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Kurzbeschreibung Ein Mörder wütet im Territorium der Vogelwandler, sein Hass gilt vor allem den Eulen. Er hinterlässt keine sichtbaren Spuren. Dylan ist sofort bereit zu helfen, als Sam nach ihm ruft – und schon wieder geraten sie beide in höchste Gefahr … Ca. 57.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 300 Seiten.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Kurzbeschreibung
Ein Mörder wütet im Territorium der Vogelwandler, sein Hass gilt vor allem den Eulen. Er hinterlässt keine sichtbaren Spuren. Dylan ist sofort bereit zu helfen, als Sam nach ihm ruft – und schon wieder geraten sie beide in höchste Gefahr …
Ca. 57.000 Wörter
Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 300 Seiten.
Inhalt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Epilog
„Vergib mir“, flüsterte Samuel, verängstigt, ohne genau zu wissen, vor was er sich gerade fürchtete.
„Was auch immer du tust, wag es nicht, dich zu entschuldigen!“, grollte Dylan, bevor er ihn im Nacken packte, an sich zog und küsste. Es hatte nichts mit den scheuen Küssen zu tun, die sie bislang genossen hatten. Samuel wurde überwältigt von Hitze, unnachgiebiger Gewalt, unbändiger Kraft und schierem Verlangen. Diesmal würde es nicht bei den Lippen enden, das war ihm klar. Dylan brauchte ihn so verzweifelt und bei Gott, er selbst brauchte ihn noch viel mehr. Darum bot er nicht den geringsten Widerstand gegen die Unterwerfung, auch wenn der Adler in ihm vor Empörung schrie; sondern öffnete sich willig der Zunge, die tief in ihn eindrang. Sie stöhnten gemeinsam. Samuel presste sich Halt suchend an den schlanken, stählernen Körper. Dylans Hände lockerten sofort den Klammergriff, er spürte wohl, dass seine Beute nicht zu entfliehen versuchte. Stattdessen zerrten sie nun voller Ungeduld an all dem Stoff, in dem Samuel sich plötzlich eingesperrt fühlte. Sekunden später prallte er mit dem bloßen Rücken gegen die Wand ihres Käfigs und noch bevor er zu Atem kam, hatte Dylan ihm bereits die Hosen vom Leib gerissen – und zögerte mit einem Mal.
Samuel öffnete den Mund, er wollte ihm versichern, dass alles in Ordnung war. Dass es ihm keineswegs zu schnell ging und er das hier genauso dringend wollte. Dass es ihn nicht kümmerte, wo sie sich gerade befanden und wie widrig die Umstände waren.
Doch Dylan versiegelte ihm die Lippen mit einem weiteren Kuss, diesmal weniger hektisch und deutlich zärtlicher.
„Ich will dich nicht verletzen“, flüsterte er reumütig. „Ich bin so gottverdammt heiß auf dich und das schon viel zu lange …“
„Tu es einfach“, erwiderte Samuel und presste seine Hüften gegen Dylans pochende Erektion. „Ich will es … Hilf mir …“ Sein Kopf sank nach hinten gegen die Eisenstäbe, als feurige Wellen der Lust durch seine Adern brandeten. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie empfunden, es war berauschend und beängstigend zugleich. Sein gesamter Körper stand in Flammen und einzig Dylan konnte ihm Erlösung schenken.
„Du … du bist verwundet … Hast Schmerzen“, brachte Dylan mit vor Erregung bebender Stimme hervor. Sein heißer Atem strich über Samuels Ohr, sie waren einander körperlich näher als je zuvor. „Ich will dich nicht zwingen … Sammy, ich kann dich nicht …“
Samuel blickte in die wunderschönen blauen Augen, in denen alles das loderte, was ihn selbst quälte – wahnsinniges Verlangen, verzweifelte Sehnsucht, vernichtende Angst, den geliebten Freund und Partner durch einen dummen Fehler zu verlieren. Diesen einen Fehler wie miteinander zu schlafen und damit die letzte Grenze zu überschreiten. Das Stimmchen der Vernunft flehte und bettelte ihn an, es nicht zu tun. Sein Körper hingegen brüllte nach seinem Recht. Er konnte und wollte nicht noch länger warten!
„Ich will dich in mir spüren, Dylan. Ich will mich dir bedingungslos unterwerfen, in den Abgrund stürzen und sicher in deinen Armen landen. Ich falle bereits, es ist nicht aufzuhalten …“ Samuel schüttelte unwillig den Kopf, sein lächerliches Gestammel ergab keinerlei Sinn in seinen eigenen Ohren.
Dylans Iriden färbten sich beinahe schwarz, ein tiefes Grollen rang in seiner Kehle, während er ihn stumm betrachtete. Sie zitterten beide vor Anstrengung, ihre Instinkte zu beherrschen.
Die Verzweiflung ballte sich in Samuels Innerem zu einem immer größeren Knoten zusammen. Sollte Dylan ihn zurückweisen, was dann? Er würde es nicht ertragen, zumal er sich ihm bereits mehr als offen dargeboten hatte. Sein Stolz würde ein Nein jetzt nicht mehr verkraften. Außerdem, hatten sie diese eine letzte Grenze nicht längst überschritten …?
Sieben Tage zuvor …
Mit gefurchter Stirn betrachtete Samuel den Tatort: Federn, so viele Federn! Die Leiche des Eulenwandlers zeigte Spuren grausamster Misshandlung, es war offensichtlich, dass der Täter den Mann bei lebendigem Leibe gerupft und ihm die Klauen mit einem zangenähnlichen Werkzeug einzeln abgetrennt hatte. Das allein musste mehrere Stunden gedauert haben, denn das Opfer war lediglich mit einer dünnen Kette am linken Bein an die Wand gefesselt gewesen – sprich, es hatte sich heftig wehren können. Nach dem Tod hatte der Mann sich vom Steinkauz in menschliche Gestalt zurückverwandelt, wodurch die Kette sich tief in das Fleisch bis durch den Knochen geschnitten hatte.
Hastig unterdrückte Samuel die Erinnerung an jene Nacht vor knapp drei Wochen, als er selbst in Vogelgestalt an eine Wand gekettet wurde. An Moody zu denken verbot sich von selbst. Es würde zu viele Bilder und Gefühle wachrufen, die ihn davon abhielten, sich auf das Verbrechen in diesem kleinen Haus inmitten des Waldes zu konzentrieren. Harold Masterson Athene verdiente volle Konzentration. Seine geschundene Leiche wurde gerade von einem Gerichtsmediziner untersucht, den Samuel nicht kannte. Ein recht junger Bussardwandler namens Timothy, der offenbar den Posten von Pavlik geerbt hatte – jener Pathologe, mit dem Samuel seit Jahren zusammengearbeitet hatte und vor kurzem in Rente gegangen war.
„Was denkst du?“, fragte Brian, Samuels Partner, der in diesem Moment aus dem Nebenraum kam, der als Schlaf- und Arbeitszimmer genutzt wurde. Harold war Elektriker gewesen, freiberuflich wie die meisten Handwerker im Vogelterritorium. Das war der Grund für die Unzahl an Werkzeugen, die sich in diesem abgelegenen Häuschen befanden. Brian hatte einige Beweismitteltaschen mit Gegenständen gefüllt, die eventuell als Folter- oder Mordwerkzeug gedient haben könnten. Man würde die Wunden mit den Schnittflächen der Gegenstände vergleichen müssen, es gab keine Fingerabdrücke oder Blutspuren.
„Ich bezweifle, dass etwas dabei ist“, meinte Samuel und wies auf die Plastikbeutel. „Das war keine spontane Tat, der Mörder wird seine Waffen nicht zurückgelassen haben.“
Brian nickte knapp, er war demnach derselben Meinung. Es kam allerdings vor, dass die psychotischen Serienkiller, mit denen sie viel zu oft zu tun hatten, lieber mit der Polizei spielten als sich ausschließlich auf das nächste Opfer zu konzentrieren. In dem Fall blieben dementsprechend Beweise offen liegend und blutverschmiert zurück. Danach sah es diesmal nicht aus.
„Unser Mörder hat sich größte Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen. Der gesamte Raum ist sauber genug, um eine Herzoperation durchzuführen“, fuhr Samuel fort. Ein Blick zum Team der Spurensicherung bestätigte: Es gab bis jetzt nirgends Fingerabdrücke, keinen Tropfen Blut, abgesehen von den verkrusteten Wunden auf der Haut des Opfers. Selbst die Federn waren allesamt sorgsam gereinigt worden, mit Spezialmitteln, die wirklich nichts zurückließen. Genau diese Federn waren es, die Samuel am stärksten Kopfschmerzen bereiteten. Sie lagen nicht einfach wild verstreut am Boden, sondern waren einzeln auf die hellen Holzdielen geklebt worden. Jede für sich, anscheinend mit einem durchsichtigen Sekunden- oder Alleskleber. Zusammen ergaben sie das Abbild einer Eule mit weit gespreizten Flügeln. Als Augen dienten zwei Klumpen Bernstein, Schnabel und Klauen stammten vom bedauernswerten Opfer. Es war ein Kunstwerk von schauriger Schönheit und höchster Perfektion.
„Was für ein eiskalter Bastard“, murmelte Samuel gedankenverloren. „Ich wette, er hat ihm immer nur einige wenige Federn ausgerissen und diese aufgeklebt, bevor er die nächste gerupft hat. Schau her, Brian.“ Er wies auf jene Stelle des makaberen Bildnis’, an denen sich die Federn überlappten.
„Kann ich bestätigen“, brummte der Pathologe und kniete sich neben Samuel und Brian am Boden nieder. „Er hat an den Beinen angefangen zu rupfen und im Gesicht aufgehört. Erkennbar an den Wunden beziehungsweise deren Fortschritten bei der Blutgerinnung. Die Wunden im Gesicht sind teils noch feucht … Die Klauen und den Schnabel hat er zwischendurch abgeknipst. Getötet hat er ihn erst danach.“
„Man könnte meinen, sein Opfer selbst hat ihn gar nicht interessiert, ausgenommen als Spender für das benötigte Material.“ Samuel fühlte sich unbehaglich an den so genannten Rainman-Killer erinnert – seinen ersten Fall in Shonnam. Da waren komplizierte Ornamente in die Haut der Toten geritzt worden, ebenfalls künstlerisch äußerst anspruchsvoll. Wobei sich Annika sehr wohl für ihre Opfer interessiert hatte, sie hatte die Menschen aus pervertiertem Mitgefühl heraus umgebracht und wollte sie post mortem zu etwas Besonderem machen. Auch waren die Ornamente erst nach dem Tod entstanden, der im Gegensatz zu diesem Massaker jeweils rasch und schmerzlos erfolgt war.
Sein Handy klingelte. Samuel verdrückte sich ein innerliches Seufzen, als er die Nummer auf dem Display erkannte – seine Chefin Diana wollte offenkundig erste Ergebnisse. Eigentlich waren Schneeeulenwandler wie sie für ihre Geduld berühmt, wie überhaupt die meisten Raubtiervogelwandler; doch bei Diana war es extrem situationsabhängig. In diesem Fall war die Ungeduld verständlich, denn Diana war diejenige, die den Toten gefunden hatte – er war ihr Nachbar. In einem dünn besiedelten Gebiet wie diesem und einer Kultur, in der einsam lebende Einzelgänger eher die Norm als die Ausnahme war, bedeutete Nachbarschaft alles innerhalb von fünfzig Kilometern. Dass sich ihr luxuriöses Haus kaum zwölf Kilometer von dieser bescheidenen Hütte entfernt befand, machte Harold beinahe zu einem Familienmitglied; zudem gehörte er derselben Wandlergruppe an, auch wenn Steinkauze und Schneeeulen nicht direkt verwandt waren.
Diana war bis gerade eben bei ihnen gewesen, welchen Fortschritt sollten sie innerhalb von vielleicht zwanzig Minuten gemacht haben?
„Sam hier“, meldete er sich schicksalsergeben. „Diana, wir haben wirklich gerade erst mit unserer Arbeit …“
„Ich weiß!“ Ihre Stimme klang seltsam gepresst, auf eine Art, bei der sich Samuel alarmiert versteifte. „Ich weiß … weiß … Sam, bitte … Bitte lasst alles fallen und kommt zu mir nach Hause. Jetzt sofort.“
Er schluckte krampfhaft, suchte Brians Blick, der wie erstarrt am Boden hockte und zu ihm hochschaute – Dianas Stimme war für die empfindlichen Ohren des Falken offenkundig deutlich zu hören.
Samuel spürte, wie ernst es sein musste. Seine Chefin neigte nicht zur Launenhaftigkeit und würde ihn nicht wegen irgendeiner Nichtigkeit von einem Tatort fortholen.
„Wen soll ich außer Brian mitnehmen?“, fragte er bedächtig.
„Alle.“
Damit beendete sie das Gespräch. Fassungslos schüttelte Samuel den Kopf. Alle – also hatte der Killer womöglich auch bei ihr Zuhause zugeschlagen. Diana war verheiratet, hatte drei kleine Kinder.
O Gott!
„Packt zusammen, Leute, wir fliegen rüber zu Diana!“, brachte er krächzend hervor und eilte los, um das Spurensicherungsteam noch zu erwischen. Irgendetwas sagte ihm, dass dies ein wirklich beschissener Fall werden würde …
Diana lebte in purem Luxus, verglichen mit der armseligen Hütte, die sie gerade zurückgelassen hatten. Ihre Eltern waren schwerreiche Textilfabrikanten und ihr Mann, der in derselben Branche tätig war, verdiente ebenfalls mehr als genug. Samuels Chefin bezeichnete ihre Arbeit gelegentlich als bezahltes Hobby, vor allem an Tagen, an denen alles schief lief. Doch sie liebte ihren Beruf, in dem sie wirklich gut war. Daran hatte es nie Zweifel gegeben.
Bis zum heutigen Tag.
Samuel erblickte die Schneeeule bereits aus weiter Ferne. Sie saß regungslos auf dem Dach ihres großen Hauses, das am Waldrand lag. Falls das Opfer ein Mitglied ihrer Familie war, brauchte sie die Vogelgestalt, um sich vor ihren Gefühlen zu schützen, und würde ihnen nicht bei den Ermittlungen helfen können.
Samuel gab seinen Begleitern im Flug standardisierte Anweisungen mit Lauten und Körperhaltung, die unabhängig von der Wandlergattung jeder Polizist verstand. Sie sollten am Boden auf ihn warten und noch nicht ins Haus gehen, bis er mehr darüber erfahren hatte, was geschehen war. Er leitete die Ermittlungen, niemand stellte seine Autorität infrage.
Während alle sich in respektvoller Entfernung zurückverwandelten und sammelten, ließ er sich – ebenfalls in Menschengestalt – neben Diana nieder. Es war ein gewisser Balanceakt auf diesem Spitzdach und keineswegs bequem, aber das war unwichtig. Er bedrängte sie nicht, sprach sie nicht an. Je nachdem, wie schlimm es war, würde sie vielleicht gar nicht reagieren. Was er dann tun müsste, darüber wollte er lieber nicht nachdenken.
Es dauerte fast eine volle Minute, bevor sie es ihm gleich tat und zur Frau wurde. Sie redete nicht, starrte lediglich aus in dem totenbleichen Gesicht riesigen hellblauen Augen zu ihm hoch.
„Wer ist es?“, fragte Samuel so behutsam wie möglich und betete, dass die Kinder wohlauf waren.
„Mein Mann. Es ist … Es … Es ist Dorian. Er liegt in der Küche.“
Diana war für eine Eule eine untypisch zarte, hochgewachsene, zerbrechlich wirkende Frau. Man musste sie gut kennen, um sich nicht von ihrer schwanengleichen Anmut und dem sanften Lächeln täuschen zu lassen. Sie war durch und durch Jägerin, stark, gnadenlos und sehr intelligent. Im Moment allerdings schien sie dem Zusammenbruch nah und ähnelte mehr denn je einer Elfe.
Zögerlich berührte er sie am Arm. Bei den Katzenwandlern hatte er spontanen Körperkontakt und Umarmungen schätzen gelernt, was in der Vogelwandlerkultur selbst unter Freunden eher verpönt war. Sie fuhr zusammen, duldete die Nähe jedoch und hielt sich an ihm fest. Es schien ihr Trost zu geben, darum blieb Samuel still und ließ sie gewähren, bis sie sich mit einem Nicken von ihm löste.
„Wo sind deine Kinder?“, fragte er sanft.
„Noch im Haus, glaub ich. Sie waren dabei. Also, nicht wirklich. Hatten sich in Carolynes Kleiderschrank versteckt. Sie schrien, als sie meine Stimme hörten … Ich hab ihnen gesagt, dass sie dort bleiben müssen. Sich verstecken, während ich mich um ihren Vater kümmere, da der Mörder … O Gott …“
Diana sprach monoton und leiernd, wie in Trance. Der Gedanke, dass die Kinder in einem dunklen Schrank ausharrten, nachdem sie vermutlich die Todesschreie ihres Vaters gehört hatten, drückte Samuel das Herz ab.
„Verwandle dich!“, befahl er heiser und nahm sie vorsichtig hoch, sobald sie in ihre Eulengestalt zurückgekehrt war und warf sie hoch in die Luft. Mit einem kleinen Manöver überwand er mühelos die Distanz zum Boden – verwandeln, springen, zurückverwandeln, Eule auffangen, da Diana nicht einmal die Flügel ausgebreitet hatte, um den Sturz abzufangen. Das verhieß wenig Gutes für das, was sie gleich im Inneren des Hauses erwarten würde.
„Emily, könntest du bitte mit ihr hier draußen bleiben?“, fragte er die nächstbeste anwesende Frau, die zum Team der Spurensicherung gehörte. Die dunkelhaarige Halbjapanerin nickte ergeben. Sie war eine Kormoranwandlerin, jene Vogelart, die geschickt unter Wasser zu tauchen verstand, um Fische zu fangen. Entsprechend lang und schmal war Emilys Körper gebaut. Sie nahm Diana an sich, vermutlich froh, dass sie bei einem Vogel keinen Smalltalk bemühen musste.
„Ich bringe gleich drei Kinder nach draußen, die ihren Vater verloren haben“, sagte Samuel und informierte seine Leute damit, wer das Opfer war. „Versuch bitte Verwandte oder Freunde aufzutreiben, die sich um die Kleinen kümmern können, sie sind zwischen fünf und acht Jahre alt.“
Emily nickte erneut, sichtlich unglücklich über diesen Job. Es war für sie alle eine grauenhafte Situation – Morde ließen sich leichter untersuchen, wenn Opfer und Angehörige Fremde waren. Leider konnten sie sich das nicht aussuchen.
Zielstrebig ging Samuel ins Haus, in dem er einige Male Gast gewesen war. Er wies der Spurensicherung den Weg in die Küche. Brian und zwei weitere Kollegen würden Ausschau nach dem Mörder halten, auch wenn sich der mit absoluter Sicherheit nicht mehr hier befand. Sicherheit ging vor. Er selbst nahm die Treppe in den ersten Stock, hoch zu den Kinderzimmern. Dorian, Dianas Mann, hatte eine Vorliebe für Antiquitäten aus den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts. Entsprechend war alles ziemlich bunt. Gemälde von Andy Warhol, Werbedrucke für Cola, Zigaretten und Autos sowie Kinoplakate für Actionfilme schmückten die Wände. Samuel ignorierte es genauso wie die plüschigen Möbel in schrillen Farbtönen und die in seltsamen Farben gekachelten Fußböden, und eilte zu Carolynes Kinderzimmer. Dieser Raum gehörte einem Mädchen, das für Puppen, die Farbe Pink und Hazel-Blue schwärmte – letzteres war der Name einer rein menschlichen Musikgruppe, die Retro-Punk spielte.
Drei winzige Schneeeulen saßen in dem weiß und pink gestrichenen Kleiderschrank, versteckt unter ebenfalls pinkfarbenen T-Shirts, handbestickten Jeans und Sommerkleidchen. Carolyne war acht Jahre alt und eine reichlich verwöhnte, äußerst zickige Prinzessin, wie Samuel bei seinen früheren Besuchen feststellen musste. So sehr er seine Chefin schätzte, weder ihrem Mann noch ihren Kindern konnte er große Sympathien entgegen bringen. Carolyne behandelte ihn stets wie einen Dienstlakaien und hatte ihm einmal vors Schienbein getreten, als er ihr nicht schnell genug den Zucker zum Tee angereicht hatte. Dorian hatte darüber gelacht und schien unzufrieden, als Diana das Mädchen tadelte.
Trotz dieser Distanz wurde es für Samuel nicht leichter, als die Kinder sich bei seinem vertrauten Anblick verwandelten und sofort weinend an ihn klammerten. Ein wenig hilflos nahm er Molly, die Jüngste, auf den Arm, während er Carolyne und ihrem knapp siebenjährigen Bruder Sean jeweils ein Bein überließ, an dem sie sich zitternd festhalten konnten. Molly gab keinen Laut von sich, sie erwürgte ihn lediglich halb.
„Ich bringe euch hier raus“, sagte er leise, kniete nieder. Ohne dass er Anweisungen geben musste, krabbelte Sean auf seine Schultern, sodass Samuel Carolyne genau wie Molly auf den Arm nehmen und beide Mädchen hochheben konnte. Auch wenn die drei für ihr Alter nicht groß und eher schmächtig waren, schwankte er unter ihrem Gewicht. Dennoch wollte er keines der Kinder zurücklassen. Die Kleinen waren wie gelähmt von ihrer Angst, er kämpfte mit seinem Mitgefühl, das in seinem Magen wütete, und er musste sich sehr konzentrieren, all das nicht zu dicht an sich heranzulassen.
„Wo ist Mama?“, wimmerte Sean, der sich mit schmerzhafter Kraft in Samuels Haare krallte.
„Draußen vor dem Haus. Ich bringe euch zu ihr.“
Er beeilte sich, die Treppe hinunter zu kommen, was bei der Masse klammernder Kinderhände und verängstigter kleiner Körper nicht einfach war. Timothy, der neue Gerichtsmediziner, öffnete ihm zuvorkommend die Haustür. Dass der Mann dafür Zeit hatte, statt die Leiche zu untersuchen, störte Samuel, doch zunächst musste er die Verantwortung für die Kleinen loswerden. Rasch eilte er über den sorgsam getrimmten Rasen hinüber zu Emily, die noch immer mit der Eule im Arm dastand. Glücklicherweise verwandelten die Kinder sich sofort und flatterten ungeschickt hinüber zu ihrer Mutter.
„Ich hab eine Telefonnummer bekommen, Dianas Eltern sind auf dem Weg hierher“, sagte Emily. Samuel nickte ihr bestätigend zu, murmelte ein Lob und hastete zurück ins Haus, wo ihn bereits die gesammelte Mannschaft erwartete.
„Exakt dieselbe Methode wie bei Harold“, informierte ihn Brian. „Harold ist eindeutig als Erster gestorben, bei Dorian hatte der Drecksack vermutlich nicht genug Zeit. Sprich, Diana muss ihn gestört haben. Komm, schau es dir an.“
Samuel war innerlich gewappnet, trotzdem traf ihn der Anblick der nackten, geschundenen Leiche des Mannes, mit dem er vor rund zwei Monaten zusammen am Esstisch gesessen und Tee getrunken hatte, wie ein Hammerschlag in den Magen. Das Gesicht war unversehrt, der Mörder hatte ihn beidseitig bis zu den Unterschenkeln gerupft. Während die Todesursache bei Harold ohne Obduktion nicht eindeutig bestimmbar war, konnte man bei Dorian von einem gezielten Stich ins Herz ausgehen. Bei ihm gab es deutlich mehr Blut, es war anscheinend nicht genug Zeit geblieben, um alle Spuren zu verwischen. Das Federbildnis war mit derselben Sorgfalt begonnen worden wie in Harold Mastersons Haus, jede einzelne Feder gründlich gereinigt und aufgeklebt. Ein Akt, der mindestens eine Stunde in Anspruch genommen haben musste, eher mehr.
„Bislang keinerlei Fingerabdrücke, Fußspuren, Hautpartikel oder irgendetwas anderes, was eindeutig dem Täter zuzuordnen wäre“, sagte Brian, bevor sich Samuel in falsche Hoffnungen versteigen konnte. „Kein Hinweis auf gewaltsames Eindringen oder einem Kampf zwischen Opfer und Täter. Es schaut so aus, als hätte Dorian seinen Mörder gekannt und arglos zur Haustür hineingelassen.“
„Es kann auch ein Handwerker oder Lieferbote gewesen sein“, widersprach Samuel. „Sobald Diana sich gefangen hat, müssen wir sie fragen, ob sie irgendjemanden in dieser Richtung erwartet haben.“
„Sam, es gibt quasi nichts Sichtbares“, rief Melanie, die Chefin des Forensikteams. „Ich könnte mir aber denken, dass es einiges zu riechen gibt. Sollten wir nicht jegliche Hilfe ranholen, die denkbar ist? Das ist kein normaler Fall, für keinen von uns.“
Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf ihn. Es war ein offenes Geheimnis, dass er sein Herz an Dylan verschenkt hatte und die Zusammenarbeit mit dem Gepardenwandler und dessen Mordermittlungsteam hervorragend funktionierte. Zwei Mal hatte Samuel alles stehen und liegen lassen, um nach Shonnam zu eilen. Er wusste, ein Wort von ihm würde genügen, damit der Mann, den er liebte, zu ihm kommen und auf jede erdenkliche Art helfen würde. Die Neugier auf den Katzenwandler seitens seiner Kollegen kannte keine Grenzen. Trotzdem verblüffte es ihn, wie vorbehaltlos positiv die Reaktionen waren. Bei seinem ersten Erscheinen in Shonnam war ihm Misstrauen, Gewalt und Ablehnung entgegengeschlagen, es hatte mehr als einen Mordanschlag auf ihn gegeben, einen sogar von Dylans Rudel. Vogelwandler waren weitaus weniger impulsiv und sinnlos gewalttätig, doch generell deutlich geringer flexibel und bereit, von Kindheit an erlernte Vorurteile abzulegen.
„Brian meint, dein Gepard sei vertrauenswürdig“, ließ sich Melanie vernehmen.
„Ich bin nicht heiß drauf, eine Raubkatze in unser Revier zu holen, aber wenn es hilft, diesen Kerl zu schnappen …“ Brian zuckte mit den Schultern. Alle nickten ihm ermunternd zu.
Mit langsamen Bewegungen zog Samuel sein Handy hervor und tippte blind auf die Kurzwahlnummer. Sein Herz schrie vor Sehnsucht nach Dylan. Sein Verstand fluchte laut, denn der wusste genau, dass die Sehnsucht unerfüllt bleiben und Nähe nur für Kummer sorgen würde … Von allen anderen Problemen ganz zu schweigen.
Kurz vor der Dämmerung kam Dylan am Tatort an. Seit Sammys Anruf waren rund sechs Stunden vergangen, in denen jede Menge bürokratischer Unfug geklärt werden musste. Sam hatte bei seinem letzten Einsatz eine permanente Aufenthaltserlaubnis für den Großraum Shonnam erhalten. Dylan hingegen hatte das Gebiet der Vogelwandler zwar über einige Wochen hinweg betreten dürfen, als er Cory, sein zweitjüngstes Rudelmitglied, im Zuge einer aufwändigen Rehabilitationsmaßnahme nach einer Armverletzung begleiten musste; doch das war längst vorbei. Noch nie hatte er Sam privat besucht oder aus beruflichen Gründen die Grenze übertreten. Vor Kurzem noch war er darüber froh gewesen, dass diese Grenze existierte, er hatte schwerwiegende Gründe gehabt, Vogelwandler allgemein und Steinadler besonders zu hassen. Gründe, die sich nicht völlig in Luft aufgelöst hatten, bloß weil er intensive Freundschaft und mehr für Sam empfand. Er misstraute dem gefiederten Pack …
Trotzdem hatte er nicht einen Augenblick lang gezögert, als Sammy ihn um Hilfe bat und war zu Roy geeilt. Shonnams Polizeichef, ein indischstämmiger Tigerwandler, hatte die notwendigen Hebel in Bewegung gesetzt, damit Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis umgehend erteilt wurden. Dylan ließ sein Rudel, sein eigenes Team und rund ein halbes Dutzend ungelöster Mordfälle im Stich. Er wusste, auf ihn wartete Misstrauen, Ablehnung, ungesunde Neugierde auf ihn als Erzfeind. Der Krieg zwischen ihren Völkern war einfach noch nicht lange genug vorbei, die Wunden gingen tief.
Hier herrschten andere Regeln und Gesetze, für ihn unbegreifliche Arbeitsmethoden, ein komplett fremdes Terrain und der Mörder besaß eine Psyche, die auf für ihn kaum nachvollziehbare Weise funktionierte. Sein größter und vielleicht auch einziger Vorteil war, dass er weder Diana noch eines der Opfer kannte. Diese Distanz würde ihm dort helfen, wo Sam und dessen Leute blockiert waren.
Angespannt stieg er aus dem Wagen und hielt Ausschau nach dem Adler, der Nacht für Nacht seine Träume beherrschte.
Das Gebiet war stärker bewaldet, als er es gewohnt war. Er entdeckte auf Anhieb mehrere Pflanzen- und Insektenarten, die ihm nicht vertraut waren. Die Luft roch fremd und die Witterung von Eulen hing ihm schwer in der Nase. Unwillkürlich stellten sich ihm die Nackenhaare auf – Eulen behagten ihm nicht, dabei hatten die damals nicht einmal im Krieg mitgemischt. Dazu kam die Witterung diverser anderer Raubvögel. Falken, Bussarde, einige, die er nicht zuordnen konnte und Adler. Sein Adler. Gesund und unverletzt, was ihn beruhigte. Natürlich hatte Dylan gewusst, dass es Sammy gut ging und dieser ihn nicht deshalb um Hilfe gebeten hatte, doch sein Beschützerinstinkt brauchte die unmittelbare Bestätigung.
Er folgte dem Duft in Richtung Haus. Das Anwesen gefiel ihm, groß, sorgfältig gepflegt. Etwas in der Art und Größe könnte er dringend für sein Rudel gebrauchen, mit dem er sich seit Jahren auf viel zu kleinem Raum zusammenquetschte. Sie sparten bereits auf einen Ausbau, leider war Holz und Baumaterialien allgemein in Shonnams Umgebung nahezu unerschwinglich teuer.
Er hörte und witterte zahlreiche Vogelwandler im Haus. Auf sein Klingeln hin kam ein Falke näher, den er kannte: Brian. Dylan war sich nicht sicher, ob er den Kerl mochte, aber er schätzte dessen Freundschaft und Loyalität zu Sam.
„Alle Augen warten bereits auf dich“, sagte Brian anstelle einer Begrüßung. Dylan knurrte unwillkürlich.
„Auch dir einen schönen Tag“, grollte er, „und herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft. Sammy meinte, du hast dein Töchterchen gut hingekriegt.“
Brian stutzte sichtlich verwirrt. „Äh – danke“, murmelte er dann und ließ Dylan mit großzügiger Geste ins Haus.
Sämtliche seiner Sinne konzentrierten sich sofort auf Sam, der auf ihn zugeeilt kam. Das Leuchten in den dunkelbraunen Augen galt ihm. Er spürte es, witterte die Freude über ihr Wiedersehen, die Erregung, die sein Anblick auslöste. Es machte ihn stolz, glücklich und panisch zugleich. Eine einzigartige Mischung, die ihn mit Sam verband. Dylan hatte Liebe gekannt, Verliebtheit, sexuelle Gier, brüderliche Verbundenheit, Freundschaft in allen Abstufungen. Mit Daniel etwa war er durch alle Ringe der Hölle gewandert, sein ältester Freund und Vertrauter stand ihm nah wie ein Bruder. Doch was er für Sam empfand, dafür gab es keinen Vergleich. Genau deswegen konnte er ihn nicht haben … Es würde den Adler, der nur ein einziges Mal in seinem Leben lieben konnte, vernichten, sollte Dylan ihn verlassen.
Sex ist Spaß auf Zeit. Freundschaft ist für die Ewigkeit.
Beides zusammen ließ sich schlecht vereinen. Das war die Maxime, an die Dylan fest glaubte.
Wie immer geriet sein Glaube augenblicklich ins Wanken, als er Sammy kameradschaftlich umarmte und dessen köstliche Witterung tief einsog. Am liebsten wäre er an Ort und Stelle über ihn hergefallen. Er konnte das unwillige Knurren über all die lästigen Menschen, die in der Nähe waren, gerade noch unterdrücken.
„Danke, dass du so schnell gekommen bist“, sagte Sam. Dessen dunkle Stimme kratzte an Dylans Selbstbeherrschung. Mit aller Kraft konzentrierte er sich, meisterte ein gelassenes Grinsen und boxte ihm freundlich gegen die Schulter.
„Für dich jederzeit, Bruder. Ich stehe tief in deiner Schuld.“
„Okay, wenn es dich nicht stört, würde ich gerne sofort zur Sache kommen. Ich habe das Forensikteam hier festgehalten und auch die Leichen an beiden Tatorten nicht freigegeben, bis du deine Nase voll Witterungen gehabt hast. Die Leute wollen langsam nach Hause, aber du musst sie vorher identifizieren, damit du sie von der Witterung des Täters unterscheiden kannst.“
„Das wird nicht lange dauern. Ich verwandle mich, dann geht es noch ein bisschen schneller … Falls das in Ordnung ist.“
Mittlerweile waren knapp ein Dutzend Vogelwandler in den Flur getreten, die ihn zwischen Neugier und Misstrauen musterten. Niemand bedachte ihn mit offener Ablehnung, was die Sache vereinfachte. Rasch nahm er Gepardengestalt an. Der Angstpegel im Raum verhundertfachte sich spontan. Er streifte an zahllosen Beinen vorbei, nahm die unterschiedlichsten Witterungen auf. Dylan war weniger nasal geprägt als die Wolfwandler. Jackson, Esther oder auch Carl, der Neue in seinem Team, wären für diesen Job besser geeignet gewesen. Doch er wollte sich gerne beweisen, darum gab er sein Bestes. Sobald er die Lebenden abgearbeitet hatte, pirschte er sich an die Leiche heran, die unter einer Plane auf dem Küchentisch lag. Sam hatte ihm vom dem Vogelbildnis erzählt, das der Mörder aus Federn erschaffen wollte. Dort hielt er sich besonders lange auf, flehmte mit geöffnetem Maul, um alle nur denkbaren Gerüche riechen und schmecken zu können. Eine der anwesenden Frauen war empfangsbereit, was ihn bei einer Katzenwandlerin abgelenkt hätte. Die Pheromone der Bussardfrau hingegen sprachen ihn in seiner Tiergestalt auf keiner einzigen Ebene an. Ein unerwarteter Vorteil, für den er dankbar war. Dylan arbeitete sich konzentriert durch den Raum. Marmorfliesen, Edelstahl, seltene Hölzer. In dieser Küche herrschte Luxus und Hygiene vor. Besonders im Bereich von Herd und Spüle nahm er die Witterung einer erwachsenen Eulenwandlerin wahr, die nicht mit Diana verwandt war.
„Ich nehme an, es gibt Hausangestellte?“, fragte Dylan, der sich zu diesem Zweck kurz zurückverwandelte.
„Ja. Larissa, eine Waldohreule. Sie arbeitet für Diana als Haushälterin“, erwiderte Sam ohne zu zögern. „Sie hat für eine Woche Urlaub, um sich um ihre erkrankte Mutter zu kümmern. Ich habe vorhin mit ihr telefoniert, sie befindet sich nachweislich über dreihundert Kilometer von hier entfernt. Zwei Mal im Monat kommt eine Gartenarbeitsfirma raus, zuletzt vor einer Woche. Ich habe es abgecheckt, alle Angestellten waren zur Tatzeit auf Cyrus Hall, einem Privatgrundstück eines reichen Schauspielers – rein menschlich übrigens. Über eine Flugstunde von uns entfernt und es gibt keine Berichte über Ärger mit der Firma.“
„Flugstunde heißt …?“
„Vierzig Kilometer“, fiel Brian dazwischen. „Das Mittelmaß an Fluggeschwindigkeit der häufigsten Vogelwandlertypen beträgt exakt vierzig Stundenkilometer. Es ist eine gängige Größe. Habt ihr etwas Ähnliches bei euch?“
„Hat man versucht.“ Dylan zuckte achtlos mit den Schultern. „Man konnte sich nicht einigen, weil fast alle Katzenwandler auf Sprint ausgelegt sind und keine Stunde am Stück schnell rennen können, während das bei Wolfsverwandten eher umgekehrt ist. Die meisten Säugetierwandler sind zudem Herdentiere wie Antilopen, Pferde und so weiter. Wir sind bei den alten Systemen geblieben.
Ach ja – die Spurensicherung kann nach Hause, der Pathologe noch nicht.“
Mit dieser Ansage verwandelte er sich erneut und kehrte zur Leiche zurück. Er witterte Latex, das er weder der Plane noch der Ausrüstung von Forensik oder dem Gerichtsmediziner zuordnen konnte. Der Geruch war bei den Federn extrem intensiv, nur schwach an der Leiche wahrnehmbar, etwas stärker an der Kette, die sich in das Bein des Opfers geschnürt hatte. Dylan folgte dem Geruch bis ins Wohnzimmer, wo er schlagartig in der Mitte des Raumes auftrat. Hier konzentrierte sich die Witterung von Dianas Familie, dazu einige frische Fährten der Forensiker, die alles abgesucht hatten. Larissa, die Haushälterin fand er wieder. Sonst nichts, abgesehen von einem seltsamen Erdbeerduft, der nichts mit den Früchten zu tun hatte. Fast, als wäre eine menschliche Witterung mit Parfüm ertränkt worden, allerdings so gründlich, dass von den normalen menschlichen Merkmalen nichts übrig geblieben war.
„Nehmt ihr diesen Erdbeerduft auch wahr?“, fragte er, erneut die Gestalt wechselnd. Das war anstrengend auf Dauer, im Moment aber die praktikabelste Methode.
Brian, Sam und der Pathologe schnupperten eifrig. Sie konnten als Menschen besser riechen, darum lohnte es sich nicht, Vogelform anzunehmen.
„Sehr schwach, ja“, murmelte Sam. „Wenn du nichts gesagt hättest, wäre es mir gar nicht aufgefallen. Was ist damit?“
„Es ist ein merkwürdiger Duft, regelrecht … falsch. Ich kann es spontan nicht besser beschreiben.“
Kopfschüttelnd kehrte Dylan in die Gepardengestalt zurück und folgte der Erdbeerspur. Sie brachte ihn zum Hauseingang und von dort bis zur mit Kies ausgelegten Auffahrt von der Straße, die zum Anwesen führte.
„Der Täter ist mit dem Auto hergekommen“, sagte er. Ihm war mittlerweile leicht schwindelig von all den Wandlungen innerhalb weniger Minuten, was er sich jedoch nicht anmerken lassen wollte. Vor gerade einmal drei Wochen hatte er weitaus Schlimmeres durchgestanden … Wobei jetzt nicht der Moment war, um an seine Flucht aus dem Krankenhaus und das Martyrium in Sids Händen zu denken. Noch etwas, wovon er nachts träumte, allerdings deutlich weniger angenehm als seine Episoden mit Sam.
„Das Opfer hat ihn zur Tür hineingelassen und ins Wohnzimmer gebeten. Der Mörder hat keinerlei normale Witterung, sie wird vollständig von künstlichem Erdbeerduft übertüncht. So etwas hab ich noch nicht erlebt! Mitten im Wohnzimmer verschwindet die Erdbeerwitterung. Es scheint, als hätte der Täter sich dort vollständig in Latex gehüllt. Das wäre für einen Säugetierwandler nicht ungewöhnlich, wenn der keine Fährte hinterlassen wollte, bei euch Vogelwandlern finde ich es etwas seltsam.“
„Nicht unbedingt“, widersprach Timothy. „Wer einen Ganzkörperschutz trägt, hinterlässt weder Haare, Fingerabdrücke noch Hautpartikel, die unsere Spurensicherung auf jeden Fall gefunden hätte.“
„Dieser Erdbeerduft macht mich nervös“, sagte Sam nachdenklich. „Bei uns wäre es wirklich nicht notwendig, seine Witterung gezielt zu überdecken und ich habe noch nicht gehört, dass es möglich wäre, es so vollständig zu tun. Du kannst uns gar nichts über den Täter sagen?“
Zähneknirschend schüttelte Dylan den Kopf. „Nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau wäre, welcher Wandlergattung er oder sie angehört, rein gar nichts.“ Er war von sich selbst enttäuscht. Wie gerne hätte er Sammy mit einer schnellen Lösung des Falls beeindruckt!
„Dass der Typ mit dem Auto gekommen ist, ist schon mal ein wertvoller Hinweis“, meinte Brian. „Wir müssen Diana fragen, ob sie beim Anflug einen Wagen bemerkt hat. Ich meine, der Kerl musste ja auch damit fliehen.“
„Ihr geht von einem Mann aus?“, fragte Dylan nach. Die explizite Grausamkeit der Morde wäre bei den Raubkatzen eher ein Kriterium gewesen, das auf eine Frau hinwies. Raubkatzenwandlerinnen waren zumeist deutlich aggressiver und auf sadistische Weise verspielter als Männer, die ihre Opfer meist rasch und blutig umbrachten.