Change for love - Sonja Amatis - E-Book

Change for love E-Book

Sonja Amatis

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Beschreibung

Kurzbeschreibung Ein Todesfall im Team. Sechs Tote zugleich. Ein Baby im Anmarsch. Und Geheimagenten im Haus. Bei Sammy und Dylan eskaliert einmal mehr alles gleichzeitig, und die Zeit arbeitet gegen sie … Ca. 55.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 275 Seiten.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Kurzbeschreibung

Ein Todesfall im Team. Sechs Tote zugleich. Ein Baby im Anmarsch. Und Geheimagenten im Haus. Bei Sammy und Dylan eskaliert einmal mehr alles gleichzeitig, und die Zeit arbeitet gegen sie …

 

 

Ca. 55.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 275 Seiten.

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

 

 

Prolog

 

Dylan berührte seinen Gefährten an der Schulter. Mit einer stummen Geste vermittelte er seinen Plan – er würde den linken Treppenaufgang nehmen, Sam den rechten. Sie wollten beide nicht hier sein, doch was blieb ihnen übrig? Gleichzeitig initiierten sie die Verwandlung. Natürlich war ihre Ankunft längst bemerkt worden, darum war Heimlichkeit irrelevant. Es ging ausschließlich um Geschwindigkeit … Und die Vernunft ihres Gegners.

Mit gewaltigen Sprüngen überwand Dylan jeweils einen Treppenabsatz auf einmal. Vierzig Etagen trennten ihn vom Dach. Nach dreißig wurde er langsamer, Geparde waren für den Sprint geschaffen, nicht für Ausdauerwettbewerbe. Er konnte hören, wie Sam auf der anderen Seite des Hochhaus-Rohbaus in Adlergestalt aufholte. Anscheinend war die Thermik nicht günstig, sonst wäre er längst drei Mal oben. Beim letzten Sprung schmerzten ihm sämtliche Muskeln so sehr, dass er für einen Sekundenbruchteil fürchtete, jeden Moment abzustürzen. Gleichgültig. Es trieb ihn voran. Er musste mit eigenen Augen sehen, was seine Nase ihm überdeutlich klarmachen wollte. Glauben konnte er es nicht. Er wollte es auch gar nicht.

Zeitgleich mit Sam erreichte Dylan das Dach. Sie verwandelten sich zurück, suchten meterweit voneinander entfernt Deckung. Dylan taumelte atemlos, er hatte sich überanstrengt, während sein Liebster nicht einmal wirklich erhitzt war. Mit aller Macht kämpfte er um Körperbeherrschung. Der Mörder erwartete sie. Jener Fremde, den er so gut zu kennen geglaubt hatte. Auch wenn alle Puzzleteile zusammenpassten und Dylan verstand, was die Beweggründe gewesen waren – es gab zu vieles, was er niemals akzeptieren würde. Und einiges, was er noch nicht verstand.

„Ihr hättet nicht herkommen sollen“, hörte er die Stimme des einstigen Freundes. „Ich wünschte, ihr hättet …“

„Spar dir die Worte!“, zischte Dylan. „Deine Lügen haben wir durchschaut. Jede einzelne davon.“

Die Antwort war ein ohrenbetäubender Knall. Ein Schuss. Er vergaß jede Vorsicht, blickte an dem Betonvorsprung vorbei, hinter dem er Deckung gesucht hatte. Fünf Meter von ihm entfernt sank Sammy getroffen in sich zusammen – und Dylan konnte nichts tun als hilflos zu schreien …

 

 

Kapitel 1

 

72 Stunden zuvor …

 

„Guten Morgen!“

Dylan zog die Nase kraus. Das einzig sichtbare Zeichen, dass er Samuels Gruß gehört hatte. Bis spät in die Nacht hatte er bei einem Notfalleinsatz helfen müssen. In einem der ärmeren Viertel von Shonnam hatten jugendliche Raubtierwandler gegeneinander gekämpft. Da Samuels Adlerwitterung die Stimmung weiter aufgeheizt hätte, war es ihm von Roy persönlich untersagt worden, bei dieser Aktion mitzuhelfen. Dementsprechend hatte er ruhelos daheim gewartet. Daheim – Brookdarn wurde mit jedem Tag mehr zu seinem Zuhause und das Rudel war seine Familie, die er nicht mehr missen wollte. Tyrell, sein jüngerer Halbbruder, hatte sein Bestes gegeben, um ihn abzulenken. Auch der ewig schweigsame Joe, der Computerfreak Marc, Ron und die Brüder Aaron und Cory hatte das ihre dazu beigetragen, dass Samuel nicht doch vor lauter Sorgen losflog, um seinem Gefährten zu helfen. Das wäre sowieso nicht gut gegangen, nachts war er schließlich kaum flugfähig.

Robin hatte die Unruhe in seinem Zimmer ausgesessen. Ihr rudeleigenes Genie hatte vor drei Wochen zugesagt, bei einem internationalen Projekt zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen der Wandlergenetik teilzunehmen. Dazu hätte er eigentlich für mindestens sechs Monate nach England gehen müssen, was für ihn vollkommen ausgeschlossen war. Da man auf sein Genie nicht verzichten wollte, durfte er von zu Hause aus arbeiten, ausgestattet mit jeder erdenklichen Technik und mit sämtlichen Kollegen vernetzt, die ebenfalls an dem Projekt beteiligt waren. Er kam oft nur stundenweise aus seinem Zimmer heraus, mischte sich dann allerdings mit offenkundigem Bedürfnis nach Nähe unter sie. Der Einzige, der in ihrer trauten Runde fehlte, war Daniel. Dylans ältester Freund, der aufgrund einer unverschuldeten Sucht nach der Horrordroge Invisible Shadow durch die Hölle gegangen war, hatte sich bei Dylans und Samuels letzten großen Ermittlungsfall verliebt. Eva, eine Mordermittlerin aus New York, war nach außen eher hart als herzlich und ganz bestimmt keine liebliche Elfe. Doch sie besaß ein großes Herz, war eine exzellente Ermittlerin und hatte sich ebenso in Daniel verliebt, wie es umgekehrt der Fall war. Irgendwie war sie dabei ungewollt schwanger geworden, darum hatte Daniel vor drei Wochen alles stehen und liegen lassen und war zu ihr geeilt. Er meldete sich sporadisch mit Kurznachrichten, dass es ihm und Eva gut ging. Wie es mit den beiden beziehungsweise den dreien zukünftig weitergehen sollte, stand noch in den Sternen. Eine weitere Sorge, die Samuel umtrieb.

Zum Glück war sein Liebster um zwei Uhr morgens heil und unversehrt zurückgekehrt. Es hatte Dutzende Verletzte unter den Jugendlichen wie auch Einsatzkräften gegeben. Ein sechzehnjähriger Kojotenwandler war gestorben, weitere Opfer schwebten noch in Lebensgefahr. Samuel begriff durchaus, dass die explosiven Naturen der Raubtierwandler, gepaart mit Arbeits- und Perspektivlosigkeit solche Vorfälle prädestinierten. Gänzlich nachvollziehen würde er es als Vogelwandler wohl nie können. Dem Himmel sei Dank war das auch nicht notwendig; er war einfach froh, dass weder Dylan noch einem Mitglied des Teams etwas zugestoßen war. Sein Liebster hatte lange gebraucht, um einschlafen zu können. Dementsprechend erschöpft war er jetzt, als Samuel versuchte, ihn mit Kaffee und Frühstück zurück ins Leben zu locken.

„Es ist bereits 10.23 Uhr. Die perfekte Uhrzeit, um aufzustehen und die Sonne zu begrüßen.“ Samuel setzte sich rittlings auf Dylans Bauch. Der trug lediglich ein mattes Lächeln, weil er zu müde gewesen war, seine Schlafshorts zu suchen. Normalerweise würde er jetzt zupacken, um auch Samuel von seinem Übermaß an Stoff zu befreien. Diesmal grunzte er lediglich unwillig.

„Hmpf. Komm in zwei Stunden wieder. Oder nächstes Jahr.“

„Du musst zur Mittagsstunde auf der Arbeit erscheinen, frei haben sie dir nicht gegeben. Erinnerst du dich? Du warst heute Nacht ein wenig ungehalten deswegen.“

„Du quatschst zu viel.“ Dylan versuchte, ihn von sich herab zu hebeln. Doch Samuel war als Adler ein wenig kompakter und schwerer gebaut als der gertenschlanke, wenn auch muskulöse Gepard unter ihm.

„Nun komm endlich, du Schlafmütze. Rick hat mich bereits angebrüllt, wo wir bleiben, der ist längst munter und quält sich durch die Berichte.“ Rick brüllte grundsätzlich am Telefon, es war ein durchaus freundliches Gespräch gewesen. Dylan schnaufte bloß, legte sich einen Arm über das Gesicht und schien bereit, einfach wieder einzuschlafen.

„Also, mein Lieber, so geht das nicht. Augen auf und fröhlich sein, der Tag ist schon halb rum!“ Mit voller Absicht rieb Samuel mit dem Hintern über die Morgenlatte seines Liebsten. Wenn auch das nicht helfen sollte, würde er sich geschlagen geben und ihm noch eine zusätzliche Stunde Schlaf gönnen. Aber diese Überlegung erwies sich als unnötig. Dylan verzerrte das Gesicht, ein sinnliches Seufzen drang über seine Lippen.

„Willst du nicht eventuell doch wach werden, mein Lieber?“, fragte Samuel neckend und intensivierte den Druck noch ein wenig.

„Das ist … unfair“, brachte Dylan mühsam hervor und umfasste ihn hart an der Hüfte.

„Ich hätte Gleitgel für dich. Und Kaffee für danach. Meiner Meinung nach ist das überhaupt nicht unfair. Im Gegenteil, manch sagenumwobener Märchenprinz hätte sich gewünscht, jeden Morgen auf diese Weise geweckt zu werden.“

„Sag mal, hast du Quasselwasser verschluckt?“ Dylan ließ den Arm sinken und starrte ihn vorwurfsvoll an, was schwierig für ihn sein musste, da Samuel ihm mittlerweile mit der Hand die Erektion bearbeitete. „Wo ist … Himmelnochmal! … die vogelwandlerische Schweigsamkeit hin… hingeflogen? Und wie bekomme ich sie … HerrgottSam! … wieder zurück?“

Statt einer Antwort reckte Samuel lächelnd die Tube mit dem Gleitgel in die Höhe. Sofort wurde jeglicher Vorwurf in den blauen Augen von funkelnder Gier ersetzt. Und als sie kaum zwei Minuten später im Gleichtakt miteinander verschmolzen den ewigen Rhythmus aufnahmen, bekamen sie beide, was sie wollten: Dylan war endlich wach und Samuel hielt brav den Mund … Außer, um gelegentlich leise zu stöhnen.

 

 

Nach gemeinsamem Frühstück und Dusche schauten sie kurz bei Robin vorbei. Der Kleine würde bis zum frühen Nachmittag allein im Haus bleiben. Das behagte Robin nicht allzu sehr, da Angriffe von umherziehenden, heimatlosen Wandlerrudeln durchaus möglich waren. Die Wahrscheinlichkeit dafür lag allerdings niedrig genug, dass er bereit war, das Risiko einzugehen. Er wirkte stets schreckhaft und zerbrechlich, deutlich jünger als er war und viel zu schwach und anfällig für ein jugendliches Raubtier. Auch wenn er als Falbkatze nicht einmal mit Geparden, geschweige denn größeren Wandlerrassen körperlich mithalten konnte, müsste er sich eigentlich nicht fürchten. Falbkatzen waren keineswegs schwach und normalerweise mit extrem viel Selbstbewusstsein gesegnet. Doch Robins gewalttätiger Stiefvater und eine Kindheit unter wandlerphoben Nichtwandlern hatten ihre Spuren hinterlassen. Dennoch war er widerstandsfähiger, als er wirkte. Das hatte er bewiesen, als er vor kurzem gemeinsam mit Sam in die Hände von Kriminellen gefallen und gefoltert worden war.

„Wie geht es voran?“, fragte Sam und klopfte dem Jungen freundlich auf den Rücken.

„Erstaunlich gut.“ Robin rief eine Weltkarte auf einem der Bildschirme zu seiner Linken auf, und ein Diagramm auf einem der anderen Monitore zu seiner Rechten. „Mit meiner ursprünglichen Aufgabe bin ich bereits fertig – meine These, dass alle Vorfahren der registrierten Wandler dieser Welt zur Stunde Null im Umkreis von fünfzig Meilen an den Meeresküsten gelebt haben, habe ich bewiesen. Bei zweiundneunzig Prozent derjenigen, die zur zweiten Generation nach der Stunde Null gehörten, nicht als Wandler registriert wurden, aber auch keine offiziellen Sterbedaten besitzen, demzufolge wahrscheinlich als Wandler untergetaucht waren, konnte ich nachweisen, dass sie zumindest während Kindheit und Jugend in Meeresnähe gewohnt haben. Diejenigen, die sofort gestorben sind, lebten in oder nahe einer Wüste, und das seit mindestens einer Generation. Bei 97,86 % der nachweisbaren Todesfälle innerhalb der ersten drei Wochen nach der Katastrophe handelte es sich um Auswanderer, die weniger als fünf Jahre fern ihrer wüstenähnlichen oder extrem trockenen Geburtsorte gelebt haben.“

„Und das hast du in solch kurzer Zeit ausgewertet? Jeden einzelnen registrierten Wandler dieser Welt?“ Sam runzelte die Stirn, während Robin bloß mit den Schultern zuckte.

„Dafür habe ich eine Handvoll Algorithmen entwickelt, vollen Zugang zu sämtlichen Einwohnerdaten weltweit habe ich durch meine Freigabe für dieses Projekt.“

Was auf zwei Ebenen beeindruckend war – wie lapidar Robin Algorithmen schreiben konnte und wie weitreichend die Rechte sein musste, die er erhalten hatte. Das war Dylan bislang auch noch nicht klar gewesen.

„Wofür stehen die gelben Balken in deinem Diagramm?“, fragte Sam. Er war stets bereit, Robins kompliziertes Gerede zu unterstützen. Nie sprach der Junge freier als in den Momenten, wo es um seine Thesen und Forschungen ging.

„Das sind Entwicklungsraten der ersten Spontanmutation. Ich versuche zu ergründen, wo das Phänomen der Wandlungsfähigkeit als erstes und mit größter Häufung aufgetreten ist. Diesen Ansatz verfolge ich mit mehreren Kollegen. Im Moment liegen einige Inselregionen im indischen Ozean nahe Südostasien vorne. Natürlich ist das schwierig zu beurteilen, weil es aus vielen Gebieten der Welt zu diesem Zeitpunkt keine verlässlichen Berichte und statistischen Daten mehr gibt. Eine achtzehnköpfige Gruppe des Projekts beschäftigt sich damit, aufgezeichnete Funksprüche, Videos, Briefe und sonstige Lebenszeichen auszuwerten.“

„Die alte These mit der kosmischen Strahlung ist endgültig vom Tisch, oder?“, fragte Dylan.

„Absolut. Was auch immer damals über die Menschheit gekommen ist, es stammt aus dem Meer. Ein riesiges Team an Biologen, Ärzten und diversen Wissenschaftlern versucht nun, Blut und Knochenmark von Wandlern zu analysieren. Man sucht Spuren von mikrozellulären Lebensformen, die die Ursache für das Geschehen sein könnten.“

„Und was ist dein aktuelles Hauptprojekt?“, erkundigte sich Sam.

„Sämtliche bislang gefundenen Daten sammeln, damit spielen und möglichst alles herausquetschen, was an Wahrheit zu erfahren ist.“

„Okay, dann wollen wir dich dabei nicht länger aufhalten. Wir sind weg, das Reich ist dein.“ Dylan klopfte ihm sanft auf die Schulter. Robins Witterung begann in leichtem Panik-Orange zu flirren, doch er blieb äußerlich ruhig und nickte.

„Viel Erfolg und bis heute Abend“, murmelte er.

„Der Junge macht sich“, sagte Sam leise, als sie außer Hörweite im Wagen saßen. „Es tut ihm wirklich gut, ein Rudel um sich zu haben, wo er nicht automatisch zum Omega degradiert wird.“

Eine strenge Rudelhierarchie wie bei vielen anderen Gruppen gab es bei ihnen nicht. Dylan war der Alpha. Der Beschützer, derjenige, der in Krisensituationen sagte, wo es langging. Wenn nötig, unterwarf sich jeder bedingungslos, sogar Sam – wie er bereits bewiesen hatte. War Dylan nicht vor Ort, übernahm Marc diesen Job, wahlweise auch Tyrell. Alle anderen waren mehr oder weniger gleichberechtigt. Aaron, Cory und Robin als jüngste und nicht erwachsene Rudelmitglieder hatten eine leichte Sonderstellung, wurden aber insgesamt weder bevorzugt noch benachteiligt. Vom Alter her war Robin auch bereits als Erwachsener anzusehen, er hinkte nur leider seiner sozialen und emotionalen Entwicklung hinterher. Was keinen von ihnen ernstlich störte.

„Glaubst du, dass die Unruhen heute Nacht weitergehen?“, fragt Sam wenig begeistert.

„Normalerweise ja, für gewöhnlich dauern solche Mini-Revolten zwei bis drei Tage an. Ich hoffe, es wird eine von denen sein, die sich direkt nach der ersten Runde ausbrennt. Die Chancen stehen schlecht, weil es bereits einen Toten gegeben hat. Das heizt den Hass auf die rivalisierende Gruppe an.“

„Trotzdem sind sie bloß schlecht, die Chancen, es ist nicht völlig aussichtslos?“, hakte Sam nach.

Dylan seufzte. „Wäre der Kojote durch Polizeigewalt gestorben, läge die Wahrscheinlichkeit für Frieden bei null. Dann hätten wir plötzlich zwei rivalisierende Truppen, die sich gegen die Polizei zusammenrotten würden. Warten wir ab, wie es sich entwickelt.“

„Ich hoffe einfach, dass du heute Nacht nicht wieder raus musst.“

Dylan konnte die intensive Sorge seines Gefährten wittern, gleichgültig, wie entspannt Sam aus dem Fenster zu blicken schien. Es war schön, jemanden wie ihn zu haben. Jemand, der ihn liebte, sich sorgte, aber nichts tat, um seine Freiheit zu beschneiden. Sam würde gar nicht auf die Idee kommen, ihm Vorhaltungen über seinen Job zu machen oder zu verlangen, dass er nicht zu solch gefährlichen Einsätzen ausrücken musste. Dass sie als Partner zusammenarbeiten konnten, ohne sich zu behindern, sondern im Gegenteil zu ergänzen, war die Krönung schlechthin.

Er strich stumm über Sams Bein. Einfach, um ihn wissen zu lassen, dass er seine Ängste verstand. Er wollte selbst auch nicht noch einmal in den Hexenkessel hinaus. Letzte Nacht hatten ihn seine Gepardenschnelligkeit, seine Reflexe und seine Sprungkraft mehr als einmal gerettet. Er hasste die Aufstände, die Shonnam in solch regelmäßigen Abständen erschütterten.

Sams Handy klingelte. „Das ist Rick“, verkündete er mit rollenden Augen und nahm das Gespräch an.

„Wo bleibt ihr, verdammte Scheiße?“, brüllte Rick. Seine sonore Löwenstimme füllte den gesamten Wagen aus. „Ihr müsst sofort kommen! Es hat eine Explosion gegeben. Jackson … Jackson ist tot!“

 

 

 

Kapitel 2

 

Samuel hatte das UMCPD, das United Mammal Changeling Police Departement von Shonnam, bereits hunderte Male betreten. So wie heute war es noch nie gewesen. Totenstille in allen Gängen und Büros. Er spürte die Anwesenheit der tausendvierzehn Menschen, die hier arbeiteten. Nicht einer von ihnen schien zu sprechen. Grimmige, niedergeschlagene, betroffene Blicke folgten ihm und Dylan, als sie das Treppenhaus emporhasteten. Sein Liebster bewegte sich, als hätte er einen Schlag auf den Kopf erhalten. Es gab keine Worte, um ihn zu trösten oder wenigstens aufzufangen. Jackson. Ausgerechnet Jackson! Der ruhige, besonnene Wolf. Er hatte Samuel sofort akzeptiert, als sie zum ersten Mal aufeinandergetroffen waren. Hatte ihn im Team willkommen geheißen, als erster, während Esther, Dave, die Leopardenzwillinge und sogar Rick ihm offen zutiefst misstraut und ihn sogar angefeindet hatten. Er hatte Samuel eine Dienstwaffe gegeben, was strikt verboten gewesen war. Hatte stets an seine Sicherheit gedacht. Sich für ihn eingesetzt, damit er an Dylans Seite arbeiten durfte. Ihm in jeder denkbaren Hinsicht den Rücken freigehalten. Alles für ihn getan, als Moody Samuel entführt hatte. So wie für ihn hatte er sich für jedes Mitglied des Teams aufgeopfert. Wie konnte Jackson plötzlich nicht mehr da sein?

Rick hatte sie hierher beordert, er selbst war noch nicht zum Ort des Geschehens aufgebrochen. Der Löwe stand mitten im Raum, als sie die Etage der Mordermittlung erreichten. Er hielt Esther tröstend im Arm, die hemmungslos weinte. Die übrigen Mitglieder des Teams standen um sie herum, jeder einzelne von ihnen bleich und sichtlich unter Schock.

„Was wissen wir bis jetzt?“, fragte Dylan leise und drängte sich trostspendend an Esthers breite Schultern.

„Bislang zu wenig. Es ist vor Stunden geschehen. Streifenpolizisten haben den explodierten Wagen vor seinem Haus gefunden. Das erste Team hat eine furchtbar zugerichtete Leiche aus dem Auto geborgen, das Nummernschild ist genug erhalten, um zu bestätigen, dass es ihm gehört hat. Die Gerichtsmediziner konnten oder wollten nicht einmal bestätigen, dass es sich bei dem Toten um einen Mann handelt. Die Reste des Wagens und von der Bombe befinden sich im Labor. Es muss eine gewaltige Explosion gegeben haben, mehr wollte man noch nicht sagen. Die Zeugenaussagen vor Ort bestätigen, dass Jackson in das Auto gestiegen ist, also brauchen wir uns keiner falschen Hoffnung hinzugeben.“

„Hatte Jackson in letzter Zeit irgendetwas getan, um die Syndikate zu verärgern?“, fragte Dylan sofort. Profianschläge dieses Kalibers gingen für gewöhnlich auf das Konto eines der drei großen Verbrechersyndikate, die Shonnam unter sich aufgeteilt hatten.

„Nicht, dass ich wüsste.“ Rick reichte Esther an Dave weiter, sie klammerte sich umgehend an den Fuchswandler. Die beiden arbeiteten als Partner zusammen und waren enge Freunde.

„Dein Zug, Dylan. Was geschieht jetzt?“, fragte Rick.

„Ich warte auf Roy“, erwiderte Dylan und zückte sein Handy. „Ohne unseren Einsatzleiter brauchen wir erst einmal eine neue Kommandostruktur. Und bis dahin …“ Er wählte die verhassteste Kurzwahlnummer aus seinem Speicher an – die seines Vetters Sid.

„Ich hab's gerade erfahren, mein Lieber“, erklang sofort die einschmeichelnd sanfte, wohlklingende Stimme von einem der gefährlichsten Psychopathen ganz Shonnams aus dem Lautsprecher. „Nora Lee und Leland, die Syndikatsherrscher im Südosten und Südwesten von Shonnam, bestätigen beide, dass keiner von ihnen die Hände im Spiel hat. Und ich hätte den Wolf niemals angepackt. Er war ein guter Mann. Jacksons Tod geht nicht auf unsere Kappe.“

Ohne ein Wort der Erwiderung drückte Dylan das Gespräch weg und steckte das Handy wieder ein. Bevor jemand etwas sagen konnte, ging ein Ruck durch jeden einzelnen von ihnen. Mit leichter Verzögerung spürte Samuel, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten und es in seinem Rücken zu kribbeln begann. Roy war auf dem Weg zu ihnen, der Polizeichef von Shonnam. Der Tigerwandler sprach durch seine bloße Nähe sämtliche Urinstinkte an. Er betrat den Raum, in dem schlagartig alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet wurde.

„Von der Gesetzeslage her dürfte niemand von euch in die Nähe des Tatortes“, sagte Roy leise. Seine Präsenz brachte jedes der Raubtiere hier dazu, sich unwillkürlich zu ducken, die Zähne zu fletschen und die Muskeln anzuspannen. Nicht aus Feindseligkeit, sondern als Reaktion auf das Übermaß an Testosteron, das der Tiger verströmte. Lediglich Rick kam ihm darin nahe, an dessen Präsenz sie allerdings gewöhnt waren. Roy war dafür noch nicht vertraut genug.

„Mir ist bewusst, wie wahnsinnig es wäre zu versuchen, dieses Gesetz durchzusetzen. Es wäre Zeitverschwendung, ein anderes Team mit der Ermittlung zu beauftragen. Darum nur eine Frage: Wer übernimmt Jacksons Aufgabenbereich?“

Alle Augen wandten sich Dylan zu, doch der schüttelte energisch den Kopf.

„Teamleiter ja; Leiter der Mordkommission nein. Ich kann keinen Job gebrauchen, der mir keine Zeit für mein Rudel lassen würde. Rick?“ Auch der Löwe schüttelte abwehrend den Kopf. Als Einsatzleiter saß man die meiste Zeit am Schreibtisch. Er war ein Jäger, der auf die Straße gehörte. Andernfalls hätte er sich nicht einmal Dylans Kommando unterworfen.

„Ihr könnt nicht alle einfache Indianer sein, es muss einen Oberhäuptling geben.“ Roy blickte sie der Reihe nach an, bevor er auf Esther zutrat. „Sie, meine Liebe“, sagte er in einem Ton, der Widerspruch unmöglich machte. Sie versuchte es dennoch.

„Sir, bei allem Respekt – ich stehe hier und heule mir die Augen aus dem Kopf. Das qualifiziert mich nicht gerade für einen solchen Job wie Jacksons.“

„Unsinn.“ Roy wedelte mit der Hand, vielleicht, damit das tiefe Knurren, das dieses Wort begleitete, weniger nach Morddrohung klang. „Sie als Frau sind aus hormonellen Gründen höherer Emotionalität unterworfen. Das heißt nicht, dass Ihre Führungsqualität eingeschränkt wäre. Auch wenn Sie erst die dritte Wahl hinter Dylan und Rick sind, halte ich Sie bestens geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen. Einfühlungsvermögen, strategisches Denken, Intelligenz, Erfahrung, das notwendige Wissen, Dienstrang und Durchsetzungsfähigkeit – das alles besitzen Sie in ausreichendem Maß. Es sei denn, einer der anwesenden Herren hat Probleme mit weiblicher Autorität?“ Roys Seitenblick galt Carl, dem jüngsten Teammitglied. Der Wolfswandler trat einen Schritt zurück, beide Hände hoch erhoben.

„Esther ist eine gute Wahl!“, versicherte er ebenso hastig wie glaubwürdig.

„Dann sind wir uns einig. Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung, Miss Bakersfield Lupus. Ich erwarte heute Abend vor Mitternacht den ersten Bericht.“ Roy wandte sich geschmeidig um und verließ den Raum. Jeder atmete erleichtert auf, bevor sich die Aufmerksamkeit auf Esther richtete. Die schluckte hart, straffte sich dann entschlossen und nickte in die Runde. „Dylan, Rick: Ihr untersucht den Tatort und Jacksons Haus. Sam: Du übernimmst die Luftaufklärung und unterstützt sie, wo du kannst. Mike, Larry: Ihr stürzt euch auf Jacksons Telefongespräche, Bankverbindungen und alles, was sich sonst noch über das Internet herausfinden lässt. Dave und Carl, ihr kümmert euch um die alten Ermittlungen. Der Mord an diesem Elchwandler ist noch nicht vom Tisch und hat Priorität. Koordiniert alle bisherigen Ergebnisse und übergebt den Fall an Sanders Team. Sobald das abgewickelt ist, meldet euch bei mir. Solltet ihr vorher benötigt werden, funke ich euch sofort an.“ Sie holte tief Luft, offenkundig bereit zu debattieren, sollte jemand ihren ersten Einsatzbefehl anzweifeln. Doch jeder nickte bloß und setzte sich in Bewegung, um ihren Anweisungen zu folgen.

Samuel blickte zurück, während er Dylan und Rick nacheilte, die bereits auf dem Weg zum Treppenhaus waren. Esther wirkte ein wenig verloren, wie sie mitten im Raum stand, die Fäuste geballt, den Blick zu Boden gerichtet.

„Wird sie es packen?“, flüsterte er zwei Etagen tiefer.

„Esther? Ohne jeden Zweifel. Man merkt es ihr nicht ohne weiteres an, aber sie hat einen Feldmarschall in den Knochen stecken“, brummte Rick. „Wenn sie erst einmal emotional damit fertig geworden ist, dass sie Jacksons Büro übernehmen, seine Klamotten in einen Karton räumen und alles der noch aufzuspürenden Familie übergeben muss, wird sie den Job perfekt ausfüllen können.“

Samuel nickte und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag. Den Mord eines Freundes zu untersuchen … Das war schlicht und ergreifend grausam.

 

 

Dylan musste Rick zurückhalten, als sie den Tatort erreichten. Er spürte, dass sein Freund ansonsten losgebrüllt und irgendetwas in Stücke geschlagen hätte. Das wäre menschlich, hätte die umstehenden Schaulustigen allerdings nicht gerade dazu gebracht, ihnen anschließend genaue Aussagen zu liefern. Dabei war ihm sichtlich selbst nach Schreien zumute. Die gesamte Situation war falsch, auf jeder denkbaren Ebene.

„Sam, schaffst du es, einen Blick auf die Leichenteile zu werfen? Vielleicht entdeckst du etwas“, murmelte Dylan. Samuel nickte tapfer und marschierte zu der Bahre hinüber, die sich noch immer im Wagen des Gerichtsmediziners befand. Man war weiterhin damit beschäftigt, Leichenteile zusammenzutragen. Einer der Pathologen war ein Streifenhyänenwandler und damit sicherlich ausgezeichnet geeignet, um diese Aufgabe zu erledigen. Die natürlichen Tiere waren eher Einzelgänger und besaßen neben hervorragender Nachtsicht einen noch empfindsameren Geruchssinn als Wölfe. Aas spürten sie auf mehrere Kilometer auf. Dennoch, auch mit höchst empfindsamer Nase musste es schwierig sein, aus diesem intensiven Gestank nach Rauch, verschmortem Gummi, brennendem Plastik, glühendem Metall und sonstigen Komponenten Jacksons körperliche Überreste aufzuspüren und von der Straße zu kratzen. Es war mehr als genug Sprengstoff verwendet worden. Nicht nur das Auto wurde regelrecht in Fetzen gerissen, wie mehrere Tatortfotos bewiesen, die ein Streifenpolizist ihnen ungefragt entgegenhielt. Es gab einen Krater von vier Metern im Umkreis und zwei Häuser in der Umgebung hatten Feuer gefangen. Zum Glück war sonst niemand verletzt und die Flammen waren in Windeseile unter Kontrolle gebracht worden.

Ein kurzer Blick in den Leichensack, den die Pathologen Samuel gewährten, genügte vollkommen. Es gab lediglich Einzelfunde von Knochen, Kleidungsfetzen und schwarz verbranntes Fleisch. Man war sich bislang nicht einmal sicher, ob es bloß ein oder mehrere Opfer waren. Ob es sich hierbei tatsächlich um Jackson handelte, musste ein DNA-Test beweisen.

Während Dylan und Rick sich mit dem Team der Spurensuche unterhielten, verwandelte sich Samuel und schwang sich in die Lüfte. Von oben war das Ausmaß der Zerstörung erst richtig sichtbar. Entweder hatte jemand Jackson so sehr gehasst, dass er ihn vom Angesicht der Erde ausradieren wollte, oder es war ein Amateur gewesen, der sich mit der für eine Autobombe erforderlichen Sprengstoffmenge verrechnet hatte. Samuel entdeckte zahlreiche Teile von Wagen, Bombe und der Leiche auf den umliegenden Dächern. Grimmig begann er sie zusammen zu klauben und flog sie Stück für Stück in die Tiefe, zu den jeweiligen Teams. Das war mühsam, entsetzlich anstrengend und kostete viel Zeit, in der Rick und Dylan mit jedem der Anwohner sprachen. Ihm als Adler hätte man vermutlich wie üblich nicht ausreichend vertraut, also war es gut, wenn er sich gar nicht erst an dieser Aufgabe versuchte.

Beinahe fünfzig Meter vom Tatort entfernt entdeckte er den Kopf in einem Apfelbaum. Er betrachtete ihn intensiv aus Adleraugen, bevor er ihn sehr vorsichtig zwischen die Klauen nahm und zu den Pathologen brachte, wo er sich zurückverwandelte.

„Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt“, meldete er Dylan, der sofort zu ihnen herüberkam.

„Im Prinzip ein schwarz verkohlter, dafür fast intakter Schädel. Die Form des Jochbeins und die Stirnpartie lassen vermuten, dass es ein erwachsener weißer Mann gewesen sein könnte“, erklärte der Pathologe emotionslos.

„Die Ausprägung des Kiefers spricht für einen Wolfswandler“, fügte Samuel hinzu.

„Wir haben bislang drei Anwohner gefunden, die Jackson gewittert haben, als er zu seinem Auto ging. Hier wohnen fast ausschließlich Wölfe und jeder der drei ist sich sicher, das war Jacksons Witterung. Er ist es, ohne Zweifel.“

Betroffen ließ Samuel die Schultern hängen. Irgendwie hatte er sich an die unsinnige Hoffnung geklammert, jemand könnte Jacksons Wagenschlüssel gestohlen und an seiner Stelle gestorben sein. Natürlich hatte er nicht daran geglaubt, in diesem Fall hätte Jackson sich schließlich längst bei ihnen gemeldet. Irrational gehofft hatte er trotzdem … Genau wie Dylan und Rick, es war ihnen anzumerken.

„Du siehst erschöpft aus“, sagte Dylan. „Lass die Fliegerei und schau dich schon einmal im Haus um. Wir kommen gleich nach, wir sind fast fertig.“

Nur zu gerne folgte Samuel dieser Aufforderung. Seine Arme und Schultern brannten tatsächlich vor Überanstrengung. Die Spurensicherung war bereits kurz im Haus gewesen, hatte die Tür mit Werkzeugen geöffnet und sich überzeugt, dass niemand dort drinnen war. Dementsprechend konnte Samuel ungehindert eintreten und sich umsehen.

Eine schusssichere Weste lag im Flur auf dem Boden herum, zusammen mit anderen Einsatzausrüstungsgegenständen, die Jackson in der Nacht bei dem Sondereinsatz benötigt und vermutlich vor Übermüdung einfach von sich geworfen hatte. Der Rest des kleinen Hauses, in dem er offenkundig allein gelebt hatte, befand sich in ordentlichem und sauberem Zustand. Viel hatte er nicht besessen, er war wohl kein Mann gewesen, der nutzlosen Tand anhäufte. Bücher entdeckte Samuel keine, auch keinen Fernseher oder Computer. Dafür waren gleich zwei Räume mit Sportgeräten ausgestattet und Fotos an den Schlafzimmerwänden bezeugten, dass er in seiner Freizeit gerne in den Bergen gewandert war. Es gab Bilder mit wechselnden Begleitern, wie sie lachend zusammen in Täler schauten, Wildwasser mit Kanus befuhren oder mit abgeschnallten Skiern im Schnee standen. Jacksons Freunde waren durchweg Wölfe, sie besaßen wie er das typisch scharf geschnittene Gesicht. Teure Laufschuhe befanden sich im Schlafzimmer, gleich drei Paare in unterschiedlichem Abnutzungsgrad, ordentlich nebeneinander aufgereiht. Offenkundig war Sport und Bewegung an der frischen Luft Jacksons ganze Leidenschaft gewesen. Passend für einen Wolf und absolut harmlos. Falls derjenige nicht gerade einen Syndikatsmord beobachtete, gab es keinen Grund, einen solchen Mann in die Luft zu sprengen.

Das Gefühl von Irrealität war erdrückend. Vor gar nicht langer Zeit hatte Samuel im Haus von Diana, seiner ehemaligen Vorgesetzten, ermitteln müssen. Da war ihr Mann das Opfer gewesen und auch das war bereits kaum erträglich intim gewesen – das Gesetz, das man nicht in Fällen ermitteln durfte, bei denen man die Opfer persönlich kannte, gab es aus gutem Grund. Samuel suchte weiterhin nach Details und Hinweisen. Nach allem, was ihm Jacksons Geschichte erzählen konnte.

Der Kühlschrank war gut gefüllt. Im Gegensatz zu mindestens fünfundneunzig Prozent aller Wandler hatte Jackson nicht ausschließlich vegetarisch gelebt, sondern einen Jagdschein für Kleinwild besessen, der gerahmt im Wohnzimmer hing. Kaninchen gab es nicht als Wandlerform. Das Schwellengesetz würde es nicht verhindern, vom Gewicht her wäre es möglich. Dennoch hatte es in über hundertfünfzig Jahren keinen bekannten Fall von Kaninchenwandler gegeben. Auch Rebhühner und Truthähne kamen ausschließlich in natürlicher Form vor. Ein Phänomen, über das man halbe Bibliotheken an wissenschaftlichen Abhandlungen verfassen könnte. Es ermöglichte den wenigen Hobbyjägern, ohne schlechtes Gewissen und Angst vor unbeabsichtigtem Wandlermord ihrem Vergnügen nachzugehen.

Im Gefrierfach fanden sich einige Fleischpakete, die die Aufschrift „Kaninchen“ und das Datum der Jagd trugen. Alles ordentlich und unauffällig, wenn auch für Samuel unangenehm befremdlich.

Im Wohnzimmer gab es einen Schrank, in dem Jackson die offiziellen Unterlagen für Steuern, Versicherungen und Verträge aufgehoben hatte. Er hatte stets alles pünktlich bezahlt, es gab keine Anzeichen von Schulden, wenn der letzte Kontoauszug nicht log. Er hatte Rechnungen für einen Kletter- und einem Bogenschießverein bezahlt. Entsprechende Ausrüstung hatte Samuel noch nicht entdeckt, als Dylan und Rick zu ihm stießen.

„Jackson hat mir davon erzählt“, sagte Rick. „Die Bogenausrüstung hat er im Vereinshaus in einem Spind eingeschlossen, damit er auch spontan in der Mittagspause dorthin gehen konnte. Der Kletterverein war eine ganz neue Sache, er hatte sich noch keine eigene Ausrüstung zugelegt. Die wollte er sich vom nächsten Gehalt leisten.“

Sie stockten alle drei. Die Tatsache, dass Jackson dieses Vergnügen nun nicht mehr haben durfte, machte alles begreifbarer, als ihnen lieb war.

„Haben die Nachbarn noch etwas Wichtiges ausgesagt?“, erkundigte Samuel sich rasch, um das Thema zu wechseln.

„Wenig“, erwiderte Dylan. „Er hatte nie Frauenbesuch, was einige Leute sehr verdächtig fanden.“ Dylan zuckte mit den Schultern. „Jackson hatte jung geheiratet. Seine Wölfin ist mit seinem besten Kumpel durchgebrannt. Danach waren Frauen für ihn gestorben. Er hat mir mal erzählt, dass er in seinem Gartenschuppen genug Pornos gelagert hatte, um ein eigenes Kino zu betreiben.“

„Gibt schlimmere Laster“, murmelte Samuel.

„Die haben einige seiner lieben Nachbarn auch allesamt aufgezählt. Wenn Gerüchte die Wahrheit wären, hätte der Mann also Sex mit Tieren, Kindern, anderen Männern und jedem denkbaren Gegenstand gehabt, außerdem grob geschätzt fünfhundert Leichen im Keller gestapelt, mit Drogen gehandelt und mit antiker Elektronik von vor der Stunde Null gedealt.

---ENDE DER LESEPROBE---