DER TOD IST EWIG - EIN FALL FÜR SUGAR KANE - John Cassells - E-Book

DER TOD IST EWIG - EIN FALL FÜR SUGAR KANE E-Book

John Cassells

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Beschreibung

London.

Lew Archer steht nicht zum ersten Mal vor Gericht. Doch diesmal ist mehr im Spiel als eine harmlose Betrugs-Affäre...

Privatdetektiv Sugar Kane glaubt nicht an die Schuld des Angeklagten. Aber er braucht Beweise - und die kann ihm nur der wahre Mörder liefern...

 

Der Roman Der Tod ist ewig - Band 4 der fünfbändigen Reihe um den Londoner Privatdetektiv Donny 'Sugar' Kane - des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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JOHN CASSELLS

 

 

Der Tod ist ewig

Ein Fall für Sugar Kane

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER TOD IST EWIG 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

London.

Lew Archer steht nicht zum ersten Mal vor Gericht. Doch diesmal ist mehr im Spiel als eine harmlose Betrugs-Affäre...

Privatdetektiv Sugar Kane glaubt nicht an die Schuld des Angeklagten. Aber er braucht Beweise - und die kann ihm nur der wahre Mörder liefern...

 

Der Roman Der Tod ist ewig - Band 4 der fünfbändigen Reihe um den Londoner Privatdetektiv Donny 'Sugar' Kane - des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DER TOD IST EWIG

 

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war genau ein Uhr, als Kane auf Antrades Restaurant zusteuerte. Er blieb nur kurz im Eingang stehen, um die Tropfen von seinem fleckigen alten Trenchcoat zu schütteln, denn es herrschte kaltes Regenwetter. Den Wagen hatte Kane vor seiner Wohnung in Hendon stehenlassen.

Antrade, der hinter der Theke stand, lächelte Kane zu und bereitete ihm sogleich seinen üblichen Lunchdrink. Er stellte das Glas auf die Theke, sah dann zu, wie Kane seinen Trenchcoat und den verbeulten Hut ablegte und an die Bar trat.

»Du hast’s geschafft, Sugar.«

»Nur knapp. War den ganzen Vormittag auf den Beinen.«

Antrade nickte. »Dachte ich mir.«

Kane griff nach dem Glas und trank einen Schluck. »Gibt’s was Neues, Johnny?«

Antrades dunkle Augen leuchteten auf. Er hatte ein rundes, teigiges Gesicht und sah demzufolge genauso aus wie jeder andere Bursche mit einem runden, teigigen Gesicht, doch wenn er lächelte, blitzten seine Augen, und seine Züge erwärmten sich. »Heute Vormittag hat jemand dreimal bei mir angerufen und sich nach dir erkundigt, Sugar. Ich wusste, dass du nicht in deinem Büro sein konntest, denn sonst hätte dein Klient nicht hier angerufen.«

»Dreimal ist ziemlich viel«, sagte Kane. »Wer war’s denn?«

»Eine Sie.«

Kane machte ein nachdenkliches Gesicht. »Hatte diese Sie auch einen Namen?«

»Wenn sie einen Namen hatte, so verriet sie ihn mir jedenfalls nicht. Alles, was sie sagte, war: Ist Mr. Kane noch nicht da? Als ich verneinte, erklärte sie: Wenn er kommt, richten Sie ihm doch bitte aus, dass in seinem Büro eine Klientin auf ihn wartet. Das war alles.«

Kane überlegte. »Dann war sie also in der Proud Lane, traf dort niemanden an und meldete sich hier?«

»So war es.«

»Sonst hat sie nichts gesagt?«

»Kein Wort.« Johnny beobachtete Kane. »Jedenfalls weiß sie, dass du hier zu essen pflegst.«

»Das weiß inzwischen jeder«, entgegnete Kane. »Was hatte sie für eine Stimme?«

»Eine hübsche Stimme, Sugar. Es war die Stimme einer Dame, möchte ich sagen.« Er schüttelte den Kopf. »Nach dem Aussehen allein kann man heutzutage ja nicht mehr gehen. Aber wenn die Betreffenden den Mund aufmachen, weiß man, mit wem man es zu tun hat, Sugar.«

Kane lachte. »Das ist Ansichtssache, Johnny, aber vielleicht hast du recht.« Er setzte sein leeres Glas ab und ging zu seinem Stammplatz hinüber.

Cibber näherte sich lächelnd. Er war ein hagerer Mann mit einem schmalen Gesicht, in das viele kleine Furchen eingegraben waren, die von harten Zeiten, Heiterkeit, Zärtlichkeit und all den Gefühlen sprachen, die einen Mann prägen, der während der besten Jahre seines Lebens andere Leute bedient und eine große Familie ernährt hat. Seine Füße waren wie bei vielen Kellnern nicht mehr die besten, und er hinkte ein wenig, als er auf Kanes Tisch zukam. »Guten Tag, Mr. Kane. Freut mich, Sie zu sehen.« Er wedelte mit einer Serviette über den Tischrand und polierte mit mechanischen Bewegungen Messer, Gabel und Löffel. »Was darf’s denn sein, Mr. Kane?«

»Dasselbe wie üblich, Cibber.«

Cibber sagte gedehnt: »Rindskeule heute sehr zu empfehlen, Sir.«

Kane sträubte sich gegen diese Empfehlung und klopfte auf seine Gürtellinie. »Habe ich bestimmt nicht nötig, Cibber. Ich muss auf mein Gewicht achten. Nicht alle haben Ihre Figur, nicht alle. Was macht die Familie?«

»Alles in Ordnung, Mr. Kane. Mark hat in dieser Woche einen neuen Job bekommen.«

»Wo arbeitet er denn?« Kane nahm Platz.

»Im Redaktionsstab des Adchester Chronicle.« Cibber sagte es mit hörbarem Stolz.

»Alle Achtung«, meinte Kane. »Jetzt ist der Junge schon in der Fleet Street – und dabei scheint es überhaupt noch nicht lange her zu sein, dass er noch feucht hinter den Ohren war.« Er schüttelte den Kopf. »Wie die Zeit vergeht, Cibber. Demnächst werde ich eines Morgens aufwachen und feststellen, dass ich ein alter Mann bin.«

»Bei mir habe ich das schon festgestellt«, sagte Cibber melancholisch, machte kehrt und ging langsam in Richtung Küche.

Kane blickte hinter ihm her. Cibber ist in Ordnung, dachte er. Man musste in Ordnung sein, wenn man mit dem Gehalt eines Kellners dreizehn Familienangehörige versorgte. Doch die meisten Kinder waren jetzt erwachsen. Zwei Jungen waren bei der Polizei, einer bei der Berufsfeuerwehr, und zwei Mädchen hatten den Lehrberuf ergriffen. Man konnte sagen, dass Cibber im Leben seinen Mann gestanden hatte. Jetzt kehrte er mit dem Tablett an Kanes Tisch zurück.

Kane begann zu essen und beendete die Mahlzeit mit Salzgebäck, Käse und Bier. Er hatte das Glas halb geleert, als Joe Osborne im Türrahmen auftauchte und sich suchend umblickte. Als er Kane erspäht hatte, nickte er unmerklich und trat an den Tisch.

Joe Osborne war Kriminalbeamter und in diesem Bezirk tätig. Ein großer, schlaksiger, blonder Bursche, den Kane besonders gut leiden mochte. Er hatte ein langes, schmales und freundliches Gesicht, blaue Augen und das Aussehen eines Mannes, der sich nie richtig ausschlafen kann. Er nahm Kane gegenüber auf dem freien Stuhl Platz und fragte: »Wie geht’s denn, Sugar?«

Kane deutete Cibber mit einer Geste an, noch ein Bier zu bringen.

Osborne zog ein Zigarettenpäckchen aus der Rocktasche, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie an. »Ich dachte mir schon, dass ich Sie hier finden würde, Sugar.«

»Was haben Sie auf dem Herzen?«

»Huggett.«

»Ike Huggett?«

»Genau. Wir suchen ihn nämlich. Stieg in ein Pelzgeschäft ein. Vor fünf Tagen. Ungefähr viertausend Pfund. Es muss Huggett gewesen sein. Kein anderer hätte dort etwas angerührt. Der Chef möchte sich mit ihm unterhalten. Wir suchen ihn schon seit vier Tagen.«

»Davon habe ich noch gar nichts gehört.«

»Natürlich nicht. Wir wollten es für uns behalten. Der Alte fand das richtiger – leider sind wir noch keinen Schritt weitergekommen. Sollten Sie uns helfen können, Sugar, Sie kennen die Telefonnummer.«

Kane grinste. »Ich werde an Sie denken. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel; ich habe Huggett seit zwölf Monaten nicht mehr gesehen und kann mir nicht denken, dass er gerade jetzt auftauchen sollte, nur um gewissermaßen der Nachfrage Genüge zu tun.«

»Das ist wahr«, seufzte Osborne, »aber das Glück spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Manchmal ist die Welt kleiner, als man glaubt. Ganz abgesehen davon – Sie haben viele Verbindungen, Sugar.«

Kane dachte nach. »Um welches Pelzgeschäft handelt es sich?«

»Kling and Steedman.«

»Viertausend Pfund... Das ist nicht gerade viel, wenn Sie mich fragen. Soviel kann nämlich ein einziger Pelzmantel kosten.«

»Huggett wurde gestört. Sie fragen sich wahrscheinlich, weshalb wir so sicher sind, dass es Huggett war. Nun, ein Taxifahrer sah in der Nähe von Kling and Steedman drei Männer auf einen Lastwagen steigen. Einer von ihnen könnte ohne weiteres Ike Huggett gewesen sein. Die Beschreibung passt genau auf ihn.«

»Wissen Sie, wer als Hehler in Frage käme?«

Osborne schüttelte den Kopf. »Nein. Huggett ist schlau. Er arbeitet nie mit dem gleichen Hehler zusammen. Wie dem auch sei, das ist die Situation, Sugar. Sollte irgendeiner Ihrer Spezis etwas flüstern hören, dann wissen Sie, was zu tun ist.«

»Ich werde daran denken«, sagte Kane.

Osborne leerte sein Glas. »So, jetzt werde ich mich verdünnisieren. Der Chef möchte eine Menge Arbeit erledigt wissen – hopp, hopp!« Er stand auf und begann seinen Regenmantel zuzuknöpfen. Er gähnte dabei und hielt die große Hand vor den Mund. »Im Vertrauen, Sugar, ich könnte eine Woche ohne Unterbrechung schlafen.«

»Spät ins Bett gekommen?«

»Gegen halb sechs. Razzia in der Ling Lane, allerdings ohne Erfolg. Heute Morgen musste ich um zehn Uhr im Gericht sein. Haftprüfungsverfahren. Und um Viertel vor drei geht’s weiter. Was für ein Leben! Nun, ich habe es nicht anders gewollt – warum beklage ich mich also?« Er grinste über das ganze Gesicht. »Hoffentlich können Sie Huggett aufstöbern. Wir sehen uns bald wieder.«

»Ich will’s versuchen«, sagte Kane, »aber setzen Sie nicht alle Ihre Karten auf mich.«

Osborne verabschiedete sich und ging hinaus.

Kane sah ihm nach. Auch Osborne war in Ordnung. Er war verheiratet, hatte eine hübsche Frau, drei Kinder und kaum genug Geld zum Leben. Er arbeitete vierzehn bis sechzehn Stunden täglich. Kam noch wie heute eine Gerichtsverhandlung hinzu, dann machte er in einer Woche sechsunddreißig Überstunden – und was hatte er davon? Zehn Tage Urlaub in Margate, alle zwei Jahre ein neuer Anzug, täglich zehn Zigaretten und ein wenig Taschengeld für Bier. Es gab eine Menge Polizeibeamte, die im gleichen Boot saßen.

Kane leerte sein Glas, stand auf, ging zur Theke und beglich die Rechnung.

Antrade gab ihm das Wechselgeld heraus, zögerte bei einer Zweishillingmünze und sagte: »Ich dachte schon, es sei eine falsche Münze, Sugar. Die gibt’s ja heute wie Sand am Meer. Denken Sie an die Frau, die angerufen hat.«

»Hab’s nicht vergessen, Johnny. Vielen Dank.«

Kane ging hinaus und knöpfte seinen Mantel zu. Draußen vergrub er die Hände in den Taschen und hielt sich so nahe wie möglich an den Hauswänden, um nicht so viel Regen abzubekommen. Er dachte über Joe Osborne und dessen verschiedene Probleme nach, dachte auch an Huggett und den Pelzraub und fragte sich, was er für Joe Osborne tun könne.

Er erreichte die Proud Lane, zog im Hausflur seinen Mantel aus und schüttelte die Regentropfen ab. Dann ging er die Treppe zu seiner Etage hinauf und den Korridor zu seinem Büro entlang. Es war ein schmaler Korridor mit einem hohen Fenster am Ende. Das Fensterbrett war so breit, dass man es als Sitzgelegenheit benutzen konnte. Wenn Kane nicht da war, setzten sich seine Klienten dort hin und warteten auf ihn.

Jetzt saß auch jemand dort und wartete: eine Frau. Als sie Kane sah, stand sie auf. Sie war groß, blond und ungefähr dreißig Jahre alt. Sie war ordentlich gekleidet, aber ihr Mantel sah schon recht abgetragen aus und schien für dieses nasskalte Wetter nicht gerade geeignet zu sein. Sie fragte: »Mr. Kane?«

Kane nickte. »Sie haben recht.« Er steckte den Schlüssel ins Türschloss und drehte sich nach ihr um. »Sie wollen mich sprechen?«

»Ja. Ich - ich habe schon den ganzen Vormittag versucht, Sie zu erreichen.«

»Dann haben Sie also bei Antrade angerufen?«

»Ja. Ich – ich möchte sie konsultieren.«

Kane stieß die Tür auf und trat zur Seite. »Bitte, gehen Sie hinein.«

Die junge Frau kam seiner Aufforderung nach. Im Kamin glühten noch Kohlen. Der Raum war warm und strahlte eine behagliche Atmosphäre aus.

Kane sagte: »Sie sind ja ganz nass. Warten Sie, ich nehme Ihnen den Mantel ab, damit er ein wenig trocknet.« Er glaubte einen Moment, sie würde ablehnen, aber sie knöpfte den Mantel auf, zog ihn aus und gab ihn Kane. »Ich danke Ihnen.«

Kane schüttelte den Mantel, hängte ihn über eine Sessellehne und begann im Kamin herumzustochern.

Die Frau nahm einen Kamm aus ihrer Handtasche und frisierte sich, während Kane ihr den Rücken zukehrte.

Kane stocherte weiter in der Glut herum und richtete sich schließlich auf. »Jetzt sollte es brennen...« Er ging um seinen Schreibtisch herum, nahm Platz und nickte der Fremden zu. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind.«

»Nein, Mr. Kane. Ich heiße Archer – Millicent Archer.«

»Miss oder Mrs.?«

»Mrs.«, sagte sie und fügte ein wenig bitter hinzu: »Wenn das noch irgendeine Bedeutung hat.«

Kane blickte ihr in die Augen. Er sah darin Schmerz, Qual, Enttäuschung und noch Schlimmeres. »Haben Sie Ärger mit Ihrem Mann, Mrs. Archer?«, fragte er ruhig.

»Ja.«

»Eines sollte ich Ihnen gleich von vornherein sagen, Mrs. Archer: Mit Scheidungsangelegenheiten befasse ich mich nicht.«

»Es handelt sich nicht um Scheidung, Mr. Kane«, entgegnete sie. »Dann ist es etwas anderes«, sagte Kane. »Erzählen Sie.« Er lehnte sich zurück und sah sie forschend an.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Mrs. Archer beugte sich vor und musterte ihn einen Moment. Ihre Augen waren sehr blau – blauer als Kane sich Augen jemals vorgestellt hatte. Sie war auch hübsch. Als sie wieder sprach, fiel ihm der angenehme Klang ihrer Stimme auf, die eine gute Erziehung verriet.

»Nein, Sie sollen kein Scheidungsmaterial für mich sammeln, Mr. Kane.«

»Gut«, sagte Kane. »Mir scheint, Sie wissen einiges über mich und meine Gepflogenheiten. Es ist Ihnen beispielsweise bekannt, dass ich bei Antrade esse. Wie kommt das?«

Sie lächelte kaum merklich. »Das hat mir mein Mann erzählt.«

»Ihr Mann? Kenne ich ihn?« Er dachte angestrengt nach, doch konnte sich nicht an einen Mann namens Archer erinnern.

»Ich glaube nicht, dass Sie ihn kennen. Ich glaube nicht einmal, dass Sie ihm jemals begegnet sind, aber er-weiß ziemlich viel über Sie. Er machte mir den Vorschlag, Sie aufzusuchen.«

»Worum handelt es sich?«

Sie schwieg einen Moment. Dann sagte sie zögernd: »Um einen Mord.«

Kane starrte sie an. »Mord?«

»Ja - um einen Toten, der vor einigen Wochen in unserm Garten ausgegraben wurde.«

Da fiel bei Kane der Groschen. »Archer! Natürlich... Das war die Geschichte in Hampstead. Hatte ich schon vergessen. Da arbeitete jemand in seinem Garten und grub dabei eine Leiche aus.«

Sie fröstelte. »So war es.«

»Ein Bursche namens Carder«, sagte Kane nach kurzem Nachdenken. »Unterbrechen Sie mich, wenn etwas nicht stimmt. Er wohnte noch nicht lange im Haus und räumte im Garten auf.«

»Das ist er, ja. Mr. Carder wohnte erst ungefähr drei Monate dort. Er kaufte das Haus Ende Juni von meinem Mann und zog Anfang Juli ein. Mitte September grub er dann den Toten aus.«

»Unter einem Obstbaum«, sagte Kane.

»Ja – unter einem alten Apfelbaum.« Sie sah ihn an. »Natürlich ging Carder sofort zur Polizei, die die Ermittlungen einleitete. Sie erfuhren, dass mein Mann das Haus an Carder verkauft hatte. Sie fanden noch ein, zwei andere Dinge über meinen Mann heraus.«

»Zum Beispiel?«

»Dass er einmal im Gefängnis war und mehr als einmal Schwierigkeiten hatte.«

»Kannte er den Toten?«

»Ja. Es war ein Mann namens Steig – Carl Steig. Ein Krimineller. Mehr weiß ich nicht über ihn.«

»Kannte Ihr Mann ihn gut?«

»Lew bestreitet es, aber die Polizei ist anderer Meinung.«

»Und wem glauben Sie?«

Sie hüllte sich einen Augenblick in Schweigen. »Es wäre schön, wenn ich sagen könnte, dass ich alles glaube, was mein Mann mir erzählt. Leider kann ich das nicht behaupten.«

Kane sagte: »Er steht unter Mordverdacht und sitzt, soviel ich mich erinnere, in Untersuchungshaft. Chefinspektor Merry hat den Fall übernommen – nicht wahr?«

»Ja. Er – er ist kein sehr angenehmer Mensch.«

»Das stimmt.«

»Kennen Sie ihn?«

»Ich hatte schon mit ihm zu tun«, sagte Kane vorsichtig. »Er ist noch ein Beamter der alten Schule und glaubt, dass alle Polizeibeamten höher entwickelte Lebewesen sind, die mit dem entsprechenden Respekt behandelt werden müssen. Ich will nicht so weit gehen zu behaupten, dass er es selbstverständlich findet, wenn man sich einem Polizeibeamten auf den Knien nähert und dabei mit der Stirn den Boden berührt; aber seine Vorstellungen sind nicht weit davon entfernt.«

»Ich kann ihn nicht leiden.«

Kane grinste. »Soll ich Ihnen etwas sagen, Mrs. Archer? Ich kann ihn auch nicht ausstehen.«

»Er glaubt, dass Lew diesen Mann namens Steig ermordet hat.«

»Wenn er das glaubt, dann muss er seine Gründe haben.«

»Vermutlich ja«, gab Mrs. Archer zu. »Lew hatte schon öfter Schwierigkeiten mit der Polizei. Er kannte diesen Steig und hatte auch irgendwann einmal Streit mit ihm. Das war aber auch alles.«

»Wenn man davon absieht, dass Steigs Leiche im Garten Ihres Mannes gefunden wurde«, sagte Kane.

»Ich weiß.«

»Und wie hat Ihr Mann diese Tatsache dem Chefinspektor erklärt?«

»Er konnte sie ihm nicht erklären.«

»Ach...!«

»Lew sagt, jemand muss Steig begraben haben, als er nicht zu Hause war«, fuhr sie fort. »Das kann sehr gut möglich sein. Lew war häufig unterwegs, müssen Sie wissen.«

»Aber Sie waren doch da – oder?«

Sie errötete. »Nein, ich war nicht da. Wir leben jetzt seit einem Jahr getrennt. Ich – ich musste meinen Mann verlassen, Mr. Kane, möchte aber nicht darüber sprechen.«

»Einiges werden Sie mir erklären müssen, Mrs. Archer. Ich möchte mir ja schließlich ein Bild machen.«

Ihr Gesicht schien grau zu werden. »Also gut, Mr. Kane. Ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen wollen. Mit unserer Ehe klappte es einfach nicht mehr. Eine reine Privatangelegenheit. Ich rede nicht darüber, denke nach Möglichkeit auch nicht darüber nach oder...«

»Haben Sie Kinder?«, unterbrach Kane.

»Ja, einen Jungen und ein Mädchen. Tim und Jennie. Tim ist neun Jahre, Jennie sieben.«

»Sind die Kinder bei Ihnen?«

»Ja, sie sind bei mir.« Sie schwieg einige Sekunden. »Wir haben uns vor etwa einem Jahr getrennt, aber die Ehe war schon zwei Jahre vorher in die Brüche gegangen.« Sie blickte Kane gedankenverloren an. »Gewöhnlich wird behauptet, dass für das Scheitern einer Ehe beide Seiten verantwortlich sind. Ich will auch nicht bestreiten, dass ich irgendwie versagt habe. Aber ich weiß nicht, inwiefern. Ich weiß nur, dass Lew abrutschte. Er wurde unruhig und begann zu trinken.«

Kane stand auf und ging auf einen Wandschrank zu. Er nahm einen elektrischen Wasserkocher heraus, eine Teekanne und alles, was man zur Zubereitung eines guten englischen Tees braucht. Im Waschraum füllte er den Kocher mit Wasser, schaltete ihn ein und holte zwei Tassen. Von einem Regal nahm er eine Keksbüchse. Als der Kocher piepsende Geräusche von sich gab, brühte Kane den Tee auf, stopfte sich eine Pfeife und kehrte auf seinen Platz hinter dem Schreibtisch zurück. »Bedienen Sie sich, Mrs. Archer. Wir werden uns erst dann weiter unterhalten, wenn Sie einen Schluck Tee getrunken haben. Sie werden sich dann sicher besser fühlen.«

Sie schenkte ein. Einen Moment später sagte sie: »Es ist eigentlich ganz nett in Ihrem Büro.«

»Da haben Sie recht«, erwiderte Kane. »Der Raum ist zwar nicht groß, aber gemütlich.«

»Ich hatte mir alles ganz anders vorgestellt. Nicht nur Ihr Büro, sondern auch Sie.«

Kane sog nachdenklich an seiner Pfeife. »Sie müssen berücksichtigen, dass ich regelmäßig mit Leuten zu tun habe, die eine beruhigende Umgebung brauchen. Wären Sie ein Mann, hätte ich Ihnen ein Glas Whisky eingeschenkt. Frauen biete ich etwas Milderes an. Ich habe herausgefunden, dass eine Tasse Tee und eine Zigarette noch die beste Wirkung erzielen.« Er bot ihr eine Zigarette an.

Sie griff zögernd zu und betrachtete die Zigarette nachdenklich. »Ich habe seit zwei Jahren nicht mehr geraucht. Früher rauchte ich Kette, aber dann wurde der Spaß zu teuer und...« Sie ließ sich Feuer geben und lehnte sich zurück.

»Entspannen Sie sich«, sagte Kane.

Sie rauchte einen Augenblick schweigend und sagte dann: »Nun ja, ich habe das Schlimmste überstanden, Mr. Kane. Lew wurde, wie gesagt, unruhig. Ich weiß nicht, wie viele Frauen dabei eine Rolle spielten. Woher hätte ich das auch wissen sollen?« Sie sah Kane an. »Das machte mich fertig. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, Mr. Kane. Ich bin Waise. Ich kenne meine Verwandten nicht. Allerdings lebt eine alte Kusine meiner Mutter in Newcastle. Als ich sie zum letzten Mal sah, war ich noch ein kleines Mädchen. Und schließlich kann man seinen Kummer keinem Fremden erzählen.«

»Nein.«

Sie schwieg kurze Zeit. »Wie gesagt, so fing es an. Ich wusste, was mit ihm los war. Natürlich stritt er zunächst alles ab, und als das nicht mehr möglich war, benahm er sich wie ein störrischer Schuljunge. Manchmal verschwand er und blieb tagelang weg. Doch letzten Endes kam er immer wieder. Ich fand mich damit ab – wahrscheinlich nur wegen der Kinder. Jedenfalls redete ich mir das ein.«

»Ich verstehe«, sagte Kane.

Sie seufzte. »Aber vielleicht habe ich nicht richtig gehandelt. Vielleicht hätte ich mich früher von ihm trennen sollen, aber ich hoffte, er würde wieder zurückkommen. Ich glaube nicht einmal, dass ich es von ihm erwartete, aber ich redete es mir ein.« Sie blickte Kane in die Augen. »Es war sinnlos. Er kam nicht zurück. Er lernte eine andere Frau kennen, verliebte sich in sie und wollte sie heiraten.«

»Wer war diese Frau?«

»Cardine Jewel. Sie ist Sängerin.«

»Sicher nur ein harmloser Seitensprung«, sagte Kane.

Sie lachte. »Ja, das dachte ich auch. Aber da habe ich mich gewaltig getäuscht. Lew war ständig in ihrer Nähe. So beschloss ich, ihn zu verlassen. Das Haus gehörte ihm, also zog ich aus.«

»Das Haus ist in Hampstead, sagten Sie?«

»Ja, in der Heathhurst Lane. Hört sich großartig an, dabei ist es nur ein kleines Haus, eingeklemmt zwischen Geschäftsgebäuden. Ich habe keine Ahnung, weshalb es nicht schon vor Jahren abgerissen wurde. Lews Vater und Großvater wohnten schon darin.« Wieder sah sie Kane an. »Sein Vater kam bei einem Autounfall ums Leben, sein Großvater war bei der Polizei.«

»Und Sie verließen ihn vor einem Jahr?«

»Ja. Vor einem Jahr. Im September. Ich hielt es nicht mehr länger aus. Man kann auf die Dauer unmöglich mit einem Mann Zusammenleben, der einen ständig betrügt. Beim besten Willen nicht. So nahm ich schließlich meine Kinder und verließ ihn.«

Kane musterte sie schweigend und sagte dann: »Im September vor einem Jahr... Und nun wollen Sie ihm helfen?«

»Ja. Er hat ja sonst niemanden.«

»Und diese Cardine Jewel?«

»Sie hat noch nichts von sich hören lassen.«

»Glauben Sie, dass Sie Ihre Ehe auf diese Weise retten können?«

Ihre blassen Wangen röteten sich leicht. »Nein, zwischen uns ist alles aus. Aber Lew steckt in Schwierigkeiten und hat niemanden, der ihm helfen kann. Er hat kein Geld – und letzten Endes ist er immer noch mein Mann.«

»Und was soll ich unternehmen?«

»Er hat es nicht getan, Mr. Kane. Ich kenne Lew. Ich kenne ihn nur zu gut. Er hat diesen Mann nicht ermordet, was die Polizei auch immer denken und behaupten mag. Ich weiß, dass ich mich nicht irre. Ich möchte, dass Sie alles für ihn tun, was in Ihrer Macht steht, Mr. Kane.«

»War das seine Idee – oder Ihre?«

Ihre Wangen röteten sich stärker. »Meine. Aber es war eigentlich nicht meine Idee, Sie aufzusuchen. Ich kannte Sie nicht und wollte mich nur mit einem Privatdetektiv in Verbindung setzen. Lew sagte, Sie würden sich auf diesem Gebiet am besten auskennen. Er weiß sehr viel über Sie.«

»Sicher, sicher«, sagte Kane und starrte sie an. »Aber die Angelegenheit gefällt mir nicht sehr.«

»Soll das heißen, dass Sie den Fall nicht übernehmen wollen?«

»Das kostet Geld«, entgegnete Kane. »Eine Menge Geld, Mrs. Archer. Mein Satz beträgt fünfzehn Pfund täglich und Spesen extra. Das sind hundertfünf Pfund die Woche, von den sonstigen Ausgaben, die anfallen, ganz zu schweigen. Ich gebe mir alle Mühe, aber trotzdem werden Sie nach Ablauf von zwei Wochen möglicherweise kein Resultat sehen.«

»Ich brauche Hilfe, Mr. Kane. Wegen des Geldes brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich habe zweihundertsiebenundzwanzig Pfund auf der Sparkasse.«

»Ich mache mir nicht wegen des Geldes Sorgen, Mrs. Archer, sondern bezweifle, ob es sinnvoll ist, dass Sie es ausgeben.«

»Ich bin bereit, jede Summe zu zahlen. Wenn Sie den Fall nicht übernehmen wollen, muss ich mich an jemand anders wenden.«

Kane sagte: »Betrachten wir die Angelegenheit von einem anderen Standpunkt. Die Polizei hält Ihren Mann für den Mörder. Ich kenne die Polizei. Sie muss Beweise in der Hand haben. Kein Kriminalbeamter nimmt eine Verhaftung vor und leitet erst dann Ermittlungen ein. Es ist vielmehr umgekehrt, was so viel bedeutet, dass die Polizei genau weiß, was sie tut.«

»Ich denke, dass die Polizei sich irrt.«

»Ich kenne auch Chefinspektor Merry«, sagte Kane. »Ich kann ihn nicht leiden, und er kann mich nicht leiden. Wenn ich meine persönliche Meinung sagen soll, so halte ich ihn für einen – nun, das ist ja auch egal. Aber er ist klug und versteht etwas von seinem Beruf. Er ist ganz und gar Kriminalbeamter. Vielleicht hat er nicht sehr viel Phantasie. Vielleicht ist er ein bisschen dogmatisch, aber er macht es sich nicht leicht. Als er Ihren Mann verhaftete, war er davon überzeugt, dass niemand anders als Mörder in Frage kam.«

»Und ich denke nach wie vor, dass Inspektor Merry sich geirrt hat.«

Kane nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete sie eingehend. »Sie sind wirklich eine energische junge Frau, Mrs. Archer.«

»Das ist möglich. Aber ich weiß, was ich sage. Lew würde nie jemanden umbringen, davon bin ich fest überzeugt.«

»Mörder gibt es in allen Größen und Farben«, warnte Kane. »Jeder Mensch kann unter bestimmten Umständen zum Mörder werden. Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, dass Sie Ihren Mann noch immer lieben und hoffen, ihn durch diese Angelegenheit zurückzugewinnen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist ein Irrtum, Mr. Kane. An diese Möglichkeit habe ich nicht einmal gedacht. Ich würde nie wieder zu Lew zurückkehren und bin sicher, dass ihm auch gar nicht daran liegen würde. Aber jetzt ist er allein, hat keine Freunde und ist außerdem unschuldig. Ich bin seine Frau. Ich kann mich nicht in den Schmollwinkel zurückziehen und sagen: Das geschieht ihm recht. Hier geht es nicht darum, was er mir angetan hat. Er soll für etwas büßen, wofür er nicht verantwortlich ist.«

Kane klopfte seine Pfeife aus. »Sie sind eine gute Unterhändlerin«, sagte er und griff nach der Tabaksdose auf seinem Schreibtisch. »Sie haben mich also gekauft. Schildern Sie mir jetzt die Einzelheiten.«

»Ich danke Ihnen.« In ihren Augen war ein Glitzern, das in Kane eine leichte Besorgnis auslöste. »Ich werde Sie unterstützen, so gut ich kann, Mr. Kane«, fuhr sie fort. »Ich werde Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen. Fragen Sie nur, ich sage Ihnen alles – alles.«

Kane zog einen Schreibblock heran, griff nach einem Kugelschreiber und malte einen kleinen Kreis in die Luft. »Okay, fangen wir also an.«