Change for evil - Sonja Amatis - E-Book

Change for evil E-Book

Sonja Amatis

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Beschreibung

„Fürchte nicht den Tag, bevor er geboren, nicht die Nacht, bevor sie gestorben ist. Heilig ist der letzte Atem. Heilig ist der erste Schrei. Zeig mir das Morgen, o Herr.“ Ein Killer treibt sein Unwesen und stellt sowohl Samuel als auch Dylan vor gewaltige Herausforderungen. Stets scheint er ihnen einen Schritt voraus zu sein … Und er weiß viel mehr über sie, als möglich sein sollte. Er greift Menschen aus ihrem weiten Umfeld an, hinterlässt Botschaften, die mit dem Blut der Opfer geschrieben wurden. Ein Manuskript aus alten Zeiten ist von Bedeutung. Doch was der Mörder wirklich will, bleibt ein Rätsel. Ca. 71.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 360 Seiten. Dies ist der siebte Teil der Change for …-Reihe. Es ist zum Verständnis empfehlenswert, die vorherigen Teile in der chronologischen Reihenfolge gelesen zu haben. Bisher erschienen : Change for a kill Change for obsession Change for madness Change for cruelty Change for desire Change for love

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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„Fürchte nicht den Tag, bevor er geboren, nicht die Nacht, bevor sie gestorben ist. Heilig ist der letzte Atem. Heilig ist der erste Schrei. Zeig mir das Morgen, o Herr.“

 

Ein Killer treibt sein Unwesen und stellt sowohl Samuel als auch Dylan vor gewaltige Herausforderungen. Stets scheint er ihnen einen Schritt voraus zu sein … Und er weiß viel mehr über sie, als möglich sein sollte. Er greift Menschen aus ihrem weiten Umfeld an, hinterlässt Botschaften, die mit dem Blut der Opfer geschrieben wurden. Ein Manuskript aus alten Zeiten ist von Bedeutung. Doch was der Mörder wirklich will, bleibt ein Rätsel.

 

Ca. 71.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 360 Seiten.

 

Dies ist der siebte Teil der Change for …-Reihe. Es ist zum Verständnis empfehlenswert, die vorherigen Teile in der chronologischen Reihenfolge gelesen zu haben.

 

Bisher erschienen :

 

Change for a kill

Change for obsession

Change for madness

Change for cruelty

Change for desire

Change for love

 

 

 

 

Inhalt

 

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

 

Ein Jahr voller Fantasy …

 

 

Vorwort

 

Ihr lieben Leser,

 

jahrelang war ich vollkommen überzeugt gewesen, Sammy, Dylan, ihre Freunde und Rudelmitglieder an exakt der richtigen Stelle zurückgelassen zu haben. An eben jenem Punkt, an dem es gut und richtig wäre, sie ihr Leben unbeobachtet führen zu lassen. Sie hatten sich in ihrer Liebe gefunden, die Dinge waren soweit geordnet, die Weichen für die Zukunft gestellt. Weiter darin herumzubohren, würde nur eine schöne Buchreihe zerstören, denn besser kann es doch nicht werden! Also lieber aufhören, auch wenn sich viele von euch enttäuscht darüber geäußert haben.

Als ich nun im Dezember 2021 begann, diese Reihe aus dem Kindle Unlimited-Programm von Amazon abzuziehen und sie für Tolino media vollständig durchzuarbeiten und neu zu formatieren, damit sie fortan für sämtliche Online-Verkaufsplattformen erhältlich sein sollte, da wurde mir unbehaglich klar, dass ich mich geirrt habe. Es gibt zu viele offene Fragen. Zu viele Kleinigkeiten, die noch nicht abschließend geklärt sind. Nein, meine Helden sind nicht an dem Punkt, wo ich sie unbeaufsichtigt und sorglos zurücklassen kann!

Darum – und wirklich ausschließlich aus diesem Grund – habe ich mich nach sehr gründlicher Vorüberlegung dazu entschlossen, eine Fortsetzung zu schreiben.

Wie viel Fortsetzung notwendig sein wird, um diesmal das Ziel wirklich zu erreichen, statt es jämmerlich zu verfehlen, kann ich noch nicht sagen. Wünscht mir jedenfalls Glück auf diesem Weg! Ich werde es wohl gut gebrauchen können.

 

Alles Liebe für jeden von euch,

 

Sandra Gernt (aka Sonja Amatis)

 

 

Es gab viel zu tun.

So viel musste bedacht, geplant und vorbereitet werden.

Seit Jahren wartete er geduldig auf diesen Moment.

Auf die Erfüllung seiner Pläne.

Es würde alles verändern.

Und egal, was geschah, er würde gewinnen.

So vieles konnte schiefgehen, und es würde keine Rolle spielen. Selbst wenn er versagte, wenn er bereits nach dem ersten Schritt aufgehalten werden würde, sein Erbe würde überdauern.

Er erschauderte wohlig.

Jetzt musste er lediglich den ersten Schritt wagen.

1043. So hoch schätzte man die mögliche Anzahl von Stellungen beim Schach. Schon nach bloß zwei Zügen waren rund 72.000 Stellungsmöglichkeiten entstanden.

In Filmen und Büchern wurde es als Zeichen besonderer Intelligenz angesehen, drei bis vier Schachzüge im Voraus berechnen zu können, mit allen denkbaren Varianten. Solche Narreteien konnten sich tatsächlich nur Menschen ausdenken, die nicht die geringste Ahnung von menschlicher Hochbegabung hatten. Computer waren in der Lage, ohne Probleme eine Millionen verschiedene Züge und deren Folgen binnen drei Sekunden zu berechnen. Ein gewiefter Schachspieler verließ sich hingegen auf sein Standartrepertoire und schätzte seinen Gegner ein, welche Methodik dieser anwenden wollte. Je nachdem, ob dieser auf Sicherheit spielte oder auf Vernichtung, oder eben irgendeine Schattierung dazwischen. Ein brillanter Schachspieler täuschte seinen Gegner, indem er etwa scheinbar defensive Sicherheit vorlegte und im entscheidenden Moment hochriskant und hochaggressiv vorging. Auf diese Weise war ein Mensch einem Computer überlegen, nicht indem er vorgeblich Myriaden von Möglichkeiten überschlug – das hatte ein brillanter Geist gar nicht nötig.

Nichtsdestotrotz musste er jetzt beginnen. Wer das Spiel verweigerte, hatte definitiv verloren.

Er würde nicht verlieren.

Er konnte nicht verlieren.

Und er wusste genau, wie er beginnen wollte.

 

 

Die junge Löwin rannte.

Ausdauernd, kraftvoll, schnell. Voller Wut über die Verfolger brüllte sie ihren Hass heraus. In Shonnams engen Straßen hallte dies beeindruckend wider, Scheiben klirrten, Rufe wurden laut. Mütter eilten, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen.

Dylan war schneller als die Löwin, egal wie stark die Wut und der Hass in ihr brannten und ihr den notwendigen Extraschub gaben, um diese Jagd länger durchzuhalten. Er nutzte es, um sie in die Richtung zu treiben, in der er sie haben wollte.

Ha! Es war großartig. Wenn er jetzt noch halb verbranntes Steppengras, Fels und sandigen Boden unter den Pfoten haben könnte, statt über Asphalt rennen zu müssen, endlosen Himmel über dem Kopf statt Shonnams Häuserschluchten, dann wäre er noch glücklicher. Doch auch so genoss er die Jagd. Den Rausch der Geschwindigkeit. Das wundervolle Gefühl, den Körper zum höchstmöglichen Tempo zu treiben, die Muskeln feuern zu lassen. Mitten im Lauf die Richtung zu wechseln. Seine Beute zu streifen, sie wissen zu lassen, wie nah er ihr war.

Natürlich sprang er ihr nicht in den Nacken. Er war ein Gepard, ein Meister der Geschwindigkeit. Zu leicht, zu schwach, um eine stolze Löwin zum Straucheln zu bringen. Das wollte er allerdings auch gar nicht. Geschickt drängte er sich rechts von ihr vor die Abbiegung, sodass ihr keine Wahl blieb, als links auszuweichen.

Zufrieden fiel Dylan zurück, sprang eine drei Meter hohe Mauer hinauf und ließ sich in Raubkatzengestalt dort nieder, um die weitere Verfolgung beobachten zu können.

Mike kam um die Ecke geschossen, dicht gefolgt von seinem Bruder Larry. Die beiden Leoparden übernahmen exakt in dem Moment, in dem die Löwin langsamer wurde, weil sie offenkundig bemerkt hatte, dass ihr Verfolger verschwunden war. Brüllend beschleunigte sie, streckte sich kraftvoll, sprang seitlich gegen die nächstgelegene Hauswand, landete elegant und rannte weiter, ohne für einen Herzschlag aus dem Takt zu geraten. Ein echtes Katzenmanöver, das half, Schulter- und Kniegelenke durchzurütteln, sich quasi im vollen Lauf neu zu justieren, ohne dabei anhalten zu müssen.

Auch die Leoparden waren Sprintjäger, sie sollten darum genau wie Dylan lediglich dafür sorgen, dass ihre Beute sich exakt auf die Weise durch das Labyrinth der Straßen bewegte, die sie vorab ausgeklügelt hatten, als sie den Tipp erhielten, wo sich die Löwin für gewöhnlich herumtrieb.

Dylan verwandelte sich kurz und griff zum Handy.

„Kontakt in unter dreißig Sekunden, alles nach Plan“, meldete er gelassen.

Eine Antwort erhielt er nicht. Stattdessen schoss ein Gerfalke etwa vierhundert Meter entfernt von einem hochgelegenen Bauwerk hinab. Brian war schon ein hübsches Kerlchen in seiner Wandlergestalt, auch wenn er nie Dylans bester Freund werden würde. Seit der Falke zur Shonnamer Mordkommission gewechselt war, somit freiwillig unter Dylans Kommando arbeitete und sowohl er als auch Sammy mit ihren Kontakten zum Vogelwandlerterritorium gebrochen hatten, waren die allermeisten Gründe für Feindseligkeit und Rivalität zwischen ihnen weggefallen. Nun ja. Eigentlich hatten sie sich auch vorher schon vertragen und bloß wegen Sam ein bisschen posiert. Brian war nun mal dessen ehemaliger Arbeitspartner und ältester Freund und Dylan hatte sich dazwischengedrängt.

Brian ging in den Sturzflug über und strich der Löwin laut kreischend über den Nacken. Es war jedenfalls der Plan, Dylan konnte es nicht mit eigenen Augen verfolgen, obwohl er mittlerweile zwanzig Meter über Straßenniveau auf einem Dach hockte. Er sah dafür Larry und Mike, die sich zurückfallen ließen, und sprintete über die Dächer in gerader Linie zu dem Punkt, an dem die Löwin nun einsam weiterrannte – genau in Esthers Fänge. Sie war seit Jacksons Tod die Leiterin der Mordkommission und saß nach anfänglichen Schwierigkeiten fest im Sattel. Die Wölfin ließ es sich trotzdem nicht nehmen, gelegentlich an Aktionen wie diesen teilzunehmen. Sie brauchte den Ausgleich, wie sie gerne erzählte, und jeder hatte absolutes Verständnis dafür. Politik, massive Schreibtischarbeit, Koordination aller Teams, extrem viel Verantwortung und mit dem Tigerwandler Roy ein Vorgesetzter, den wirklich niemand im Nacken haben wollte, da würde sich wohl jeder zwischendurch nach der Möglichkeit sehnen, mal die Beine zu strecken und sämtliche Muskeln auszupowern.

Er kam rechtzeitig, um zu sehen, wie die Löwin im vollen Lauf anhalten musste, um nicht gegen Esther zu prallen. Das Brüllen geriet diesmal eher verzweifelt als wütend. Auch ein starkes, junges Löwenweibchen versuchte nicht, ohne Weiteres eine ebenso starke, ebenso junge Wölfin über den Haufen zu rennen. Schon mal gar nicht, wenn sie erschöpft von der Hetzjagd war – auch Löwen waren nicht dazu gemacht, etliche Kilometer ausdauernd in Höchstgeschwindigkeit zu rennen.

Grollend warf sie sich in die letzte verbliebene Gasse, die noch offen vor ihr lag, obwohl sie längst ahnen dürfte, dass dies eine Falle war. Esther setzte ihr ohne jede Hast nach, versperrte somit den Rückweg. Dylan, Larry, Mike und auch Brian folgten über die Dächer und sorgten auf diese Weise dafür, dass die Beute nicht nach oben zu entkommen versuchte.

Es endete in einem geschlossenen Hinterhof. Müll türmte sich in sämtlichen Ecken und überquellenden Containern. Eingeschlagene Fensterscheiben waren größtenteils mit Holzplatten verbarrikadiert worden. Wäscheleinen zogen sich in acht bis zehn Metern Höhe zwischen den Häusern dahin, vollbehangen mit Kleidung für Frauen und Kinder – hier wohnten größtenteils drogensüchtige Prostituierte. Die Löwin war eine von ihnen. Eine verlorene Seele.

Die Löwin warf sich herum und ging in Lauerstellung, bereit, den Kampf mit Esther aufzunehmen. Die ließ sich Zeit, trabte gemächlich in den Hof. Ihre Witterung war ein kühles Grau-Weiß, sprich, sie war entspannt. Im Gegensatz zur Löwin, deren Geruch grellorange flackerte und neben Angst, Erschöpfung und Wut ihre Entschlossenheit zeigte, bis zum Tod zu kämpfen. Sie wollte sich nicht lebendig gefangen nehmen lassen. Verständlich …

… und der Hauptgrund, warum Esther nicht gegen sie antreten würde. Stattdessen warf sich Rick ohne jede Vorwarnung aus etwa vier Meter Höhe auf sie herab.

Gegen einen stattlichen, ausgeruhten männlichen Löwen, der am obersten Ende der Größen- und Gewichtsskala rangierte und über zweihundert Kilo auf die Waage brachte, hatte das bedauernswerte Mädel, das kaum halb so viel wiegen konnte, absolut keine Chance. Sie brauchte keine Viertelsekunde, um das zu begreifen und sich flach auf den Rücken zu werfen, in der Geste der bedingungslosen Unterwerfung.

Rick stieg mit beiden Vorderpranken auf ihren Brustkorb und fixierte sie dergestalt, zudem ließ er sie die Zähne an der Kehle spüren. Flucht war somit ausgeschlossen, ein Angriff vollkommen unmöglich.

Esther wandelte sich. Mit der Dienstwaffe in der Hand nahm sie Aufstellung, zielte auf den Kopf der Löwin. Ohne jede Hast oder Aufregung kommandierte sie:

„Verwandeln, sofort!“

Brian segelte in Falkengestalt zu Boden und unterstützte sie nach erfolgter Verwandlung. Larry, Mike und Dylan folgten nacheinander, sie mussten erst einmal einen Umweg über diverse Fenstervorsprünge nehmen – rund fünfzehn Meter in die Tiefe zu springen war vollkommen überflüssig und auch für Großkatzen nicht empfehlenswert.

Die Löwin, die sich hoffnungslos umzingelt fand, stieß einen Knurrlaut aus, der irgendwo zwischen angewidert und dumpfer Resignation lag. Ihre Witterung schwankte heftig, bevor sie sich ergab und menschliche Gestalt annahm.

Rick ließ sich einen langen Moment Zeit, ehe er ihre Kehle freigab und sich ebenfalls wandelte. Ihm galt ihr hasserfüllter Blick, als Esther sie auf den Bauch herumwarf, um ihr Handschellen anzulegen. Wie für eine Löwenwandlerin typisch besaß sie sandfarbenes Haar, ein breites Gesicht, einen äußerst stabilen Körperbau. Sammy wäre in der Lage, noch dutzende weitere Details zu benennen, die absolut typisch waren, um sie von anderen Katzenwandlern zu unterscheiden. Leider war Sammy gerade nicht hier …

„Carla Vaughn Leo, hiermit verhafte ich Sie für den Mord an Kenneth Bronwood“, sagte Esther und rappelte routiniert die Rechte herunter, die der Gefangenen blieben.

„Dieser Arsch hätte mich nicht vergewaltigen dürfen!“, schrie sie.

„Nein. Hätte er nicht“, entgegnete Dylan. „Draußen in der freien Prärie hätten Sie durchaus das Recht gehabt, sich an ihn ranzuschleichen, während er schläft, und ihn mit der Axt zu erschlagen, bevor er sich verwandeln konnte. Hier in Shonnam ist das heimtückischer Mord und wird entsprechend bestraft, und das zugehörige Motiv wird sich nur bedingt strafmildernd auswirken – Sie hätten mühelos fortgehen und ihn bei uns anzeigen können, statt es mit Rache zu versuchen, Sie waren keine Gefangene.“

Carla grollte lediglich und ließ sich abführen. Dies war einer der üblichen Morde von Shonnam – innerhalb von weniger als zwei Stunden vollständig aufgeklärt, da die Täterin aufgrund von Witterung und eindeutigen Spuren bereits festgestanden hatte, als das Opfer gefunden wurde, und das Motiv für den Mord an einen männlichen Löwenwandler keine weitere Überraschung darstellte. Zu viele Löwen glaubten, sich dank ihrer überlegenen Kraft alles nehmen zu können, was sie haben wollten und gerieten in Shonnam überdurchschnittlich häufig auf die Seite der Verbrecher – und Mordopfer.

„Blitzsaubere Aktion“, rief Esther, als sie Carla Rick überließ, damit er sie abführte. „Super gemacht, Leute, so hätte ich das gerne immer. Und jetzt ab, zurück zum Revier. Eure Berichte dürft ihr gerne mit derselben Präzision und Geschwindigkeit abliefern.“ Sie grinste halb, um ihren Worten ein wenig die Schärfe zu nehmen. Wer schrieb schon gerne Einsatzberichte?

„Das Timing war wirklich perfekt“, sagte Dylan zu seiner Truppe. Sein Team. Er war extrem stolz, es führen zu dürfen, zu wissen, dass jeder ihm vertraute und er jedem Einzelnen von ihnen ebenso blind vertrauen durfte. Gerade bei Brian war es keine Selbstverständlichkeit, dass er sich so mühelos einfügen konnte.

„Wann kommt Sammy jetzt eigentlich zurück?“, fragte Larry, während sie gemeinschaftlich durch das Labyrinth zurück zu den Einsatzfahrzeugen trabten.

„Morgen“, entgegnete Dylan, ohne auch nur zu versuchen, die wilde Vorfreude zu unterdrücken, die ihn bei diesem Gedanken überfiel. Seine Freunde und Kollegen wussten sowieso, was ihn umtrieb. Brian konnte es zwar nicht wie die anderen wittern, dafür sah er es garantiert anhand von Pupillen- und sonstigen Reaktionen.

Sammy war zu einem Survivaltraining in der offenen Prärie zwangsverpflichtet worden. Dem musste sich jedes aktive Mitglied der UMCPD – United Mammal Changeling Police Departement – mindestens alle fünf Jahre einmal unterziehen. Man hatte Sam ziemlich lange ohne dieses Training mitarbeiten lassen, bis Roy ein Machtwort gesprochen hatte, dass die Probezeit offenkundig überstanden sei und es somit höchste Zeit wäre, die Standards einzuhalten. Auch Brian stand das noch bevor.

Die einwöchige Trennung war für Dylan sehr anstrengend gewesen, für Sam hingegen mit Sicherheit zumindest seelisch erholsam und genau richtig, um das komplizierte mentale Gleichgewicht wahren zu können, was für Vogelwandler stets schwieriger war, als Dylan es sich überhaupt vorstellen konnte. Sam brauchte regelmäßig seine kleine Auszeit in völliger Einsamkeit. Dasselbe traf auf Brian zu, der bereits angekündigt hatte, dass er diesen Kurs freiwillig so legen würde, dass es die Phase abdecken konnte, in der ihn diese Sehnsucht das nächste Mal überfiel.

Auch Ricks Liebesleben war von dieser Besonderheit betroffen – Maggie, seine Verlobte, war eine bildschöne Schleiereule und hatte ihn vor vier Tagen ohne große Vorwarnung verlassen. Lediglich der kleine Notizzettel, dass sie sehr bald heimkehren würde, sowie die Erfahrungen, die Rick mit Sammys Verhalten gesammelt hatte, hielten den Löwen aktuell bei guter Laune und im Gleichgewicht. Ein Trost war für ihn auch, dass Schleiereulen im Gegensatz zu anderen Eulenarten vorwiegend monogam lebten, wenn sie sich einmal für einen Partner entschieden hatten. Es war nicht die absolut strikte Art von Monogamie, der Sam unterworfen war – für ihn gab es ein Leben lang nur einen einzigen Partner, und das über den Tod hinaus. Doch Maggie würde heimkehren und Untreue war ein Konzept, das sie schlichtweg verweigerte. Sollte sie sich jemals für einen anderen Partner entscheiden, würde sie sich vorher mit aller Konsequenz von Rick trennen.

Dylan wurde innerlich warm, als er daran dachte, seinen Sam schon morgen Abend wieder in die Arme schließen zu dürfen. Aufgrund der schlechten bis gar nicht vorhandenen Funkverbindung und dem Kontaktverbot während der Ausbildungseinsätze hatte er jetzt knapp eine Woche lang nichts von ihm gehört, und das marterte ihn mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Ohne Sam war er einfach nicht vollständig. Unvorstellbar, dass er je geglaubt hatte, weder treu noch monogam sein zu können …

„Junge, schön durchatmen“, brummte Larry und klopfte ihm auf die Schultern. „Dein Adler kommt unbeschadet zurück ins heimische Nest. Bei diesem Training ist noch keiner ernstlich verletzt worden.“

„Ah!“ Dylan hob warnend die Hand, bevor dieser Mistkerl sich mit Mike gegenseitig die Bälle zuwerfen und sie sämtliche Verletzten und Vermissten aufzählen konnten, die es jemals im Rahmen des Trainingsprogramms gegeben hatte. Tatsache war, harmlos konnte man es nicht nennen. Die Prärie war ein gefährlicher Ort, wurde von zahlreichen wilden Wandlerrudeln bevölkert, die sich teilweise nicht einmal mehr rudimentär an menschliche Gesetze erinnern konnten. Gerade deswegen war dieses Training essentiell, denn Shonnam blieb der gefährlichere Landstrich.

Sam hatte bereits bewiesen, dass er sehr gut auf sich selbst aufpassen und auch in der Wildnis orientieren konnte. Darum verdrängte Dylan entschlossen sämtliche Ängste und Sorgen, kümmerte sich weder um das alberne Lachen der beiden Leoparden noch um Brians ernsten, starren Blick. Er wusste, dass Sammy wohlauf war. Wenn überhaupt etwas Gutes daraus erwachsen war, dass Moody Sam entführen und foltern musste, dann war es diese eine Gewissheit. Wenn Sam starb, würde Dylan es unausweichlich erfahren. Nicht, dass er dies jemals wieder erleben wollte …

Oder Bedürfnis danach hatte, sich an Moody zu erinnern, diesen grässlichen Bastard. Die Welt war besser dran ohne diesen psychopathischen Syndikatschef, der zerfressen von Invisible Shadow alles gegeben hatte, um Sid in die Knie zu zwingen und damit seine eigene Macht zu erhalten. Sid. Dylans Vetter, dessen Macht über die Syndikate von Shonnam durch Moodys Tod sprunghaft angestiegen war. Noch so eine elende Kakerlake, an die Dylan gerade wirklich nicht denken wollte …

Nein, lieber fokussierte er sich auf Sam. Den ruhigen Ernst, die stille Schönheit, die ihn umgab, egal was er tat. Morgen! Morgen hatte er ihn zurück …

 

Samuel prüfte seinen Rucksack. Er hatte genügend Wasser, Energieriegel als Nahrungsersatz, Notfallmedikamente und Verbandszeug. Rationen, die er nicht anrühren durfte, sollte es nicht zum Äußersten kommen.

Die letzten Tage war er von verschiedenen Ausbildern hart rangenommen worden. Wolfs- und Kojotenwandler waren es zum größten Teil, die diesem Beruf nachgingen und Mitglieder der Polizei, Feuerwehr und des Militärs durch ein schonungsloses Programm in der Prärie jagten.

Er hatte sich ausschließlich in menschlicher Gestalt orientieren, hunderte Kilometer wandern, Wasser und essbare Nahrung finden, Fährten lesen sowie Kontakt mit wilden Wandlergruppen aufnehmen müssen. Die kannten zwar längst das Prozedere und verhielten sich deshalb sehr zivilisiert, bekamen aber ziemlich sicher Geld und/oder Vorräte als Gegenleistung dafür, dass sie ihm das Leben schwerer als notwendig machten.

Außerdem war er vielfach von seinen Ausbildern angegriffen worden, musste seine Fähigkeiten in Wundversorgung und Transport eines verletzten Kameraden beweisen und ein kaputtes Fahrzeug wieder soweit reparieren, dass er es innerhalb einer knapp bemessenen Frist bis zu einem vereinbarten Treffpunkt fahren konnte.

Ausgerechnet an diesem Teil wäre er fast gescheitert. Ein Fahrzeug zu lenken war für einen Vogelwandler eher untypisch und er hatte sich sehr schwer damit getan, obwohl Dylan ihm in weiser Voraussicht Fahrtraining gegeben hatte. Brian war in dieser Hinsicht eine große Ausnahme, er liebte Autos und noch mehr schnelle Motorräder und würde mit dieser Anforderung garantiert keine Probleme haben, sobald er diesen Kurs absolvieren musste.

Insgesamt war es in diesem Trainingskurs darum gegangen, ihn fit für das Überleben in der Prärie zu machen, Geographie, Flora, Fauna, Wandlergruppierungen und Klima kennenzulernen. Ein einfacher Tracker sorgte dafür, dass er sich nicht einfach heimlich zwischendurch verwandeln konnte – sobald er das tat, wurde das Gerät aufgrund der spezifischen Wandlermagie mitsamt der restlichen Kleidung und Ausrüstung zum Teil seines Adlerkörpers und konnte in dieser Zeit nichts aufzeichnen. Da es um sein Handgelenk verblombt war, konnte er es auch nicht abnehmen und im Flug in Schnabel oder Klauen tragen. So war garantiert, dass er nicht ohne Notlage zu schummeln versuchte.

Sollte ein Notfall eintreten – plötzliche Überschwemmungen, während er durch einen engen Canyon kletterte, Angriffe von feindlichen Wandlern, schwere Verletzungen durch einen unglücklichen Sturz – durfte er natürlich das Programm jederzeit abbrechen.

Samuel war recht froh, es endlich überstanden zu haben. Er war von der Sonne verbrannt, hatte die Nase voll von dem allgegenwärtigen Staub, der sich in jede Hautfalte setzte, sehnte sich nach Kaffee und einer anständigen Mahlzeit, die nicht aus bitteren Wurzeln, Moos oder irgendwelchen Blättern bestand. Nach gefühlt dreitausend Kilometern, die er in ein- und denselben Klamotten absolviert hatte, fürchtete er sich vor dem Moment, in dem er seine Stiefel auszog. Geschlafen hatte er in den vergangenen Tagen auch immer bloß stundenweise, meist irgendwo zusammengekauert und auf der Hut vor Gefahren. Die allermeisten wildlebenden Wandlergruppen waren nachaktiv und besonders umherziehende Kleinstgruppen von männlichen Heranwachsenden eine nicht zu kalkulierende Gefahr. Es hatte mehrere Zusammenstöße gegeben, bei denen es zum Glück nie zum Kampf gekommen war.

Ja, es war eine sehr starke, intensive Erfahrung gewesen, für die er tatsächlich dankbar war. Trotzdem wollte er lieber in der Retroperspektive dankbar sein und jetzt endlich nach Brookdarn heimkehren. Zu seinem Rudel. Zu Dylan.

Dylan …

Nur noch den heutigen Tag überstehen, dann durfte er duschen, sich belobigen und mit einem Zertifikat auszeichnen lassen, umziehen, verarztet werden und Dylan bis zur Besinnungslosigkeit küssen. Was freute er sich darauf!

Das heutige Programm fiel vergleichsweise entspannt aus. Er musste noch einmal rund zwanzig Kilometer bewältigen, bis er auf ein tief eingeschnittenes Tal stieß. Für den Abstieg durfte er sich ausdrücklich verwandeln, da es ohne Spezialausrüstung lebensgefährlich wäre, es in menschlicher Gestalt zu versuchen und man davon ausgehen konnte, dass er im Ernstfall ebenfalls wandlungsfähig wäre. Ein Fakt, für den ihn seine Ausbilder liebevoll aufgezogen hatten – würde er jemals wirklich in diesem Gebiet verloren gehen, müsste er nicht wie die Säugetierwandler sein Glück zu Fuß versuchen, egal in welcher Gestalt, sondern segelte als Adler einfach los und hatte das Abenteuer innerhalb von zwei Stunden hinter sich.

„Glaub trotzdem nicht, dass dies überflüssig ist“, hatte Vince ihn ermahnt, ein hagerer, sehr athletischer Wolfswandler. „Falls du in Begleitung deines Teams oder anderer, nicht flugfähiger Menschen bist, sieht die Sache schließlich direkt anders aus, du würdest sie ja nicht einfach zurücklassen.“

Was der Hauptgrund war, warum Samuel dieses Training extrem ernst genommen hatte. Es war zudem noch nicht lange genug her, dass er tatsächlich hier draußen gewesen war, auf der verzweifelten Suche nach Dylan, den er schließlich sterbend gefunden und stundenlang in den Armen gehalten hatte, ihm tropfenweise Wasser aufzwingen und warten musste, bis der Rest des Teams sie gefunden hatte. Danach hatte absolut jeder gewusst, dass Dylan sein erwählter Gefährte war und es niemals einen anderen Mann für ihn geben würde.

Viel schneller als gedacht erreichte Samuel das Tal. Es war wie ein Einschnitt in der Landschaft. Als hätte ein vorbeimarschierender Riese mit der Axt zugeschlagen und dabei dieses schmale, längliche Loch hinterlassen. Rund vierhundert Meter dürfte es in die Tiefe gehen. Steile, glatte Felswände von allen Seiten, die eine Kletterpartie wirklich äußerst ungemütlich machen würden. Unten am Grund schlängelte sich ein schmaler Fluss entlang, der am Ende des Tals – etwa einen Kilometer weiter also – wieder in den unterirdischen Gefilden verschwand, aus denen er am Anfang entsprang. Würde Samuel sich mit Gesteinsarten auskennen, könnte er jetzt mühelos unterscheiden, warum das Wasser hier im Verlauf von vermutlich zehntausend Jahren oder mehr diese Auswaschung herausspülen konnte. Da er dringend nach Hause wollte, verzichtete er auf weitere Überlegungen dieser Art, verwandelte sich, breitete die Flügel aus und stürzte sich in die Tiefe, bis er von Aufwinden gepackt und getragen wurde.

Ah! Es tat unglaublich gut, endlich wieder fliegen zu dürfen. Wenn es jetzt weiter glattlief, erreichte er das Lager seiner Ausbilder bereits am frühen Nachmittag und hatte das Training damit dann hinter sich.

Seine Aufgabe in diesem Tal war recht einfach. Gestaltwandler lebten in der Regel strikt vegetarisch bis vegan. Jagdtrieb hin oder her, es hemmte schon sehr zu wissen, dass hinter jeder hübschen Ziege am Horizont ein verwandelter Mensch stecken könnte. In schweren Notlagen musste man jedoch in der Lage sein, alles zu tun, was dem Überleben dienlich war, was das Erbeuten und Verspeisen von Tieren mit einschloss. Er hatte sich im Vorfeld entscheiden dürfen, ob er ein Kaninchen oder einen Fisch jagen wollte – in beiden Fällen war er auf der sicheren Seite, es gab keine Gestaltwandler, die eine von diesen Formen annehmen konnten.

Samuel wollte sich einen Fisch fangen, was er in Adlergestalt bereits das eine oder andere Mal getan hatte. Den Akt des Verzehrs musste er auf Kamera bannen, was ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen würde, da er nicht daran dachte, diesen Fisch roh zu verschlingen, egal in welcher Gestalt. Stattdessen würde er ein Feuer entzünden und seine Beute über einen Stock rösten.

Seine Adleraugen erhaschten Bewegung unter der Wasseroberfläche. Mit einem schrillen Schrei stürzte er sich in die Tiefe, brach durch, erhaschte den Fisch mit den Klauen. Ja!

Triumphierend brachte er seinen Fang zum Ufer, wandelte sich, erlöste den Fisch dort rasch. Hier lag genügend Totholz herum, trocken und bereit für ein niedriges Feuer. Dies zu entzünden war erst einmal mühsam, da er kein Werkzeug dafür mitnehmen durfte. Da er schon mehr als einmal Stöckchen gerieben hatte, bis Hitze und Funken entstanden, brachte er auch diese Übung mit Geduld hinter sich.

Anschließend wusch er sich die schmerzenden Finger, nahm den Fisch aus, fütterte das Feuer an, schoss Bilder mit der flachen Digitalkamera und begann, sein Essen zu rösten. Zwischendurch blieb ihm Zeit, den Kopf ins Wasser zu stecken, um sich Schweiß und Staub von der juckenden Kopfhaut zu rubbeln und das Gefühl von Erfrischung hemmungslos zu genießen, sowie jede Menge zu trinken. Seine Laune stieg rasant, beinahe hätte er vergessen, die Kamera auf Videoaufnahme zu stellen, als er begann, seine Mahlzeit zu genießen. Selten hatte ein gänzlich ungewürztes Essen besser geschmeckt!

Während er aß, blickte er sich um. Es gab wenig genug zu sehen – Geröll, einige Kräuter und niedriges Gesträuch wuchsen hier. Zwischen dreißig bis ungefähr fünfzig Meter breit war der Taleinschnitt. In regelmäßigen Abständen kam es wohl zu Überschwemmungen, deutlich erkennbar an den umgebenden Felswänden. Erst in dreißig Meter Höhe wuchsen dort einige Bäume. Verkrüppelte, verdrehte, niedrige Stämmchen, die sich verzweifelt in das Gestein gebohrt hatten und dort festklammerten. Das Leben kämpfte, sobald es einen Weg gefunden hatte. Es gab einige kleine Vögel, eine Vielzahl winziger Reptilien und Insekten, die sich hier ihren Lebensraum erobert hatten. Von den vorherigen Trainingsteilnehmern waren keine Spuren zu sehen, vermutlich hatte es seitdem eine Überschwemmung gegeben, die alles fortgespült hatte. Sprich – es war langweilig und somit gab es nicht den geringsten Grund, sich einen Moment länger als zwingend notwendig hier aufzuhalten.

Sobald er die Mahlzeit beendet hatte, wusch er sich die Hände, löschte sorgfältig das Feuer, legte die Überreste so hin, dass Insekten, Reptilien und Vögel sich daran gütlich tun konnten, schaltete die Kamera aus und verstaute sie sorgfältig wieder im Rucksack. Auf nach Hause! Er schnallte sich das Gepäck um, wandelte sich, flog auf. Ein Aufwind packte ihn, mühelos schraubte er sich in die Höhe … und ließ sich sofort wieder in die Tiefe sacken.

Was im Namen der Hölle war das denn?

Wobei – vollkommen falsche Frage. Er hatte sofort erkannt, was er da vor sich sah und wunderte sich jetzt lediglich, dass ihm das nicht bereits beim ersten Sinkflug ins Tal sofort ins Auge gestochen war. Offenbar hatte er sich da zu sehr auf einen geeigneten Landeplatz und mögliche Beute fokussiert.

Samuel wandelte sich. Fotografierte alles akribisch, nahm sich Zeit, dachte intensiv nach, wie er jetzt weiter vorgehen wollte.

Als er sicher war, den logischsten und bestmöglichen Weg erschlossen zu haben, wandelte er sich zurück, stieg rasch in die Höhe und flog zielgerade auf das Lager zu, das er von hier aus bereits erkennen konnte.

Seine Ausbilder fuhren erschrocken aus den Liegestühlen vor den Zelten hoch, in denen sie faul rumgefläzt hatten, sicher, dass er sich erst in mehreren Stunden hier einfinden würde.

„Sam!“, rief Vince und starrte ihn missbilligend an. „Das letzte Stück solltest du auch zu Fuß laufen. So war das nicht gedacht und …“

Samuel ignorierte ihn mit einem leisen Schnaufen, schnappte sich das Tablett, das Charlie in der Hand hielt, ein bullig gebauter Kojote, wühlte ungeniert in der danebenliegenden Tasche, in der er ein Verbindungskabel erspäht hatte, und zerrte die Kamera aus seinem Rucksack.

„Sag mal, was wird das?“, fragte Vince ungehalten. Auch die drei anderen Ausbilder kamen nun heran. Samuel reagierte nicht, sondern schickte die Bilder und Videos an Dylans Adresse.

„Mein Handy!“, stieß er grollend hervor und starrte Vince an. Mit diesem Blick, starr, regungslos und extrem ernst, konnte man bei Säugetierwandlern in der Regel seinen Willen durchsetzen. Auch diesmal funktionierte es. Mario war es, der ihm sein Handy brachte, das Samuel zu Beginn des Trainings abgegeben hatte. Zum Glück war der Akku noch nicht leer. Er drückte die Kurzwahltaste, die ihn mit seinem Liebsten verband.

„Sammy, so früh schon fertig?“, erklang seine Stimme, die wohlige Schauder durch Samuels Körper rieseln ließ.

„Spielt keine Rolle mehr“, entgegnete er. „Ruf deine Mails ab. Ignoriere die Bilder und Videos am Anfang, wo ich Fisch brate, ich wollte keine Zeit mit Sortieren verschwenden. Du wirst sehr bald finden, was ich meine.“

„Das klingt ernst“, murmelte Dylan betroffen.

„Ist es auch. Melde dich, wenn du alles gesichtet hast.“

Er drückte das Gespräch weg und wandte sich um. Vince und die anderen standen da und starrten auf das Tablett. Ihre Gesichter zeigten, dass sie gefunden hatten, worum es ging.

„Das ist … kacke. Echt kacke“, murmelte Mario und traf damit den Nagel auf den Kopf.

Samuel schloss die Augen und visualisierte, was er vor weniger als einer halben Stunde erblickt hatte.

Die Leiche eines Mannes von rund dreißig Jahren. Ein Gänsewandler. Welche Rasse genau, konnte Samuel nicht bestimmen, dafür war das Gesicht zu stark zugerichtet worden. Man hatte ihn aufrecht sitzend an die Felswand drapiert, Gestein und Geröll dergestalt gestapelt, als wäre es ein Thron. Über seinem Kopf hatte der Mörder einen Text hinterlassen.

„Sammy, Dylan: Dies ist mein erstes Geschenk für euch. Weitere werden folgen. Ich hoffe, ihr wisst es zu würdigen. Ich freue mich sehr auf unser Spiel.“

Das Handy klingelte.

„Esther ist informiert“, sagte Dylan knapp. „Sie organisiert einen Helikopter. Bleib im Lager, bis du uns kommen siehst, falls ich dich noch einmal erreichen muss. Wir treffen uns sobald wie möglich im Tal am Tatort.“

„Geht klar“, entgegnete Samuel ebenso knapp. Gerne hätte er andere Dinge gesagt. „Ich liebe dich.“ „Ich freue mich auf dich.“ „Essen wir nachher zusammen was?“ Nichts davon war angemessen. Ein psychopathischer Killer hatte beschlossen, dass sie würdige Gegner für sein Spiel waren. Ein Spiel, bei dem Menschen sterben würden.

Samuel hatte mit einem Mal solche Lust, irgendwelche Dinge zu zerbrechen und laut herumzubrüllen. So etwas wäre Ricks Art, mit dem Stress umzugehen. Auch Dylan neigte gelegentlich dazu. Er selbst war anders gepolt. Trotzdem war es befriedigend, zumindest kurz darüber nachgedacht zu haben.

„Können wir was für dich tun?“, fragte Vince seltsam schüchtern. „Du solltest noch ungefähr eineinhalb Stunden Zeit haben.“

„Frische Klamotten. Eine Möglichkeit zum Waschen. Kaffee. Gerne in dieser Reihenfolge. Ich muss denkfähig sein“, knurrte Samuel und schnappte sich eine Tube mit Heilsalbe. Nach dem Waschen wollte er damit sein sonnenverbranntes Gesicht einreiben. Das musste genügen.

Gottverdammt, wie er diese Scheiße hasste!

Und zugleich freute sich ein Teil von ihm unbändig darauf, seinen Intellekt gegen den eines schwer gestörten Killers zu stellen und zu hoffen, ihn am Ende zur Strecke bringen zu können. Denn eines war gewiss: Dieser Mensch hätte auf jeden Fall zugeschlagen, auch wenn er sich andere Opfer zum Spielen ausgesucht hätte …

 

 

Esther wäre am liebsten mitgeflogen. In Momenten wie diesen fiel es ihr nach wie vor schwer, sich daran zu erinnern, dass ihr Platz nicht mehr an vorderster Front war, sondern am Schreibtisch, als Koordinatorin, Berichterstatterin, Schutzwall zwischen dem Team und Roy – der natürlich nicht ihr Feind und dennoch bedrohlich war.

Sie hatte zähneknirschend einsehen müssen, dass sie zurückbleiben musste, schon allein, weil es nicht genügend Platz gab. Rick und Dave flogen mit Dylan, Rick hielt in menschlicher Gestalt den Fuchs in seiner Tierform fest. Brian saß in Falkengestalt auf Dylans Schulter, ein dickes Tuch sorgte dafür, dass dessen Krallen ihn nicht verletzen konnten. Außerdem waren Tyrell, dessen Freund Blake und Amanda dabei. Amanda war eine einzelgängerische Hyänenwandlerin und die Koordinatorin der beiden jungen Männer, die nach wie vor nicht genügend Berufserfahrung als Ermittler bei der Spurensicherung besaßen, um bereits unbeaufsichtigt arbeiten zu dürfen.

Dylans kleiner Bruder hatte sich im vergangenen halben Jahr schon extrem stark entwickelt. Allein der Fortgang von seinem Job als Streetworker war eine harte Entscheidung gewesen. Schon ewig überfällig, man konnte diesen Beruf nicht langfristig ausüben und dabei mental gesundbleiben. Seine ziemlich schlagartige Verliebtheit, die er zu Blake entwickelt hatte, einem Tüpfelhyänenwandler, der aus verschiedenen Gründen atypisch für seine Rasse und sein Geschlecht war, hatte für einige Aufregung gesorgt. Letztendlich war es gut ausgegangen und es war tatsächlich Sid zu verdanken, dass die beiden überlebt und einen Job in der Spurensicherung gefunden hatten. Mittlerweile hatten sie sich zusammengerauft, was gelegentlich mit lautem Gebrüll und heftigem Streit einhergegangen war, denn ja, Tyrell musste lernen, seinen übermäßigen Beschützerinstinkt herunterzufahren und Blake musste genauso lernen, Hilfe zuzulassen – und ein bisschen Selbstbewusstsein zu entwickeln. Dass er jederzeit sprechen durfte, wenn er etwas sagen wollte, dass er ein gleichberechtigter Bewohner von Brookdarn war, alles das war keine Selbstverständlichkeit. Blake arbeitete noch immer an diesem letzten Punkt und würde vermutlich den Rest seines Lebens damit beschäftigt sein. Dennoch war es erfreulich zu sehen, wie weit er auf diesem Weg schon gekommen war.

Der Helikopter landete am Grund des Taleinschnitts, an einer Stelle, wo mehr als genügend Platz für solche Manöver war und der Boden eben genug, um keine Gefahr darzustellen. Sekunden später erschien die Silhouette seines Adlers am Himmel, der in tollkühnen Sturzflug überging.

Es war jedes Mal ein berauschender Anblick, dieses stolze Geschöpf zu sehen. Mehr als zwei Meter Flügelspannweite, das schöne, dunkelbraune Gefieder, dieser Ausdruck von Kraft … Ach, Dylan könnte ganze Tage damit zubringen, ihm beim Fliegen zuzuschauen. Stolz und Glück und Freude durchrieselten ihn, als Sammy auf ihn zugeschossen kam, sich im allerletzten möglichen Moment vor dem tödlichen Aufschlag abfing, einmal mit den Flügeln schlug, sich mitten in der Bewegung wandelte und mit einem eleganten Schritt nach vorn in menschlicher Gestalt vor ihnen zum Stehen kam, ohne zu stolpern oder im geringsten aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Er sah gut aus, dafür dass er das Survivaltraining hinter sich hatte, inklusive schwerem Schlafmangel, unzureichender Ernährung, zu viel Sonne und Hitze und zu wenig Wasser. Müde war er, klar, etwas Gewicht hatte er verloren, ohne dass es dramatisch auffiel, da er durch die endlose Lauferei auch Muskeln zugelegt hatte, womit er härter und gestählter wirkte als zuvor. Sein Gesicht war aufgrund der vielen Sonne dunkel. Im Nacken pellte sich die Haut ein bisschen, insgesamt hatte er das Abenteuer jedoch sehr viel besser überstanden, als es den meisten Teilnehmern gegeben war. Sein Adler war nun mal hart im Nehmen und die dunklen Augen leuchteten fokussiert.

„Da schickt man den Jungen mal in die Prärie, damit ein echter Kerl aus ihm wird, und er kommt duftend wie eine Rose und frisch wie der junge Morgen nach Hause?“, brüllte Rick und klopfte Sam mit knochenbrechendem Schwung auf den Rücken. „Haben die Kerle dich nicht rangenommen? Hast dir Urlaub im Liegestuhl gegönnt oder was?“

„Spinner“, grummelte Sam, versetzte Rick ebenfalls einen kräftigen Hieb, begrüßte die anderen lässig und stand dann vor Dylan. Seine Augen leuchteten warm und sie glitten einander wie selbstverständlich in die Arme. Das Johlen und Grölen der anderen scherte sie nicht, es könnte nicht bedeutungsloser sein. Sie hatten sich tagelang nicht gesehen und für sie beide war dies keine erholsame, gemütliche Zeit gewesen. Vor ihnen lag enormer Stress. So viel war jedenfalls klar. Ein Mörder, der sie spezifisch beim Namen nannte, wusste, dass die Leiche von Sammy gefunden werden würde, sie explizit zum Spielen herausforderte …

Viel zu früh mussten sie sich voneinander trennen. Die Realität wartete und nahm leider nicht die geringste Rücksicht darauf, dass sie lieber noch eine Weile Zweisamkeit genießen würden. Dafür übten sie schlicht und ergreifend den falschen Beruf aus …

 

 

Brian informierte ihn auf dem Weg zur Leiche in Kurzzusammenfassung, was in den letzten Tagen auf dem Revier geschehen war. Aktuell gab es keine offenen Fälle, dafür bergeweise Rückstand an Berichten. Lauter Affektmörder, Drogenüberdosierungen, dämliche Unfälle, Schlägereien mit Todesfolge und Leute, die nicht begreifen wollten, dass in Shonnam andere Gesetze galten als in der Wildnis.

„Das bedeutet, dass die Syndikate sich jetzt seit drei Wochen am Stück nicht mehr gerührt haben, kann das sein?“, fragte Samuel vorsichtig. Dave nickte ihm ernst zu, während Rick und Dylan auffällig zur Seite schauten und die anderen vorgaben, nichts gehört zu haben. Die Syndikate waren und blieben ein hochempfindliches Thema in Shonnam.

„Es kommt immer mal vor, dass sie solch lange Zeit die Füße stillhalten“, murmelte Dave. „Muss nicht zwangsläufig was Schlimmes heißen.“

Samuel ließ es auf sich beruhen. Es war immerhin möglich, dass dies etwas sehr Schlimmes bedeutete. Ziemlich sicher konnten sie sich allerdings sein, dass dieser Mord rein gar nichts mit den Syndikaten zu tun hatte. Die würden den Teufel tun und mit der Mordkommission zu spielen beginnen. Nicht einmal Moody hätte so etwas versucht. Außerdem wäre Esther zurückgepfiffen worden und hätte keinen Helikopter erhalten, wenn dies ein Syndikatmord gewesen wäre.

„Wie geht es Erika und den Mädchen?“, fragte Samuel, um auf behaglichere und sicherere Gebiete zu wechseln. Sowohl Melody, also Brians und Erikas leibliche Tochter, als auch Emma, ihr Adoptivkind, waren Samuels Patenkinder, was für Vogelwandler eine sehr ernste Sache darstellte. Sollte Brian aus welchem Grund auch immer als Vater nicht mehr zur Verfügung stehen, würde Samuel einspringen und helfen, die beiden Kleinen großzuziehen. Das wollte er natürlich nicht hoffen und sein Freund war auch definitiv nicht der Typ, der seine Frau verlassen und sich der väterlichen Verantwortung entziehen würde. Emma war ein kleines Steinadlermädchen, das Moody aus dem Ausland geholt hatte, um Samuel erpressen und gefügig machen zu können. Sie hatte einen schlechten Start ins Leben gehabt, doch mittlerweile entwickelte sie sich prächtig und Brian erzählte glücklich von seiner kleinen Familie, bis sie die Felswand erreichten, an die der Leichnam angelehnt worden war. Obwohl garantiert alle die Fotos gesehen hatten, die Samuel geschossen hatte, fielen sie erst einmal in fassungsloses Schweigen. In natura sah es einfach noch grässlicher und abgeschmackter aus.

Der Mann war mittelgroß, kräftig, fast gedrungen gebaut, in eine Blue Jeans und ein weißes T-Shirt ohne Aufdruck gekleidet. Beide Kleidungsstücke wiesen getrocknete Blutflecken auf. Schuhe trug er keine, die Füße waren nackt. Die Hände lagen übereinander in den Schoß gefaltet, der Kopf war nach hinten überstreckt, sodass das Opfer in den Himmel starrte – die Lider waren nicht geschlossen worden. Das kurz geschnittene Haar war von einem hellen Braunton, genau wie die Augen.

„Okay!“, ließ sich Amanda vernehmen und räusperte sich laut. „Wir übernehmen schon mal die erste Tatort- und Spurensicherung. Das Pathologenteam kommt ja gleich mit dem zweiten Heli nach, bis dahin sollten die ersten Geruchsproben gesichert sein. Jungs!“

Tyrell und Blake standen sofort stramm und umfassten die Ausrüstung. Amanda verwandelte sich, schnüffelte die gesamte Umgebung und die Leiche ab. Erst nachdem sie in menschliche Gestalt zurückgekehrt war, gab sie Tyrell und Blake ein Zeichen und ließ sie die Prozedur wiederholen.

Dylan, Rick und Dave hielten sich derweil im Hintergrund, wechselten allerdings auch in Tiergestalt und flehmten, um sämtliche Geruchspartikel aufzunehmen und für sich zu analysieren. Brian und Samuel warteten mit verschränkten Armen auf ihren Einsatz.

„Das Blut für die Inschrift stammt von dem Verstorbenen“, meldete Tyrell zurück, sobald er und Blake fertig waren. „Ich konnte bei aller Mühe keinen einzigen Hinweis auf den Täter wahrnehmen, dafür allerdings sehr viel Bleiche und Kernseife. Das Opfer ist also gründlich gereinigt worden, bevor es hier abgesetzt wurde und dies kann demzufolge auch nicht der primäre Tatort sein, wo der Mann gestorben ist.“

„An der Kleidung ist nur von außen Blut zu sehen“, warf Blake ein. „Es gibt keine Löcher oder Risse. Sie wurde ihm also sehr sicher nach der Tötung angezogen. Die Wunden am Kopf und im Gesicht scheinen neu aufgebrochen zu sein, als er bewegt wurde. Einige davon könnten ihm nachträglich zugefügt worden sein. Da insgesamt wenig Blut geflossen ist, dürfte er sie jedenfalls nicht zu Lebzeiten erhalten haben.“

„Sehr richtig“, grollte Amanda, und obwohl es eher nach Bedrohung als Lob klang, sah man deutlich, wie stolz Tyrell und Blake darauf reagierten. „Den Todeszeitpunkt muss der Pathologe nachher klären“, fuhr sie fort. „Mein Tipp anhand der sehr geringen Verfallserscheinungen und ziemlich unaufgeregten Insektentätigkeit würde auf irgendwann in den frühen Morgenstunden liegen. Da war es zudem noch kühl, sodass der Täter nicht geschwitzt hat und auf diese Weise keine Duftmarken hinterlassen konnte. Im Gegensatz zu dir, Sammy. Man riecht immer noch, wo du vor ein paar Stunden gestanden hast, als du noch ungewaschen vom tagelangen Training warst.

---ENDE DER LESEPROBE---