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Was sind denn Nachzehrer überhaupt, wird sich der eine oder andere Leser zurecht vielleicht gerade fragen. Sie sind eine eher seltene Unterart von niederen Dämonen, die lange nicht so bekannt ist wie zum Beispiel die Zombies, Werwölfe oder Vampire. Doch für die noch lebenden Menschen stellen sie eine eher noch größere Bedrohung dar, denn sie rufen nahe Verwandte, Lebenspartner oder gute Freunde zu sich, um ihnen dann deren Lebensenergie zu entziehen und irgendwann sogar zu töten.
Wir hatten bisher noch nie mit ihnen zu tun gehabt, worüber ich im Nachhinein sehr froh sein kann. Denn unsere Auseinandersetzung mit den Unterwasser-Nachzehrern von Gran Inglesia de Cantabria entpuppte sich nicht gerade als ein Zuckerschlecken für uns.
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Thorsten Roth
Clarissa Hyde
Band 91
Die Unterwasser-
Nachzehrer
Grusel-Roman
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2024
Lektorat/Korrektorat: Ingemar Goldberger
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau (OT), Gemeinde Oberkrämer. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.
Alle Rechte vorbehalten
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Clarissa Hyde
Die Unterwasser-Nachzehrer
Vorwort
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Nachwort
Folgende Clarissa Hyde-Bände sind bereits erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung
Was sind denn Nachzehrer überhaupt, wird sich der eine oder andere Leser zurecht vielleicht gerade fragen. Sie sind eine eher seltene Unterart von niederen Dämonen, die lange nicht so bekannt ist wie zum Beispiel die Zombies, Werwölfe oder Vampire. Doch für die noch lebenden Menschen stellen sie eine eher noch größere Bedrohung dar, denn sie rufen nahe Verwandte, Lebenspartner oder gute Freunde zu sich, um ihnen dann deren Lebensenergie zu entziehen und irgendwann sogar zu töten.
Wir hatten bisher noch nie mit ihnen zu tun gehabt, worüber ich im Nachhinein sehr froh sein kann. Denn unsere Auseinandersetzung mit den Unterwasser-Nachzehrern von Gran Inglesia de Cantabria entpuppte sich nicht gerade als ein Zuckerschlecken für uns.
***
Band 91
Julia Diaz wälzte sich nun schon seit mehr als zwei Stunden in ihrem Bett immer wieder hin und her. Erst hatte sie dabei für eine ganze Weile gar nicht einschlafen können. Als sie es dann doch endlich geschafft hatte, blieb die Unruhe in ihr jedoch erhalten. Nicht nur das, sie wurde sogar noch heftiger. Es war aber nicht nur diese Unruhe, dazu gehörte gleichzeitig eine gewaltige innere Anspannung, aber auch eine große Vorfreude.
Nämlich die Vorfreude darauf, ihren Vater hören, sehen und berühren zu können, wie es ihr in der vorherigen Nacht schon gelungen war. Das Ganze hatte jedoch einen großen Haken, denn ihr geliebter Vater war nun schon seit gut zwei Wochen verstorben.
***
Die Augen hielt die Achtzehnjährige dabei geschlossen, wälzte sich aber immer wieder hin und her, obwohl sie ihre Augen geschlossen hatte. Von einem entspannten Schlaf konnte daher absolut nicht die Rede sein. Ihr aktueller Zustand befand sich irgendwo zwischen Schlaf, Trance und sehr intensiven Träumen in denen sie der Mittelpunkt war.
Bestimmt kennt das der eine oder andere. Man hat einen schlimmen Albtraum und möchte unbedingt vor dem Bösen davonlaufen. Selbst unter der Bettdecke bewegt man die Beine und rennt und rennt, aber kommt dabei irgendwie gar nicht von der Stelle. Bei Julia war das aber anders. Sie lief in ihrem Traum nicht von etwas weg, sondern nur darauf zu, oder suchte verzweifelt nach etwas.
Und zwar nach ihrem Vater, den sie über alles liebte. Sie war ein Papa-Kind, während für ihren kleinen Bruder Tony eher die Mutter die wichtigere Bezugsperson von den Eltern war. Oder noch genauer, eigentlich war es für Tony sogar Julia selbst, denn sie war das große Vorbild für den gerade mal acht Jahre jungen Bruder. Und das noch ein wenig mehr, nachdem ihr gemeinsamer Vater vor gut zwei Wochen gestorben war.
Er war bei einem Unglück ums Leben gekommen, als nach heftigen Unwettern, Stürmen und erheblichen Niederschlägen ein Damm gebrochen und das Wasser aus einem Stausee ihr Dorf überflutet hatte. Zumindest zur Hälfte, aber alle Menschen, die sich gerade noch dort aufgehalten hatten, waren ums Leben gekommen. Unter ihnen war auch Pablo Diaz gewesen.
Die nächsten zwei Wochen hatte die Familie vorrangig mit Trauern verbracht, aber vor allem Julia hatte sehr darunter gelitten. Doch ihre Mutter Paula hatte die Familie auf Kurs gehalten, denn es musste schließlich selbst nach diesem Unglück irgendwie weitergehen.
Doch schon seit zwei Nächten war alles anders geworden. In der ersten Nacht hatte Julia nur die entfernten Rufe gehört, sie aber nur im Traum wahrnehmen können. Als sie dann in der Nacht mindestens zwei Mal davon aufgewacht war, waren die Rufe anschließend für sie nicht mehr wahrnehmbar gewesen. Am nächsten Morgen fühlte es sich dann nur noch wie ein Traum an, den man schnell wieder vergisst.
Doch schon in der vorherigen Nacht war es anders gewesen, denn da hatte Julia die Stimme nicht mehr nur in ihren Träumen gehört, sondern sogar nach dem Aufwachen weiterhin. Und das hatte gleichzeitig alles verändert.
Nun wartete sie absolut begierig darauf, sie erneut zu hören. In ihrem Traum lief sie auf und ab, als könnte sie diese Stimme dadurch wiederfinden. Doch noch hatte sie niemanden gefunden. Aber lange dauerte es nicht mehr, dann erklang diese Stimme, die sie so gut kannte und über alles liebte.
»Julia!«
Da war es wieder, die Stimme rief nach ihr.
»Julia!«
Diesmal etwas lauter und eindringlicher, aber immer noch so liebevoll, wie sie ihren Vater kannte.
»Julia!«
Diesmal waren die Töne deutlich weiter in die Länge gezogen, als ob die Stimme enttäuscht wäre, bisher immer noch keine Antwort erhalten zu haben. Konnte ihr das Mädchen überhaupt antworten?
Die Stimme hatte sie nicht wirklich akustisch gehört. Es war eher so, als wäre sie nur in ihrem Kopf aufgeklungen. War es reine Einbildung, geschuldet der übergroßen Zuneigung zu ihrem verstorbenen Vater?
»Julia!«
Nicht mehr so langgezogen, aber etwas energischer, als ob diese Stimme nun nicht mehr zulassen wollte, dass sie weiterhin ignoriert wurde. Julia wollte sie natürlich überhaupt nicht ignorieren, sie sehnte sich geradezu nach dieser Stimme. Noch mehr nach ihrem Vater selbst, doch seine Stimme war immerhin ein Anfang.
»Ja, Papa, ich höre dich«, antwortete sie jetzt.
Dabei sprach ihr Mund die Worte wie ein Flüstern aus, während sie selbst noch immer schlief. Aber wenigstens das ständige Herumwälzen im Bett hatte immerhin jetzt ein Ende gefunden. Julia hatte ihr Ziel erreicht, sie hatte die Stimme wiedergefunden. Aber das war noch nicht alles, sie wollte mehr. Und die Stimme ebenfalls.
»Ja, mein Liebling«, antwortete die Stimme jetzt ganz butterweich und ließ die Tochter dadurch dahinschmelzen, die sogar im Schlaf eine wohlige Gänsehaut auf ihren Armen zu spüren glaubte.
»Papa, wo bist du?«, rief sie telepathisch nach ihrem Vater, denn sie wollte zu ihm.
»Du musst zu mir kommen!«
»Wie kann ich das machen?«
»Du musst aufwachen!«
»Wie kann ich das?«
Eine kurze Pause setzte ein. Die Stimme schien etwas zu überlegen, oder sie machte diese Pause nur aus rein dramaturgischen Gründen. Jedenfalls sprach sie plötzlich weiter, diesmal jedoch deutlich lauter und in einem viel bestimmteren Tonfall.
»Wach auf!«
Julia gehorchte und setzte sich sofort in ihrem Bett auf. Es war fast dunkel in ihrem Zimmer, nur etwas Mondlicht drang gelegentlich durch die nicht völlig blickdichten Vorhänge hindurch. Das Fenster stand außerdem offen und sorgte für eine Frischluftzufuhr. Es war zwar noch Spätsommer, aber in dem kleinen Bergdorf in den Kantabrischen Bergen im Norden Spaniens war es lange nicht so heiß wie in den Touristenhochburgen an den vielen Stränden des Landes.
Trotz der Dunkelheit hatte Julia keine Probleme, sich nach dem Aufwachen sofort zu orientieren. Sie stand aber nicht direkt auf, sondern lauschte erst noch einmal tief in sich hinein. War die Stimme noch immer da?«
»Papa, kannst du mich hören?«, dachte sie und sprach es gleichzeitig leise aus, die Antwort kam jedoch wieder non-verbal zu ihr.
»Ja, mein Liebling. Komm zu mir! Ich möchte dich sehen, um dich wieder in meine Arme schließen zu können.«
Da war sie wieder diese Stimme. Es war vielleicht noch in Ordnung, wenn man die Stimme von geliebten, verstorbenen Menschen im Traum hört. Aber in der Realität? Woher kam sie? Wie konnte sie mit Julia überhaupt kommunizieren, ohne sich im Zimmer oder in der Nähe zu befinden? Und war es wirklich ihr geliebter Papa?
Für Julia bestand daran kein Zweifel. Sie hatte ihn sogar schon wiedergesehen, gestern war dies das erste Mal seit etwas längerer Zeit passiert.
Bei der Trauerfeier waren die Särge leergeblieben, denn die zehn Leichen der Opfer der Flutkatastrophe waren nie gefunden worden. Aber um den Hinterbliebenen den Abschied zu erleichtern und ihnen einen Ort zu geben, an den sie immer wieder gehen konnten, um zu trauern, hatte man diese leeren Särge der Erde übergeben.
Julia kam das inzwischen wie eine Farce vor, denn sie wusste schließlich, dass ihr Vater nicht wirklich tot war. Nicht tot sein konnte, denn sie hatte ihn gesehen und nicht nur telepathisch mit ihm gesprochen. Sie hatte erneut seine große Liebe zu ihr gespürt, was sie die letzten beiden Wochen so schmerzhaft vermisst hatte.
Sie sehnte sich nicht nur geistig danach, sondern auch körperlich. Das Verlangen nach ihm war wie eine Sucht, welche aber stärker als jede Rauschgiftsucht werden konnte. Julia konnte sich ihr nicht entziehen, sie wollte es außerdem überhaupt nicht.
»Was soll ich machen?«, fragte sie ihn, diesmal nur noch telepathisch, da sie sich an diese Art und Weise der Kommunikation inzwischen angepasst hatte.
»Komm zu mir!«
»Wohin?«
»Zum Wasser, zur Kirche!«
Vielleicht hätte diese Antwort nicht jede Person verstanden, Julia tat es jedoch. Sie wusste genau, wohin sie gehen sollte, denn sie hatte es gestern schon einmal genauso gemacht. Trotzdem war die gestrige Nacht bereits weit weg für sie, denn ihr ganzes Leben hatte sich seitdem grundlegend verändert.
Anziehen würde sie sich nicht, aber sie schlüpfte immerhin in ihre Lieblingshausschuhe, die in ihrer Form an Pinguine erinnern sollten und daher solche darauf abgebildet waren. Sie hatte diese Pantoffeln von ihrem Vater vor sechs Jahren als Weihnachtsgeschenk erhalten und trug sie immer noch.
Der Stoff war bereits an einigen Stellen kaputt und das weiche Innenleben schaute heraus. Die rechte Sohle war ebenfalls schon mehr kaputt als heile. Aber für kein Geld der Welt würde Julia ihre Schuhe eintauschen wollen.
Ihr Vater hatte sie versehentlich mehr als eine Größe zu groß eingekauft, sonst würde sie heute gar nicht mehr in sei hineinpassen. Inzwischen hatten sich diese Pingutreter, wie Julia sie gerne nannte, noch ein ganzes Stück geweitet. Denn nur so hielten sie immer noch dem Druck der über die Jahre ständig weiterwachsenden Füße der jungen Frau stand.
Paula, Julias Mutter, hatte schon mehrfach darüber gesprochen, unbedingt neue Hausschuhe zu besorgen, doch bisher war sie damit immer abgeblitzt. Ihr Mann hatte die Tochter dabei mit seinen Argumenten noch gut unterstützt, doch jetzt lebte er nicht mehr. Er würde seiner Tochter nie wieder neue Hausschuhe kaufen können und sie würde diese Kinderschuhe wahrscheinlich noch bis ins hohe Alter tragen wollen.
Eigentlich war es jetzt schon zu kalt, um nur in einem Pyjama und mit den Hausschuhen nach draußen zu laufen, wo ständig ein kühler Wind durch das Tal hindurch zog. Doch das war Julia egal. Sie wollte zu ihrem Vater, dafür war ihr jedes Risiko recht und keine Unannehmlichkeit zu groß. Sie dachte dabei nicht mehr logisch, sondern ihr Verlangen und ihre Sucht diktierten ihre Gefühle und ihr logisches Denken.
Dabei war Julia früher mal sehr gut in der Schule gewesen und hatte mit einem Medizinstudium geliebäugelt. Doch seit zwei Wochen waren alle diese Überlegungen meilenweit entfernt und spielten keine große Rolle in ihrem Leben mehr. Die vielen depressiven Phasen der letzten Zeit waren erst wieder mit den ersten Kontaktversuchen ihres Vaters beendet worden.
Julia schlich die Treppen hinunter, die im ersten Stock mit Teppichböden ausgelegt waren, so dass ihre Schritte deshalb kaum Lärm verursachten. Sie kam am Zimmer ihres kleinen Bruders vorbei, der immer etwas lauter atmete, was Julia diesmal gar nicht zur Kenntnis nahm. Sie schaute nicht einmal zum Zimmer ihres Bruders, sondern ging einfach weiter und daran vorbei.
Selbst am Zimmer ihrer Mutter ging sie schnell vorbei und nahm ohne weiteres Zögern die Treppe nach unten. Hier musste sie etwas vorsichtiger sein, denn die Treppe war nicht mehr mit Teppichstoff gedämmt.
Julia wusste jedoch, wo die Stufen knarrten, es war ja nicht das erste Mal, dass sie die Treppen hinunterschlich. Das kennt wahrscheinlich jeder Teenager aus seiner Zeit im eigenen Elternhaus, wobei es jede Menge unterschiedlichster Gründe dafür geben mag.
Julia dachte nicht extra darüber nach, sie dachte ohnehin nicht wirklich. Sie handelte nur aus ihren Gefühlen und ihrem Verlangen heraus, ihr Verstand war gerade wie ausgeschaltet. Es war nur ihre Routine, die sie lautlos bis zur Haustür kommen ließ.
Leise drehte sie den Schlüssel herum und schlüpfte hinaus, ohne sich noch wenigstens eine ihrer Sommerjacken vom Haken zu nehmen. Selbst die Tür ließ sie achtlos offenstehen, als sie sich vom Elternhaus entfernte, ohne noch einmal einen weiteren Blick zurückzuwerfen.
Es war dunkel, denn der Mond kam gerade nur selten hinter den vielen Wolken hervor. Es regnete in diesem Tal nur eher selten, denn meistens verloren die Wolken ihre Ladung bereits auf dem Weg in die Berge hinein. Daher blieb es heute ebenfalls trocken, obwohl die Wolken darauf zu warten schienen, ihre Flüssigkeit irgendwo abregnen lassen zu können. Sie würden es schaffen, wenn es wieder höher in die Berge ging.
Ansonsten gab es nur noch Licht von den Häusern der Ortschaft, von denen allerdings nur ungefähr die Hälfte noch bewohnt und deshalb beleuchtet war. Die hübsche Straßenbeleuchtung, die es früher hier in La Gran Inglesia de Cantabria mal gegeben hatte, konnte inzwischen nicht mehr genutzt werden.
Das lag daran, dass das Dorf zweigeteilt war. Die eine Hälfte, auf der linken Seite der Landstraße gelegen, die das Dorf in der Mitte teilt, war noch ganz normal. Sie lag deutlich höher, als die andere Hälfte, die sich komplett unter Wasser befand.
Das große Unglück hatte alles überflutet und die früher schon übliche Zweiteilung durch die Hauptstraße noch einmal bestätigt. Die meisten Leitungen der früheren Straßenbeleuchtung und das kleine Rathaus hatten sich im anderen Teil des Dorfes befunden und lagen damit unter Wasser.
Bisher hatte sich noch niemand so wirklich darum gekümmert. Es gab nicht einmal mehr eine Verwaltung, denn der Bürgermeister und zwei Mitglieder des Dorfrates hatten ebenfalls zu den Opfern gehört.
Vielleicht würde sich die Ortschaft irgendwann mal wieder von diesem Unglück erholen, doch noch lag dieser Tag in weiter Ferne. Die Überlebenden hatten genug mit der Neuausrichtung ihrer eigenen Leben zu tun, niemand wollte sich gerade um neue Leitungen für die Straßenbeleuchtung kümmern.
Immerhin hatten sich die verbliebenen Dörfler darauf einigen können, die Lampen an ihren Wohnhäusern über die Nacht hindurch brennen zu lassen, so dass es nicht völlig dunkel war. Man dachte dabei mehr an Reisende, die sonst vielleicht von der Landstraße abkamen und in den neuen See oder in eines der Häuser rasten.
Für Julia sorgte dies dafür, dass sie hinter sich eine Art von Halbkreis aus künstlichen Lichtquellen wusste, während vor ihr alles in nahezu perfekter Dunkelheit lag. Das störte sie jedoch nicht, denn sie kannte den Weg. Sie würde ihn immer finden, denn ihr Vater würde sie nicht unterwegs verunglücken lassen, während sie sich gerade auf dem Weg zu ihm befand.
Allerdings sprach er gerade nicht mehr mit seiner Tochter, worüber die aber nicht nachdachte. Vielleicht kostete es ihn zu viel Kraft, ohne damit die Frage zu beantworten, wie ein Toter überhaupt nach seiner Tochter rufen und mit ihr sprechen konnte. Woher kam dieser Ruf überhaupt?
Das wusste Julia und lief selbstbewusst und zielsicher darauf zu. Sie fror nicht einmal, obwohl die Temperaturen von gerade einmal ungefähr neun Grad viel zu kalt für ihr aktuelles Outfit waren. Mal davon abgesehen, dass sie sich in Grund und Boden geschämt hätte, nur im Pyjama und ihren kindlichen Hausschuhen von einem der anderen Dorfbewohner entdeckt zu werden.
Da bestand jedoch kaum eine Gefahr, denn es ging bereits auf 2 Uhr in der Nacht zu. Um diese Zeit war niemand in dieser Ortschaft mehr auf den Beinen und das Nachtleben war zum Erliegen gekommen. Viel davon hatte es vor dem Unglück ebenfalls nicht gegeben, doch nun war es komplett Essig damit.
Aber über all das dachte Julia nicht nach, als sie sich auf den Weg in Richtung Hauptstraße begab. Es ging dabei stetig bergab, denn nur durch ihre exponierte Lage war diese Hälfte des Dorfes verschont geblieben. Von hier aus hätte man eigentlich einen schönen Blick auf den See gehabt, der den meisten Betrachtern allerdings nur einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Das Mädchen machte sich darüber keine Gedanken, denn sie konnte den See noch nicht einmal sehen, obwohl sie sich keine fünfzig Meter mehr davon entfernt befand. So dunkel war es gerade. Nur eine schwarze Fläche lag vor ihr, aus der lediglich der Kirchturm wie ein Mahnmal herausragte, der dieser Ortschaft überhaupt erst ihren Namen eingebracht hatte.
Auf diesen Kirchturm bewegte Julia sich zu, weiterhin ohne ihn erkennen zu können. Doch sie wusste genau, was sie tun musste, um zu ihm zu gelangen. Dabei bewegte sie sich wie in Trance und sehr gleichmäßig, fast so als wäre sie ein Roboter.
Die Hauptstraße hatte sie nun erreicht und konnte sie, selbst ohne auf den Verkehr zu achten, sicher überqueren. Niemand war mehr unterwegs, so dass die extreme Stille um sie herum schon wieder laut wirkte.
Auf der anderen Seite der Ortschaft ging es steil bergab, noch extremer als drüben. Es gab zwei asphaltierte Straßen, einen Radweg und eine Treppe, wobei alles nach wenigen Metern unter Wasser lag. Man konnte jedoch einfach den Hang hinabklettern, was aber am gefährlichsten war. Man konnte leicht abrutschen und ins Wasser fallen oder sich dabei irgendwo den Kopf stoßen.
Wäre Julia jetzt gestolpert und irgendwo angeschlagen, man hätte sie frühestens am nächsten Morgen wiedergefunden. Würde sie dabei bewusstlos ins Wasser fallen, so wäre das wahrscheinlich ihr Todesurteil. Sie konnte nicht darauf hoffen, wie so mancher Schiffbrüchiger von der Flut an einen Strand gespült zu werden.
Hier gab es keine Strömungen, keine echten Gezeiten, keine Wellen und meistens viel zu wenig Wind, um das Wasser in einem größeren Umfang in Bewegung zu versetzen.
Inzwischen konnte Julia wenigstens das Wasser unter sich erkennen. Sie konnte es riechen und sie konnte es fühlen. Außerdem fühlte sich die Luft in der Nähe des neuen Sees noch kälter an, was einen normalen Menschen zum Frösteln gebracht hätte.
Julia jedoch nicht, während sie einfach den Hang hinabrutschte. Entlanggehen konnte sie den Abhang nicht, der hier mit Gras und Moos bedeckt war.