Der Puppenspieler vom Siebenswinkel - Gudrun Leyendecker - E-Book

Der Puppenspieler vom Siebenswinkel E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Ein Mord auf dem Gutshof – und eine Frau, die sich nicht täuschen lässt Der Gutshof Waldesruh liegt malerisch im Siebenswinkel, ein Ort voller Ruhe, Natur - und eines Tages: ein Tatort. Als einer der beiden Gutsherren ermordet wird, taucht Hannah auf. Nicht als Besucherin, sondern als Ermittlerin. Zwischen Apfelbäumen, Zwillingen und verstohlenen Blicken entspinnt sich ein verzweigtes Netz aus Geheimnissen. Der Kreis der Verdächtigen ist klein - doch jeder scheint ein Motiv zu haben: die Haushälterin, der Gärtner, die Töchter, sogar der Bruder des Opfers. Hannah vertraut ihrem Instinkt und stellt Fragen, die niemand hören will. Was wie ein idyllischer Rückzugsort wirkt, entpuppt sich als Bühne für Eifersucht, Neid und alte Wunden. Mit feinem Gespür und klarem Verstand folgt Hannah der Spur - bis zur alles entscheidenden Frage: Wer spielt hier ein doppeltes Spiel? Ein atmosphärischer Cosy Crime für alle, die feinsinnige Spannung und charmante Ermittlerinnen lieben.

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsangabe

Der Gutshof Waldesruh liegt im Siebenswinkel, einer malerischen Landschaft am Fuß eines Mittelgebirges und lockt Spaziergänger und Fotografen in seine Nähe.

Hannah erscheint dort jedoch nicht, um sich an dem romantischen Anblick zu erfreuen, sondern um einen Mord an einem der beiden Gutsherren aufzuklären. Eine Reihe von Verdächtigen stiftet Verwirrung, unter ihnen befinden sich auch der Zwillingsbruder, die drei Töchter, die Haushälterin und nicht zuletzt der Gärtner.

Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 110 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 1

Das alte Gut mit dem romantisch klingenden Namen „Waldesruh“ liegt am Hang des bewaldeten Mittelgebirges und zeigt sich im Sonnenlicht von seiner schönsten Seite. Die helle, sauber gestrichene Fassade leuchtet mir entgegen, und die neuen Dachziegel schimmern wie frisch gewaschen von den milden Schauern eines warmen Sommerregens.

Ich erinnere mich an die Worte meines Chefs, der mir diesen idyllischen Ort als ein malerisches Plätzchen beschrieb, und ich gebe zu, er hat nicht übertrieben. Während mir die saftig grünen Rasenflächen frisch gemäht entgegenleuchten und von einer regelmäßigen Pflege erzählen, scheint die restliche Natur unberührt zu leben und ungehindert zu wachsen. Wild blüht, grünt und wuchert das übrige Buschwerk in kleinen Gruppen und Wäldchen.

„In diesem Eckchen, das sich „Siebenswinkel“ nennt, wirst du dir vorkommen wie im Urlaub“, versprach mir gestern noch Jakob Neumanns, mein Juniorchef.

Unter anderen Umständen hätte ich ihm Recht gegeben, aber da ich darüber informiert wurde, dass an diesem friedlich aussehenden Plätzchen vor einer Woche ein Mensch auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen ist, bin ich mehr als nur skeptisch. Schließlich wurde ich instruiert, unter den im Schloss momentan Anwesenden einen Verdächtigen zu finden, der für das Ableben des Gutbesitzers Bertram von Finschgau verantwortlich sein soll.

Viel weiß ich noch nicht über die im Gutshof heute anwesenden Bewohner und Gäste. Ich habe mir gemerkt, dass ich dort den Zwillingsbruder des verstorbenen Bertram, einen gewissen Robert treffen werde, der dort seit vielen Jahren lebt und sich mit seinem Bruder außerordentlich gut verstanden haben soll.

Ich weiß, dass der Gärtner Jost für die Außenanlagen verantwortlich ist und im Inneren des Gebäudes die junge Haushälterin Miriam seit sechs Jahren schaltet und waltet.

Um alle notwendigen Erbschaftsangelegenheiten zu regeln, sind offenbar die drei Töchter des Gutsherrn aus verschiedenen Himmels-Richtungen angereist und werden von einer entfernten Verwandten, der Tante Agathe betreut, die ab und an in Waldesruh zu Gast ist.

Nachdenklich schlendere ich auf den Eingang des Gebäudes zu.

Vor dem großen hölzernen Portal entdecke ich einen großen, kräftig gebauten Mann, der gerade die bunten Sommerblumen in den großen Zier-Kübeln mit Wasser versorgt.

Als er meine Schritte hört, dreht er sich zu mir um. „Sie wünschen?“

Sein ernster, verschlossener Gesichtsausdruck zeigt mir, dass ich von ihm keine bemerkenswerte Menge an Informationen erwarten kann, und ich begrüße ihn erst einmal höflich mit einem freundlichen „Guten Tag“.

„Agathe von Strehle hat mich eingeladen, ein paar Tage in diesem Schloss zu wohnen. Ich denke, sie wird mich schon erwarten,“ füge ich hinzu.

Das Gesicht des nicht mehr ganz jungen Mannes entspannt sich etwas. „Wenn Sie erwartet werden, dann ist es gut. Ansonsten soll ich nämlich jeden Besucher abweisen.“

Er nimmt mir den Rollkoffer ab und führt mich ins Haus. „Sie können hier in der großen Diele auf dem Sofa Platz nehmen. Ich werde Frau Agathe sofort informieren.“

Ich nehme auf der gemütlichen, mit einem Blumenstoff bezogenen Couch Platz und betrachte die kleine Eingangshalle. Neben verschiedenen kleinen Steinskulpturen befinden sich in dem großen, kühlen Raum einige Blumenkübel, in denen allerlei einheimische Grünpflanzen wachsen. An einer Wand entdecke ich ein Gemälde, auf dem zwei junge Männer abgebildet sind, die sich sehr ähnlichsehen. Bevor ich mir die Gesichter näher anschauen kann, reißt mich eine etwas blecherne Stimme aus meinen Betrachtungen.

„Das sind meine beiden Neffen!“ erklärt die elegante ältere Dame, die auf mich zusteuert. „Das Bild ist anlässlich ihrer Abifeier entstanden, denn der Künstler war ein Mitschüler der beiden und ließ zur Erinnerung dieses Gemälde zurück, bevor er als Kunstschüler nach Sevilla auswanderte. Und Sie sind sicher Hannah, die mir von Herrn Neumanns avisiert wurde?!“

Ich nicke kurz und reichte ihr die Hand. „Richtig, und Sie sind bestimmt Frau von Strehle?! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!“

„Ich bin Tante Agathe für alle hier“, antwortet sie eilig, „und Sie sind im Alter meiner drei Nichten, da können wir ruhig Du zueinander sagen. Oder hast du etwas dagegen?“

„Im Allgemeinen nicht, das sehe ich sonst auch ganz locker. Sofern das nicht gegen die Regeln von Arbeitgeber und Arbeitnehmer verstößt, bin ich damit gern einverstanden“, antwortete ich, noch etwas unsicher, denn trotz aller freundlicher Worte strahlt die ältere Dame etwas Majestätisches aus, und ich überlege, ob das etwas mit ihrer adligen Herkunft zu tun haben kann.

Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, Unsinn! Wenn du hier einen Einblick gewinnen möchtest, dann musst du auf Tuchfühlung gehen. Soll ich dir einen Kaffee bringen lassen?“

Ich lehne dankend ab. „Vielleicht nehme später einen Tee, aber den kann ich mir auch selbst machen, wenn ich darf.“

Tante Agathe nickt. „Die große Küche ist für alle da, und Miriam, die Haushälterin und Köchin ist froh, wenn man ihr ein paar Handgriffe abnimmt. Hat dich dein Chef schon über alle Personen gut instruiert?“

„Nein, er ist der Meinung, ich solle mir selbst ein Bild von jeder einzelnen Person malen und einen speziellen Überblick verschaffen. Muss ich auf irgendetwas achten? Wissen alle über den Grund meines Erscheinens Bescheid?“

Sie nickt erneut. „Alle sind froh, dass sich jemand um die traurige und unangenehme Angelegenheit kümmern will. Die vielen Beamten, die in der letzten Zeit hier waren, haben die Bewohner ziemlich genervt. Jetzt freuen sie sich über eine Person, die etwas rücksichtsvoller an die Sache herangeht.“

„Und das soll ich sein?“ frage ich erheitert und gleichzeitig irritiert.

„Dein Chef hat dich so beschrieben, und ich denke, er hat nicht zu viel versprochen. Du kannst dich also von jetzt an wie zu Hause fühlen, und alle werden dir Rede und Antwort stehen. Hast du noch irgendeine grundlegende Frage?“

„Ja, und das frage ich am besten gleich dich, denn bei den anderen Personen werde ich lieber ganz individuell vorgehen. Wie sieht es hier mit dem Erbe aus? Wer erbt den Gutshof, und wer die pharmazeutische Fabrik? Und falls es noch mehr gibt, wer erbt das? Dazu gehört dann auch noch eine wichtige Information über den Besitz, die mich interessiert. Ist irgendetwas davon verschuldet?“

„Die Zwillinge haben von ihren Eltern ein großes Vermögen geerbt. Robert besitzt einige sehr lukrative Immobilienobjekte in der Stadt, die hat er an Geschäftsleute und Privatleute vermietet. Zudem hat er sein gutgehendes Labor für medizinische Forschung. Trotzdem hat ihm sein Bruder jetzt einige Anteile seiner pharmazeutischen Fabrik vererbt, den Rest der Firma und den Gutshof erben seine drei Töchter zu gleichen Teilen. Seine drei Exfrauen sind bereits gut versorgt.“

Ich überlege. „Das ist keine spektakuläre Aufteilung. Auf den ersten Blick kann ich kein Mordmotiv darin erkennen. Aber so schnell will ich mich nicht festlegen.“

„Ich denke, der Mörder muss sein Opfer gehasst haben“, teilt mir Tante Agathe ihre Vermutung mit. „Bertram wurde mit der Waffe aus kurzer Entfernung mitten ins Herz getroffen.“

„Der Täter muss gute anatomische Kenntnisse gehabt haben“, bemerke ich, „denn nicht jeder weiß, wo das Herz so genau im Körper sitzt. Kennst du denn jemanden, der Bertram gehasst hat?“

Die ältere Dame hebt die Augenbrauen, runzelt die Stirn ein wenig und antwortet zögernd: „Bedingungslos geliebt hat ihn sein Bruder. Seine Töchter sind immer sehr folgsam gewesen und sie schätzen ihn als Geldgeber. Eine Vater-Tochter-Beziehung hat immer ihre Problematik, Liebe ist ein großes Wort, und Hass erst recht. Wenn du mich fragst, so glaube ich, dass es eine von den Exfrauen war, die ihn umgebracht hat.“

Ich sehe Agathe erstaunt an. „Befinden sie sich denn hier in der Nähe? Haben sie einen Zutritt zum Gutshof?“

„Sie wohnen in einiger Entfernung, aber das muss ja nichts heißen. Bertram hat zwar alle Schlösser auswechseln lassen, jedes Mal, wenn eine abservierte, reich abgefundene Ehefrau den Hof verlassen hat, aber die Töchter besitzen alle einen aktuellen Hausschlüssel. Davon könnte sich eine der Mütter einen Nachschlüssel gemacht haben, wenn sie es geschickt angestellt hat.“

„Wie war er denn überhaupt so, dieser Bertram? Eher ein Geschäftsmann, oder jemand, der den Menschen mit seinen Medikamenten helfen wollte?“

Sie atmet tief. „Das ist schwer zu sagen. Natürlich achtete er darauf, dass er gute Erträge erarbeitete, aber er verbrachte sehr viel Zeit mit seinem Bruder im Labor. Das war so seine Leidenschaft, und die Zwillinge brachten so manches neue Medikament auf den Markt.“

Ich sehe sie aufmerksam an. „Und wie war Bertram sonst?“

„Ein typischer Mann. Er liebte den Erfolg und verlor nicht gern. Zu seinen Töchtern war er manchmal streng, aber ab und zu verwöhnte er sie auch mit Geldgeschenken. Ich habe nie eine bestimmte Erziehungsrichtlinie an ihm erkannt. Manchmal dachte ich, er geht ganz nach seiner Laune. Ein bisschen eitel war er, und zu seinen Dienstboten pflegte er Distanz zu halten. Jost ist sowieso wortkarg, in der Kommunikation zwischen den beiden gab es nur wenige Worte, und Miriam ist zwar vorwitzig, aber bei ihrem Chef traute sie sich nicht, große Reden zu schwingen.“

„Sie hatte Respekt vor ihm?“ frage ich nach.

„Bestimmt. Man wurde nicht nur durch seine imposante Erscheinung beeindruckt, nein, auch sein Auftreten wirkte selbstbewusst und siegessicher. Aber du kannst Miriam, die junge Frau gleich selbst fragen. Sie ist gerade in der Küche und putzt Gemüse zu. Wenn du also gern einen Tee haben möchtest, kannst du die Gelegenheit nutzen, um sie etwas auszufragen.“

„Soll ich der Pietät halber nicht lieber etwas langsamer vorgehen? Ich will nicht länger als nötig den Haushalt durcheinanderbringen, aber das schreckliche Ereignis ist noch nicht so lange her. Da sollte ich Rücksicht nehmen,“ erkläre ich ihr.

„Wenn die Töchter da sind, geht hier alles bunt durcheinander“, berichtet Tante Agathe lächelnd. „Bei so viel Frauen im Haus werden die Regeln abgewandelt.“

„Das heißt also, dass Bertram seine Töchter auch nachsichtig behandeln konnte?“

„Selten, ganz, wie er gelaunt war. Aber jetzt ist der Onkel hier, und Robert kann seinen Nichten nichts abschlagen.“

„Dann habe ich ja schon einmal den ersten Überblick“, finde ich. „Trotzdem habe ich noch eine Frage zu den Ex-Frauen. Die Töchter sind doch alle noch relativ jung. Wie hat es Bertram geschafft, sich relativ schnell von einer Frau zu trennen und sofort wieder eine neue zu finden? Wenn ich es auf meinem Handy richtig gelesen habe, haben die drei Töchter einen Altersunterschied, der stets zwei Jahre beträgt. Ist das richtig so?“

„So ist es. Bertram hat geheiratet und sehr schnell seine erste Tochter Kathinka bekommen. Nach einem Jahr ließ er sich scheiden und erwirkte alle Rechte zur Erziehung seiner erstgeborenen Tochter. Seine Frau Lea fand er großzügig ab. Kurz danach heiratete er Undine, die ihm neun Monate später ebenfalls eine Tochter mit dem schönen Namen Dalida schenkte. Mit seiner zweiten Frau verfuhr er ebenso wie mit der ersten. Er fand sie mit viel Geld reichlich ab und zog beide Töchter mithilfe von Au-Pair Mädchen auf. Als Dalida ein Jahr alt war, heiratete er Carla, die wiederum zehn Monate später ein Kind gebar, und das war dann Jasmin, Bertrams dritte Tochter. Nachdem Jasmin ein Jahr alt war, ließ er sich auch von Carla wieder scheiden und half ihr bei einer Existenzgründung. So zog er seine drei Töchter gemeinsam mit einem Gärtner, verschiedenen Au-Pair Mädchen und diversen Haushälterinnen groß.“

„Das hört sich schon etwas merkwürdig an“, finde ich. „Ist das alles denn nun so Zufall, oder hat Bertram alles absichtlich so eingefädelt?“

„Er hat nichts dem Zufall überlassen“, weiß Agathe. „Ich habe mich auch darüber gewundert.“

„Hast du ihn einmal gefragt, warum er das so eingerichtet hat?“

„Nein. Er selbst sagte mir einmal, diese drei Frauen hätten sich nach der Geburt nicht als die Mütter erwiesen, die er für seine Töchter erwartet hätte. Und so habe er den Frauen eine gute Zukunft ermöglicht und allein derart für die Kinder sorgen können, wie er es sich vorgestellt hat. Offenbar waren die Mütter mit dieser Regelung zufrieden.“

„Es klingt sehr seltsam“, finde ich. „Aber wenn alle Beteiligten damit zufrieden waren, scheint es wohl die beste Lösung gewesen zu sein. Ich hoffe nicht, dass er einfach nur Frauen gesucht hat, die ihm Kinder schenken, oder?“

„Tatsächlich gibt es dafür keine Indizien. Er hat die Frauen nicht mit Anzeigen, geschweige denn in Portalen gesucht. Er hat sie alle in seinem Umfeld kennengelernt, mit Erfolg umworben und keine Zeit verloren, sie zu heiraten.“

„Dann muss er Kinder wohl sehr gern gehabt haben“, vermute ich. „Und er muss sich sicher gewesen sein, Kinder gut erziehen zu können. Ist denn mit ihnen alles in Ordnung?“

„Seine Töchter sind so unterschiedlich wie ihre Mütter und haben eine Reihe ganz interessanter Gene. Da will ich jetzt nun wirklich nicht vorgreifen und dir zu viel aus meiner Perspektive sagen. Es ist besser, du nimmst sie dir einzeln vor.“

„Eine interessante Aufgabe“, finde ich. „Ich bin immer sehr neugierig auf Menschen und vor allen Dingen stets unvoreingenommen. Dann ist es immer sehr spannend, jemanden kennenzulernen.“

Tante Agathe schmunzelt. „Dann kannst du dich jetzt auf einiges gefasst machen. Aber lass dir bitte von Miriam auch einen Imbiss zubereiten, du siehst schon ganz blass aus. Oder haben dich meine Mitteilungen so erschreckt?!“

Eilig schüttle ich den Kopf. „Nein, nein“, sage ich schnell. „Ich bin einiges gewohnt.“

„Gut, dann sehen wir uns später wieder. Ich muss im Büro noch einige Papiere einsortieren, die uns die Polizeibeamten nach der Durchsicht zurückgegeben haben. Das sind dann die zusätzlichen lästigen Nebenwirkungen, die solch ein tragischer Fall nach sich zieht.“

Ich sehe sie mitleidig an. „Es tut mir leid. Ja, solch ein Erlebnis muss schrecklich sein.“

Sie wischt sich die feuchten Augenwinkel aus. „Es ist furchtbar, aber ich versuche, starke Nerven zu zeigen. Für die Kinder.“

„Bis später!“ sagt sie. „Und die Küche findest du hier rechts, gleich nebenan.“

Kapitel 2

Miriam, die kleine, etwas mollige junge Frau, lässt nicht zu, dass ich mir meinen Tee selbst zubereite. „Hier werkelt jeder in der Küche herum, wann und wie er will. Dabei bin ich froh, wenn ich mich hier beschäftigen kann. Welchen Tee möchtest du? Wir haben hier eine Menge verschiedener Sorten anzubieten.“

Ich wähle einen grünen Tee und setze mich an den langen Tisch. „Dabei wohnen doch hier genügend Personen, die Ansprüche stellen könnten“, antworte ich verwundert.

„Bertrams Töchter sind sehr unterschiedlich. Jasmin, die Empfindliche, isst oft nur das, was sie sich selbst zubereitet hat. Sie ist gegen sehr viele Dinge allergisch und lebt nach einer speziellen Diät. Kathinka und Dalida lieben es etwas mehr extravagant, sie experimentieren gern selbst in der Küche. Nur Robert und Jost kann ich einfach alles anbieten. Sie sind immer zufrieden, wenn jemand für sie kocht. Und ich bin leider so ein altmodisches Hausmütterchen, das jeden versorgen möchte.“

„Dann bin ich wohl hier in den nächsten Tagen gut versorgt“, teile ich ihr schmunzelnd mit.

Miriam reicht mir den Tee. „Wir werden uns glänzend verstehen“, prophezeit sie. „Wie wäre es mit einem Kirschkernkissen für heute Nacht? Die Nächte sind hier im Moment recht kühl, der alte Gutshof ist gut isoliert.“

„Ich werde es einmal ausprobieren“, verspreche ich ihr und nippe an dem heißen Getränk. „Und jetzt, da ich so gut versorgt bin, möchte ich das Thema leider einmal auf den Verstorbenen lenken. Hast du einen Täter im Verdacht?“

„Wir vermuten, dass es eine von Bertrams Ex-Frauen getan hat, so denken wir alle im Schloss, wobei natürlich jede Tochter ihre eigene Mutter als Täterin völlig ausschließt, was die Sache mehr als kompliziert macht.“

„Sie ist sehr kompliziert, ja. Besonders, da mir Agathe bereits mitteilte, dass alle Töchter einen Hausschlüssel besitzen, zu dem auch die Ex-Frauen einen Zugang gehabt haben können. Aber welcher Exfrau traust du denn so etwas zu?“

„Das kann ich leider nicht sagen“, bedauert Miriam. „Im Schloss waren sie ja bei Bertram nicht mehr willkommen. Lediglich, wenn er zu einem Kongress unterwegs war, trauten sich die Mütter, hier bei ihren Töchtern eine kurze Stippvisite zu machen, und dabei habe ich sie noch flüchtig gesehen.“

„Dann haben sie keinen bedeutenden Eindruck bei dir hinterlassen?“ erkundige ich mich seufzend.

„Nun ja, eines ist mir schon aufgefallen, sie sind hier sehr bescheiden aufgetreten, aber das mag an der Situation gelegen haben. Schließlich haben sie nicht das beste Verhältnis zu ihren Töchtern.“

„Haben sie überhaupt ein Verhältnis zueinander, die Mütter und die Töchter? Wann haben sie sich denn kennengelernt? Und sind die jungen Frauen nicht sehr böse gewesen auf ihre Mütter?“

„Das mag dir jetzt alles sehr komisch vorkommen, ungewöhnlich ist es ja auch. Aber die Kinder haben es nicht anders kennengelernt, sie hatten ihre Au-Pair Mädchen und Haushälterinnen als weibliche Umgebung, den Vater und manchmal den Onkel als männliche Vorbilder. Sie kannten es nicht anders, und sie wussten es nicht anders. Sie waren in keinen öffentlichen Schulen, sondern hatten Privatlehrer, und als Freunde kamen nur ganz auserwählte Kinder, die Bertram eingeladen hat. Ins öffentliche Leben entlassen wurden die Töchter erst, als sie achtzehn Jahre alt waren.“

„Für mich hört sich das alles sehr merkwürdig an“, gestehe ich ihr. „Warum hat Bertram aus den Mädchen Außenseiterinnen gemacht?“

„Er behauptete, sie seien ganz normal groß geworden. Mit dem Haus-Personal, dem Onkel, den Schwestern, den Au-Pair Mädchen und den ausgewählten Freunden hätten sie genug Gesellschaft gehabt, um ganz wie jeder andere Mensch aufzuwachsen.“

„Es fehlen ihnen wichtige Erfahrungen“, behaupte ich. „Man muss sich doch seine Freunde im Leben selbst aussuchen können, auch wenn man dabei einmal auf die Nase fällt.“

„Bertram sah das anders. Er meinte, dazu hätten sie dann im späteren Leben noch Zeit genug.“

Ungläubig sehe ich sie an. „Dann war er doch ein komischer Kauz. Wie war er denn zu dir. War er ein umgänglicher Mensch?“