Der Notarzt 485 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 485 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

Als die Kinder- und Jugendpsychologin Lea König zum ersten Mal die kleine Silja kennenlernt, merkt sie schnell, dass mit diesem Kind etwas nicht stimmt. Die Fünfjährige redet wie eine zutiefst verbitterte alte Dame, statt wie ein normales Mädchen zu kichern, zu plappern und vor Lebensfreude zu strahlen. Leider hat es die Psychologin bisher nicht geschafft, mit der Mutter der Kleinen zu sprechen. Das Kind wird grundsätzlich von seiner Großmutter begleitet, die allen Fragen über die Mutter ausweicht.
Was Lea zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, ist, dass Siljas Mama Clara in einer schier ausweglosen Situation steckt und beinahe jeden Lebenswillen verloren hat.
Doch dann erkrankt Silja schwer, und als klar wird, dass nur sie selbst ihre Tochter retten kann, beschließt Clara, den großen Schritt in ein neues Leben zu wagen ...

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Inhalt

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Jetzt erst recht

Vorschau

Impressum

Jetzt erst recht

Die schwere Erkrankung ihrer Tochter verleiht Clara ungeahnten Lebensmut

Karin Graf

Als die Kinder- und Jugendpsychologin Lea König zum ersten Mal die kleine Silja kennenlernt, merkt sie schnell, dass mit diesem Kind etwas nicht stimmt. Die Fünfjährige redet wie eine zutiefst verbitterte alte Dame, statt wie ein normales Mädchen zu kichern, zu plappern und vor Lebensfreude zu strahlen. Leider hat es die Psychologin bisher nicht geschafft, mit der Mutter der Kleinen zu sprechen. Das Kind wird grundsätzlich von seiner Großmutter begleitet, die allen Fragen über die Mutter ausweicht.

Was Lea zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, ist, dass Siljas Mama Clara in einer schier ausweglosen Situation steckt und beinahe jeden Lebenswillen verloren hat.

Doch dann erkrankt Silja schwer, und als klar wird, dass nur sie selbst ihre Tochter retten kann, beschließt Clara, den großen Schritt in ein neues Leben endlich zu wagen ...

Wenn die Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Lea König die Augen schloss, dann hörte sie eine selbstgerechte, bigotte alte Frau sprechen. Wenn sie die Augen wieder öffnete, saß ihr ein entzückendes kleines Mädchen gegenüber. Silja Fröhlich, fünf Jahre alt, depressiv, ohne jegliche Lebensfreude, knochentrocken, altklug und bieder wie eine engstirnige Siebzigjährige.

Marlene Savatsky, die Leiterin des Kindergartens, den Silja seit zwei Monaten besuchte, hatte das Kind zu ihr geschickt, weil sie das gleiche Problem gehabt hatte wie die Psychologin jetzt auch. Siljas Äußeres und Siljas Inneres passten einfach nicht zusammen.

Wenn eine körperlich gesunde Fünfjährige, die doch eigentlich vor Lebensfreude, vor Übermut und Selbstbewusstsein Funken sprühen sollte, sich wie eine verbitterte alte Frau benahm, dann konnte irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehen.

Frau Savatsky hegte den Verdacht, dass in der Familie der Kleinen etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sie hatte öfter darum gebeten, mit der Mutter des kleinen Mädchens sprechen zu dürfen. Doch Renate Fröhlich, die Großmutter, die Silja jeden Morgen zum Kindergarten brachte und mittags auch wieder abholte, brachte stets hunderttausend Ausreden vor, warum das angeblich nicht möglich sei.

Marlene Savatsky hatte sogar angeboten, sich spätabends mit der Kindesmutter zu treffen, falls diese berufstätig sein sollte und sich tagsüber nicht mal eine halbe Stunde freinehmen könnte. Jedoch ...

»Nein, abends kann meine Tochter Clara ganz bestimmt auch nicht.«

»Und wie wäre es am Wochenende? Ich könnte Samstag oder Sonntag für eine Stunde in den Kindergarten kommen. Ihre Tochter könnte die Uhrzeit frei wählen. Es liegt mir wirklich sehr am Herzen, mit der Mutter zu sprechen.«

»Ich kann sie ja mal fragen, aber ich sage Ihnen gleich, dass das auch nicht gehen wird.«

»Ist sie krank? In diesem Fall würde ich Frau Fröhlich auch gerne zu Hause aufsuchen.«

»Nein, danke! Hausbesuche schätzen wir nicht besonders. Wir bleiben gerne unter uns.«

»Gibt es denn keinen biologischen Vater?«

»Natürlich gibt es einen biologischen Vater, gute Frau! Meine Tochter ist ja nicht die heilige Jungfrau, die von einem Engel geschwängert wurde, nicht wahr? Der biologische Erzeuger war ein Tunichtgut, aber das geht Sie nun wirklich nichts an. Und ich sehe auch überhaupt nicht ein, warum Sie Gott und die Welt sprechen wollen. Ich bin doch hier. Alles, was Sie zu sagen haben, können Sie auch mir sagen.«

So hatten sich bislang sämtliche Gespräche zwischen den beiden abgespielt. Die Kindergartenleiterin hatte die immer gleichen Inhalte wortwörtlich wiedergegeben und Lea gegenüber ihre große Sorge zum Ausdruck gebracht.

»Irgendwas stimmt hier nicht. Wenn Silja ihre Mama nicht hin und wieder erwähnen würde, könnte man glauben, es gäbe sie gar nicht. Weder ich noch eine meiner Mitarbeiterinnen haben sie jemals zu Gesicht bekommen. Halten Sie mich bitte nicht für hysterisch, liebe Frau König, aber ich bekomme immer Gänsehaut, wenn ich an Siljas Mutter denke. Warum? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung.«

Lea König war natürlich klar, dass manche Pädagoginnen gerne mal übers Ziel hinaus schossen und aus einer Mücke einen Elefanten machten.

Sie kannte eine Mutter – eine sehr gute Mutter! – von zwei Mädchen und einem Jungen, die in regelmäßigen Abständen von Polizei und Jugendamt heimgesucht wurde. Ihre drei Kleinen waren sehr sportlich veranlagt und kaum jemals ohne Blutergüsse, Abschürfungen, Kratzer oder sonstige Blessuren zu sehen.

Die Lehrerinnen der drei Kinder wollten es einfach nicht glauben, dass Kinder, die im Freien herumtollten, anstatt sich still sitzend mit ihren Smartphones zu beschäftigen, eben so aussahen.

Bei Frau Savatsky hatte sie diesbezüglich jedoch überhaupt keine Bedenken gehabt, als diese sie vor einer Woche in ihrer Praxis aufgesucht und sie um Rat gefragt hatte.

Marlene Savatsky war ihr als sehr vernünftig, unaufgeregt, einfühlsam und verständnisvoll erschienen. Die Kinder, die ihr anvertraut wurden, lagen ihr wirklich sehr am Herzen. Und jetzt – Silja war heute zum ersten Mal hier – musste Lea der Frau in allem recht geben.

Das kleine Mädchen war überhaupt nur deswegen hier, weil die Kindergartenleiterin Druck gemacht und damit gedroht hatte, das Jugendamt zu verständigen, wenn dem Kind die ihrer Meinung nach dringend notwendige Therapie verweigert würde.

Renate Fröhlich hockte jetzt draußen im Wartebereich und schmollte, weil Lea es ihr nicht erlaubt hatte, mit ins Therapiezimmer zu kommen. Vielleicht stand sie aber auch direkt vor der Tür und drückte abwechselnd ein Ohr und ein Auge gegen das Schlüsselloch, damit ihr bloß nichts entging. Zutrauen würde Lea es ihr, denn diese Frau war krankhaft kontrollsüchtig.

»Sag mal, Silja, ein nettes Mädchen wie du hat doch bestimmt viele kleine Freunde, oder?«

Lea hätte die Antwort des kleinen Mädchens auf diese Frage wortwörtlich vorhersagen können, obwohl sie sich erst seit etwas mehr als zehn Minuten mit Silja unterhielt.

»Nein, wir bleiben lieber für uns alleine. Bei fremden Kindern kann man nie wissen, die haben womöglich einen schlechten Einfluss auf mich oder stecken mich mit irgendeiner schlimmen Krankheit an.«

»Ach so.« Lea nickte lächelnd, obwohl sie der Meinung war, dass jedweder Einfluss abseits des Einflusses der kontrollsüchtigen Großmutter nur gut für das Kind sein konnte. Ob der Einfluss gut oder schlecht wäre, das wäre völlig egal. Hauptsache, dieses äußerlich so entzückende kleine Mädchen bekäme endlich einmal mit, dass nicht alle Menschen so verbiestert und bigott waren wie Oma Renate.

»Was machst du denn in deiner Freizeit gerne, mein Schatz? Spielst du im Garten? Oder guckst du gerne Bilderbücher an? Legst du Puzzles, oder baust du mit Bausteinen Häuser?«

Sie zuckte schmunzelnd mit den Schultern, als sie statt einer Antwort nur ein Stirnrunzeln und einen völlig ratlosen Blick erntete. Das Kind schien nicht zu wissen, was das Wort »spielen« bedeutete.

»Spielst du vielleicht mit deiner Puppe? Ziehst ihr verschiedene Kleider an, frisierst sie und fährst sie im Puppenwagen spazieren? Oder hast du Stofftiere, mit denen du dich beschäftigst? Einen kleinen Kaufmannsladen vielleicht? Oder spielst du Computerspiele?«

»Ich beschäftige mich nur sinnvoll«, gab die Kleine von oben herab bekannt. »Ich übe mich im Nähen, im Häkeln und Stricken und in der Hausarbeit.«

Ach du meine Güte!, dachte Lea bei sich und hatte große Mühe, das freundliche Lächeln beizubehalten.

»Macht das denn Spaß?«, hakte sie nach.

»Man ist nicht dazu auf der Welt, um Spaß zu haben!«, stellte das Kind energisch klar.

»Sondern? Wozu denn sonst?«

»Um ein gottesfürchtiges Leben mit harter Arbeit und vielen Entbehrungen zu verbringen. Wer sich im Leben nichts gönnt und sich auch nicht schont, der wird später im Himmel reich dafür belohnt.«

»Ah, okay ...«

Wäre es nicht ein ihr anvertrautes fünfjähriges Mädchen gewesen, das ihr gegenübersaß und dem diese vorsintflutlichen Glaubenssätze vermutlich von Geburt an eingetrichtert worden waren, dann wäre Lea jetzt aufgestanden und gegangen. Leute, die so einen Schei... Scheibenkleister verzapften, die waren ihr äußerst zuwider.

Dass auch Marlene Savatsky dieses Gerede maßlos irritierte, rechnete sie der Pädagogin hoch an.

»Hast du das von deiner Großmutter gelernt, dass man so leben sollte?«, fragte sie rundheraus. »Sagt deine Mami das auch?«

»Oma hat mir das beigebracht«, erwiderte das kleine Mädchen und näselte dabei wie eine vertrocknete alte Adelige. »Opa auch. Opa weiß solche Sachen ganz genau, denn er ist Regili... Religionslehrer an einem Gymnasium. Und dass es stimmt, das sehe ich selbst, denn Mami hat sich nicht daran gehalten, als sie noch jung war, und das hat sie nun davon!«

»Oh! Und ... was ist das, was sie nun davon hat?«

Lea rechnete mit irgendeiner schlimmen Strafe, die der Himmel über Siljas arme Mutter hatte kommen lassen, weil sie sich nicht an irgendwelche Regeln gehalten hatte. Sie war sicher, gleich etwas über einen schlimmen Unfall mit anschließender Lähmung, über unheilbaren Krebs, über eine Beinamputation oder ein Dahinsiechen im Koma zu hören. Jedoch ...

»Das siehst du doch. Ich bin das, was sie davon hat!«

»Ich verstehe.« Lea nickte und versteckte ihre Emotionen hinter einem Lächeln. Was sie jetzt fühlte und dachte, das konnte sie nicht laut sagen, denn die Ausdrücke, mit denen sie die alte Schreckschraube vor der Tür in Gedanken bedachte, wären nicht ganz jugendfrei gewesen.

Dann beugte sie sich weiter nach vorne, guckte demonstrativ zur Tür und dämpfte ihre Lautstärke zu einem verschwörerischen Raunen.

»Dann ist es also so, dass man, wenn man sich nicht an das hält, was Oma und Opa sagen, ein so wundervolles, entzückendes, bezauberndes kleines Mädchen bekommt, wie du eines bist? Wenn das stimmt, dann werde ich ab sofort das totale Gegenteil von dem tun, was die beiden sagen.«

Auch das kleine Mädchen guckte besorgt zur Tür, beugte sich ebenfalls weit über das kleine Tischchen, das zwischen ihm und Lea stand, und flüsterte dann genauso, wie Lea es zuvor getan hatte.

»Warum?«

»Warum?« Lea lachte. »Weil ich auch mit einem so einzigartigen, wunderschönen und kostbaren Geschenk bestraft werden möchte. So eine Strafe möchte doch jeder gerne bekommen.«

»Ich bin aber doch ein ledigliches Kind«, flüsterte Silja zurück und betonte das Wort, das sie nicht ganz korrekt nachplapperte und dessen Bedeutung sie offensichtlich gar nicht kannte, als ob es sich dabei um etwas schrecklich Schmutziges handelte.

»Ledig oder nicht, das ändert doch nichts an der Tatsache, dass du das entzückendste kleine Mädchen auf der ganzen Welt bist. Wenn du deine Mami einmal fragst, wird sie dir bestimmt sagen, dass du das schönste Geschenk bist, das sie jemals bekommen hat.«

»Ich?« Die großen bernsteinfarbenen Augen der Kleinen weiteten sich. Sie stupste sich den Zeigefinger in die Brust und guckte die Psychologin ungläubig an. »Iiich?«

Lea nickte. »Ja, du! Guck doch einmal in den Spiegel.« Sie nahm einen Handspiegel von dem kleinen Tischchen, an dem die beiden sich auf kleinen bunten Kinderstühlen gegenübersaßen, und hielt ihn Silja vors Gesicht. »Und? Siehst du darin nicht das schönste kleine Mädchen der ganzen Welt?«

Silja drehte den Kopf zur Seite und weigerte sich, in den Spiegel zu schauen.

»Eitelkeit ist eine Todsünde!«, belehrte sie Lea mit dieser Stimme, die der von Renate Fröhlich zum Verwechseln ähnlich war.

»Undankbarkeit aber erst recht«, behauptete Lea einfach ins Blaue hinein. Mit Todsünden kannte sie sich nicht besonders gut aus. Sie wusste nur, dass es eine ganze Menge davon gab und ohnehin niemand so genau wusste, wie sie alle lauteten. Niemand außer Oma Renate und Opa natürlich.

»Wieso denn undankbar?«

»Nun, Oma Renate und Opa haben dir doch bestimmt gesagt, dass Gott dich erschaffen hat. Richtig?«

Sie nickte. »Mhm.«

»Siehst du? Und offensichtlich hat er sich mit dir besonders viel Mühe gegeben. Du bist ihm ganz besonders gut gelungen, und darauf ist er doch sicherlich stolz. Da wird er sich doch von dir wünschen, dass du jeden Tag in den Spiegel guckst, dich riesig freust und ihm dankbar dafür bist und ihn lobst, dass er dich so vollkommen und so wunderschön gemacht hat. Meinst du nicht auch?«

Fasziniert beobachtete Lea, wie das kleine Mädchen den Kopf langsam drehte, vorsichtig in den Spiegel linste und dann übers ganze hübsche Gesichtchen zu strahlen begann.

Doch nur wenige Sekunden später ging ein Ruck durch den kleinen Körper, das Strahlen verschwand, und Oma Renate hatte die zarte Kinderseele, die gerade einen zaghaften Fluchtversuch gewagt hatte, wieder fest im himmlischen Würgegriff.

»Stolz ist auch eine Todsünde!«

Ach herrje! Lea seufzte tief. Es würde vermutlich lange dauern, Oma Renate aus Siljas Kopf zu verbannen. Die selbstgerechte Frau hatte sich dort regelrecht festgebissen wie eine Zecke und wehrte sich entschieden dagegen, entfernt zu werden.

Doch Lea hatte keine Zweifel daran, dass es ihr gelingen würde. Sie würde die Zecke namens Renate aus der Kinderseele entfernen und dafür sorgen, dass das kleine Mädchen mit den schrecklich traurigen Augen bald lachen konnte.

Oh ja, das würde sie. Jetzt erst recht!

***

Den Kindergarten, der malerisch auf einer Wiese im großen Klinikpark gelegen war, im Zuge der Morgenvisite aufzusuchen, gehörte nicht zu seinen Pflichten. Dennoch schaute Prof. Lutz Weidner, der Chefarzt der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, gelegentlich dort vorbei, wenn er alle Stationen im Hauptgebäude und die beiden Pavillons, in denen die Geriatrie und die Palliativstation untergebracht waren, abgeklappert und noch ein bisschen Zeit übrig hatte.

Schließlich lagen ihm die Kinder seiner Mitarbeiter genauso am Herzen wie seine Patienten.

Es ging bereits auf elf Uhr zu, als er sich dem ländlich anmutenden Häuschen mit dem bunt lackierten Lattenzaun näherte.

»Das nenne ich aber mal eine üppige Mahlzeit«, sagte er lachend, als eines der Hühner, die die Kinder ganz alleine versorgen und deren Eier sie am Morgen suchen durften, einen ziemlich fetten Wurm aus der Erde zerrte. »Du heißt nicht zufällig Emil?«, scherzte er.

Er dachte dabei an Emil Rohrmoser, den stark übergewichtigen Verwaltungsdirektor der Sauerbruch-Klinik, der ebenfalls eine Vorliebe für sehr üppige Portionen hatte.

»Entschuldige!«, fügte er schmunzelnd hinzu, als sich das Huhn aufplusterte und ihm ein empörtes »pock-pock-pock!« entgegenschmetterte. »Das sollte keine Anspielung auf deine Figur sein. Die ist für ein Huhn ganz passabel, denke ich.«

Wie es schien, kam er gerade zur rechten Zeit, denn als er das Gebäude betrat, fand er Hendrike Aubauer, die sechsundvierzigjährige Leiterin des Klinikkindergartens, auf dem Flur vor. Sie hatte sich mit dem unteren Rücken gegen die Wand gelehnt und weit nach vorne gebeugt. Die Hände auf die Oberschenkel gestützt, atmete sie sehr tief durch.

»Dicke Luft?«, erkundigte sich der Chefarzt.

»Oh!« Hendrike Aubauer richtete sich mit einem Ruck auf. »Guten Morgen, Herr Professor! Ja, ich musste kurz rausgehen und mich erst mal ein bisschen beruhigen, um die Kinder nicht sehen zu lassen, dass ich mit meinem Latein und auch mit meinen Nerven wieder mal am Ende bin.«

»Darf ich raten?«, fragte Lutz Weidner schmunzelnd. »Joschka mal wieder?«

Der Kindergartenleiterin entfuhr ein tiefer Seufzer.

»Wer sonst, wenn nicht Joschka?«