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Elite, Intrigen und Mord – Willkommen im Venusberg 1969! Im Jahr 1969, auf dem exklusiven Bonner Venusberg, strahlt die Welt der Reichen und Schönen vermeintlichen Glanz aus. Doch hinter den Villen und gepflegten Fassaden des Nobelviertels verbergen sich dunkle Geheimnisse. Als die Leiche eines jungen Mannes gefunden wird, dessen Ruf so faszinierend wie umstritten war, wird die scheinbare Idylle der Schönen und Reichen erschüttert. Inmitten eines Netzes aus Intrigen, Machtspielen und Skandalen beginnt Privatermittlerin Sarah ihre Nachforschungen. Ein atmosphärischer Kriminalroman, der in eine Welt voller Eleganz und düsterer Gefahr führt.
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie verö ffentlichte bisher circa 100 Bü cher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin fü r namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen fü r ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
In der alten Bundesstadt Bonn liegt das Nobelviertel, der Bonner Venusberg, sinnigerweise etwas höher als der Stadtkern. Wir befinden uns im Jahr 1969. Da sind es die Schönen und die Reichen, die sich vorwiegend in diesem Nobelviertel angesiedelt haben, doch hinter den Kulissen findet man dort mehr als nur dunkle Schatten. In dieser Scheinidylle findet man die Leiche eines jungen Mannes, der einen, in vieler Hinsicht, bemerkenswerten Ruf besitzt. Sarah ermittelt in einem Netz voller Intrigen und Geheimnisse.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
1969! Was für ein tolles Jahr! Wir haben schon seit vierundzwanzig Jahren keinen Krieg mehr in unserem Land. Eigentlich sollte man das feiern, aber die Leute um mich herum sind damit beschäftigt, die Wirtschaft weiter anzukurbeln, und sie blüht und gedeiht.
Ich heiße Sarah, bin fünfundzwanzig Jahre alt und private Ermittlerin. Gerade habe ich von meinem Chef einen neuen Auftrag erhalten, und ich denke, er hat sich dabei etwas gedacht.
Es gibt einen Mord, und der Tatort ist kein geringerer als das exklusivste Wohnviertel der Bundesstadt Bonn. Es handelt sich um das Villenviertel, den Bonner Venusberg, in dem alle Reichen und Schönen nach dem Krieg neu gebaut haben. Ein paar alte Häuser gibt es auch, die den Krieg überlebt haben, zum Beispiel ein Kloster und eine alte Kaserne, die man jetzt für einen langen Frieden zu einer Klinik umfunktioniert hat.
Warum der Chef gerade mir diesen Auftrag gegeben hat? Er hatte einen guten Grund: Ich bin hier geboren und aufgewachsen, im Kirchenchor und in allen Jugendvereinen gewesen. Kein Wunder, dass ich da fast jeden Bewohner dieses Viertels kenne.
Und das Opfer? Wer kennt ihn nicht, den Ecki von Hopfenhausen, der vor fünf Jahren mit seinen Eltern und seiner Schwester Barbara in eine der großen, alten Villen des Venusbergs einzog.
Schon nach wenigen Wochen sorgte er dafür, dass man ihm den Ruf des Casanovas gab, denn er wechselte, so wie meine Tante Johanna ständig sagt, von einem Blümchen zum anderen.
Das ist allerdings auch kein Wunder, denn er ist der aktuelle Frauenschwarm aller weiblicher Wesen des Venusbergs von etwa zehn bis schätzungsweise fünfundsechzig Jahren, außer mir.
Was soll ich über ihn sagen? Er war groß, schlank und blond, ein schlaksiger, lässig wirkender, großer Junge von fünfundzwanzig Jahren mit dem Gesicht eines römischen Gottes, inklusive einer stilisierten Adlernase.
Für manche seiner Verehrerinnen lag der besondere Reiz in der Tatsache, dass Ecki zum feinsten Adel gehörte, in dessen Glanz er sich zwar sonnte, sich aber andererseits an keine Etikette hielt, sondern seine eigenen Regeln aufstellte und dazu seinen Charme versprühte wie ein Rasensprenger.
Zahlreiche Mädchen und junge Frauen haben sich in ihn verliebt, zahlreiche junge Frauen hatte er erobert und oft nach wenigen Tagen schon wieder fallen gelassen.
Wie viele Tränen mögen von hier aus schon in den Melbbach geflossen sein, in den sanften kleinen Bach, der sich hinter dem Wald ins Tal schlängelt? Dieses sanfte Gewässer lockt in der Dunkelheit mit seinen moosigen Ufern zahlreiche Pärchen zu geheimen Rendezvous.
„Genau genommen ist der Mord kein Wunder“, behauptete eben noch mein Chef, als er mir den Auftrag erteilte, die Verdächtigen auszuwählen und näher unter die Lupe zu nehmen. „Sicher gibt es eine ganze Schar von Frauen, die ihn hassen oder wütend auf ihn sind.“
Ich bin ganz seiner Meinung, aber um noch mehr über die letzten Wochen und Tage herauszubekommen, beabsichtige ich, seine Schwester Barbara aufzusuchen, die als einzige in der Familie nicht ohnmächtig zusammengebrochen ist, sondern versucht, den Alltag auf eine möglichst normale Weise weiterzuführen.
An der feudalen Hauptstraße, die mich ein wenig an Hollywood erinnert, entdecke ich das große frisch gestrichene Haus der Hopfenhausens, das sich in einem gepflegten Park versteckt.
Barbara, Ende zwanzig, wohnt in dem kleinen Anbau, den man extra für sie neben der Villa errichten ließ. Vermutlich konnte man sie wegen dieses Neubaus an das Elternhaus binden, denn viele andere jüngere Bewohnerinnen des Venusbergs, haben bereits in diesem Alter ihre Elternhäuser verlassen.
Ich atme tief. Was wird mich erwarten? Wie kann ich diese junge Frau interviewen, ohne ihr in ihrer Trauer mehr weh zu tun als notwendig?
Offensichtlich hat sie mich schon erwartet, möglicherweise bereits durch ein Fenster gesehen, denn noch bevor ich den Klingelknopf drücken kann, öffnet sie mir die Haustür, begrüßt mich und bittet mich herein. „Ich kann mir vorstellen, dass es dir unangenehm ist, mit mir über meinen Bruder sprechen zu müssen, Sarah. Aber ich weiß, es ist nun mal dein Job, und ich möchte auf jeden Fall dazu beitragen, dass man Eckis Mörder findet.“
Ich folge ihr ins Innere der Wohnung. „Danke, dass du mir helfen willst“, antworte ich, während sie mich ins Wohnzimmer geleitet.
„Nimm Platz, irgendwo!“, bittet sie mich. „Wenn du etwas trinken magst, melde dich!“
An der Wand über der Kommode, direkt neben dem Sofa, sehe ich ein Porträtfoto, auf dem sich Ecki mit strahlendem Lächeln präsentiert, ein schwarzer Trauerflor klebt über der rechten Ecke.
Ich setze mich in einen breiten, weichen Sessel und zücke mein Notizbuch. „Habt ihr beide euch in der letzten Zeit viel gesehen? Das wäre schon wichtig für einige Beobachtungen.“
Barbara nickt. „Tatsächlich, ja! Er war natürlich viel unterwegs, wie du sicherlich weißt. Er hatte viele Rendezvous, und die hat er nicht zu Hause abgehalten, wie du dir wahrscheinlich auch vorstellen kannst. Aber fast jeden Abend, auch wenn es noch so spät war, klopfte er noch einmal an meine Tür. Wir haben dann noch einen kleinen Schlaftrunk genossen, meist ein halbes Glas Rotwein, und Ecki hat mir erzählt, was in seinem Kopf vorging.“
„Tatsächlich?“ Ich staune. „Dann weißt du sicher auch alles über die Personen, mit denen er zuletzt zusammen war.“
„Leider nicht. Auch hat er nur sehr wenig gesprochen. Er hatte wohl zuletzt einigen Weltschmerz, von dem viele Leute nichts ahnten. Die Mädchen waren eher Nebensache.“
Ich seufze leise. „Schade, und ich dachte, du wüsstest etwas über sein Intimleben. Hat er denn einen Notizkalender besessen? Ich denke, irgendwo hat er möglicherweise notiert, mit wem er sich getroffen hat.“
In ihrer warmen Stimme liegt Bedauern. „Ecki war ein Rechengenie. In der Schule hatte er in Mathematik stets eine Eins gehabt, und seinen Terminkalender kannte er auswendig. Darauf musst du dich also nicht stützen können, sondern lediglich auf ein paar Namen, die ich weiß, die vielleicht auch einige andere wissen.“
Ich seufze erneut. „Bevor ich mir diese Namen und möglicherweise auch die Adressen notiere, möchte ich von dir wissen, ob du jemanden verdächtigst. Du erzähltest eben von seinem Weltschmerz. Gab es dafür einen wahrhaftigen Grund?“
Sie hebt die Augenbrauen. „Es ist nicht einfach, in unsere Familie hinein geboren zu sein. Ich bin das beste Beispiel dafür.“
Ich sehe sie erwartungsvoll an. „Wie meinst du das? Habt ihr nicht alles, was ihr wollt?“
Sie stößt einen undefinierbaren Laut aus. „Ich bin fast dreißig und studiere immer noch.“
„Das ist doch schön, der Mensch lernt nie aus,“ versuche ich, sie etwas aufzumuntern.
„Ich wollte mit zwanzig nach München und dort studieren. Ich hatte schon einen Platz in einer netten Wohngemeinschaft. Aber was glaubst du, was meine Eltern dazu gesagt haben?“
„Keine Ahnung! Ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen, sie näher kennenzulernen. Was haben sie dir geantwortet?“
„Ein solches Hippie-Leben in einer Kommune sei unter unserer Würde. Die unmoralischen Freiheiten, die sich die Jugend von heute herausnimmt, seien nicht mit unserem Stand zu vereinbaren. Der Adelsstand von heute habe immer noch die Pflicht, mit allen Tugenden zu leben und anderen ein Vorbild zu sein.“
„Und deine Eltern haben dir unterstellt, dass du in dieser Wohngemeinschaft nicht adelsgemäß tugendhaft lebst?“ hake ich nach.
„Ich weiß selbst, dass es unter uns Blumenkindern ziemlich locker zugeht, schließlich stammt von uns die Parole: mach Frieden, keinen Krieg! Aber das hängt ja schließlich von jedem selbst ab, was er daraus macht, in diesen fröhlichen Gruppen. Ich habe dann ein Studium nach dem anderen begonnen. Im Augenblick studiere ich gerade Psychologie, das hilft mir ein bisschen, meine dogmatischen Eltern besser zu ertragen.“
„Und wie war das mit Ecki? Sein moralisches Verhalten wurde doch bestimmt von deinen Eltern nicht gutgeheißen?!“
Sie seufzt leise. „Bei einem Mann ist das noch etwas anderes. Die dürfen sich doch erst einmal die Hörner abstoßen.“
„Dann hatten deine Eltern also nichts dagegen, dass er ständig die Freundinnen wechselte?“ frage ich noch einmal nach.
Sie schmunzelt. „Solange man keine unehelichen Kinder zeugt, darf sich ein Mann schon so einiges mehr leisten.“
„Kurfürst August von Sachsen soll etwa dreihundertfünfzig uneheliche Kinder gehabt haben“, gebe ich ihr zu bedenken. „Und für etliche soll er auch gut gesorgt haben, wenn man den Geschichtsschreibern glauben darf.“
„So viel Geld haben wir nun auch wieder nicht“, bekennt sie. „Meine Eltern haben Ecki gewähren lassen, und die unzähligen, armen Verflossenen taten ihnen nicht einmal leid. Meine Mutter redete von ihnen ständig nur als den „Flittchen“.“
Staunend sehe ich sie an. „Warum? Ich kenne doch etliche von ihnen, und sie sind junge Frauen wie du und ich.“
„Meine Mutter behauptet, wer nicht zurückhaltend ist als junge Frau und sich bei einem Mann sofort auf Intimitäten einlässt, der, oder besser gesagt die, sei selber schuld. Eine Frau müsse sich rarmachen, auf Distanz bleiben. Und sie selbst sagt von sich, sie sei unschuldig in ihre Ehe gegangen.“
„Ist ja Ansichtssache“, räume ich ein. „Aber was für sie gut ist, muss für andere noch lange nicht richtig sein. Wir sind gerade in einer großen Umstellung der Gesellschaft, da muss man einmal schauen, wie sich der einzelne damit arrangieren kann.“
Sie lacht. „Du hast gut reden. Du bist fast die Einzige in diesem Wohnviertel, die aus einem anderen Stall kommt. In deiner Künstlerfamilie ging es mit Sicherheit bisher nicht so borniert zu wie bei mir. Die meisten Jugendlichen hier haben Eltern, die in Regierungsämtern tätig sind, und die Erziehungsregeln stammen noch aus der Zeit des guten alten Kaiser Wilhelms.“
„Leider, ja. Ich weiß. Da gibt es auch heute noch so manche Ohrfeigen, die für gut befunden werden. Aber daran können wir heute nichts ändern, kommen wir also zurück zu deinem Bruder“, schlage ich vor. „Wir sprachen von seinem Weltschmerz. Weswegen war er unglücklich?“
„Wir Nachkriegskinder haben eine große Aufgabe, das hat ihm mein Vater täglich klargemacht. Wir müssen das Land zum Blühen bringen und trotz aller alter Regeln eine neue Welt aufbauen.“
Ich verziehe das Gesicht. „Nun ja, das muss er ja nicht allein. Alle zusammen müssen eben anpacken. Warum hat er sich damit überfordert gefühlt?“
„Es passt eben nicht zusammen. Eine neue Welt braucht auch neue Regeln. Das siehst du doch an mir. Ohne meine Freiheit vertrockne ich hier als ewige Studentin und als Mauerblümchen. Ecki sollte mithelfen, eine neue Welt aufzubauen, aber wer etwas aufbauen will, muss auch noch andere Freiheiten haben als nur in amourösen Bereichen. Wir hatten das zu denken, was mein Vater dachte und das zu tun, was mein Vater tat. Das selbstständige Denken ist bei uns nicht erlaubt.“
„Dann muss ich mich ja fast nicht wundern, wenn Ecki sich seine Freiheiten im Bereich seiner Liebschaften nahm“, sinniere ich. „Wie hat er sich also gefühlt?“
„Zu Hause spielte er den braven und gehorsamen Jungen, der keine eigene Meinung entwickeln durfte und sich mittlerweile auch damit arrangiert hatte, wie es schien. Ein Kind hat zu gehorchen, hieß es bei uns. Aber wann hört das auf? Wenn du fünfzig bist?“
„Aber du hast doch auch eine Methode gefunden, deinen Eltern zu sagen, dass ihre Haltung falsch ist. Sie sind da bestimmt nicht glücklich darüber, dass du die ewige Studentin bist, oder?“
„Die alternden, jungfräulichen Tanten gab es auch schon im Mittelalter“, erinnert sich Barbara. „Aber ja, es ärgert sie, dass ich kein Geld verdiene und keinen hohen Posten habe. Eine Frau Professorin oder Studienrätin wäre ihnen schon lieber.“
„Und du, wie fühlst du dich in deiner Lage? Fühlst du dich am längeren Hebel?“
Sie grinst. „Ich habe eigentlich schon genug studiert, und könnte jederzeit eine Stelle annehmen. Aber ich werde es nicht tun. Ich lebe vom Geld meiner Eltern und lasse mich gut versorgen. Möglicherweise habe ich die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass sie eines Tages von selbst merken, dass ihre Erziehung falsch ist. Das letzte Fach, dass ich studiert habe, ist die Pädagogik. Glaube mir, mit den neuen Erkenntnissen würde ich meinen Eltern den Boden unter den Füßen wegreißen.“
Ich überlege. „Dann hat sich Ecki wie ein verwöhntes, braves Söhnchen gefühlt, dass gut versorgt wird, wenn es die Füße brav unter dem Tisch stillhält, oder?“
„Er hatte Angst vor dem Leben da draußen. Der Fortschritt findet ohne uns statt, jedenfalls der in der Geistes-Haltung, und die freiheitlichen Lüfte dringen nicht durch unsere aristokratischen Fenster.“
Meine Stirn zieht sich in Falten. „Glaubst du, dass das irgendetwas mit seinem Tod zu tun hat?“
„Nicht direkt. Aber ich möchte nur, dass du bei der Mördersuche nicht in Versuchung gerätst, seinen Tod als verdient anzusehen.“
„Über die Ursachen und Motive kann ich jetzt noch gar keine Vermutungen anstellen“, sage ich bedauernd. „Ich weiß ja nicht, was alles gelaufen ist. Wenn ich das beachten soll, musst du mir schon ein bisschen mehr erzählen.“
Barbara legt den Kopf in die Hände. „Gern, ja. Aber nicht mehr heute. Auch wenn ich so gefasst wirke, geht mir sein plötzlicher Tod doch schrecklich an die Nieren. Wenn wir auch wenig gemeinsame Interessen hatten und nicht so oft etwas zusammen unternommen haben, so sind wir doch durch geschwisterliche Bande tief im Innern verbunden. Jetzt brauche ich nun wieder etwas Ruhe und Abstand. Aber zwei Frauen kann ich dir schon einmal nennen, mit denen du dich näher befassen kannst. Das sind die Hanni, eine seiner letzten Freundinnen und Rosi, die er vor einem halben Jahr abgeschoben hat. Den Namen seiner aktuellen Flamme kenne ich nicht, den wird dir aber vermutlich Hanni sagen können, denn sie war ihre Vorgängerin.“
Ich umarme sie kurz. „Danke, Barbara! Du hast mir sehr geholfen, und ich wünsche dir viel Kraft für die nächste Zeit! Nach Möglichkeit lasse ich dich jetzt erst einmal in Ruhe.“
Rosi Kuchenstück zählt zu den hübschesten Mädchen, die sich momentan auf dem Venusberg befinden. Professor Kuchenstück, ihr Vater arbeitet an der Uniklinik in der Nähe, und ihre Mutter ist Pressesprecherin einer der größten politischen Parteien. Fast jeder junge Mann dieser Gegend schwärmt für Rosi, die junge achtzehnjährige Frau, die nicht nur ein reizvolles Gesicht, sondern auch eine zarte, anmutige Figur besitzt. Doch es gibt ein Problem, mit dem die begehrte, junge Dame von Kindesbeinen an zu kämpfen hat. Durch eine frühe Kinderlähmung muss sie beim Laufen mit einer Fehlstellung des rechten Beines kämpfen, durch die sie zu einem leichten Hinken verurteilt ist. Was man nicht sieht, wenn sie lange Hosen oder ein langes Kleid trägt, das sind ihre dünnen, kaum geformten Beine, die sie verständlicherweise gern verbirgt.
Viele ihrer Verehrer lassen sich davon nicht abschrecken, aber nun interessiert mich doch, ob Ecki das reizvolle Mädchen wegen ihrer Behinderung fallen ließ.
Da ich mich telefonisch angekündigt habe, öffnet mir Helene, das Hausmädchen freundlich die Tür. „Rosi wartet schon auf dich“, verrät sie mir, und ich serviere euch gleich eine leckere Pfirsichbowle.“
Bowlen sind im Moment ganz modern, und man trinkt sie in allen Variationen auf jeder Party. Ob Rosi in Partystimmung ist?
In Gedanken versunken folge ich dem Hausmädchen auf die sonnige Terrasse.
Die Tochter des Hauses sitzt auf der Hollywoodschaukel, das hauchdünne, lange Sommerkleid bedeckt ihre Beine bis fast zu den Füßen. „Komm schon und setz sich zu mir!“ ruft sie mir freundlich zu. „Ich habe schon auf dich gewartet. Sicher kannst du mir die neuesten Nachrichten bringen.“
„Es gibt noch nichts Neues“, sage ich bedauernd und setze mich zu ihr auf die Schaukel. „Ich hoffe, dass du mir ein paar Hinweise geben kannst, damit der Mordfall bald abgeschlossen werden kann und auf dem Venusberg wieder Ruhe eingekehrt.“
Sie stöhnt kurz auf. „Immer denken alle, ich könnte etwas wissen. Aber ich habe mit Ecki seit einem halben Jahr nichts mehr zu tun. Ist er wirklich erschossen worden? In der Garage seines Elternhauses?“
Ich nicke. „Ja, so stand es auch inzwischen in allen Zeitungen. Ist an diesem Tatort etwas Besonderes?“
„Das Haus liegt an der Hauptverkehrsstraße, zwar von den Hecken des Parks verdeckt, aber in die Garage hat man von der Straße aus gute Einsicht, vorausgesetzt, sie ist offen. War sie offen?“
„Sie war tatsächlich offen, Ecki hat gerade dort den Rasenmäher herausholen wollen“, teile ich ihr mit.
„Sie lacht spöttisch. Wollte er etwa selbst den Rasen mähen? Das wäre ja mal etwas ganz Neues.“
„Nein, das wollte er tatsächlich nicht. Aber sein Vater hatte ihn gebeten, den Rasenmäher schon einmal im Auto zu verstauen, er wollte ihn zu einer Reparatur wegbringen.“
„Waren die Eltern zu der Zeit denn im Haus?“ erkundigt sich Rosi. „Ja, beide. Seine Mutter in der Küche und sein Vater im Schreibzimmer. Warum fragst du das?“
„Weil sie nicht gut auf ihren Sohn zu sprechen waren“, glaubt die junge Frau. „Sie hatten doch immer nur Ärger mit ihm. Dauernd riefen die Eltern verlassener Freundinnen bei ihnen an und beschwerten sich. Sie empfanden ihren Sohn doch als Makel in der Ahnengeschichte.“
Meine Augenbrauen heben sich. „Seine Schwester sieht das völlig anders. Sie glaubt, dass er sich in Liebesdingen alles herausnehmen durfte, wenn er sich sonst artig benahm.“
Rosi macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das musst du aber nicht glauben. Seine Lebensweise hat niemandem dort gefallen.“
Ich horche auf. „Kennst du seine Familie denn näher?“
„Ich war einmal dort, das hat mir gereicht. Sie haben mich angeschaut, als sei ich unterste Schublade. Ein kühles „Guten Tag“ haben die sich mit erhobenem Kopf herausgepresst und ihren Sohn mit einem vernichtenden Blick gemessen, alle beide. Vater und Mutter.“
„Und was ist mit Barbara, seiner Schwester? Welches Verhältnis hatte sie zu ihm?“