Die Schatten der Worte - Marion Wiesler - E-Book

Die Schatten der Worte E-Book

Marion Wiesler

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Beschreibung

Fünfzehn Schüler*innen und eine Bardin ... Die Keltenroman-Serie "Die Wortflechterin" bildete die Basis für einen Kurs Kreatives Schreiben am Akademischen Gymnasium in Graz und die Texte, die dabei in der Welt der keltischen Bardin entstanden sind, können sich wahrlich blicken lassen! Streiflichter und Momentaufnahmen, weitergesponnene Kapitel, neu erfundene Figuren ... Dieser Sammelband basiert zwar auf den Bänden der Wortflechterin, bietet aber auch ohne Kenntnis der Original-Romane spannende, berührende und unterhaltsame Einblicke in die Welt der Kelten aus der Feder Jugendlicher unserer Zeit.

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Marion Wiesler

Die Schatten der Worte

Eine Sammlung keltisch-inspirierter Texte

Textsammlung der Schüler*innen des Akademischen Gymnasiums Graz Ein Band der Serie"Die Welt der Wortflechterin"

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Schüler*innen

Wies(l)ers Vorwort

Bände der Hauptserie Die Wortflechterin

Man beginne mit einem Gedicht

Der Fluch | Viktoria Döhrn

Das Märchen von der Suche | Salome Klatt

Die Liebe, die zu Ende ging | Allegra Ketscher

Eine Erinnerung | Aimee Rieser

Abseits der Felsenküsten | Luisa Angenbauer

Die Krähe | Miriam Leykauf

TreueMut | Maria Benedicta Meinhard

Vorbereitungen auf eine Hochzeit | Miriam Leykauf

Erschwernis und Erleichterung | Bisan Amairi

Der Segen | Salome Klatt

WolfsHerz | Isabella Wiesler

Ich bin Maeron – der Bittere | Allegra Ketscher

Eifersucht | Salome Klatt

Nackter Wahnsinn | Levi Herrich

Das Fenster | Viktoria Döhrn

Thanna | Miriam Leykauf

Hinter den Flammen | Galatea Sinon

Verschwunden und gefunden | Rebecca Manke

Die Belagerung | Isabella Wiesler

Wenn das Leben weitergeht | Salome Klatt

Eine wortlose Geschichte | Viktoria Döhrn

Der Reigen im Feenring | Maria Benedicta Meinhard

Der Mann mit dem Steinherz | Salome Klatt

Zwei Jahresfeste | Laura Stumpfl

SeelenLicht | Tay Kadić

Wintermorgen | Salome Klatt

Die Verräterin | Maria Benedicta Meinhard

Ein verlorenes Mädchen | Bisan Amairi

Reue am Morgen | Salome Klatt

Die Quelle | Katharina Grillenberger

Spur der Tränen | Salome Klatt

Ein Geschenk in der Nacht | Arijan Zeneli

Das Licht in ihren Augen | Salome Klatt

Ein Morgen im Nebel | Maria Benedicta Meinhard

Die Beitragenden

Es waren folgende Bücher,

die hier ihre Schatten geworfen haben:

Bücher aus der Welt der Wortflechterin:

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort der Schüler*innen

Donnerstag, 7:40 Uhr, die Schulglocke läutet. Die meisten Schüler*innen sitzen schon auf ihren Plätzen, manche kommen einige Minuten zu spät und andere holen am Beginn der Stunde den Schlaf von letzter Nacht nach.

Ja wir finden auch, dass das etwas chaotisch klingt, doch so haben wir unser Projekt gestartet …

Im Rahmen des Kurses Kreatives Schreiben bekamen wir, die Schüler und Schülerinnen der 6. und 7. Klassen des Akademischen Gymnasiums, die Möglichkeit, an der Publikation dieses Nebenbandes zur Keltenromanserie »Die Wortflechterin« von Marion Wiesler mitzuwirken.

Der Prozess des Schreibens, das gegenseitige Lektorieren und anschließende Verbessern, der Austausch mit der Autorin und das gemeinsame Arbeiten an einem finalen Projekt war teilweise herausfordernd, aber sehr inspirierend. Auch wenn es nicht immer leicht war, haben wir es geschafft, unser ganz eigenes Werk zu kreieren und unsere Gedanken auf Papier zu bringen. Es war für uns alle ein neues Erlebnis und eine Möglichkeit, unserer Kreativität freien Lauf zu lassen. Und das mit dem Wissen, dass unsere Texte in einem Buch veröffentlicht werden.

Diese Sammlung an Geschichten ist ein Zeugnis der literarischen Vielfalt unserer Kursgruppe.

Wir möchten uns bei Marion Wiesler bedanken, die dieses Projekt ermöglicht hat und uns auch für Fragen zur Verfügung stand. Auch bei Frau Professor Schutting-Wieser wollen wir uns für die tatkräftige Unterstützung während des Schreibprozesses bedanken und dafür, dass sie die Leidenschaft am Schreiben in uns entfacht hat.

Viktoria Döhrn und Miriam Leykauf

Wies(l)ers Vorwort

Es war einmal, und die Geschichte ist wahr …

In einem Kaffeehaus in Graz, Sommerferien 2021.

Zwei Schreibverliebte in regem Austausch.

Gudrun Schutting-Wieser:

Also ich mag Times New Roman.

Marion Wiesler:

Ich nicht. Es ist Zeit für neue Kelten, nicht für neue Römer.

Gudrun:

Ich rede von der Schrift! Und die Römer waren eine großartige Kultur … Nimm Latein, welch herrliche Sprache ...

Marion:

Über die Römer ist schon so viel geschrieben worden. Keiner beachtet, wie faszinierend die Kelten waren. Deshalb verwende ich Times New Roman nicht, das waren schließlich ihre Feinde.

Gudrun:

Hmm – neue Kelten ist gut … Das ist perfekt! Die ideale Idee für meine Kreatives Schreiben Gruppe!

Marion:

Die Kelten haben aber nicht geschrieben.

Gudrun:

Aber du über sie. Deine junge Bardin, verflucht, alleine in einer gefährlichen Welt, nirgends daheim …

Marion:

Danke, ich kenne meine Bücher.

Gudrun:

Aber du kennst nicht, was meinen Schülern zu der Welt deiner Bardin einfiele.

Marion:

Oh, das klingt spannend!

Gudrun:

Ein Mosaik … eine Patchworkdecke, nenne es, wie du willst … Streiflichter in der Welt der Wortflechterin … Das macht ihnen gewiss Spaß, mit deinen Büchern eine Basis zum Phantasieren zu haben.

Marion:

Wir könnten ein richtiges Buch daraus machen. Wozu gibt es zur Wortflechterin die Nebenserie »Die Welt der Wortflechterin«?

Gudrun:

Die Schüler schreiben die Texte …

Marion:

Du hilfst ihnen bei Problemen, korrigierst …

Gudrun:

Du machst Layout und Formatierung …

Marion:

Ein schönes Cover …

Gudrun:

Eine öffentliche Präsentation …

Marion:

Und alles ganz ohne Times New Roman …

Keine zwei Cappucinos später war das gesamte Projekt beschlossene Sache.

Gute Ideen werden eben schnell vom Funken zum Feuer.

Wir hoffen, die kreativen Flammen der Schüler*innen wärmen alle Leser*innen ebenso wie uns.

Graz, Schuljahr 2021/22

Bände der Hauptserie Die Wortflechterin

Die Wahl des Hochkönigs

Der Markt der Lügner

Die Braut des Siegers

weitere folgen ...

Bände der Nebenserie

Die Welt der Wortflechterin

Die Zeit des Aufbruchs

(Kurzband)

Die Schatten der Worte

(Schülerband)

Der Krieger der Druiden

Der Bogen des Smertrios

weitere folgen ...

Man beginne mit einem Gedicht

Bei Ogmios!

Unterschätze nie die Macht der Worte!

Worte können wie Fäulnis sein,

die langsam die Wände deines Hauses zerfrisst,

bis es zusammenbricht.

Sie können auch wie der Blitz sein,

der mit einem Schlag dein Haus zerstört.

Oder …

sie sind der Funke,

der in einer kalten Herdstelle ein Feuer entfacht,

das alle im Haus wärmt und nährt.

Dies, Arduinna, ist die Gabe des Wortflechtens.

Funkengeber zu sein.

(Tegid von den Inseln, Barde der Silurer)

Der Fluch | Viktoria Döhrn

Von heute an, bis die Götter sie durch den Tod oder ein eindeutiges Zeichen erlösen,

sei es Arduinna, der Bardin, untersagt, länger als einen halben Mond

an einem Ort zu verweilen.

Aus: Die Wahl des Hochkönigs

Weitergehen. Weitergehen, nicht stehen bleiben. Weitergehen und wenn man dann doch stehen bleibt, nicht hinsetzen. Niemals hinsetzen. Wenn du dich einmal hinsetzt, stehst du nie wieder auf. Krieche, humple, schleiche, aber setz dich nicht hin. Stillstand ist fatal, Stillstand kann dein Ende sein. Dreh dich nicht um. Dreh dich niemals um. Ein Blick über die Schulter und sie entdecken dich. Ein zweiter und sie holen dich ein.

Abends, wenn es dunkel wird und du Schutz im Wald suchen wirst und zur Ruhe kommen kannst… Das glaubst du zumindest, das hoffst du dir, doch nach nur kurzer Zeit bekommst du Panik. Was war das? Ein Geräusch? Eine Stimme? Bin ich allein? Oft wirst du hoffen, allein zu sein, doch noch öfter wirst du dich einsam fühlen. Eine Einsamkeit, die dir das letzte Stück Freude aus der Seele reißen und in einen tiefen Abgrund zerren wird. Du wirst sie nicht wiederfinden, glaub mir. Und wenn du sie findest, ist sie vergiftet, faul, anders, alles, nur nicht mehr das, was sie war.

Morgens, wenn die Vögel zwitschern, als hätten sie nie etwas anderes getan, wirst du hoffen, dass du das noch einen weiteren Tag erleben darfst. Noch öfter wirst du aber dafür beten, dass es dein letzter ist. Dass du von dieser Höllenqual erlöst wirst. Dieses ewige Hin und Her.

Du wirst die Orientierung verlieren, dann wieder finden, dann verlieren. In welcher Richtung lag mein Dorf? Wie lange bin ich schon weg? Wann geht die Sonne unter?

Müdigkeit wird dich plagen, deine Augenlider werden schwer werden, so schwer, dass du sie schließen möchtest, doch der eisige Schauer, der dir über den Rücken läuft, wenn du an Schlaf denkst, wird dich davon abhalten. Deine Angst wird wachsen, so groß wie ein riesiger Bär und noch so viel größer. Und dann, wenn sie sich in alle Richtungen gestreckt und gereckt hat, wird sie dich verschlingen, dich und all deine Träume. Träume, von denen du so viele hattest, wurden zunichte in einem Moment.

Mittags, wenn dein Magen knurrt und du vergeblich durch die Wälder auf der Suche nach Nahrung streifst, wirst du hungern. Du wirst nur selten Zeit haben, selbst ein Tier zu erlegen und dich stattdessen von Beeren und Kräutern ernähren. Du wirst hoffen, diesen Hunger nicht mehr zu spüren, doch noch öfter wirst du dich nach ihm sehnen, dem einzigen Schmerz, den du noch fühlst. Das Einzige, was du überhaupt noch spürst.

Es ist ein Fluch, der dich verfolgen wird. Eine Last, eine Bürde, die fast unmöglich loszuwerden ist. Doch nur fast. Du musst einen Weg finden. Du musst zumindest versuchen, einen Weg zu finden. Du wurdest bestraft, du musst leiden. Die Stille wird dein Schreien ersticken, niemand wird dir helfen. Nur du, du allein kannst dich retten.

Weitergehen. Weitergehen, nicht stehen bleiben. Weitergehen und wenn man dann doch stehen bleibt, nicht hinsetzen. Niemals hinsetzen. Wenn du dich einmal hinsetzt, stehst du nie wieder auf. Krieche, humple, schleiche, aber setz dich nicht hin. Stillstand ist fatal, Stillstand kann dein Ende sein.

Hörst du das? Sie kommen, Lauf!

Das Märchen von der Suche | Salome Klatt

Ich klatschte einmal in die Hände, um den Göttern

zu verkünden, dass ich nun erzählen würde.

Aus: Der Markt der Lügner

Es war einmal, und es ist wahr, auch wenn es nie so geschehen ist, ein alter Mann. Und immer in der Nacht zwischen zwei Monden verließ er seine Hütte und ging in den Wald. Niemand aber wusste, was er dort tat. Die Kinder wurden vor ihm gewarnt und den Erwachsenen war er unheimlich.

Es kam aber eine Nacht, und wieder war der eine Mond vorüber und der neue hatte noch nicht begonnen, da konnte ein kleiner Junge nicht schlafen. Und als er die Schritte des alten Mannes hörte, beschloss er ihm zu folgen, denn er war neugierig. Der Weg des Mannes mit dem Jungen auf seinen Fersen führte immer tiefer in den Wald hinein. Als der Junge aber auf eine Lichtung trat, musste er sich eingestehen, dass er den Mann verloren hatte, denn er konnte seine Schritte nicht mehr hören.

Da aber begann der Mann zu sprechen:

»Wer folgt mir mitten in der Nacht?«

»Herr, ich bin es«, antwortete der Junge.

»Weswegen folgst du mir?«

»Weil ich wissen möchte, was ein alter Mann in den Nächten zwischen den Monden in einem Wald zu tun hat.«

»Und du hast keine Angst vor mir? Du glaubst nicht, was man sich im Dorf über mich erzählt?«

»Wir wissen nichts über Euch, Herr, und so kann das eine wie das andere wahr sein, ich aber glaube lieber, dass Ihr mir nichts tun wollt.«

So sprach der Junge und seine Antwort freute den Mann und er beschloss, dem Jungen seine Geschichte zu erzählen.

»Hör mir zu: Es war, noch bevor deine Mutter das Licht der Welt erblickte, als sich die Geschichte zutrug. Meine Tochter wollte ihr Leben in die Hände eines Mannes geben, den sie liebte und der ihr seinerseits sehr zugetan war. Er aber missfiel mir. So beschloss ich, sie von ihm zu trennen. Doch ich hatte ihr Maß an Liebe unterschätzt, denn sie wollten miteinander fliehen und ohne meinen Segen einander die Hände zum Bund fürs Leben reichen. In der Nacht aber, es war eine Nacht wie diese, bemerkte ich ihren Plan und folgte ihnen. Als ich sie aber eingeholt hatte, war ich voll Zorn und wollte ihn für den Raub meiner Tochter und ihre Entehrung töten. Die Göttin Ileuad aber beschützte sie und als ich ihn tötete und meine Tochter ihren Willen zum Leben verlor und bat, mit ihm sterben zu dürfen, da verwandelte die Göttin sie in Bäume, die einander umschlingen, denn ihre Macht ist in der Nacht ihrer Abwesenheit am größten. Mir aber stiehlt sie nun schon seit über zehn-mal-fünf Sommern in jeder Nacht zwischen den Monden zur Strafe meinen Schlaf. Weil du mir aber zugehört hast, so will ich dich belohnen: Zieh hinaus in die Welt und finde eine Kette, so stark, dass sie von keinem Bewohner der Erde durchtrennt werden kann. Dann komm wieder hierher zurück. Von hieraus gehe fünf Tagesmärsche nach Norden und hinter den sanften Hügeln gehe sieben Tagesmärsche nach Osten, nach zwölf Tagen aber wirst du zu den Bäumen kommen, von denen ich dir erzählt habe. Dort schlinge die Kette um sie und mache sie fest, dass man, selbst wenn sie gefällt werden, die Bäume nicht trennen kann. Wenn du aber das getan hast, so wird dich die Göttin Ileuad belohnen.«

Als er aber dies gesagt hatte, verstummte der Mann und das Leben wich aus ihm, der Junge aber begrub ihn und am nächsten Morgen zog er aus, um alles zu tun, was ihm der alte Mann aufgetragen hatte.

Drei-mal-drei Jahre würde er brauchen, um eine Kette zu finden, so stark, dass kein Bewohner der Welt sie durchtrennen konnte. Viele Stunden war er im Angesicht der Sonne gewandert und viele Geschichten hatte er erlebt.

Eines Morgens, er hatte gerade sein Bündel zusammengepackt, begegnete ihm eine alte Frau.

»Wohin ziehst du, mein Sohn, so allein, wo doch kaum ein Bart dein Kinn bedeckt?«, fragte sie.

»Ich zog aus in die Welt, um eine Kette zu suchen, der selbst der stärkste Mann nichts anhaben kann«, erwiderte der Junge. »Aber was ist mit dir, Mütterchen? Gibt es keine Kinder und Kindeskinder, die dir einen schönen Lebensabend bescheren?«

»Schon lange haben mich meine Kinder verlassen. Es gibt niemanden, der sich um mich sorgt, der eine Träne vergießt, wenn es mir schlecht geht, und der lacht, wenn ich lache.«

»So will ich, wann immer ich weine, auch eine Träne für deinen Schmerz vergießen und immer, wenn ich lache, deiner Fröhlichkeit gedenken. Solange ich aber weder lache noch weine, nimm dieses Band meiner, als Zeichen, dass ich mein Wort halten werde.«

Seine Worte freuten die alte Frau sehr und sie beschloss, ihm zu helfen.

»Hör mir zu, mein Sohn: Ich will dir danken. Siehst du den Baum dort? Laufe zu deiner Linken an ihm vorbei und nach fünf-mal-fünf Tagesmärschen wirst du zu den düsteren Bergen kommen. In ihnen aber lebt ein Volk von Zwergen. Sie sind sehr geschickt und wenn es eine solche Kette gibt, wie du sie beschreibst, dann werden sie eine haben.«

Der Junge freute sich über den Ratschlag der alten Frau und beschloss, ihm zu folgen.

Und tatsächlich: Nach fünf-mal-fünf Sonnenaufgängen erreichte er ein Gebirge, dessen Gipfel zu hoch waren, als dass er sie hätte sehen können. Immer höher kletterte er. Einmal wäre er fast abgestürzt, doch gerade noch konnte er sich retten. Oft hatte er das Gefühl, als würde er verfolgt, doch nie konnte er jemanden entdecken. Nach der dritten Nacht in den Bergen, sein Vorrat ging langsam zur Neige und in der kahlen Ödnis gab es nicht viel zu essen, wurde er unruhig. Er hatte noch kein Zeichen von anderem Leben gesehen. Nicht einmal ein Adler oder eine Schlange waren ihm begegnet. Und als sich an diesem Tag Ileuad am Himmel zu zeigen begann, erreichte er einen Steinkreis. Wie eingefrorene Riesen ragten die Steine in den Himmel hinauf.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde er niedergeschlagen.

Als er wieder erwachte, befand er sich in einer großen Tropfsteinhöhle. Er war gefesselt und geknebelt. Um ihn herum aber waren Menschen in der Größe von Kindern, mit den Gesichtern von Erwachsenen: Zwerge.

»Er ist aufgewacht, aufgewacht ist er. Bringt ihn vor den König«, riefen sie durcheinander, einer lauter als der andere.

Der Junge wurde von kleinen, aber starken Händen hochgehoben und tiefer in die Höhle hineingetragen. Nach einiger Zeit blieben sie stehen. Er wurde abgesetzt und sie nahmen ihm Fesseln und Knebel ab. Dann wurde er um eine Ecke herumgestoßen und fand sich plötzlich in einer riesigen, mit Edelsteinen ausgekleideten Höhle wieder.

Ganz an deren Ende aber stand ein Thron, in dem der, fast in dessen Größe verschwindende, über und über mit Schmuck behängte König saß.

»Was hat dich in unser Reich getrieben und was willst du von uns? Seit drei Tagen beobachten wir dich nunmehr und nie konnten wir erkennen, was dein Weg und was dein Ziel ist«, sprach dieser mit einer erstaunlich tiefen und lauten Stimme.

»Niemand anderen als Euch, Höchster aller Herren, habe ich gesucht. Eine alte Frau sagte mir, dass ich bei Euch Männer finden würde, die mir bei meiner Suche nach einer unzerreißbaren Kette helfen können.«

»In der Tat, von einer solchen Kette haben wir schon gehört. Wachen: Lasst den Avotis holen.« Und die Wachen gehorchten.

Nach der Zeit, die es braucht, einen Schluck Milch über einem Feuer zu erhitzen, betrat ein Mann den Saal, der selbst für einen Zwerg winzig war und dessen Gesicht so faltig war, dass es aussah wie die Rinde eines alten Baumes.

Der König aber sprach: »Avotis, kannst du für diesen Jungen eine eiserne Kette schmieden, so stark, dass niemand unter der Sonne sie zerreißen kann?«

»Die Herstellung einer solchen Kette ist uns Zwergen schon seit zehn-mal-zehn-mal-zehn Sommern bekannt und es kann sein, dass ich in meinem Alter einige Sommer vergessen habe zu zählen. Wenn du aber wirklich eine solche Kette haben möchtest, dann sei dir gesagt, dass die Herstellung nicht einfach ist. Auch du müsstest an ihr mitwirken und Dinge tun, die dir vielleicht missfallen.« So sprach Avotis zu dem Jungen.

Der Junge aber wischte die Bedenken fort, zu gerne wollte er die Belohnung der Göttin in seinen Händen halten.

»Nun gut«, sprach Avotis, »dann folge mir in die Schmiede.«

In der Schmiede war es heiß und stickig. Der Junge konnte kaum atmen, Avotis aber machte sich eifrig ans Werk. Doch wie vorhergesagt, musste der Junge helfen. Er musste Scheite ins Feuer nachlegen, den Blasebalg bedienen und das Wasser zum Kühlen der einzelnen Glieder erneuern. Keinen Atemzug Ruhe ließ ihm der alte Zwerg, der sich in der Schmiede mit einer Wendigkeit bewegte, die ihm der Junge niemals zugetraut hätte.

Drei Sonnenaufgänge und drei Sonnenuntergänge schufteten sie ohne eine Pause, selbst wenn sie nur so kurz gewesen wäre, wie eine Kastanie braucht, um von einem Schemel zu Boden zu fallen. Das Geheimnis aber, welches man wissen muss, damit die Kette unzerreißbar wird, das weiß niemand mehr, der heute auf Erden wandelt.

Unzerreißbar aber muss sie gewesen sein. Denn als die beiden, der Zwerg und der Mensch, ihre Arbeit beendet hatten, ging der Junge fort, die Kette über seine Schulter geworfen, nachdem er noch drei-mal-vier Tage in der Gastfreundschaft des Königs verbracht und ihn und sein Gefolge mit Geschichten unterhalten hatte, die er in den Jahren seiner Wanderschaft gehört hatte. Und weil die Wegbeschreibung des alten Mannes von seinem Heimatdorf ausging, beschloss er, dorthin zurückzukehren.

Er betrat das Dorf und sah lauter fremde Gesichter. Hier und da schien es ihm, als würde er eine Nase oder einen Mund wiedererkennen, aber die Zeit hatte die Gesichter übermalt und verändert.

Unerkannt und unerkennend, verließ er das Dorf. Der Junge, der dort gewohnt hatte, war ein anderer gewesen und lebte nur noch in seiner Erinnerung.

Und wie der alte Mann gesagt hatte, nach zwei-mal-sechs Tagesmärschen kam er zu einem Wald und in der Mitte des Waldes standen zwei Bäume, eng umschlungen. Im Angesicht dieser zwei Riesen, die selbst noch als Bäume einander so sehr liebten, fiel er nieder und begann zu weinen.

»Was weinst du, mein Sohn?«, fragte ihn eine Stimme.

»Ich weine, weil mein Herz begriffen hat, dass ich nie auf Erden eine Liebe finden werde, so groß wie die der beiden«, antwortete er, wissend, mit wem er sprach.

Er hob den Kopf und blickte in den weiten Nachthimmel, der dunkel war von ihrer Abwesenheit. Dann stand er auf, wischte sich die Tränen ab und schlang die Kette eng um die beiden Bäume, denn wenn er sein Glück nicht finden würde, so sollten wenigstens diese beiden ihres haben.

»Du hast gut getan und dir wurde eine Belohnung versprochen. So sollst du sie bekommen. Viele Sommer bist du gewandert und nie hast du gezweifelt. In meinem Licht und an meiner Hand bist du gegangen und ich habe dich liebgewonnen. So komm hinauf in den Himmel, dass du fortan immer in meinem Haus lächelnd leben kannst.«

Und der Junge, der wusste, dass er auf der Erde nicht glücklich werden würde, streckte seine Hand aus und wurde in den Himmel getragen, dort aber lebte er von nun an, als der Kreis des Lichts um die Göttin Ileuad und immer, wenn die Nacht zwischen den Monden war, so wussten die Menschen, dass sich die beiden Liebenden in den Armen lagen.

Die Liebe, die zu Ende ging | Allegra Ketscher

Sie feierten Vermählung dort. Der Mann, der zu mir gehörte

wie die Finger meiner Hand, und die Tochter des Reix

der Mandubier, dieses blasse, rundliche Mädchen.

Aus: Die Zeit des Aufbruchs

Dunkelheit wird von Dunkelheit abgelöst.

Finsternis am Horizont und in meinem Herzen.

Zeit vergeht, unbestimmt viel Zeit, die nicht vergeht, ohne an ihn zu denken.

Ein Hahn krächzt in der Ferne, die dunklen Wolken schweifen langsam in die weite Welt.  

Die Sonne geht auf, aber nur am Horizont, nicht in meinem Herzen. In meiner Seele treibt lediglich ein gewisser Hauch von verblasster Freude sein Unwesen.   

Der Himmel wird von einer Nebelschicht bedeckt, mein Kopf ebenfalls.

In mir ist nichts weiter als ein letztes bisschen Hoffnung, ein wahrnehmbarer Atemzug meines inneren Dämons und die Realität, die Realität, die mich zerfrisst. Zerfrisst wie eine Schlange eine Ratte, zerfrisst wie der böse innere Dämon meine letzten Illusionen, zerfrisst, wie die ausgehauchte Kälte, die einem im Winter die Kehle zuschnürt und ein letztes bisschen Gefühl von Wärme auf scheinbar ewig vertreibt.

Es ist ein Tag wie jeder andere, ein Tag, der zugleich doch so anders ist. Meine Gedanken wandern ständig zu einer bevorstehenden Hochzeit.

Zu meiner bevorstehenden Hochzeit mit einer Person, die mein Herz höher schlagen lässt als jeder einzelne Funken an Glückseligkeit in diesem Dorf, in dieser Provinz.

Und genau das ist das Problem:

Es ist nur eine Illusion, meine Illusion, die sich von Kindheit an in meinen Kopf gebrannt hat, aber die nie mehr als mein tiefster innerster Wunsch sein wird. Die Person zu heiraten, für die ich jeden Berg der Welt versetzen würde, die ich mit einem Lächeln im Gesicht in meinem Gedächtnis behüte und bewahre, und die den verblassten grauen Alltag in Regenbogenfarben glänzen lässt.   

Mit einem Wort: Loïc.

Loïc, den ich liebe, der aber niemals mich lieben wird, weil es Arduinna gibt. Die Arduinna, die er liebt, die Arduinna, die nicht ich bin und niemals sein werde.

Die Liebe zu ihr, die verboten ist, und dennoch, wie mir scheint, von Tag zu Tag mehr entflammt, die Liebe, die Loïc und Arduinna am liebsten im Verborgenen heranwachsen lassen würden, die Liebe, die Loïc nicht für mich verspürt.

Ein trister Tag vergeht, der nächste triste Tag entsteht. Warum kann nicht ich Arduinna sein oder eine, die von Loïc geliebt wird?

Weshalb aber sollte ich aus meinen Kindheitsträumen erwachen und sie hinter mir lassen, bevor sie endgültig nur mehr ein Teil meiner Gedankenwelt sind und jeglichen Bezug zur Realität verloren haben?

Sollte ich um Loïc kämpfen, obwohl er offensichtlich Arduinna sein Herz schenkte, obwohl diese Schwärmerei niemals mehr als das sein kann?

Soll ich – ?

Lebewohl Loïc –

Jeden Morgen wache ich auf und blicke in den Himmel auf,

In der Hoffnung, dich zumindest am Horizont

Hand in Hand mit mir zu sehen,

Denn meine Liebe zu dir wird nie vergehen,

doch auch deine zu Arduinna bleibt bestehen,

ICH muss DICH lassen gehen.

Deine Augen, schön wie ein sich entfaltender Schmetterling,

Dein Lächeln zart wie seine Flügel,

Ein Schmetterling, der zu Arduinna fliegt.

Schmerz in meinen Augen, Schmerz in meiner Seele,

Veranlasst durch die unerwiderte Liebe,

mein Herz zu bluten beginnt.

Meine Gefühle können nicht einfach so verschwinden,

ich kann nicht Nichts für DICH empfinden,

Doch trotzdem, ICH muss DICH lassen gehen.

Tief in meinem Inneren die Gefühle zu dir bleiben bestehen,

sie werden nie vergehen,

denn ich kann sie UND dich nie gänzlich schwinden sehen.

Eine Erinnerung | Aimee Rieser

Tegid und ich waren vor drei Sommern über das schmale Meer gekommen,

als Morfran, Barde der Carnuten, alle Barden zu sich rief,

die in Gebieten fern der Römer lebten.

Aus: Die Zeit des Aufbruchs

Arduinna. Arduinna, die Bardin. Arduinna, Loïcs Geliebte. Arduinna, die Verbannte. Arduinna, die Verfluchte.

Arduinna. Ihr Name ist in aller Munde. Sie ist das Gesprächsthema des Marktes, sie sorgt für Stimmengewirr überall, wo ihr Name fällt. Doch irgendwoher kannte ich sie. Ihren Namen. Die drei blauen Bardenpunkte, die sie stolz an ihrer Schläfe trug, kannte ich. Sie erweckte Erinnerungen in mir, Erinnerungen, die ich schon lange vergessen hatte, und jetzt lassen sie sich nur schwer aus der dicken Staubschicht in meinem Kopf wiederbeleben. Aber ich kannte sie.

Ich weiß nur nicht mehr woher.

»Sie soll ja aus Britannien kommen.«

Meine Ohren spitzen sich. Meine Beine bleiben wie versteinert stehen.

Mein Körper erstarrt, als wäre ich eingefroren.

Kann es sein? Nein, unmöglich.

Aber so viele Leute gibt es in unserer Gegend in Britannien gar nicht. Noch weniger, die jetzt hier leben ...

Und noch weniger, die bei mir Erinnerungen wecken.

Doch plötzlich hebt sich die Staubschicht. Die Erinnerungen schweben zurück in meinen Kopf, die Bilder erscheinen hinter meiner Stirn. Wie kann ich es nur so lange nicht gesehen haben? Da tanzt sie vor meinem inneren Auge. Fröhlich und unbesorgt. Das ist die Arduinna, die ich in Erinnerung habe. Fröhlich und unbesorgt. Mit ihr Hand in Hand eine Wiese herunterlaufen ... Fröhlich und unbesorgt. Bäume klettern, Streiche spielen, Honigbrot essen. Fröhlich und unbesorgt.

»Die hätte bleiben sollen, wo sie herkommt. Die Ausländer bringen nur Unglück.«

Die Bilder verblassen. Verlieren die Farbe. Werden trüb und schwarzweiß.

Stimmengewirr.

Wo bin ich?

Pferdewiehern, Menschenschreien, Stimmengewirr.

Langsam erwache ich aus meinem Traum.

Der Markt. Ich stehe auf dem Markt. Fröhlich und unbesorgt ... Das waren wir. Jemand spuckt mir vor die Füße. Ich schaue hinunter. Zwischen meinen bloßen Zehen quetscht sich Matsch hindurch. Mein alter, abgetragener Mantel hängt im Dreck.

»Ja, Ausländer raus!«, sagt wieder eine andere Stimme.

Noch einmal spuckt mir wer vor die Füße. Ich raffe meinen Mantel und mache mich schnell auf den Weg.

Abseits der Felsenküsten | Luisa Angenbauer

»Die Götter haben euch zueinander geführt, das weiß ich.

Du wärst gewiss gestorben, hätte er dich nicht gefunden.«

Aus: Der Markt der Lügner

Mein weißes Kleid klebte wie eine zweite Haut an meinem Körper, und ich spürte die Kälte in meine Knochen und Glieder kriechen. Als ich meine vom Schlaf verkrusteten Augen aufschlug, lag der Salzgeruch des Meeres schwer in der Luft, und früher Morgentau hatte sich gebildet. Über mir zogen Wolken auf, und ich spürte den leichten Nieselregen wie Nadeln auf meine Haut trommeln.

Der dünne Stoff meines Kleides bot mir kaum Schutz vor den niedrigen Temperaturen. Das kleine Boot, in das ich mit angewinkelten Beinen gerade noch so hineinpasste, schaukelte verloren über die Wellen, doch als ich über den Rand blickte, war das Wasser nicht mehr schwarz, und endlos tief, sondern leuchtete in einem hellen Türkis. Mit großen Augen schaute ich auf und sah, wie sich Felsen vor mir in die Höhe bäumten. Zuerst verspürte ich Erleichterung, denn sie waren die ersten Anzeichen von Land und Boden, die ich nach zwei Tagen zu Gesicht bekam. Doch dann achtete ich auf die Wellen, die mit Wucht gegen die Felsen schlugen, und stellte mir vor, wie mein eigenes kleines Boot unter ihnen zerbarst.

Mit letzter Kraft packte ich die Ruder und wendete. Trotz der reißenden Strömung schaffte ich es, von den Felsen fort zu kommen und um die Klippen herum zu steuern. Es muss die Sterbensangst gewesen sein, die mir diese Kräfte verlieh.

Ich gelangte zu einer Bucht, in der sich die Wellen legten und das Wasser ruhig vor sich hinplätscherte. Die Ruder ließ ich sinken, und merkte erst jetzt, dass ich vor Anspannung meinen Atem angehalten hatte. Ich holte tief Luft und spürte plötzlich die Erschöpfung, die nicht nur in meinen Gliedern steckte, sondern auch an meiner Seele zerrte. Ich ließ mich zurück ins Boot fallen, und wagte erst wieder, den Kopf zu heben, als ich es im Sand stranden spürte. Der Regen hatte aufgehört.

Langsam erhob ich mich, doch bei dem Versuch, aus dem Boot zu klettern, gaben meine Beine nach und ich fiel in den nassen Sand. Er klebte an meinen wunden Knien und hinterließ Flecken auf meinem einst weißen Leinenkleid.

Als ich aufsah, erblickte ich zwei Füße vor mir im Sand. Sie waren klein und weich. Kinderfüße. Ich stolperte ein Stück zurück und blinzelte dem hochstehenden Lug entgegen. Ein Mädchen stand vor mir. Stumm sah sie mich an, den Kopf schiefgelegt, mit neugierig blitzenden Augen. Sie hatte schönes, langes Haar, und trug ein schlichtes Kleid, das ihr bis unter die Knie reichte. Obwohl sie nur ein Kind war, wurde ich unter ihrem Blick nervös.

»Wer bist du?«, fragte ich langsam, und sprach jedes Wort nur zögerlich aus, da ich nicht wusste, ob sie meine Sprache verstand.

Sie runzelte die Stirn. Plötzlich streckte sie ihre Hand nach mir aus. Sie umfasste meinen Arm, und zog mich sanft in die Höhe. Meine Beine kribbelten, als hätten sie hundert Monde lang geschlafen, doch es gelang mir, aufrecht stehen zu bleiben.

Das fremde Mädchen führte mich einen schmalen, steinigen Weg entlang, der sich bis hinauf zu den Felsen zog. Wir waren schon einige Zeit gegangen, und die einzelnen Kieselsteinchen hatten sich schmerzvoll in meine Fußsohlen gebohrt. Ich wollte sie gerade um Rast bitten, da Sonnengott Lug heute fast quälend zu uns hinunterlachte, als ich die Umrisse eines kleinen Dorfes ausmachte. Mein Herz schlug schneller, ein bisschen vor Freude, und ein bisschen vor Angst. Doch das Mädchen hatte meine Hand fest umschlossen, als ob es mir so Mut zusprechen wollte.

Die Fremde führte mich weiter, bis wir zu einem lieblichen Dorfplatz gelangten. Die Menschen tummelten sich, einige Händler hatten ihre Stände aufgebaut, und Mägde sowie Dorfburschen drängten sich um die reiche Auswahl. Es war ein buntes Treiben und der belebte Ort gefiel mir auf Anhieb, da er sich so sehr von meinem eigenen Dorf unterschied.

Das Mädchen, das meine Hand immer noch fest in der ihren hielt, zog mich durch die Menschenmenge. Während sie mit Leichtigkeit zwischen den Gestalten hindurch schlüpfte, musste ich mich mühsam durch Ellbogen und Kniescheiben wälzen. Wir gelangten zu einem weiteren schmalen, steinigen Weg, der zu einem Hof mit Ziegenställen und Gemüsefeldern führte. Das dazugehörige Haus war gerade groß genug für eine kleine, dreiköpfige Familie, und stand etwas verloren abseits vom Dorf. Einige Hühner gackerten in der Nähe, und der Wind trug den Geruch von Dung und Getreide mit sich.

Plötzlich öffnete sich die Holztür des Lehmhauses und ein Mann mittlerer Jahre, mit grau-schwarzen Haaren steckte den Kopf durch die Tür.

»Arduinna!«

Arduinna war also ihr Name.

Der Blick des fremden Mannes fiel auf mich, und seine Stirn legte sich in Falten. Ein wenig beschämt senkte ich den Kopf, denn mein schmutziges Kleid klebte an meinem abgemagerten Körper, und meine Augen lagen nur noch in tiefen Höhlen.

Ohne den Blick von mir abzuwenden, sprach der Mann in einem fremden Dialekt zu Arduinna. Seine knappen Wörter hörten sich nach einer Frage an, doch in seiner Stimme lag keine Spur von Misstrauen. Als sein Blick auf meine Hand fiel, die Arduinnas immer noch fest umklammert hielt, wurden seine Gesichtszüge weicher, und er trat seufzend zur Seite, um mir und dem kleinen Mädchen Einlass zu gewähren. Als ich einen Fuß über die Türschwelle setzte, machte sich ein schweres Gefühl in meiner Brust breit. Ich hatte es schon einmal gespürt, in meiner Heimat – den Schatten eines Fluches.

Blitzschnell ließ ich Arduinnas Hand los, die mich plötzlich zu verbrennen schien. Als ich mit panischem Gesichtsausdruck auf meine schmerzende Handfläche starrte, waren dort keine Spuren einer Verletzung zu sehen. Schnell wischte ich meine Hand am Saum meines Kleides ab, und betrat das kleine Haus, in dem es nach Schafsfellen und Feuerholz roch. Noch immer konnte ich meinen Blick kaum von Arduinna wenden, doch obwohl sich meine Gedanken zu überschlagen drohten, ließ ich mir nichts von meinem Unmut anmerken.

Der Mann, den Arduinna Tegid nannte, zeigte wortlos zu der kleinen Feuerstelle, bei der sich Töpfe und Tonschalen stapelten, und wo es aus einem schweren Kupferkessel dampfte.

---ENDE DER LESEPROBE---