Gauchos - und nicht nur die - wollten mehr Unabhängigkeit, mehr Autonomie