DAS ERSTE OPFER - EIN FALL FÜR SUGAR KANE - John Cassells - E-Book

DAS ERSTE OPFER - EIN FALL FÜR SUGAR KANE E-Book

John Cassells

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Beschreibung

Ein kalter und nebliger Winterabend in London...

Der Privatdetektiv Donald Kane ist auf dem Heimweg in seine Junggesellenwohnung. Er freut sich auf einen gemütlichen Abend bei einem Glas Whisky.

Da - ein verzweifelter Angstschrei! Kane findet einen Toten.

Aus seinem geruhsamen Abend wird nichts. Hier ist ein neuer Fall - ein Mordfall, der ihn selbst in höchste Gefahr bringt...

 

Der Roman Das erste Opfer - Band 1 der fünfbändigen Reihe um den Londoner Privatdetektiv Donny 'Sugar' Kane - des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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JOHN CASSELLS

 

 

Das erste Opfer

Ein Fall für Sugar Kane 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DAS ERSTE OPFER 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Ein kalter und nebliger Winterabend in London...

Der Privatdetektiv Donald Kane ist auf dem Heimweg in seine Junggesellenwohnung. Er freut sich auf einen gemütlichen Abend bei einem Glas Whisky.

Da - ein verzweifelter Angstschrei! Kane findet einen Toten.

Aus seinem geruhsamen Abend wird nichts. Hier ist ein neuer Fall - ein Mordfall, der ihn selbst in höchste Gefahr bringt...

 

Der Roman Das erste Opfer - Band 1 der fünfbändigen Reihe um den Londoner Privatdetektiv Donny 'Sugar' Kane - des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DAS ERSTE OPFER

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war einer jener Januartage, die einem wirklich auf die Nerven gehen konnten. Eiskalt und grau, mit Nebelschwaden, die bis zu den Schornsteinen herunterhingen. Den ganzen Tag über herrschte ein schneidender Wind, der sich erst am Abend legte, so dass man genau wusste, dass wieder Nebel aufkommen würde.

Und so war es auch. Donald Kane hatte die kurze Fahrt nach Wapping unternehmen müssen, um Algy Swan zu sprechen, einen Burschen, dem ein paar der ganz schweren Jungs auf den Fersen saßen, die ihn für eine Weile in der Versenkung verschwinden lassen wollten. Donald Kane hatte Swan nicht gefunden, jedoch dafür den Nebel gesehen, der vom Fluss her aufgekommen war, dick, grau und schmutzig. In spätestens ein, zwei Stunden würde wieder alles vom Nebel eingehüllt sein.

Gerade das richtige Wetter für alles trübe Gelichter. Da konnte so manches geschehen. Wer klug war, blieb zu Hause. Er streckte die Füße am Feuer aus, zündete sich eine Pfeife an und wartete darauf, dass es wieder besser wurde.

Genau so beschloss Kane seinen Abend zu verbringen: Abendessen bei Antrade, dann mit der Untergrundbahn nach Hendon, nach Hause. Ein gemütlicher Abend, früh ins Bett, vorher noch ein Whisky, dazu eine Pfeife und ein Buch. Selten genug, dass er Gelegenheit dazu hatte. Er freute sich darauf.

 

Was den Anfang des Abends betraf, so verlief alles wie geplant. In Johnny Antrades Lokal bekam er ein ausgezeichnetes Abendessen vorgesetzt. Linsensuppe, Steak mit Kartoffelpüree, hinterher Käse und dazu ein Bier.

Als er bei Käse und Bier angelangt war, bemerkte Johnny Antrade ihn und kam herüber.

»’n Abend, Donny. Immer fleißig?«

»Was soll der Mensch machen, Johnny«, meinte Kane. »War da hinter einem Burschen her, aber vergeblich.«

Antrade runzelte die Stirn.

»Wo denn?«, erkundigte er sich.

»In Wapping. Beldon’s Rents. So heißt das Mietshaus unten am Fluss. So ein elender großer Kasten, verzweigt wie ein Kaninchenbau. Möchte nicht dort wohnen.«

Antrade schauderte zusammen.

»Ich kenn’ mich da aus. War im Krieg unten. Hilfsfeuerwehr. Schwerer Dienst damals - während der Verdunkelung.«

Kane lachte und meinte: »Na, ein Zuckerlecken ist’s jetzt gerade auch nicht. Es wird schon wieder neblig.«

Antrades Miene verdüsterte sich.

»Ja, es war wieder eine abscheuliche Woche. Allein in unserem Bezirk mindestens ein halbes Dutzend Raubüberfälle. Schon der Einbruch in Borrowdales Molkerei. Ein ganz dickes Ding. Beute: 4.000 Pfund Lohngelder. Zwei der Büroangestellten und den Kassierer haben sie gefesselt.«

Kane nickte.

»Ja, ich habe davon gehört. Und dann die Sache mit der Milman-Bank.«

»Das war allerdings ’ne Wucht!«, stimmte Antrade ihm zu. »150.000 Pfund! Ich frage mich bloß immer wieder, wie sie damit durchkommen, Donny. Soll ich dir mal was sagen? Früher hat es so was nicht gegeben. Ausgeschlossen, Donny. Meiner Ansicht nach ist die Polizei ganz einfach nicht mehr, was sie war. Was meinst du?«

»Schwer zu sagen. Es sind doch auch heute noch ein paar clevere Jungs darunter, Johnny.«

Die Tür öffnete sich, und Joe Osborne trat ein. Joe Osborne war ein Kriminalbeamter vom Revier, und zwar ein ausgezeichneter. Hochgewachsen, schlank, mit semmelblondem Haar - und schneidig wie sonst etwas.

»Hallo, Donny«, grüßte er. »Wie geht’s, Johnny?«

»Wir unterhalten uns gerade über euch - die hochverehrten Herrn Kollegen, Joe«, bemerkte Kane lachend. »Johnny meint, ihr könntet der Vorkriegspolizei nicht das Wasser reichen.«

Joe Osborne setzte sich.

»Kann ich nicht beurteilen. Vielleicht hat er recht. Es ist wohl auch ein bisschen Glückssache dabei. Die große Chance, die jeder Beamte braucht. Vielleicht sind wir heute alle nicht mehr das, was wir früher waren. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die breite Masse sich auch geändert hat. Alles ist eben nicht mehr so, wie es früher war.«

Johnny Antrade ging ihm ein Bier holen.

»Daran kann schon etwas sein, Joe«, bemerkte er, als er das Glas vor Osborne hin stellte.

»Wir waren gerade bei den Raubüberfällen, Einbrüchen, und so weiter«, sagte Kane.

»Der Nebel«, erklärte Osborne. »Immer das gleiche. Das war sogar schon in der guten alten Zeit so. Die Statistiken beweisen es. Regen ist der beste Freund des Polizisten, der Nebel sein schlimmster Feind. Bedenken Sie doch, wie es die Dinge vereinfacht, Donny. Nehmen Sie zum Beispiel bloß den Schaufenstereinbruch bei Le Joli, dem Juwelier. Oder die Sache mit der Milman-Bank. Das reinste Kinderspiel.«

Kane nickte zustimmend.

»Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde, es sieht ganz danach aus, als ob einer der Angestellten mit unter der Decke gesteckt hätte. Zumindest mit Informationen. Alles war bis ins letzte Detail geplant; dann brauchten sie bloß noch auf den Nebel zu warten.«

»Das deckt sich ganz mit unserer Ansicht.« Osborne nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. »Jeder glaubt das, auch der Chefinspektor. Ihnen brauche ich ja nicht zu erzählen, wie das mit den Banken ist, Donny. Die Geldlieferungen treffen pünktlich auf die Sekunde ein; immer zur gleichen Zeit, am selben Tag. Die Burschen brauchen nichts weiter zu tun, als diesen Tag und diese Stunde herauszufinden. Und das ist leicht genug. Eine reine Geduldsfrage - beobachten. Zwei helle Jungs ein paar Wochen darauf angesetzt - und sie haben alles, was sie wissen wollen.«

»Und so war’s diesmal auch?«

Joe Osborne zuckte die Achseln und meinte: »Wüssten Sie eine bessere Erklärung, Donny? Jeden Mittwochnachmittag treffen 100.000 bis 150.000 Pfund für die Auszahlungen an Lohngeldern ein. Das Ding wurde gedreht, sowie das Geld angekommen war.«

Er zündete sich eine Zigarette an.

Kane stopfte seine Pfeife.

»Und was treibt Sie heute Abend bei diesem Wetter heraus, Joe?«

»Wir sind hinter Ike Coffin her«, antwortete dieser. »In Lower Court wurde gestern Abend ein Postbote überfallen und um siebzig Pfund erleichtert. Der Beschreibung nach könnte es Ike gewesen sein. Wie auch immer, Coffin ist verduftet. Er ist weder auf seinem Zimmer in der Tench Lane noch bei seiner Schwester in der Parradine-Allee. Wohin kann er sich verkrochen haben?«

»Keine Ahnung«, sagte Kane. »Ich habe Coffin schon mehr als einen Monat nicht mehr zu Gesicht bekommen, Joe. Davon abgesehen, ganz unter uns, ich glaube, Sie setzen da auf das falsche

Pferd. Ein gewalttätiger Ike Coffin, das will mir einfach nicht in den Kopf.«

»Da bin ich ganz Ihrer Ansicht, aber wir haben einen neuen Inspektor. Frisch zu uns versetzt. Der glaubt es nun mal. Er will, dass der Spur nachgegangen wird - also tun wir’s.«

»Begreiflich«, meinte Kane.

»Also, wenn Ihnen dieser Coffin irgendwo mal über den Weg laufen sollte, dann könnten Sie mir einen Gefallen tun, indem Sie ihm etwas von mir ausrichten.«

»Weshalb ihn nicht zu Ihnen schicken?«

»Sie glauben doch wohl selbst nicht, er käme?«, äußerte Osborne skeptisch. »Ich - was meine Person betrifft, bezweifle es stark, Donny. Ich schätze, er weiß ganz genau, weshalb wir ihn auf dem Kieker haben, und deshalb macht er sich für eine Weile unsichtbar. Schuldig oder unschuldig, er ist von der Bildfläche verschwunden. Sie wissen doch, wie diese Typen reagieren.«

Das wusste Kane allerdings. Er wusste nur zu gut, dass die Polizei jemandem, der ein halbes Dutzend Vorstrafen abgesessen hatte, sowieso kein Wort mehr abnahm. Selbst »wenn sich die Geschichte noch so hieb- und stichfest anhörte. Sie würde verteufelt genau unter die Lupe genommen werden - und das war gut so.

Antrade gesellte sich wieder zu ihnen. Er warf einen Blick auf die Uhr.

»In einer halben Stunde ist Schluss, Jungs. Und wisst ihr was? Ich gehe jetzt schon nach oben in die Wohnung. Ich werde ein heißes Bad nehmen und mindestens eine halbe Stunde darin sitzen bleiben. Dann ein steifer Grog, und spätestens um elf liege ich in der Falle.«

Kane lachte und meinte: »Ich auch, Johnny. So ungefähr jedenfalls. Darauf freue ich mich schon seit heute Nachmittag.«

Joe Osborne seufzte.

»Ihr könnt gut reden! Meine Runde beginnt erst. Nachtschicht und dazu der verdammte Nebel, der sich schon wieder ausbreitet. Wenn ihr schön gemütlich in euren Betten liegt und heißen Grog in euch hineinschlürft, dann denkt mal an den armen Osborne, der die Straßen seines Reviers auf und ab patrouilliert, um sich warmzuhalten.«

Damit stand er auf und kramte dabei in der Tasche herum.

»Lassen Sie, heute bin ich an der Reihe«, wehrte Kane ab. »Wenn Sie eine Minute warten, komme ich mit - jedenfalls bis zur U-Bahn.«

Er zog eine Pfundnote heraus, nahm seinen Regenmantel und ging zur Bartheke hinüber. Antrade rechnete ab, und Donald verabschiedete sich.

»Also, Johnny, gute Nacht. Bis morgen dann.«

»Gute Nacht, Jungs«, erwiderte Antrade.

Gemeinsam gingen Kane und Osborne hinaus. Der Nebel war dichter geworden. Die Lichter der Straßenlaternen schimmerten wie große, goldene Orangen aus dem milchigen Dunstschleier.

»Was habe ich gesagt, Donny!«, bemerkte Osborne. »Ist das eine Nacht! Ich frage mich, weiß Gott, zum hundertsten Male, weshalb man das alles auf sich nimmt? Weshalb wird man eigentlich Polizeibeamter? Was ist denn so verlockend daran, Polizist zu sein?«

»Na - und was?«

Osborne seufzte.

»Wenn ich das wüsste. Es muss doch einen zwingenden Grund dafür geben. Des Geldes wegen bestimmt nicht. Um der Dienststunden willen erst recht nicht. Und mit was für einem Pack man es tagein, tagaus zu tun hat!«

»Haben Sie je den Wunsch gehabt, etwas anderes zu werden, Joe?«, fragte Kane ruhig.

Osborne überlegte.

»Doch, schon. Es gab mal eine Zeit, da wollte ich durchaus Lehrer werden«, gestand er. »Aber, wissen Sie, wirklich habe ich es dann wohl doch nicht gewollt. Lehrer werden! Die Möglichkeit hätte ich gehabt. Aber die Lust verging mir dann schneller, als ich es für möglich gehalten hätte. So ging ich zur Polizei.« Er lachte laut auf. »Na ja, wir jammern zwar alle in einem fort, aber, wenn wir ehrlich sein wollen, sind wir mit Leib und Seele dabei.«

»Scheint mir auch so«, meinte Kane. »Allerdings wurde ich...«

Er brach jäh ab, weil irgendwo, ganz nah, eine Frau gellend auf schrie!

Sie schrie wie am Spieß. Nicht ein einzelner Schrei, der wieder abebbte - nein, ein nicht enden wollendes Auf- und Abschwellen. So grauenvoll, dass sie wie angewachsen dastanden, unfähig, sich zu rühren.

Osborne war wie zu Stein erstarrt.

»Da vorn, um die Ecke, Donny!«, rief er schließlich aus und begann zu laufen.

Er lief mit langen, weitausholenden Schritten und bog bereits um die Ecke, bevor Kane diese erreicht hatte.

Kane folgte ihm, mit zehn, zwölf Metern Abstand. Vor ihm lag eine enge Straße mit Laternen, die wie orangerote Monde im Dunst schwammen. Er sah die Silhouette einer Frau, die auf sie zu getaumelt kam. Sekunden später hatte sie Osborne erreicht. Er blieb unwillkürlich stehen und fing sie auf.

»Na, was denn - was ist denn los? fragte er beruhigend.

Sie schrie abermals und klammerte sich in panischer Erregung an ihm fest.

Jetzt war Kane neben ihnen.

»Was ist denn los, Madam?«, fragte auch er.

Sie hing immer noch an Osborne. Verzweifelt rang sie um Atem und ihre Fassung.

»Frank - es ist Frank - mein Mann. Man hat ihn angefallen, dort - hinten beim Wagen.«

Kane vermochte in einiger Entfernung den dunklen Umriss eines Wagens auszumachen. Die Straße lag still und verlassen da.

»Er muss auf uns gewartet haben«, stammelte sie. »Er stürzte nach vorn und stach mit irgendetwas auf Frank ein.« Die Frau brach erneut in Schluchzen aus. »Frank fiel. Er muss verletzt sein. Er stöhnte nur noch.« Sie trommelte wie wild gegen Osbornes Brust. »So unternehmen Sie doch etwas! Bitte, holen Sie doch einen Arzt, schnell! Oder einen Polizisten. So helfen Sie doch endlich!«

»Da haben Sie Glück«, sprach Kane auf sie ein. »Mein Freund hier ist Polizeibeamter. Okay, Joe«, fuhr er fort, »kümmern Sie sich um sie. Ich gehe mal nachsehen, was eigentlich los ist.«

Er ließ die beiden zurück und lief zum Wagen.

Matt versickerte das Licht der Scheinwerfer im Nebel. Dahinter gab es nur tiefe Dunkelheit, die den Wagen fast verschluckte. Das Auto stand unmittelbar vor einem Laden. Kane sah die ausgestreckt auf dem Boden liegende Gestalt. Er ging um den Wagen herum und starrte auf den Mann hinunter.

Er lag sehr still - vollkommen regungslos.

Kane bückte sich, um sich zu überzeugen. Dann stand er auf und hastete zu den anderen zurück. In der Zwischenzeit war es Joe Osborne gelungen, die junge Frau etwas zu beruhigen. Joe hielt bereits sein Notizbuch in der Hand.

»Nichts mehr zu machen, Joe«, erklärte Kane. »Sie sollten sich auf die Suche nach einem Telefon machen.«

Osborne hielt hörbar den Atem an.

»Tot?«

Kane nickte.

Die junge Frau begann aufs Neue zu schluchzen. Die neblige Nacht schien vollgesogen von ihrem Leid.

»Okay, Donny«, sagte Osborne. »Bleiben Sie bei ihr. Ich gehe telefonieren.« Damit entfernte er sich eilig.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Kane hielt den Arm der Frau fest und stützte sie. Mit sanftem Druck dirigierte er sie zu einem Hauseingang. Sie sprach kein Wort. Aber ihr verzweifeltes Schluchzen dauerte an. Schließlich brach er das Schweigen.

»Wollen Sie mir nicht erzählen, was passiert ist, Madam?«

»Er ist tot, sagten Sie?«, fragte sie mit heiserer, verstörter Stimme. »Ist Frank wirklich tot?«

»Ich fürchte, ja, Madam.«

Er spürte, wie sie am ganzen Körper bebte.

So stand sie da, zitternd und stumm. Bis die Verzweiflung aus ihr hervorbrach.

»Ich - ich kann es nicht glauben! Ich kann es einfach nicht fassen. Vor ein paar Minuten hat er noch gelebt. Er lebte und war...«

Abermals erstickte alles in hemmungslosem Weinen.

Kane legte den Arm um ihre Schultern.

»Es tut mir leid, Madam. Aber Sie müssen jetzt versuchen, sich zusammenzunehmen. In wenigen Minuten wird die Polizei hier sein. Sie werden Ihnen eine Menge Fragen stellen, und es ist Ihre Pflicht, zu helfen, so gut Sie können.«

»Sind Sie Polizeibeamter?«, fragte sie zitternd.

»Nein. Aber er. Der Mann, der vorhin hier war. Kriminalsergeant Osborne. Seltsamerweise gehört er nicht zu diesem Revier. Er kam nur hier vorbei, weil er eine Abkürzung mit mir eingeschlagen hat. Wie heißen Sie?«

»Saxon. Lesley Saxon.«

»Und er war Ihr Mann?«

»Ja - Frank ist - er war.« Von neuem dieses hoffnungslose Schluchzen. »Und jetzt ist er tot.«

»Erzählen Sie mir, was war.«

»Ich weiß nicht einmal wirklich, was geschehen ist. Wir haben hier, in dieser Straße, einen Laden. Radio- und Fernsehgerätereparatur.« Sie blickte zu Donald Kane auf, »Wir hatten Freunde besucht, und Frank wollte noch in den Laden gehen, um irgendetwas mitzunehmen. Deshalb fuhren wir hierher und...«

»Und dann geschah es?«

»Ja... Ja. Der Mann muss im Türeingang zum Laden gestanden haben - oder in einem nebenan. Ich habe ihn ja nicht einmal bemerkt, bis Frank ausstieg.« Sie zitterte wieder stärker. »Es war entsetzlich. Ich hörte Frank etwas sagen. Als ich mich nach ihm umsah, lief dieser Mann auf ihn zu. Er traf ihn ein-, zweimal mit irgendetwas, und Frank stürzte zu Boden.«

»Und dann?«

»Ich sprang aus dem Wagen, und der Mörder lief weg.«

»Können Sie ihn beschreiben?«

»Nein! Ich habe ja nicht einmal sein Gesicht gesehen. Ich lief zu Frank hinüber, der laut stöhnte. Ich versuchte, ihm aufzuhelfen, ihn zum Wagen zu ziehen, aber es war unmöglich. Und dann - ja dann müssen meine Nerven wohl mit mir durchgegangen sein. Ich sah Sie kommen und...«

Dumpf hörte man sich nähernde Schritte. Joe Osborne kehrte zurück. Gleich darauf hatte er sie erreicht.

»Erledigt, Donny. Gleich um die Ecke steht eine Telefonzelle. Ich habe mit dem Revier telefoniert. Sie müssen jeden Augenblick ein treffen.« Er sah auf die junge Frau hinunter. »Es wird schon alles in Ordnung kommen, Madam. Die Polizei ist schon unterwegs.«

»Aber nicht von Ihrem Revier, Joe?«

»Nein - von Merrys. Ich werde mal inzwischen rübergeh'n und mich ein bisschen umsehen.«

Er verschwand im Nebel der Nacht, und es dauerte ein paar Minuten, bis er zurückkehrte.

»Ja, Sie scheinen recht zu haben, Donny«, bemerkte er.

Und wieder löste es das eintönige, hemmungslose Schluchzen aus.

Kane hielt die junge Frau immer noch im Arm. Besänftigend verstärkte er den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter.

»Sie werden mit aufs Polizeirevier gehen und ein paar Fragen beantworten müssen, Madam. Versuchen Sie doch, sich etwas zusammenzunehmen.«

Sie antwortete nicht, aber ihre Hand tastete sich vor, bis sie die Hand Kanes gefunden hatte.

»Ich vermute, Sie werden mit jemand darüber sprechen wollen«, sagte Kane. »Soll ich irgendjemand verständigen, vielleicht Verwandte von Ihnen?«

Zunächst glaubte er, sie habe ihn überhaupt nicht gehört. Aber nach einer Weile antwortete sie ihm doch.

»Die Freunde vielleicht, bei denen wir heute Abend vorbeigeschaut haben... Und - ich habe einen Bruder. Sie können Jack anrufen. Jack Vernon. Seine Nummer ist Burndale 2490.«

»Jetzt kommen sie«, verkündete Joe Osborne. »Gleich zwei Wagenladungen voll. Donny, warten Sie am besten hier mit ihr. Ich werde hinübergehen, Meldung erstatten.«

Er trat auf die Fahrbahn, als der erste der Streifenwagen hielt.

Ein Sergeant in Uniform sprang heraus.

»Was, zum Teufel, ist hier eigentlich los?«

»Sieht ganz nach Mord aus, Sergeant«, berichtete Osborne. »Der Tote liegt ein Stück weiter vorn. Den Wagen können Sie von hier aus sehen.«

Der Sergeant setzte sich in Bewegung.

»Los, kommen Sie!«, sagte er. »Sehen wir uns die Bescherung mal an.« Im Gehen wandte er sich nach Joe um. »Kennen wir uns nicht irgendwoher?«

»Kann gut sein. Osborne ist mein Name. Von Forbes’ Revier. Kriminalsergeant Osborne.«

»Ach so«, murmelte der Sergeant. »Dienstlich unterwegs? Was haben Sie in unserem Revier verloren?«

»Ich war auf dem Weg zur U-Bahn, mit Donny Kane. Wir unterhielten uns über eine Type, hinter der ich gerade her bin. Da hörten wir die Schreie der Frau. Sie rannte geradewegs in uns hinein.«

Inzwischen hatten sie den Toten erreicht. Er lag auf dem Rücken, das Gesicht ihnen halb zugewandt. Der Schein, Lichtstrahl der Taschenlampe des Sergeants, erhellte markante Züge, eine leichenblasse Haut. Auf einer Wange geronnenes Blut. Osborne schätzte den Toten auf Anfang Dreißig - sicher nicht älter; gut gekleidet. Joe stand da und starrte auf den Mann.

Die beiden Streifenwagen waren nachgekommen. Ein halbes Dutzend Beamte stieg aus und bildete einen Halbkreis um sie. Unter ihnen ein hochgewachsener, älterer Beamter, den Osborne kannte. Er wartete, bis dieser herangekommen war, dann grüßte er höflich.

»Guten Abend, Mr. Tranter.«

Inspektor Tranter war ein humorloser alter Griesgram; ungewöhnlich groß, hager und stets missmutig aussehend. Trotzdem war er zu seiner Zeit ein ausgezeichneter Beamter gewesen, und er beherrschte sein Metier. Jetzt starrte er den jungen Sergeant sekundenlang an und sagte dann: »Osborne, wie? Von Forbes’ Abteilung. Was geht hier vor?«

»Osborne hat die Leiche gefunden, Sir. Er hat uns benachrichtigt.«

Tranter nickte.

»Verstehe. Also los - berichten Sie.«

»Leider gibt es wenig zu berichten, Sir«, erwiderte Osborne. Und dann gab er einen kurzen Bericht.

Tranter hörte aufmerksam zu.

»Wenn ich richtig verstanden habe, wartet diese Mrs. Saxon da drüben mit Kane?«, vergewisserte er sich dann. »Ich werde sie mir nachher gleich mal ansehen.« Nachdenklich betrachtete er den Wagen. »Ein Austin Cambridge - 64er Modell. Nicht schlecht.« Langsam ging er um das Fahrzeug herum, dorthin, wo die Leiche lag. »Wie hat es sich abgespielt?«

Einer der neben dem Toten knienden Leute aus Tranters Stab antwortete.

»Erstochen oder erschossen, Inspektor, soweit ich sehen kann.«

Noch ein Wagen raste heran und hielt neben den anderen. Der Inspektor blickte sich kurz um.

»Dr. Hill. Gleich werden wir mehr wissen.«

Der Polizeiarzt kletterte aus dem Wagen, grüßte und ging, ohne zu zögern, auf den Toten zu. Alle beobachteten, wie er sich neben der Leiche auf die Knie niederließ.

»Saxon, sagten Sie, hieß der Mann?«, fragte Tranter.

»Ja. Ungefähr das einzige, was ich Ihnen bisher sagen kann, Inspektor. Donny hat bei der Frau gewartet, als ich mich auf die Suche nach einer Telefonzelle machte. Er steht mit ihr da drüben, in einem Hauseingang. Sie ist ziemlich jung und reichlich hysterisch.«

»Und - weiter?«

Osborne fasste, was es noch zu berichten gab, zusammen.

»Das ist alles, Sir«, erklärte er dann. »Alles ging so wahnsinnig schnell.«

»Haben Sie irgendetwas gehört oder gesehen?«

»Das einzige, was ich gehört habe, waren die Schreie von Mrs. Saxon. Die einzige Person, die ich gesehen habe, war sie. Sie war regelrecht hysterisch. Sie rannte mir geradewegs in die Arme. Sie stammelte, ihr Mann wäre hier, beim Wagen, überfallen worden.«

»Und was taten Sie daraufhin?«

»Ich stützte sie. Kane sagte, er wolle mal hinübergeh'n und sich die Sache ansehen - was er auch tat. Bis er zurückkam, hatte ich Mrs. Saxon einigermaßen beruhigt. Aber als Kane äußerte, seiner Ansicht nach sei der Mann tot, ging es wieder von vorne los. Nun ja, und dann übernahm es Donny, sich um sie zu kümmern, und ich machte mich auf die Suche nach einem Telefon.«

Der Polizeiarzt erhob sich. Ebenfalls eine hochgewachsene Erscheinung und so schlank, dass er ausgesprochen hager wirkte. Nicht mehr jung. Er klopfte sich den Staub von den Knien und sah Tranter an.

»Tot, Inspektor. Zwei, wenn nicht drei Einstiche. Geringer Blutverlust. Ich würde sagen, der Tod muss auf der Stelle eingetreten sein - aber Genaues kann ich Ihnen natürlich erst nach der Leichenöffnung sagen.«

»Danke, Sir«, sagte Tranter. »Ich würde Vorschlägen, Sie sehen sich die Frau mal eben an. Sie war dabei, als es geschah. Sie wartet etwa fünfzig Meter die Straße hinauf.«

Hill versuchte den immer dichter werdenden Nebel zu durchdringen.

»Na ja, dann fahr’ ich mal vor«, meinte er.

Joe Osborne räusperte sich.

»Ich könnte doch gehen und sie holen, Sir«, schlug er vor. »Kane ist jetzt bei ihr. Vielleicht wäre es ganz gut, eine Beamtin zur Hand zu haben.«

»Ja, holen Sie sie«, befahl Tranter. »Es werden sich noch genug Beamtinnen um sie kümmern, wenn sie erst mal auf dem Revier ist.« Er blickte dem davoneilenden Osborne nach. »Was denkt sich der Bengel eigentlich, Doktor, mir Vorschläge zu machen? Nicht einmal von unserem Revier ist er. Das sollte der Chefinspektor gehört haben.«

»Lieber nicht«, meinte Hill trocken.

Er sah den drei Näherkommenden entgegen. Mrs. Saxon hatte inzwischen ihre Fassung wieder einigermaßen zurückerlangt. Blass und zitternd stand sie neben den Männern, aber sie war wenigstens in der Lage, mit leiser Stimme die Fragen Tranters zu beantworten. Der Polizeiarzt und Tranter unterhielten sich eine Weile mit ihr, bis Tranter sagte: »Schön, Madam. Dann wollen wir Sie nicht länger hier festhalten. Ich glaube, es ist am besten, Sie fahren jetzt mit unserem Polizeiarzt hier auf das Revier.«

Dann legte er eine kleine Pause ein.

»Nur ein paar Fragen noch«, fuhr er gleich darauf fort.

Er stellte die üblichen Routinefragen, die sie ihm beantwortete. Nein, sie hatte den Mann, der ihren Gatten überfiel, nicht erkannt. Sie konnte ihn auch nicht beschreiben. Sie hatte ihn nur davonlaufen sehen, bis ihn der Nebel verschluckte. Sie war erregt und verängstigt gewesen, und hatte sich auf ihren verletzten Mann konzentriert, nicht auf den Attentäter. Tranter hörte geduldig zu, schließlich nickte er und sagte: »Gut, Madam. Dann fahren Sie jetzt also mit dem Doktor aufs Revier. Kane - ich würde Vorschlägen, Sie begleiten die beiden.«

Kane seufzte vernehmlich.

»Muss das sein?«

»Ja, es muss«, gab Tranter knapp zurück. »Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, Kane? Stolpern da mitten in einen Mordfall hinein und hoffen, um zehn in die Federn kriechen zu können. Ich muss schon sagen, Sie sind Optimist.« Er ging zum Wagen des Arztes und hielt einladend die Tür auf. »Ich komme so rasch wie möglich nach. Aber versprechen kann ich natürlich nichts.«

»Und der Chefinspektor?«, fragte Kane.

Tranter zog ein grämliches Gesicht.

»Mr. Merry hat dienstfrei. Also, fahren wir. Der wird eine Freude haben! Also los - fahren wir.«

Sie stiegen in den Polizeiwagen und fuhren zum Revier.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Am Revier angelangt, wurde die junge Frau irgendwohin mitgenommen. Kane blieb in einem verwahrlosten, kleinen Raum mit holzverkleideten Wänden zurück. Auf der in hässlichem Gelb gestrichenen Vertäfelung hingen, dicht aneinandergereiht, Fotos alter Revier-Sportmannschaften, mindestens vom Jahre 1912 an. Polizisten mit Bärten, Polizisten, die gut ihre hundertdreißig, hundertvierzig Kilo gewogen haben mussten, ehemalige Chefinspektoren und so weiter.

Kane stopfte seine Pfeife, setzte sich und wartete. Seine Laune war nickt gerade rosig. So sah nun sein gemütlicher Abend« aus! Ganz davon abgesehen, war er vor zwei Jahren etwa schon mal mit Chefinspektor Merry zusammengeprallt. Kein reines Vergnügen. Merry war ein hervorragender Polizeibeamter. Das wollte Kane ihm gar nicht streitig machen. Aber davon abgesehen wies er, nach Kanes Ansicht zumindest, auch nicht einen einzigen sympathischen Charakterzug auf.

Kane überlegte gerade, ob er sich nach den unzähligen Pfeifen, die er schon geraucht hatte, noch eine neue stopfen sollte, da ging die Tür auf, und Inspektor Tranter trat ein.

»Immer noch da, Kane?«, fragte er.

Seine stets missmutige Miene war noch verdrossener als sonst. »Na ja, es scheint, als ob es jetzt endlich vorwärtsginge. Der Chef ist da. Mr. Merry war nicht zu Hause zu erreichen. Schließlich spürten wir ihn draußen, irgendwo in Hayes, auf. Mussten ihn in die Kitman Lane holen und jetzt hierher. Das brauchte seine Zeit.«

»Und Joe Osborne, was ist mit ihm?«

»Mr. Merry hat gleich zuerst mit ihm gesprochen. Osborne ist vor ein paar Minuten gegangen. Sie brauchten ihn auf seinem Revier. Chefinspektor Forbes hat deswegen angerufen.« Tranter rieb sich das kantige, unrasierte Kinn. »Es ist ja überall das gleiche, heutzutage. Zu wenig Leute. Sie wissen ja selbst, wie das ist, Kane.« Er gähnte ausgiebig. »Sie brauchen doch bloß mich zu nehmen. Im Dienst seit sieben Uhr heute früh. Und es sieht ganz so aus, als ob ich morgen früh um sieben noch hier säße.«

Noch während er sprach, verließ er das Zimmer. Achtlos ging er an mehreren im Flur herumstehenden, uniformierten Beamten vorbei. Er klopfte an Chefinspektor Merrys Tür und trat ein.

Chefinspektor Merry saß hinter seinem Schreibtisch. Ein schwergebauter, fetter, kränklich aussehender Mann. Sein Gesicht schimmerte gelblichgrün, durch sein tiefschwarzes Haar zogen sich graue und verblichen gelbe Strähnen. Das Weiße seiner Augen war gelb verfärbt, wie bei einem Gelbsüchtigen. Er trug eine dickrandige Hornbrille, die ihm das Aussehen eines riesigen, grünen Uhus gab. Trotz allem war er ein intelligenter und fähiger Beamter. Verärgert blickte er auf, als Tranter hereinkam.

»Es konnte ja auch gar nicht anders sein, Inspektor. Nimmt man sich schon mal einen Abend etwas vor, prompt passiert so eine Schweinerei.«

Tranter nickte.

»Diese oder irgendeine andere, Mr. Merry, das stimmt schon«, pflichtete er bei.

Merry zog eine uralte Pfeife aus der Tasche und begann sie zu stopfen.

»Was können Sie mir über diesen Osborne sagen?«

»Chefinspektor Forbes erklärt, er wäre ein zuverlässiger Mann. Einer seiner besten Leute. Steht kurz vor der Beförderung. Das wäre alles.«

»Sehr ergiebig war er gerade nicht.«

»Kane wartet noch«, erinnerte Tranter.

Merry paffte eine dicke Rauchwolke vor sich hin.

»Soll er. Sie wissen ja, was ich von diesen Leisetretern halte.

Kane macht da keine Ausnahme. Hören wir uns erst mal an, was die Frau zu berichten hat.«      

Tranter ging Mrs. Saxon holen. Eine Polizeibeamtin begleitete sie, als er sie gleich darauf in Merrys Zimmer führte.

Dieser erhob sich linkisch.

»Mrs. Saxon? Ich bin Chefinspektor Merry«, stellte er sich vor. »Ich bearbeite diesen Fall.«

Tranter rückte einen Stuhl heran.

»Setzen Sie sich doch, Madam.«

Sie tat es. Er machte der Beamtin ein Zeichen. Diese zog ein Notizbuch aus der Tasche und setzte sich ebenfalls, ein Stückchen hinter der jungen Frau.

»Zigarette?«, fragte Merry.

Einen Moment saßen sie sich schweigend gegenüber und rauchten. Mrs. Saxon war schlank, blond und bildhübsch. Tranter hatte sie bisher ja nur im schwachen Licht der Straßenlaterne gesehen. Überrascht stellte er fest, dass sie bedeutend hübscher war, als er angenommen hatte.

Merry saß eine Weile da und beobachtete sie, ohne jedoch das Gespräch zu eröffnen.

»Tja, Mrs. Saxon«, sagte er dann schließlich. »Ich weiß, dass dies alles für Sie sehr schmerzlich ist. Ich weiß auch, dass Sie bereits vernommen worden sind. Aber es ist nun leider meine Pflicht, alles, Punkt für Punkt, noch einmal sorgfältig mit Ihnen durchzugehen.«

Sie schauderte zusammen.

»Ich verstehe. Aber ich kann Ihnen auch nichts sagen, was ich diesem Beamten hier nicht schon gesagt hätte.«

Sie begann leise vor sich hinzuweinen.

Merry schob da sofort einen Riegel vor. Er hatte im Lauf der Jahre mit genügend hysterischen Frauen zu tun gehabt. Er beugte sich vor und fuhr sie sofort scharf an.

»Schon gut, schon gut! Ich brauche Ihre Aussage. Sie waren dabei, als er ermordet wurde. Sie sind seine Frau. Sie haben den Mörder gesehen. Sie haben alles von Anfang bis Ende miterlebt. Also müssen Sie etwas auszusagen haben.«

Sie hielt erschrocken den Atem an und hörte auf zu schluchzen.

»Ja?«

»Erzählen Sie mir jetzt alles, was Sie wissen, mit Ihren eigenen Worten, Mrs. Saxon. Aber ich verlange jede, anscheinend noch so nebensächliche Einzelheit.« Er warf einen Blick auf das vor ihm liegende Blatt Papier.

»Sie sind Mrs. Frank Saxon, siebenundzwanzig Jahre alt. Ihr Gatte, Frank, war vierunddreißig. Er war der Besitzer der Saxon Garage, mit angegliederter Werkstatt, in der Mallow Street, Fulham. Sie waren seit sechs Jahren verheiratet. Keine Kinder. Sie wohnen Kilbride Mansions 22 a, in Chelsea.«

»Ja. Das ist richtig.«

»Okay«, fuhr Merry fort. »Jetzt sind Sie an der Reihe. Berichten Sie mir von heute Abend.«

Sie saß bewegungslos, stumm, ohne sich zu rühren. Endlich nahm sie die Zigarette aus dem Mund.

»Es gibt wirklich so gut wie nichts zu erzählen, Chefinspektor, Ich kann einfach immer noch nicht glauben, dass es wirklich geschehen sein soll.«

»Es ist aber geschehen. Und ich möchte jetzt hören, wie.«

Sie sprach mit geschlossenen Augen.

»Also, gut. Frank kam gegen halb sieben von der Garage nach Flause. Das ist etwas früher, als gewöhnlich. Manchmal richtet er es so ein. Aber ebenso gut wird es auch mal erheblich später als üblich. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Wir aßen also zu Abend, und so gegen halb acht sagte er plötzlich, er müsse noch mal kurz in der Kitman Lane vorbeifahren.«

»Dort gehört Ihnen ein Laden, nicht wahr?«

»Ja. Reparatur von Fernseh- und Radiogeräten.«

»Hat Ihr Mann gesagt, was er dort wollte?«