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Die beiden jungen Frauen Greta und Eliza möchten in diesem Jahr für einige Menschen im Ort den Weihnachtsengel spielen, doch sie ahnen nicht, welche Überraschungen aller Art auf sie zukommen. Ihre Hilfe scheint nicht jedem willkommen zu sein, und plötzlich befinden Sie sich in einer mysteriösen Geschichte.
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Seitenzahl: 172
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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher circa 100 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Inhaltsangabe:
Die beiden jungen Frauen Greta und Eliza möchten in diesem Jahr für einige Menschen im Ort den Weihnachtsengel spielen, doch sie ahnen nicht, welche Überraschungen aller Art auf sie zukommen.
Ihre Hilfe scheint nicht jedem willkommen zu sein, und plötzlich befinden sie sich in einer mysteriösen Geschichte.
In Italien, nördlich des Gardasees liegt in reizvoller Landschaft der Ort San Lorenzo Dorsino. Ein winziges Königreich, das sich dort im Verborgenen versteckt, sorgte in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen, denn die junge Prinzessin Federica wurde aus ihren königlichen Pflichten entlassen, um zunächst einmal ihren eigenen Weg zu finden. Dabei hatte sie mit Anfeindungen und Schwierigkeiten zu kämpfen, bis ihr klar wurde, dass sich ein wesentlicher Teil ihres zukünftigen Lebens im Bereich der Musik abspielen sollte. Nach einer Ausbildung in Venedig lebt sie nun wieder in ihrer Heimat, arbeitet als Organistin und leitet einen berühmten Kinderchor.
In der Nähe des königlichen Palastes liegt ein kleiner Ort, der durch ein jährlich wiederkehrendes Festritual berühmt geworden ist.
Es findet in einem kleinen See statt, der inmitten des Ortes in einem mit hohen Bäumen bewachsenen Park liegt. Dort leben seit einigen Jahren ein weißer Schwan und seine Schwänin, die sich im Winter, wenn sie nicht gerade auf dem Eis schlafen, gern von den Bewohnern des Dorfes füttern lassen.
Jedes Frühjahr wird ein junges Mädchen ausgesucht, das dem Schwanenpaar zum Weihnachtsfest auf einem beleuchteten, hölzernen Floß eine Festmahlzeit überbringen darf. In diesem Jahr hatte man Maria ausgewählt, die sich von einer Infektion nicht richtig erholt hat. Doch seit sie ausgewählt wurde, um diese feierliche Handlung auszuführen, besserte sich ihr Gesundheitszustand zusehends.
Alle Bürger im ganzen Umkreis von San Lorenzo freuten sich während der Sommer- und Herbst Monate auf das weihnachtliche Schwanen-Ritual.
Doch mitten im November geschah das Unfassbare: Von einem Tag zum anderen waren die Schwäne verschwunden. Alle Menschen ringsumher suchten nach den königlichen Vögeln und rätselten über ihren Verbleib.
Es wurde sehr viel spekuliert. Die Einen überlegten, ob jemand die Schwäne entführt hatte und Lösegeld verlangen wollte, die Anderen fürchteten gar, man habe sie gebraten und verspeist.
Der Bürgermeister Enrico lud zu einer Versammlung ein, und an diesem Abend sprach man viele Stunden über das schreckliche Ereignis. Auch die kleine Maria war zugegen und hörte sich aufmerksam an, was gerätselt, diskutiert und geplant wurde. Während ein paar Menschen geneigt waren, die Polizei oder Detektive einzubeziehen, nahmen andere Bürger an, dieser Verlust habe eine besondere Bedeutung.
Nach langen Diskussionen ergriff Maria das Wort. „Wir alle wissen, dass uns diese Schwäne nicht nur Freude gemacht haben, sondern uns auch gezeigt haben, dass die Welt hier noch in Ordnung ist. Schwäne gehören zwar zu den großen Entenvögeln, aber sie sind etwas Besonderes. Auf dem Land bewegen sie sich etwas plump, aber auf dem Wasser bewegen sie sich wie Könige. Ihr weißes Federkleid erinnert uns an Reinheit und Klarheit. Sie sind das Symbol für Treue und ewige Liebe. Auch die Aufzucht der Jungen zeigt, dass sie dieser Aufgabe viel Aufmerksamkeit widmen, denn oft tragen sie ihre Kleinen auf dem Rücken. Trotz ihres majestätischen Aussehens leben sie bescheiden und ihrer Art angemessen in den recht flachen Wassern, in denen sie mit ihrem langen Hals gründeln können, sich einfach und vorwiegend pflanzlich ernähren. So sind sie uns hier in diesem Ort für Vieles ein gutes Beispiel geworden.
Doch nun sind sie verschwunden. Fragen wir uns doch selbst einmal, ob sie vielleicht aus bestimmten Gründen von hier weggegangen sind! Sind wir hier noch der Ort, in dem alles in Ordnung ist? Nehmen wir uns noch ein Beispiel an dem Leben unserer weißen Schwäne? Denkt doch bitte einmal darüber nach!“
Diese Rede verursachte eine große Diskussion, und die Worte der kleinen Maria erreichten viele Ohren, aber auch manche Herzen. Zwei junge Frauen, Eliza und Greta schlossen sich mit dem Bürgermeister zusammen und planten, das diesjährige Weihnachtsfest, zu einem besonderen Erlebnis werden zu lassen, und zwar mit Geschenken für alle Bürger.
Arme und Kranke und alleinstehende Menschen sollten dabei besonders berücksichtigt und mit größeren Geschenken bedacht werden.
Maria verfolgte diese Absichten mit Aufmerksamkeit und begann wieder Hoffnung zu schöpfen. Von diesem Tag an besserte sich auch ihr Gesundheitszustand wieder ein wenig.
Und als man am ersten Advent, das erste Lichtlein entzündete, sagte das kleine Mädchen zu ihren Eltern: „Wenn die Schwäne wirklich fortgegangen sind, dann werden sie sicher nicht weit weg sein. Aus ihrem Versteck heraus können sie beobachten, was hier in der Gemeinde von San Lorenzo passiert, und sicherlich werden sie wieder zurückkommen, wenn die Welt wieder ganz in Ordnung ist.“
Die Prinzessin von Lorenzo, Federica, besuchte die kleine Maria und bot ihr eine Musiktherapie an, damit sie bald wieder gesünder werde. Aber das Mädchen lehnte das Angebot ab, mit der Begründung, sie müsse erst einmal Einiges abwarten. „Wenn die Schwäne nicht wiederkommen, werde ich von hier fortziehen, denn dann ist der Ort nicht gut für mich. Wenn sie aber wiederkommen, darf man sich in San Lorenzo wieder wohl fühlen, dann bleibe ich auch. Wenn dein Angebot bis dahin noch steht, möchte ich gern in deinem Kinderchor mitsingen.“
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Ganz in der Nähe des Stadtparkes finden wir ein weiß gestrichenes Mehrfamilienhaus, in dem heute mehrere Bewohner damit beschäftigt sind, sich auf die kommenden Festtage vorzubereiten.
Zwei junge Frauen stehen in der winzigen Küche und befüllen kleine Pakete mit aromatisch duftendem Weihnachtsgebäck.
Eliza zeigt auf das Backblech. „Du musst schnell zulangen! Gleich habe ich alle Plätzchen in die Tüten gepackt, und du hast bis jetzt noch nicht einmal probiert.“
Gretas Wangen leuchten rosig. „Puh! Es ist mir gerade viel zu heiß, und ich weiß nicht, ob das wegen deines gut funktionierenden Backofens oder meiner intensiven Beschäftigung ist. Meinst du nicht, wir sollten uns mal eine Pause gönnen?“
Die Freundin schüttelt den Kopf, und die blonden Zöpfe wippen. „Unmöglich. Diese Päckchen sind für Nikolaus, das ist schon morgen. Schau mal auf die Liste! Wir haben drei Kinder und vier Senioren entdeckt, die wir überzeugen müssen, dass es diesen heiligen Mann gibt. Mit den Weihnachtsüberraschungen können wir uns dann etwas mehr Zeit lassen.“
„Der alte Herr Schlumberger hat mir erzählt, dass in dem kleinen Haus am Stadtpark wieder jemand eingezogen ist, eine alte Frau soll es sein. Da könnten wir gleich einmal auf dem Rückweg vorbeischauen und nachsehen, ob diese Dame auch etwas benötigt.“
Eliza nickt. „Eine gute Idee. Aber ehrlich gesagt, ich habe es mir einfacher vorgestellt. Dr. Biermann, der hier früher Arzt gewesen ist, stellt sich ziemlich bockig an. Er hat mich ganz kalt an der Tür abgewiesen, als ich ihm die Tüte mit Plätzchen übergeben wollte.“
Greta zieht die Augenbrauen hoch und überlegt „Möglicherweise will er lieber selbstständig sein. Mein Onkel Franz ist in einem ähnlichen Alter, er legt auch immer viel Wert darauf, allen zu zeigen, wie gut er sich noch selbst helfen kann, aber die Sache mit den Plätzchen ist schon hart. Das müssen wir unbedingt einmal näher untersuchen.“
Auf Elizas Stirn erscheint eine Grübel-Falte. „Ich weiß nur, dass er allein wohnt, vielleicht wird dieser Doktor da ein bisschen kauzig. Oder er ist Diabetiker und darf keine süßen Sachen essen.“
Greta greift nach einem Lebkuchen und knabbert daran herum. „Meine Oma hat mich schon vorgewarnt. Sie meinte, wenn wir den Kindern helfen, werden wir bestimmt viel Spaß haben, aber Leute in ihrem Alter seien manchmal recht komisch.“
Ein Schrillen des Küchenweckers kündigt an, dass es Zeit ist, ein weiteres Backblech aus dem Backofen zu holen.
Eliza atmet auf und greift zu den Topflappen. „So, das ist jetzt das Letzte für heute. Vielleicht sind in unserem Ort die Menschen von heute auch viel zu sehr verwöhnt und mögen gar keine selbstgebackenen Plätzchen mehr. Wahrscheinlich muss es etwas Besonderes aus der Konditorei sein.“
Der Duft von Weihnachtsgewürzen und frischem Backwerk zieht durch die Küche.
„Wir wollen uns doch nicht entmutigen lassen“, beschließt Greta und hilft mit, die Plätzchen zum Auskühlen auf ein Drahtgitter zu legen. „Ein paar Menschen, die nörgeln, gibt es immer, egal was man tut.“
Die Tür öffnet sich und eine helle Kinderstimme meldet sich. „Hey, Mama! Das nenne ich mal eine coole und trotzdem heiße Beschäftigung. Darf man schon mal probieren?“
„Zuerst darfst du mal meine Freundin begrüßen, Nina“, mahnt Eliza. „Mit deinen dreizehn Jahren solltest du die normale Höflichkeit schon beachten können.“
„Mein Jakob ist auch oft so gedankenlos“, bemerkt Greta seufzend. „Mir geht es genau wie dir mit meinem manchmal gedankenlosen Sohn. Ist ja auch kein Wunder, wir sind doch quasi beide alleinerziehend nach unseren Scheidungen. Die heile Welt ist an uns eben vorübergegangen.“
Das Mädchen blinzelt die beiden Frauen vergnügt an. „Eine heile Welt gibt es nicht. Mit euren fünfunddreißig Jahren solltet ihr das doch inzwischen erkannt haben“, fügt sie scherzhaft hinzu.
„Leider“, bemerkt ihre Mutter und verzieht das Gesicht. „Aber wenn du schon mal hier bist, kannst du uns auch helfen!“ fordert Eliza ihre Tochter in freundlichem Ton auf.
„Ihr seid doch gerade so schön on Tour“, behauptet das Mädchen. „Störe ich da nicht?!“
Greta schmunzelt und sieht ihre Freundin vielsagend an. „Die Raffinesse hat sie von dir. Trotzdem haben wir irgendetwas Verrücktes gemacht, denn wir und unsere Kinder leben nicht wie die meisten. Wir passen wohl nicht in die Norm. Viele Familien, die ich kenne, passen richtig gut in ein Klischee, oder?“
„Darüber mache ich mir im Moment gar keine Gedanken“, wehrt Eliza ab. „Momentan kommen wir gut miteinander aus, meine Tochter und ich. Das allein ist mir wichtig. Aber im Augenblick interessiere ich mich mehr für unsere Arbeit als Weihnachtsengel.“
„Da habt ihr euch eine Menge vorgenommen“, findet Nina. „Und es wird euch nicht immer Spaß machen. Die Mutter meiner Freundin hatte neulich viel Ärger, als sie an den Haustüren für den Martinszug gesammelt hat. Die Frauen hatten vor, neue Weckmänner aus gesundem Mehl backen zu lassen. Aber da gab es eine ganze Menge Leute, die sehr böse reagiert haben. Besonders der alte Doktor. Der hat Sabines Mutter die Tür vor der Nase zugeschlagen.“
„Über den haben wir eben auch schon gesprochen“, berichtet Eliza. „Er wollte unsere Geschenktüte nicht annehmen. Wir sind schon sehr gespannt, wenn wir die neue Mieterin auf der Waldstraße 13 aufsuchen. Hoffentlich empfängt sie uns nicht so unfreundlich.“
„Aber dort wohnt doch gar keiner“, widerspricht Nina. „Da hat doch seit Jahren niemand mehr gewohnt.“
„Herr Schlumberger will aber wissen, dass dort wieder eine alte Frau eingezogen ist“, antwortet Greta. „Und woher willst du wissen, dass dort niemand wohnt?“
„Ich war vorhin noch mit Sabine dort, wir sind ein bisschen mit den Rädern herumgefahren. Aber alle Rollladen waren heruntergezogen, und es war keine Menschenseele zu sehen.“
„Vielleicht hat sie gerade ihren Mittagsschlaf gehalten“, vermutet Greta.
„Möglicherweise lässt sie auch gerade die Zimmer renovieren. Das Haus war lange leer, da hat es sicherlich auch von Innen einen neuen Anstrich nötig“, überlegt Eliza.
„Wie auch immer!“ Nina verliert das Interesse an diesem Thema. „Also?
Womit kann ich euch jetzt glücklich machen?“
Die Mutter drückt ihr eine Tüte in die Hand. „Nimm immer eine schöne Mischung von allen Plätzchen! Aber nur von den Abgekühlten! Und nicht zu viel naschen!“
Als Eliza das Haus mit der Nummer 13 entdeckt, stellt sie nachdenklich ihr Fahrrad ab und überlegt, ob sie die Bewohner um diese Zeit noch stören soll. Immerhin ist es schon ziemlich dunkel, und vielleicht geht die alte Dame zeitig ins Bett?
Die sieben Schläge der nahen Kirchturm-Uhr verraten der jungen Frau, dass es bereits neunzehn Uhr ist, und sie zögert immer noch, den Klingelknopf zu bedienen.
Gerade, als sie sich entschieden hat, an einem anderen Tag einen neuen Versuch zu wagen, öffnet sich die Haustür wie von Zauberhand.
Zuerst erkennt sie niemanden in dem dunklen Flur, aber plötzlich leuchtet ein mattes Licht von der Decke her, und Eliza erkennt eine gebückt gehende, ältere Frau.
„Komm herein, Kind!“ fordert die ältere Dame ihren Gast auf. „Ich habe dich schon erwartet.“
Die junge Frau staunt. Woher weiß diese Frau denn, dass sie die Absicht hat, ihr einen Besuch abzustatten?
„Eigentlich wollte ich hier nicht so spät stören“, entschuldigt sich Eliza.
„Es ist noch früh am Abend“, wehrt die ältere Dame ab. „Ich bin die Donata und habe vor vielen Jahren hier gewohnt. Danach bin ich nicht mehr so gut allein zurechtgekommen und lebte eine ganze Weile bei meiner Cousine. Aber nun hat mich das Heimweh wieder zurückgeholt. Ich kenne hier jeden im Ort und dich natürlich auch.“
„Sie kennen mich?“ fragt die junge Frau ungläubig.
Auf dem faltigen Gesicht der älteren Frau erscheint ein Lächeln. „Nun ja, es war ein wenig schwierig, dich wiederzuerkennen. Schließlich warst du damals noch ein kleines Mädchen. Ab und zu habe ich dir einen Schokoriegel geschenkt, wenn es deine Mutter erlaubte. Und da hast du natürlich Du zu mir gesagt. Du brauchst jetzt nicht zu fremdeln. Sag einfach auch jetzt wieder Du zu mir, wie früher.“ Sie führt Eliza ins Wohnzimmer und bietet ihr einen Platz auf dem altmodischen Sofa an.
„Sicher hast du jetzt eine ganze Menge Fragen an mich“, vermutet die ältere Frau und sieht ihren Gast aufmunternd an.
Eliza seufzt. „Ja, tatsächlich. Lebst du jetzt ganz allein in diesem großen Haus? Geht das denn so ganz ohne Hilfe?“
„Aber natürlich, ich komme noch gut zurecht. Trotzdem freue ich mich, wenn du mir wie den anderen Senioren von deinen köstlichen Plätzchen ein paar vorbeibringst. Das wolltest du mich doch fragen, oder?“
Die junge Frau nickt. „Anscheinend hat sich das schon im Ort herumgesprochen. Das finde ich super, dass du davon probieren möchtest. Viele unserer lieben Senioren hier sind da leider sehr zurückhaltend. Ich denke besonders an Dr. Biermann, der häufig recht abweisend sein soll.“
„Ach, du meinst den Albert. Er ist nicht der Schlechteste hier im Ort. Seit seine Frau verstorben ist, grummelt er ein bisschen herum. Du wirst ihn schon wieder zum Leben erwecken, und dafür gebe ich dir ein paar Tipps. Wirklich böse ist momentan nur der Roberto, der die Gebrauchtwagen verscherbelt, denn er hat wirklich einiges auf dem Gewissen.“
Eliza sieht die ältere Dame verwundert an. „Denkst du, weil er die Autos zu teuer verkauft oder weil er vielleicht mit minderwertigen Fahrzeugen handelt?“
„Wenn es das nur wäre! Aber damit will ich dich jetzt gar nicht belasten. Die Weihnachtszeit sollte eine friedliche Zeit sein, und jetzt will ich dir erst mal helfen, diese unfreundlichen Menschen etwas zu beruhigen. Der Albert Biermann scheint momentan deine größte Sorge zu sein. Wusstest du auch, dass er früher einmal Künstler werden wollte?“
„Nein, davon weiß hier niemand etwas. Und warum ist er es nicht geworden?“
„Er hatte eine große Familie, für die er sorgen musste. Als später seine Frau schwer krank wurde, gab er alles Geld dafür aus, um ihr helfen zu können. Aber sie wurde trotzdem nicht wieder gesund.“
„Das ist wirklich sehr traurig“, findet Eliza. „Dann ist er nur so mürrisch, weil er seine Frau vermisst?“
„Er ist auch ein bisschen wütend auf sie, denn sie hat heimlich Geld beiseitegeschafft, um ihm nach ihrem Tod eine Überraschung zu bereiten.“
„Jetzt bin ich aber neugierig“, bekennt die junge Frau.
„Sie hat einen großen Marmorblock aus Italien bestellt, der nach ihrem Ableben zu ihm geliefert wurde, denn den hatte sie bereits gekauft. Er ist nämlich mit seiner ganzen Leidenschaft ein Bildhauer, aber er hat sich immer nur um die Familie und seine Frau gekümmert.“
Eliza nickt. „Ich ahne es. Und jetzt ist er wütend, weil sie das ganze Geld für ihn ausgegeben hat. Vermutlich denkt er jetzt, dass er mit diesem Wert noch viele Medikamente hätte kaufen können. Er wird sich überlegen, ob sie nicht mit irgendwelchen teuren Ärzten im Ausland gesund geworden wäre. Stattdessen sparte sie das Geld heimlich für seinen Marmorblock.“
„Genauso ist es. Deswegen steht dieser Marmorblock auch seit drei Jahren völlig unberührt auf seiner Terrasse. Er hat noch nichts damit angefangen.“
„Oh, das ist wirklich übel“, findet Eliza. „Es würde seiner Frau bestimmt große Freude machen, wenn er endlich anfangen würde, daraus etwas zu zaubern. Aber wenn er immer noch mit dem Schicksal hadert, wird er noch keine Kraft haben, irgendetwas zu schaffen.“
„Richtig, das hast du gut überlegt. Und deswegen solltest du dich nicht damit zufriedengeben, wenn Albert dich mit deinen Plätzchen wieder zurückschickt. Er ist nicht der Typ, der gern etwas annimmt, und nach diesem Schicksalsschlag sowieso nicht. Aber er ist ein sehr hilfsbereiter Mensch, und von dieser Seite könntest du ihn wirklich packen. Ich habe gehört, dass du auch viele Überraschungen für die Kinder planst, sogar für Weihnachten. Dieser Albert ist handwerklich sehr begabt, das kannst du dir bestimmt vorstellen.“
„Ja, das kann ich. Wenn einer imstande ist, aus einem großen Steinblock, eine Figur herauszuarbeiten, dann muss er auch ganz besondere Hände haben, viel Geschick und sogar ein bisschen Kraft. Hat er denn noch die körperliche Energie?“
„Bestimmt. Weil er sich von niemandem helfen lassen will, macht er noch alles allein in seinem großen Haus. Das hält ihn natürlich fit.“
Eliza überlegt. „Du meinst also, ich könnte mich mit ihm über Michelangelo unterhalten und könnte ihn damit ein wenig auftauen?“
„Michelangelo war zwar einer der größten Bildhauer, aber seine Lieblinge sind Canova und Andrea Calamech“, berichtet Donata.
Die junge Frau staunt. „Woher weißt du das alles. Kennst du ihn so gut?“
Die ältere Frau lächelt. „Nein, aber ich habe seine Frau gut gekannt, und die hat mir einiges über ihn verraten. Doch ich denke, du könntest Mittel und Wege finden, ihn über die Bildhauerei anzusprechen.“
„Ich werde mir etwas überlegen. Weißt du etwa über andere Leute genauso viel?“
Donata nickt. „Ja, früher lebten die Menschen nicht so isoliert wie heute. Stattdessen traf man sich auf der Straße oder beim Einkaufen auf dem Markt. Wenn du willst, kann ich dir mehr über deine Leutchen erzählen. Am besten besuchst du mich immer so wie heute, wenn es dunkel ist. Dann wirst du mich meist antreffen.“
Elizas Augen leuchten. „Das mache ich gern. Hast du denn auch einen besonderen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“
„Den verrate ich dir dann ein anderes Mal. Und jetzt sieh zu, dass du bald nach Hause kommst. Die Luft riecht nach Schnee, und es könnte auch ein wenig stürmisch werden.“
Die junge Frau bedankt sich und verabschiedet sich von ihrer Gastgeberin. „Bis bald, und ich bin sehr froh, dass du mir helfen wirst.“
„Ich habe inzwischen schon die Suppe aufgewärmt“, begrüßt Nina ihre Mutter, die sich gerade den Mantel auszieht und die Hände reibt. „Wie schön“, freut sich Eliza. „Ich gehe nur noch ins Bad, und dann können wir essen.“
„Du warst ziemlich lange fort“, ruft das Mädchen hinter der Badezimmertür. „Wo warst du denn so lange?“
„Ich war an dem schon lange leerstehenden Haus am Park und habe die ältere Dame angetroffen, die wieder zurückgekommen ist. Sie heißt Donata und ist sehr liebenswürdig. Tatsächlich wird sie mir helfen, den Kontakt zu den Menschen herzustellen, die sich bisher weigern und distanziert verhalten.“
Nina klopft auf die Tür. „Das kann gar nicht sein, Mama. Ich habe vorhin mit meiner Freundin gesprochen, und ihre Mutter arbeitet im Ort als Briefträgerin. Die weiß ganz genau, dass dort niemand wohnt. Das Haus steht leer, und die Läden sind alle herunter. Vielleicht hast du ja bei einer Nachbarin geklingelt.“
Im Badezimmer fließt Wasser, kurz darauf tritt die Mutter heraus. „Nein, Liebes! Es war die Hausnummer 13, und ich habe nicht geträumt. Die freundliche alte Dame hat mir die Tür geöffnet und mich hereingebeten.“
Das Mädchen lacht. „Jetzt willst du mich aber ganz schön verschaukeln. Seit wann soll das Haus denn wieder bewohnt sein?“
Eliza überlegt. „Das ist noch nicht so lange her! Sicher weiß die Briefträgerin noch nichts davon. Ich habe mir diese Begegnung schließlich nicht eingebildet. Du kannst gern einmal mit mir dorthin gehen, dann kannst du diese nette ältere Dame mal kennenlernen. Sie hat mir auch weiterhin ihre Hilfe angeboten.“
Nina holt die Suppe aus der Küche und bringt sie in die Ess-Ecke des