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Kurzbeschreibung Marc feiert seinen Geburtstag nach und lädt Samuel ein. Der ist dankbar für die Gelegenheit, der Situation daheim zu entfliehen und Dylan wiederzusehen. Da sein Liebster in Arbeit ertrinkt – der Polizeichef von Shonnam verlangt, dass sämtliche ungelösten Mordfälle der letzten zwanzig Jahre angepackt werden – bietet er seine Hilfe an. Was er dabei findet ist ein Serienkiller; und er gerät in die Fänge eines noch gefährlicheren Raubtieres: Moody! Ca. 46.500 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 220 Seiten.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Kurzbeschreibung
Marc feiert seinen Geburtstag nach und lädt Samuel ein. Der ist dankbar für die Gelegenheit, der Situation daheim zu entfliehen und Dylan wiederzusehen. Da sein Liebster in Arbeit ertrinkt – der Polizeichef von Shonnam verlangt, dass sämtliche ungelösten Mordfälle der letzten zwanzig Jahre angepackt werden – bietet er seine Hilfe an. Was er dabei findet ist ein Serienkiller; und er gerät in die Fänge eines noch gefährlicheren Raubtieres: Moody!
Ca. 46.500 Wörter
Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 220 Seiten.
Für Tina Filsak.
Glaube und hoffe. Ganz besonders dann, wenn Logik und Wahrscheinlichkeit dagegen sprechen.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog
Es sollte sich nicht so verdammt gut anfühlen, feindliches Territorium zu betreten. Shonnam war und blieb gefährlich für einen Vogelwandler, selbst dann, wenn man schon häufig die Grenze überquert und die staatliche Erlaubnis hatte, genau das zu tun.
Samuel war tatsächlich froh, der mehr als schlechten Stimmung daheim zu entkommen. Marc feierte endlich seinen Geburtstag nach und hatte ihn wie versprochen ebenfalls eingeladen.
Zwei Wochen waren vergangen, seit er Dylan das letzte Mal gesehen hatte. Zwei Wochen, seit sie zueinander gefunden und sich geliebt hatten, wie Samuel es sich niemals hätte erträumen lassen. Seitdem hatten sie einige Male telefoniert, jeweils bloß kurz, da sie beide mit verzwickten Mordfällen beschäftigt gewesen waren. Es waren freundschaftliche Gespräche, ohne sexuelle Anspielungen, und doch war solche Sehnsucht zu spüren gewesen … Samuel vermisste ihn so sehr, dass es ihn zerriss. Dazu kam die Unsicherheit, wie sie zukünftig miteinander umgehen sollten. Zuvor waren alle Regeln klar gewesen, jetzt mussten sie sich neu positionieren.
Samuel wartete ungeduldig, dass die Wachposten an der Grenze damit fertig wurden, ihn abzutasten und die Papiere zu überprüfen. Sobald sie ihn schließlich durchgewinkt hatten, verwandelte er sich und flog los. Nicht nach Brookdarn, wo Dylan und sein Rudel sonst lebten – und neuerdings auch Robin, den sie adoptiert hatten; obwohl er ein Falbkatzenwandler und kein Gepard war. Robins schwerreicher Vater, ein Nichtwandler, war aus tiefstem Herzen erleichtert, seinen ungeliebten Stiefsohn loszuwerden und hatte von sich aus Geld bereitgestellt, um den Umbau des Rudelhauses in Brookdarn zu finanzieren. Das Gebäude war ursprünglich für drei Personen ausgelegt gewesen und schon lange viel zu klein und eng. Der feine Herr wollte jedem denkbaren Skandal im Vorfeld entgehen. Untragbar, dass sein ehemaliger Sohn sich das Schlafzimmer mit zwei oder drei Geparden teilen müsste … Solange die Bauarbeiten in vollem Gang waren, wohnte das Rudel in einem schicken Hotel in der Innenstadt von Shonnam. Selbstverständlich auf Kosten des reichen Daddys.
Dorthin war Samuel unterwegs, denn Marcs Geburtstagsfeier fand da statt. Er kam sich etwas seltsam dabei vor, ohne Geschenk zu erscheinen. Bei Säugetierwandlern, die in Rudeln oder Herden lebten, hatte sich der Brauch eingebürgert, dass das Geburtstagskind seine Gäste beschenkte statt umgekehrt. Dylan hatte ihm den Gedanken dahinter erklärt: Das Rudel versorgte jedes Mitglied, fütterte und beschützte es. Nur ein Viertel von dem, was jeder Erwachsene verdiente, musste der Gemeinschaft übergeben werden. Wer seinen Geburtstag gesund und heil erleben durfte, was in einem Gebiet wie Shonnam keine Selbstverständlichkeit war, bedankte sich mit einer Feier, bei der gutes Essen und persönliche kleine Geschenke eine Rolle spielten. Es gab keine Verpflichtung, ein solches Fest auszurichten; wenn man allerdings nicht arbeitslos, krank oder anderweitig verhindert war, wurde es erwartet. Bei Kindern bis zum zwölften Lebensjahr wurde der Tag zelebriert, wie Samuel es auch kannte: Mit Kuchen, albernen Spielen und Geschenken für die Hauptperson. Er war gespannt, was ihn heute erwarten würde und unglaublich aufgeregt. Dylan. Er würde Dylan wiedersehen …
„Er kommt“, murmelten Daniel und Ron gleichzeitig, ohne aufzublicken. Jeder hatte den Adler gewittert, der auf sie zumarschierte, geführt von einer riechbar nervösen Hotelangestellten. Die Kleine war eine Steppenwölfin und mit Sicherheit genauso mit Horrorgeschichten über Steinadlerwandler aufgewachsen wie jedes andere Kind in Shonnam. Sams Nervosität war kaum weniger grell wahrzunehmen, besaß allerdings eher eine Komponente von sexueller Anspannung. Dylan unterdrückte nur mühsam das Grollen in seiner Kehle. Dieser Mann war sein. Nicht sein Eigentum, doch niemand durfte ihn für sich beanspruchen. Keiner wäre dumm genug, es zu tun, und dennoch spielten seine animalischen Instinkte verrückt, wenn er an ihn dachte. Zu lange hatte er ihn nicht gesehen, er würde sich sehr beherrschen müssen, um ihn nicht zu verletzen. Etwa, indem er gleich über ihn herfiel, kaum dass Sammy den Kopf durch die Tür steckte. Es würde vom Rudel keinen stören, nicht einmal den schüchternen Robin. Sam hingegen war kein Rudeltier. Niemand, dem Unterwerfung im Blut lag, gleichgültig, ob er sich freiwillig an ihn gebunden hatte oder nicht. Dylan musste vorsichtig sein, um ihn nicht zu brechen. Darum begnügte er sich mit einem flammenden Blick und einem Nicken, als Sam endlich im Raum stand. Das verwirrte seinen Adler kurz, aber er nahm es hin. Er verstand es und passte sich an. Sammy beherrschte dieses Spiel von Beobachtung und Adaption besser als jeder andere, den Dylan kannte. Wie stolz und unerschrocken er sich in diesem Raum bewegte, den Marc für seine Feier gebucht hatte! Und wie gut er aussah in der dunklen Jeans und dem schwarzen Hemd. Er begrüßte jedes Rudelmitglied mit Handschlag und einigen persönlichen Worten, ohne den geringsten Anschein von Verunsicherung wie am Anfang ihrer Bekanntschaft. Er gehörte dazu. Es machte Dylan glücklich, diese Vertrautheit zu spüren.
Einen Typen wie ihn gab es unter den Raubtierwandlern nicht. Ein in sich gekehrter Einzelgänger, der sich seiner Kraft vollkommen bewusst war und trotzdem keine Allüren bezüglich seiner Großartigkeit hegte und jederzeit gerne im Team spielte; der sich anpasste, falls nötig sogar unter Wert verkaufte, ohne dass es seinen Stolz verletzte. Das wäre bei sämtlichen Großkatzen, Wölfen, Bären einfach undenkbar. Bei den Vogelwandlern hatte Dylan einige kennengelernt, die ähnlich tickten. Hier, in Shonnam, war Sam einzigartig. Und er gehörte ihm. Eine Tatsache, die ihn noch immer verwirrte und in Nervosität versetzte, denn die bedingungslose Liebe und Treue über den Tod hinaus war für ihn befremdlich. Eine Bürde, wie er insgeheim befürchtet hatte, war es jedoch nicht. Sam machte es ihm leicht, er klammerte sich nicht an ihn, stellte keine Forderungen, rief nicht fünf Mal täglich an oder gab sich eifersüchtig dem Rudel gegenüber. Im Gegenteil: Gerade umarmte er Tyrell herzlich, ihren gemeinsamen Bruder, und plauderte leichthin mit ihm und Daniel. Mit Dylans ältestem Freund verstand sich Sam überraschend gut. Normalerweise öffnete sich Daniel nicht so problemlos und schnell für neue Bekanntschaften. Auch mit Cory und Aaron, den beiden jüngsten Rudelmitgliedern, sowie Ron hatte er seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Hyänen ein besonderes Verhältnis. Ohne Sam wäre Ron tot und Cory ein Krüppel. Lediglich Joe blieb zurückhaltend, was daran lag, dass sie einander bislang selten begegnet waren. Joe war Brückenbauingenieur und ständig unterwegs, zudem ein stiller Typ. Genau wie Marc, die Hauptperson des heutigen Abends. Ihn umarmte Sam mühelos, obwohl er bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem Rudel vor jeder Berührung zurückgeschreckt war. Dass die Jungs ihn überwältigt, gefesselt und mit Folter bedroht hatten, weil sie ihn für einen Feind hielten, hatte dabei nicht geholfen … Ein Glück, dass Sam nicht nachtragend war.
In diesem Moment platzte Rick durch die Tür. Der Löwe war wie stets nicht in der Lage, still oder unauffällig aufzutreten. Seine aggressive Alpha-Raubtier-Aura schwappte in unsichtbaren Wellen durch den Raum, sein laut grollender Bass ließ alle Gespräche verstummen. Er visierte Marc an und gratulierte ihm herzlich nachträglich zum Geburtstag, obwohl er das bereits getan hatte. Marc musste spürbar mit sich kämpfen, um sich nicht instinktiv fortzuducken. Er war ein eigenbrötlerischer Mann, der mehr mit Computern als Menschen anfangen konnte. Dennoch hielt er sich tapfer unter Ricks Aufmerksamkeit. An der Seite des Löwen schwebte Maggie dahin, in ein buntes Kleid gehüllt. Die hochgewachsene, sehr schmale Schleiereulenwandlerin, die beinahe das Opfer eines brutalen Mörders geworden wäre und von Rick gerettet wurde, wirkte wie stets ein wenig ätherisch. Sie hatte indianische Vorfahren, was an ihrem schwarzen Haar und den leicht exotischen Gesichtszügen erkennbar war. Eine Aura von Mystik und Düsternis umgab sie, was für Schleiereulen typisch war. Wie genau sie es geschafft hatte, einen Löwen für sich zu gewinnen, blieb ihr Geheimnis. Jedenfalls schien sie sich in Shonnam wohl zu fühlen und hegte keine offensichtlichen Ambitionen, in naher Zukunft ins Vogelwandlergebiet zurückzukehren. Maggie hatte sich einen Job als Tanztherapeutin gesucht, in einer Klinik für „Wandlungsphysiologische Bewegegungshemmungen“. Viele Kinder und Jugendliche hatten im Laufe ihrer Entwicklung mit Schwierigkeiten zu kämpfen, mal mit ihrer menschlichen, mal mit ihrer animalischen Natur. In den meisten Fällen kurierte sich das Problem von allein aus; manchmal brauchte es allerdings auch professionelle Unterstützung. Da Maggie eine ausgebildete Bewegungstherapeutin war – bei sich Zuhause hatte sie Tanzkurse für Erwachsene angeboten – und es an Fachkräften auf diesem Gebiet mangelte, hatte sie den Posten bekommen. Sie durfte lediglich mit Nicht-Raubtierwandlern arbeiten, um Aufstände der Eltern zu vermeiden. Es herrschten nach wie vor tiefes Misstrauen und Ängste speziell zwischen Eulen und Wolfswandlern. Weil Maggie mit der Säugetierphysiologie nicht vertraut war, kümmerte sie sich außerdem nur um jene Kinder, die mit ihren menschlichen Bewegungsabläufen Schwierigkeiten hatten. Das waren immer noch mehr als genug, um sie beschäftigt zu halten. Rick erzählte häufig, wie stolz er auf sie war, wie gut sie sich in einer Stadt einfügte, in der sie von beinahe jedem erst einmal feindlich gemustert wurde. Zudem war sie selbst traumatisiert, nachdem sie erst vor wenigen Wochen von einem Mörder entführt, brutal über Tage hinweg gefangengehalten und mit Folter und Tod bedroht worden war. Rick hatte sie befreit, doch das konnte nicht der einzige Grund sein, warum Maggie ihm treu blieb. Dylan vermutete, dass die recht spirituell angehauchte Frau vieles verdrängen konnte, was die meisten Menschen fürs Leben psychisch verkrüppelt hätte.
Im Moment umarmte sie Marc, gratulierte ihm herzlich, winkte entspannt in den Raum zu den anderen und verwickelte dann Sam in ein Gespräch. Dylan gönnte es ihr, obwohl er ungeduldig den Augenblick herbeifieberte, in dem er diesen Mann endlich in die Arme schließen durfte. Zu lange hatte er ihn vermisst. Ihre erste und bislang einzige Liebesnacht, die so vieles verändert hatte, schien Ewigkeiten her zu sein …
Als Sammy endlich vor ihm stand und ihn seine warme Witterung goldbraun umhüllte, durchlebte Dylan einen vollkommen verwirrenden Moment: Er hatte Sams Duft nicht nur in der Nase und optisch vor Augen, wie er es gewohnt war, gleichmäßig im beschleunigten Takt seines Herzens pulsierend; sondern er hörte ihn auch. Ein tiefer Klang, der ihn an Kraft, Stolz, rauschende Flügel, unerschütterlichen Mut und innere Ruhe denken ließ. An Sams Treue und Opferbereitschaft, seine unerschöpfliche Energie, wenn er der Spur eines Mörders nachjagte. Seine Wut, wenn er spürte, dass er bei den Ermittlungen etwas übersah. Sein Lachen und seine Aufrichtigkeit.
Seit seiner frühesten Jugend hatte Dylan Gerüche nicht mehr auf der hörbaren Ebene wahrnehmen können. Ein Verlust, den er bis heute bedauerte, denn seine Welt war dadurch ärmer geworden. Das hier war eine unglaubliche Erfahrung, die vielleicht drei Sekunden andauerte. Vermutlich würde sich das niemals wiederholen, doch er würde diesen Klang auch niemals vergessen. Diesen Ton, der Sam in seiner Gesamtheit ausmachte. Zutiefst ergriffen streckte er die Arme nach seinem Liebsten aus, der ihn geduldig beobachtet hatte, ohne ein Wort zu sagen. Er konnte nicht wissen, was gerade mit Dylan geschehen war, dennoch schien er zu spüren, dass es wichtig gewesen sein musste. Seufzend versank Sam in der Umarmung. Wie gerne würde er diesen anbetungswürdigen Mann an Ort und Stelle vernaschen!
„Ich hab dich vermisst“, flüsterte er ihm ins Ohr und presste ihn noch ein wenig näher an sich. Genug, damit Sam spüren konnte, wie gewaltig seine Wiedersehensfreude war. Dabei konnte er sich gleich vergewissern, dass es seinem Adler genauso erging, obwohl bereits seine Witterung keinen Zweifel an dieser Tatsache gelassen hatte.
„Heute Nacht gehörst du mir, mir ganz allein“, raunte er zwischen zwei heißen Küssen, die ihm regelrecht den Verstand raubten. Trotzdem gelang es ihnen in einem gemeinschaftlichen Kraftakt, sich voneinander zu lösen, gleichgültig, wie schwer es ihnen fiel. Natürlich starrten alle sie an, grinsten amüsiert und machten Witze auf ihre Kosten. Weder Sam noch ihn störte das.
Hand in Hand marschierten sie zu dem großen Tisch in der Mitte des Festraumes, suchten sich Sitzplätze und öffneten sich bereitwillig für die Gesellschaft der anderen. Immerhin war das hier Marcs Party.
Es gab gutes Essen, angenehme Musik, Unterhaltung mit Freunden und jede Menge Spaß. Samuel amüsierte sich prächtig, plauderte mit sämtlichen Anwesenden und verzieh Dylan die anzüglichen Berührungen und Bemerkungen, mit denen er ihn zwischendurch bedachte. Irgendwann winkte Marc ihn zu sich heran.
„Du weißt ja sicherlich, dass es bei uns üblich ist, dass das Geburtstagskind seinen Gästen etwas schenkt“, sagte er leicht verlegen. Samuel nickte aufmunternd und Marc fuhr fort: „Die anderen hab ich bereits auf dem Tag selbst beschenkt, beziehungsweise Dylan und Rick, als sie zurückgekommen waren. Du bist der einzige, der noch fehlt …“ Er streckte ihm einen Umschlag entgegen, den Samuel dankend annahm. Es kam ihm seltsam verdreht vor, ohne jeglichen Grund beschenkt zu werden. Fast wie Bestechung, gefälligst Marcs Freund zu sein, auch wenn ihm der Hintersinn dieser Tradition durchaus klar war. Aus diesem Grund verkniff er sich überflüssige „wäre nicht nötig gewesen“-Bemerkungen, die keinen interessierten, und öffnete den Umschlag. Er enthielt einen Gutschein, wie er auf den ersten Blick erkannte.
„Es ist mit Dylan abgesprochen“, versicherte Marc nervös, bevor Samuel nachschauen konnte, wofür der Gutschein galt. „Und es ist keine Pflicht, nur ein Angebot, okay?“
Verwundert klappte Samuel die schlichte und dennoch edel gestaltete Karte aus handgeschöpftem Papier auf.
„Gutschein für ein Sippenbrandzeichen“, stand darin.
Das kam unerwartet. Er wusste, dass Tätowierungen wie auch Brandzeichen bei Säugetierwandlern üblich waren, unabhängig von den Gattungen. Erst vor kurzem hatten Dylan und er einen Fall lösen können, bei denen die frischen Tätowierungen der Todesopfer der entscheidende Hinweis gewesen waren. Bislang waren ihm bei Dylan und seinem Rudel noch keine Abzeichen aufgefallen.
Als hätte Dylan diesen Gedanken gewittert, streifte er sich plötzlich das grüne Hemd über den Kopf und wandte ihm den Rücken zu. Unterhalb des linken Schulterblatts befand sich ein winziges Brandmal in Form einer Gepardentatze, vielleicht einen Daumennagel breit.
„Das hat jedes Rudelmitglied“, sagte er leichthin und zog sich wieder an.
„Wir haben darüber diskutiert“, mischte sich Marc erneut ein. „Du bist Tyrells Halbbruder, darum wirst du stets mit uns verbunden sein. Gleichgültig, wie sich das mit Dylan und dir entwickeln sollte … Und das Zeichen ist sowieso nur ein Symbol. Wer gehen will, kann das jederzeit tun und in ein anderes Rudel wechseln, ein eigenes gründen oder allein leben.“
Samuel spürte, wie alle angespannt auf seine Antwort lauerten. Ganz besonders Dylan. Ja, es war ein Symbol, das letztendlich keine Bindungskraft besaß. Oder irgendeine andere Kraft. Doch ähnlich wie ein Ehering steckte tatsächlich sehr viel Macht dahinter – die Macht des kollektiven Bewusstseins. Wenn jeder beim Anblick des Zeichens wusste, wer zu wem gehörte …
Samuel schaute auf, sah in die blauen Augen, die ihm die Welt bedeuteten, lächelte und nickte still. Worte waren überflüssig. Die machten die Dinge bloß unnötig kompliziert.
Das gemeinschaftliche Ausatmen sämtlicher Rudelmitglieder stimmte ihn glücklich.
Rick zückte sein Handy und brüllte hinein:
„Hast du Zeit und Lust, spontan vorbeizukommen?“
Auf einmal war sich Samuel nicht mehr vollständig sicher, ob das eine gute Idee gewesen war.
„Das ist Marcs Party, muss das jetzt sofort …?“, setzte er an. Dylan grinste breit.
„Du bist da und hast gerade Zeit. Morgen früh ruft dich vielleicht das Revier an und verlangt deine Rückkehr, weil zehn Psychopathen gleichzeitig ihr Unwesen treiben. Warum also nicht jetzt sofort?“ Er nahm ihn in die Arme und küsste ihn zärtlich. „Außerdem ist Robin ebenfalls da“, wisperte er. „Der Kleine hat höllische Angst vor dem Brandeisen und konnte sich bislang noch nicht dazu überwinden. Wir haben ihm versprochen, dass er das nicht machen muss, wenn er es nicht kann, aber er will so verdammt gerne dazugehören … Wenn er dir zuschauen kann und merkt, dass es nichts weiter Schlimmes ist, könnte das wirklich helfen.“
„Großartig. Ich soll also entspannt lächeln, während mir jemand ein glühendes Eisen auf den Pelz drückt?“, flüsterte Samuel zurück, halb im Scherz, halb ernst. „Und was, wenn ich mich blamiere und wie ein Baby zu heulen anfange?“
„Dann weiß Robin, dass das garantiert nichts für ihn ist und lässt es sein. Oder versucht es mit einer Kurznarkose, wie wir ihm auch bereits angeboten haben.“
Dylan grinste, bevor er ihm einen weiteren heißen Kuss verpasste und danach deutlich widerstrebend losließ. „Keine Sorge. Das mit dem entspannten Lächeln klappt vermutlich nicht, es ist trotzdem keine große Sache. Ich kenne dich schließlich auch schon ein bisschen. Du heulst garantiert nicht los, nicht bei einem solch kleinen Brandmal. Die Stelle wird auch betäubt.“
„Wenn du es sagst …“ Samuel seufzte innerlich. Ja, irgendwie war das keine gute Idee gewesen. Trotzdem würde er um nichts auf der Welt davor kneifen wollen.
Etwa eine halbe Stunde später erschien ein Waschbärwandler, der vom Rudel freundlich begrüßt wurde. Sein Name lautete Tobias, wie Samuel bereits erfahren hatte, und er war der einzige Tätowierer Shonnams, der eine offizielle Lizenz für Brandzeichen besaß. Es gab anscheinend genug Leute, die es auch ohne Lizenz und damit deutlich billiger anboten, doch sollten Komplikationen auftreten, stand man mit seinem Problem allein da.
Dylan sprach mit ihm, wies sowohl auf Samuel als auch mit vager Geste auf Robin. Der Kleine wirkte, als wollte er mit der Wand verschmelzen, seine Panik war nicht zu übersehen.
„Soll ich mit ihm reden?“, fragte Rick an Samuel gewandt. Einer der wenigen Momente, in denen der Löwe tatsächlich fast unhörbar leise flüstern konnte.
„Lass nur, das hätte keinen Sinn“, wisperte Samuel zurück. „Du würdest ihn höchstens noch mehr verschüchtern, sorry. Vielleicht genügt es, wenn er bei mir zuschaut.“ Dabei war ihm selbst ein wenig flattrig zumute und er hätte eine normale Tätowierung vorgezogen. Anscheinend erriet Tyrell seine Gedanken, denn er lehnte sich über den Tisch näher heran und sagte: „Das mit dem Brandzeichen stammt aus der Zeit, als Dylan und ich das Geld von der Vogelwandlerregierung bekommen hatten. An dem Abend, als wir gemeinsam mit Daniel in Brookdarn eingezogen waren, hatten wir das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen. Wir wollten unsere Freiheit, unser eigenes Stück Land und das sichere Dach über dem Kopf feiern und wussten nicht recht wie. Toby war da gerade beim Nachbarrudel unterwegs und hat das jüngste Mitglied tätowiert, wie wir zufällig wussten. Als er gehen wollte, haben wir ihn abgepasst und gefragt, ob er für uns ein Angebot hätte.“
Daniel, der neben ihm saß, lachte auf und fuhr dazwischen: „Wir waren echte Idioten und fühlten uns wie die Könige! Es war schon spät am Abend und Toby hatte schlicht keine Lust, sich mit drei übermütigen Teenagern rumzuärgern. Also sagte er, wohl um uns loszuwerden, dass er uns lediglich ein Brandzeichen anbieten könnte, ansonsten wäre er für das nächste halbe Jahr ausgebucht. Wir haben uns blöd angeglotzt und spontan Ja gesagt … Dylan musste einen Pfotenabdruck auf Papier hinterlassen, damit ist Toby wortlos abgezogen. Wir dachten, den sehen wir nie wieder, aber am nächsten Abend klopfte er mit einem frisch geschmiedeten Siegeleisen an unsere Tür. Danach haben wir uns nicht bloß wie Könige, sondern mindestens wie Kaiser gefühlt.“
Toby winkte in diesem Moment Samuel zu sich heran.
„Du machst das schon“, rief Tyrell und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. Noch einmal tief durchgeschnauft, dann stapfte Samuel in den Nebenraum, in dem Toby derweil die notwendigen Vorbereitungen getroffen hatte. Es war beruhigend, dass dies keine große Show werden sollte, bei der jeder zuschauen konnte; auch wenn den scharfen Nasen und Ohren keine Regung hier drinnen verborgen bleiben würde. Sollte er sich tatsächlich blamieren, würden alle es wissen …
Robin drückte sich unglücklich im hinteren Teil des Raumes herum. Er hätte ihm gerne versichert, dass es keinen Grund zur Sorge gab, doch selbst in seinem aufgelösten Zustand konnte Samuel keine Lüge vor ihm durchbringen.
„Kurz zum Ablauf“, sagte Toby und hielt das Eisensiegel hoch, das noch nicht erhitzt war und darum vollkommen harmlos wirkte. „Du erhältst eine örtliche Betäubung. Ein Spray, das für einige Minuten vorhält. Während ich dir das Siegel aufdrücke, musst du absolut still halten, dafür wird Dylan sorgen. Das Ganze ist auch für Männer mit stahlharten Nerven erschreckend, darum wird dieser Punkt nicht diskutiert – es zischt, es ist heiß, es stinkt und Feuer löst Urinstinkte aus, die schwer zu kontrollieren sind. Gefährlich ist es nicht, Kreislaufreaktionen sind dennoch nicht auszuschließen. Ich verpasse dir eine Verbrennung zweiten Grades. Das bedeutet, es werden nicht alle Gewebsschichten durchdrungen und du wirst für zwei bis drei Tage leichte Schmerzen haben. Ich könnte dir das Ding auch länger aufdrücken, aber dadurch würde sich die Gefahr schwerwiegender Infektionen aufgrund abgestorbener Hautpartikel extrem erhöhen. Da die Wundstelle nicht größer als ein Centstück ist, sollte ein tapferer Adler wie du keine Probleme haben. Außerdem gehört eine professionelle Wundversorgung zum Servicepaket dazu. Noch Fragen?“
„Ja“, erwiderte Samuel rasch, „und zwar zur Lokalisation des Mals. Unterhalb des Schulterblatts ist bei mir eher ungünstig, weil ich an dieser Stelle anschließend keine Federn mehr ausbilden kann.“
„Wir hatten uns damals für diesen Punkt entschieden, weil wir es über dem Herzen haben wollten, es aber auf der Brust in Gepardengestalt ungünstig gewesen wäre, um bequem liegen zu können“, sagte Dylan.
„Mir wäre die Brust eindeutig lieber.“
„Und mir ist es scheißegal, Hauptsache, wir diskutieren jetzt nicht die ganze Nacht“, brummte Toby. Er verkabelte ein seltsames Gerät, auf dem er das Siegel ablegte. Sofort begann sich das Eisen zu erhitzen und glühte schon bald in feurigem Rot. Ein beunruhigender Anblick …
Samuel setzte sich auf den Stuhl, den Dylan ihm bereit gestellt hatte, und öffnete sein Hemd. Toby desinfizierte einen großzügigen Bereich der Brust und sprühte genau über dem Herzen etwas auf, das scharf roch und schnell für Taubheit sorgte.
Dylan positionierte sich hinter Samuel und ergriff seine Arme. Nicht zu fest, es ging nur darum, ihn im Notfall zu sichern, damit er wirklich still hielt.
„Bereit?“, fragte Toby. Samuel nickte leicht beklommen. Toby ergriff das Siegeleisen mit einer seltsamen Vorrichtung und brachte sich in Stellung. Samuel spürte die Hitze, die von dem Brandeisen ausstrahlte. Er fixierte den Mann vor sich, starrte in dessen schwarze Augen, ohne zu blinzeln. Dann war es soweit. Druck. Hitze. Gestank von verbrannter Haut. Es zischte übelkeitserregend. Ein hohes Wimmern erklang aus Robins Richtung – der Kleine wusste, er war als Nächster dran.
Dylan sorgte gewissenhaft dafür, dass Samuel nicht unwillkürlich zuckte, doch das war kaum notwendig. Die örtliche Betäubung wirkte, er spürte lediglich ein leichtes Brennen und unangenehme Hitze. Nach endlos erscheinenden drei Sekunden zog Toby das Eisen zurück. Er begutachtete sein Werk zufrieden, während Dylan losließ. Zumindest die Arme, er legte ihm die Hände in einer beruhigenden Geste auf die Schultern.
„Sieht hervorragend aus“, verkündete Toby stolz. „Das wird eine bildschöne Narbe geben. Alles sauber, glatt, genau wie es sein soll.“
Samuel betrachtete das Brandmal mithilfe eines Spiegels, den Toby ihm vorhielt. Es stach in zornigem Rot von der übrigen weißen Haut ab. Dylans Zeichen. Er gehörte nun offiziell zum Rudel. Zur Familie. Viel zu lange hatte er keine Familie mehr gehabt, ohne zu wissen, wie sehr er genau das vermisst hatte. Die vergangenen vier Monate hatten ihn stärker und schneller verändert als irgendein anderer Zeitabschnitt seines Lebens zuvor. Er ergriff Dylans rechte Hand, die noch immer auf seiner Schulter lag, und drückte sie.
„Danke“, wisperte er aufgewühlt, schaute zu seinem Seelengefährten hoch. Ihm begegnete dieselbe Mischung aus Dankbarkeit, Stolz und Wärme, die er ebenfalls empfand.
Toby räusperte sich und zerstörte damit den innigen Moment, den sie teilen durften.
„Ehrlich, sobald ich fertig bin, könnt ihr Jungs euch gerne gegenseitig auffressen oder anbeten oder was auch immer. Aber jetzt muss ich erst einmal dieses Mal versorgen, klar?“
Samuel hielt brav weiter still, während Toby ein kühlendes Gel auftrug. Die Betäubung hatte inzwischen aufgehört zu wirken, dementsprechend pochte und puckerte es in der Wunde. Der brennende Schmerz war nicht unerheblich, doch da die betroffene Fläche so klein war, ließ es sich mithilfe des Gels gut ertragen. Sie wurde mit einem sterilen Verband abgedeckt, dann nickte Toby Dylan zu.
„Du weißt ja, wie es geht. Ich komme morgen Abend gegen zwanzig Uhr hier ins Hotel und schaue mir das Ganze noch mal an. Solltet ihr unterwegs sein, gebt mir bitte freundlicherweise vorher Bescheid.“
Samuel regte sich unbehaglich – um diese Zeit sollte er eigentlich längst wieder Zuhause im Vogelgebiet sein. Aus irgendeinem Grund fand er nicht den Willen, das anzumerken, darum schwieg er und wechselte lediglich einen Blick mit Dylan. Der grinste schmal, sagte auch nichts dazu.
„Okay, Kleiner – Robin, richtig?“ Toby wandte sich nun an den jungen Mann, der verschüchtert in einer Ecke kauerte.
„Du hast gesehen, gehört und gewittert, dass das keine große Sache ist. Also, wenn ein Adler das ohne mit der Nase zu zucken hinkriegt, schafft eine stolze Falbkatze wie du das mit links, oder?“
Das war sicher gut gemeint, doch Samuel wusste, dass Robin absolut nicht stolz auf seine Wandlergattung war. Seine Mutter hatte des Geldes wegen einen stinkreichen Nicht-Wandler geheiratet. Der wiederum wollte die schöne Falbkatze lediglich als Schmuckstück. Ihr Sohn war ein peinliches Ärgernis, mit dem der Stiefvater sich nie hatte arrangieren können. Es war bekannt, dass der Dreckskerl Robin schwer misshandelt hatte, ohne das je eingegriffen wurde. Dazu war er als Hochbegabter unter lauter Nicht-Wandlern aufgewachsen, die ihn für seine Herkunft wie seine Intelligenz hatten leiden lassen. Als Vertreter einer Gattung, die wenig wehrhaft und ausgesprochen niedlich war – Falbkatzen waren nicht umsonst die Ahnherren der Hauskatzen – war aus ihm jemand geworden, der sich vor seinem eigenen Schatten fürchtete.