Dandelia Dorca und das Ungeheuer von Loch Ness - Marlies Lüer - E-Book

Dandelia Dorca und das Ungeheuer von Loch Ness E-Book

Marlies Lüer

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Beschreibung

Dandelia braucht dringend eine Auszeit! Sie ist von all der selbst auferlegten Nicht-Zauberei und den nervigen Exeter-Müttern so gestresst, dass ihr permanent schwindlig ist. Oliver packt daher seine Familie in ein Wohnmobil und düst ab nach Schottland, um dort einen alten Freund zu besuchen: Ranald Todd, Herr von Aldourie Castle am Loch Ness.

Es werden unvergessliche Ferientage, um es vorsichtig auszudrücken. Das Schicksal verteilt die Karten neu und ihre kleine, scheinbar heile Welt droht völlig zu zerbrechen.

Dandelia und Oliver müssen mehr denn je zusammenhalten und gegen einen übermächtigen Gegner kämpfen.

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Dandelia Dorca und das Ungeheuer von Loch Ness

 

 

 

© 2020 Marlies Lüer

Urban Fantasy

Band 3 der Dandelia-Dorca-Reihe

 

 

c

 

Band 1: Das wahre Leben der Dandelia Dorca

Band 2: Dandelia Dorca und die Wunschkekse

Band 4: Dandelia Dorca und der Drachenkönig von Anterra

 

Impressum

 

Marlies Lüer, Esslinger Str. 22, 70736 Fellbach

www.Silberworte.de

 

Cover: Renee Rott, Dream Design

Illustrationen: Pixabay License, freie kommerzielle Nutzung,

 

Inhaltsverzeichnis

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Nachwort

 

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Waldi, mit vollem Namen Waldemar Waldmeister, seines Zeichens Schulterdrache einer avalonischen Hexe, war genervt – und an dieser Stelle kann man ungestraft sagen, dass er tierisch genervt war. In doppeltem, wortwörtlichem Sinne. Einerseits ließen die beiden Katzen ihm keine Ruhe und spürten ihn ständig auf, um ihn spaßeshalber durch die Gegend zu jagen, andererseits rumorte in ihm die, wenn man es höflich formulieren will, Unausgeglichenheit von Dandelia. Es war schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit, hier etwas Frieden zu finden oder mal in Ruhe den Kühlschrank zu inspizieren. Er beneidete Blodwen-Rosalie, die er zärtlich Rosi nannte, um ihren Menschen Oliver, der sie wiederum Wendi nannte – alles sehr kompliziert hier. Der hatte zwar auch ein gewisses magisches Potential, aber er war es gewohnt, nicht zu zaubern oder nur minimal. Daher war er ruhig und ausgeglichen. Dandelia hingegen war eine Vollbluthexe, die nicht mehr zaubern durfte, wenn sie nicht als andersartig auffallen wollte. Allein um Artans willen, der hier ganz normal aufwachsen sollte, bemühte sie sich mit aller Kraft, den Alltag magielos zu bewältigen. Alles, was an Magie, die ihrem Körper und Geist innewohnte und unablässig kreiste, rauschte, brizzelte und schöpferischen Ausdruck finden wollte, staute sich an, in einem solchen Ausmaß, dass es auf ihn überschwappte. Und dann noch die blöden Katzen, denen er nicht mal mit einem gezielten Feuerstoß Manieren beibringen durfte! Waldi sehnte sich aus ganzem Drachenherzen zurück auf die Insel, zurück in die gute alte Zeit. Er hatte zwar hier zwischen den Häusern auch einen kleinen Wald, wenn man denn die Handvoll verwilderter Bäume und Büsche so nennen wollte, doch dies war kein Vergleich mit Avalon und den ausgedehnten Wäldern der Insel. Mehr als die Hälfte war dort von Mischwald bedeckt. Und es gab einen wundervollen, steinigen Strand an der Nordwestseite der Insel, wo es sich trefflich sinnieren ließ über die verschiedenen Formen und Farben der rundgeschliffenen Kiesel. Seine bevorzugte Zeit war dafür der frühe Abend gewesen. Er liebte es, den Sonnenuntergang zu betrachten und den Aufwind der Klippen zu nutzen. Tja, alles vorbei. Nicht mal jedes Wochenende wurde die Standuhr genutzt, um mal wieder auf Avalon ganze Tage und Nächte zu verbringen. Nein! Der Junge sollte ja ein möglichst normales Leben haben und sich anpassen können … ebenso Dandelia als seine Mama, die sich unter andere Mütter mischen musste. Und er, Waldi, musste jedes verdammte Mal zuhause bleiben und von seiner Lieblingshexe getrennt die Stunden und Minuten zählen, bis sie wieder daheim war und er auf ihrer Schulter seinen angestammten Platz einnehmen konnte. Und alles nur deswegen, weil er einmal, wirklich nur ein einziges Mal (!) geniest hatte, während er – selbstverständlich mit einem Unsichtbarkeitszauber versehen – auf ihrer Schulter saß inmitten von Exeter-Müttern, die über die angesagtesten Nagellackfarben, Friseure und die Lehrer ihrer Kinder plauderten. Da hätte Dandelia sich doch eine Ausrede einfallen lassen können, als plötzlich Rauch über ihrem Kaffeebecher hing und die Papierserviette in Flammen aufging. War das etwa seine Schuld, wenn diese Frauen sich parfümierten und ihre Haut mit unfassbar kräftig riechenden Substanzen einrieben, die sie euphemistisch als Bodymilk bezeichneten? Wozu diente das überhaupt? Mit Milch hatte das jedenfalls nichts zu tun. Als Waldi auf dem Höhepunkt seiner täglichen Selbstmitleidstour angelangt war, schlich sich Mr. Spock von hinten an. Der Kater hatte unbemerkt die Eibe erklommen, wo der Drache sich sorgfältig versteckt hatte. Aber nicht sorgfältig genug … Mr. Spock spannte seine Muskeln an, fuhr seine Krallen aus und hieb mit diebischer Freude auf den Schwanz des Drachen ein – ohne ihn ernsthaft zu verletzen natürlich, sie lagen ja nicht im Streit, es war für ihn nur ein Spiel. Waldi reagierte wie erhofft. Der Drache fiepste erschrocken und fiel fast vom Ast. Wütend flatterte er mit seinen Flügeln, um das Gleichgewicht zu halten. Doch Mr. Spock versetzte ihm noch einen Stoß in die Seite, sodass der Drache nun wirklich vom Baum plumpste und in den Gleitflug überging. Unten wartete schon Flöckchen auf ihn, die in unnachahmlicher Eleganz zwischen zwei Salbeibüschen saß, im Rücken ein blühender Rosmarin, und das Schauspiel mit gelassener Miene betrachtete. Allein ihr zuckender Schwanz verriet, dass sie Gefallen an dem Spektakel hatte.

„Das nächste Mal brenne ich dir ein Loch in den Pelz, du blöde Katze!“, giftete Waldi, flog einen Scheinangriff auf den Kater und zwickte ihn kräftig ins Ohr, bevor er durch die Katzenklappe ins Wohnhaus verschwand. Hier war er zwar Dandelias brodelnder Aura ausgesetzt, aber wenigstens dort, wo er von Natur aus hingehörte: Auf ihrer Schulter. Er flog direkt durch in die Küche. Zärtlich knabberte er an ihrer Ohrmuschel, doch sie wischte ihn unwirsch mit einer bemehlten Hand, an der auch Nudelteig klebte, von sich herunter. Indigniert flog er mit zwei Flügelschlägen zur Fensterbank. Von dort aus zeigte er ihr demonstrativ den Rücken und starrte genervt nach draußen auf die Straße.

„Lass mich jetzt. Muss mich konzentrieren, ich mache Ravioli.“

Sie rädelte ein großes Rechteck aus und löffelte portionsweise die noch heiße Füllung aus zermanschtem Kürbis und rotem Paprika auf die halbe Fläche, legte die andere Hälfte darüber und drückte sie ringsum fest. Dandelia griff wieder zum Rädchen und teilte das Nudelrechteck in sechzehn Stücke. Dann wollte sie sie hübsch ordentlich auf eine Platte legen, bis es an der Zeit wäre, sie zu garen. Und wieder riss der zu dünne Nudelteig, klebte am unbemehltem Holzbrett fest und die Füllung quoll heraus.

„Ach, verdammt! Warum bekomme ich das nicht hin?“

Waldi schwieg. Waldi war ein kluger Drache.

Entmutigt schlug Dandelia mit der Faust auf die Arbeitsplatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass in etwa zehn Minuten der Laden für die Mittagspause schließen würde und Oliver und ihre Eltern zum Essen kämen. Kurzentschlossen ließ sie heißes Wasser in einen großen Kochtopf laufen und murmelte dabei ihr Mantra nicht zaubern, nicht zaubern. Während es auf dem Herd vor sich hin brodelte, warf sie gekörnte Gemüsebrühe aus dem Glas hinein und schließlich mit beiden Händen all die zerrupften, geplatzten, zermanschten Ravioli samt Füllung und auch restlichen Teig, den sie wütend in Stücke rupfte, um sich abzureagieren. Zuletzt quetschte sie die halbvolle Tube Tomatenmark aus und rührte es unter. Ihre Nasenflügel bebten. Waldi unternahm einen zweiten Versuch, ihr nahe zu sein. Dieses Mal streichelte sie über seinen Rücken und lehnte kurz ihre Schläfe an seinen Kopf. Stumm deckte sie den Tisch. Vier Suppenteller, vier Löffel. Ein rundes Holzbrett in die Mitte, für den heißen Topf. Suppenkelle. Fertig. Eine Träne lief ihr über die Wange, dann noch eine und noch eine … Rasch wischte sie die verräterischen Spuren ab und setzte ein künstliches Lächeln auf, atmete tief durch, denn sie hörte, wie die Hintertür geöffnet wurde und ihre Familie über den Flur auf die Küche zuging. Alle bis auf Artan, der erst um halb fünf Schulschluss hatte. Sie stellte den Herd aus und begrüßte ihre Eltern, Nora und Balian, die vorübergehend über dem Laden wohnten.

„Hallo mein Mädchen, ich soll dir sagen, Oliver kommt sofort nach, wir sollen ruhig schon ohne ihn anfangen.“

„Okay, Mum. Dad, würdest du bitte die Katzennäpfe füllen? Ich habe das vergessen.“

Balian nickte freundlich und griff zum Trockenfutter. „Für die Drachen auch?“

„Nein, die bekommen Rührei mit Schinken.“

Dandelia stellte den Topf auf den Tisch und nahm den Deckel ab, füllte schweigend drei Teller. Die Drachen bekamen ihr Essen neuerdings auf der breiten Fensterbank, einige Meter entfernt von der Katzenfutterstelle. Waldi machte sich sofort über seine appetitlich duftende Portion Ei her. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Balian begehrliche Blicke auf sein Rührei warf, nachdem er einen Blick auf seinen Teller mit dem Menschenfutter getan hatte. Vorsichtshalber ließ Waldi ein leises Grollen für eine Sekunde durch seine Kehle donnern. Dandelias Vater zwinkerte ihm amüsiert zu und begann, seine eigene Mahlzeit zu löffeln.

„Entschuldige bitte meine Verspätung, Liebes“, bat Oliver, der wenig später in die Küche trat und sich auf den freien Platz setzte. Wendi stieß sich von seiner Schulter ab und flog auf die Fensterbank. Waldi unterbrach kurz seine Mahlzeit, um ihren Gruß, Nase an Nase, zu erwidern.

„Sollte es heute nicht Ravioli geben?“, fragte er arglos und füllte seinen Teller mit … ja, womit denn? Sollten diese Klumpdinger etwa …?

„Ist Suppe nicht gut genug für den feinen Herrn?“, fauchte Dandelia ihn an. „Das ist Raviolisuppe, sieht man doch!“

„Schon gut, schon gut! Ich darf doch wohl mal fragen.“ Skeptisch beäugte er das Durcheinander auf seinem Teller.

Nora warf ihm einen warnenden Blick zu und gönnte sich ein klitzekleines Grinsen. Ihr Schwiegersohn hatte es mit ihrer temperamentvollen Tochter wirklich nicht leicht. Sie bewunderte seinen Langmut.

„Übrigens, weshalb ich zu spät bin … ich habe gerade mit Ranald Todd telefoniert. Er fragt, ob wir nicht mal ihn besuchen wollen in den Schulferien. Was hältst du davon?“

Dandelia legte den Löffel neben den Teller und straffte ihre Schultern. Wegfahren? Richtige Ferien machen? „Das wäre großartig. Aber wer ist dieser Ranald?“

„Ein alter Freund von mir. Wir waren zusammen auf der Universität. Und haben sie zusammen abgebrochen.“

„Und wo wäre das?“

„In Schottland, in der Nähe von Inverness.“

„Das ist sehr weit weg von hier“, schaltete sich Balian ein. „Werdet ihr fliegen?“

„Ich hatte an ein Wohnmobil gedacht. Will mir Zeit lassen, hier und da einen Stopp einlegen.“

„Was ist ein Wohnmobil?“, fragte Dandelia neugierig. Ihr Vater kannte offenbar so ein Ding, denn er nickte anerkennend und befand es offenbar als eine gute Idee.

Oliver schaute sie erst verwundert an, aber dann fiel ihm ein, dass sie ja noch nicht viel von der normalen Welt gesehen hatte, seit sie Avalon vor gut zwei Jahren verlassen hatten. „Das ist ein großes Auto, in dem man auch schlafen und kochen kann. Ideal für kleine Familien. Ich stelle mir das so vor: Von hier nach Stonehenge, was dich interessieren dürfte, das dauert etwa zwei Stunden, sind knappe neunzig Meilen. Dort machen wir dann das übliche Touristen-Tam-Tam und die erste Pause. Artan muss sich ja erst daran gewöhnen, denke ich. Also, an das Stillsitzen im Wagen. Dann wieder zwei Stunden Fahrt nach London. Über die A303 und die M3, sind so um die fünfundachtzig Meilen. In London suchen wir uns einen Campingplatz zum Übernachten am Stadtrand. Hab keine Lust auf noch mehr Mautgebühren und Low-Emission-Zone-Antrag. Wir fahren mit dem Bus in die Innenstadt. Was möchtest du dort gerne sehen? Außer Big Ben, Westminster Abby und dem London Eye.“

„Oh, ich weiß, ich weiß! Da gab es doch neulich eine Sendung drüber. Ich will die geführte Harry-Potter-Tour machen! Das geht mit dem Boot oder der U-Bahn. Das London Eye ist mit dabei. Ich möchte auf jeden Fall in der Winkelgasse einkaufen. Ich brauche magische Polierpaste für meinen Ring.“

Nora schaute sie mitleidig an. Das Mädchen tat sich manchmal schwer, Realität und Fantasie auseinanderzuhalten. Konnte man ihr auch nicht verdenken. „Du meinst in Wirklichkeit Leadenhall Market, wenn du Winkelgasse sagst.“ Nora griff zur Kelle und füllte sich den Teller erneut. Schmeckte gar nicht so übel. Sah nur übel aus. „Möchtet ihr, dass wir die Katzen versorgen, während ihr weg seid? Wir hatten ohnehin vor, noch etwas länger bei euch zu bleiben.“

„Nur, wenn wir euch nicht zur Last fallen“, ergänzte Balian.

Dankbar strahlte Oliver seine Schwiegereltern an. „Das wäre super. Ich möchte sie nicht gerne mitnehmen. Spöckchen und Flöckchen müssten ja ansonsten die meiste Zeit im Transportkorb verbringen, das will ich ihnen nicht zumuten.“

„Willst du den Laden während eures Urlaubs schließen, oder magst du ihn uns anvertrauen? Du weißt ja, wie viel Spaß ich am Verkauf habe“, bot Balian an.

„Nicht nur Spaß, du hast auch Erfolg bei der Kundschaft. Nicht nur bei der weiblichen, du alter Charmeur. Mir ist aufgefallen, dass die männlichen Kunden dich schnell als Ratgeber anerkennen.“

„Nun ja, meine Zauberkraft ist ja weitestgehend erloschen, aber ein wenig Einflussnahme ist mir geblieben. Das geht etwas über Empathie hinaus, ehrlich gesagt. Meistens schaffe ich es, die Kunden aktiv, aber unbemerkt, zum Kauf zu bewegen“, gestand Balian. „Nora, was meinst du dazu, wollen wir zwei Hübschen es wagen und den Turteltauben eine sorglose Zeit schenken?“

„Gern. Da bin ich dabei, was denkst denn du? Ich kann auch, falls ihr das möchtet, mich um den Garten zwischen den Häusern kümmern. Da fehlt Struktur und Pflege, die Pflanzen fühlen sich nicht wirklich wohl. Zu viel Schatten durch die drei dominanten Eiben. In Findhorn habe ich viel gelernt, auch, mich mit Pflanzendevas in Verbindung zu setzen. Da könnte ich sicher etwas erreichen.“

„Wird dir die ganze Arbeit auch nicht zu viel?“, fragte Dandelia ihre Mutter und hoffte inständig, dass Nora verneinen würde. In der Tat winkte diese lässig ab.

„Wie lange wollt ihr fortbleiben?“

„Zehn, zwölf Tage, mehr ist leider nicht drin.“

Plötzlich merkten die Menschen, dass sie von den Drachen angestarrt wurden, während die Katzen aber tiefenentspannt waren und sich gegenseitig das Fell putzten.

„Was ist? Wollt ihr mehr Rührei?“, fragte Oliver.

Dandelia aber schüttelte ihren Kopf und wurde blass. „Es geht nicht ums Fressen. Sondern um die Reise! Oliver, können wir überhaupt die Drachen mitnehmen?“

„Oh. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht, ehrlich gesagt. Ihre Gegenwart ist mir selbstverständlich geworden.“

„Typisch! Nicht über uns nachgedacht!“, beschwerte sich Waldi.

„Ihr könnt sie unmöglich alleinlassen. Das wäre unnatürlich. Wir legen ja selbst unseren magischen Schmuck niemals ab, auch nicht im Schlaf“, meinte Balian.

„Aber was, wenn sie gesehen werden?“, zweifelte Dandelia.

„Wieso? Du kannst sie doch mit einem Unsichtbarkeitszauber belegen.“

„Oliver! Du weißt doch, dass ich mir geschworen habe, nicht mehr zu zaubern. Du hast sicher nicht vergessen, in welch unangenehme Situationen wir schon geraten sind, weil ich mich nicht beherrschen konnte.“

„Du brauchst nicht weiterzureden, Liebes, ich erinnere mich allzu gut“, wehrte Oliver ab, was ihm einen giftigen Dandelia-Blick einbrachte, den er gekonnt ignorierte. „Doch das hier ist was anderes. Eine Ausnahme, die du dir erlauben solltest. Natürlich werden Waldi und Wendi uns begleiten. Allein schon deswegen, weil Artan es uns nie verzeihen würde, ließen wir sie hier zurück.“

Als die Schulterdrachen seine Worte vernahmen, entspannten sie sich.

„Dir täte es gut, wieder mal Magie abzulassen, Dandi-Maus.“

„Nenn mich nicht so!“

„Wenn Normalsterbliche Dampf ablassen, tut es ihnen auch gut.“

„Ach, wenn das so ist, dann übernimm du doch die Bügelwäsche. Dann kannst du mit dem Bügeleisen Dampf ablassen. Musst nur vorher Wasser reintun.“

Vom Fensterbrett ertönte ein leises Knurren. Dandelia blickte Waldi beschämt in die Augen und senkte ihren Kopf.

„Bitte entschuldige, Oliver. Es geht mir nicht gut.“

Liebevoll legte er seine Hand auf ihre und drückte sie leicht.

„Wir werden einen Weg finden für dich.“

Hätte Dandelia in diesem Moment in seine Augen geschaut, so hätte sie dort Zärtlichkeit und einen Hauch Sorge gesehen.

 

-2-

Einige Tage später saß Dandelia mit befreundeten Müttern von Artans Schulkameraden beim monatlichen Brunch. Sie trafen sich für gewöhnlich im „Daisy Café“ gegenüber der Schule, besuchten aber manchmal auch das „Boston Tea Party Exeter“, wo es wunderbare Blaubeer-Smoothies gab. Dandelia erinnerten diese stark an Avalon, denn wann immer ein Kind der Insel kränkelte, so bekam es unweigerlich von Doria einen bitteren Stärkungstrank verabreicht, der genau diese Farbe hatte, die allerdings nicht von Blaubeeren kam, sondern von kleinen, blauen Käfern, die nur auf Avalon lebten und eine belebende und parasitenreinigende Wirkung auf Menschen hatten. So gesehen, war es nicht verwunderlich, dass Dandelia lieber eine Erdbeermilch trank, wenn sie sich dort trafen. Heute aber waren sie im „Daisy“, wo sie sich wohler fühlte, vor allem, wenn sie im Außenbereich waren, so wie jetzt. Die Sonne war mild, der Frühling ging langsam in den Sommer über.

„Bald sind Ferien. Fahrt ihr weg? Wir wollen aufs Land zu den Großeltern“, meinte Ella.

„Wir stellen uns schlauer an“, sagte Olivia und grinste breit. „Wir bringen die Kinder zu den Großeltern aufs Land und fahren zu zweit in die Ferien. Endlich mal wieder in Ruhe shoppen gehen, in Bars abhängen und ausschlafen.“

„Wir mieten uns ein Wohnmobil und fahren nach Schottland“, erzählte Dandelia und war froh, nicht abseits zu stehen und zum Gespräch etwas beitragen zu können.

„Nach Schottland? In Zeiten des Brexits? Die sind doch so pro Europa, ich finde, die Schotten sollten wieder ihren Hadrianswall hochziehen“, ließ Amy verlauten. „Was sagst du denn zum Megxit?“, wollte sie von Dandelia wissen, die heute ungewöhnlich still und blass war.

„Zum was?“

„Na, Meghan Markle! Sie ist doch wohl ganz alleine schuld, dass Prinz Harry sich vom Königshaus abwendet. Findest du nicht auch? Das ist doch so eine blöde Tussi!“

„Und total gewöhnlich!“, ergänzte Olivia mit vollem Mund, die gerade ihre vierte Portion Rührei mit Speck verschlang. Ihre Lippen und das Kinn glänzten fettig und sie schnaufte ein wenig beim Essen.

Grace gab zum Besten, dass sie Herzogin Kate und Prinz William sowieso schon immer lieber gemocht hätte. Nur Ella hielt dagegen, die für Meghans und Harrys Freiheitsdrang volles Verständnis aufbrachte und auch ehrliche Sympathien für die neue Herzogin hatte. „Denkt doch mal daran, wie es Prinzessin Diana ergangen ist! Harry will doch nur seine Frau schützen.“

Gloria, die Mama von Toby, Artans bestem Freund, schaute Dandelia mit schmalen Augen listig an. Sie witterte ihre Chance.

„Ja, Dandelia, sag uns doch, wie du über den Megxit denkst.“

Dandelia hatte Kopfschmerzen und rieb sich die Schläfen. „Die sind mir alle sowas von egal. Ich kenn die doch gar nicht.“

„Was? Bist du etwa keine Royalistin“, empörte sich Amy und auch Olivia und Grace hielten inne und starrten Dandelia an. Ella nutzte ihre Chance und stibitzte den letzten Scone von der Etagere und verpasste ihm ein üppiges Sahnehäubchen.

„Doch, doch. Lang lebe der König! Klar, bin ich Royalistin wie ihr.“

Für einen Moment war alles still. Gloria schielte nach unten auf ihre perfekt manikürten Hände und erlaubte sich ein kleines, fieses Grinsen.

„Queen Elisabeth! Wir haben eine Königin, bitte sehr!“, rief Amy vorwurfsvoll.

„Ach, nicht der mit den Ohren?“, entgegnete die Hexe ahnungslos. „Ich dachte, der ist König.“

„Sag mal, unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen?“, fragte Olivia und die überzarte Ella sah aus, als wolle sie gleich in Ohnmacht fallen.

Avalon ist eine Insel und kein Stein, hätte Dandelia fast gesagt, konnte aber alles hinter „Ava“ noch schnell herunterschlucken und sagte dann: „Ich bin in einer Kommune aufgewachsen, meine Eltern waren sowas wie Hippies. Wir … lebten sehr abgeschieden.“

„Kommune?“, echote Gloria. „Und was hast du da so gemacht?“

„Getöpfert.“

Das war nicht mal gelogen. Dandelias Leben war in der Tat immer ein abgeschiedenes gewesen. Zuerst bei der alten Gerwen im unteren Wald, dann oben in der Hütte, wo sie sich als Erwachsene ein eigenes Nest am Rande des Bergwalds geschaffen hatte. Erst mit Oliver und Artan hatte sie echte Gemeinschaft erlebt und dauerhafte Geborgenheit.

„Ah, der Klassiker, sie hat brav getöpfert!“, gurrte Gloria vieldeutig und legte einiges an Spott und Häme in ihre Stimme. „Darin bist du sicher eine Expertin.“

„Ja, bin ich. Verlass dich drauf.“

„Sie soll ja auch total verschwenderisch sein“, giftete Amy weiter. „Und ihr Personal hat sie schlecht behandelt.“

„Ich habe gar kein Personal!“, begehrte Dandelia auf.

„Du doch nicht! Wir reden über Meghan Markle, schon vergessen? Es dreht sich nicht immer alles um dich.“

„Aber alles dreht sich um mich! Jetzt. In diesem Moment. Ernsthaft, ich muss nach Hause, es geht mir nicht gut.“

Grace schaute sie mitleidig an. „Ist dir schwindelig? Wenn du willst, fahre ich dich. Die Scones sind sowieso alle aufgegessen.“

Dandelia schaute sie überrascht an. Das würde Grace für sie tun? Sie schenkte ihr ein kleines Lächeln und nickte. „Ist wohl besser.“ Langsam erhob sie sich von ihrem Stuhl, hielt sich dabei am Tisch fest und atmete tief durch, als sie aufrecht stand.

„Hast du nicht was vergessen?“, fragte Gloria scheinheilig. „Es sei denn, du kannst nicht, dann legen wir doch gern alle für dich zusammen.“

„Natürlich kann ich zahlen. Was soll die Frage?“ Dandelia griff in ihre Handtasche und legte einen Geldschein auf den Tisch, ihren Anteil für einen Brunch mit sechs Personen. „Den Rest könnt ihr unter euch aufteilen“, giftete sie zurück. „Oder gebt es der Kellnerin als Trinkgeld.“

Grace hakte sich bei ihr unter, um sie zu stützen. Sorgsam führte sie ihre Kameradin zum Parkplatz neben dem Café. „Du, setz dich bitte für einen Moment auf die kleine Mauer. Ich muss zurück und auch zahlen, das hätte ich fast vergessen in der Aufregung. Bin sofort wieder da. Fall mir nicht um in der Zwischenzeit!“

Dandelia fühlte eine merkwürdige Hitze in sich aufsteigen, der Boden unter ihr schien zu schwanken. So ähnlich musste sich wohl ein Vulkan fühlen, kurz vorm Ausbruch, vermutete sie. Oder ein fieser Eiterpickel. Plopp! Unvermittelt fing sie an zu kichern. Plopp – wer dachte sich denn solche Wörter aus? Als Grace zurückkam, murmelte sie immerzu „Plopp, plopp, plopp …“ und grinste debil. Erst als Dandelia merkte, dass ihre Freundin sie entgeistert anstarrte, hörte sie damit auf. Wie peinlich! Was war denn nur mit ihr los? Sie riss sich zusammen und erhob sich vom Mäuerchen.

„Möchtest du vielleicht, dass ich dich zu einem Arzt fahre?“

„Nein, nicht nötig. Glaube ich. Keine Ahnung. Fahr mich einfach heim. Meine Eltern werden sich um mich kümmern.“

„Ah, ihr habt Besuch. Das ist ja schön.“

„Ja, ist es.“

„Leben Sie immer noch in der Kommune?“

„Was? Ach so, nein. Äh ja. Schon, aber nicht jetzt. Jetzt sind sie bei uns“, stammelte Dandelia. Was hatte sie gleich noch erzählt über ihre Eltern auf Glorias Frage hin? Sie wusste es nicht mehr. „Beim großen Merlin, mir ist wirklich schlecht. Fahr bitte los.“

Grace ließ den Motor an, schaute in den Rückspiegel und legte den Rückwärtsgang ein. Vorsichtig parkte sie aus und fädelte sich in den laufenden Verkehr ein. „Wenn du es dir anders überlegst, ganz in der Nähe ist ein Krankenhaus.“

„Das ist lieb von dir, aber ich möchte mich einfach nur in mein Bett legen. Wenn es nicht besser wird mit dem Schwindel, kann ich immer noch zum Arzt gebracht werden. Vielleicht ist einfach nur mein Blutdruck zu niedrig.“

„Habt ihr ein Messgerät zuhause?“

„Ja.“

Das entsprach keineswegs der Wahrheit. Bis vor wenigen Tagen hatte Dandelia gar nicht gewusst, dass es so etwas wie Blutdruck gab und man ihn messen konnte. Erst seit sie zufällig auf einem Plakat im Schaufenster einer Apotheke darüber etwas gelesen hatte. Das bot sich als Ausrede in diesem Moment einfach an. Sie konnte schließlich nicht die Wahrheit sagen, denn die hätte gelautet: Es ist mehr als wahrscheinlich, dass ich an einem Magiestau leide und langsam durchdrehe, weil ich mir das Zaubern verbiete und es mit aller Kraft unterdrücke, denn ich will doch so sein wie ihr Frauen aus Exeter, damit mein Kind ein normales Leben hat. Ich gebe mein Bestes, um unter euch Nichtmagiern zu leben und passe mich an bis hin zur Selbstverleugnung, was mir wirklich nicht gut bekommt … aber ihr honoriert das nicht, ihr findet mich immer noch seltsam und ich schaffe es einfach nicht, mit euch in jeder Hinsicht mitzuhalten und ich habe solche Angst, dass sich das auf Artan negativ auswirken könnte …

„Ist es okay für dich, wenn ich jetzt die Augen zumache und nichts sage, bis wir vor Oliveros Zauberladen ankommen?“, bat Dandelia.

„Natürlich, Liebes.“

Schweigend fuhren sie durch die Straßen Exeters. Grace schaute hin und wieder zu Dandelia hinüber. Sie mochte Artans Mutter, obwohl sie auf eine schwer zu definierende Art seltsam war. So, als wäre sie eine frisch vom Himmel gefallene Schneeflocke, die, anstatt ordnungsgemäß zu schmelzen, dauerhaft durch die Gegend schwebt, vielleicht, weil sie nicht weiß, dass Schnee eigentlich schmilzt, wenn es für ihn zu warm ist. Als sie schließlich beim Laden ankamen, fuhr Grace noch ums Haus herum in die Seitenstraße, wo das Wohnhaus der Jones-Familie stand. Sanft rüttelte sie an Dandelias Schulter.

„Wir sind da.“

Als Dandelia die Augen öffnete, sah sie erstaunt aus und schien sich erst örtlich orientieren zu müssen, atmete tief durch und bedankte sich dann für die Fahrt. Grace blieb noch solange mit dem Wagen stehen, bis Dandelia die Haustür aufgeschlossen hatte. Ein älterer Mann, wohl ihr Vater, begrüßte sie herzlich. Beruhigt fuhr Grace weiter, ihrem eigenen Ziel entgegen. Morgen wollten sie Koffer packen, sie wollten nach Barbados fliegen, was sie wohlweislich nicht beim Brunch erzählt hatte, sonst wäre wieder eine Neiddebatte aufgekommen. Dass ein Neurochirurg, wie ihr Mann einer war, verdammt hart für sein Geld arbeiten musste und viele unbezahlte Überstunden machte, wollten die anderen Frauen nicht einsehen. Bis auf Ella und Dandelia, die beiden waren ihr die Liebsten.

 

-3-

„Alle an Bord?“, rief Oliver gut gelaunt, im Wissen, dass dem so war. Es konnte losgehen! Das geräumige Wohnmobil ließ sich besser steuern als erwartet. Wenn sie nicht in einen Stau gerieten, würden in zwei Stunden die Megalithen von Stonehenge zu sehen sein. Artan war vorschriftsmäßig angeschnallt und die Drachen, trotz aller wortreichen Proteste, waren zu zweit in einem Katzentransportkorb untergebracht, auch dieser war gesichert. Nicht lange, nachdem sie Exeter verlassen hatten und auf der Straße dahindümpelten, rief Oliver plötzlich: „Rot, Dandi, rot!“

„Dann bremse doch!“

„Hier ist doch gar keine Ampel!“

„Aber du sagtest doch „rot“? Was ist denn los?“

„Na, das verdammte Wohnmobil ist rot und muss aber weiß sein! Siehst du das denn nicht? Würdest du bitte aufhören zu zaubern!“

„Oh, sorry, das habe ich gar nicht gemerkt. Ich mache es sofort rückgängig.“

„Nein, warte, bis wir allein sind, sonst fällt das zu sehr auf.“

„Ich schwöre dir, ich habe nur gedacht, dass Rot schöner wäre für das Wohnmobil, ich wollte gar nicht …“

„Lass gut sein. Beherrsch dich einfach ab jetzt und achte auf deine Gedanken.

---ENDE DER LESEPROBE---