Code 0-37: In Stein gemeißelt - Sonja Amatis - E-Book

Code 0-37: In Stein gemeißelt E-Book

Sonja Amatis

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Beschreibung

Der 4. Teil der Reihe! Das London von heute – in einer parallelen Welt Marcus und Ian werden für den Kampf gegen die Kinder der Erzdämonen gerüstet. Es zweifelt niemand mehr daran, dass die Zeit der Prophezeiung angebrochen ist. Was das für sie und die Welt bedeutet, wissen sie nicht. Sicher ist lediglich, dass es weh tun wird … Ca. 56.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte etwa 300 Seiten. Das ausführliche Glossar am Buchende umfasst etwa 7500 Wörter = ca. 40 Seiten.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Dies ist der 4. Teil der fortlaufenden Serie „Code 0-37“.

Teil 1 trägt den Titel „Auf Eis gelegt“, Teil 2 „Aus Feuer geboren“, Teil 3 „Fest verwurzelt in der Erde“.

Auch wenn jeder Teil in sich geschlossen sein wird, ist es zum besseren Verständnis sinnvoll, die Bücher der Reihe nach zu lesen.

 

 

Der 4. Teil der Reihe!

Das London von heute – in einer parallelen Welt

Marcus und Ian werden für den Kampf gegen die Kinder der Erzdämonen gerüstet. Es zweifelt niemand mehr daran, dass die Zeit der Prophezeiung angebrochen ist. Was das für sie und die Welt bedeutet, wissen sie nicht. Sicher ist lediglich, dass es weh tun wird …

Ca. 56.000 Wörter

Das Glossar umfasst etwa 7500 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte etwa 300 Seiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Liebe Leser und Leserinnen,

 

als ich den ersten Teil dieser Reihe geschrieben hatte, war der Plan recht eindeutig und einfach gewesen. Ich wollte eine schöne Abfolge von einzelnen Kriminalfällen, alle mit übersinnlichem Täterprofil, eingebettet in einer Parallelwelt, in der sich Dämonen tummeln und Magie ein normales Ding ist. Es sollte eine Hintergrundgeschichte geben, die als roter Faden durchläuft, mit den beiden Helden im Zentrum. Bei der Change for …-Reihe ist mir das ohne Mühe gelungen, also wollte ich an dieses Konzept anknüpfen. Es gibt viel zu wenig Gay Crime und noch weniger Gay Fantasy Crime, dem muss Abhilfe geschafft werden!

Leider ist mir schon in Teil 1 der Weltenaufbau leicht ausgeufert und in Teil 2 die Hintergrundgeschichte um die Ohren geflogen. Und seit Teil 3 hat sich mein schöner Plan auf die Bahamas verabschiedet und mich mit zwei hochtraumatisierten Helden zurückgelassen sowie mit einem roten Faden, der eher ein gigantisches Spinnennetz mit schiffstauartigen Stricken bildet und sich von Szene zu Szene weiter aufbläht.

Natürlich habe ich immer noch alles im Griff. Doch statt Fantasy Krimis mit Hintergrunddrama schreibe ich hier offenkundig Fantasydrama mit Hintergrundkrimi. Das tut mir sehr leid und ich möchte mich dafür auch herzlich entschuldigen. Es wird weiterhin in jedem Buch einen übernatürlichen Mörder geben, Ermittlungen und die „Wer war es?“-Frage. Schließlich heißt die Reihe „Code 0-37“ und dabei soll es bleiben. Diese Ermittlungen werden leider eher den Nebenschauplatz bilden. Ich hoffe sehr, dass es trotzdem ein unterhaltsames Lesevergnügen bleibt.

Da die Anzahl von Details und Personen, die durchgängig eine Rolle spielen, die kritische Masse überschritten haben, gibt es ab sofort am Ende des Buches ein ausführliches Glossar.

Und nun viel Spaß mit Ian, Marcus, Taubrin und Ananvi. Bleibt mir gewogen!

 

Herzliche Grüße,

Sandra Gernt (aka Sonja Amatis)

 

Schritte, die sich seiner Tür näherten.

Ian war sofort wach. Er erkannte Marcus’ Art zu laufen selbst im Tiefschlaf und reagierte darauf. Rasch drehte er sich von der Tür weg.

Marcus begleitete ihn neuerdings abends ins Schlafzimmer und blieb bei ihm, bis er eingeschlafen war. Sie lagen nebeneinander und hielten sich an den Händen. Danach schlich Marcus sich hinaus und amüsierte sich mit Lesen, Sport oder Gesprächen mit Taubrin und Ananvi. Wenn es für Ian Zeit wurde aufzustehen, kehrte er zurück und weckte ihn.

Es war ein inniger Moment, den Ian über alles liebte. Eine warme Hand, die sich auf seinen Rücken legte und ihn sanft streichelte, bis er sich anspannte und zeigte, dass er wach war. Das waren kurze, unendlich kostbare Augenblicke, in denen er sich Marcus nah fühlte.

Sie hatten eine einzige, vollkommen verrückte Nacht miteinander geteilt. Genialer Sex als Waffe gegen Todesangst, während Karm, ein Erzdämonensprössling des Elements Erde, vor dem Fenster gestanden und sie terrorisiert hatte. Seitdem hielten sie wieder Abstand und sprachen nicht über das, was geschehen war. Das war dumm und grausam und ein wenig so, als würde man gegen die Notwendigkeit zu atmen ankämpfen. Die Dinge waren … kompliziert.

Doch diese wunderschönen Momente der Nähe morgens und abends, die zelebrierten sie mit Genuss.

Drei Tage waren vergangen, seit sich Karm eine fulminante Schlacht mit Rovhar geliefert hatte. Der Herr der Gargoyles hatte dieses Gefecht für sich entschieden und den Erdelementar aus der Stadt jagen können – dank der Unterstützung von sämtlichen Kobolden und Gargoyles von London. Jeder wusste, dass Karm zurückkehren würde, falls nicht ein anderer Erzdämonensprössling als Sieger aus dieser Sache mit der Prophezeiung hervorging.

Tja.

Wie schwer konnte es für Dämonen sein, zwei wehrlose Menschen zu töten? Bislang hatten Marcus und Ian in erster Linie durch Glück überlebt. Das, und weil sie gut beschützt wurden. Karm hatte nicht viel mehr getan, als die Reichweite dieses Schutzes zu testen. Er konnte jede Gestalt annehmen, die er wollte, menschliche Körper besetzen und gleichzeitig noch einen Golem benutzen, der nicht von einem echten lebenden Wesen zu unterscheiden war. Dabei hatte er sich als extrem extrovertiert präsentiert. Eine Kreatur, die gerne spielte, sehr geduldig im Voraus plante. Ian war sich sicher, dass sie noch nicht einmal an Karms Oberfläche gekratzt hatten und weder wussten, was er tatsächlich plante, noch, welche Fähigkeiten und Grenzen er besaß. Von ihnen hingegen wusste er mehr oder weniger alles. Keine guten Aussichten!

Jetzt hieß es erst einmal abwarten, wer ihr nächster Feind sein würde. Welche Fähigkeiten dieser besaß und wie er sie einzusetzen gedachte. Hoffnung sah er keine, heil aus dem Schlamassel herauszukommen. Entweder sie verloren den Kampf gegen die Dämonen oder sie gewannen und setzten damit den Dämon der Zeit frei. Konnte es noch schrecklicher sein? Nicht einmal durch Selbstmord konnten sie sich entziehen, das zumindest hatte Karm behauptet. Ein magisches Paradox, über das Ian sich mit Groshphank unterhalten wollte, wenn sie den kleinen Wissensdämon das nächste Mal zu sich riefen.

Seltsamerweise empfand Ian kaum Angst. Immer wieder überfielen ihn Panikattacken, die einen Sekundenbruchteil währten. Die restliche Zeit war er entspannt, fähig sich zu konzentrieren und sogar Spaß zu haben. Die menschliche Psyche war ein wundervolles Ding und Verdrängung definitiv die beste Erfindung jenseits von Eiscreme. Verdammt, er hatte seit Jahrzehnten kein Eis mehr gegessen!

Die Tür schloss sich. Auf Zehenspitzen kam Marcus zu ihm geschlichen und setzte sich neben ihm auf der Bettkante nieder. Ian hielt sich ruhig, stellte sich schlafend, um diesen wunderschönen Augenblick voll auskosten zu können. Diese Sekunden gehörten ihnen beiden.

Endlich! Endlich legte Marcus seine Hand auf Ians Körper nieder. Durch das Schlafshirt hindurch spürte er Wärme und beruhigende Kraft. Sanft strichen die Fingerkuppen über seine Muskeln. Es war friedlich. Vollkommen. Schön. Ein Versprechen von Sicherheit und Vertrauen. Marcus war für ihn da, mochte da kommen, was wollte.

„Hey, Partner, aufwachen!“, flüsterte Marcus zärtlich.

Seufzend gab Ian das Spiel auf und regte sich brav. War es erbärmlich, sich Streicheleinheiten zu erschleichen, indem man vorgab, tief zu schlafen? Vielleicht ja. Nach allem, was sie in der letzten Zeit durchgemacht hatten, hatte er es dennoch verdient. Das war Ians Meinung. Jawohl!

Er rollte sich langsam und träge herum und blinzelte zu Marcus empor, der inzwischen die Nachttischlampe eingeschaltet hatte.

„Bist du nicht gerade erst mit mir ins Bett gegangen?“, fragte er mit einem Lächeln.

„Das war vor sechseinhalb Stunden, Dornröschen“, erwiderte Marcus. „Raus aus den Federn mit dir! Die Arbeit wartet.“

Ein freundlicher Boxhieb gegen seinen Arm beendete endgültig die Verbundenheit, die Ian sich vielleicht auch nur einbilden wollte.

Grummelnd stand er auf. Zeit für Dusche, Rasur, morgendliches Einerlei. Viel los war auf der Arbeit gerade nicht. Sämtliche Übernatürliche schienen sich in Schockstarre zu befinden, der Beginn des prophezeiten Untergangs der Welt hatte sie hart getroffen. Es gab jedenfalls keine der üblichen Gewaltverbrechen, mit der sich das LPSC normalerweise herumzuschlagen hatte. Stattdessen meldeten besorgte Bürger eine Unzahl von toten Wurzelgnomen, die sich eindeutig selbst getötet hatten. Auch die Zahl von Nervenzusammenbrüchen bei Kobolden war exponentiell gestiegen. Laut Taubrin eine Folge der Angst, zwischen einer Rückkehr in die Hölle und Versklavung durch einen übermächtigen Erdelementar wählen zu müssen. Gerade die schwächsten Kreaturen sahen oft keine Chance, sich zu wehren und Flucht war keine Option. Zwar gab es andere Welten, parallele Universen, in die Höllengeschöpfe fliehen könnten – Groshphank beispielweise lebte in einer solchen alternativen Welt, in einer anderen Version von London. Soweit Ian verstanden hatte, wären diese alternativen Realitäten nicht von einer Machtübernahme seiner Welt durch einen Erzdämonensprössling betroffen. Sollte allerdings der Dämon der Zeit jene Entität freisetzen, die über die Magie wachte, wäre dies das Ende aller Welten.

Die mächtigen Höllenkreaturen konnten zwischen den parallelen Universen wechseln. Wurzelgnome und der gewöhnliche Kobold hingegen waren hier definitiv gefangen.

Ian verließ sein Schlafzimmer, sobald er sauber, ordentlich und vollständig bekleidet war. Seine Freunde warteten wie üblich in der Küche auf ihn. Zurzeit konnte er Ananvi noch morgens begrüßen. Jetzt, Ende März, ging die Sonne gegen halb sieben Uhr morgens auf. Schon bald würde er ihn mehr oder weniger gar nicht zu Gesicht bekommen, weil es fast Zeit zum Schlafen für ihn sein würde, wenn Ananvi sich von Marcus’ Rücken lösen durfte. Es war kein Wunder, dass viele Gargoyles möglichst hoch im Norden lebten. Im ewigen Eis waren sie nicht glücklich und sie bevorzugten Menschen in ihrer Nähe, von denen sie zumindest gelegentlich kleine Mengen Blut stehlen konnten. Doch je länger die Nächte, desto zufriedener waren sie und Kälte als solche machte ihnen nichts aus. Der Sommer mit seinen endlos langen Tagen war hingegen eine Qual für sie.

Nichtsdestotrotz strahlte Ananvi ihn an, während er sich durch die Köstlichkeiten arbeitete, die Taubrin ihm aufgetischt hatte.

„Guten Morgen, Herr“, begrüßte sein Kobold ihn ebenso strahlend. Für ihn gab es nichts Schöneres als Gesellschaft, die er mit Nahrung verwöhnen und hätscheln durfte. „Habt Ihr gut geschlafen, Herr? Ihr kommt genau richtig für das Frühstück.“

Seit Ian ihm neuerdings bestätigt hatte, dass er nicht bloß bis auf wenige Ausnahmen alles gerne aß, sondern auch nichts gegen Experimente einzuwenden hatte, geriet das Frühstück zu einem Abenteuer. Heute wurde ihm eine sehr gehaltvolle Suppe mit Weißkohl, Reis, Sojasauce, vielfältigem anderen Gemüse und Hühnchenfleisch serviert.

„Ich habe auf die Chilischoten verzichtet, Herr“, erklärte Taubrin eifrig. „Thailänder bevorzugen es etwas schärfer, als es gut für britische Gaumen ist. Vollkommen traditionell ist es auch sonst nicht.“

„Es ist perfekt.“ Ian nickte ihm anerkennend zu, womit Taubrins Tag gerettet war. Es schmeckte tatsächlich gut. Marcus löffelte eine Miniaturportion der Suppe aus der Schüssel. Er benötigte eigentlich nur alle drei bis fünf Tage Nahrung in kleinen Mengen. Im Moment wollte er etwas Gewicht zulegen, um für die bevorstehenden stressigen Zeiten gerüstet zu sein; darum aß er aktuell täglich morgens und abends, kaum genug, um ein Spatzenkind am Leben zu halten. Er würde davon angeblich ein halbes Kilo pro Woche drauflegen, es sei denn, er musste Verletzungen oder erhebliche Traumatisierungen ertragen, die selbst seinen magisch vom Gargoylefluch optimierten Stoffwechsel belasten würden.

„Alles klar bei dir?“, fragte Ian nach einer Weile, da Marcus sich seltsam ruhig verhielt, kein Wort sprach und lediglich ins Leere starrte, während Taubrin und Ananvi auf Koboldjia schnatterten.

„Was? O ja … Ich frage mich lediglich, wann wir eine Reaktion von den großen Spielern zu erwarten haben.“

„Was meinst du damit?“

Marcus seufzte und rieb sich über die Stirn, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

„Ich habe in den letzten drei Tagen mehrfach versucht, meine Kontakte bei den großen Vampir- und Werwolfclans zu nutzen. Bislang wurde ich abgewimmelt, teils sehr unhöflich, was normalerweise gar nicht denkbar ist. Zumindest bei den Vampiren nicht, die haben die Höflichkeit als tödliche Waffe schließlich erfunden und ihren Umgang perfektioniert. Wir brauchen Hilfe, Ian. Echte Hilfe. Keine weisen Sprüche, kein Mitgefühl, sondern Waffen. Die Karten liegen auf dem Tisch. Fein! Ja, die Dryade hatte nicht mehr alle Gurken im Fässchen und Karm spielt sein eigenes Spiel. Der nächste Kandidat im Ring könnte beschließen, uns einfach wegzupusten. Bumm!“ Marcus schlug mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr wackelte.

Selbstverständlich hatte er recht. Taubrin hatte einen Clanzauber auf dieses Haus gelegt, was der Grund war, warum Marcus und Ananvi zurzeit jede Nacht hier verbrachten. Dieser Zauber bewirkte, dass jeder einzelne Gegenstand bis hin zum letzten Dielennagel zum Leben erwachen und bis zur völligen Zerstörung kämpfen würde, um Taubrins Clan zu beschützen – bestehend aus ihm, Ananvi, Marcus und Ian. Menschen und niedrigrangige Höllengeschöpfe hatten dementsprechend keine Möglichkeit, ihnen ein einziges Haar zu krümmen. Die Erzdämonenkinder hingegen konnten jederzeit durchbrechen. Natürlich würde das Haus sie bekämpfen und alles tun, um seine Bewohner in Sicherheit zu bringen. Doch eine große Gefahr war, dass sie dabei in den Trümmern umkamen. Sprich, ihr nächster Feind brauchte nichts weiter zu tun, als das Grundstück zu stürmen und das Chaos zu entfesseln. Oder er wartete brav, bis Ian und Marcus die gesicherte Zone verließen und überfiel sie auf der Straße. Ein kurzer Moment des Schmerzes, fertig.

Vor drei Tagen war Ian genau das widerfahren. Karm hatte ihm das Genick gebrochen. Seine Seele hatte den Körper verlassen … und er hatte beobachtet, wie Marcus außer sich geriet, Groshphank seine Rettung organisierte, erst Ananvi und dann Rovhar ihm den Heilbiss verpassten.

Unbehaglich umklammerte er seine Teetasse und trank einen großen Schluck von der heißen Flüssigkeit, um die plötzliche innere Kälte zu vertreiben. Wie so vieles andere, was eigentlich wichtig wäre, war auch dieses Thema nicht zur Sprache gekommen. Beinahe, als wäre sein flüchtiger Anfall von Tod nicht mehr als eine Ohnmacht gewesen, hervorgerufen durch Schwäche oder Übermüdung. Eine Peinlichkeit. Kann ja mal passieren. Reden wir nicht mehr davon.

„Du sprichst hier vermutlich explizit von Nancy?“, fragte er, als ihm einfiel, dass er auf Marcus’ Aussage reagieren sollte. Die Kronprinzessin der Vampire hatte ihm beim Kampf gegen die Dryade Spezialmunition gegeben. Kugeln aus geweihtem Silber, die mit Drachenblut und Dschinnessenz gefüllt sind. Diese töteten angeblich alle Kreaturen bis zum Rang eines Dschinn und es hatte für die Feuerdryade genügt.

„Die Kugeln der süßen Nancy. Vermutlich reichen die nicht, um einen erzdämonischen Ableger im Vollbesitz seiner Kräfte zu vernichten. Aber ja, an solche Waffen habe ich gedacht.“

„Diese Dinger hätten Karm nicht aufgehalten“, sagte Ananvi und schauderte sichtbar. Der Sonnenaufgang stand unmittelbar bevor, er würde gleich verschwinden. „Solche Kugeln tun ihm weh, keine Frage. Es wäre trotzdem Verschwendung, sie auf ihn und seinesgleichen abzufeuern.“

„Das ist nicht gewiss“, widersprach Taubrin. „Er ist ein Mischling. Halb Erzdämon, halb Kobold. Ich wüsste nicht zu sagen, ob seine Macht größer als die eines Dschinn ist. In dieser genetischen Kombination würde ich dazu neigen, vom Gegenteil auszugehen.“

„Man weiß auch nicht, was sonst noch auf uns zurollt“, sagte Marcus. „Karm war ein Einzelkämpfer. Sein Nachfolger mag ein Teamkämpfer sein und eine ganze Gruppe unangenehmer Sklaven und Speichellecker mitbringen. Warum die Drecksarbeit allein erledigen, wenn man andere dazu zwingen kann? Für solche Kreaturen benötigen wir ebenfalls Hilfe und Ausrüstung.“

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Kontakt zu den Clans aufgenommen hast?“, fragte Ian, bemüht, es rein sachlich statt vorwurfsvoll klingen zu lassen.

„Ich … keine Ahnung.“ Marcus rieb sich schon wieder über das Gesicht, in einer Geste, die Erschöpfung ausdrückte. Er würde heute Nacht schlafen müssen.

„Dein Partner ist ein bisschen neben der Spur, Ian“, raunte Ananvi ihm breit grinsend zu. „Er macht sich Sorgen um dich. Weil du ständig einen drüberkriegst und psychisch angeknackst bist. Darum wollte er nicht, dass du dir Hoffnungen auf eine Lösung machst. Schließlich hat er selbst keine.“

„Könntest du bitte die Klappe halten?“, zischte Marcus aufgebracht.

„Wozu? Dein Schmusi soll ruhig wissen, dass du ununterbrochen an ihn denkst. Dein Beschützerinstinkt hat die Ausmaße eines kleinen Kontinents angenommen.“

„ANANVI!“

„Marcus ist verlie-hiebt, Marcus ist verlie-hiebt …“ Kichernd wich Ananvi aus, als Marcus seine leere Suppenschüssel nach ihm warf. Zum Glück war sie aus Holz und überstand den Aufprall an Wand und Küchenboden schadlos. Einen Moment später verschwand Ananvi und Marcus erstarrte. Im Schutz ihres Hauses brauchte er den Schmerz nicht zu verstecken, den er bei der Verschmelzung mit dem Gargoyle erlitt. Leise stöhnend krümmte er sich. Freundlicherweise war dieser Akt morgens innerhalb von Sekunden vorbei, während er bei der abendlichen Trennung über mehrere Minuten leiden musste.

„Eines Tages erschlage ich dich, du grässliche Steinchimäre“, knurrte er mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten. Ian konnte sich vorstellen, wie Ananvi über diese Drohung lediglich amüsiert in Marcus’ Kopf weiterkicherte.

Schweigend tat er so, als hätte es diesen Zwischenfall nicht gegeben. Taubrin hob die Suppenschale auf. Es gab zwar feinstes und edelstes Geschirr in diesem noblen Haushalt, wie es sich gehörte, doch er liebte einfache Holzgefäße und zeigte sich dankbar, dass Ian einen ähnlichen Geschmack besaß.

Ian half ihm, das Frühstücksgeschirr zusammenzuräumen. Marcus verzog sich währenddessen, was untypisch für ihn war, und tauchte erst wieder auf, als sie beide bereit für die Abfahrt waren. Ein weiterer Arbeitstag lag vor ihnen. Vielleicht würde es ein guter Tag werden. Oder aber ihr neuer Feind würde sich enttarnen. Die gesamte Zeit über versuchte Ian herauszufinden, was er von Ananvis Enthüllungen hielt. Sollte er sich freuen, weil es bewies, dass Marcus weiterhin etwas für ihn empfand? Sollte er in Depressionen verfallen, weil diese Gefühle offenkundig mit Gewalt unterdrückt wurden? Oder lieber schlichtweg verzweifeln, weil es zu viele Möglichkeiten gab, warum Marcus sich zurückhielt? Denn ja, Ian war hochgradig traumatisiert, auf so ziemlich jede denkbare Weise. Sexueller Missbrauch eingeschlossen. Das war nicht sexy und kein Garant für eine schöne Beziehung …

Ian ballte die Hände zu Fäusten, während er zum Wagen marschierte. Er war sein verkorkstes Leben manchmal irrsinnig müde. Zum Glück interessierten seine Befindlichkeiten nicht weiter. Sie mussten gegen Dämonen kämpfen. Das zählte. Sonst nichts. Jetzt musste er sich nur noch unauffällig die Tränen aus dem Gesicht wischen, bevor Marcus oder Ananvi sie bemerkten, dann war alles gut.

Beim Kramen nach einem Taschentuch stieß er in seiner Jackettasche auf ein Päckchen Kaugummi.

„Auch eins?“ Er hielt es Marcus hin und wischte sich dabei hoffentlich nebensächlich mit dem Taschentuch über die Nase. Es gab tausend gute Gründe, warum die einfach so loslief. Jawohl!

„Ich hasse Heuschnupfen“, murmelte er kaum hörbar. Für den Fall, dass es nicht nebensächlich genug gewesen war. Rasch schob er sich einen Streifen Kaugummi in den Mund. Großartige Erfindung. Menschen mit Manieren hielten die Klappe, solange sie kauten. Sprich, Gespräche waren ausgeschlossen und man konnte sogar einen gesellschaftlich anerkannten Grund dafür strapazieren. Marcus hatte sich ebenfalls einen aus der Packung genommen und nun fuhren sie einträchtig schweigend und kauend in Richtung Revier. Kalter Frühlingsregen prasselte gegen die Fenster. Der Himmel wurde langsam und widerstrebend heller. London erwachte still und unauffällig, erkennbar lediglich an den Lichtern in den Fenstern. Kein Mensch auf den Straßen. Die gehörten bereits jetzt den Dämonen …

 

 

Was zur Hölle ist eigentlich in dich gefahren?, dachte Marcus vorwurfsvoll. Was sollte die Show in der Küche?

„Es ist nicht mit anzusehen, wie ihr umeinander schleicht, Chef. Du denkst wirklich ununterbrochen an ihn. Und wenn du nicht hinschaust, schmachtet er dich sehnsüchtig an. Ja, das Timing ist beschissen. Ja, er ist ein wandelndes Problem auf zwei Beinen. Und ja, verdammt, er hält sich immer noch aufrecht und kommt klar. Menschen sind dafür gemacht, Dämonen wie auch Engel in sich zu tragen. Es gab drei Menschenaffenrassen, die vielversprechend ausgesehen hatten. Die Homo erectus-Linie hat sich durchgesetzt. Ihr habt das Seelenbranding von den Erzengeln erhalten. Es befähigt euch, Unglaubliches zu ertragen. Nicht jeden von euch, Ausfälle gibt es immer. Aber die meisten Menschen packen es, egal was kommt. Und grundsätzlich sind ein paar dabei, die nicht zu brechen sind. Ian ist einer davon. Er hat bereits ein Wunder der Willenskraft vollbracht, als er noch nicht einmal ausgewachsen war. Du bist ebenfalls ein solcher Kandidat. Der Dämon der Zeit macht keine Fehler. Also hör auf, dich um Ian zu sorgen. Er. Schafft. Das.“

Wenn das mal so einfach wäre, sämtliche Sorgen beiseite zu schieben … Dummerweise hatte Ananvi gerade ein neues Stichwort geliefert, an dem sich Marcus’ Verstand festbeißen konnte: Der Dämon der Zeit. Eine Entität, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich lebte und demzufolge im Voraus wusste, was abging. Bislang hatte ihm noch niemand gesagt, ob diese Zukunft eine unverrückbare, in Stein gemeißelte Größe war, oder ob sie sich ändern ließ. Marcus ging sehr von Letzterem aus, sonst wäre die Prophezeiung als solche überflüssig, oder? Genau das könnte allerdings auch der wahre Trick sein, um ihn gedanklich aufs Glatteis zu locken und zu der erwünschten Reaktion zu zwingen … Ein Thema, das unerschöpfliches Potential für Kopfschmerzen bot.

 

 

„Was machst du da?“, fragte Marcus. Während er sich seit Stunden damit beschäftigt hielt, mit Werwölfen zu telefonieren, die ihn allesamt abblitzen ließen und behaupteten, ihre Clanvorsteher wären nicht sprechbar, verhindert, schwer verletzt oder außer Landes, war es Ians Aufgabe, die aktuellen Polizeiberichte zu durchforsten. Nur um sicherzugehen, dass sie nicht bereits einen neuen Code 0-37 am Hals hatten, also Mord durch eine übernatürliche Kreatur. Es war schließlich denkbar, dass ihr neuer Feind dezent vorgehen würde.

„Ich habe eine Anfrage bei der Pathologie des Scotland Yards gestellt. Im Moment verschluckt sich mein E-Mail-Postfach an den scheinbar zwölf Terabyte, die mir rübergeschickt werden sollen. Darum schaue ich mir in der Zwischenzeit alte Akten an.“ Ian versuchte harmlos zu lächeln. Es misslang, wie er sofort an Marcus’ Blick erkennen konnte, der ihm stirnrunzelnd die Fallakte aus den Händen pflückte.

„Christine und Lewald Jerkins?“, fragte er. Das junge Paar war Karm zum Opfer gefallen, eine Tat, für die der Dämon Marcus’ Gestalt angenommen hatte, um Aufsehen zu erwecken.

„Dieser Fall ist definitiv abgeschlossen, was suchst du noch?“ Marcus gab ihm die Akte zurück.

„Ein Motiv. Warum hat Karm dieses Pärchen ausgewählt? Und warum Alfonso?“

„Alfonso wird er durch dessen diplomatischer Arbeit mit Kobolden gekannt haben. Und das glücklose Paar hatte passend vor diesem Laden mit seiner Überwachungskamera gewohnt. Mehr Motiv wird der Bastard nicht benötigt haben.“ Marcus zuckte achtlos mit den Schultern. „Außerdem wollte er doch sowieso nur irgendjemanden umbringen, da wäre jeder recht gewesen.“

„Genau das ist der Punkt, bei dem ich mir nicht sicher bin“, widersprach Ian und schüttelte den Kopf. „Er ist zur Hälfte Kobold und hat sehr viel Zeit in Koboldgestalt zugebracht. Sprich, er scheint sich dieser Rasse zugehörig zu fühlen. Kobolde sind Diebe, sie morden extrem ungern und wenn, überlassen sie es eher anderen, den Job zu übernehmen. Nun, er hat deutlich weniger Skrupel, wie man bemerken konnte, aber ich bin mir sicher, dass er sich seine Opfer nicht spontan und zufällig ausgesucht hat. Dafür hat er sich zu viel Zeit genommen, jedes Detail perfekt zu planen. Alfonsos Tod verstehe ich. Der Mann hat jahrzehntelang mit Kobolden zusammengearbeitet, dessen Ermordung musste einen erheblichen Aufruhr bewirken. Das Ehepaar Jerkins hingegen … Es kann nicht allein die günstig angebrachte Videokamera gewesen sein. Da gibt es andere Möglichkeiten und Gelegenheiten.“

„Verrenn dich nicht“, brummte Marcus. Dann hielt er inne und lauschte nach innen, was man nur wahrnahm, wenn man ihn gut genug kannte. Rasch blickte Ian sich um, doch keiner ihrer Kollegen beachtete sie. Stattdessen herrschte reges Tastaturgeklapper. Massenhafte Selbstmorde von Wurzelgnomen bedeuteten wenig bis gar keine Ermittlungsarbeit, dafür extrem viel lästiger Papierkram. Zudem fehlte ihnen mal wieder ein Mann, denn auch wenn Gary sich lediglich im Archiv verschanzt und dort Alibiarbeiten ausgeführt hatte, ein bisschen mitgeholfen hatte er. Ein Ersatz war noch nicht in Sicht, genauso wenig wie Hoffnung für den armen Kerl bestand, dessen Körper Karm jahrelang besetzt hatte, um sein Alias als Gary O’Rooney, Ermittler und Arschloch aufzubauen. Der Mann befand sich in der Psychiatrie und würde vermutlich den Rest seines Lebens dort verbringen.

Es war diese extreme Geduld, dieses sorgfältige Planen, was Ian davon überzeugte, dass mehr hinter der Wahl der Opfer stecken musste.

„Ananvi gibt dir recht“, flüsterte Marcus. „Einen Beweis gibt es nicht, weil Karm ein Buch mit dreizehn Siegeln für uns ist, aber ja, möglicherweise sollten wir uns intensiver mit den Jerkins’ beschäftigen, warum ausgerechnet sie umgebracht wurden. Zumindest, bis sich uns der nächste Feind aufdrängt und wir anderes zu tun haben, als Karm zu verstehen.“

„Es gibt wirklich noch eine Menge, was wir nicht verstehen“, entgegnete Ian. „Er hat jahrelang einen menschlichen Körper besetzt und war auf Außeneinsätzen. Ich habe mir in den letzten Tagen den Kopf zermartert, mir fällt trotzdem nicht ein einziger Moment ein, in dem sich die Pflanzenwelt auffällig verhalten hätte. Es gab ein paar Pflanzen in unseren Büroräumen, auch die sind nicht besser als üblich gesprossen. Unsere These war, dass er es nicht kontrollieren kann, wie seine Erdmagie auf die Umgebung wirkt. Entweder ist diese These falsch, oder es steckt noch mehr dahinter, als wir bislang überblicken.“

„Steigere dich bitte nicht hinein.“ Marcus legte ihm eine Hand auf die Schulter, was Ian erschaudern ließ. Sofort ließ sein Partner ihn los, dabei war es gar nicht das, was Ian wollte. Wenn er bloß wüsste, wie er das bekommen konnte, was er wirklich wollte …

„Was haben wir denn bislang zu den Jerkins’?“

„Lewald war ungelernter Hilfsarbeiter in einer Landschaftsgärtnerei, seine Frau Verkäuferin in einem Supermarkt. Sie hatten fünf Wochen vor ihrem Tod geheiratet. Bis zu dem Zeitpunkt hatte jeder der beiden noch bei den Eltern gewohnt, sie mussten Geld sparen, um sich die kleine Wohnung leisten zu können, in die sie danach zusammen eingezogen sind. Christine wollte unbedingt schwanger werden – sicherlich, um staatliche Unterstützung zu erhalten, mit der sie besser dagestanden hätte als mit dem, was sie in ihrem Job verdienen konnte.“ Ian wühlte sich durch den Pathologiebefund der Obduktion. „Sie war zum Zeitpunkt ihres Todes nicht schwanger. Todesursache war bei beiden Ersticken durch zerquetschten Kehlkopf. Karm hat sie sehr schnell und effektiv ermordet und nicht leiden lassen.“

„Klingt alles verdammt unspektakulär“, murmelte Marcus. „Einfache Menschen aus einfachsten Verhältnissen. Was könnten sie getan haben, um das Interesse eines irischen Erdelementars zu wecken?“

„Ich weiß es nicht.“ Frustriert zuckte Ian mit den Schultern. „Die Familien der beiden sind ähnlich unauffällig. Lewalds Eltern sind beide Lagerarbeiter in einem Großmarkt, Christines Mutter ist Grundschullehrerin, ihr Vater gelernter Elektriker und als Hauswart in eben jenem Supermarkt angestellt, in dem seine Tochter gearbeitet hat. Geschwister sind vorhanden, über sie steht nichts in den Akten.“

„Okay.“ Marcus seufzte, er hörte nicht auf, sich beständig über die Stirn zu reiben. „Ich hab Kopfschmerzen“, flüsterte er. „Das ist ungewöhnlich, denn die einzigen Schmerzen, die ich normalerweise tagsüber erleiden kann, strahlt Ananvi aus, sobald er in die Nähe von Runen kommt.“

Einer der Gründe, warum Marcus sich vor Sonnenaufgang aus Ians Schlafzimmer zurückziehen musste – außer in ihrer gemeinsamen Nacht, da hatte er die zweifellos starken Schmerzen klaglos ertragen und war bei ihm geblieben.

„Ananvi kann sich diese Kopfschmerzen nicht erklären, fürchtet allerdings, dass sie auf die Ankunft unseres neuen Feindes hinweisen.“

„Bei den anderen hattest du keine solche Probleme“, wisperte Ian mit einem Blick auf die Kollegen, die zum Glück weiterhin nicht auf sie achteten. Sie wussten nicht, was vor drei Tagen geschehen war. Kein sterblicher Mensch wusste bislang davon, soweit Ian bekannt war, mit sehr wenigen Ausnahmen. Hector war eine davon, Pater Eusebius eine andere. Das Wissen um die Prophezeiung und deren möglichen Konsequenzen … Es würde nichts nutzen, dies allgemein bekannt werden zu lassen, sondern Massenpanik mit zahllosen Toten und Verletzten verursachen. Die Menschheit litt auch so bereits heftig darunter, dass sie ihre Welt mit den Übernatürlichen teilen mussten.

„Nein, hatte ich nicht. Ananvi meint, das könnte darauf hinweisen, dass plötzlich extrem viele erzdämonische Ableger in London herumlaufen. Das wiederum wäre wohl der Fall, wenn unser nächster Feind dem Element Stein angehören sollte – immerhin gibt es drei Anwärter, wie wir kürzlich erfahren haben.“

„O bitte nicht …“ Ian schüttelte sich bei der Vorstellung, dass neben Rovhar noch zwei weitere Steingiganten in der Stadt sein könnten.

„Tja. Entweder das, oder der menschliche Körper ist doch nicht wirklich tauglich dafür, einen Gargoylefluch für länger als zehn Jahre zu ertragen und diese Kopfschmerzen sind der erste Anflug von Zerfallserscheinungen.“ Marcus zog eine Grimasse – nein, das wäre auf keinen Fall die bessere Alternative! „Der steinerne Nervkeks und ich haben bald unseren elften Jahrestag. Au! Schon gut, schon gut. Dieses wundervolle, edle Geschöpf in mir, das ein solch vortreffliches Tattoo auf meinem Rücken ergibt und nein, ich wiederhole nicht laut, was er gerade gebrüllt hat.“

Ian verkniff sich das Lachen, um keine Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen. Gerettet wurde er von Marcus’ Handy, das genau in diesem Moment klingeln musste. Eine unbekannte Nummer, was erst einmal alles bedeuten konnte. In solchen Fällen meldete sein Partner sich stets formell korrekt:

„Guten Tag, Inspector Berkley mein Name, was kann ich für Sie tun?“

„Guten Tag, Inspector.“ Die eisklirrende Stimme, die bis an Ians Ohren drang, obwohl er eine Armlänge entfernt saß, konnte nur einer Vampirlady gehören. Kaum eine andere Kreatur pflegte eine solche Aura von höflicher Arroganz und Eitelkeit.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Madame?“

„Die ehrenwerte Choi Sun-ja erwartet Sie und Ihren Partner. Sie kennen die Prozedur. Beeilen Sie sich.“ Das Gespräch brach ab, bevor Marcus etwas erwidern konnte.

An die Königin sämtlicher britischer Clans hatte Ian keine besonders guten Erinnerungen. Genauso wenig wie an deren jüngere Tochter, Choi Ai. Die belegte lediglich Rang zwei in der Thronfolge hinter ihrer älteren Schwester Nancy und war tatsächlich noch ein Teenager – nach vampirischen Maßstäben ein Säugling. Das verschärfte ihre natürliche Arroganz um mehrere Stufen. Dennoch beeilten sich Ian und Marcus, die wichtigsten Dinge zusammenzuraffen und sich auf den Weg hinab zur Straße zu begeben. Anscheinend hatten die Vampire ihren beziehungsweise Marcus’ Ruf nach Hilfe endlich vernommen. Hoffentlich würden sie diese Hilfe auch überleben …

 

 

Choi Ai, die überaus zart wirkende, siebzehnjährige Vampirprinzessin, trug auch diesmal eine schwarze Lederkluft, die ihr auf den Körper gemalt zu sein schien, so eng und perfekt lag sie an. Als Reisegefährt diente heute allerdings kein Porsche wie beim letzten Mal, sondern eine schneeweiße Stretchlimousine von beängstigenden Ausmaßen. Ein amerikanisches Fabrikat der Luxusklasse. Sehr ungewöhnlich für Vampire, die sich stets bemühten, Produkte der lokalen Hersteller zu nutzen – zumindest, wenn sie an diesen Produkten mitverdienten.

„Wie ist das werte Befinden?“, fragte sie frostig und verweigerte dabei jeglichen Augenkontakt.

„Perfekt, Madame, danke der Nachfrage“, erwiderte Marcus.

„Das ist gelogen. Ich nehme deutlich wahr, dass Sie Schmerzen leiden, Inspector.“

„Madame, Sie stehen offenkundig unter Befehl, leichten Small Talk zu üben. Ich tue jetzt so, als hätte ich Ihre Entgegnung nicht gehört und Sie setzen noch einmal neu an.“ Marcus verneigte sich im Sitzen, was Choi Ai ein genervtes, äußerst undamenhaftes Schnaufen entlockte.

„O welche Freude, dass es Ihnen gut geht!“, rief sie aggressiv. Die beiden männlichen Vampire, die sich vermutlich als Schutzeskorte mit im Wagen befanden, duckten sich unwillkürlich. Wie es schien, neigte die junge Dame zu unkontrollierten Wutausbrüchen. Na wunderbar …

„Sie brauche ich gar nicht nach Ihrem Befinden zu fragen, Madame“, fuhr Marcus dennoch fort. „Bleich, kalt und vollkommen. Sie sind ein Fest für die Augen und es ist eine solche Ehre, in Ihrer Gegenwart atmen zu dürfen.“

„Fein. Nicht übertreiben mit der Atmerei. Nervt entsetzlich.“ Sie winkte unduldsam und verfiel ins Schweigen, anscheinend davon überzeugt, der Pflicht genüge getan zu haben. Es war sicherlich nicht leicht, in einer Gesellschaft wie der ihren die bedeutungslose Zweittochter zu sein. Gezüchtet, um zur Verfügung zu stehen, sollte der einzig wahren Thronfolgerin etwas Unangenehmes zustoßen. Der Altersabstand zwischen ihr und Nancy war groß genug, dass Ai keine Chance haben würde, selbst dieses unangenehme Etwas zu werden. Ihre ältere Schwester kannte längst alle fiesen Tricks und würde sich nicht übertölpeln lassen.

Sie erreichten das Stadthaus in der Nähe des Buckingham Palace. Hier hielt sich Choi Sun-ja auf, wenn sie in London weilte, was glücklicherweise nicht allzu oft geschah – es war die Spielwiese ihrer älteren Tochter Nancy. Marcus hatte sich schon einige Male gefragt, warum Nancy keinen traditionell koreanischen Namen trug und auch den Familiennamen zumeist unterschlug. Es gab Gerüchte, dass sie sich mit ihrer Mutter überworfen hätte. Das wiederum war schlicht unvorstellbar, denn dann wäre sie längst eliminiert worden.

Wie bereits beim letzten Mal wurden sie am Eingangstor gefilzt, mussten ihre Dienstwaffen und Handys abgeben und wurden im Inneren des altviktorianischen Gebäudes an den ältlichen Vampir Gerald übergeben. Wenige Minuten später standen sie Choi Sun-ja gegenüber. Die zierliche Vampirkönigin war heute nicht vollständig in Weiß gehüllt, wie bei ihrem letzten Treffen, sondern trug kräftige Rottöne. Auch ihr langes Haar war tiefrot gefärbt und zu einem kunstvollen Knoten hochgesteckt.

„Die Herren Inspectoren … Mr. Berkley, Mr. Grant.“ Sie nickte ihnen hoheitsvoll von ihrem schwarzen Ebenholzstuhl zu, auf dem sie aufrecht wie eine Puppe saß. Der Raum war ansonsten vollkommen leer, blendete in weißem Marmor und übertrieben intensiver Beleuchtung. Es war nicht anzunehmen, dass die Königin sich in Tageslicht wohler fühlte als der gewöhnliche Vampir. Vermutlich gehörte es zu ihrem Verständnis von Machtdemonstration, der Welt zu zeigen, dass sie nicht einmal die Sonne zu fürchten brauchte. Selbstverständlich tötete das Sonnenlicht keinen Vampir. Es beraubte sie lediglich ihrer vollen magischen Macht, darum lebten sie bevorzugt in der nächtlichen Dunkelheit.

„Es ist uns eine Ehre, hier sein zu dürfen“, sagte Marcus unterwürfig.

„Lassen wir die Höflichkeiten, dazu habe ich keine Zeit. Ich werde bis heute Abend, Punkt Sonnenuntergang, in Hongkong erwartet. Da man uns dort acht Stunden voraus ist …“ Sie lächelte frostig, was seltsamerweise noch kälter als sonst wirkte, obwohl sie diesmal in solcher Farbintensität auftrat. „Es muss uns nicht gefallen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Leugnen lässt es sich nicht: Es ist eine Tatsache, dass die Zeit der Prophezeiung gekommen ist. Ihr beide steht im Mittelpunkt. Da wünsche ich mir fast, ein Herz zu besitzen und Mitleid zu kennen … Niemand sehnt sich das Ende aller Dinge herbei. Die Alternative – Knechtschaft unter einem erzdämonischen Abkömmling – ist fast genauso unerträglich. Darum hat der hohe Rat der Vampire beschlossen, euch Waffen an die Hand zu geben, um eure Chancen im Kampf zu erhöhen.“ Sie klatschte leicht in die Hände. Beinahe wie aus dem Boden gewachsen erschien Nancy an ihrer Seite. Mit einem etwas schmerzverzerrten Lächeln nickte sie ihnen zu, während sie ein Kästchen in der linken Hand balancierte. Vermutlich war es aus Eschenholz gefertigt. Nancy hatte erzählt, dass Esche für Übernatürliche unangenehm war. In anderen Welten sollte es sogar in der Lage sein, sie zu verletzen oder zu töten. Warum in unterschiedlichen Welten solch unterschiedliche Gesetze galten, war ein Rätsel, das Marcus durchaus faszinierte. Vermutlich würde er die Antwort nicht verstehen, darum verzichtete er auf die Frage.

„Hi, ihr Hübschen.“ Nancy zwinkerte ihnen frivol zu, was besser als ihr übliches Verhalten war – normalerweise schmiss sie sich an Marcus heran und flirtete beinahe gewalttätig. Vor den strengen Augen ihrer Mutter wagte sie dies anscheinend nicht, worüber er kein bisschen traurig war.

„Meine Tochter hatte euch bereits beim Kampf gegen die Dryade Munition überlassen.“ Auf einen Wink von Choi Sun-ja öffnete Nancy das Kästchen. Darin befand sich auf schwarzem Samt gebettet ein silberner Revolver mit fein ziselierter Inschrift und daneben, in gesonderten Aussparungen, jeweils fünf Kugeln. Marcus wusste, dass sie aus purem Silber bestanden und mit Drachenblut und Dschinnessenz gefüllt waren. Damit konnte angeblich jede Kreatur bis zum Rang eines Dschinns zuverlässig getötet werden.

„Es wurde ausführlich im Rat der Vampire diskutiert, inwieweit diese Kugeln nützlich sind“, sagte Choi Sun-ja. „Sie wären wertlos gegen einen reinrassigen Erzdämon. Deren Nachkommen wurden allerdings mit schwachen Höllenkreaturen gezeugt. Wir gehen davon aus, dass die Macht eurer Feinde etwa einem Dschinn gleichzusetzen ist, vielleicht ist sie sogar noch geringer. Dafür spricht, dass die zu beobachtende magische Beeinflussung durch diese Kreaturen kaum über den Großraum von London hinausreicht. Das sollte genügen, um sie mithilfe der Kugeln schwer zu verletzen oder sogar zu vernichten.“

„Mehr als diese fünf gibt es leider nicht?“, fragte Ian.

„So ist es. Wir stellen euch darum einen weiteren, identischen Revolver und einfache Munition zur Verfügung. Nutzt dies, um sehr fleißig am Schießstand zu üben. Diese Waffe ist schwieriger zu handhaben als eine halbautomatische, dazu wesentlich schwerer und mit stärkerem Rückstoß. Dafür verstärkt sie die Wirkung der Kugeln mit ihrer eigenen Magie.“ Nancy zauberte aus dem Nichts ein weiteres Kästchen mit einem Revolver sowie einen Beutel mit Munition hervor – wo sie diese Gegenstände in ihrem schwarzen, hautengen Lederoutfit versteckt hatte, blieb ihr Geheimnis.

„Choi An-chi!“, fauchte die Königin plötzlich und überschüttete ihre Tochter mit einer offenkundig koreanischen Flut von vorwurfsvoll klingenden Worten. Was genau ihr Vergehen war, erschloss sich nicht. Nach wenigen Sekunden wandte Choi Sun-ja sich wieder Ian und Marcus zu.

„Verzeihen Sie den kleinen Ausbruch“, bat sie mit einer Kälte, die die Luft zum Klirren brachte. „Sie beide haben sich bislang noch nicht für das Vergnügen entschieden, Kinder zu erziehen. Es lehrt erstaunlich viel Demut. Einer der Gründe, warum ich diese wichtige Aufgabe nicht an Untergebene delegiere.“

Es machte nicht den Eindruck, als würde eine Erwiderung von ihnen erwartet, darum blieben sie stumm und nickten lediglich brav. Nancy wirkte wütend, lächelte allerdings unterkühlt und reichte Marcus Waffe und Munition an.

„Wir erwarten keine Gegenleistung für unsere Gaben“, fuhr die Königin fort. „Wünschenswert wäre, wenn ihr die Prophezeiung abwenden könntet. Das ist viel verlangt von zwei Sterblichen und im Fall einer Niederlage könnten wir euch nicht einmal bestrafen. Dass ihr euch nach Kräften bemühen werdet, am Leben zu bleiben, versteht sich von selbst. Darum gehabt euch nun wohl, möge die Vorsehung mit euch sein. Meine Tochter geleitet euch zurück zum Wagen und bringt euch auch zurück zum Revier, da ihre jüngere Schwester bereits abgereist ist.“

Es kratzte an der Tür.

„Was gibt es, Gerald?“, fragte Choi Sun-ja, ohne die Stimme zu heben.

„Eine Botschaft von den Torwachen, Erhabene.“

„Tritt ein.“

Der ältliche Vampir kroch beinahe auf dem Bauch herein, übergab Nancy einen Zettel und zog sich hastig wieder zurück.

„Die Torwachen melden, dass eure Handys andauernd klingeln“, verkündete Nancy stirnrunzelnd. „Es scheint, dass etwas vorgefallen ist.“

„Hier wurde alles gesagt. Ich wünsche euch, wie bereits gesagt, jedes bisschen Glück, das ihr dem Schicksal abringen könnt“, sagte Choi Sun-ja. „Mr. Berkley, Mr. Grant: Möge ein weiteres Treffen niemals notwendig werden.“

Marcus und Ian verneigten sich tief. Sie waren entlassen und durften sich reich beschenkt zurückziehen. Was war es doch schön, lebendig zu sein …

Nancy unterhielt sich mit den menschlichen Wachleuten an der Einfahrt. Auch von ihnen wurde sie ehrerbietig mit einem koreanischen Namen angesprochen. Warum hatte sie einen englischsprachigen Namen angenommen? Wollte sie damit bescheidener und weniger wichtig klingen, solange sie sich noch keine echte Machtposition erkämpft hatte? Nun, das war zweitrangig und ausschließlich Nancys Angelegenheit. Sie erhielten ihre Waffen und Handys zurück. Vierzehn Anrufe in Abwesenheit, alle von Hector. Ian nickte ihm zu, er sollte das übernehmen. Marcus wählte die Nummer seines Chefs, dem sie nicht gesagt hatten, wohin sie gegangen waren. Hoffentlich war dies bloß ein Ausdruck von Sorge …

„Da bist du ja endlich!“, rief Hector. „Ist Ian bei dir? Gut. Macht euch auf zu diesem Spezialitätenladen, in dem wir immer die Beschwörungsschokolade für den Wissensdämon kaufen. Der Gargoyle, der dort über Tag schläft, wurde zerstört. Könnte menschlicher Vandalismus sein, aber in Zeiten wie diesen will ich jedes kleine Omen …“

Was auch immer Hector noch zu sagen hatte, Marcus hörte nichts mehr. Sein Bewusstsein wurde erfüllt von infernalischen Schreien, die Ananvi ausstieß.

„JELINDA! DAS MUSS JELINDA SEIN! SIE IST DIE EINZIGE … HÖLLE, NEIN, NEIN, NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!“

 

 

Violett, die Besitzerin des Delikatessenfachgeschäfts, das sich rund eine halbe Meile vom Revier entfernt befand, erwartete sie bereits händeringend. Die füllige Mittvierzigerin, die Ian sonst als Inbegriff der gelassenen Herzlichkeit kannte, war in Tränen aufgelöst. Schluchzend warf sie sich erst ihm, dann Marcus um den Hals. Mit ihm verband sie jahrelange Bekanntschaft und freundschaftlichen Flirt, der nie dazu gedacht gewesen war, zu einem Ziel zu führen – sie lebte seit langem glücklich mit einer Frau zusammen.

Marcus reagierte kaum, er wurde offenbar geistig von Ananvi bis an den Rand der Erstarrung tyrannisiert. Violett bemerkte das nicht.

„Wer tut so etwas?“, rief sie immer wieder.

Ian blickte beklommen auf die Trümmer, die bis vor etwa einer Stunde ein jugendliches Gargoylemädchen gewesen waren. Jelinda hatte mehrere Läden in der Umgebung als Tagesschlafstätte nutzen dürfen. Das war beste Werbung für ein Geschäft, denn die Gargoyles ließen sich ausschließlich bei Menschen nieder, denen sie vertrauten. Bei Violett war sie besonders häufig anzutreffen gewesen.

„Wann genau haben Sie diesen abscheulichen, absolut barbarischen Mord entdeckt?“, fragte er laut, um Violetts Aufmerksamkeit von Marcus abzuziehen und Ananvi ein entscheidendes Signal zu senden – denn ja, dies war ein Mord an einer denkenden, fühlenden Kreatur und nicht etwa Sachbeschädigung einer Statue. Er hoffte, dass Ananvi etwas ruhiger wurde, sobald er merkte, dass er die Ermittlung behinderte.

„Ich hatte gerade den Laden aufgeschlossen“, berichtete Violett schluchzend. „Ich bin nach hinten ins Lager gegangen, wo auch mein Aufenthaltsraum ist. Eine kleine Küche und eine gemütliche Sitzgelegenheit. Gerade morgens ist es hier eher ruhig … Ich wollte mir einen Kaffee aufsetzen, als ich fürchterliches Gepolter hörte. Natürlich bin ich sofort gerannt, ich dachte, es wäre ein Einbrecher! Oder schon wieder ein Erdbeben. Und da lag sie, das arme Ding …“ Violett zückte ein lachsrosafarbenes Stofftaschentuch und schnaubte sich laut die Nase, was die Tränenflut kaum eindämmte. „Vom Mörder war nichts zu sehen. Ich hab geschrien! Jelinda war gestern Abend noch solch guter Dinge. Sagte, dass sie einen Clan gefunden hätte und ernstlich darüber nachdenken würde, sich ihm anzuschließen. Dass ihre Wanderjahre langsam vorbei wären, aber sie würde mich besuchen kommen, besonders in der dunklen Jahreshälfte.“

Gargoyles verließen als Jugendliche ihren Geburtsclan und lebten für gewöhnlich einige Zeit allein auf sich gestellt oder höchstens in kleinen Gruppen, bevor sie sich einen neuen Clan suchten. Dem blieben sie in der Regel bis zu ihrem Tod treu, es sei denn, sie wurden verstoßen.

---ENDE DER LESEPROBE---