Die Birmingham-Akten: Sirenengesang - Sonja Amatis - E-Book

Die Birmingham-Akten: Sirenengesang E-Book

Sonja Amatis

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Beschreibung

Teil 2 der Birmingham-Reihe! Jardeen und Tami sind zurück! Sie hatten noch keine Zeit, sich von ihrem ersten gemeinsamen Fall zu erholen, da geht es schon wieder rund in Birmingham: Bei einem Sportereignis wird Nikina, eine von Tamis Kolleginnen, schwer verletzt, während eine Frau zu Tode kommt. Jardeen reißt die unabdingbare Springer-Untersuchung an sich. Leider schläft der Murphy-Fluch nicht – genauso wenig wie Tamis Vergangenheit. Dies ist Teil 2 der Reihe. Der Titel des 1. Teils lautet: Die Birmingham-Akten: Golemjammer Ca. 67.000 Wörter Inklusive ca. 2000 Wörter Index Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 335 Seiten.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Teil 2 der Birmingham-Reihe! Jardeen und Tami sind zurück!

Sie hatten noch keine Zeit, sich von ihrem ersten gemeinsamen Fall zu erholen, da geht es schon wieder rund in Birmingham: Bei einem Sportereignis wird Nikina, eine von Tamis Kolleginnen, schwer verletzt, während eine Frau zu Tode kommt. Jardeen reißt die unabdingbare Springer-Untersuchung an sich. Leider schläft der Murphy-Fluch nicht – genausowenig wie Tamis Vergangenheit.

 

Dies ist Teil 2 der Reihe. Der Titel des 1. Teils lautet:

Die Birmingham-Akten: Golemjammer

 

 

Ca. 67.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 335 Seiten.

Inklusive ca. 2000 Wörter Index

 

 

 

 

 

 

von

Sonja Amatis

 

 

 

 

Für Sanna

Man kann nie genug Trollfußball haben

 

Götterdämmerung

 

„Denkst du, das geht gut?“ Jardeen starrte finster auf das Spielfeld, das im Moment noch verlassen vor ihnen lag. Er wollte nicht hier sein. Nicht im Fußballstadion. Genau genommen nicht einmal in dieser verdammten Stadt, denn er hasste Birmingham. Auf Nova Britannica als solches legte er eigentlich auch keinen gesteigerten Wert. Sehr viel Wert legte er hingegen auf seine Begleiter Tami und Willarth. Es tat gut, dass er nicht allein in dieser magischen Glaskugel hocken musste, die von Flügelkobolden erschaffen und vom OPMK als bruchsicher abgenommen worden war – der Organisation für Problembeseitigung bei mystischen Kreaturen.

Seit jenem Fluchunfall, der dazu geführt hatte, dass Jardeen als erster Mensch überhaupt live einem Fußballspiel zwischen Trollen und Ogern beigewohnt hatte, und dieses Ereignis auch noch überleben konnte, war er eine Art Wundergestalt für die zahllosen Fans weltweit geworden. Sein Bild geisterte unentwegt durch die Holo-Nachrichten und jeder Troll, dem er begegnete, behandelte ihn mit Respekt und Ehrfurcht. An erster Stelle war dabei der Polizeitransporttroll Brobro zu nennen, der mit an diesem Unfall beteiligt gewesen war und sich nun als persönlicher Transporter für Jardeen und Tami verstand. Es hatte ihn bei diesem bereits zur Legende gewordenen Spiel zu Höchstleistungen beflügelt und einen historischen Sieg über die Ogermannschaft aus Madrid ermöglicht.

Zwei Wochen war das Ganze nun her. Jardeen litt nach wie vor unter Panikzuständen, wenn er in eine Trolltransportbox steigen musste. Er hatte so sehr gehofft, dass er bald abstumpfen würde, doch es sah nicht danach aus, als würde das in absehbarer Zukunft geschehen. An manchen Tagen passierte nichts, an anderen musste er seine Wandlergestalt annehmen und kroch heulend und winselnd in Tamis Arme, weil es einfach unerträglich war. Leider gab es häufig genug keine Alternative zu den Trollen, da das Kanalsystem von Birmingham zwar weit ausgebaut war, doch nicht überall hinführte, und die Kelpie-Gondeln oft zu langsam vorankamen.

Und leider, leider, leider hatte kein Protest und keine Weigerungsversuche ihn vor der Begeisterung von Trollen, geschäftstüchtigen Flügelkobolden und zu allem entschlossenen Fans retten können. Aus diesem Grund saß Jardeen nun also mit seinem Golem Willarth und seinem unverhofften Partner Tami in dieser durchsichtigen, mannshohen Glaskugel. Sie befand sich am Spielfeldrand, genau in der Mitte. Dort war sie in einen niedrigen Granitsockel eingelassen und magisch befestigt worden, angeblich für alle Zeiten und Ewigkeiten und die nächsten drei Weltuntergänge gesichert, wie die Flügelkobolde unter Berufung auf ihre Mütter, Großmütter und Urgroßmütter geschworen hatten. Jardeens Job bestand ausschließlich darin, anwesend und sichtbar zu sein. Er diente als Maskottchen für das Halbzeitgathering. Damit war nicht gemeint, dass es ein richtiges Gathering geben würde, also ein Fußballspiel zwischen Trollen und Ogern. Es handelte sich vielmehr um Training. Die Profifußballer fanden sich einmal im Monat zu Übungszwecken im Stadion ein, genau zur Halbzeit zwischen zwei Gatherings. Häufiger ließen sich diese zur Bequemlichkeit neigenden Riesen niemals zu Höchstleistungen und schon gar nicht zum Training bewegen.

Nachdem er die Birminghamer Trollbrigade beim letzten Mal mit seiner bloßen, für ihn recht schmerzhaften Anwesenheit zu einem überwältigenden Sieg inspiriert hatte, sollte er damit nun weitermachen. Dem Inspirieren, um genau zu sein. Seine große Angst, die vermutlich nicht allzu weit hergeholt war, bestand darin, dass man es ihm anlasten würde, sollte das nächste Gathering schieflaufen. Er hatte keine Zeit für solchen Unfug wie Fußball. Schlimmer noch, er litt panische Angst bei dem bloßen Gedanken, in diesem Stadion sein zu müssen. Leider hatte man ihm unmissverständlich klar gemacht, dass ihn weltweit kein Troll mehr transportieren würde, sollte er diesen Maskottchendienst verweigern. Das konnte er sich als Mordermittler auf gar keinen Fall leisten. Auf das für gewöhnlich schlechte Gedächtnis der Trolle baute er diesmal auch nicht. Brobro begrüßte ihn schließlich nach wie vor wie seinen eigenen Bruder, wann immer er Jardeen erblickte …

Aus diesem Grund dankte er dem Himmel dafür, dass Tami sich bereiterklärt hatte, zu ihm in diese Kugel zu steigen. Andernfalls hätte Jardeen es vermutlich nicht einmal durch die gewaltigen Stadiontore geschafft. Die waren fünf Meter hoch, aus massiven Felsbrocken gefertigt, die von bloßen Ogerfäusten aus Steinbrüchen geschlagen worden waren.

Tami hatte mit diesem ganzen Unsinn zwar nichts zu tun, doch die Trolle mochten die Idee, gleich drei Maskottchen auf einmal haben zu dürfen – mehr war eben mehr. Im schlimmsten aller Fälle konnte sich Tami wenigstens in eine Eule verwandeln und in Sicherheit bringen. Und weil die Kugel angeblich vollkommen schalldicht und unzerbrechlich gestaltet worden war, konnten sie in einem Durchlauf zwei Dinge erledigen – Tami hatte ebenfalls eine Verpflichtung gegenüber mystischer Kreaturen, die es zu erfüllen galt. Eine zweistündige Gesangsvorstellung war es, die er jenen Botenfeen versprochen hatte, die ihm, Jardeen und Willarth beigestanden hatten, als sie in alten Wasserkanälen unterhalb von Birmingham herumgeirrt waren; darüber hinaus hatten sie erheblich dazu beigetragen, einen Kinderschänderring zu sprengen und den Mord an Paul Matteri aufzuklären. Die Kleinen hatten sich ihre Belohnung redlich verdient.

„Was denkst du, wird es gut gehen?“, wiederholte Jardeen seine Frage mit steigender Nervosität. Tami hatte ihn keineswegs ignoriert oder überhört, er kämpfte selbst mit seiner Angst. Sein bleiches Gesicht und der unstete Blick verrieten ihn.

Die Trolle kamen. Man konnte sie noch nicht sehen, doch die Hörnerklänge, die die Riesen aus der gesamten Stadt herbeiriefen, drangen mühelos durch das angeblich schalldichte Glas. Der Boden wankte unter ihnen, oder vielmehr die Granitsäule – nicht bloß die Spieler kamen, sondern so ziemlich alle anderen Trolle und auch Oger der Stadt, die keine Dienstverpflichtungen hatten und darum dem Training zuschauen konnten. Um diese rund zwanzigtausend Riesengestalten machte sich Jardeen keine Sorgen. Sie würden eisern auf ihren Sitzen bleiben und nichts weiter tun, als eine graue, gesichtslose Lärmmauer zu bilden. Wesentlich disziplinierter als Menschen hielten sich diese Geschöpfe an ihre zugewiesenen Rollen: Ein Zuschauer schaute zu und tat sonst nichts außer jubeln. Die Spieler hingegen würden beim Training eine Art Krieg um den zum Ball umfunktionierten Felsbrocken führen. Es ging noch viel weniger um irgendeine Form von Strategie oder auch nur die rudimentären Regeln, die während der Gatherings vorherrschten. Zum Beispiel jene, die den Einsatz von Schlagwaffen strikt verbot … Aus diesem Grund wurden die Trainingsspiele ebenso weltweit übertragen wie die Gatherings, erfreuten sich teilweise noch größerer Beliebtheit und erlaubten vielfältige Wettmöglichkeiten. Etwa wie viele Schwerverletzte es geben würde, wie oft Spieler ausgetauscht werden mussten, wie viele Zuschauer per Zufallsprinzip als Spieler rekrutiert wurden, wie häufig die Felsbälle zerbrachen …

„Ich denke, sie haben das Glas dieser verfluchten Kugel stabil genug gestaltet“, murmelte Tami. „Tote Maskottchen nutzen niemandem.“

Davon war Jardeen nicht überzeugt. Tami selbst auch nicht, wie sein flackernder Blick zeigte. John, einer von Tamis Kollegen bei der Mordkommission, hatte jedenfalls eine Wette laufen, ob sie beide lebendig vom Platz gebracht werden würden oder nicht. Der Einsatz bestand aus Luxusrationen, die jedem Bürger monatlich zugeteilt wurden. Wetten waren selbstverständlich verboten, wie Glücksspiel allgemein. Da sich angeblich selbst der Bürgermeister von Birmingham regelmäßig mit einem Einsatz beteiligte, konnte man wohl nicht auf gesetzliche Intervention hoffen.

„Ist das Ding hier wirklich schalldicht? Ich finde, man hört das Gebrüll völlig ungefiltert“, murmelte Tami.

„Es ist wohl von unserer Seite aus schalldicht, also man wird unsere Schreie nicht hören. Falls nicht, macht es keinen Unterschied“, entgegnete Jardeen und krallte nervös die Finger in sein Sitzkissen. Die Trolle, angeführt von Brobro mit stolz geschwellter Brust, erschienen auf dem Rasen. „Sie werden ein solches Heidenspektakel veranstalten, da hört dich niemand singen. Oder mich schreien.“ Brobro winkte ihnen fröhlich zu. Jardeen, Tami und Willarth winkten artig zurück. Brobro schlug sich mit beiden Fäusten zugleich auf die Brust und schrie: „Ugha!“

„Er sagt, die ersten zwanzig Tore wird er Euch widmen, Master“, übersetzte Willarth, der fließend Trollisch sprach.

„Ich bin entzückt“, knurrte Jardeen und winkte erneut, so unverkrampft wie möglich lächelnd. Schließlich war er gerade im Fernsehen. Falls er sich heute der vollkommenen Lächerlichkeit preisgeben sollte, könnte er seine Arbeit als Ermittler für mindestens ein Jahr vergessen – niemand würde ihn ernst nehmen und ihm anständige Antworten auf seine Fragen geben, sollte er sich hier öffentlich vor Angst in die Hosen scheißen oder seinem Golem auf den Kopf kotzen. Wobei es auch so schon schwierig genug für ihn war, Respekt und normales Verhalten von seinen Gesprächspartnern zu erhalten. Er war zu schön, sah zu jugendlich aus. Die meisten Menschen und auch einige mystische Kreaturen reagierten unabhängig vom Geschlecht sexuell auf ihn.

Das verfälschte Reaktionen und konnte bei Männern leider auch rasch in Aggression und Verachtung umschlagen, und nur seine Position als Mordermittler verhinderte An- und Übergriffe. Dass er bislang noch aus jeder heiklen Situation unbeschadet entkommen war, konnte man mit Fug und Recht ein Wunder nennen. Mehr als einmal war es knapp geworden … Seit er wusste, dass die Ursache dieses Problems eine nymphische Vorfahrin war, deren Gene diverse Generationen übersprungen und erst bei ihm wieder mit voller Kraft zugeschlagen hatte, hegte er auch keine Hoffnung auf Besserung im höheren Alter. Nymphenmischlinge alterten extrem langsam und blieben auch als Hundertjährige noch gutaussehende Sexappealbomben. Seine mittlere Lebenserwartung war schlagartig um fünfzig Jahre gestiegen, um die meisten Krankheiten brauchte er sich niemals wieder Sorgen zu machen. Das alles genügte seiner Meinung nach, um aus dem inneren Gleichgewicht zu geraten, wenn man diese Fakten über seine eigene Herkunft nicht bereits von Kindheit an kannte, sondern erst mit Mitte Dreißig erfahren hatte.

Tami erging es da ein wenig besser. Er hatte zumindest geahnt, dass seine Mutter keine vollkommen normale menschliche Frau gewesen war. Dass er der Enkel einer Sirene war, hatte ihn nicht umwerfen können, auch wenn er es ebenfalls erst seit Kurzem mit Sicherheit wusste. Seitdem bemühte er sich, an seiner beinahe gewalttätigen Abneigung gegen das Singen zu arbeiten. Zumal Singen das einzige Heilmittel gegen seine Flashbacks, Albträume und schweren Panikattacken darstellte, an denen er seit seiner Entführung und tagelangen Gefangenschaft litt. Zuvor hatte er diesen Teil seiner Persönlichkeit von sich gedrängt, obwohl es ihm potentiell Vorteile hätte bringen können – genau wie Jardeen mit seiner Schönheit umgegangen war. Der Murphy-Fluch, der sie beide zusammengebracht hatte, verlangte von ihnen, dass sie ihre Schutzwälle niederrissen und sich dem mystischen Erbe stellten, das ihnen beiden in die Wiege gelegt worden war.

Am Himmel über ihnen erschienen Flügelkobolde. Einer davon würde das Trainingsspiel kommentieren und als eine Art übergeordneter Schiedsrichter agieren. Die übrigen sechs hielten winzige Basilisken in den Händen, die für die Holo-Aufnahmen verantwortlich waren.

„Einen wunderschönen Tag, wünsche ich den verehrten Zuschauern hier in den Rängen und daheim in den sicheren vier Wänden!“, rief der Kommentatorkobold mit magisch verstärkter Stimme. „Birmingham sendet herzliche Grüße in alle Welt! Heute ist ein historischer Tag. Nicht wegen des Trainings unserer allseits beliebten und sehr erfolgreichen Trollmannschaft, sondern weil es zum ersten Mal in der langen Geschichte der Gatherings freiwillige menschliche Zuschauer im Stadion gibt, die so etwas wie Maskottchen für den Verein der 1. Birminghamer Trollbrigade darstellen. Nur zu gerne würde ich in diesem Moment mit den beiden tapferen Männern ein Interview führen. Doch aus Sicherheitsgründen ist das Glas ihrer Schutzkugel zwölffach magisch gesichert, reiß-, stoß-, bruchfest und schallsicher.“

„Trotzdem höre ich jedes einzelne Wort!“, zischte Jardeen zähneknirschend. Was, wenn der Murphy-Fluch die magische Sicherung außer Kraft gesetzt haben sollte? Er wollte zwar nicht um jeden Preis hundertvierzig Jahre und älter werden, doch hier und heute von einem Felsbrocken erschlagen zu werden, gehörte auch nicht zu seinen Plänen, verdammt! Nicht solange er noch Albträume von der Kirche hatte, die ihm, Willarth und Tami im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf gefallen war.

„Ich lege jetzt mit der Gesangsrunde los, liebe Feen“, sagte Tami. „Noch länger warten halte ich nicht aus.“ Er wirkte mindestens so angespannt, wie sich Jardeen fühlte.

„Es schwinden jedes Kummers Falten, solang des Liedes Zauber walten. Das hat Friedrich von Schiller gesagt.“ Willarth strahlte, wie stets, wenn er die Möglichkeit erhielt, ein Zitat anbringen zu dürfen. Wenn seine Zitate doch ebenfalls Zaubermacht besäßen und in der Lage wären, sie aus diesem verfluchten Stadion herauszuschaffen!

Rund einhundert Botenfeen tauchten aus den Behältnissen auf, die Willarth, Jardeen und Tami bei sich trugen, umflatterten sie wie wunderschöne Schmetterlinge und ließen sich dann nieder, wo sie Platz fanden.

„Wie ihr möglicherweise belauscht habt, ihr Holden, habe ich heute Morgen vor dem Aufbruch hierher eine Wagneroper angehört“, flüsterte Tami, den Blick in den Himmel gerichtet. Er wollte die Trolle nicht ansehen müssen, solange es sich irgendwie vermeiden ließ. „Genau wie ich viele andere Opern in den letzten Tagen gehört habe. Ich habe nicht geübt, beherrsche allerdings trotzdem sämtliche Tonlagen. Von den meisten weiß ich nicht mal, wie die heißen, ich kenne Tenor und Sopran. Wie heißt Sopran beim Mann?“

Jardeen, Willarth und die Botenfeen zuckten alle gleichermaßen mit den Schultern. Wichtig war das sowieso nicht, lediglich irgendwie erschütternd. Er wollte gar nicht fähig sein, in den höchsten Stimmlagen zu jodeln, verflucht noch mal!

„Die Texte beherrsche ich größtenteils nicht, das müsst ihr mir bitte nachsehen. Ich habe einige Stücke ausgewählt, die ich meine, ganz gut singen zu können. Querbeet, verschiedene Opern und Musicals. Keines davon ist jünger als fünfhundert Jahre. Stücke von den ganz alten Meistern sind es geworden, weil ich lieber im großen Stil scheitern möchte als mit aktuellen Liedern, die ein Sirenenenkel eigentlich im Schlaf packen sollte. Außerdem haut der Walkürenritt richtig rein und ist schön symbolträchtig. Musikalische Unterstützung wird mir das digitale Orchester liefern.“ Er tippte auf seinem Notepad herum, stellte die vorprogrammierten Aufzeichnungen ein und steckte das Gerät dann wieder in die Tasche. Es würde dennoch den perfekten Sound liefern, genug, um die Glaskugel zum Schwingen zu bringen.

Draußen ertönte derweil der Anpfiff. Ein schätzungsweise hundert Kilo schwerer Felsbrocken flog zielgenau auf die Glaskugel zu. Jardeen keuchte vor unterdrückter Angst, Willarth kreischte hemmungslos, Tami duckte sich unwillkürlich. Zeitgleich brandeten schwere Klänge auf, Cellos, Geigen, Trommeln. Tamis Puls verdreifachte sich. Der Felsbrocken prallte gegen die Kugel und schlug harmlos auf den Boden, ohne sie zu zerstören oder den geringsten Kratzer zu hinterlassen. Die Trolle johlten, die Oger trampelten auf den Rängen, die Kobolde jubelten, das Spiel ging los – und Tami begann zu singen. Eine Götterdämmerung, wenn es je eine gab!

Er war selbst verblüfft von dem, was seine Kehle produzierte. Himmlische Klänge, die das Orchester beschämten und intensive Gefühle aufwallen ließen. Wenn irgendetwas davon seine eigene Leistung wäre, wenn er seit frühester Kindheit täglich endlose Stunden geübt hätte, um solche Vollkommenheit zu erreichen, dann würde er jetzt vermutlich vor Stolz weinen – und aus Sympathie, weil die Feen sich vor lauter Glück schluchzend in den Armen lagen. Doch es war nur Magie, die dieses Wunder bewirkte. Magie, zu der er nichts weiter beigetragen hatte, als die Tatsache seiner Geburt zu überleben.

Immerhin sorgte es für Zufriedenheit bei den Feen und half zuverlässig, Jardeen und Willarth – und auch ihn selbst – von ihren Ängsten abzulenken. Kein Holo-Bild konnte den wahren Schrecken einfangen, den es bedeutete, einem Fußballspiel beizuwohnen. Diese pure, entfesselte Gewalt …

Anscheinend drang tatsächlich kein Laut aus dem Inneren der Glaskugel nach außen. Jedenfalls reagierte niemand auf seinen Gesang. Das infernalische Getöse, das die Trolle erzeugten, während sie mit hundert Stundenkilometern und mehr über das Spielfeld rannten, sich gegenseitig zusammenschlugen und alles gaben, um an diesen verdammten Felsbrocken zu gelangen, untermalte hingegen seltsam passend die Orchestermusik.

Viele Leute waren der Meinung, ein solches Spiel wäre kaum schlimmer als die Rush Hour in Birminghams engen Straßen, wenn zehntausende Transporttrolle gleichzeitig auf den Laufspuren unterwegs waren. Auch da gab es schließlich Gebrüll und Prügelleien. Tami hatte stets gewusst, dass dies nicht vergleichbar war – beim Transport wollte jeder Troll möglichst schnell an sein Ziel gelangen, um noch schneller und mit ausreichend Essen versorgt im Parkstall faul herumlümmeln zu dürfen. Wer ihn dabei behinderte, wurde eben aus dem Weg geschubst. Hier im Stadion hingegen durften sie zwei Mal im Monat das Monster rauslassen. Aus diesem Grund waren die Spieler allesamt jung, männlich und hochaggressiv. Es ging um brachiale Gewalt, um Grenzüberschreitungen, um den vollständigen Verlust von Rücksicht und Rückhalt, den sie sonst beständig üben mussten, um keine Menschen zu gefährden. Nicht umsonst hielten sich ganze Heerscharen von mit Heilungsmagie gesegneter Kreaturen und Mystikärzte bereit. Inmitten dieser entfesselten Urgewalten, die aufeinander prallten, bluteten, sich gegenseitig die Knochen zertrümmerten und dabei den Spaß ihres Lebens hatten, musste eigentlich jedem Menschen klar werden, wie niedrig sein Rang in der allgemeinen Hierarchie tatsächlich war.

„Da passiert was!“, schrie Jardeen mitten in „I dreamed a dream“ aus dem Musical „Les miserablés“. Tami blickte hoch, ohne den Gesang zu unterbrechen. Wenn man sich einmal damit zu beschäftigen begann, gab es tatsächlich sehr schöne Musik!

„There was a time when love was blind

And the world was a song

And the song was exciting…”

- Es gab eine Zeit, da war Liebe blind, und die Welt war ein Lied, und das Lied war aufregend …“

Er hatte ohne Musik etwas im Leben verpasst, das musste er zugeben, bei aller Abneigung gegen die magischen Umstände bei seinem Gesangstalent. Zugeben musste er auch, dass die Kugel wesentlich stärker als zuvor schwankte, das Gebrüll der Trolle einen sehr aggressiven Unterton angenommen hatte und sämtliche Zuschauer auf den Füßen standen.

„And still I dream he’ll come to me

That we will live the years together…”

- Und ich träume noch immer, dass er zu mir kommen wird, dass wir die Jahre gemeinsam verbringen werden …”

Die Stimme des Kommentators drang in sein Bewusstsein und schaffte es fast, die letzten Zeilen des Liedes zu übertönen.

„I had a dream my life would be

So different from this hell I’m living

So different now from what it seemed.

Now life has killed the dream

I dreamed.”

- Ich hatte einen Traum, mein Leben würde

so anders sein als diese Hölle, in der ich lebe,

so anders als das, was es zu sein scheint.

Nun hat das Leben den Traum getötet,

den ich träumte.“

Mitten in dieses tränenerzwingende, fantastische Wow!, das dieses Lied verursachte, war das Gequäke des Flügelkobolds ein entsetzlicher Misston. Leider brachte er sie mit Nachdruck zurück in die Realität:

„… vor sich geht. Am Eingang versammeln sich gerade die Spieler der Birminghamer Haudrauf!-Ogerliga. Dabei ist ihr Trainingsspiel wie üblich erst nach Sonnenuntergang angesetzt. Liebe Oger, ausgenommen natürlich die Zuschauer, die grelle Kugel dort, da oben am blauen Himmelstuch, das ist die Sonne und nicht etwa das Lagerfeuerchen von Oma Steilzahn. Kapiert? Ihr – spielen – wenn – Sonne – weg.“

Einen Moment lang wurde es vollkommen still im Stadion. Brobro, der gerade einen seiner Teamkameraden im Schwitzkasten hielt und diesen unentwegt mit der freien Faust bedachte, stutzte und ließ den erschöpften Troll fallen. Ein anderer, der auf den wohlklingenden Namen Tingeltangel hörte, schnappte sich den plötzlich unbeachteten Felsbrocken und schoss ihn zielgenau in den Fangkorb in der Mitte des Spielfeldes. Niemand beachtete ihn und seinen Jubeltanz. Stattdessen fokussierte sich die gesamte Aufmerksamkeit auf die rund sechzig Oger, die sich am Rand des Feldes aufbauten. Diese schlugen sich mit ihren feuerschalengroßen Pranken gegen die Brustkörbe und brüllten, dass sämtliche Botenfeen und zwei der Flügelkobolde vor Schreck in Ohnmacht fielen.

„Nguuumaraaau! Hug khur thummmu!“, schrie einer von ihnen.

„Er teilt den Trollen höflich mit, dass er es ungerecht findet, wenn diese ein Maskottchen haben dürfen, die Oger hingegen nicht“, übersetzte Willarth, der neben sämtlichen Trolldialekten mittlerweile auch jegliche andere Sprache der mystischen Kreaturen beherrschte.

„Krummm! Unnukluru hucka tacka digga!“

„Er sagt, dass die Oger sich nicht diskriminieren lassen wollen. Trolle haben kein Recht darauf, Privilegien zu erhalten.“

Tami blinzelte erstaunt. So hübsch hatte der Oger es garantiert nicht formuliert, doch nachfragen wollte er lieber nicht. Singen hatte er nun schweren Herzens aufgegeben. Erstens war das dort vorne wichtiger und zweitens war seine Hauptzuhörerschaft ohnmächtig. Die Trolle rotteten sich zusammen und marschierten furchtlos auf die größeren und deutlich stärkeren Oger zu.

„Kein Maskottchen für euch … Ich will nicht übersetzen, was der Oger da gerade gesagt hat“, murmelte Willarth. „Was uns ist, bleibt unser! – Das rufen die Trolle. Tod der Trollbrigade! – fordern die Oger. Wir machen euch Dumpfschädel platt“ erwidern die Trolle.“ Willarth hatte sichtlichen Spaß an seiner Übersetzerrolle. Als allerdings sämtliche Trolle und Oger wie auf ein geheimes Zeichen losrannten und wie zwei Gerölllawinen aufeinanderkrachten, da quiekte er verängstigt und klammerte sich hastig an Jardeen.

„Master, ich will jetzt gerne nach Hause!“

„Nichts lieber als das“, murmelte Jardeen leichenblass, mit seltsam leb- und teilnahmsloser Stimme. „Leider kommen wir aus dieser verdammten Kugel erst heraus, wenn die Kobolde den entsprechenden Zauber lösen, wie du dich erinnern magst. Die werden sich hüten, in unsere Nähe zu geraten!“

Aus triftigen Gründen, wie Tami zähneknirschend eingestehen musste, denn aus dem Pulk von halbnackten Trollen und Ogerleibern, die ineinander verkeilt waren, lösten sich mehrere Gestalten. Oger, denen es gelungen war, ihre Trollgegner bewusstlos zu schlagen oder anderweitig auszuschalten. Sie rannten auf die Kugel zu.

„Neinneinneinneinnein!“, kreischte Willarth und versuchte, in Jardeen hineinzukriechen. Der starrte Tami hilflos an, bevor sie sich umarmten und ihre Gesichter an der Schulter des jeweils anderen verbargen. Tami wollte auf keinen Fall in die wutverzerrten Fratzen der Oger starren. Er wollte nicht wissen, was zwei Tonnen Muskelmasse mal vier mit dieser Glaskugel anstellen konnten, ob sie nun magisch geschützt war oder nicht. Er wollte …

„Hilfe!“, brüllten er und Jardeen gleichzeitig, als vier Oger gegen die Kugel prallten und begannen, krachend auf sie einzuprügeln. Exakt drei Talente besaßen diese wandelnden Muskelgebirge: Unvergleichliche Dummheit, unfassbare Hässlichkeit, unübertreffliche Zerstörungskraft. Was kaputt gehen konnte, zerbrach unter ihren Fäusten, das war so sicher wie ein Murphy-Fluch.

WUMM!

Ein Fausthieb.

WUMM! Der nächste.

Das Glas hielt. Dennoch bestand Tamis Welt momentan aus seinen beiden Gefährten, die ebenso panisch wie er waren, und vier Ogern, die mit ihren massiven Körpern das Licht und jegliche Aussicht auf Flucht versperrten.

WUMM!

Der sechste Treffer ließ Tami, Jardeen und Willarth noch lauter schreien als zuvor, denn plötzlich befanden sie sich in Schieflage.

„Der Sockel! Sie schlagen die Kugel vom Sockel herunter!“ Jardeen schüttelte Tami durch. Er stand spür- und sichtbar unmittelbar davor, die letzte Beherrschung zu verlieren.

„Verwandeln!“, kreischte Willarth. „Master, verwandeln!“ Jardeen gehorchte ohne nachzufragen und wurde zum Irish Setter. Weniger Masse würde gleich einen gewissen Unterschied bedeuten, wenn sie umher geschleudert wurden … Tami hingegen blieb in seiner menschlichen Gestalt. Als Raufußkauz könnte ihn bereits ein einziger schwungvoller Schlag, der ihn gegen die Kugelwand prallen ließ, schwer verletzen oder töten.

„Unnaghash!“, grollte einer der Riesen dort draußen.

„Er sagt: Die Kugel hängt von der Stange!“, übersetzte Willarth tapfer.

Einen halben Atemzug später zerrten alle vier Oger zugleich an der Kugel, die mit einem übelkeitserregendem Krachen von ihrem Granitsockel losbrach. Jardeen, Tami und Willarth purzelten wie Spielzeugpuppen im Inneren übereinander.

In diesem Moment tauchten unvermittelt die rund einhundert Botenfeen wieder auf, die nach dem Erwachen aus der Ohnmacht sang- und klanglos verschwunden waren. Jede von ihnen hielt eine Armvoll weißes, pludriges Zeug an sich gedrückt, das entfernt an Daunenfedern erinnerte.

„Flausch!“, riefen sie, warfen ihre Last in die Höhe und flohen erneut. Ein unverwechselbarer Duft erfüllte die Kugel. Der Duft von Regenbögen, Glückseligkeit und kindlicher Unschuld. So dufteten ausschließlich Einhornfohlen. Das Unterfell der magischen Tiere besaß diverse fantastische Eigenschaften, die dafür sorgten, dass nichts und niemand, nicht einmal Drachenklauen, diese Geschöpfe verletzen konnten. Die weichen, schneeweißen Einhornhaare schmiegten sich wie magische Mäntel um Jardeens und Tamis Körper, vor allem um ihre Köpfe.

Und das war auch gut so, denn einen Herzschlag später wurde ihre Kugel durch die Luft geschleudert. Sie fielen übereinander, schlugen gegen die Kugelwände.

Das war schmerzhaft, doch dank des Einhornschutzes nicht mehr länger knochenzermahlend und potentiell tödlich.

Ein Paar Ogerhände fing die Kugel, bevor sie zu Boden stürzen konnte. Die Trollhorde rannte heulend vor Wut auf sie zu. Der Oger grunzte und schleuderte die Kugel in die entgegengesetzte Richtung – wo bereits weitere Oger standen und darauf warteten, das hart umkämpfte Maskottchen auffangen zu dürfen. Der nächste Pass. Und noch einer.

Allmählich hatte Tami gestrichen die Schnauze voll davon, schreiend umherzufliegen, sich unentwegt zu überschlagen, zu beten, dass er Jardeen nicht zerquetschte und dankbar zu sein, seit Stunden nichts mehr gegessen zu haben.

„Sind hier noch Botenfeen?“, rief er, als der nächste Ogerfänger ihnen eine winzige Atempause zugestand, da er sich entscheiden musste, wohin er die Kugel werfen sollte. Tami war schlecht. Und schwindelig. Und er war wütend.

„Jawohl! Hier! Ich bin hier!“ Eine der winzigen Gestalten erschien und flatterte vor Tamis Nase umher.

„Bitte teile dem Troll Brobro mit, dass Jardeen sehr enttäuscht von ihm ist!“, stieß er hastig hervor. „Und Tami auch. Er war sich sicher gewesen, dass der Held des letzten Gatherings besser ist. Dass er diese paar Hohlbirnen von Ogern überlisten und uns retten kann. Er muss das schlau anstellen, nicht bloß rennen!“

„Sehr wohl, Sir! Wird übermittelt.“ Die Botenfee salutierte, wie es die Art der Kleinen war, und verschwand. Für Tami und seine beiden Gefährten ging das Elend derweil weiter, denn der Oger hatte sich entschieden und schleuderte die Kugel hundert, hundertfünfzig, vielleicht auch zweihundert Meter quer über den Platz, wo sie mehrfach auf dem Boden aufprallte, bevor ein anderer Oger sie schnappen konnte. Drei weitere Pässe folgten. Das musste man den Ogern lassen, werfen und fangen beherrschten sie hervorragend. Vielleicht sogar etwas zu gut, dafür, dass sie Profifußballer statt Handballspieler waren. Über solche Spitzfindigkeiten sprach man besser nicht mit Kreaturen, deren Gehirn in etwa so groß wie eine verschimmelte Haselnuss war. Tami spürte, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Ein menschlicher Körper war nicht dafür ausgelegt, von Ogern durchgeschüttelt zu werden.

Bevor die Reise weitergehen konnte, hielt der Riese, der sie zuletzt gefangen hatte, irritiert grunzend inne. Tami blickte sich suchend um. Bislang waren die Trolle der Glaskugel einfach grölend und heulend nachgelaufen und hatten sich mit jedem Oger geprügelt, der ihnen in die Quere geriet. Im Moment geschah etwas anderes, und dieses Etwas hatte mit Brobro zu tun.

Wie erhofft.

Ihr treuer Freund und Helfer von den Polizeitrollen balancierte auf dem Felsbrocken-Fußball, den gerade niemand beachtete, und brüllte von seinem erhöhten Posten seine Artgenossen an. Die reagierten sichtlich skeptisch auf seine Worte und kratzten sich verwirrt die hohlen Köpfe.

„Er hat gesagt: Wer siegen will, muss nicht stärker sein. Die Oger sind stärker als wir, das wussten wir schon immer. Wir sind aber klüger. Wir können es besser machen als bloß den ganzen Tag hinter der Kugel herzurennen.“ Willarth wand sich unter Tami hervor, der auf ihm gelandet war. Zum Glück waren Golems extrem stabil, auch wenn der Kleine leicht zerzaust wirkte.

Brobro sprang derweil vom Felsbrocken herab, packte sich einen der Trolle und verpasste ihm einen krachenden Fausthieb ins Gesicht.

„Nuugha!“, brüllte er dazu.

Willarth räusperte sich, bevor er übersetzte. „Was da gerade so brutal aussah, war eher als Klaps gemeint, um die Aufmerksamkeit des anderen auf sich zu ziehen. Brobro sagt: Hey, du gehst da hinten hin und bleibst da stehen.“

Der andere Troll schien von dem Kommando nicht überzeugt zu sein, oder vielleicht verstand er auch schlicht und ergreifend nicht, was Brobro von ihm wollte. Jedenfalls spuckte er einen Zahn aus und zog mit einem ratlosen „Guuu?“ die Schultern hoch, was keiner Übersetzung bedurfte. Einige aufmunternde Klapse später trabte der baumlange Troll brav ans Nordende des Platzes – so weit entfernt von dem Oger, der aktuell die Glaskugel festhielt, wie es möglich war, ohne das Spielfeld zu verlassen.

Mittlerweile stand alles und jeder vollkommen still und beobachtete mit faszinierter Stumpfheit, wie Brobro einen Troll nach dem anderen sortierte. Nicht einmal der Kommentatorkobold sagte ein Wort. Es dauerte drei Durchgänge, bis die Trolle begriffen, was auf sie zukam und es nicht mehr länger notwendig war, sie zur Kooperation zu prügeln. Ab dem siebten Matschhirn, das an einen augenscheinlich willkürlichen Standort auf dem Spielfeld geschickt wurde, ging es schneller voran. Brobro brauchte ab jetzt lediglich zu zeigen und kurze Knurrlaute auszustoßen, schon trabten die Kerle folgsam an ihren vorgesehenen Platz. Als er mit den Trollen durch war, wandte sich Brobro den Ogern zu – und schickte sie ebenfalls einen nach dem anderen dorthin, wo er sie haben wollte.

Die Oger gehorchten ohne Widerspruch.

„Oh mein Gott.“ Jardeen hatte sich mittlerweile zurückverwandelt und kroch fast durch die Glasscheibe vor Eifer, während er das Geschehen beobachtete. „Sie sind Profispieler. Sie kennen es gar nicht anders! Wenn ihnen jemand autoritär einen Befehl erteilt, wie sie sich innerhalb des Stadions zu verhalten haben, dann gehorchen sie.“

„Ich begreife bloß nicht, wozu das gut sein soll“, brummte Tami. „Er positioniert die Oger nicht unbedingt günstiger, auch wenn es von Vorteil ist, beide Mannschaften gründlich zu durchmischen. Es erhöht die Chance, die Kugel abzufangen.“

„Nein, nein, nein! Schau doch!“, rief Jardeen und wedelte mit der Hand in Richtung Brobro. „Oger sind zu blöd, um mehrere Dinge gleichzeitig tun zu können! Sie können nicht diesem Troll beim Sortieren zusehen und ihm gehorchen und gleichzeitig überlegen, was das für sie bedeutet.“

„Stimmt.“ Tami lächelte begeistert, als er begriff, worauf das Spiel hinauslaufen sollte. „Trolle schaffen so etwas. Sie tun es nicht gerne, aber ich selbst hatte Brobro ja praktisch gezwungen, dass er seinen verdammten Schädel zum Denken nutzen soll.“

„Ein echter Geniestreich! Mit Gewalt oder auch Geschwindigkeit war dieses Problem nicht zu lösen. Die Trolle hätten die Kugel nicht zurückerobern können.

Nicht solange die Oger als Mannschaft zusammenhalten, um sie zu verteidigen. Die wiederum sind zu blöd, um irgendetwas anderes zu tun, als unabdingbar zusammenzuhalten.“

Langsam arbeitete sich Brobro zu ihnen vor. Der Oger, der die Kugel hielt, wurde unruhig. Er scharrte mit den Füßen, drückte die Finger fester gegen das Glas. Aber er lief nicht fort, warf die Kugel nicht zu einem Teamkameraden und versuchte auch sonst nichts, um sich dem Unvermeidlichen zu entziehen, bis Brobro schließlich vor ihm stand.

„Nggguru shu!“, grollte er.

„Er sagt: Kumpel, du bist dran“, übersetzte Willarth. „Und jetzt: Du wirst da drüben gebraucht.“

„Uuh?“ Unsicher hielt der Oger die Kugel in die Höhe. Man konnte fast spüren, dass sich da eine Idee durch seine Hirnwindungen schieben wollte. Brobro gelang es, den Prozess zu unterbrechen, bevor er kritisch werden konnte.

„Kein Problem“, übersetzte Willarth simultan. „Ich halte das Ding für dich. Ich passe darauf auf, bis du wieder Zeit dafür hast.“

„Gruuuh!“ Der Oger ließ sich willenlos die Kugel abnehmen und rannte in die Ecke, die Brobro ihm gewiesen hatte. Der schaute fragend durch das Glas zu ihnen hinein.

„Nggu?“, fragte er leise.

„Er will wissen, ob es uns gut geht.“

Tami, Jardeen und Willarth tauschten Blicke, bevor sie gleichzeitig die geballten Fäuste in die Höhe reckten. Das hieß so viel wie „Alles bestens!“ bei Trollen. Vorsichtig setzte Brobro die Kugel ab und brüllte ohrenbetäubend los.

„Er teilt Ogern wie Trollen mit, dass sie im Moment noch ganz stillstehen müssen und sich nicht bewegen dürfen. Erst wenn er den Spielball aufhebt, wird es weitergehen.“

Ein wenig fassungslos war Tami schon, als Brobro die Kugel nun wieder an sich nahm und vollkommen ungehindert und ohne jede Hast über das Spielfeld schritt. Die Trolle regten sich nicht, die Oger protestierten nicht, Zuschauer wie Kobolde schwiegen – alle warteten darauf, dass Brobro ihnen mitteilte, wann und wie es weiterging. Wahnsinn!

Sie wurden aus dem Stadion hinausgetragen. Brobro verkündete, dass die Kobolde garantiert gleich kommen würden, um sie zu befreien. Er würde derweil weiterhin Spaß am Spiel haben und ganz, ganz viele Tore schießen.

„Botenfeen?“, fragte Tami ins Leere hinein.

„Aye!“ Eine der Kleinen erschien, ohne dass er vorher umständlich auf seiner Flasche hatte herumklopfen müssen.

„Sag doch bitte diesem wunderbaren Troll, dass wir ihm unglaublich dankbar sind“, murmelte er. „Wir können das leider nicht selbst tun, weil dieses Mistding von Kugel einseitig schalldicht ist.“

„Und stolz!“, fuhr Jardeen dazwischen. „Wir sind sehr stolz, wie klug er das gelöst hat.“

Die Botenfee verschwand, tauchte jenseits der Kugel wieder auf und überbrachte die Botschaft. Brobro drehte sich noch einmal zu ihnen um, schlug sich mit der Faust auf die Brust und verneigte sich in ihre Richtung, bevor er endgültig zurück ins Stadion verschwand. Sekunden später brandete infernalischer Lärm auf, wie gehabt.

Erschöpft wandte Tami sich seinem Gefährten zu.

„Du siehst wahnsinnig bescheuert aus mit diesen Einhornhaaren um den Kopf“, murmelte er.

„Dito.“

Die Botenfeen wagten sich wieder hervor.

„Wann bekommen wir den Rest unseres Konzertes?“, fragten sie.

„Heute nicht mehr. Bald.“ Tami winkte erschöpft ab. Ihm war nach wie vor schwindelig und er hatte Hammerkopfschmerzen und glücklich, nein, glücklich war er beim besten Willen nicht. „Was ist mit den Einhornhaaren? Vielen, vielen Dank dafür. Ich glaube, wir wären deutlich verbeulter, hätten wir diesen Schutz nicht gehabt.“

„Oh, gut, dass das auch zur Sprache kommt“, zirpte eine der Feen. „Für diese Tat hätten wir schon ganz gerne einen musikalischen Nachschlag. Der wiederum sollte bei den Einhörnern stattfinden, die uns erlaubt haben, einige Büschel voll Fohlenunterfell zu stibitzen. Oder vielmehr auszuleihen, wir müssen jedes einzelne Härchen zurückbringen. Rein zufällig erwähnte die Stute, dass das Fohlen ganz grässliche Einschlafprobleme hat und was könnte da besser helfen als magischer Gesang?“

Tami stöhnte leise und verbarg das Gesicht zwischen den Händen. „Aus der Nummer komme ich im Leben nie wieder raus, oder?“, murmelte er unglücklich.

„Nicht verzweifeln, Mr. Ellian“, sagte Willarth fröhlich und zog sanft an Tamis Händen. „Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte, wie Goethe meinte.“

„Der alte Zausel schon wieder.“ Jardeen lachte auf und versetzte Tami einen leichten Stoß. „Ich bleibe bei dir und passe auf, dass sie es nicht mit dir übertreiben“, fügte er hinzu. Sein Blick ging Tami durch und durch. Ihm wurde warm und flattrig zumute. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er nach der durchgestandenen Dauerpanik langsam zur Ruhe kam und Erschöpfung über ihn hinwegrollte. Die Botenfeen sammelten derweil die Einhornhaare ein und verschwanden damit.

„Kann gar nicht so einfach für mystische Geschöpfe sein, wenn jedes einzelne Haar des Nachwuchses magisch aufgeladen ist“, brummte er, um von allen anderen Dingen wie Verlegenheit abzulenken. „War wirklich gut, dass sie uns geholfen haben.“

Jardeen nickte. Zeitgleich erschien ein Flügelkobold bei ihnen. Er wirkte arg geknickt und sorgte schweigend dafür, dass sich der Zauber löste und Tami mit seinen Gefährten endlich aus dieser dämlichen Kugel aussteigen konnten.

„Ich kann überhaupt nicht in Worte fassen, wie leid uns dieser unglückliche Vorfall tut“, murmelte er.

„Oh, ich muss sagen, auf eine bestimmte Weise bin ich froh und dankbar darüber“, entgegnete Jardeen. „Dieses kleine Unglück garantiert schließlich, dass ich nie, also NIEMALS! wieder einen Fuß in dieses Stadion setzen muss. Nicht wahr?“ Sein Lächeln war kalt genug, um Frostbrand an den Augen zu erleiden. So empfand es der Flügelkobold offenbar auch, denn er zuckte zusammen und flog ein ganzes Stück außer Reichweite.

„Das geben wir Ihnen selbstverständlich schriftlich, Mr. Chamal“, beteuerte er hastig und verneigte sich gleich mehrfach. „Keine weiteren Maskottchenexperimente.“

„Freut mich ungemein, das zu hören. Wenn ich darum bitten dürfte, ein magischer Transport zu Mr. Ellians Haus wäre wohl hoffentlich nicht zu viel verlangt?“

„Nein, nein, keineswegs …“

Vermutlich hätte Jardeen auch das Erstgeborene des Kobolds einfordern können, so durcheinander, wie der Ärmste gerade war. Zum Glück neigte Tamis Gefährte nicht zur Grausamkeit und ließ es auf sich beruhen, sobald sie zurück in den heimischen vier Wänden waren. Na ja, Tamis heimische vier Wände. Jardeen und Willarth waren seine Gäste. Allerdings konnte er sich nach den Wochen, die sie bereits gemeinsam hier verbracht hatten, beim besten Willen kein Leben mehr allein vorstellen.

Einsamkeit war nach wie vor einer von Tamis größten Feinden. Einsamkeit, Dunkelheit und plätscherndes Wasser, das über ihn hinwegrauschte …

„Ihr Holden, könntet ihr bitte einen Nachrichtenstopp über diese Wohnung verhängen?“, fragte Jardeen. Eine Botenfee tauchte auf, salutierte stumm und verschwand wieder. Bis zu dem Moment, in dem Jardeen dies widerrief, würden nun keine fremden Botenfeen mehr zu ihnen vordringen können. Stattdessen hinterließen sie ihre Nachrichten schriftlich in Tamis Briefkasten. Wie genau das funktionierte, also welche Art von Magie die Feen dabei anwandten, war nicht bekannt. Es garantierte ihnen einige Stunden vollkommener Ruhe, die sie jetzt dringend benötigten. Zumal das Desaster vom Stadion weltweit übertragen worden war. Es würde also nur noch Minuten dauern, bis ihre Freunde und Kollegen anfingen, Botenfeen zu ihnen zu schicken. Hoffentlich blieben Jardeens Vorgesetzte entspannt! Die verlangten von einem Springerermittler angemessenes und unaufälliges Benehmen. Aber Jardeen hatte keine andere Wahl gehabt, als sich dem Zwang der Trolle und Kobolde zu beugen.

Den Däumlingswichtel, der die Haustürklingel überwachte, wurde ebenfalls informiert, dass keine Besucher erwünscht waren. Für den nicht so wahrscheinlichen Fall, dass sich jemand persönlich überzeugen wollte, dass bei ihnen noch alles dran war.

„Lust auf ein Bad?“, fragte Jardeen. Da es für Tami unmöglich geworden war, die Dusche zu benutzen, hatte er einen Eilantrag auf eine Bodenwanne gestellt, der tatsächlich sehr schnell genehmigt und sofort umgesetzt worden war. In stehendes Wasser hineinzusteigen fühlte sich besser an, als von oben beplätschert zu werden. Wirklich einfach war es dennoch nicht, darum badete Jardeen grundsätzlich mit ihm zusammen. Die Wanne war groß genug für sittsamen Abstand und Willarth, dieser entzückendste Golem auf der großen weiten Welt, trabte jedes Mal mit ins Bad, was jegliche unsittsamen Gedanken und Anwandlungen wirkungsvoll unterband. Der Kleine hasste es, allein zu bleiben. Noch mehr als Tami und Jardeen.

„Ein Bad, etwas zu essen und dann hirnloses Holo-Programm“, entgegnete Tami zustimmend.

„Klingt gut. Solange es keine Sportübertragung ist.“

„Geh schon mal vor und lass Wasser ein. Ich schau solange, was wir danach essen können.“

„Lass uns Luxusrationen opfern. Pizza wäre der Situation angemessen. Vielleicht noch zwei Bier dazu. Oder lieber Rotwein?“ Jardeen streifte

sich das grüne Hemd über den Kopf, das ihm so unglaublich gut stand und seine grünbraunen Augen zum Leuchten brachte. Der Anblick seines vollkommen makellosen, gottgleichen Körpers brachte Tami beinahe zum Seufzen. Vielleicht sollte er das Einhornfohlen-Schlafprogramm erst einmal an Willarth austesten, damit er anschließend ungestört …

Lass das, ermahnte er sich selbst. Nicht dass es helfen würde. Zum Glück gewöhnte er sich langsam daran, in Jardeens Nähe einen Ständer zu bekommen.

Immerhin war dies eines der unwichtigeren Probleme …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Briefe am Morgen …

 

Jardeen stand leise auf, um Tami nicht zu wecken. Die Nacht war einmal mehr für sie beide sehr hart gewesen. Eine endlose Abfolge von Albträumen. Es war schwer zu ertragen, doch sie wussten beide, dass sie da durch mussten. Tagsüber verdrängten sie, was mit ihnen geschehen war. Nachts suchte es sie heim.

---ENDE DER LESEPROBE---