Change for a kill - Sonja Amatis - E-Book

Change for a kill E-Book

Sonja Amatis

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Beschreibung

Ein wahnsinniger Mörder treibt sein Unwesen in Shonnam, einer der Hauptstädte der unterschiedlichen Gestaltwandlergruppen. Dylan, ein Gepardenwandler, leitet die Ermittlungen. Nach drei Leichen gibt es allerdings nicht den geringsten Hinweis, darum erhält er Hilfe von außerhalb.Sam ist ein Adlerwandler und besitzt damit andere Fähigkeiten als Raubkatzen, Wölfe oder Bären. Nur aus diesem Grund wird seine Anwesenheit akzeptiert, denn nach einem furchtbaren Krieg zwischen Vogel- und Säugetierwandlern herrscht tiefes Misstrauen zwischen ihren Rassen … Ca. 55.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte dieser Roman ungefähr 275 Seiten.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Kurzbeschreibung:

Ein wahnsinniger Mörder treibt sein Unwesen in Shonnam, einer der Hauptstädte der unterschiedlichen Gestaltwandlergruppen. Dylan, ein Gepardenwandler, leitet die Ermittlungen. Nach drei Leichen gibt es allerdings nicht den geringsten Hinweis, darum erhält er Hilfe von außerhalb.

Sam ist ein Adlerwandler und besitzt damit andere Fähigkeiten als Raubkatzen, Wölfe oder Bären. Nur aus diesem Grund wird seine Anwesenheit akzeptiert, denn nach einem furchtbaren Krieg zwischen Vogel- und Säugetierwandlern herrscht tiefes Misstrauen zwischen ihren Rassen …

 

Ca. 55.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte dieser Roman ungefähr 275 Seiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Epilog

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Hämmernde Beats umfingen ihn. Sie ließen seine Nerven vibrieren und beschleunigten den Puls. Es war so laut, dass er sich selbst nicht mehr denken hören konnte. Zweifellos der Grund, warum Dylan ihn hierher bestellt hatte.

Samuel pflügte sich einen Weg durch die Menschenmassen. Der Boister Club war recht neu und gehörte zu gleichen Teilen dem Felidae-Clan und der Aquila-Familie. Dementsprechend lag er genau auf der Grenze der beiden Territorien; es war der erste und einzige Club dieser Art. Für Samuel, der ein Steinadlerwandler war, wäre es lebensgefährlich, sich ohne Begleitschutz in das Gebiet der Katzenwandler zu begeben. Allerdings standen andere neutrale Treffpunkte zur Verfügung, die er bevorzugt hätte. Die Mordermittlung der Raubkatzen hatte ihn um Hilfe gebeten, Dylan sollte sein Kontaktmann sein. Der Gepardenwandler war ein erfahrener Mann, der auch unkonventionelle Methoden nutzte, sofern sie erfolgsversprechend waren. Samuel hatte von rätselhaften Mordfällen gehört, die verschiedene Raubtiergruppen betrafen – nicht ausschließlich Katzenartige. Die Ermittler tappten offenbar seit Monaten im Dunklen und hatten sich nun an ihn gewandt, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Durchaus auch im wörtlichen Sinne – aus der Luft sah ein Tatort oft vollkommen anders aus.

Samuel umkreiste die Bar, die sich mitten auf der Tanzfläche befand, nun bereits zum vierten Mal. Leider hatte man ihm kein Foto von Dylan geschickt. Seine Vorgesetzten hatten ihn mehr oder weniger gezwungen, in diesem Fall zu kooperieren, er hatte sich nicht vorbereiten können. Vermutlich würde er wie ein blutiger Anfänger dastehen, da er nicht einmal irgendwelche Details über die Morde kannte. Nicht auszuschließen, dass dies die Absicht der Raubkatzen gewesen war, um den blöden Piepmatz ans hintere Ende der Hierarchiekette zu verweisen. Der Hass zwischen ihren Völkern ging tief …

Dieser Club war eine irreale Welt, die nichts mit der Wirklichkeit da draußen zu tun hatte. Die jungen Leute, die hier feierten, verhielten sich zumeist friedlich und unterschieden nicht zwischen den Rassen. Doch kein Vogelwandler durfte ohne ausdrückliche Genehmigung durch die strengstens bewachte Tür schreiten, die zur Welt der Katzen und anderen Säugetiere führte, und umgekehrt. Wer ein Sexabenteuer mit einer der anderen Rassen suchte, musste das im Club erledigen – zumeist auf den Toiletten. Der Zweck dieser Angelegenheit mochte den Planern einleuchten, Samuel jedenfalls nicht.

Wie er dieses Geschiebe und Gedränge von Körpern hasste! Samuel war bereits dutzende Male von oben bis unten betatscht worden, anzügliche Blicke und Hände auf seinem Hintern und zwischen den Beinen gehörten offenbar zur Normalität. Kein Wunder, dass die Katzenwandler die Tanzfläche beinahe komplett für sich hatten, die meisten von denen kannten keine Partnertreue und waren rund um die Uhr bereit für sexuelle Ausschweifungen. Ein Verhalten, das vielen Vögeln fremd war. Die Aquilas, die Familie der Adler, lebten strikt monogam.

Allmählich verlor Samuel die Geduld. Noch eine Minute, dann würde er nach Hause fliegen. Wenn die Katzen seine Hilfe wollten, sollten sie gefälligst zu ihm kommen!

Gereizt drehte er sich um, als er am Arm festgehalten wurde, er hatte es satt, wie Freiwild behandelt zu werden. Als er allerdings in dunkelblaue Augen blickte, vergaß er seinen Unmut und erstarrte unwillkürlich. Bei all den bernsteinfarbenen Iriden um ihn herum verwirrte ihn das tiefe Blau. Es gab immer wieder mal Katzenwandler, die dergestalt aus der Art schlugen, ungewöhnlich war es dennoch. Der Mann, der viel zu dicht vor ihm stand, war in etwa so groß wie er selbst – geschmeichelt mittelgroß – und besaß den Körper eines Tänzers. Ausgesprochen schlank und sehnig, kein Gramm Fett am Leib. Leopardenwandler waren für gewöhnlich etwas muskulöser und hatten kantigere Gesichter. Auch ihre Haare waren zumeist von einem dunkleren Blond als sein Gegenüber, dessen streng nach hinten gebundener Zopf einen angenehmen Sandton besaß. Ganz offensichtlich ein Gepard. Samuel hatte einen scharfen Blick für die feinen Details und erkannte für gewöhnlich sofort, welcher Wandlerrasse ein Mensch angehörte.

„Dylan?“, fragte er vorsichtshalber, auch wenn er nicht zweifelte, dass dies sein Kontaktmann sein musste. Er erntete ein knappes Nicken, losgelassen wurde er nicht. Dylan musterte ihn für mindestens eine weitere Minute ebenso intensiv wie er ihn zuvor, was Samuel sich trotz steigenden Unbehagens gefallen lassen musste. Der Gepard stand eng an ihn gepresst, für ihn als Adler war das kaum erträglich. Um sich keine Blöße zu geben, unterdrückte Samuel das Bedürfnis, sich loszureißen. Er war etwas erstaunt, dass sein Kollege zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig zu sein schien, so wie er selbst – er hatte mit einem weitaus älteren Mann gerechnet.

Irgendwann gab Dylan ihn frei, lächelte ein wenig spöttisch und bedeutete mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Ohne sich darum zu scheren, ob Samuel ihm tatsächlich nachlief, bahnte er sich mit der kraftvollen Anmut, die für Geparde typisch war, seinen Weg durch die tanzende Menge.

Arroganter Bastard!, dachte Samuel missmutig. Die behandelten ihn, als wäre er der Bittsteller, der gnädigerweise in diesem Territorium geduldet wurde. Er wurde zur Straße geführt, in das Gebiet der Säugetiere hinein. Ein Trupp schwerbewaffneter Löwen- und Bärenwandler prüften die Genehmigung, die Dylan vorzeigte, suchten ihn mit mehr Gewalt als notwendig auf Waffen ab – er durfte außerhalb des Vogelwandlergebietes keine Dienstpistole tragen – und ließen ihn schließlich mit großzügiger Geste passieren.

Am liebsten wäre er sofort umgedreht und nach Hause geflogen, er hatte schon jetzt die Nase voll! Da er allerdings schon einmal da war, konnte er sich zumindest anhören, was man genau von ihm erwartete.

„Ihr habt die alten Häuser behalten?“, fragte er überrascht, als sie den Parkplatz erreichten, der sich am äußeren Ende des Hügels befand, auf dem der Boister Club errichtet wurde. Unter ihm breitete sich eine hell erleuchtete Stadt aus, soweit das Auge reichte. Zumindest in der Dunkelheit, seine Nachtsicht war eher eingeschränkt. Es sah genauso aus, wie er es von alten Bildern her kannte, aus der Zeit, bevor es Wandler gegeben hatte.

„Soweit ich weiß, lebt ihr nicht in Horsten und Nestern, sondern in normalen Häusern, oder?“, fragte Dylan mit spöttischem Unterton.

„In unserem Gebiet gibt es keine Städte mehr, wir leben ausschließlich in kleinen Familiengruppen zusammen.“

„Das trifft auf die meisten von uns ebenfalls zu, Shonnam ist die einzige Großstadt auf unserer Seite. Nun komm, da vorne ist mein Wagen.“

 

 

„Steig ein“, befahl Dylan und hielt dem Steinadler höflich die Tür auf. Sam warf ihm einen finsteren Blick zu, setzte sich allerdings ohne zu zögern auf den Beifahrersitz des Geländewagens. Der Mann überraschte ihn – Dylan hatte sich auf einen wenigstens zwanzig Jahre älteren Ermittler eingestellt, nachdem ihnen ein erfahrener Kollege versprochen worden war. Sam wirkte, als hätte er gerade erst die Ausbildung abgeschlossen. Ihm gefiel der athletisch gebaute, breitschultrige Adlerwandler. Die scharf geschnittenen Gesichtszüge, die stolze Nase, das dichte dunkelbraune Haar, das im Nacken jene für Steinadler typischen goldbraunen Strähnen besaß. Selbst der Geruch des jungen Mannes gefiel ihm, was ihm bei Vogelwandlern normalerweise nie unterkam. Er beschloss, freundlich zu ihm zu sein statt lediglich professionell höflich. Wenn sie gut miteinander auskamen, würde das ihrer Zusammenarbeit helfen und vielleicht dazu beitragen, dass sie den Täter zu fassen bekamen, der seit Monaten willkürliche Morde beging. In der Bevölkerung nannte man ihn den Rainman-Killer, da er grundsätzlich bei starkem Regen zuschlug. Dies vernichtete alle Spuren und trieb ihn und sein Ermittlerteam in den Wahnsinn. Niemals sonst hätte er zugestimmt, sich Hilfe von außerhalb der Säugetiergruppen zu holen!

„Ich fahre dich zum Hauptquartier, dort wirst du alles erfahren, was du wissen musst“, sagte er, während er sich durch den dichten Verkehr schlängelte.

„Muss oder darf?“, erwiderte Sam betont. Seine Stimme besaß einen angenehmen tiefen Klang, der Dylan beinah zum Schnurren gebracht hätte. Hoppla, der Typ ging ihm unter die Haut!

„Beides. Du musst die wichtigsten Fakten kennen, unsere finsteren Geheimnisse werden wir natürlich nicht enthüllen.“

Über das entnervte Augenrollen des Adlers hätte er beinahe gelacht, er konnte sich gerade noch zusammenreißen. Der Kleine hatte ja Recht, es gab keine echten Geheimnisse auszuspionieren, weder finster noch sonstige. Den Verfolgungswahn der Obrigkeit teilte er jedenfalls nicht. Wozu auch, wenn ihm solch ein Leckerchen geschickt wurde?

„Entspann dich. Dass du im Feindgebiet gelandet bist bedeutet nicht, dass du steif wie ein Brett dahocken musst“, sagte er anzüglich und klopfte Sam auf den Oberschenkel. Ein unwilliger Katzenwandler hätte ihn dafür angefaucht, der Adler hingegen starrte ihn lediglich vorwurfsvoll an. „Keine Angst, niemand wird dich auffressen, solange du an meiner Seite bleibst.“

„Und was, wenn ein Löwenrudel sich darauf besinnt, dass ein Gepard einen jämmerlichen Begleitschutz abgibt?“, fragte Sam provozierend.

„Autsch. Dann heißt es Mahlzeit!“ Dylan lachte, es war allgemein bekannt, dass Wandler sich untereinander nicht auffraßen und alle gezwungenermaßen zum größten Teil vegetarisch lebten.

Völlig unbegründet war die Frage trotzdem nicht. Geparde waren zwar schnell, aber im Vergleich zu anderen Katzen schwach. Er hatte es schon oft zu seinem Vorteil nutzen können, dass die Großkatzen ihn unterschätzten und für dumm hielten, bloß weil er sich an ihrer Kraft nicht messen konnte. Er amüsierte sich noch ein wenig auf Kosten seines Gastes, traktierte ihn mit zweideutigen Bemerkungen und scheinbar zufälligen Berührungen. Sam schwieg zumeist, er war ein ernster, schweigsamer Typ. Dass er zumindest gelegentlich mit Ironie und Sarkasmus konterte, gefiel ihm. Der Adler könnte ein interessanter Gesprächspartner sein, wenn er erst einmal ein wenig aufgetaut war.

 

 

Samuel kannte Shonnam, die riesige Hauptstadt der Säugetierwandler, ausschließlich von sehr alten Fotos. Viele Wandlergruppen lebten außerhalb in weitläufigen Territorien. Hier in der Stadt befanden sich Geschäfte, Fabriken, Sozialeinrichtungen und Arbeitszentren, die das tägliche Leben regelten und für die Versorgung vor allem der Raubtiere sorgten. Beinahe alle Säugetiergruppen besaßen ein eigenes Stadtviertel – auch wenn es teilweise bloß ein oder zwei Straßen umfasste – in dem entweder besonders reiche oder sehr arme Rudel, Herden oder Einzelgänger lebten. Die meisten der oft aus rotem Backstein erbauten Häuser waren in den letzten dreißig bis fünfzig Jahren entstanden. Shonnam wuchs viel zu rasch, vor allem die Slums, die eine Ansammlung von Hütten aus Pappkarton, aufgestapelten Plastikkisten oder irgendwelchem Metallmüll waren. Diese Probleme gab es bei den Vogelwandlern nicht, dort war der Bevölkerungswachstum eher rückläufig.

Dylan brachte ihn ohne Umwege ins UMCPD – United Mammal Changeling Police Departement, das Polizeihauptquartier der Vereinigten Säugetierwandler. Das riesige Gebäude stammte sichtbar noch aus der Zeit vor der Stunde Null und war damit schätzungsweise hundertfünfzig Jahre alt. In dieser Bausünde aus grauem Beton, kaltem Stahl und zahllosen Fenstern tummelten sich zu jeder Tages- und Nachtzeit Ermittler, Polizisten und Mitglieder verschiedener Spezialeingriffstruppen, die gegen Gewalt und Verbrechen kämpften. Ein beinahe aussichtsloses Unterfangen, solange Raub- und andere Säugetierwandler auf engem Raum zusammenleben mussten.

Der Gepard führte ihn in einen Besprechungsraum, wo bereits ein Dutzend Männer und Frauen um einen eckigen Tisch saßen und offenkundig ungeduldig warteten.

„Warum hat das so lange gedauert?“, murrte ein Wolfswandler, den Samuel als Jackson Callahan Lupus, dem Chef der Mordermittlung identifizierte. Dylan ignorierte ihn.

„Unser Gast!“, verkündete er mit großer Geste, als würde er eine bedeutende Persönlichkeit einführen. Samuel kämpfte gegen seine Instinkte, die ihn anbrüllten, sich aus dem Fenster zu stürzen und so schnell und so weit weg wie möglich zu entfliehen. Er kannte beinahe alle Anwesenden von Fotos und Akten und ja, er hatte vorher gewusst, was ihn hier erwarten würde. Sich Auge in Auge mit dem Löwenwandler Bernard Winston Leon zu sehen, dem Bürgermeister von Shonnam, mit Kathryn Daxter Ursus, Bärenwandlerin und Polizeichefin, oder Finn Norton Uncia, einem Vertreter der seltenen Schneeleoparden und oberster Staatsanwalt ...

Sie alle nickten ihm ernst und gewichtig zu.

„Setzen Sie sich, Samuel, wir haben auf Sie gewartet“, sagte Bernard mit tiefer, dröhnender Stimme.

Schweigend nahm er auf dem Stuhl Platz, der ihm zugewiesen wurde. Dylan saß neben ihm, alle anderen befanden sich ihm gegenüber. Das erinnerte gewiss nicht zufällig an ein Tribunal. Hatte man ihn hergelockt, um ihm die Morde in die Schuhe zu schieben? Nein, das war lächerlich. Samuel wartete beherrscht, bis seine Gastgeber genug davon hatten ihn anzustarren und endlich das Spiel eröffneten.

Kathryn war es schließlich, die auf ein kaum wahrnehmbares Nicken des Bürgermeisters hin einen Stapel Akten zur Hand nahm und an ihn weiterreichte. „Bislang ist Ihnen nur das Notwendigste bekannt, Samuel. Wir wollen uns von den Vogelwandlern nicht in die Karten gucken lassen, was verständlich sein dürfte.“

Das war es nicht, immerhin hatten diese Leute ihn hergebeten. Ohne Informationen konnte er wohl kaum ermitteln … Politisches Geschwafel war vermutlich überall auf der Welt gleich.

„Nun, wir haben es mit einer beispiellosen Mordserie zu tun, bei der unsere üblichen Fahndungsmethoden ins Leere laufen. Bislang wissen wir nicht einmal sicher, ob es sich um einen Einzeltäter handelt. Alle Morde werden begangen, während es in Strömen regnet, was sämtliche Spuren und Witterungen zerstört. Zudem konnten wir keine DNA finden, keine Stofffasern, Haare, was auch immer. Wir wissen nicht, zu welcher Rasse der Täter gehört, er schlägt ohne erkennbares Muster zu. Die Presse nennt den Kerl mit Begeisterung den Rainman-Killer, dabei vermuten wir lediglich, dass es sich um einen Mann handelt.“

Samuel blätterte durch die Mordakten und nahm die Tatortfotos heraus, um sie vor sich auf dem Tisch auszubreiten. Die Reihenfolge der Morde war leicht festzustellen, da den Toten je eine Zahl auf die Stirn geritzt wurde. Opfer Nummer eins war ein älterer Mann, bei dem es sich laut Akte zwar um einen Fuchswandler handelte, allerdings war er im Stadtviertel der Braunbären aufgefunden worden. Als Todesursache wurde Genickbruch angegeben, das traf übrigens auf alle Opfer zu. Man hatte den Mann nackt in einem Brunnen aufgefunden. Sein Körper war mit merkwürdigen Ornamenten bedeckt, die ihm offenkundig mit einer Tierkralle eingeritzt wurden. Nummer zwei war eine junge Mutter, eine Pumawandlerin, Nummer drei ein Professor aus der gehobenen Gesellschaftsschicht. Ihn, einen Jaguarwandler, hatte man in der Wildnis bei einem Löwenwandlerrudel gefunden.

Er fokussierte auf die winzigen Details, bis ihm Dylan mit dem Ellenbogen in die Seite stieß.

„Warum wackeln Sie so seltsam mit dem Kopf?“, fragte Kathryn mit einem aggressiven Unterton. Samuel wusste, dass Säugetierwandler nicht nachvollziehen konnten, wie die überlegenen Augen eines Raubvogels arbeiteten, genau wie ihm die Geruchswelten verschlossen blieben, in denen Raubkatzen und Wolfsverwandte lebten.

„Ich muss den Kopf bewegen, um die einzelnen Partien des Bildes scharf zu stellen. Meine Augen funktionieren ähnlich wie ein Vergrößerungsglas“, erwiderte er. Es wunderte ihn, dass die anderen nichts davon wussten, eigentlich müsste das mit zu den Gründen gehören, warum man ihn überhaupt hergeholt hatte.

„Ist es wahr, dass Sie mehr Farben wahrnehmen können als wir?“, erkundigte sich Finn mit lauerndem Blick.

„In menschlicher Gestalt bin ich etwas eingeschränkt, aber ich kann im Ultraviolett-Bereich sehen, ja.“ Man hatte ihn während seiner Ausbildung zum Ermittler durch Brillen blicken lassen, die seine Sicht auf ein normales menschliches Maß herunterfilterte. Es war, als wäre er in eine Nebelwand gelaufen. Alle Farben wirkten viel schwächer, regelrecht ausgeblichen. Verschiedene Farbfelder, wie gelb-blau, waren völlig verschwunden, viele Schattierungen ebenfalls. Er konnte kaum ein paar Meter scharf sehen, insgesamt war es ein erschreckendes Erlebnis.

„Sie werden die Details der Akten morgen studieren können“, ließ sich Jackson vernehmen. „Für heute soll Dylan Sie mitnehmen, Sie werden bei ihm und seinem Rudel in Brookdarn wohnen, einem Halbsteppengebiet rund zwanzig Meilen außerhalb der Stadt. Fürs Erste war das alles, wir wollen Sie nicht mit zu vielen Einzelheiten überfordern. Dylan wird dafür sorgen, dass Sie sich eingewöhnen können. Gehorchen Sie bitte immer und unter allen Umständen seinen Anweisungen, es geschieht zu Ihrer eigenen Sicherheit. Verzichten Sie auf Alleingänge. Ihnen dürfte bewusst sein, dass Vogelwandler es in Shonnam außerhalb des Boister Clubs schwer haben zu überleben. Haben Sie soweit alles verstanden?“

„Ja, Sir.“ Irgendetwas sagte ihm, dass seine Vorgesetzten ihn möglicherweise hassten. Welchen anderen Grund sollten sie haben, ihn auf ein Selbstmordkommando zu schicken?

„Sollte es Schwierigkeiten geben, wenden Sie sich entweder an Dylan oder direkt an mich.“ Jackson überließ ihm eine Visitenkarte mit einer Handynummer. Seine Körperhaltung drückte deutlich aus, dass Samuel sie besser niemals wählen sollte, selbst wenn er gerade bei lebendigem Leibe gehäutet wurde.

„Wir haben mit Ihren Vorgesetzten abgesprochen, dass wir die Zusammenarbeit sofort beenden, sollte Ihr Leben in Gefahr geraten. Sie sind freiwillig hier und müssen nichts riskieren, nur um uns zu helfen. Wir sind Ihnen sehr dankbar und froh, Sie bei uns zu haben.“ Kathryn lächelte, wobei sie zu viele Zähne zeigte. Möglicherweise war es aber auch ein normales Verhalten bei Bärenwandlern, Samuel kannte sich da nicht gut genug aus.

Einige Höflichkeiten und beruhigende Floskeln später führte Dylan ihn hinaus. Es fühlte sich an, als wäre dies sein Marsch zur eigenen Hinrichtung …

 

 

Kapitel 2

 

Die Fahrt verlief zunächst schweigend, bis Dylans Handy klingelte. Ohne anzuhalten klemmte er sich das Telefon ans Ohr und lauschte. Langsamer fuhr er nicht, obwohl die Straße durch einen stockfinsteren Wald führte und mehr aus Schlaglöchern als Asphalt zu bestehen schien. Samuel hörte lediglich einige Wortfetzen von dem, was jemand in den Hörer brüllte. Es klang, als würde sich derjenige mitten in einem Orkan befinden, die Störgeräusche waren immens.

Fluchend warf Dylan das Handy auf die Rückbank, bremste abrupt und starrte ihn für einen langen Moment sinnierend an. Erneut stellte Samuel fest, was für schöne, ausdrucksstarke Augen dieser Mann besaß. Noch nie war ihm so etwas bei einem Menschen derart intensiv aufgefallen, egal ob Mann oder Frau. Was war bloß in ihn gefahren?

„Probleme?“, fragte er, als das Schweigen unbehaglich zu werden begann.

„Irgendwie schon, ja.“ Dylan seufzte und wandte endlich den Blick ab. „Ich muss sofort nach Castle Creek, da ist eine Massenschlägerei zwischen Antilopen- und Pferdewandlern im Gange. Jeder verfügbare Mann wird gebraucht. Gerade die Antilopen sind in letzter Zeit unglaublich aggressiv, es hat schon mehrfach Tote gegeben. Untypisch für diese Rasse, wie man sich leicht vorstellen kann. Leider kann ich dich unmöglich mitnehmen. Es gab da einen Vorfall vor ein paar Wochen mit einem natürlichen Steinadler und einem Antilopenkitz … In der aufgeheizten Stimmung wird niemand lange fragen, ob Adlerwandler auch zu so etwas fähig sein könnten.“

Sam nickte knapp, er konnte sich lebhaft vorstellen, was seine Anwesenheit bewirken würde. Zumal jeder wusste, zu was Adlerwandler alles fähig sein konnten, wenn es zum Schlimmsten kam.

„Das eigentliche Problem dabei ist: Wenn ich dich erst zu meinem Rudel bringe, verliere ich verdammt viel Zeit.“

Dylan drehte sich abrupt um und angelte nach dem Handy auf dem Rücksitz. Dabei kam er Samuel deutlich näher, als ihm lieb war, darum rutschte er in Richtung Tür.

„Keine Sorge, Kleiner, ich beiße selten und meine Berührung allein hat bislang noch niemanden umgebracht.“

Dylan grinste anzüglich, als Samuel auf den Scherz nicht reagierte und ließ sich wieder in den Fahrersitz fallen, während er bereits eine Kurzwahlnummer drückte.

„Was?“, ertönte eine kratzige Stimme, fast erstickt von Rauschen und Knattern. Es gab zu viele Störgeräusche in der Leitung, eine Unterhaltung war unmöglich. Das sah Dylan nach einigen Versuchen ebenfalls ein, lauthals fluchend drückte er das Gespräch weg und begann hastig eine Textnachricht zu tippen. Seine Geschwindigkeit dabei war beeindruckend, Samuel brauchte immer ewig, um zwei Sätze zusammen zu bringen. Er benutzte sein Handy generell ungern und ausschließlich für berufliche Zwecke.

„Der Empfang ist häufig miserabel, aber so schlimm war es schon lange nicht mehr“, sagte Dylan mürrisch. „Seit Jahren verspricht man uns, die Sendeleistung der Telefonmasten zu erhöhen, und dann passiert doch nichts.“

Dylan schickte seine Nachricht ab. Kaum zehn Sekunden später kam bereits die Antwort in Form eines „O.K.“

„Alles klar. Ich hab meinen Bruder Tyrell informiert, dass du kommst, er wird den anderen Jungs Bescheid sagen. Du kannst gefahrlos hinfliegen, ich komme schnellstmöglich nach. Ah – die Jungs werden ein bisschen angeben, du weißt schon, Knurren, Muskeln spielen lassen. Das ist für uns Katzen normal. Du weißt, wo sich Brookdarn befindet? Warte, ich zeig’s dir auf einer Karte.“

Er breitete eine Karte aus, auf dem der Mittlere Westen von dem zu sehen war, was früher das Gebiet der USA gewesen war. Hier drängten sich sämtliche Tierwandler Amerikas zusammen. Auf den anderen Kontinenten war es wenig besser, die Tierwandler bekamen begrenzten Raum zugewiesen, auf dem sie zusammengepfercht wurden. Da die Lage in Afrika extrem instabil war, befanden sich nahezu alle Wandler dieses Kontinents ebenfalls hier.

Der Weg zu Dylans Rudel war leicht zu finden und die zehn Meilen würde er schnell überwinden können. Samuel nickte ihm bestätigend zu, schnallte sich ab und schnappte sich seine Tasche.

„Pass auf dich auf, Dylan“, sagte er leise. Ohne die Antwort abzuwarten verwandelte er sich und flog los. Praktischerweise wurde seine Kleidung wie auch seine Ausrüstung sofort zum Teil seines Gefieders. Es würde sich zurückverwandeln, sobald er menschliche Gestalt annahm. Aus irgendeinem Grund war er unglaublich erleichtert, aus Dylans Nähe fliehen zu können.

Zugleich war er enttäuscht, und das machte ihm Angst …

 

 

Samuel landete in der Dunkelheit, in einem kleinen Wäldchen, das zum Großrevier der Acinonyxfamilie, also der Gepardenwandler gehörte. Das schwache Mondlicht reichte gerade, um seine Umgebung zu erkennen, Adler besaßen keine gute Nachtsicht. Es war noch etwa eine halbe Meile bis zum Unterschlupf von Dylans Rudel, der sich auf offenem Präriegebiet befand. Samuel wollte seinen Gastgebern Zeit lassen, ihn zu bemerken und ausgiebig zu beobachten, während er sich annäherte. Ihm missfiel die Vorstellung, Tage, vielleicht sogar Wochen unter Raubkatzen zubringen zu müssen, aber er würde es überstehen. Das Gefühl, von zahllosen Augen belauert zu werden, kribbelte durch seinen Körper. Samuel schritt äußerlich unbeeindruckt weiter, auch wenn seine Instinkte ihm zubrüllten, sofort wegzufliegen. Leises Knurren warnte ihn. War er wirklich willkommen? Gehörte das noch zu der Angeberei, vor der er gewarnt worden war? Dylan hatte ihm versprochen, dass er sicher sein würde, es gab nicht den geringsten Grund, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Schließlich hatte man ihn um Hilfe gebeten, nicht umgekehrt. Also denn, wenn die Katzen ihm demonstrieren wollten, dass sie die Herren dieses Landes waren, bitte schön, ihm war es gleichgültig. Samuel blieb stehen und drehte sich mit erhobenen Händen langsam um die eigene Achse.

„Mein Name ist Samuel Ashtonville aus der Aquila-Familie, ich bin ein Steinadler. Ich …“

Weiter kam er nicht: Von drei Seiten zugleich sprangen ausgewachsene Geparde auf ihn zu und rissen ihn zu Boden. Samuel versuchte, sich mit einer blitzschnellen Drehung vor den Pranken und Reißzähnen in Sicherheit zu bringen, damit er wenigstens den kurzen Augenblick gewann, den er zur Verwandlung benötigte – doch da wurde er von einer menschlichen Hand am Haarschopf gepackt, der Lauf einer Waffe presste sich gegen seine Schläfe. Er erstarrte zu völliger Regungslosigkeit.

„Dein dämlicher Name interessiert hier niemanden“, flüsterte der Mann über ihm. „Du bleibst jetzt brav, Vögelchen, lässt dich von uns mitschleppen und wirst uns gleich ein Liedchen pfeifen, bis all unsere Fragen beantwortet sind, verstanden? Danach entscheiden wir, ob du weiterleben darfst oder als unser Nachtmahl dienst.“

Samuel brauchte seine gesamte Kraft, um sich zu beherrschen. Noch viel stärker als die Angst tobte heißer Zorn in ihm. Dylan hatte ihn verraten! Das alles war eine Falle gewesen! Warum hatte er ihm das angetan? Wozu diese sinnlose Intrige, die den wackligen Frieden zwischen ihren Völkern gefährdete? Auffressen würden sie ihn nicht, lächerlich, aber sie hatten ihn trotz seiner menschlichen Gestalt als Geparde angegriffen. Entweder interessierten sie sich nicht für die Gesetze von Ehre und Recht, die das verboten, oder sie empfanden ihn als tödliche Bedrohung. Was ebenfalls lächerlich war. Oder?

Während er sich mühte, seinen adrenalingefluteten Körper unter Kontrolle zu halten, wurde er ruppig an der Schulter gepackt und auf den Rücken gedreht. Fünf Männer standen über ihm, allesamt mittelgroß, auf athletische Weise sehr schlank, wie es für Gepardenwandler typisch war. Weiter kam er mit seiner Betrachtung nicht. Seine Arme und Beine wurden gepackt und auseinander gezogen, bis er wie ein X aufgespreizt dalag. Ein Licht flammte auf, vermutlich eine Stabtaschenlampe. Der junge Mann, der ihn mit der Waffe bedroht hatte, trat grinsend in sein Blickfeld.

„Damit du nicht in Versuchung gerätst, uns Kummer zu machen …“

Samuel starrte ihm trotzig entgegen, versuchte sich für den Schmerz zu wappnen, den der Tonfall des Gepards ihm versprach. So hilflos zu sein war erbärmlich, er konnte kaum atmen vor Angst. Selbstverständlich witterten die verfluchten Katzen das, alles was er tun konnte war das Zittern seiner Glieder zu unterdrücken.

„Tapferes Vögelchen“, murmelte jemand anerkennend. Automatisch ruckte Samuels Kopf in die Richtung desjenigen, der gesprochen hatte. Dadurch verpasste er die Bewegung seines Angreifers, der ihm wuchtig in die Weichteile trat. Samuel schrie gepeinigt auf, eine Welle rotglühenden Schmerzes überrollte ihn gewaltsam. Unnachgiebige Hände verhinderten, dass er sich zusammenkrümmen konnte, was zusätzliche Panik schürte. Sehr langsam ebbten die Qualen ab. Tränenblind öffnete er die Augen, während er keuchend um Atem rang. Er erkannte das schmale Gesicht seines Feindes, es schien dicht über ihm zu schweben.

„Man sieht sich, Piepmatz“, hörte er durch das Rauschen in seinen Ohren, bevor sich eine Faust in sein Sonnengeflecht unterhalb des Rippenbogens grub. Samuel durchlebte einen grauenhaften Moment, in dem ihm jegliche Luft aus den Lungen getrieben wurde. Feuerglut fraß sich durch seinen Körper, in dem sich jeder einzelne Muskel, selbst sein Herz, vollständig verkrampfte. Es folgte tintenschwarze Dunkelheit, die sein Bewusstsein verschlang. Langsam, viel zu langsam, bis er endlich erlöst wurde.

 

 

Dylan parkte den Geländewagen in der verborgenen Tiefgarage, die sich etwa zweihundert Meter vom Haus entfernt befand. Ein unterirdischer Fluchttunnel verband sie mit dem Keller des Unterschlupfes, den er eigenhändig für sein Rudel erbaut hatte. Zwei schwere, mit einem Zahlencode verriegelte Eisentüren verhinderten, dass Eindringlinge diesen Weg wählen konnten, um sich unbemerkt einzuschleichen, auch wenn solche Hindernisse im Notfall die entscheidenden Sekunden kosten könnten. Totale Sicherheit gab es nun einmal nicht.

Dylan war in finsterer Stimmung. Fünf Stunden hatte es gedauert, bis Antilopen und Pferdewandler auseinandergetrieben worden waren, mittlerweile dämmerte bereits der neue Tag heran. Mindestens sechs Tote und zahllose Verletzte hatte es gegeben, darunter fliehende Frauen und Kinder sowie Angehörige der Eingriffstruppen, die aus sämtlichen Wandlervölkern der Umgebung zusammengerufen worden waren. Richtig hässlich war es geworden, als die Nashornwandler mitzumischen begannen.

Das Schlimmste an der Angelegenheit war, dass sich nicht herausfinden ließ, warum genau diese für gewöhnlich friedlichen Gruppen mit solcher Brutalität aufeinander losgegangen waren. Jeder Inhaftierte, den Dylan und seine Kollegen befragt hatten, gab ähnliche Antworten: Die Gewalt war urplötzlich ausgebrochen, jeder Einzelne schien einfach mitgerissen worden zu sein. Dazu gab es widersprüchliche Mutmaßungen. Mal sollten die Pferdewandler eine junge Antilopenfrau vergewaltigt und ermordet haben, mal wurden die Antilopen beschuldigt, mehrere Pferdefohlen entführt und zu Tode gefoltert zu haben. Von religiösem Wahn und diversen Verschwörungstheorien über Plänen zur totalen Vernichtung ganz zu schweigen.

Frustriert, erschöpft und zutiefst besorgt war Dylan schließlich gefahren, von seinen Vorgesetzten ermuntert. Er musste sich mit Sam und seinem Rudel über diese seltsamen Ereignisse beraten. Es war mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass die rätselhaften Morde und diese Massenunruhen zusammenhingen.

Hoffentlich hatte Tyrell sich auf seine Manieren besonnen und ihren Gast freundlich aufgenommen, dachte Dylan niedergeschlagen. Er kannte seinen jüngeren Bruder, Tyrell hasste Vogelwandler aus tiefstem Herzen. Dafür gab es Gründe, die Dylan sowohl verstand als auch teilte, doch davon wollte er sich nicht beeinflussen lassen. Sam hatte damit nichts zu tun … Der Mann war ein fähiger Ermittler mit Erfahrung, das hatte Kathryn zumindest mehrfach behauptet. Zudem ein optischer Leckerbissen. Viel zu verklemmt, klar, wie Adler nun einmal waren. Allesamt Einzelgänger und fast alle strikt monogam. Ein Partner wurde für das gesamte Leben gewählt, auch nach dessen Tod gab es keinen Ersatz. Dabei hätte Dylan zu gerne an diesem süßen Knackarsch geknabbert … Aber er trennte strikt zwischen Arbeit und Vergnügen und Sam hatte deutlich gezeigt, dass er sich bereits belästigt fühlte, sobald man ihn bloß versehentlich streifte.

Dylan stieg die Treppe hoch ins Freie und sorgte mit einer Fernbedienung dafür, dass sich wieder eine Stahlplatte über die Rampe schloss, die in die Tiefgarage führte. Zeit herauszufinden, wie sein sensibler Gast mit dem Rudel zurechtkam.

In diesem Moment drang ein gedämpfter Schrei an seine Ohren. Das war Sam!

Dylan verwandelte sich im Sprung und sprintete mit aller Kraft los. Ron, der gerade den Wachposten am Haus innehielt, hastete zur Tür, sobald er ihn bemerkte, und riss sie für ihn auf, sodass Dylan ungebremst ins Wohnzimmer hechten konnte, wo er erneut menschliche Gestalt annahm. Sechs Augenpaare starrten ihn an, fünf davon erschrocken. Ihn interessierte nur das dunkelbraune, von Schmerz und Zorn verschleierte Paar des Adlers, der halb ohnmächtig in seinen an der Decke befestigten Fesseln hing.

„Tyrell!“, fauchte er, packte seinen Bruder und zerrte ihn von Sam fort. „Was im Namen der Weisheit machst du da?“

 

 

Samuel schwankte bei dem Versuch, seinen Kopf erhoben zu halten. Er war im Haus der Geparde zu sich gekommen, dergestalt gefesselt, dass er sich nicht verwandeln konnte, ohne sich dabei die Arme auszureißen, die straff zur Seite und nach hinten gezogen wurden. Da er breitbeinig stehen musste, um das Gleichgewicht zu wahren, zwang dies seinen Körper in eine vorn übergebeugte Haltung, die extrem schmerzhaft und anstrengend war. Ein Sturz würde ihm die Schultergelenke auskugeln. Er war nackt, jeder einzelne Muskel zitterte, da er bereits seit endlosen Stunden so ausharren musste. Die Geparde hatten ihn mit höhnischen Bemerkungen über seinen Körper und ständige latente Vergewaltigungsdrohungen zermürbt. Samuel war niemand, der an mangelndem Selbstbewusstsein litt, doch die erniedrigenden dummen Sprüche – Der hat ja nicht mal Haare auf der Brust, sieht aus wie ein kleines Mädchen! oder: Bah, ist der hässlich, und stinkt wie ein ganzer Hühnerstall! – prallten nicht vollständig an ihm ab. Sein Wissen, dass dies zum Einmaleins des Psychoterrors gehörte, half ihm nicht. Je primitiver und verrohter sich ein Foltermeister gab, desto stärker sprach er die Urängste seines Opfers an. Aus den Gesprächen des Rudels untereinander hatte er heraushören können, dass sie keineswegs einfältige Neandertaler waren, und trotzdem trafen die an ihn gerichteten Sprüche ins Ziel. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatten die Männer Karten gespielt. Der jeweilige Sieger einer Partie durfte ihn schubsen, was in dieser Haltung fürchterlich weh tat, ihn verspotten, ihm in schillerndsten Farben ausmalen, was man alles mit seinem Knackarsch anstellen könnte, und einige Minuten nach seinen Absichten befragen. Sein Widerstand war mittlerweile fast gebrochen, er hatte sich heiser geschrien, war völlig am Ende. Auf echte körperliche Folter hatten sie weitgehend verzichtet, lediglich Tyrell, der Kerl mit der Waffe, hatte ihm gelegentlich ins Gesicht geschlagen. Wohl bemessene Hiebe, die wenig Schaden anrichteten und eher als zusätzliche Demütigung gedacht waren. Die Bastarde hatten sich Zeit gelassen und ihr Spiel dabei spürbar genossen. Sie wollten auf Dylan warten, den sie nicht per Handy erreichen konnten, soweit Samuel verstanden hatte. Etwas, was sie anscheinend nicht wirklich nervös gemacht hatte. Sein anhaltendes Schweigen auf alle Fragen hatte sie auch nicht weiter gestört, er schien ihnen damit eher einen Gefallen zu tun. Für seine anfängliche Erklärung, dass er ein Gast war und von Dylan eingeladen wurde, hatte er heftige Schläge kassiert, darum hatte er aufgegeben und auf Dylan gewartet.

---ENDE DER LESEPROBE---