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Marion Wiesler

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Beschreibung

Einst war er Krieger, doch das Schicksal hatte anderes mit ihm vor Norikum, 27 v. Chr. Ein schlimmes Omen bedroht die Siedlung Ardudunum. Gair, einst angehender Krieger an Hochkönig Voccios Hof, befindet sich nun in seinem Heimatdorf auf dem Culm. Die Götter zwingen ihn, Verantwortung für die Rettung der Menschen um sich zu übernehmen und so findet er sich zerrissen zwischen seiner Pflicht gegenüber seinem Milchbruder Centigern, der Liebe, und dem Kampf gegen einen unbekannten Feind. Neuauflage von »Culm 27 v. Chr.« als Teil der Nebenserie zu »Die Wortflechterin«

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Marion Wiesler

Der Krieger der Druiden

Keltenroman

Ein Nebenband der Serie "Die Wortflechterin der Kelten" Neuauflage des Romans "Culm 27 v. Chr. - Schicksalsjahr der Kelten"

Inhaltsverzeichnis

Prolog: Vier Jahre zuvor

Kapitel 1: Beltane

Kapitel 2: Die Erzählerin

Kapitel 3: Neue Aufgaben

Kapitel 4: Das Orakel

Kapitel 5: Brautholung

Kapitel 6: Heimwärts

Kapitel 7: Ankunft

Kapitel 8: Willkommensfest

Kapitel 9: Belauschtes Gespräch

Kapitel 10: Gerichtsversammlung

Kapitel 11: Bei den Pferden

Kapitel 12: Vermählung

Kapitel 13: Am Tag danach

Kapitel 14: Feindlichkeiten

Kapitel 15: Vertraulichkeiten

Kapitel 16: Eine Wette

Kapitel 17: Eine Geburt

Kapitel 18: Initiation

Kapitel 19: Die Vision

Kapitel 20: Ein unerwarteter Tod

Kapitel 21: Veränderungen

Kapitel 22: Machtübernahme

Kapitel 23: Nächtlicher Schrecken

Kapitel 24: Der Kampf

Kapitel 25: Der Tag danach

Kapitel 26: Besprechung

Kapitel 27: Zurück im Dorf

Kapitel 28: Im Jahr darauf

Liebe Leserin, lieber Leser!

PERSONEN

GLOSSAR

Bücher der Serie »Die Wortflechterin«

Weitere Bücher im selben »Universum« wie »Die Wortflechterin« :

Geschichtliches

Impressum

Prolog: Vier Jahre zuvor

Centigerns Augen hatten den fiebrigen Glanz, den Gair nur zu gut kannte.

»Wer mehr Köpfe erbeutet, wollen wir wetten?«

»Du gewinnst so und so immer, also lassen wir es sein, Bruder«, erwiderte Gair und verwandelte weiter sein Haar mit Kalkwasser in eine stachelige Mähne.

Centigern lachte lauthals.

»Los, hilf mir.«

Gair nahm die Schale, die sein Milchbruder ihm hinhielt. Die zähe Flüssigkeit aus Färberwaid darin war tiefblau. Er tauchte den Finger hinein und begann, Centigern mit der Farbe verschlungene Muster auf die Brust zu zeichnen.

Sie waren in der Blüte ihrerJahre, beide zwanzig-und-zwei, muskulös und sehnig, doch Centigern überragte Gair um mehr als einen Kopf. Es störte Gair nicht, denn was der Größere an Kraft und Reichweite im Vorteil war, machte er mit Wendigkeit und Geschicklichkeit wett. Ihr Ziehvater hatte sie zu großartigen Kriegern erzogen, und es gab kaum andere Söldner, die ihnen das Wasser reichen konnten. Seit sie Knaben waren, hatten sie gekämpft – beim Üben miteinander, in den Kriegszügen ihres Ziehvaters und für Gold.

Doch dieser Sommer war anders. Seit letztem Herbst lebten sie wieder in ihrem Heimatdorf Ardudunum auf dem Culm. Und auch wenn sie nach wie vor als Kämpfer für fremde Herrscher in den Kampf zogen, so war Centigern anzumerken, dass er nach der Macht gierte. Sein Vater war alt, älter als sie bei ihrer Rückkunft erwartet hatten, und wenn es nach Centigern ging, zu alt, um zu herrschen. Jede Schlacht war nun auch ein Bemühen, sich einen großen Namen zu machen.

Zufrieden betrachtete Gair sein Werk auf Centigerns Brust. Dann schweifte sein Blick über das Zeltlager, auf das die Sonne trotz der frühen Stunde schon herunterbrannte. Die Männer waren alle unruhig, gierig auf die Schlacht. Die Hitze machte sie noch kampflustiger. Gair kannte den Feind nicht, es war irgendein Stamm, mit dem der Reix, der sie angeheuert hatte, im Zwist lag. Aber er wusste, dass Centigerns Männer alles für den Sieg geben würden, denn der Reix zahlte gut.

Centigern wurde unruhig, stieß Gairs Hand, die noch auf seiner Schulter ruhte, von sich.

»Ich bin Centigern, Sohn eines Reix, Ziehsohn des Magosreix, und bald Herrscher meines eigenen Gebiets. Mein Reitertrupp besteht aus den besten Männern unter der Sonne, die Götter lieben mich.«

Gair stimmte mit ein: »Wir werden siegen, mögen die Götter sich an den Seelen der Enthaupteten erfreuen.«

«Ja, Blut wird fließen, den ganzen Tag, und Bier die ganze Nacht!« Centigerns Lachen dröhnte durch das Lager.

Gair kannte diesen Zustand seines Milchbruders nur zu gut. Centigern geriet jedes Mal bereits vor dem Kampf in den Schlachtentaumel, während Gair selbst noch die Ruhe in Person war und bis zum letzten Moment die Beherrschung behielt. Erst wenn er wusste, dass sein Milchbruder mit den nötigen Schutzsymbolen versehen war, wenn sein Anführer nur in seinen Beinkleidern, den Braccae, und mit dem goldenen Halsreif geschmückt, das Schwert und den Speer in Händen, auf seinem Pferd saß und Gair sich sicher war, dass auch sein eigenes Pferd und seine eigenen Waffen im bestmöglichen Zustand waren, erst wenn er sein Ross bestieg, dann übermannte auch ihn der Taumel. Dann gab es kein Denken mehr, nur noch ein Tun, alles in unzähligen Übungskämpfen Gelernte durch sich hindurch fließen lassen, eins sein mit seinem Pferd, und sich dem Rausch hingeben. Was für Centigern immer schon selbstverständlich gewesen war, hatte er in vielen Kämpfen erst lernen müssen. Es war nicht in seiner Natur, sich dem Rausch des Blutes hinzugeben.

Mögen die Götter ihnen auch heute gnädig sein und sie nach der Schlacht gemeinsam ihr Bier trinken lassen, mit einem schönen Mädchen im Arm.

Die Sonne blendete ihn. Schweiß rann sein Gesicht hinab, fing sich in seinem Schnurrbart, tropfte auf seinen nackten Oberkörper. Brannte in den Schnitten, die er davongetragen hatte. Sein Pferd atmete schwer in der Hitze. Der Lärm war ohrenbetäubend. Metall schlug auf Metall. Krieger kreischten, brüllten, fluchten. In seinen Ohren war es nur mehr als dumpfes Dröhnen wahrnehmbar. Er hatte seinem Ross die Zügel auf den Widerrist gelegt, lenkte mit seinen Knien und seinem Gewicht. Seine schweißdurchtränkten Braccae klebten am Fell des Pferdes. Sein Speer steckte bereits in einem unglücklichen Gegner, nun hieb er mit dem Schwert, er hatte aufgehört zu zählen, wie oft. Es schien kein Ende an Gegnern zu geben. Vor ihm tat sich eine Öffnung auf, er trieb sein Pferd voran, das war die Gelegenheit, Boden zu gewinnen. Er wusste Centigern hinter sich, hieb ihm den Weg frei. Über den Schlachtenlärm vernahm er die Stimme seines Bruders:

»Gib acht, vorne links!«

Ohne zu denken wich er nach rechts aus – und trieb sein Pferd genau in den Speer des Gegners, den er von der Sonne geblendet übersehen hatte. Das Tier wieherte schrill, Gair hob den Arm, dem Schwerthieb auszuweichen. Schmerz durchzuckte ihn. Egal, weiter, weiter. Doch es gab kein Weiter, das Pferd ging in die Knie, schneller als erwartet, keine Möglichkeit mehr, abzuspringen. Weiterer Schmerz, er konnte sich nicht bewegen, das Schwert sauste auf ihn herab. Doch dann sah er Centigern, der den Hieb mit seinem Schwert auffing, dem Angreifer im nächsten Moment die Klinge in den Bauch rammte. Der Sohn des Reix sprang vom Pferd, zog Gair unter seiner Stute hervor und hievte ihn vor sich auf seinen eigenen Hengst. Dunkelheit umfing Gair.

Schmerzen. Rumpeln. Das Geräusch von trabenden Hufen. Er musste auf einem Wagen liegen. Sein Kopf dröhnte. Übelkeit. Unmöglich, bei Besinnung zu bleiben. Seine Fahrt in die Anderswelt schien ewig zu dauern, Tag und Nacht wechselten sich ab. Dunkelheit. Er sehnte sich danach, endlich zu sterben.

Als Gair wieder zu sich kam, lag er auf einem großen flachen Felsen. Sein ganzer Körper schmerzte. Ihm schien, als könne er jede Unebenheit der Steinplatte spüren. Jemand flößte ihm warmen, bitteren Mohnwein ein. Er öffnete die Augen. Eine grauhaarige Frau, sanfte braune Augen, rundes Gesicht. Malwine. Ja, er war wohl daheim, denn das war Malwine, die Frau des Druiden.

»Ruhig, Gair, ruhig, nicht bewegen.«

Er hörte eine tiefe Stimme im Hintergrund, einen melodischen Singsang. Er schmeckte das Holz, das Malwine ihm zwischen die Zähne schob. Und dann wieder Schmerz, noch mehr Schmerz. Zu viel Schmerz. Dunkelheit. Und dann Bilder. Träume. Visionen.

Als er das nächste Mal erwachte, stand Aonghas neben ihm.

»Du lebst noch, gut.«

Das weiße Haar klebte dem Druiden schweißnass am Kopf.

Der Schmerz war weniger geworden. Doch er kam wieder. Ebenso die Dunkelheit, die Träume, die Bilder.

Er wusste nicht, wie lange er in diesem fiebrigen Zustand verbracht hatte, bis er das erste Mal aufwachte und sich klar und kühl fühlte.

Malwine und Aonghas saßen an seinem Bett.

»Willkommen zurück, Gair. Du hast es geschafft.«

Kapitel 1: Beltane

Gair stolperte über verschlungene Beine und stöhnende Leiber. Obwohl der Mond die Nacht fast zum Tag machte, fand er es schwierig, seinen Weg zu finden. Er war erschöpft. Sein Gewand war befleckt und er wollte nichts lieber, als sich ausruhen. Vor sich sah er Aonghas, der gerade den heiligen Platz, den Nemeton, verließ. Der Druide blieb stehen und wartete, bis Gair bei ihm war. Der alte Mann sah ebenso müde aus, wie Gair sich fühlte.

»Hast du mit Leod den Eberkopf in Salz eingelegt?«

Gair nickte. »Ja, eingelegt und das Fass im Wald vergraben, damit er sich bis Samhain hält.«

Aonghas sah sich suchend um.

»Wo ist Leod?«

Gair konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen.

»Wo wohl. Er hat schon von einem rothaarigen Mädchen geschwärmt, als wir nach der Zeremonie den heiligen Platz aufräumten. Gewiss liegt er irgendwo unter den Büschen.«

Auch der Druide grinste müde: »Ja, das war zu erwarten. Wenn Malwine und ich zu Beltane das Ritual der göttlichen Ehe vollzogen haben, um dem Land Fruchtbarkeit zu schenken, machen es uns alle nach.«

Gair warf einen Blick über das Dorf. Hinten auf den Feldern, unter den Obstbäumen und auch rund um den Nemeton, überall lagen Liebespärchen und gaben sich der Lust hin. Wer alleine war, ergötzte sich am Liebesspiel der anderen und schenkte so seine Fruchtbarkeit der Erde. Kein Samen durfte heute an einem anderen Ort landen, als auf Erdreich.

Wie jedes Jahr waren viele Leute aus dem Tal herauf auf den Culm gekommen, um den Feierlichkeiten beizuwohnen. Es war eines der größten Feste des Jahres und nach dem langen Winter die erste Gelegenheit, die Vollmondnacht feiernd im Freien zu verbringen. Gair seufzte. Ihm stand der Sinn so gar nicht nach dem Trubel.

Aonghas wandte sich zum Gehen.

»Wenn du noch einen kurzen Blick zu Eimhir in den Nemeton wirfst, wäre ich dir dankbar. Sie will die Nacht heute dort verbringen.«

Gair nickte und hinkte zum Tempeltor. Es knarrte wie immer, als er es öffnete. Das Geräusch hatte Eimhir aufgeschreckt, die ihm mit großen Augen entgegensah.

»Ach, du bist es. Ich dachte, es will noch jemand ein Opfer darbringen.«

Gair blieb vor dem elfjährigen Mädchen stehen, das es sich auf ein paar Decken neben dem Tor gemütlich gemacht hatte. Der Mond schien über die Mauer aus Baumstämmen in den heiligen Bereich und beleuchtete das den Göttern geweihte Becken, doch Eimhir hatte sich einen Platz im Dunkel gesucht.

»Du bist gar nicht draußen bei den Feierlichkeiten?«

Eimhir schüttelte den Kopf. Ihre blonden Zöpfe schlugen hin und her.

»Aonghas hat es mir verboten. Auch wenn ich im Winter bereits mein Mondblut bekommen habe, er findet, solange wir nicht wissen, was meine Gabe ist, soll ich mich – und die Männer – nicht der Versuchung aussetzen. Und du?«

»Ich werde mir ein ruhiges Plätzchen suchen. Sofern es das heute gibt. Der Tag war anstrengend. Während du hier Opfergaben entgegengenommen hast, haben Leod und ich den ganzen Tag Aonghas geholfen. Schon bei Sonnenaufgang haben wir den Pferdekopf vom Samhainopfer dem Feuer übergeben, ich bin also schon sehr lange auf den Beinen.«

Eimhirs Augen funkelten. »Ist es nicht herrlich, dass die Winterzeit des Pferdes nun vorbei ist und wieder die Zeit des Ebers beginnt? Ich hoffe, es wird ein guter Sommer. Ich mag die helle Zeit des Jahres lieber als die dunkle.«

»Nachdem wir das erstgeborene Lamm, die erstgeborene Ziege, den erstgeborenen Stier und den erstgeborenen Eber den Göttern geopfert haben, sollten die Götter zufrieden sein und uns reiche Ernte schenken, und Gesundheit für Mensch, Tier und Erde.«

»Gut.« Das Mädchen kuschelte sich in seine Decken. »Dann wünsch ich dir eine gute Nacht, Gair.«

»Gute Nacht, Eimhir, wir sehen uns beim Morgengebet.«

»Hm«, murmelte sie. »Ich will früh aufstehen und mich noch im Bach säubern gehen, aber zum Gebet bin ich da.«

Gair verließ den Nemeton und hinkte den steilen Hang hinab zum Südtor. Der Wächter saß am Boden und spielte eine fröhliche Melodie auf einer Hollerflöte. Neben ihm stand ein großer Krug Bier. Nur gut, dass Beltane einer der größten Festtage in der ganzen Welt war, ein Tag, an dem gewiss keiner einen Angriff unternahm, ohne die bitterste Rache der Götter fürchten zu müssen.

Gair pflückte im Vorbeigehen ein paar Blätter des Beinwells, der außen an der Palisade wuchs, und suchte sich einen Platz, an dem das Gestöhn und die Musik weniger zu hören waren.

Ächzend setzte er sich ins warme Gras. Er schob sein rechtes Hosenbein hoch, rieb die Beinwellblätter in seinen Händen bis Saft austrat und legte sie auf das geschwollene Gelenk. Auch wenn es nicht mehr die unförmige Masse von vor drei Jahren war, der Anblick seines Knies schmerzte ihn Tag für Tag. Es war immer leicht geschwollen, steif und knorrig wie der Ast einer alten Eiche. Das viele Herumrennen und dann Stehen bei der Zeremonie hatte ihm zugesetzt. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich rücklings ins Gras fallen. Er war ein Krüppel. Ein von den Göttern gesegneter Krüppel, dessen Gabe Aonghas dazu bewogen hatte, ihn als Schüler aufzunehmen, trotz seines Mannesalters. Aber ein Krüppel.

Und er war ein guter Schüler, das wusste er. Heute, als sie das Stieropfer brachten, da hatte er das Omen genauso gesehen wie Aonghas und Leod, der schon seit seiner Kindheit bei dem Druiden lernte.

Es war schwere Arbeit gewesen, den jungen Stier zu halten. Er und Leod, jeder an einer Seite, an einem der Hörner. Es war ein prächtiger Stier gewesen, der ihm fast bis zur Brust gereicht hatte, und trotz der beruhigenden Kräuter, die er zu fressen bekommen hatte, hatten sie all ihre Kraft aufwenden müssen, ihn lange genug still zu halten, damit Aonghas die entsprechenden Worte sprechen und dem Tier die Kehle aufschneiden konnte. Er hatte gefühlt, dass es ihm ans Leben ging. Das Blut war reichlich geflossen. Die Zeichen versprachen dem Volk eine gute Ernte.

Doch da war etwas anderes, etwas Bedrohliches, gewesen. Sie hatten es alle drei gesehen, das wusste Gair, denn sie hatten einander wissende Blicke zugeworfen. Aber es war nichts, womit man den Menschen die Feier des Sommerbeginns verderben wollte. Später würden sie zu Goraid gehen, Centigerns Vater, dem Reix. Sie würden ihm davon erzählen, von den Gräueln, die der Tod des Stieres ankündete. Doch die heutige Nacht gehörte den Göttern und der Lust.

Im Dunkel konnte Gair auf den Berghängen ringsum Feuer entdecken. Er fand es immer ein herzerwärmendes Gefühl zu wissen, dass in Nächten wie dieser in allen Dörfern genau das Gleiche geschah. Dass sie alle gemeinsam feierten, den Göttern dankten und huldigten, auch wenn lange Wegstrecken sie trennten. Unter dem Himmel waren sie alle gleich.

Die Luft war angenehm lau trotz der späten Stunde. Gair beschloss, die Nacht hier draußen zu verbringen. Die Lustgeräusche und der Rauchgeruch würden dafür sorgen, dass sich keine wilden Tiere Ardudunum näherten. Zumal sie schon lange keine Bären rund um das Dorf gesichtet hatten.

Als er erwachte, hatte der Himmel bereits eine zart rosa Färbung angenommen, doch Sonnengott Bel hatte seinen Himmelswagen noch nicht bestiegen. Es war Gairs übliche Zeit, aufzustehen. Bevor die Sonne aufging, in der Stunde, die weder Nacht noch Tag war, ließen sich einige heilkräftige Pflanzen ernten und mächtige Rituale vollziehen. Heute, am Tag von Beltane, würden er, Leod und Eimhir über den Gipfel streifen und Holler und Gundelrebe sammeln. Allerdings waren beides Heilpflanzen, deren Ernte die Mittagssonne verlangte. Er könnte also weiter schlafen, so wie das ganze Dorf, das noch in trunkenem Schlummer lag. Dennoch erhob sich Gair, steif und ungelenk, und hinkte zum Dorf zurück. Der Wächter schlief tief und fest, das Tor stand weit offen. Gair stieg über den schlafenden Mann und schloss das Tor leise von innen.

Er ging zum Nemeton. Schon von Weitem sah man die Palisade, die den heiligen Ort umgab. Hohe Eichenstämme waren zu einer Mauer geformt, alle reich verziert mit bunten Farben, Zeichen und Mustern. Der Eingang lag nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. Gair musste über weitere Schläfer steigen, um zum Tor zu gelangen. Der Platz direkt vor dem Heiligtum war noch zertrampelt und blutgetränkt von den gestrigen Tieropfern. Er öffnete die schwere Tür einen Spalt und huschte hinein. Eimhir war nirgends zu sehen, ihre Decken fein säuberlich zusammengelegt.

Im Nemeton war es ebenso still wie draußen, doch die Qualität der Stille war eine ganz andere. Herrschte draußen erschöpfte Trunkenheit, so spürte er hier die Ruhe der Göttin Noreia. In der Mitte des Nemetons stand das steinerne Becken, durch das das heilende Wasser der göttlichen Quelle geleitet wurde. Gair entledigte sich seines Gewandes und vollzog seine morgendlichen Gesänge neben dem Becken. Vor der Göttin gab es keine Geheimnisse und vor ihr schämte er sich auch nicht seines Beines. Die Arme und den Blick nach oben gerichtet, konnte er mitverfolgen, wie sich der Himmel heller färbte. Der Tag brach an.

Noch im Gebet versunken vernahm Gair hinter sich das Knarzen des Tors. Er lauschte auf die Schritte und wusste sogleich, dass Eimhir ebenfalls zum morgendlichen Gebet kam. Als sie neben ihm stand, genauso nackt wie er, lächelte er ihr zu. Sie lächelte zurück, erhob ihre Arme und begann ihre Gesänge. Sie klang wie eine Amsel, fand Gair, während er mehr dem knarrenden Eichelhäher glich. Ihr Körper war der eines jungen Rehs, seiner der eines vernarbten Hundes.

Es wunderte Gair nicht, dass Leod nicht hier war. Der junge Druide vergaß gerne auf die frühe Pflicht, wenn er ein Mädchen im Arm hatte. Doch Aonghas‘ Abwesenheit verunsicherte ihn. Es geschah nur selten, dass Gair vor dem Meister im Heiligtum war. Der Druide wurde langsam alt, das Ritual gestern war anstrengend gewesen, vielleicht verlangte sein Körper seinen Tribut.

Als Eimhir und Gair sich nach ihren Gesängen dem Haus des Druiden näherten, wurden sie eines anderen belehrt. So langsam und verschlafen das Dorf wieder zu Leben erwachte, Aonghas war bereits eifrig bei der Arbeit. Er saß auf einem Bärenfell neben einer der Lichtöffnungen, durch die die Morgensonne ihre Strahlen auf einen kleinen Tisch vor dem Druiden sandte, genau auf verschiedene handlange Holzstäbe, einen Dolch und Knochenwürfel. Offenbar versuchte der Druide, das Omen des gestrigen Abends genauer zu deuten.

Eimhir blickte fragend zu Gair, der zuckte mit den Schultern. Es war nicht seine Aufgabe, dem jungen Mädchen von den schlechten Vorzeichen zu berichten. Weiter hinten in dem großen Raum saß Malwine und schnitt auf einem Brett Kräuter für den Eintopf, der über der Feuergrube in der Mitte des Hauses köchelte. Der Haushalt der Druiden war schlicht, wie die meisten Häuser in Ardudunum. Felle und Polster lagen gestapelt in einer Ecke, um als Sitzgelegenheiten zu dienen. Niedrige Tische an der Wand konnten bei Bedarf aufgestellt werden, wo man wollte. An der Rückwand, die den Raum von den drei Schlafkammern trennte, lehnte ein Gewichtswebstuhl, ein kunstvoll geschnitztes Stück. Daneben wartete Schafsvlies in Körben darauf, mit der Handspindel verarbeitet zu werden. In Regalen an den Wänden standen Krüge, eiserne Töpfe und tönerne Schüsseln, von der Decke hingen Kräuter zum Trocknen. Die lehmverschmierten Holzwände waren teilweise mit Tüchern behangen. Die Lichtöffnungen, die mit Holzläden zugeschoben werden konnten, ließen frische Luft herein, rauchig heute, von den Feuern der Nacht. Einer von Aonghas' Hunden hatte sich ein Plätzchen am Lehmboden gefunden, wo ihm die Sonne auf den Bauch schien. Sein leises Schnarchen war das einzige Geräusch.

»Morgen Gair und Eimhir, habt ihr eine schöne Beltanenacht verbracht?«

Malwine lächelte sie verschmitzt an. Eimhir zuckte die Schultern, doch Gair nickte.

»Ich nehme an, Leod liegt noch irgendwo da draußen? Das Morgenmahl ist in Kürze fertig, ich denke, du könntest noch ein paar Blüten suchen gehen, Eimhir.«

Das blonde Mädchen nickte, holte eine kleine Tonschüssel aus dem Regal und verließ das Haus. Aonghas schien nur darauf gewartet zu haben, er deutete Gair, neben sich Platz zu nehmen.

Gair holte sich ein Hundefell und ließ sich an dem niedrigen Tisch nieder. Sein Blick überflog die Gegenstände, die darauf lagen, und ihre Anordnung.

Aonghas beobachtete ihn. Unter seinen hellen Augen lagen graue Schatten einer durchwachten Nacht.

»Du hast es gestern auch gesehen, nicht? Du und Leod, ihr habt beide gezuckt, und das zu recht.«

»Die Zeichen hier aber sehen nicht so schlimm aus, oder?«

Der Druide nahm einen der Stäbe in die Hand und wog ihn bedächtig. »Nein, nicht ganz so. Doch gut würde ich es wahrlich nicht nennen. Aber noch liegt etwas im Verborgenen, das Einfluss haben wird. Wir werden sehen. Ich möchte, dass du mich nachher zu Goraid begleitest, er muss es erfahren. Ich schätze, dass sein Sohn Centigern und dessen Seher die Dinge so deuten werden, wie es ihnen passt. Als Anreiz für Kämpfe.«

»Und du willst, dass wir Centigern umstimmen?«

Aonghas schüttelte den Kopf. Die Glasperlen, die in seinen Bart eingeflochten waren, hüpften nach links und nach rechts. Malwine, die gerade die Kräuter in den Kessel gegeben hatte, setzte sich an seine Seite, ihre Hand auf sein Knie gelegt. Sie blickte ihren Mann fragend an.

»Nein, ich fürchte, wir werden Goraid umstimmen müssen. Es scheint, dass Centigerns Weg nun der Bessere ist.«

Malwine zog hörbar die Luft ein. Auch Gair blickte den Druiden erstaunt an. Ardudunum war immer ein friedlicher Handelsort gewesen, mit einem gut besuchten Heiligtum. Bis jetzt hatte Aonghas immer gegen Centigerns Kriegsgelüste gewettert, sein plötzlicher Meinungsumschwung verwunderte Gair, wie auch offensichtlich die Druidin.

Ehe sie weiter darüber sprechen konnten, kehrte Eimhir zurück. Schweigsam richtete Malwine allen eine Schüssel mit Eintopf, während Eimhir einen Teller mit den süßen Blüten auf den Tisch stellte. Gair eilte in die Schlafkammer, die er mit Leod teilte, um eine saubere Camisia anzuziehen. Er war froh darüber, ein paar Momente alleine zu haben. Wenn selbst Aonghas dafür war, dass Ardudunum sich für Krieg wappnete, dann standen die Zeichen wahrlich schlecht.

Sie aßen schweigend. Auch Eimhir sagte kein Wort. Sie hatte ein feines Gespür für Stimmungen in einem Raum und war es gewöhnt, sich den Erwachsenen anzupassen.

Sie hatten ihr Mahl noch nicht beendet, als Leod durch die Tür stolperte. Sein Haar war wirr, an seiner Camisia klebten Blätter, und Grasflecken zierten sie. Er grinste, schnappte sich eine Schüssel mit Eintopf und setzte sich zu den anderen.

»Habt ihr auch so viel getrunken wie ich?«, kommentierte er das Schweigen nach einem Blick in die Runde.

Malwine lächelte ihn an, wie meist. Gair wusste, dass Leods Verhalten die Druidin belustigte. Leod verkörperte jene Leichtigkeit, die Gair und Aonghas fehlte und die die Druidin wohl manchmal vermisste. Malwines Wohlwollen hatte den Druidenschüler schon oft vor Strafen gerettet.

»Das schafft wohl keiner. Offensichtlich hast du Beltane gebührlich gefeiert.«

»Oh ja. Herrliche Nacht. Ich habe viel für die Fruchtbarkeit des Landes getan.«

»Wie schön«, brummte Aonghas. »Komm, Gair, lass uns gehen. Wenn Leod wach ist, ist es Goraid auch.«

Leod warf ihnen einen fragenden Blick zu, halb bereit, aufzustehen.

»Lass nur, du und Eimhir, ihr bereitet alles für die Kräuterernte vor. Wir werden heuer mehr sammeln als die letzten Jahre.«

Die Sonne schien inzwischen strahlend auf das Dorf herab. Das Haus der Druiden lag am Rande der Siedlung, gleich hinter dem Nemeton. Sie gingen oberhalb des Viertels der Werkstätten und gelangten zu der leichten Anhöhe, auf der das große Langhaus des Reix und die Häuser der obersten Krieger standen. Vom Rang her hätte es Aonghas gebührt, ebenfalls hier zu leben, war er doch im Dorf das wahre Oberhaupt, auf das der Reix hörte. Doch wie die meisten Druiden zog er die – wenn auch nur relative – Abgeschiedenheit vor.

Wann immer Gair auf diese Seite des Dorfes kam, war er aufs Neue erstaunt, dass das kleine Ardudunum ein derartig beeindruckendes Langhaus besaß. Die Halle fasste gut fünfzig Menschen bei Versammlungen. Die Holzwände waren dick verputzt und fast ebenso prächtig bemalt wie jene des Nemetons. Das Strohdach bildete einen großen Überhang vor dem Eingang, an dessen Säulen seit kurzem die Köpfe zweier Krieger prangten, stolze Trophäen aus Centigerns letztem Söldner-Kriegszug für den Magosreix Voccio.

Gair bezweifelte, dass sie Goraid alleine antreffen würden. Gewiss waren viele der höherrangigen Gäste des gestrigen Festes nun bei ihm beim morgendlichen Mahl, sollten sie nicht noch schlafen. Doch Aonghas ließ sich davon nicht beirren.

Die breite Türe des Hauses stand offen, wie alle Türen im Sommer. Der große Raum verfügte über einen Holzboden, römische Amphoren lehnten an den Wänden, in den Regalen standen prunkvolle Schalen und Gefäße. Im Gegensatz zu Aonghas' bescheidener Einrichtung sprach das Haus des Stammesobersten von erfolgreichen Handelsbeziehungen. Der ganze Reichtum Ardudunums konzentrierte sich hier auf dieses eine Haus, um vor Fremden Eindruck zu schinden.

Es waren weitaus weniger Menschen anwesend, als Gair vermutet hatte. Riona, Goraids Weib, stand mit zwei weiteren Frauen in der Nähe der Türe, es wirkte, als wollte sie ihre Gäste gerade verabschieden. Beide waren Fremde, ihrem Schmuck und dem Muster ihrer Gewänder nach weit aus dem Norden. Die dazugehörigen Männer saßen mit Goraid an einem niedrigen Tisch und unterhielten sich lautstark. Im Hintergrund sah Gair Kalla und Solas, Rionas dunkelhäutige Sklavin und Goraids Bursche, die damit beschäftigt waren, Reste der gestrigen Feier wegzuräumen. Centigern war nirgends zu sehen.

Aonghas blieb in der Türe stehen, wartend, dass der Reix ihn bemerkte. Doch es war Riona, die ihn zuerst begrüßte.

»Aonghas! Guten Morgen! Das Licht der Götter scheint auf dich. Ich will unseren Gästen gerade unser Dorf zeigen, nachdem sie erst gestern angekommen sind.«

Beide Frauen machten eine Verbeugung, die tief genug war, um dem Druiden die nötige Ehre zu bezeugen, aber verhalten genug, um ihren eigenen Rang zu unterstreichen.

»Goraid! Aonghas ist hier!«

Die Rigana drehte sich nach hinten, wo ihr Mann mit dem Rücken zu ihnen saß. Riona war um einiges jünger als ihr Mann, doch auch ihr Haar war bereits grau. Sie war schlank, beinahe hager, und nur selten umspielte ein herzhaftes Lächeln ihren Mund.

Goraids weiße Haare leuchteten fast in dem düsteren Raum. Seiner Figur sah man an, dass er gutem Essen nicht abgeneigt war, auch wenn ihm das Kauen langsam schwerfiel, da ihm einige Zähne fehlten. Er hörte nicht mehr so gut, sodass Riona ihre Worte wiederholen musste.

Mit einem Lächeln wandte sich der Reix zur Türe.

»Aonghas! Setz dich zu uns. Es gibt noch frische Eier und Brot. Kalla, bring Aonghas einen Becher Wein.«

Gair folgte seinem Lehrer. Es war üblich, dass weder der Reix noch seine Frau ein Wort an den Druidenschüler richteten und seine höfliche Verbeugung zur Begrüßung nur mit einem kaum sichtbaren Nicken beantworteten. Gair wusste, dass dies vor allem mit den Gästen zu tun hatte. Ein Herrscher hatte sich dem Wort des Druiden zu beugen, doch vor Fremden war es wichtig zu zeigen, dass man dem Druiden ebenbürtig und seinen Schülern weit überlegen war. Dass ihre Beziehung zu Gair eine ganz andere war, war ihre Sache und nicht für Fremde bestimmt.

Aonghas ließ sich von Kalla den bronzenen Trinkbecher reichen und setzte sich Goraid gegenüber. Gair nahm knapp hinter dem Druiden Platz, bewusst seine niedrigere Position betonend. Es entging ihm nicht, dass der ältere der beiden Fremden genau hinsah, als Gair sich mühsam mit seinem steifen Bein zu Boden ließ. So etwas entging ihm nie.

Der Druide sprach kein Wort, nippte nur an seinem Wein. Innerhalb kürzester Zeit verstummte auch die Unterhaltung der drei Männer, die sich wohl von Aonghas' Blicken verunsichert fühlten. Aonghas konnte in Menschen lesen, und den meisten wurde unwohl, wenn er sie musterte.

So auch diesmal. Der Jüngere wischte sich über die Stirn, als wäre ihm heiß.

»Vater, ich denke, wir sollten sehen, wo unsere Frauen hingegangen sind. Wir haben die Gastfreundschaft des Reix lange genug beansprucht.«

Auch der Vater nickte. »Ja. Gewiss sind sie bei den Händlern, besser wir sehen nach ihnen, sonst wird es teuer!«

Er lachte, doch sein Lachen klang verlegen.

Alle erhoben sich, die Fremden verließen, höfliche Floskeln murmelnd, die Hütte. Als sie sich wieder setzten, war das freundliche Lächeln von Goraids Gesicht verschwunden.

»Warum verjagst du meine Gäste? Sie handeln mit Zinn, das sind bedeutende Leute.«

»Kann sein. Doch wir haben Wichtiges zu reden. Schick deinen Burschen weg, und das Mädchen auch.«

Solas und Kalla hatten die Worte des Druiden gehört und gingen ohne weitere Aufforderung aus dem Haus. Gair erhob sich mühsam, um hinter ihnen die Türe zu schließen, doch da stand plötzlich der Sohn des Reix vor ihm, am Weg hinein.

»Guten Morgen, Gair, na, schon brav den Göttern gehuldigt heute? Sind sie dir endlich gnädig?«

Centigern trug nur seine Braccae, ein Tuch über der Schulter, in der Hand ein Messer und eine polierte Kupferscheibe. Offensichtlich war er beim Bach gewesen und hatte ein Bad genommen. Seine Wangen waren frisch rasiert, und sein Haar und sein Schnauzbart glänzten noch feucht.

Gair warf einen Blick zu Aonghas, der ihm deutete, dass der Herrschersohn willkommen sei. Centigern blickte fragend in die Runde, ehe er sich einen Becher Wein holte und sich neben seinen Vater setzte.

»Was gibt es, Druide? Ihr macht beide so ein ernstes Gesicht, und das am Tag von Beltane!«

Aonghas breitete die Handflächen nach oben, als Zeichen, dass er göttlichen Willen sprach.

»Die Tieropfer versprechen uns eine gute Ernte dieses Jahr. Doch es gibt Anzeichen für große Gefahr. Sehr große Gefahr. Als ich das Orakel genauer zu dem schlechten Omen befragte, da war Ardudunum sogar verschwunden, ausgelöscht. Ob durch Krieg oder den Zorn der Götter, Unwetter oder Erdbeben, ich kann es noch nicht genau sagen. Aber die Gefahr ist groß. Der Himmel wird sich verdunkeln und nur das Unbekannte kann uns retten.«

Goraid wurde blass. Seine Augen flackerten hin und her. Centigern hingegen schien zu wachsen, als er die Worte hörte.

»Nun, siehst du Vater, ich habe es ja immer gesagt, wir müssen besser gewappnet sein! Mit Handel allein wirst du unseren Untergang nicht verhindern.«

Es entspann sich ein heftiges Streitgespräch. Goraid fühlte sich von Aonghas betrogen, weil dieser Centigern zustimmte, dass es nötig sei, die Verteidigungsanlagen zu verstärken und die Männer im Kampf zu üben. Niemals in den vielen Jahren, die Goraid Reix war, hatte sein Druide so etwas vorgeschlagen.

»Was nützen uns Verteidigungsanlagen gegen den Zorn der Götter oder ein Beben der Erde? Auch Krieger können ein Unwetter nicht besiegen!«, sagte Goraid.

»Ja, aber für den Fall, dass die Gefahr durch Krieg droht, können sie unsere Rettung sein«, erwiderte der Druide.

»Für den Fall, ja, aber wer sagt, dass dies der Fall sein wird? Noreia hat uns noch immer beschützt. Solange wir ihr dienen und dem Frieden, wird uns nichts geschehen.«

Der alte Reix zitterte vor Aufregung. Nicht nur sein Sohn stellte sich nun gegen seine Art, das Dorf zu leiten, auch sein Druide. Sein Freund.

»Gerade unsere schwache Palisade war immer unsere Stärke. Jeder konnte sehen, wie sehr wir den Göttern vertrauen, und keiner hat es bis jetzt gewagt, sich gegen die Götter zu stellen und uns anzugreifen. Ich sage, gerade wenn wir die Palisade verstärken und die Menschen sehen, dass wir uns zum Kampf rüsten, gerade dann werden sie uns angreifen!«

Gair hatte Mitleid mit dem alten Mann und sollte doch auf Centigerns Seite stehen und für ihn sprechen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs merkte er, dass er versuchte abzuschwächen, den Reix zu beruhigen. Wiederholt betonte Gair das Eine, das noch im Dunkel lag, das vielleicht Hoffnung versprach. Centigern musterte ihn kritisch.

»Was ist, Gair, was ist aus dem Krieger von früher geworden? Dem, der jeden Zweikampf gewann, der der Schlacht entgegenlechzte wie ein Säugling der Mutterbrust? Ist aus dir ein Hase geworden, der sich in seinem Bau versteckt, sobald Gewitterwolken aufziehen?« Er spuckte in Richtung seines Milchbruders.

Gair blickte dem Herrschersohn fest ins Gesicht. Früher hätte er auf solch eine Beleidigung mit einem Fausthieb geantwortet, hätte er sich auf einen Kampf mit Centigern eingelassen, nun sagte er nur, die Kiefer zusammengepresst:

»Dieser Krieger ist tot, Centigern. Begraben unter seiner Stute auf dem Schlachtfeld. Es wird Zeit, dass du das zur Kenntnis nimmst.«

Centigern schnaubte verächtlich und wandte sich von dem Druidenschüler ab.

»Vater, wir können uns nicht auf irgendwelche Dinge, die noch im Dunkel liegen, verlassen. Wir müssen die Palisade verstärken, die Kriegerschar vergrößern. Ich kann Männer heranschaffen. Mein Seher, Enrik, hat mir vorausgesagt, dass ich siegreich sein werde, dass ich Großes erreiche. Nun ist die Zeit gekommen, es zu beweisen. Ardudunum darf nicht untergehen!«

Centigern redete auf seinen Vater ein, wurde immer lauter und heftiger. Doch der alte Reix beharrte auf seinem Standpunkt:

»Ja, du bist in Bragnreica aufgewachsen, dort haben sie dir Kriegslust beigebracht. Doch wir hier in Ardudunum, wir haben immer wohl getan, uns auf unser Handelsgeschick und auf Noreia zu verlassen. Und Noreia wird uns auch nun nicht im Stich lassen, da bin ich sicher!«

»Dein Druide hat mich damals nach Bragnreica geschickt, er wird schon gewusst haben, warum, Vater. Die Zeiten ändern sich. Du bist alt, natürlich kannst du keine Schlacht mehr leiten, sollte es nötig sein. Aber ich bin jung. Ich bin ein hervorragender Krieger, das habe ich in vielen Kämpfen als Söldner bewiesen. Ich bin besser geeignet, Ardudunum in schweren Zeiten zu führen. Übergib endlich mir die Herrscherehre!«

»Nein, gewiss nicht, noch nicht. Wenn es unbedingt nötig sein wird, ja, aber noch nicht. Du bist zu unüberlegt, zu stürmisch. Dir geht es um Trophäen, nicht um dein Volk.«

Centigern sprang auf, seine Handbewegung umfasste den Raum mit seinen prunkvollen Wandbehängen, Amphoren und wertvollen Bronzeschalen.

»Sind das etwa keine Trophäen? Willst du etwa nicht beweisen, dass du der Beste bist?«

Goraids Gesicht hatte sich rot gefärbt vor Zorn.

»Es ist wohl ein Unterschied, ob ich der Reix eines guten Handelsortes bin, ein guter Versorger meines Stammes, oder ein kriegssüchtiger Kämpfer, der nur an sich und seinen eigenen Ruhm denkt!«

Centigern schmiss den Becher Wein, den er noch in Händen hielt, gegen die Wand. Die rote Flüssigkeit hinterließ einen an Blut erinnernden Fleck auf dem weißen Putz.

»Du wirst schon sehen, was du davon hast, mich nicht zum Reix zu machen! Betteln wirst du kommen, dass ich dich und Ardudunum rette, wenn das Omen sich bewahrheitet! Und ja, ich werde es tun, also hindere mich nicht! Du bist alt! Wie schnell stirbt man, wenn man so alt ist!«

Der Herrschersohn stürmte aus dem Haus, ließ die Türe krachend hinter sich zufallen. Draußen konnte man ihn nach seinen Männern und Enrik schreien hören. Hatte er gerade damit gedroht, seinen Vater zu ermorden?

»Seine Mutter hat ihn verzogen, völlig verzogen. Trotziger Hitzkopf! Ich bin seit dreißig Sommern Reix, und Ardudunum ist es in der Zeit beständig besser gegangen!«

»Da hast du recht, Goraid. Dennoch. Es kann nicht schaden, die Palisade zu verstärken ...«, versuchte Aonghas das Thema wieder auf den Tisch zu bringen.

Ein bitterböser Blick des alten Mannes traf ihn.

»Geh! Ich brauch deinen Rat nun nicht.«

Gair und Aonghas verließen das Haus, begleitet vom brummelnden Schimpfen ihres Reix.

»Wir werden Goraid mit Nebensächlichkeiten beschäftigen, damit Centigern tun kann, was er für nötig hält«, sagte der Druide mehr zu sich als zu seinem Schüler.

Gairs Blick musste wohl Verwunderung ausdrücken, denn Aonghas zuckte die Schultern.

»Ich bin auch alt, Gair. Ich habe keine Erfahrung mit Krieg. Mir war der seltene Luxus eines Lebens in Frieden vergönnt. Mir fällt im Augenblick nichts Besseres ein.«

Kapitel 2: Die Erzählerin

Gair und Aonghas trennten sich vor dem Nemeton. Der Druide wollte eine Weile alleine im Heiligtum sein. Gair war zu aufgewühlt, um ins Haus zu gehen oder mit Leod und Eimhir Kräuter zu sammeln. Er schlenderte durch das Dorf, auf der Suche nach Ablenkung.

Das Fest des Vorabends hielt immer noch an, fahrende Händler hatten ihre Stände aufgebaut, zwischen Bäumen waren große Tücher gespannt, unter denen getrunken und gespeist wurde. Viele Feuer brannten, über denen Eintopf im Kessel schmorte oder Hasen und Eichhörnchen gebraten wurden. Die Stimmung war fröhlich und ausgelassen und passte so gar nicht zu Gairs Innersten. All dies war in Gefahr, vielleicht nicht sofort, nicht morgen oder nächsten Mond, aber bald genug, dass es ihnen Sorgen bereiten musste.

Bei all dem Duft hier verspürte er keinen Hunger. Er spazierte weiter, in die Nähe jener Felder, die innerhalb der Palisade lagen. Emmer und Dinkel für jenes Brot, das bei Festtagen und Tieropfern den Göttern geweiht und verspeist wurde, gediehen der Jahreszeit entsprechend, fast besser als sonst. Zumindest hier keine Spur von besorgniserregenden Anzeichen. Am Rand der Felder übten einige junge Burschen sich im Speerwurf. Gair trat zu ihnen und beobachtete sie. Ein etwa Zehnjähriger hielt ihm seinen Speer hin. Gair wog ihn prüfend in der Hand, lächelte, und warf. Die Spitze steckte zielgenau in dem Strohsack, den sie an einem Baum aufgehängt hatten. Die Jungen jubelten. Doch Gair jubelte nicht mit ihnen, denn plötzlich dröhnte sein Kopf und er sah sie, kaum älter, mit Speeren bewaffnet in den Kampf ziehend. Einige von ihnen würden zu großem Ruhm kommen und am Schlachtfeld sterben, andere würden so wie er zum Krüppel werden. Hatte er in ihrem Alter es auch kaum erwarten können, Krieger zu werden, nun empfand er Bitterkeit.

Rasch wandte er sich ab und ging weiter. Oben auf dem höchsten Punkt des Dorfes, auf dem Gipfel des Culm, an dessen steile Hänge sich Ardudunum schmiegte, saß eine Gruppe Kinder und Erwachsener auf der Wiese zwischen den beiden großen Bäumen. In ihrer Mitte stand eine Frau, ihre Arme flogen durch die Luft, ihre Hände formten Figuren. Angezogen von den lebhaften Gesten der Erzählerin und den gebannten Gesichtern der Zuschauer näherte sich Gair.

»›Ich habe nie behauptet, dass es einfach wird‹, sagte das Pferd. Tagg machte sich also auf den Weg in das silberne Schloss, vorbei an den schlafenden Wächtern. Wie er auf jeden Schritt achten musste! Das kleinste Geräusch könnte ihn verraten und sein Schicksal besiegeln. Endlich erreichte er die Große Halle. Wie prunkvoll sie war! Und in der Mitte der Halle, auf ihrem Thron, da saßen der Herrscher und seine Frau. Auch sie schliefen, betäubt von den lieblichen Klängen von Taggs Flöte. Er näherte sich – vorsichtig – Schritt für Schritt. Er stand neben der Herrscherin, an ihrem Arm prangten wunderbare Armreifen, aus blauem und gelbem Glas. Einen, nur einen dieser prächtigen, wertvollen Armreifen musste er schaffen, ihr abzunehmen. Dann könnte er zu dem Riesen zurückkehren und die schöne Braut befreien.«

Die Frau mochte zwanzig Jahre zählen, ihre hellbraunen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr bis zur Taille reichte und mit ihren Bewegungen hin und her wippte. Ihre grünen Augen blitzten, ihr ganzer Körper drückte Freude und Begeisterung aus.

Es war lange her, dass Gair einer Frau gelauscht hatte, die so gekonnt Geschichten erzählte. In Bragnreica war er einer Bardin begegnet, ein junger Krieger war er gewesen und sie … sie hatte ihn viel gelehrt über das Leben. Er dachte gerne an sie zurück, an ihre Geschichten und die Zuneigung, die sie ihm geschenkt hatte.

Gair ließ sich nieder, gebannt zuhörend. Er vergaß ganz auf seine Sorgen. Die Stimme der Erzählerin trug ihn weit fort. Wie in einem Traum gefangen, saßen sie alle da.

Als die Geschichte zu Ende war, brach Jubel aus.

Lachend verbeugte sich die Erzählerin und scheuchte die Zuhörer freundlich in Richtung der Händler.

»Los, dort geht es weiter! Meine Schwestern Fia und Una werden euch noch ganz andere Dinge erzählen!«

Die Menge zerstreute sich, nur Gair blieb sitzen. Seine Gedanken hingen der Geschichte nach, die er eben gehört hatte, und der Erinnerung an die Bardin in Bragnreica. Die Beine von sich gestreckt, die Ellenbogen im Gras aufgestützt, blickte er vor sich hin und merkte gar nicht, dass sich jemand neben ihm niederkniete.

»Nun, dich zieht es nicht zu den Händlern? Faolan hat wunderbaren Glasschmuck aus Etrurien, gerade solchen, wie die Rigana in meiner Geschichte.«

Gair wandte den Kopf zur Seite. Da saß sie, die Erzählerin. Ihr Zopf fiel über die Schulter nach vorne und sie spielte mit den Bändern, die darin eingeflochten waren. Gair sah sie lange an, musterte sie von oben bis unten. Etwas war an ihr, das seinen Blick fesselte, doch er konnte nicht sagen, was. Ihre Camisia war schlicht, ein Grün wie von Brennnesseln, kein Muster, keine Borten. Sie trug keinen Peplos als Überkleid, den die Frauen hier sonst nur bei großer Hitze ablegten. Auch der Gürtel war nichts Besseres als geflochtene Lederstreifen. Doch ihre Haltung war aufrecht, wie sie da so neben ihm kniete.

Aber das Interessanteste waren ihre Augen. Sie schienen zu leuchten, wie der Wald in der Abendsonne. Und sie kamen ihm bekannt vor, unglaublich bekannt.

»Was ist, hat es dir die Rede verschlagen? Dann solltest du erst recht zu Faolan schauen, er hat alle möglichen Elixiere, gewiss auch etwas für Sprachlosigkeit.«

»Danke, nicht nötig.«

»Oh, er spricht! Ich hatte schon Sorge, ich hätte dich im Land der Geschichten zurückgelassen ... Lach nicht, das kann geschehen. Ich habe schon Leute erlebt, deren Seele einfach nicht mehr zurückkommen wollte. Das Land der Geschichten kann genauso gefährlich sein wie das Land der Sidhe.«

»Dann sind wohl Geschichten über die Sidhe das Allergefährlichste.«

»Du machst dich über mich lustig, nicht? Aber im Ernst, du hast doch sicher auch schon von Menschen gehört, die vom Kleinen Volk entführt wurden und erst wieder den Weg zurückfanden, als all ihre Familien längst verstorben waren, obwohl sie selbst das Gefühl hatten, nur ein paar Tage weg gewesen zu sein.«

»Natürlich, das sind die alten Legenden über die Sidhe, die man den Kindern erzählt.«

Gair setzte sich weiter auf. Er war sich nicht ganz sicher, ob die Erzählerin es ernst meinte oder nur mit ihm herumflachste.

»Und, woher kommen wohl die Legenden? Aus wahren Geschichten. Aber keine Sorge, du bist ja wohlbehalten wieder hier in Ardudunum gelandet. Obwohl ich dir sagen muss, dass wir inzwischen das Jahr fünfzig-und-zwei der Herrschaft des Voccio schreiben.«

Ihr Grinsen war nun eindeutig.

»Das freut mich, denn dann hat sich Ardudunum gut gehalten, seit du mich vor zwanzig-und-fünf Sommern im Land der Geschichten zurückgelassen hast. Und du dich auch, immer noch so hübsch wie damals.«

Nun blickte sie verwirrt. Sie hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass er auf ihren Scherz einstieg. Gair grinste.

»Ach, du ...« Sie änderte ihre Sitzposition. Zupfte eine Spitzwegerichblüte ab, die vor ihr den Kopf aus der Wiese streckte. »Bist du von hier?«

Gair nickte.

»Es ist traumhaft hier. Allein diese Aussicht! Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht aufpasse, dann erhebe ich mich wie ein Vogel in die Lüfte. Ich glaube, dies ist der schönste Ort, an dem ich je war.«

»Du bist das erste Mal in Ardudunum?«

»Ja.«

»Also bist du nicht aus dieser Gegend.«

»Nein. Wir sind reisende Händler. Faolan treibt regen Handel zwischen den Römern und den Stämmen Noricums.«

»Dacht ich mir schon, dass du was mit diesem Faolan zu tun hast, sosehr wie du ihn gepriesen hast. Ist er dein Vater?«

Gair warf einen Blick zu den Wagen hinüber, an denen Waren feilgeboten wurden. Es war nicht ersichtlich, welcher diesem Faolan gehörte.

»Da mögen die Götter davor sein, nein!«

Die Erzählerin schlug sich die Hand vor den Mund und warf ebenfalls einen Blick zu den Wagen, wie um sicherzugehen, dass sie niemand gehört hatte. Dann wandte sie sich Gair wieder zu und lächelte ihn an, den Kopf zur Seite geneigt.

»Magst du mir nicht ein wenig von eurem schönen Dorf zeigen? Ich würde auch gerne Noreia ein Opfer darbringen.«

Plötzlich schien sie Gair älter als die Zeit davor. Hatte sie bis jetzt nach einem jungen Mädchen gewirkt, so klang sie nun plötzlich nach der erwachsenen Frau, die sie war.

Eigentlich wollte Gair ihr nicht das Dorf zeigen. Oder genauer gesagt, er hatte nichts dagegen, ihr das Dorf zu zeigen, wohl aber, nun aufzustehen und sich als Krüppel zu offenbaren. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit gewesen, dass er so mit einer Frau geschäkert hatte.

Doch die Erzählerin stand bereits und hielt ihm ihre Hand entgegen. Er ignorierte sie und erhob sich, wie immer ungelenk. Aus den Augenwinkeln behielt er sie in seinem Blick. Ja, sie erschrak kurz. Aber als er stand, verbeugte sie sich leicht.

»Ich bin übrigens Aislin, Wegbereiterin ins Land der Geschichten, Gehilfin des Faolan, Händler für edelste Güter.«

Gair erwiderte die Verbeugung.

»Gair, Sohn des Fionghall, Schüler des Druiden Aonghas.«

Noch einmal warf Aislin einen Blick zu den Wagen. Sie wippte auf ihren bloßen Füßen auf und ab, als wolle sie gleich losrennen.

»Nun, Aislin, was willst du sehen?«

»Egal was, alles.«

Gair führte sie durch das Dorf. Er zeigte ihr das Langhaus, die Wohnhäuser, die Werkstätten. Er erzählte ihr von den Menschen in Ardudunum und ihren Gewohnheiten und wunderte sich, dass er so gesprächig war. Die gute Laune der Fremden war ansteckend und sie lachten und scherzten die meiste Zeit.

Als sie zu den Werkstätten kamen, fühlte sich Gair ein wenig befangen. Gleich das erste Haus in der Reihe der Hütten war das seiner Mutter. Hier war Gair aufgewachsen, inmitten der Holzwerkstatt. Hier hatte er die ersten Jahre seines Lebens damit verbracht, mit den Holzspänen zu spielen, dem Holzwerker zur Hand zu gehen und die Drehbank anzutreiben. Seine Mutter war nirgends zu sehen und Gair verspürte auch keinerlei Bedürfnis, sich bemerkbar zu machen.

Doch Aislin betrachtete alles aufmerksam.

»Das ist aber ungewöhnlich, dass diese Werkstätte zwei Eingangstüren hat.«

Gair seufzte. »Das ist der Holzwerker. Rechts, das ist die Werkstatt, dort arbeitet und lebt er mit seinem Lehrling. Die linke Türe – früher gehörte das zur Werkstatt, es war die Schlafkammer. Nun lebt die Frau des früheren Holzwerkers dort, und so haben sie eine neue Türe geschaffen, damit sie nicht immer durch die Werkstatt gehen muss. Daneben, das ist die Töpferei, normalerweise sitzt da die ganze Familie vor dem Haus, mit allen fünf Kindern, und arbeitet an Schalen und Krügen. Heute sind wohl alle bei den Feierlichkeiten.«

Der Brennofen der Töpferei, in einer überdachten Grube gelegen, bildete den Übergang zu der Schmiede, der größten Werkstätte in Ardudunum. Auch hier arbeitete heute niemand, kein Feuer brannte in der Esse und der große Blasebalg gab nicht sein stetiges Ächzen von sich.

Neben der Schmiede befand sich eine kleine Hütte, umgeben von Felsbrocken, die zwischen Haufen kleinerer Steine hervorragten. Ein riesiger Mann mit kurz geschorenen Haaren stand an einem der großen Brocken und bearbeitete ihn mit Hammer und Meißel. Schweiß glänzte auf seinem nackten Oberkörper, der speckig wie der eines Schweins war.

»Das ist Clach, der Steinmetz. Er lebt hier allein mit seiner Mutter. Sie ist sonderbar, und er – nun, man sagt, er ist blöde. Lass uns weitergehen.«

Doch Aislin blieb stehen. Sie betrachtete die Felsbrocken, in die der Steinmetz verschlungene Linien und Muster gemeißelt hatte. Sie trat näher an den Hünen heran. Er drehte sich zu ihr um, erst etwas erschrocken, dann begrüßte er sie mit einem Grinsen von einem Ohr zum anderen. Er grunzte.

Aislin nickte ihm zu. Gair blieb in ihrer Nähe stehen, bereit, sie zu beschützen. Obwohl er und Clach beinahe gleich alt waren, war ihm der Hüne schon als Kind nie geheuer gewesen.

»Guten Tag, Steinmetz Clach. Du arbeitest selbst an einem Festtag wie diesem? Wie fleißig!«

Clach nickte. Er deutete auf seinen Kopf, grinste.

»Du hattest eine Idee, die du gleich umsetzen musstest?«

Die Augen des Riesen weiteten sich. Er war es offensichtlich nicht gewohnt, dass Fremde ihn verstanden. Er nickte, deutete auf den Felsbrocken, grunzte unverständlich.

Aislin trat näher an den Felsen heran, fuhr mit den Fingern die Linien nach. Selbst Gair konnte auf die Entfernung zwei Figuren erkennen, die gerade Gestalt annahmen.

»Oh, ich wünschte, ich könnte es sehen, wenn es fertig ist! Mir scheint, du erzählst genauso Geschichten wie ich. Du bist wahrlich gesegnet, denn deine Geschichten bleiben für die Ewigkeit, während meine mit dem Wind davonwehen.«

Täuschte Gair sich oder errötete der Hüne? Dessen Blick ging zu Boden und er begann, nervös hin und her zu wippen.

Aislin legte ihre Hand auf seinen Oberarm. Er sah auf.

»Ich freu mich sehr, dich kennengelernt zu haben. Deine Meißelarbeit ist wunderschön.«

Wieder grinste der Steinmetz. Er machte Anstalten, mit weit ausgebreiteten Armen Aislin zu umarmen, Meißel und Hammer noch in den Händen. Gair zog die Erzählerin fort.

»Wir müssen weiter, Aislin.«

Clach blieb zurück, die Arme noch in der Luft.

»Du musst vorsichtig sein bei ihm.«

»Wieso, er ist doch nett. Und ein begnadeter Handwerker.«

»Er ist unberechenbar. Er hat Leuten schon den Schädel eingeschlagen. Er meint es meistens nicht böse, aber er kann seine Kraft nicht beherrschen. Hast du seine Hände gesehen? Er zerdrückt deinen Hals wie nichts. Er sollte nie in der Nähe von zarten Frauen sein.« Gair wusste selbst nicht, warum er sich so in einen Strudel redete.

Aislin blickte zurück. Clach stand noch da und sah ihnen nach. Als sie sich wegdrehte, winkte er, doch nur Gair sah es.

»Auch euer Reix hat Leuten den Schädel eingeschlagen, deren Köpfe hängen sogar vor dem Langhaus, wie bei einigen der Kriegerhäuser. Das finden doch alle großartig, oder?«

»Das ist etwas anderes. Centigern ist Krieger, er kämpft gegen Feinde, Krieger verteidigen das Gute. Clach hat einen Fremden bedroht, der in Ardudunum zu Gast war.«

»Und weshalb?«

»Das weiß keiner.« Gair wurde diese Unterhaltung langsam unangenehm, er hätte gerne das Thema gewechselt.

»Na eben. Vielleicht hat er auch wie ein Krieger nur das Gute verteidigt. Wir sind alle Kinder der Götter, verschiedenster Götter, und jemand wie er ist ein besonderes Kind, gesegnet mit einer Gabe, geprüft mit einem Fluch.«

Gair blieb stehen und sah sie lange an. Der Satz klang tief in ihm nach. Eine Erzählerin und ein Fluch … es war lange her, aber plötzlich erschien ihm Clach in einem anderen Licht.

»So hab ich das noch nicht gesehen. Trotzdem, er ist nicht Herr seiner Kraft.«

Sie gingen langsam, Gairs Hinken angemessen. Zumindest er ging langsam, die Frau an seiner Seite kam ihm vor wie ein kleines Fass Bier, das man zu stark geschüttelt hatte. Oder wie ein junger Hund, der am liebsten vor und zurück rannte. Sie tanzte um ihn herum, eilte bald hierhin und bald dorthin.

»Stehst du jemals still?«

Gair lehnte sich an die Südwand des Langhauses, zu dem sie ihr Weg zurückgeführt hatte. Hier stand man fast am höchsten Punkt des Dorfes und hatte einen wunderbaren Blick über die Palisade hinweg.

Aislin schien die Aussicht in sich aufzusaugen, ehe sie sich neben ihn an die Wand lehnte.

»Viel zu oft. Aber irgendetwas ist in der Luft. Es muss Beltane sein, und der Vollmond. Oder der Wein, den ich gestern Nacht getrunken habe. Oder du. Aber mir ist, als hätte ich Ameisen im Bauch. Wie kurz vor einem Gewitter, kennst du dieses Gefühl?«

Sie blickte in den Himmel, der blauer nicht sein konnte.

Gair nickte. Ein Gewitter, ja, das war es. Er schloss kurz die Lider, um die Bilder eines brennenden Ardudunums in seinem Innersten zu versperren. Als er sie wieder öffnete, waren da zwei grüne Seen vor ihm.

Wo hatte er diese Augen nur schon gesehen?

Er spürte ihre Hände, die auf seiner Brust lagen. Einfach da lagen, nicht aufreizend, einfach da lagen und eine ungeheure Wärme ausstrahlten. Und er spürte ihre nackten Zehen, die an seine stießen.

»Du bist auch ein besonderes Kind der Götter, nicht wahr, Druidenschüler? Du hast ein nettes Lächeln.«

Gair antwortete nicht. Seine Hände legten sich sanft auf ihre Hüften. Sie ließ es geschehen, schob sich noch näher an ihn ran. Legte ihren Kopf an seine Schulter. Ihre Finger fuhren die Narben auf seinem Schwertarm nach.

»Und du riechst gut. Ich könnte ewig hier stehen.«

Gair drückte ihr einen leichten Kuss auf die Haare. Dann musste er lachen.

»Du und ewig hier stehen! Das wäre als würde man einen Fluss zum Stillstand bringen.«

»Glaub mir, ich bin nicht immer so. Aber heute – heute ist ein Schicksalstag. Zumindest für mich, glaube ich.«

Und dann spürte er einen sanften Kuss auf seinen Lippen. Er wollte ihn erwidern, doch da löste sie sich bereits von ihm, drückte sich lachend von seiner Brust weg.

»Ich muss wieder Kunden für Faolan fangen gehen. Kannst du für mich dies Noreia opfern? Auf dass sich mein Schicksal hier zum Guten wende. Danke, Gair, Druidenschüler!«

Etwas wurde in seine Hand gedrückt, dann stand er alleine da. Der lange Zopf wehte hinter der Erzählerin her, als sie zurück zur großen Wiese lief. Gair öffnete seine Hand. Es war ein Stück Holz, kaum so lang, wie seine Hand breit war, an einem Ende angekohlt. Als hätte sie es aus einem der vielen Feuer gezogen. Und das sollte ein Opfer für Noreia sein? Was für eine verrückte Frau war diese Erzählerin!

Kopfschüttelnd schob Gair das Hölzchen unter seinen Gürtel. Noreia käme sich verhöhnt vor, wenn er dies opferte.

Ein Blick nach oben sagte ihm, dass er noch eine Weile Zeit hatte, ehe die Sonne ihren höchsten Stand erreichte. So schlenderte er zurück zur großen Wiese, wo sich bereits wieder eine Menge Menschen rund um Aislin niedergelassen hatte. Gair blieb am Rande stehen und beobachtete die Erzählerin.

Sie hatte sich zu den Kindern gebeugt, die vor ihr saßen, und schien ihnen etwas in einem unsichtbaren Beutel zu zeigen.

»Seht ihr, es sieht aus wie Puffbohnen, doch lasst euch nicht täuschen! Blickt tiefer und ihr seht kleine, schwarze Punkte – Pfeffer! Wertvollen Pfeffer aus fernen Ländern, dessen Gewicht mit Gold aufgewogen wird! Dieser Pfeffer war es, der Rhutar das Leben rettete!«

Gair wanderte weiter. Ein Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Er strebte den Wagen der Händler zu, begierig, Faolans Stand ausfindig zu machen. Wäre Leod bei ihm, er würde mit ihm wetten, dass der Händler Pfeffer verkaufte.

Rund um die große Wiese standen einige Ochsenfuhrwerke, die den fahrenden Händlern sowohl als Verkaufsstand als auch als Unterkunft dienten. Alles konnte man hier erstehen, gegen Münzen oder Tausch. Gewürze, Schmuck, Waffen, Stoffe. Menschen drängten sich vor den einzelnen Händlern, oft nicht um zu kaufen, sondern nur um zu schauen. Vieles war unerschwinglich für die Bauern und Handwerker, doch der Goban erstand gerade eine Amphore Wein aus Etrurien, als Schmied zählte er zu den reichsten Bürgern Ardudunums. Auch die Rigana stand mit ihrer Sklavin Kalla vor einem Stand, sie tauschte einen ihrer prächtig gewebten Stoffe gegen Gewürze. Mochte Ardudunum sonst auch nur etwa zwei-mal-hundert Bewohner zählen, nun zu den Feierlichkeiten befanden sich sicher mehr als doppelt so viele Menschen hier und die Händler machten gute Geschäfte.

Nach einer Weile war sich Gair sicher, Faolans Stand entdeckt zu haben. Schmuck gab es hier und Schalen voller duftender Gewürze. Zwei Mädchen in ähnlich schlichten Tuniken wie Aislin standen dahinter, doch diese beiden waren reich mit Armringen geschmückt, die aus bunten Glasperlen bestanden. Jene Armreifen, von denen Aislin in ihrer ersten Geschichte erzählt hatte. Gair wartete, bis niemand von den beiden bedient werden wollte, dann näherte er sich dem Wagen. Er musterte die Mädchen, hatte Aislin sie doch als ihre Schwestern bezeichnet. Aber er konnte keinerlei Ähnlichkeit zwischen den drei Frauen erkennen. Die eine war dunkelhaarig wie die Nacht, mit schwarzen Augen, die andere blass und bleich wie Stroh in einem verregneten Sommer.

»Gefallen sie dir? Sie verkaufen nicht nur Schmuck und Gewürze. Wenn du mehr willst ...«

Der Satz blieb in der Luft hängen und Gair blickte zu dem Mann, der an der Ecke des Wagens lehnte und ihn musterte.

---ENDE DER LESEPROBE---